Ein geschwind listig Wib - Dorothe Zürcher - E-Book

Ein geschwind listig Wib E-Book

Dorothe Zürcher

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Beschreibung

Mit 11 Jahren verlobt, 10 Jahre später Witwe und bereit, hinter den Kulissen zu herrschen. Wien, 1298: Nach jahrelangen Verhandlungen wird die Habsburgerin Agnes mit dem König von Ungarn verheiratet, einem Gegenspieler ihres Vaters. Tatkräftig übernimmt Agnes die Pflichten einer Königin, wird jedoch vom Adel ausgebremst. Ein Seilziehen beginnt. Als der König überraschend stirbt, müssen Agnes und ihre Stieftochter um ihr Leben fürchten. Beide sind bereit, um ihren Rang und ihre Macht zu kämpfen. Agnes von Ungarn gilt heute als heimliches Oberhaupt der frühen Habsburger-Dynastie, Friedensstifterin und Spenderin von Spitälern und Klöstern. Nach ihrem Tod wurden ihre Taten verunglimpft und sie als blutrünstiges Weib dargestellt. Dies ist die Geschichte ihrer frühen Jahre, als sie die ersten Schritte auf einer politischen Bühne wagte, die auf junge und kinderlose Frauen nicht vorbereitet war.

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Seitenzahl: 403

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dorothe Zürcher

Ein

geschwind

listig Wib

Agnes von Habsburg und Ungarn

Heimliche Königin der Schweiz

Romanbiografie

Impressum:

Zürcher, Dorothe: Ein geschwind listig Wib

Agnes von Habsburg und Ungarn

Heimliche Königin der Schweiz

Hamburg, Südverlag 2025 1. Auflage 2025

ePub-eBook: 978-3-87800-986-3

Lektorat: Amandara M. Schulzke, Bedey & Thoms

Korrektorat: Astrid Standtke, Lanke

Umschlaggestaltung, Buchsatz & Innengestaltung:

Phantasmal Image

Cover-Bildnachweis: © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Die heilige Klara empfängt die geweihte Palme, Ausschnitte aus dem Bildprogramm der Glasfenster der Klosterkirche Königsfelden. Die Glasfenster wurden unter Agnes von Ungarn erstellt.Der Verlag behält sich das Text- and Data-Mining nach § 44b UrhG vor, was hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Der Südverlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg, Südverlag (bedey-thoms.de)[email protected]

©Südverlag, Hamburg 2025

Inhalt

Impressum: 2

Prolog 4

1. Teil 6

1 - Wien 7

2 - Wien 21

3 - Wien 42

2. Teil 50

4 - Preßburg 51

5 - Stuhlweißenburg 60

6 - Ofen 77

7 - Ofen 96

8 - Raab 112

9 - Ofen 130

10 - Ofen 136

11 - Wien 158

12 - Raab 164

3. Teil 178

13 - Wien 179

14 - Steiermark 195

15 - Wien 208

16 - Ofen 220

4. Teil 239

17 - Vorlande 240

18 - Preßburg 252

19 - Nürnberg 258

20 - Böhmen 275

21 - Luzern283

22 - Interlaken 292

23 - Preßburg 303

24 - Königsfelden 306

Nachwort 308

Personenverzeichnis 310

Ortsverzeichnis 313

Worterklärungen 314

Zeittafel 316

Bibliografie 318

Autorin 320

Prolog

Wien, 1287: Durch das Tuchverdeck des Wagens hörte Agnes das Geschrei der Wiener Bürger. Sie drückte ihr Gesicht an den schwangeren Bauch der Mutter. Etwas prallte gegen das Tuch, zerplatzte. Pferde wieherten, Metall schlug gegen Holz. Der Wagen knarrte, wackelte. Stimmen brüllten, Fäuste hieben gegen die Seitenwand, ein dumpfer Schlag ertönte, ein Aufschrei folgte. Agnes schreckte hoch, starrte in die aufgerissenen Augen Rudolfs, ihres Bruders, der auf der anderen Seite die Mutter umklammerte.

»Warum hassen sie uns?«, fragte Rudolf.

»Schscht, beten wir«, sagte die Mutter. Die weiteren Worte gingen im Hohngeschrei unter. Draußen donnerte eine Stimme. War das der Vater, der sie beschützte? Am vergangenen Abend hatte dieser Agnes auf die Knie gehoben und ein Lied gesungen. Agnes versuchte, die Melodie zu summen. Da erzitterte der Wagen, rollte vorwärts. Das Geschrei steigerte sich. Rudolf hielt sich die Ohren zu. Mutters Hände fuhren über seine braunen Locken.

»Wir fahren durchs Widmertor«, rief die ältere Schwester, die zwischen den Ammen ihnen gegenübersaß. »Wir sind draußen.«

Die Rufe blieben zurück, nur noch das Kleine schrie in den Armen einer Amme. Der Wagen nahm Fahrt auf, holperte übers Pflaster, begleitet vom Klacken der Pferdehufe. Ritt der Vater mit ihnen? Agnes linste zwischen Seitenwand und Tuchverdeck hinaus, erblickte gepanzerte Beine und Pferdefell. So wie damals, als sie tagelang in diesem Wagen nach Wien gereist waren.

»Fahren wir nachhause?«, fragte sie.

»Nachhause? Wien ist jetzt unser Zuhause. Euer Vater ist Herzog von Österreich. Er wird die aufrührerischen Bürger niederwerfen, dann kehren wir zurück.«

Die Mutter stöhnte auf, strich sich über den prallen Bauch. Das Kleine krächzte, japste nach Luft.

»Gib her!«, sagte die Mutter und nahm ihr Jüngstes in die Arme. Rudolf erhob sich, stolperte zu Agnes, kuschelte sich an sie, wie er es im Winter in der Kemenate oft tat.

»Vater rettet uns«, sagte er.

»Vater rettet uns«, bekräftigte die Mutter. Sie herzte das Kleine. »Er erobert Wien zurück. Dann wird er die Krone Ungarns an sich bringen, die von Böhmen, um sich dann die des Deutschen Reichs aufzusetzen. Das ist Gottes Wille. Das Haus Habsburg ist für Großes bestimmt.«

1. Teil

»Besäße das Wasser den Geschmack, den der Wein hat, dann würde der Mund das Wasser genauso lieben wie den Wein.«Aus: Meister Eckhart, Das Buch der Göttlichen Tröstung.

1 - Wien

Zehn Jahre später, November 1297

Lajos fand seinen Onkel an der Anlegestelle des Donauarms zwischen gestapelten Salzfässern und dem Steg. Ein tropfnasser Junge stand bibbernd darauf, daneben ein vor Nässe zitternder Schiffer.

»Das nächste Mal lassen wir dich versaufen«, polterte der Onkel. Der Schiffer stammelte etwas. Lajos blieb in gebührendem Abstand stehen. Der Onkel wischte mit dem Arm durch die Luft, erblickte seinen Neffen, stockte.

»Wir können keinen gebrauchen, der nicht aufpasst«, fuhr er den Schiffer an. Unwirsch drehte er sich weg und marschierte zu Lajos. Erbost öffnete er den Mund, schien sich dann aber zu besinnen.

»Hast du das Geld«, brummte er. Lajos verbeugte sich. Seit zwei Monaten hatte er den Onkel nicht mehr gesehen, eben war er von seiner beschwerlichen Reise von Buda oder Ofen, wie die Deutschen die Stadt nannten, in Wien angekommen.

»Sicher verstaut im Geldgürtel«, antwortete Lajos.

Manchmal schämte er sich, dass er dem Onkel nicht mehr Schneid entgegensetzte. Dieser nickte zufrieden, klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter, deutete mit einem Nicken an, ihm zu folgen, und brummte: »Streune damit nicht im Hafen herum, geh direkt zum Salzhaus!«

Lajos in seinem Rücken nickte nicht einmal dazu. Seine zwei Begleiter hatte er im Salzhaus gelassen, als er den Onkel suchen ging. Geschickt umrundete er die Salzfässer, um dem Onkel nacheilen zu können. Da erblickte Lajos die Magd zum ersten Mal.

Es war vor allem ihr Tuch, das sie um die Schultern geschlungen hatte, das ihm auffiel. Fein gewobene Wolle mit blauer Färbung, flandrische Arbeit, schon ausgewaschen, trotzdem ein edler Stoff. Lajos war kein Tuchhändler, sondern beförderte Salz für seinen Onkel nach Ofen, aber wertvolle Stoffe erkannte er allemal.

»Wie verlief die Reise«, erkundigte sich der Onkel, als sie durch das Rotenturmtor schritten und an St. Ruprecht vorbei die Gasse hoch eilten. Lajos trabte neben ihm her, erzählte, er sei mit einer Gruppe Pelzhändler zurückgekehrt. Für die Jahreszeit war es eine wenig beschwerliche Reise, weder Unfälle noch Überfälle oder Wölfe. Lajos bemerkte, wie er den Schneesturm und die eisigen Übernachtungen im Freien herunterspielte. Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, dass die Magd ihnen folgte.

Das Haus seines Onkels lag am Hohen Markt. Hinter dem Laden befand sich das Lager, wo die Gesellen gleich für den Onkel Platz machten. Erst dort überreichte Lajos dem Onkel den Geldgürtel, den er unter Umhang und Surcot, dem Überkleid, trug. Darin lagen die Erträge seines letzten Salztransportes. Lajos wiederholte, wie viel sie wo verkauft hatten, überbrachte Kunde vom Vetter, der in Ofen den Handel tätigte. Sein Onkel zählte, nickte anerkennend.

»Lass dir was vorsetzen und ruh dich aus!«

Lajos beeilte sich zu erklären, dass seine Kammer hergerichtet werde, seine Begleiter schnarchten wohl schon auf den Strohsäcken. Er verabschiedete sich, wählte jedoch nicht die Stiege nach oben, sondern trat auf die Gasse. Dort stand sie, die Magd mit dem blauen Tuch.

Lajos kannte sie nicht. Es war nicht so, dass die Weiber ihm nachliefen. Als sie seinem Blick jedoch standhielt, überquerte er die Gasse und trat zu ihr hin. Dies wiederum schien sie verlegen zu machen. Sie drehte den Kopf, blickte umher.

»Meine Herrin möchte Euch sehen«, wisperte sie dann.

Eine solche Antwort hatte Lajos nicht erwartet. Er hatte angenommen, dass sie eine Bekannte seiner Liebsten sei.

»Welche Herrin?«, fragte er.

»Das wird sie Euch selbst verraten«, antwortete die Magd erstaunlich spitz.

Lajos zögerte. Zehn Tage lang war er mit Pelzhändlern und ihren Maultieren von Ofen hierhergereist. Ein Schneesturm hatte sie überrascht, sie hatten im Freien genächtigt. Er war erschöpft, hatte Frostbeulen, einen Bärenhunger und stank wohl zum Himmel.

»Berichte deiner Dame«, sagte er, »ich werde vorsprechen, wenn ich mich gestärkt habe.«

Die Magd schüttelte den Kopf. »Es hieß, um Martini werdet Ihr zurückkehren, nun beginnt bald der Advent. Meine Herrin wartet nicht gerne.«

Mit spitzen Fingern packte sie Lajos‘ Ärmel und zog ihn mit sich.

»Es gab einen Schneesturm, wir saßen tagelang fest.« Das klang wie eine Entschuldigung. Seit wann wussten unbekannte Damen über seine Reisepläne Bescheid? Doch aus der Magd war nichts mehr herauszuholen. Sie zog ihn an St. Peter vorbei, kaufte an einem Stand zwei Krapfen und steckte sie ihm zu seinem Erstaunen zu. Anschließend bog sie in eine Gasse und als Lajos den ersten Krapfen verschlungen hatte, standen sie vor der Michaelskirche. Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich die dunkle Hofburg des verhassten Habsburger Herzogs.

Die Magd wandte sich ihm zu, musterte seinen feuchten, nach nassem Hund stinkenden Umhang nun selbst nachdenklich. »Ihr senkt den Blick, beugt das Knie und wartet, bis Ihr angesprochen werdet«, sagte sie streng.

Lajos schluckte den letzten Bissen hinunter und öffnete protestierend seinen Mund. Führte sie ihn etwa vor die Herzogin?

Die Magd war schon durchs Kirchenportal geschlüpft. Neugierig folgte er ihr.

Vor dem Altar flackerten einige Kerzen, fahles Novemberlicht fiel durch die hohen Fenster. Kalter Weihrauchduft stieg ihm in die Nase. Einige verhüllte Gestalten knieten vor dem Altar, ins Gebet versunken.

Die Magd huschte an der Seitenmauer entlang, räusperte sich etwas zu auffällig und winkte Lajos in die Sakristei.

Abgesehen von einem Giebelschrank, zwei Stühlen und einem Stehpult war der Raum leer.

Die Magd, nun sichtlich unruhig, bedeutete ihm zu warten.

Lajos öffnete seinen Umhang. Der Schweißgeruch seines abgetragenen Untergewandes drang ihm in die Nase. Er bereute schon, hierhergekommen zu sein, als sich mit einem Knarren die Tür öffnete. Eine verschleierte Gestalt trat unter den Türrahmen. Sie trug kein Brokat, aber der tiefblaue Umhang bestand aus feiner gesponnener Wolle, neuste flämische Ware. Lajos senkte den Blick und beugte das Knie.

Es wurde getuschelt, die Tür knarrte wieder, fiel ins Schloss. Ein feiner Blumenduft liebkoste seine Nase.

»Erhebt Euch!«, sagte eine dunkle Frauenstimme mit diesem schwäbischen Kratzen im Hals, das alle Ministerialen des Habsburgerherzogs verriet.

Eine silberne Fibel hielt ihren Umhang zusammen, den Surcot darunter zierte ein bestickter Gurt. Sie musste etwas älter als er mit seinen zwanzig Lenzen sein. Das bleiche Gesicht war schmal, der Blick aus den grauen Augen ernst, obwohl sie spöttisch lächelte. Hatte er etwas falsch gemacht?

»Ihr seid Ludwig, der Neffe des Salzhändlers Hans vom Hohen Markt.«

Lajos nickte, hätte gerne erwidert, dass er Lajos gerufen wurde, die ungarische Version von Ludwig. Eine Dame belehrte man jedoch nicht.

»Möchtet Ihr etwas Wein?«

Das verschlug ihm die Sprache. Abgesehen davon, dass Sie ihm etwas anbot, wollte sie ihm den Messwein zu trinken geben?

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie zum Schrank, öffnete ihn und entnahm ihm einen Zinnkrug. Die Kapuze rutschte herunter. Ihr braunes Haar, das zu seiner Verwunderung unbedeckt war, glänzte im Licht der Kerze.

Als sie sich ihm wieder zuwandte, hielt sie ihm einen gefüllten Zinnbecher entgegen. Der unverdünnte Wein schmeckte nach Sonne und warmer Erde. Noch im Trinken fiel Lajos ein, dass es sich wohl nicht geziemte, den vollen Becher hinunterzustürzen. Er setzte ab und stellte ihn auf das Stehpult. Die Dame ließ ihn nicht aus den Augen.

»Wie war Eure Reise?«, fragte sie. Lajos wischte sich über den Mund, schluckte nochmals und spürte dem lieblichen Geschmack in seiner Kehle nach.

»Was wollt Ihr von mir?«, erwiderte er. Da erreichte das Lächeln zum ersten Mal ihre Augen.

»Setzt Euch«, befahl sie und zog den zweiten Stuhl so hin, dass sie sich gegenübersaßen. »Es wurde mir gesagt, dass Ihr längere Zeit in Ofen verweiltet und neben dem Deutschen auch des Ungarischen mächtig seid.«

Lajos kam es vor, als wäre sie einer dieser Heiligen, die im Himmel schwebten und alles beobachteten, was die Erdenbürger trieben.

Die Frau nestelte an ihrem Gurt, legte einen Wiener Pfennig neben seinen Becher und fragte: »Was erzählt man sich in Ofen über die Hochzeit des Königs?«

»Die Hochzeit von Fürst Andreas mit der Habsburgertochter?«

Die Dame nickte.

»Leopold! Was fällt dir ein?«

Agnes packte den Jungen und riss ihn zurück. Leopold stolperte rückwärts. Der Stock, mit dem er fast das Auge seines älteren Bruders Friedrich, ausgestochen hätte, fiel zu Boden.

Friedrich strich sich verwundert über das Gesicht, musterte den Quälgeist, als könne er nicht fassen, was der eben im Sinne gehabt hatte. Warum wehrte der Größere sich nicht?

Aufgebracht blickte Agnes zu den Ammen. Eine wischte dem heulenden Schwesterchen die Nase, die andere stillte den Jüngsten. Bethchen stickte im Erkerfenster, tat so, als höre sie nichts. Manchmal ging es hier im Frauengemach zu wie im Tollhaus.

»Lass mich los!«, quengelte Leopold, schüttelte seine braunen Locken und schlug gegen Agnes‘ Hand.

»Keineswegs, zur Strafe begleitest du mich zu Meister Konrad und wirst die ganze Zeit still in der Ecke stehen!«

Leopold jaulte auf und versuchte, sich zu befreien, während Friedrich ihr einen sehnsüchtigen Blick zuwarf. Agnes warf ihren zappelnden Bruder kurzerhand über die Schulter, fing die dankbaren Blicke der beiden Ammen auf und schritt zum Ausgang. Oberhalb der Stiege stellte sie den Kleinen wieder auf die Beine.

Sogleich stampfte er auf den Boden. »Ich versteh kein Volgare.«

»Meister Konrad spricht mit uns auf Latein oder Deutsch«, erwiderte Agnes und strich sich ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht. Vulgärlatein oder Italienisch konversierte sie mit Bruder Francesco. Doch für den Kleinen war das wohl zu kompliziert.

Sie packte Leopolds Hand und stieg mit ihm die dunkle Stiege in den Hof hinunter.

»Warum lernst du nicht Ungarisch?«, quengelte er.

»Am Hof von König Andreas wird Italienisch gesprochen.« Die Antwort kam wie von selbst über Agnes Lippen. Insgeheim hatte sie sich auch gefragt, ob sie nicht besser Ungarisch lerne, wenn sie Königin von Ungarn werden sollte. Aber Meister Konrad befand, dies sei unnötig.

Im Hof angekommen, verlangsamte Agnes ihren Schritt, blickte zu den struppigen Pferden in der Ostecke, neben denen fremde Krieger standen. Ihre Tante, die den Böhmenkönig geehelicht hatte, war gestorben. Seither herrschte wieder Angst, dass der Böhme das Herzogtum Österreich an sich reiße und ihre Familie vertreibe. Deshalb drängte die Mutter auf die Heirat. Heute Morgen waren Abgesandte des ungarischen Königs eingetroffen. Da der Vater in Graz weilte, verhandelten diese mit der Mutter. Zu gerne wäre Agnes bei den Gesprächen über ihre Mitgift anwesend gewesen. Schon seit Jahren wurde darüber gestritten.

Leopold bemerkte ihren Blick. »König Andreas will so viel Geld für seine Braut, weil du so hässlich bist.«

Agnes holte aus, hielt dann aber inne. Das war Leopolds kindische Rache, weil sie ihn zu Meister Konrad schleppte. Sie ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit dem Kleinen zu sein.

»Leopold von Habsburg«, sagte sie streng. »Dein Großvater war König, deine beiden Großmütter Königinnen und du plapperst das üble Gerede des Gesindes nach. Schäm dich!«

Er wurde bleich, senkte den Blick, schwieg verstockt. Agnes erhob sich, packte den Arm des Jungen, marschierte los und seufzte. Sie konnte ihrem Bruder nie lange böse sein. So zappelig und frech er war. Wie Rudolf, ihr Lieblingsbruder, konnte Leopold nebst seinem Quengeln so einnehmend lächeln, dass ihm die Herzen zuflogen.

Die Tür zur Kammer von Konrad von Diessenhofen stand offen. Der Meister stand, in einen Folianten vertieft, darin, sodass Agnes sie beide mit einem sanften Pochen anmeldete. Konrads Blick verdüsterte sich, als er Leopold erblickte.

»Du wirst artig in der Ecke warten.« Agnes warf Leopold einen strengen Blick zu. Dieser schlurfte mit gesenktem Kopf zum Schandplatz. Meister Konrad hielt sich bei den Rutenschlägen nicht zurück. Das wusste der Kleine.

Der Meister warf einen unruhigen Blick auf Leopold. »Habeo mirum«, raunte er.

Eine Überraschung? Nun blickte auch Agnes zu Leopold, der schon mit den Füßen scharrte.

Konrad zeigte zum Tisch, wo neben dem Folianten Pergamentrollen lagen. »Eine Abschrift der Lehre der Unterweisungen von Meister Eckhart.«

»Auf Deutsch?«, flüsterte Agnes. Konrad nickte. Sie trat an den Tisch, blickte auf das Pergament. »Von wârer gehôrsame daz êrste« stand da. Wahrer Gehorsam - Agnes Blick flackerte zu Leopold. Dann strich sie mit dem Zeigefinger über den Text, in ihrem Kopf formten die Lettern deutsche Worte. Es hatte fast etwas Anrüchiges.

»Ut legitur omnia?«

»Utique.« Konrad strahlte sie an, verlegen lächelte sie zurück.

»Leopold«, Agnes räusperte sich. »Ich denke, das genügt. Kehre unverzüglich ins Frauengemach zurück und entschuldige dich bei deinem Bruder!«

Leopold jauchzte, sprang zu Agnes, umarmte sie stürmisch und schoss aus der Kammer. Ein Aufschrei ließ Konrad und Agnes den Blick zur Tür wenden.

»Kind! Achte darauf, wohin du rennst!«, hörten sie jemanden schimpfen. Dann trat Katarina in die Kammer, Konrads Schwester und Hofdame der Mutter. Hatten sie sich über die Mitgift geeinigt? Agnes‘ Herz schlug höher.

»Eure Mutter wünscht, Euch zu sprechen.«

Agnes schluckte, blickte entschuldigend zum Meister, der ihr aufmunternd zunickte. So folgte sie der Hofdame.

»Geht es um meine Heirat?«, fragte Agnes, als sie zusammen die Stiege hinunterstiegen.

»Eure Mutter wird Euch alles erklären.«

Katarina von Diessenhofen machte einen verschlossenen und strengen Eindruck. Ihre großgewachsene und dünne Gestalt schien manchmal mit der Umgebung zu verschmelzen, wie ihr Bruder hatte sie braune, glatte Haare, die sie mit einem Schleier bedeckte. Agnes mochte die anderen Damen der Mutter lieber. Wahrscheinlich war Katarina so spröde, weil ihre Familie weder für eine Mitgift noch für ein Leben im Kloster Geld aufbieten konnte. So musste sie lebenslänglich als Jungfer der Mutter dienen.

Elisabeth von Görz und Tirol residierte im Saal ihres Gatten. Seit ihn die Kurfürsten nach dem Tode des Großvaters und römisch-deutschen Königs nicht zum König gewählt hatten, hatte Albrecht von Habsburg seiner Gattin die Verwaltung des Herzogtums überlassen, um im Reich herumzureisen, Anhänger zu gewinnen und sich voll und ganz um die Rückgewinnung der Krone zu kümmern.

Zu Agnes‘ Erstaunen befanden sich keine Ungarn im Saal. Ihre schwangere Mutter, Agnes kannte sie fast nicht anders, saß auf einem breiten Sessel, drei stickende Damen um sich, und vor ihr stand der Sohn von Paltram vor dem Freithof. Agnes‘ Atem stockte. Paltram war hoffentlich in der gleißenden Sonne Jerusalems verreckt, nachdem er die ganze Stadt Wien gegen die Habsburger aufgehetzt hatte. Nun stand der Sohn, die Kappe in der Hand, vor der Herzogin.

»Agnes von Habsburg«, deklarierte Katarina laut. Elisabeths Gesicht zeigte Erstaunen.

»Meine Tochter«, sagte sie zu ihm. »Ich werde über Eure Bitte nachdenken.«

Er blickte verwirrt nach hinten, verneigte sich entschuldigend, dankte, stolperte aus dem Saal und Agnes verstand, dass dies alles inszeniert war. Katarina hätte sie nie in den Saal mit einem Bittsteller geführt, wenn nicht auf Befehl ihrer Mutter, da sie diesen loswerden wollte.

Agnes verneigte sich und Elisabeth winkte, einer der Hofdamen aufzustehen, damit Agnes sich setzen konnte. Weder ihr goldenes Haar noch ihre grünlichen Augen hatte sie an ihre Tochter weitergegeben.

»Paltrams Sohn«, sagte Agnes, blickte ihre Mutter an und wusste, dass sie beide an dasselbe dachten: Wie sie im Wagen saßen, damals vor fast zehn Jahren. Wie die Ritter ihres Vaters die wütende Menge, angeführt von Paltram, gewaltsam vom Gefährt fernhielten. Wie sie auf holprigen Pfaden in die kalte Burg auf dem Kahlenberg flohen, während der Vater die Stadt belagerte und die Wiener zur Räson zwang. Paltram wurde geächtet. Er pilgerte ins Heilige Land, um für seine Sünden zu büßen. Und die Mutter kehrte mit ihren Kindern in die Hofburg zurück.

Elisabeth lächelte herausfordernd, legte die Hand auf ihren runden Bauch. »Hab für alle ein offenes Ohr! Plötzlich brauchst du die Unterstützung deiner Feinde.«

Der Vater hätte Paltrams Sohn nicht in die Hofburg gelassen, dachte Agnes, wusste jedoch, dass dies die Stärke ihrer Eltern war. Ohne sich abzusprechen, arbeiteten sie Hand in Hand, obwohl der Vater als streng und dickköpfig galt, die Mutter als diplomatisch und weitsichtig.

»Es gibt zu viele Unkenrufe in der Stadt. Bürger, die nach dem Tod von Tante Gunda König Wenzel von Böhmen anstelle von uns hierher wünschen. Wenzel wird nicht zögern, vor Wien aufzumarschieren. Das werden wir zu verhindern wissen und deswegen zu dir.«

Elisabeth stützte mit ihrer Hand ihr Kreuz. »König Andreas hat eingeschlagen. 40.000 Mark Silber, von einer höheren Mitgift habe ich nie gehört.«

Agnes schluckte. Wie konnte Vater dieses Geld je zusammen-bringen?

Elisabeth lächelte stolz. »Und noch besser: König Andreas wird dir Preßburg als Morgengabe überlassen.«

»Er hat nachgegeben?«

»Endlich! Vor sieben Jahren musste dein Vater die Stadt den Ungarn überlassen, nun wird sie dir gehören.« Elisabeth strahlte. »Ungarische Krieger bekommen wir auch. Der Königs-Emporkömmling Adolf von Nassau verliert seine Anhänger. Im Frühling wird Albrecht zum Krieg rüsten und dem Verräter die römisch-deutsche Krone entreißen.«

Höflich lächelte Agnes der Mutter zu, schämte sich, dass sie deren Euphorie nicht teilte. War es nicht das, worauf ihr Vater seit Jahren hinarbeitete? Den Thron des Heiligen Römischen Reiches zu besteigen. Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich.

»An Lichtmess feiern wir die Hochzeit. Bis dahin wirst du die Burg nicht mehr verlassen.«

»Aber,«

Elisabeth hob eine Hand. Agnes senkte den Kopf. Wie konnte sie der Mutter hier im Saal widersprechen?

»Es steht zu viel auf dem Spiel.«

Agnes nickte beschämt.

Vor zwei Jahren, als sich die Wiener wiederum vor der Hofburg zusammenrotteten und drohten, alle Schwaben und vor allem die Habsburger zu verjagen, da hatte Agnes die Burg über ein halbes Jahr nicht verlassen dürfen. Noch zu gut erinnerte sie sich an ihre Unruhe, das Kribbeln in Händen und Füßen und ihr ewiges Hin- und Hergehen in den dunklen Räumen.

»Ich werde tun, was Ihr verlangt.«

»Wenn ich im Saal Audienz halte, wirst du ab jetzt dabei sein, um zu lernen. Ein paar Freiherren und Magister Ulrich werden dich nach Ungarn begleiten und deine Güter verwalten. Wir haben vor, dir Rechberg zu überlassen. Mach dich mit deinen Angelegenheiten bekannt.«

Agnes nickte mit gesenktem Blick. Sie spürte die warme Hand ihrer Mutter auf dem Knie und hörte sie flüstern: »Meine Mutter lehrte mich, wir sollen die Töchter nicht zu sehr lieben, da sie jung fortgeschickt werden.«

Agnes blickte hoch in das Antlitz ihrer Mutter. Wenn sie sie nicht bald aus dem Saal entließe, würden sie beide hier in Tränen ausbrechen.

Lajos blickte den Pfennig an, schürzte die Lippen. Er konnte einer Dame unmöglich erzählen, wie man in den Schänken Ungarns über eine Braut frotzelte, deren Mitgift seit Jahren verhandelt wurde.

»Man erzählt sich nicht viel. Niemand weiß, ob die Hochzeit überhaupt stattfindet.«

»An Lichtmess werden sich der König von Ungarn und die Herzogstochter das Ja-Wort geben.«

»Ah.« Zu gerne hätte Lajos gewusst, wie hoch die Mitgift war, die der alte Andreas ausgehandelt hatte. »Eine Hochzeit ist ein freudiges Ereignis.« Hoffentlich würde der König seine Untertanen während des Festes reich beschenken.

Die Frau musterte ihn. Den Pfennig hatte er wohl kaum verdient. Schade, er hätte ihn gerne seiner Liebsten Hedwig gebracht.

»Und hier, was erzählt man sich in Wien über die Vermählung?«

»In Wien?«, fragte Lajos, um Zeit zu gewinnen. Besaßen die Habsburger nicht genug Spitzel, die ihnen solche Nachrichten ins Ohr flüsterten?

Die Dame nickte. Gerne hätte Lajos gesagt, dass er keine Ahnung hätte, was eine pure Lüge war. Er verabschiedete sich ganz vom Pfennig. In den Straßen Wiens brodelte seit Jahren die Gerüchteküche.

»Nun ja, ich war ja eine Weile nicht hier«, er räusperte sich. Wenn die Frau darauf beharrte. Er blickte nochmals auf den verlorenen Pfennig und holte Luft: »In Wien fragt man sich, wer wohl diese Mitgift zahlen soll, die ausgehandelt wurde. Wenn der Herzog uns unsere Handelsprivilegien und die Stadtmauer gelassen hätte, dann ja, dann könnten wir mit mehr Einkommen auch höhere Steuern zahlen. Aber der Herr bevorzugt ja die Fernhändler, die Fremden, die …«, Lajos unterbrach sich. Er schweifte ab. »Jeder, der dem Habsburger ins Gesicht sieht, weiß, dass der Teufel ihn geküsst hat. Das Einzige, wonach er strebt, ist die Reichskrone. Darum verkauft er seine Tochter an den alten Ungarn und darum tritt er mit den Füßen auf unseren althergebrachten Rechten herum. Der Böhmenkönig ist wohlhabender, der erste Kurfürst im Reich und stammt aus einer alteingesessenen Familie. Unter seiner Herrschaft wäre Wien nie von den Ungarn belagert worden. Er ist der wahre Nachfolger der Babenberger und der Herr Wiens. Der Habsburger soll mitsamt seinen Schwaben ins Pfefferland verschwinden. Das erzählt man sich.«

Am liebsten hätte Lajos auf den Tisch gehauen, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Er hätte noch einiges zu sagen gehabt: Der Böhmenkönig sollte endlich kommen, ihnen alle Privilegien zurückgeben, Wien beschützen und den Habsburger vertreiben, bevor dieser seine Tochter zur Königin machte und damit zu mächtig wurde. Aber Lajos Stimme hatte sich überschlagen und irgendetwas in ihm befand, dass es sich nicht geziemte, vor einer Edelfrau herumzubrüllen.

Zu Lajos‘ Erstaunen zeigte die Frau keine Regung, sie guckte auf sein Gesicht, als gäbe es nichts Spannenderes. Selbst seine Liebste blickte ihn nie so aufmerksam an.

»Ihr wisst, von wem das Salz stammt, das ihr verkauft?«, bemerkte sie mit ihrer dunklen Stimme.

Lajos nickte mürrisch. Selbstverständlich wusste er, dass das Salz aus den Werken von Ausee stammte und sie damit dem Habsburger Geld und Salzsteuer in den Rachen warfen. Früher hatten sie genau das gleiche Salz vom Bischof bezogen, der nun deswegen mit dem Herzog im Streit lag. Bischof, Adel, Bürger, alle vom Habsburger vor den Kopf gestoßen – irgendeinmal musste es ihnen doch gelingen, diesen Teufelsbraten aus dem Land zu jagen.

»Ich danke Euch«, sagte die Dame. Lajos glaubte, sich verhört zu haben. Sie schob Lajos den Pfennig zu, erhob sich und zeigte mit der Hand zum Ausgang.

Verdattert steckte er die Münze ein, wusste nicht, wie er sich von einer Dame verabschieden sollte, murmelte also ein Abschiedswort und hastete aus der Sakristei.

Die Magd kniete vor dem Altar, tat so, als würde sie ihn nicht bemerken. Lajos bekreuzigte sich, küsste die Münze - in der Hoffnung, dass die Edeldame nicht sogleich aus der Sakristei trat, und dies sah - dann eilte er hinaus. In der Gasse schüttelte er den Kopf. Was für eine seltsame Begegnung. Trotzdem fühlte er sich beschwingt. Die Strapazen der Reise schienen wie weggespült. Er sollte in die Badestube gehen, sich den Bart trimmen lassen und den Pfennig zu seiner Liebsten tragen. Die würde Augen machen, wenn er ihr von dem Gespräch erzählte.

Auf dem Weg in die Badestube trat er in die Linde, um sich bei seiner Dirn zu melden. Er hatte ihr nicht mitgeteilt, wann er zurückkehren würde. Wenn schon die Edeldamen tagelang auf ihn warteten, war es wohl nur angemessen, sich zu zeigen.

Nur wenige Gäste saßen in der Schankstube. Der Wirt stand hinter der Theke. Lajos winkte ab, als dieser ihm einen Krug mit Bier hinstellen wollte, und erklärte, dass er Hedwig sprechen wolle.

»Die ist abgehauen«, brummte der Wirt.

Abgehauen? Lajos stützte sich auf die Theke. »Hat sie mir eine Nachricht hinterlassen?«

Der Wirt musterte ihn, schüttelte dann den Kopf.

»Nein. Einer dieser Venezianer, die jetzt bei uns ein- und ausgehen dürfen, als wäre es ihre Stadt, hat ihr schöne Augen gemacht. Da schnürte sie ihre Bündel und zog mit ihm.«

Jetzt ergriff Lajos trotzdem den Bierkrug. Er konnte nicht dafür aufkommen, eine Maid zu ehelichen und eine Familie zu gründen. Aber Hedwig war sein Mädchen gewesen.

»Such dir eine andere!« Die Hand des Wirtes deutete in die Richtung, in der die Mägdekammer lag. Lajos schüttelte den Kopf. So einer war er nicht.

Hedwig war weg, er konnte es nicht fassen. Wem konnte er nun von diesem merkwürdigen Gespräch mit dieser Dame erzählen? Er nahm einen Schluck und merkte, wie der Gedanke an Hedwigs zarte Hände ihm die Kehle zuschnürte. Vielleicht hatte sie einer Schankmagd eine Nachricht hinterlassen, irgendetwas. Einfach so konnte sie doch nicht verschwunden sein.

Er drehte den Bierkrug in seiner Hand. Seine Tage in Wien würden einsam werden. Dabei würde er den ganzen Winter hindurch hierbleiben, da kaum Flöße zu dieser Jahreszeit die Donau hinuntertrieben. Er schluckte leer, fühlte die Strapazen der Reise wieder.

Ins Bad würde er trotzdem gehen und den Bart konnte er sich dabei auch stutzen lassen. Falls diese Magd nochmals auftauchte und ihn zur unbekannten Dame mit dem blauen Mantel führte, sollte er etwas appetitlicher aussehen.

2 - Wien

Zwei Monate später , Februar 1298, vor Lichtmess

Ein kalter Luftzug fuhr durch die Fensteröffnung. Agnes rückte ihren Fellmantel zurecht und blickte in den leeren Hof hi-nunter. Nach dem Willen der Mutter dürfte sie nicht mal hier im Sitzfenster verweilen, damit die ankommenden Gäste nicht die Braut begafften. Zurzeit befanden sich Familie und Gäste in der Messe drüben in der Michaelskirche. Agnes selbst hatte das gewandelte Brot früh morgens in der Hofkapelle erhalten. Ihr Vater hatte die Kapelle bauen lassen, damit die Familie bei Unruhen in der Stadt nicht die Hofburg verlassen musste. Nun diente sie Agnes‘ Gewahrsam.

Hinten in der Kemenate saßen zwei Hofdamen und stickten Habsburger Löwen auf ihr Hochzeitskleid.

Ihr Blick senkte sich auf die Pergamente auf ihrem Schoß. »Waz der mensche tuon sol, sô er gotes vermisset und sich verborgen hât«, stand da. Wie froh war sie um Eckharts Schriften. Seine lehrreichen Worte brachten sie auf andere Gedanken. Gerne hätte sie Meister Eckhart einen Brief geschrieben. Konrad von Diessenhofen beantwortete manchmal die Fragen, die ihr beim Lesen im Kopf herumschwirrten. Ab und zu beschlich Agnes das Gefühl, dass er die Abschrift schlechter kannte als sie.

Meister Eckhart schrieb, dass Gott sich dem reinen Willen nie verschloss. Wenn Gott verborgen sei, solle man ihn dort suchen, wo man ihn das letzte Mal gespürt habe. Agnes seufzte. Seit Wochen hockte sie in der Kemenate und hatte das Gefühl, die Decke falle ihr auf den Kopf. Noch mehr, wenn sie an ihre Zukunft dachte. Von Gotteserfahrung keine Spur.

In den nächsten Tagen würde König Andreas mit seinem Gefolge ankommen. Agnes drückte sich an die breite Mauer, als könne sie sich dort besser verbergen. Seit sie elf Jahre alt war, lernte sie Vulgärlatein, da sie einem römischen Conte versprochen gewesen war. Und dann plötzlich, war es Katarina gewesen, die ihr die Nachricht überbracht hatte? Die grausamen Ungaren verhandeln mit ihrer Mutter. König Andreas bitte um Agnes‘ Hand. Agnes hatte aufgelacht, weil sie die Bemerkung für einen Scherz hielt. Als Schreckgespenst war der Schlächter Andreas bis dahin durch ihre Träume gewandert. Einen Winter lang hatte er mit seinen ungarischen Horden Wien belagert und sie hatten hartes Leder gekaut, um den Hunger zu vertreiben. Andreas, der Thronräuber. Ihr Vater hätte gerne die ungarische Krone getragen. Doch die ungarischen Oligarchen setzten diesen Fremdling aus Venedig auf den Stuhl. Und der hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihnen Preßburg zu entreißen und Wien zu belagern.

Agnes saß damals am selben Fenster, hatte im Hof die gepanzerten Krieger und Pferde beobachtet, während ihr vor Hunger schwindelte. Leopold auf ihrem Schoß, der heulte, weil kein Essen da war. Manchmal konnte sie hinter den Mauern das Kriegsgeheul der Ungaren hören. So jaulen die Dämonen im Fegefeuer, hatte sie gedacht und vor Leopold ihre Tränen zurückgehalten.

»Bald müssen wir das Stroh der Dächer essen«, hatten die Hofdamen gejammert. So weit war es nicht gekommen. Doch König Andreas war der Mann, der sie einen Winter lang wegen ihres knurrenden Magens nicht schlafen und ihre Brüder vor Hunger weinen ließ. Deswegen hatte sie gebetet, dass die Verhandlungen über ihre Mitgift nie enden würden.

Einmal hatte sie diesen König von Angesicht zu Angesicht gesehen. Warum konnte sie sich nicht an sein Gesicht erinnern? Er hatte ihr Komplimente gemacht; sie beide hatten Höflichkeiten ausgetauscht. Agnes hatte kaum hochgesehen, auf seine schmalen Hände mit dem Siegelring gestarrt. Nun würde er bald mit seinem Gefolge in den Hof reiten.

Agnes legte ihre Hand auf das Pergament mit Meister Eckharts Ratschlägen, als würde sich Gott ihr so offenbaren.

Wenn ihre Eltern sich in der Geborgenheit der Kemenate neckten, erzählten sie aus der Zeit, als Mutter Elisabeth als Elfjährige mit Albrecht vermählt worden war. Agnes zählte nun siebzehn Lenze, bald achtzehn. Konnte sie sich in diesem hohen Alter einem fremden Gatten beugen?

»Agnes! Wir frieren!«, wurde sie aus den Gedanken gerissen. Agnes befestigte die Lederhaut am Rahmen und trat zu den beiden Hofdamen. Marie war die geschickteste Näherin am Hof und wohl die Einzige, die sich nie an den langen Mitgiftverhandlungen gestört hatte. Vor sieben Jahren hatte sie mit Agnes‘ erstem Hochzeitskleid begonnen, als diese noch dem Römer versprochen war. Dieses trug dann Agnes Schwester bei ihrer Hochzeit mit dem Brandenburger und Marie jubelte, dass sie nun mit purpurnen Stoffen arbeiten durfte, der Farbe der Könige.

»Purpur für deine Mutter zur Krönung und Purpur für dich«, hatte sie gesagt.

Agnes setzte sich neben Marie, spießte mit einer Nadel zwei feine, purpurne Glasperlen auf und reichte sie der Näherin, die sie geschickt am Ärmel befestigte, wo schon hunderte von Perlen ein Muster bildeten. Vor Marie kauerte Katarina von Diessenhofen, die den Stoff so spannte, dass die Näherin schneller vorwärtskam. Agnes schaute nicht in ihre Richtung. Katarina würde sie als einzige Hofdame nach Ungarn begleiten. Ihre Mutter, die Herzogin, hatte es so befohlen. Agnes wäre jede andere recht gewesen. Doch die Familien der anderen Damen hätten wohl protestiert, wenn ihre Töchter zu den blutrünstigen Magyaren geschickt worden wären. Nicht bei Katarina. Diese schien seither noch griesgrämiger.

Agnes pickte zwei weitere Perlen auf, noch weitere und spürte, wie sich die Decke zu ihr neigte und sie hier erdrücken würde.

»Deine wallenden Haare sind ganz hübsch, zeigen deine Fruchtbarkeit. Wenn du noch etwas wachsen würdest«, sagte Marie.

Agnes reagierte nicht. Sie galt als zu klein, zu dünn, war keine Schönheit.

»Seit dem Hungerwinter ist sie kaum gewachsen«, antwortete Katarina, als wäre Agnes nicht anwesend. »Und das, weil …« Sie brach ab, sprach nicht aus, dass der Hungerwinter von den belagernden Ungaren verursacht worden war.

Jemand polterte die Stiege hoch. Die Köpfe der drei Damen wandten sich dem Eingang zu, als die Tür aufgerissen wurde. Herzog Albrecht von Habsburg stand unter dem Türrahmen. Eingewickelt in einen fellenen Umhang, Schuhe und Kapuze feucht vom Schnee. Der grau melierte Bart war gestutzt, die braunen Haare im Nacken zusammengebunden. Agnes sowie die Hofdamen erhoben sich, beugten ihre Köpfe.

»Mir wurde mitgeteilt, meiner Tochter falle die Decke auf den Kopf.«

Agnes mochte den Klang seiner dunklen Stimme, auch wenn sich seine Zunge schwerer bewegte als früher.

Der Herzog gab den Hofdamen ein Zeichen. Diese packten Kleid samt Perlen in einen Korb und verließen den Raum.

»Herr Vater!« Agnes flog auf ihn zu und umarmte ihn. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ein halbseitiges Lächeln. Ein Mundwinkel verzog sich, der andere blieb an der leblosen Gesichtshälfte des Herzogs hängen, dort wo die Augenklappe sein fehlendes Auge verdeckte.

Inbrünstig hatte Agnes damals um das Leben ihres Vaters gebetet, als er wie tot im Bett lag. Vom Gift des Salzburger Bischofs gefällt, hieß es. Aus Verzweiflung hingen die Heilkundigen den Herzog an den Füssen auf, damit das Böse aus dem Leblosen herausfließe. Und da plötzlich zuckte und strampelte der Vater. Als die Quacksalber ihn herunterließen, war ein Auge erstarrt und sein Gesicht in eine bewegte und eine leblose Hälfte geteilt. Seither legte Agnes beim Anblick ihres Vaters sein früheres, lebendiges Gesicht über dessen Antlitz. Leider taten das nicht alle. Agnes wusste, dass gemunkelt wurde, ein Dämon hätte das Gesicht des Vaters geküsst.

Sie hängte sich bei ihrem Vater ein, nachdem er sich schwungvoll des Umhanges entledigt hatte. Seit er sein Auge verloren hatte, wollte sie ihn dauernd berühren, als könne sie damit all der Verachtung, die ihn traf, etwas entgegensetzen.

Zusammen traten sie in die Fensternische.

»Liest du die Schriften dieses Eckhart?«

»Er schreibt, dass es nicht die Tat sei, die uns adelt, sondern die Gesinnung.«

»Diese Dominikaner …« Wie sie strich Albrecht über die Buchstaben auf dem Pergament. Er beherrschte die Kunst des Lesens nicht. » … predigen Friede und sorgen für Ruhe im Volk. Schon dein Großvater hat sich für sie eingesetzt.«

Sie kuschelte sich neben ihn, folgte mit dem Blick seinen Fingern, und genoss, ihn für sich allein zu haben.

»Nun wirst du vor mir die Krone tragen«, sagte er. Verschämt zuckte sie die Schultern. Sein Auge richtete sich auf sie.

»König und Königin verpflichten sich vor Gott, für Friede im Reich zu sorgen, das lehrte mich dein Großvater.« Er nahm ihre Hände in die seinigen. »Er sagte, der Adel und Bischöfe kämpfen um ihre jämmerlichen Pfründe. Die Bürger wollen mehr Privilegien. Das alles bringt Kaos. Es sind Engstirnige, die sich nur um sich drehen. Könige sind verpflichtet, für Ordnung zu sorgen, Reich und Kirche zu schützen. Innen und außen. Manchmal gegen den Willen der eigenen Leute.«

Agnes nickte. Wie oft hatte sie die Worte gehört. Ihren Großvater, König Rudolf, hatte sie selten gesehen. Ihr Vater zitierte ihn gerne.

»Als Königin brauchst du ein Gefolge, dem du vertraust. Geld, Waffen, Pferde, Festungen - diese Dinge sind zweitrangig.«

Agnes hatte sich bis jetzt kaum Gedanken um Waffen und Pferde gemacht. »Hat König Andreas ein treues Gefolge?«

Albrechts Auge schaute weg, blickte in die Ferne. »Andreas ist ein Spieler, der sich erstaunlich gewandt im Sattel hält.«

Das Auge zuckte zu ihr. »Ich spreche von dir, Agnes. Du wirst Königin von Ungarn.«

Ungarn – sie hörte nur das Kriegsgeheul der Krieger, wenn sie an Ungarn dachte. Agnes spürte plötzlich die Schwere der Verantwortung auf sich. Meister Eckhart predigte, dass wahrer Gehorsam gegenüber Gott den Menschen durch alle Sorgen leite. Doch wie erkannte sie diesen Gehorsam?

»Deine Mutter stellte dir deine Gefolgsleute schon vor.«

Agnes nickte. Zwei Freiherren, dazu Magister Ulrich, um ihre Güter zu verwalten, und Katarina, alles Ministeriale aus den Vorlanden.

»Zeige Ihnen dein Vertrauen, Agnes! Deine Feinde kannst du mit Geld bestechen, Gefolgsleute nicht.«

»Wirst du mich besuchen?«

Sein Schweigen war Antwort genug. Agnes bemerkte, wie sie sich plötzlich an seinen Arm klammerte.

»Wir hören voneinander«, antwortete er, »und ich werde stolz auf dich sein.«

Getrampel von der Stiege her ließ Agnes von ihrem Vater abrücken, schnell wischte sie sich übers Gesicht. Die Tür flog auf, Leopold stürmte hinein. Als er den Vater erblickte, imitierte er den Galopp eines Pferdes und sprang in den väterlichen Schoß. Albrecht lachte auf, hob den Jungen hoch und wirbelte ihn herum. Unterdessen war auch Friedrich hereingetreten. Der Junge vermied es aus sicherer Distanz, seinem Vater ins Gesicht zu blicken. Agnes hätte dem Bruder gerne einen Stoß gegeben. Er kannte den Vater auch aus der Zeit, als er noch über das ganze Gesicht strahlen konnte.

Ihr Bruder Rudolf drängte sich an zwei Ammen vorbei und trat zu ihr .

»Messe - predigende und palavernde Pfaffen, fast beneide ich dich hier«, raunte er ihr zu. »Oder probierst du den ganzen Tag Venien aus, mit blutenden Knien ein Gebet auf den Lippen?«

Agnes gab ihm einen Stoß in die Seite. Rudolf spielte darauf an, dass sie nach ihrer Vertreibung aus Wien stundenlang kniend gebetet hatten, in der Hoffnung, der Vater würde sie zurückholen.

»Leopold wird in der Kirche schon für Unterhaltung gesorgt haben«, raunte sie zurück. Er verdrehte die Augen. Agnes lachte. Seit Rudolf im Gefolge des Vaters diente, vermisste sie ihn in der Kemenate.

Rudolf nahm ihre Hand, zog sie in die Fensternische.

»Ein gewisser Ritter lässt nachfragen, ob er dein teures Antlitz nochmals beim Morgengebet in der Kapelle erblicken dürfe.«

»Melde deinem Freund, wenn er keinen ungarischen Dolch im Rücken möchte, soll er solche Anfragen lassen«, brummte Agnes, drehte sich dem Eingang zu und neigte grüßend den Kopf, da ihre Mutter schwerfällig durch ihre Schwangerschaft eintrat. Sie hörte Rudolfs Lachen neben sich, spürte seinen Arm um ihre Taille. Die Hofdamen erzählten, dass sie und Rudolf zusammen im Bauch ihrer Mutter herangewachsen seien. Ihre Mutter hatte dazu nie ein Wort verloren. Aber in solchen Momenten wusste sie, dass es die Wahrheit war.

Lajos Augen tränten. Diese Zwiebeln! Am liebsten hätte er das Messer weggeschmissen und wäre aus der Küche gerannt. Er beherrschte sich jedoch.

Er schnitt Ring um Ring und warf diese in den Topf nebenan. Da war ganz Wien auf den Beinen, alle rieben sich die Hände, da sie den ankommenden Hochzeitsgästen ihre Waren für den zigfachen Preis andrehen konnten. Nur er hockte in der Küche und schnitt Zwiebeln, anstatt dem Onkel im Laden zu helfen. Dort stand sein stupider Vetter, dessen Mutter hatte dafür gesorgt, dass Lajos in der Küche hockte. Das ganze Haus hatte sie an die Fremden vermietet, selbst Lajos Strohsack im Gesinderaum. Er musste in der Küche schlafen.

Das Messer rutschte ab, fast hätte er sich geschnitten. Lajos fluchte. Elender Brei, den er da kochen musste, konnten die Fremden sich nicht irgendwo auf der Gasse verpflegen?

»Ist die Frau Salzhändlerin da?« Einer der eingemieteten Schwaben streckte den Kopf durch die Tür, rümpfte die Nase, wohl über den Zwiebelgeruch.

»Nein«, brummte Lajos. Die Frau Salzhändlerin war sich zu schade, in der Küche zu arbeiten, seit sie ihn zum Küchensklaven verdonnert hatte. Die Tante mochte ihn nicht, das wusste Lajos. Sie hatte Angst, dass er einem ihrer Söhne einmal ein Messer zwischen die Rippen rammen würde. So unrecht hatte sie gar nicht. Ihr Erstgeborener hatte nach dem Tod von Lajos Eltern das Haus in Ofen mit seiner Familie in Beschlag genommen. Angeblich, um Lajos den Vater zu ersetzen und ihn den Salzhandel zu lehren. In Wahrheit, um sich dort breitzumachen. Der andere Sohn war dümmer als ein Sandhaufen und im Geschäft nicht zu gebrauchen.

»Wie unpässlich. Ich soll meinem Herrn eine Nachricht überbringen. Kann mich sonst jemand zur Burg geleiten?«

»Zur Hofburg?« Lajos legte sein Messer beiseite, wischte über seine tränenden Augen. »Ich führe Euch hin.«

Der Schwabe musterte ihn, als sei Lajos so etwas nicht zuzutrauen. Dieser stand schon bei der Tür und winkte ihm. Die Hofburg war vier Straßenecken von hier entfernt, aber das wusste der Schwabe anscheinend nicht.

Lajos polterte die Treppen hinunter. Eigentlich sollte er noch seinen Umhang holen, doch dann könnte ihm der Schwabe entwischen. Unten wusch er seine Hände im kalten Brunnenwasser. Die unbekannte Dame hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Aber wenn er ihr über den Weg lief, wollte er nicht nach Zwiebeln stinken. Nun könnte er ihr einiges über den Sinneswandel der Wiener erzählen. Seit die Fernhändler die Stadt mit Getreide und Brennholz überschwemmten und alle Fremden hier mit Geld nur so um sich warfen, lobpriesen die Wiener die Heirat der Habsburgerin in den höchsten Tönen. Keiner spottete mehr, dass die Feierlichkeiten hier in Wien stattfinden würden, anstatt beim Gatten in Ungarn, weil der Brautvater die vielen Gäste hauptsächlich empfing, um mit ihnen den Frühlingsfeldzug gegen den römisch-deutschen König zu planen. Alle rieben sich die Hände über die prallen Einkünfte, die ihnen die wohlhabenden Gäste brachten. Das wusste die Unbekannte von der Hofburg wohl und brauchte seine Auskunft nicht.

»Wer ist Euer Herr?«, fragte er den Schwaben.

»Der Bischof von Konstanz.«

Ein Bischof! Wenn Lajos mehr Zeit auf der Gasse verbringen könnte, dann wüsste er auch, welche Herzöge und sonst hohen Herren in der Stadt angekommen waren.

Der Salzburger Bischof sei jedenfalls auch schon hier, nun nicht mehr spinnefeind mit dem Habsburger, sondern voll des Lobes. So schnell konnte es gehen, wenn das Töchterchen plötzlich eine Königin wurde.

»Dort vorne,« Lajos zeigte auf die Palisaden und den Turm, den man schon erkennen konnte. Der Bote lief schneller, Lajos folgte ihm. »Haltet Euch am Ende der Gasse rechts, links um den Turm befindet sich das Tor zum Hof.«

Sie wichen einer Gruppe junger Gecken mit dem Brandenburger Wappen aus. Und waren die Reiter mit dem langen Schnauzhaar und den spitzen Helmen etwa Ungarn?

Der Platz zwischen Michaelskirche und der Burg war voller Reiter, fliegender Händler und herumeilender Mägde. Lajos half dem Boten, sich einen Weg zwischen den Pferden und Karren zu bahnen, schritt mit ihm über die Zugbrücke. Vor dem Tor wechselte der Bote einige Worte mit der Wache und wurde durchgelassen. Lajos folgte ihm und staunte, dass ihn niemand zurückhielt. Noch nie war er in der Hofburg gewesen.

Im Hof wimmelte es von Boten, Knechten und Pferden. Der Schwabe fragte sich durch, während Lajos stehen blieb und um sich blickte. An jeder der vier Ecken ragte ein Turm in die Höhe. Der Westturm war der gewaltigste. Dort drin hauste die Herzogsfamilie. Die Kapelle schmiegte sich an den Südturm. Lajos sprang zur Seite, als eine Schar schnatternder Gänse an ihm vorbeigetrieben wurde. Wie hatte er jemals annehmen können, dass er hier der Unbekannten über den Weg laufen würde.

»Tränke sie erst, nachdem du sie trockengerieben hast!«, bellte ihn eine Stimme an. Als er sich umdrehte, wurden ihm von einem Herrn in reich bestickter Reitkleidung die Zügel in die Hand gedrückt. Der hielt ihn wohl für einen Stallknecht. Lajos wollte den Irrtum bereinigen. Doch der Edelmann hatte sich schon umgedreht. Der Rappe legte die Ohren nach hinten, bleckte die Zähne. Lajos packte die Zügel etwas fester. Das Pferd verdrehte die Augen, dass er das Weiße darin sah, und versuchte zu steigen. Lajos stemmte sich gegen das Pferd, ihm brach der Schweiß aus. Er war den Umgang mit alten Mähren gewohnt, auf denen er von Ofen nach Wien zottelte, aber nicht den mit Jagdrössern.

Hastig blickte er sich um, entdeckte an der Ostwand die Ställe. Jemand lachte neben ihm. Junge Herren mit gelockten Haaren in pelzverbrämten Brokat-Tuniken drängten an ihm vorbei.

Lajos zerrte das Pferd Richtung Ställe. Der Rappe wieherte, Schaum spritzte von seinem Maul. »Komm mein Junge«, bettelte Lajos, »im Stall bekommst du feinen Hafer.« Das Pferd warf den Kopf in die Höhe und schlug aus.

Was tat er eigentlich hier? Er konnte diese Bestie auch loslassen und das Weite suchen. Stattdessen packte Lajos die Zügel noch fester.

»Jetzt komm!«, befahl er. Doch dieser Satan stemmte alle vier Hufe in den Boden.

»Ist das nicht Rosamunde?« Einer der jungen Herren musterte das Pferd. Ein hübscher Junge mit braunem schulterlangem Haar. »Führ die Zügel ganz locker, sie hat ein empfindliches Maul.«

Lajos getraute sich nicht, die Zügel freizugeben. Das Ungetüm würde sich noch losreißen und die Menschen niedertrampeln.

»Gib sie mir!« Der Jüngling schlang das Zügelende um seine Hand. »Sie kann unfreundlich tun. Der Onkel sollte sie selbst in den Stall bringen.«

Lajos ließ los und das Pferd trottete getreu dem Edlen hinterher, rieb seine Nüstern an dessen Schulter und hinterließ eine Schaumspur.

Himmel! Er war genug angeeckt. Lajos versuchte, möglichst unbemerkt um ein Ochsengespann zu zirkeln, wich zwei balgenden Hunden aus und eilte Richtung Ausgang. Eine Magd stellte sich in seinen Weg.

»Wir haben noch Pflaumen in der Küche«, sagte sie.

Pflaumen - im Winter? Lajos schüttelte den Kopf. »Bin der Falsche«, murmelte er und schlug um das Weibsbild einen Haken. Doch sie packte ihn am Ärmel.

»Ich denke nicht, dass Ihr abhauen dürft«, sagte sie spitz. Da erkannte er sie und wurde rot.

Er folgte ihr wortlos. Anstatt des feinen flandrischen Tuches trug sie einen dicken wollenen Umhang und Lajos wurde sich plötzlich bewusst, dass er keinen Surcot, nur das Unterhemd über seinen Beinlingen trug. Durch einen tieferliegenden Eingang stieg sie in eine Gesindeküche, durchquerte diese, führte ihn durch einen engen Gang und eilte eine Stiege hoch. Die Kammer, in die sie ihn brachte, war eng, aber mit Holz getäfelt und angenehm warm. Sie bedeutete ihm, sich zu setzen und verschwand. Lajos brach der Schweiß aus. Seit der letzten Begegnung mit der Dame hatte er sich oft ein nächstes Treffen vorgestellt. Aber nun, er schnupperte an seinen Händen, die unverkennbar nach Zwiebeln rochen.

Als sich die Tür öffnete, sprang er hoch und beugte sein Knie. Stoff raschelte, jemand schmunzelte.

»Ihr könnt stehen bleiben, Ludwig«, hörte er ihre wohlklingende Stimme. »Ich bin keine Herzogin.«

Sie hatte sich auf die Wandbank gesetzt, zeigte mit der Hand auf einen Schemel. Lajos schoss das Blut in den Kopf. Die Magd hatte ihn also auf den Arm genommen, als sie ihm riet, das Knie zu beugen. Er setzte sich, nickte der Dame zu.

»Ihr habt mir etwas zu berichten?«

Er wollte widersprechen, begriff dann aber: Er tauchte hier im Hof auf. Sie musste sein Erscheinen so gedeutet haben. Lajos schluckte leer, strich mit seinen schweißnassen Händen über seine Beinlinge. Täglich hatte er taggeträumt, wie er mit der Dame parlierte und nun fehlten ihm die Worte.

Die Edelfrau blickte zur verhängten Fensternische. Dann strich sie sanft über die Brustnadel, die das Übergewand unter der Brust enger raffte. Die Bewegung lenkte ihn ab, ließ ihn wünschen, die Nadel zu sein.

»Wann kehrt Ihr nach Ofen zurück?«, fragte sie und ihre Stimme klang so sanft, als wolle sie einen wild gewordenen Eber beruhigen.

»Mit der Braut«, antwortete er. »Ich meine …«, besserte er nach, »wir folgen dem Brautzug nach Ungarn.«

Keiner der Händler hier würde es sich nehmen lassen, im Fahrwasser eines so sicheren Geleites in den Osten zu reisen.

Die Dame schien überrascht, nickte dann und nahm zu seiner Erleichterung die Hand von der Nadel.

»Erzählt mir von Ofen«, forderte sie Lajos auf. Er atmete auf. Im Grunde genommen stellte sie ganz einfache Fragen. Es war nur so, dass er selbst beim Tagträumen Zeit brauchte, um die richtigen Worte zu finden. Worte für Damen.