Ein gewisses Lächeln - Françoise Sagan - E-Book

Ein gewisses Lächeln E-Book

Françoise Sagan

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Beschreibung

»Und wenn schon. Ich war eine Frau, die einen Mann geliebt hatte. Eine simple Geschichte und kein Grund, sich aufzuspielen.« Dominique studiert ohne rechte Überzeugung und ist wenig enthusiastisch mit ihrem Kommilitonen Bertrand liiert. Das Studentenleben fließt träge und ziellos dahin, bis Dominique Bertrands charmanten, weltläufigen Onkel Luc kennenlernt. Der ist zwar glücklich verheiratet, aber einem Abenteuer nicht abgeneigt, und nach einigem Zögern verbringt Dominique zwei sommerlich heiße Liebeswochen mit ihm an der Riviera, einem Urlaub, von dem Bertrand nichts weiß. Als sie bemerkt, dass sie sich wirklich verliebt hat, ist es bereits zu spät. Ein schöner, junger, zeitloser Liebeskummerroman mit der sinnlichen Melancholie des französischen Existentialismus.

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Aus dem Französischen von Helga Treichl

Die französische Originalausgabe erschien 1955 unter dem Titel Un certain sourire bei Éditions Julliard in Paris, die deutsche Erstausgabe 1958 im Ullstein Verlag in Berlin.

E-Book-Ausgabe 2017

© 1955 Éditions Julliard, Paris

© 2011, 2017 für die deutsche Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

Umschlaggestaltung Julie August. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.

Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN: 978 3 8031 4222 1

Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 2775 4

http://www.wagenbach.de/

Für Florence Malraux

Die Liebe ist das, was zwischen zwei

Menschen geschieht, die sich lieben.

Roger Vailland

ERSTER TEIL

Erstes Kapitel

Wir hatten den Nachmittag in einem Café in der Rue Saint-Jacques verbracht, einen Frühlingsnachmittag wie jeden anderen. Ich langweilte mich ein wenig, nicht übermäßig; ich ging zwischen dem Plattenspieler und dem Fenster hin und her, während Bertrand die Vorlesung von Spire diskutierte. Ich erinnere mich, daß ich einen Augenblick lang am Musikautomaten lehnte und zusah, wie sich die Platte langsam hob, um sich dann schräg und fast zärtlich, wie eine Wange, gegen den Saphir zu legen. Und – ich weiß nicht warum – ein heftiges Gefühl von Glück hatte mich durchdrungen; ein physisches, überwältigendes Bewußtsein, daß ich eines Tages sterben würde, daß meine Hand nicht mehr auf dieser Chromleiste und die Sonne nicht mehr in meinen Augen sein würde.

Ich hatte mich zu Bertrand umgedreht. Er blickte mich an, und als er mein Lächeln sah, stand er auf. Ohne ihn durfte ich kein Glück kennen. Die Augenblicke, in denen ich glücklich war, sollten Marksteine in unserem gemeinsamen Leben sein. Ich hatte das schon immer undeutlich geahnt, aber an jenem Tag konnte ich es nicht ertragen und wandte mich ab. Das Klavier hatte die Melodie »Lone and sweet« angedeutet – eine Klarinette löste es ab, ich kannte jeden einzelnen Ton.

Ich hatte Bertrand bei den Examen im vergangenen Jahr kennengelernt. Wir waren, bevor ich über den Sommer zu meinen Eltern fuhr, eine bange Woche Seite an Seite gesessen. Am letzten Abend hatte er mich geküßt. Dann schrieb er mir. Erst etwas zerstreut. Später änderte sich der Ton allmählich. Ich folgte diesen Steigerungen nicht ohne eine gewisse Erregung, und so konnte ich, als er mir schrieb: »Ich finde diese Erklärung lächerlich, aber ich glaube, daß ich dich liebe«, in demselben Ton und ohne zu lügen, antworten: »Diese Erklärung ist lächerlich, aber ich liebe dich auch.« Eine Antwort, die sich ganz natürlich oder vielmehr phonetisch ergeben hatte. Die Besitzung meiner Eltern am Ufer der Yonne bot wenig Abwechslung. Ich stieg zum Fluß hinab, ich betrachtete einen Augenblick lang das Gewirr wogender gelber Algen an der Wasseroberfläche, dann ließ ich Steine springen, kleine glatte, abgeschliffene Steine, die schwarz und flink, wie Schwalben, über das Wasser flogen. Den ganzen Sommer über sagte ich mir seinen Namen vor: »Bertrand«, wie etwas Kommendes. In gewisser Hinsicht sah es mir recht ähnlich, das Zusammenklingen einer Leidenschaft brieflich abzustimmen.

Jetzt stand Bertrand hinter mir. Er reichte mir mein Glas; als ich mich umwandte, war ich ganz nah bei ihm. Er schien immer etwas gekränkt, daß ich an seinen Diskussionen keinen Anteil nahm. Zwar las ich nicht ungern, aber es langweilte mich, über Literatur zu reden.

Daran gewöhnte er sich nicht.

»Du legst immer die gleiche Platte auf«, sagte er. »Übrigens hab’ ich sie gern.«

Diesen letzten Satz sagte er mit betont unbeteiligter Stimme, und ich entsann mich, daß wir die Platte zum erstenmal zusammen gehört hatten. Immer wieder entdeckte ich an ihm kleine sentimentale Anwandlungen, Marksteine in unserer Beziehung, die ich vergessen hatte. ›Er bedeutet mir nichts‹, dachte ich plötzlich, ›er langweilt mich, mir ist alles gleichgültig, ich bin nichts, nichts, ein vollkommenes Nichts!‹ Und wieder griff mir dieses absurde Gefühl von Überschwang an die Kehle …

»Ich muß meinen ›weitgereisten Onkel‹ treffen«, sagte Bertrand. »Kommst du mit?«

Er ging voraus, und ich folgte ihm. Ich kannte seinen »weitgereisten Onkel« nicht, und ich hatte keine Lust, ihn kennenzulernen. Aber da war etwas in mir, das mich dazu bestimmte, dem gutrasierten Nacken eines jungen Mannes zu folgen, mich immer irgendwohin mitnehmen zu lassen, ohne Widerstand, aber mit jenen kleinen Nebengedanken, die eiskalt und glatt wie Fische waren. Und mit einer gewissen Zärtlichkeit. Ich ging neben Bertrand den Boulevard hinunter; unsere Schritte paßten sich einander an wie unsere Körper in der Nacht. Er hielt meine Hand; wir waren schlank, gefällig, wie Bilder.

Den ganzen Boulevard entlang und auf der Plattform des Autobusses, der uns zu dem weitgereisten Onkel führte, hatte ich Bertrand wirklich gern. Die Stöße des Wagens warfen mich gegen ihn, er lachte und legte schützend einen Arm um mich. Ich blieb an seine Jacke gelehnt, an die Rundung seiner Schulter – dieser männlichen Schulter, die so bequem für meinen Kopf war. Ich atmete seinen Duft, ich erkannte ihn wieder, und er rührte mich. Bertrand war mein erster Liebhaber. An ihm hatte ich den Duft meines eigenen Körpers kennengelernt. Man entdeckt den eigenen Körper, seine Länge, seinen Geruch, immer an den Körpern der anderen – erst mit Mißtrauen, dann mit Dankbarkeit.

Bertrand erzählte mir von seinem weitgereisten Onkel, den er nicht sehr zu lieben schien. Er schilderte mir die Komödie seines Reisens. Denn Bertrand verbrachte seine Zeit damit, nach den Komödien im Leben der anderen zu suchen. Das ging so weit, daß er immer ein wenig in der Angst lebte, sich – ohne es zu wissen – selber eine Komödie vorzuspielen. Ich fand das komisch. Und das machte ihn wütend.

Der weitgereiste Onkel erwartete Bertrand auf der Terrasse eines Cafés. Als ich ihn erblickte, sagte ich zu Bertrand, daß ich fände, er sähe gar nicht übel aus. Schon waren wir bei ihm angelangt, er stand auf.

»Luc«, sagte Bertrand, »ich bin mit einer Freundin, Dominique, gekommen. Das ist mein Onkel Luc, der Weitgereiste.«

Ich war angenehm überrascht. Ich sagte mir: »Ganz passabel, dieser weitgereiste Onkel!« Er hatte graue Augen und sah müde aus, fast traurig. Auf eine gewisse Weise war er schön.

»Wie war die letzte Reise?« fragte Bertrand.

»Sehr schlecht. Ich habe eine unerträgliche Erbschaftsangelegenheit in Boston geregelt. In jedem Winkel saß ein kleiner verstaubter Jurist. Sehr langweilig. Und du?«

»Unser Examen ist in zwei Monaten«, sagte Bertrand.

Er hatte besonderes Gewicht auf das Wort »unser« gelegt. Hier äußerte sich die eheliche Seite der Sorbonne. Man sprach vom Examen wie von einem Säugling.

Der Onkel wandte sich an mich:

»Sie stehen auch vor einem Examen?«

»Ja«, sagte ich vage. (Meine Tätigkeiten, so geringfügig sie auch waren, beschämten mich immer ein wenig.)

»Ich habe keine Zigaretten mehr«, sagte Bertrand.

Er stand auf, und ich folgte ihm mit den Augen. Er ging schnell und geschmeidig. Manchmal dachte ich, daß dieses Gebilde aus Muskeln, Reflexen und mattgetönter Haut mir gehöre, und das schien mir ein erstaunliches Geschenk.

»Was machen Sie, abgesehen von den Examen?« fragte der Onkel.

»Nichts«, sagte ich. »Zumindest nichts Besonderes.«

Ich hob die Hand in einer Geste der Mutlosigkeit. Er fing sie in der Luft auf. Ich blickte ihn an, grenzenlos erstaunt. Eine Sekunde lang fuhr es mir durch den Kopf: ›Er gefällt mir. Er ist ein bißchen alt, und er gefällt mir.‹ Aber er legte meine Hand lächelnd auf den Tisch zurück.

»Ihre Finger sind voller Tinte. Das ist ein gutes Zeichen. Sie werden Ihr Examen bestehen und einen ausgezeichneten Rechtsanwalt abgeben, obwohl Sie keinen sehr redseligen Eindruck machen.«

Ich lachte mit ihm. Er mußte mein Freund werden.

Aber Bertrand kam schon zurück; Luc redete mit ihm. Ich hörte nicht, was sie sagten. Luc hatte eine langsame Stimme und große Hände. Ich sagte mir: »Das ist der Idealtyp eines Verführers von kleinen Mädchen meiner Sorte.« Und schon war ich auf der Hut. Nicht genug, um nicht ein kleines Gefühl von Unbehagen zu haben, als er uns für den übernächsten Tag zum Mittagessen einlud, aber mit seiner Frau.

Zweites Kapitel

Vor dem Mittagessen bei Luc verbrachte ich zwei recht langweilige Tage. Was hatte ich im Grunde auch zu tun? Ein wenig für ein Examen arbeiten, das mich nicht sehr weit bringen würde, in der Sonne herumliegen, mich von Bertrand – ohne allzuviel Gegenliebe – lieben lassen. Übrigens hatte ich ihn gern. Vertrauen, Zärtlichkeit, Achtung waren meiner Meinung nach nicht zu verschmähen, und ich dachte wenig an Leidenschaft. Dieser Mangel an wirklichen Gefühlen erschien mir als die normalste Lebensform. Leben hieß im Grunde nichts anderes, als sich so einzurichten, daß man möglichst zufrieden war. Und schon das war gar nicht so einfach.

Ich wohnte in einer Art Familienpension, die ausschließlich von Studentinnen bevölkert war. Die Leiterin war großzügig, und ich konnte ohne besondere Schwierigkeiten um ein oder zwei Uhr morgens nach Hause kommen. Mein Zimmer war groß, niedrig und vollkommen kahl, denn meine anfänglichen Pläne einer Innenarchitektur waren schnell in sich zusammengebrochen. Ich verlangte wenig von einer Einrichtung, kaum mehr, als daß sie mich nicht störte. Das Haus hatte einen Geruch von Provinz, den ich gern hatte. Mein Fenster ging auf einen Hof, den eine niedere Mauer abschloß. Darüber kauerten die immer ausgefransten, mißhandelten Himmel von Paris, die nur manchmal, über einer Straße oder einem Balkon, sanft und ergreifend in weitfliehende Perspektiven entwichen.

Ich stand morgens auf, ich ging in die Vorlesung, ich traf Bertrand, wir gingen mittagessen. Da war die Bibliothek der Sorbonne, da waren Kinos, die Arbeit, die Terrassen der Cafés, Freunde. Am Abend gingen wir tanzen oder in Bertrands Wohnung, wir legten uns auf sein Bett, wir liebten uns, und nachher sprachen wir noch lange miteinander, im Dunkeln. Es ging mir gut, und immer war in mir, wie ein warmes lebendiges Tier, dieser Geschmack von Langeweile, von Einsamkeit und manchmal von Überschwang. Ich sagte mir, daß ich wahrscheinlich leberkrank sei.

An jenem Freitag, bevor ich mich zum Mittagessen zu Luc begab, besuchte ich Catherine und blieb eine halbe Stunde bei ihr. Catherine war lebhaft, herrschsüchtig und ununterbrochen verliebt. Ich ertrug ihre Freundschaft mehr, als daß ich sie suchte. Aber sie sah in mir ein zerbrechliches, wehrloses Wesen, und das machte mir Spaß. Oft fand ich sie sogar wunderbar. Meine Gleichgültigkeit wurde in ihren Augen zu einer poetischen Eigenschaft, wie sie es lange Zeit in Bertrands Augen gewesen war, bevor plötzlich und fordernd der Wunsch zu besitzen in ihm erwacht war.

An jenem Tag war sie gerade in einen Cousin verliebt; sie gab mir eine lange Beschreibung dieser Idylle. Ich erzählte ihr, daß ich bei Verwandten von Bertrand mittagessen werde, und stellte dabei fest, daß ich Luc fast vergessen hatte. Ich bedauerte das. Warum hatte ich Catherine nicht auch eine jener endlosen und naiven Liebesgeschichten zu erzählen? Sie schien sich darüber nicht zu wundern. So sehr waren wir schon in unseren wechselseitigen Rollen erstarrt. Sie erzählte, ich hörte zu, sie gab Ratschläge, ich hörte nicht mehr zu.

Dieser Besuch verdroß mich. Ich begab mich ohne große Begeisterung zu Luc, sogar mit einer gewissen Scheu. Man würde reden müssen, liebenswürdig sein, den Eindruck erwecken, daß man sich amüsiere. Ich hätte gern allein zu Mittag gegessen, ein Senfglas in meinen Händen gedreht und wäre gern vage gewesen, vollkommen vage …

Als ich zu Luc kam, war Bertrand schon da. Er stellte mich der Frau seines Onkels vor. In ihrem Gesicht war etwas Strahlendes, etwas sehr Gutes und sehr Schönes. Sie war groß, ein wenig schwer, blond. Mit einem Wort, schön, aber nicht herausfordernd schön. Das ist der Typ Frau, dachte ich, den viele Männer gern besitzen und behalten möchten, eine Frau, die sie glücklich machen würde, eine sanfte Frau. War ich sanft? Ich mußte Bertrand danach fragen. Gewiß: Ich hielt seine Hand, ich schrie nicht, ich streichelte seine Haare. Aber ich haßte es, zu schreien, und meine Hände liebten seine Haare, die warm und trocken waren wie die eines Tieres.

Françoise war sofort überaus liebenswürdig. Sie zeigte mir die luxuriöse Wohnung, gab mir etwas zu trinken, setzte mich in einen Fauteuil. Sie war ungezwungen und aufmerksam. Die Verlegenheit, in die mich mein Rock und mein etwas schäbiger und aus der Form geratener Pullover gebracht hatten, verflog. Man wartete auf Luc, der noch arbeitete. Wahrscheinlich sollte ich ein wenig Interesse für Lucs Beruf vortäuschen, dachte ich; gewöhnlich vergaß ich das. Ich hätte die Leute gern gefragt: »Sind Sie verliebt? Was lesen Sie?«, aber ich machte mir keine Gedanken über ihren Beruf, der in ihren Augen oft an erster Stelle stand.

»Sie sehen bekümmert aus«, sagte Françoise lachend. »Wollen Sie noch etwas Whisky?«

»Sehr gern.«

»Dominique hat schon den Ruf einer Säuferin«, sagte Bertrand. »Weißt du, warum?«

Er sprang auf und trat mit wichtiger Miene zu mir.

»Sie hat eine etwas kurze Oberlippe; wenn sie trinkt und dabei die Augen schließt, gibt ihr das einen Ausdruck von Inbrunst, der gar nichts mit dem Scotch zu tun hat.«

Während er sprach, hatte er meine Oberlippe zwischen Daumen und Zeigefinger genommen. Er führte mich Françoise vor wie einen jungen Jagdhund. Ich begann zu lachen, und er ließ mich los. Luc kam herein.

Als ich ihn sah, sagte ich mir wieder, aber diesmal mit einer Art Schmerz, daß er sehr schön sei. Es tat mir wirklich ein wenig weh, wie alles, was ich mir nicht nehmen konnte. Ich hatte selten Lust auf irgend etwas, aber diesmal dachte ich sehr rasch: »Ich möchte dieses Gesicht in meine Hände nehmen, ich möchte es fest mit den Fingern umschließen und diesen vollen, etwas breiten Mund an meinen drücken.« Und doch war Luc nicht schön. Ich sollte es in der Folge noch oft zu hören bekommen. Aber da war etwas in seinen Zügen, das mir dieses Gesicht, nachdem ich es zweimal gesehen hatte, tausendmal weniger fremd machte als das von Bertrand, tausendmal weniger fremd, tausendmal begehrenswerter als das von Bertrand, das mir doch gefiel.

Er kam herein, sagte uns guten Tag und setzte sich. Er konnte erstaunlich bewegungslos wirken. Ich will sagen, daß in der Langsamkeit seiner Gebärden, in der Gelöstheit seines Körpers doch etwas Gespanntes, Verhaltenes war, das beunruhigte. Er blickte zärtlich auf Françoise. Ich sah ihn an. Ich erinnere mich nicht mehr, was wir redeten. Meistens sprachen Françoise und Bertrand. Übrigens überkommt mich ein leichtes Schaudern, wenn ich wieder an dieses Vorspiel denke. Zu jenem Zeitpunkt hätte ein wenig Vorsicht, ein wenig Abstand genügt, um ihm zu entkommen. Dagegen sehne ich mich danach, an das erste Mal zu denken, da ich durch ihn glücklich war. Allein der Gedanke, diese ersten Augenblicke zu beschreiben und für Sekunden die Trägheit der Worte zu überwinden, erfüllt mich mit einem bitteren, ungeduldigen Glück.

Da war also dieses Mittagessen mit Luc und Françoise. Dann, auf der Straße, paßte ich mich sofort Lucs schnellem Schritt an und vergaß jenen Bertrands. Er nahm meinen Ellenbogen, um mit mir die Straße zu überqueren; und ich erinnere mich, daß mich das verlegen machte. Ich wußte nicht, was ich mit meinem Unterarm anfangen sollte, noch mit der Hand, die hilflos daran hing, als ob mein Arm von der Stelle an, auf der Lucs Hand lag, abgestorben sei. Ich konnte mich nicht mehr besinnen, wie das war, wenn ich mit Bertrand ging. Später nahmen Luc und Françoise uns zu einem Schneider mit und kauften mir einen Mantel aus fuchsrotem Stoff, und es gelang mir in meiner Verblüffung weder ihn abzulehnen noch mich dafür zu bedanken. Schon war etwas da, das sehr schnell ging, das sich überstürzte, kaum daß Luc in der Nähe war. Hernach setzte die Zeit wie mit einem Schlag wieder ein; es gab wieder Minuten, Stunden, Zigaretten.

Bertrand war wütend, daß ich den Mantel angenommen hatte. Nachdem wir uns von den anderen getrennt hatten, machte er mir eine heftige Szene:

»Es ist einfach unglaublich! Jeder beliebige könnte dir irgend etwas anbieten, und du würdest es nicht ablehnen! Du wärest nicht einmal erstaunt darüber!«

»Das war nicht ein beliebiger. Das war dein Onkel«, sagte ich heuchlerisch. »Und jedenfalls hätte ich diesen Mantel nicht selber bezahlen können; er ist fürchterlich teuer.«

»Ich finde, du hättest darauf verzichten können.«

Seit zwei Stunden hatte ich mich an diesen Mantel gewöhnt, der mir wunderbar stand, und dieser letzte Satz schockierte mich ein wenig. Es gab eine Art von Logik, die Bertrand völlig entging. Ich sagte ihm das, und wir zankten uns. Schließlich nahm er mich ohne Abendessen zu sich nach Hause, wie zur Strafe. Eine Strafe, die für ihn, das wußte ich, der intensivste, der einzig gültige Augenblick seines Tages war. Er lag neben mir und küßte mich mit einer Art von bebender Achtung, die mich rührte und mir Angst machte. Ich hatte die ungezwungene Fröhlichkeit des Anfangs, das Junge, Animalische unserer Umarmungen lieber gehabt. Aber als er auf mir lag und mich voll Ungeduld suchte, vergaß ich alles, und nur er war da und unser leises Murmeln. Er war es wieder, Bertrand, und jenes quälende Verlangen und jene Lust. Noch heute, und besonders heute, erscheint mir dieses Glück, dieses Sichvergessen der Körper als ein unglaubliches Geschenk. Welche Ironie, wenn ich an meine Überlegungen denke, an meine Gefühle und an das, was ich trotz allem nicht anders nennen kann als das Wesentliche.

Drittes Kapitel