Ein gutes Buch Eine Heldengeschichte - Jörg Schoppe - E-Book

Ein gutes Buch Eine Heldengeschichte E-Book

Jörg Schoppe

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Beschreibung

Das Buch erzählt die Geschichte von sechs Geschwistern, die in einer fiktiven frühmittelalterlichen Welt vor einer unbekannten Bedrohung fliehen, dabei getrennt werden und auf unterschiedlichen Wegen in die Hauptstadt fliehen. Auf ihrer Odyssee überstehen sie zahlreiche Gefahren, lösen das Rätsel um die seltsamen Reiter, die überall auftauchen und tragen am Ende sogar zur Überwindung der Bedrohung bei.

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Seitenzahl: 422

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Der Weg

Wie alles begann

Erich

In der Scheune

Rettung im letzten Moment

Das Versteck

Ein Alptraum

Verzweifelte Suche

Im Moor

Bluts“brüder“

Aufbruch nach Weidenstein

Prinzessin Elvira

Die Ausbildung

Die Heilerin

Kapitel 2 Weidenstein

Milchbart

Zu einem hohen Preis

In der Unterstadt

Die Unterstadt brennt

Weidenstein

Erich; abwarten, beobachten, ausweichen

Erich und Halbhands großes Abenteuer

Im Land der Tar

Die Belagerung

Die Kultstätte

Das Ritual

Entsatz

Drei Helden in Not

Ungebetene Gäste

Abgründe

Ein schrecklicher Verlust und ein Hoffnungsschimmer

Kapitel 3 Ein Ende, ein Anfang

Die Entscheidung

Monolog

Ereignisse

Verhandlungen und eine lange Geschichte

Die Schlacht fällt aus

Die Siegesfeier

Viel Bier in Pier

Derweil in Weidenstein fünf Tage zurück

Handelnde Personen

Weiteres

Bonus

Über Weidenstein und drumherum

Kapitel 1 Der Weg

Wie alles begann

Erich

Es war kalt und nass, vor allem nass. Der Regen hielt nun schon seit Wochen an. Mal heftig, mal mit Sturm, mal beständiger Nieselregen. Recht lästig, wenn man draußen zu tun hat! Aber das Herbstlaub auf dem Boden hatte einen angenehmen Geruch. Die letzten Duftstoffe abgebend, leicht modrig, etwas süßlich, erdig. Die Nadeln unter den Fichten gaben eine leicht harzige Note dazu. Ein wunderschöner Ausgleich der Erdgöttin für das miese Wetter. Nie riecht der Wald waldiger! Die Felder und Wiesen dampften und waren in einen dichten Nebel gehüllt, der einen manchmal die Orientierung verlieren ließ. Die Tage waren kurz, die Nächte lang, und auch tagsüber versteckte sich die Sonne hinter dichten Wolken und schien nur diffus durch den Nebel. Der Winter kündigte sich an.

Erich war tief in Gedanken versunken, während er auf dem Weg zum elterlichen Hof war, sein Hund stets neben ihm. Ein schönes Tier! Von freundlichem Wesen, intelligent und treu, ca. 70 Zentimeter Schulterhöhe, schwarz mit kurzem, aber wärmendem Fell. Ein begeisterter Schwimmer auch bei Frost. Das war auch einer der Gründe, warum Vater ihn angeschafft hatte, er nahm ihn mit zur Entenjagd, um die Enten, die er traf und ins Wasser fielen, zu apportieren. Eine andere seiner Aufgaben war es, den Hof zu bewachen und da sollte man sich über sein freundliches Wesen nicht täuschen, Alarm schlug er immer und wenn jemand aus der Familie bedroht wurde, konnte er auch richtig zornig werden. Meistens war er aber ein toller Familienhund und Begleiter.

Erich hatte Weidezäune repariert. Die Arbeit war erledigt und er tropfnass. Am Hof angekommen öffnete er die Tür, sie knarrte leicht und Erich nahm sich vor, sie am nächsten Tag zu fetten. Normales Wetter für diese Jahreszeit, dachte er sich. Er hatte es sich in der Zwischenzeit gemütlich gemacht und trank genüsslich am kräftigen, dampfenden, mit etwas starkem Beerenwein angereicherten und Honig gesüßten Kräutertee. Er mochte die Gerüche und die Stimmung des Herbsts und war mit sich und der Welt zufrieden. Die Ernte war gut, die Lager voll und das Vieh gesund. Auch Brennholz stapelte sich bis unters Dach des Schuppens. Was sollte noch passieren?

Nun saß er da, in eine Decke gehüllt, seine Klamotten trockneten vor dem Kamin, in dem das Holz beruhigend vor sich hin knackte, seine Socken dampften schon, und griff sich sein Buch. „Die Abenteuer von Edward von Tannen“. Er liebte das Buch über den Ritter und Helden von Weidenstein. Mitreißend und spannend geschrieben, teilweise etwas zu viel ausgeschmückt, aber doch so, als wäre man direkt dabei. Während er also so dasaß, der nasse Hund auf seinen Füßen, der die Decke gleichsam durchfeuchtete und seine Füße wärmte, die Katze am Kamin döste und die Wärme genoss, die angenehmen Gerüche seines Tees und des brennenden Baktanienholzes gleichermaßen in seine Nase strömten und er sein Buch auf Seite 238 aufschlug, dachte er sich: „Ein gutes Buch, ein heißes Getränk und das Knistern des Holzofens, der wohlige Wärme verströmt, was gibt es Besseres bei diesem Wetter?“

Erich klappte das Buch zu, er hatte gerade drei Seiten gelesen. Als Bauernsohn musste er früh mitarbeiten, daher hatte er nie eine Schule besucht und seine Mutter brachte ihm das Lesen bei. So las er die Wörter noch Buchstabe für Buchstabe. Wurde dank der spannenden Lektüre aber langsam besser.

Er hing seinen Gedanken nach. Halb noch in den Abenteuern des von Tannen, halb schon in Vorfreude auf das warme Bett und dachte sich: „Nun bin ich fast erwachsen, schon bald sechzehn und wehrfähig, ich sollte mir langsam eine Frau suchen. Als ältester Sohn werde ich den Hof eines Tages übernehmen und habe eine Verantwortung. Also sollte ich die Wahl gut treffen!“

Während er noch so in Gedanken versunken dasaß, ertönte ein markerschütternder Schrei. Ein Schrei von Schmerz und Todesangst. Durch den Nebel noch verzerrt und schwer zu lokalisieren. Erich war hellwach, er zog sich seine halbtrockenen, aber warmen Sachen hastig an. Schnallte sich sein Kurzschwert um, eine einseitig geschliffene ca. 30 Zentimeter lange Klinge, die die Weidensteiner immer bei sich trugen und die vielseitig eingesetzt wurde, vom Brot aufschneiden über Fleisch zerteilen bis Holz bearbeiten oder Reet ernten, aber auch zum Nahkampf. Dabei dachte er sich:

„Die Wölfe haben wieder eins von unserem Vieh gerissen, schon das zweite in diesem Jahr, verdammte Viecher! Nur irgendwie klang der Schrei diesmal anders, schauriger, markerschütternd!“

Erich schob das auf den Nebel und griff sich seinen Speer, eine einfache, doch effektive Waffe. Ein ca. 2 Meter langer Holzstab aus Eiseneiche mit einer scharfen Eisenspitze, der sowohl geworfen wie auch zum Stechen verwendet werden konnte. Die Standardwaffe in Weidenstein. So konnte man wilde Tiere und Räuber auf Distanz halten. Den Schild ließ er hängen, da er ihm im Laufen hinderlich war. Erich hatte es eilig. Er hoffte, das Vieh noch retten zu können.

Seine Eltern waren mit dem Pferdekarren nach Weidenstein, der Hauptstadt des gleichnamigen Fürstentums unterwegs, um auf dem großen Markt des Fürstensitzes einen Teil der Ernte zu verkaufen und Einkäufe zu tätigen. Sie wollten dort einige Tage bei Verwandten übernachten, bis alles erledigt war. Die jüngeren Geschwister spielten in der Scheune gegenüber dem Wohnhaus und waren zur Wolfsjagd noch zu jung. So zog er allein los, verriegelte die Tür hinter sich und eilte in Richtung Weide.

Erich rannte schnell durch den dichten gespenstischen Nebel. Er konnte kaum die Spitze seines Speeres sehen, hörte aber den Hund vor sich leise hecheln. Den hatte er ganz vergessen. Er musste wohl wie ein Schatten mit zur Tür hinausgeeilt sein und begleitete ihn nun ebenso. „Der treue Majosch“, dachte sich Erich und war erleichtert, nicht allein zu sein!

Inzwischen war er schon gegen einen Ast gestoßen, mit seiner linken Schulter gegen einen Baum gekracht und über eine Wurzel gestürzt, noch bevor er die Weide erreichte. Während seine Schulter schmerzte und Blut aus einer Platzwunde über seine Stirn rann, lief er weiter und dachte sich: „Na toll, wenn ich mich selbst kampfunfähig mache, erwische ich die Biester wieder nicht!“ An der Weide angekommen nahm er den Speer fester zur Hand, seine Augen verfinsterten sich, jeder Muskel war gespannt und Adrenalin durchströmte warm seinen Körper. Er war bereit, bereit zu töten!

Langsam näherte er sich der Weide, alle Sinne gespannt. Es umgab ihn eine gespenstische Ruhe. Es war so unnatürlich ruhig, dass er sein eigenes Blut im Ohr pochen hörte! Erich erblickte ein totes Rind und ging auf es zu. „Komisch“, dachte er sich, „normalerweise reißen Wölfe ein Kälbchen!“ Aber da lag der Leitbulle! Eins der mächtigen Hörner hatte sich tief in den weichen und durchnässten Boden gerammt. Von den Wölfen keine Spur! Aber bei dem dichten Nebel war das nicht verwunderlich. Die Wölfe hätten wenige Meter entfernt auf ihn lauern können, ohne dass Erich sie hätte sehen können. „Wären sie noch hier, hätte aber Majosch angeschlagen!“, ging es ihm durch den Kopf, während er weiterging.

Je weiter er kam, desto mehr tote Rinder tauchten aus dem Nebel auf. Erich wurde es langsam mulmig und er umfasste den Griff seines Speeres noch fester. Beim Leitbullen angekommen wich seine Anspannung blankem Entsetzen! Da waren keine Bissspuren, da war ein gewaltiger sauberer Schnitt, aus dem noch Reste von Blut quollen. Erich schaute es sich wie erstarrt an und stellte nüchtern fest: „Der riesige Bulle mit einem einzigen Hieb gefällt. Da versteht einer sein Handwerk!“

Majosch war jetzt direkt neben ihm und schaute ihn erwartungsvoll an. Plötzlich ergriff Erich Panik und ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: „Ich muss zurück, schnell!“

In der Scheune

Während Erich unterwegs war, spielten seine Geschwister in der Scheune. Sie waren in ein altes Brettspiel vertieft, bei dem es darum ging, eine wilde Rinderherde zuerst zu erreichen und die anderen durch geschickte Blockaden daran zu hindern. Die Würfel, ein sechs- und ein vierseitiger, die Spielfiguren, das Spielbrett und die Hindernisse zur Blockade wurden liebevoll meist von den Großeltern geschnitzt. Ein bei Jung und Alt sehr beliebtes Spiel.

Es ging auf die Tradition Weidensteins zurück, alle einjährigen Rinder die schneefreie Zeit wild grasen zu lassen. Die sich dann instinktiv zu einer großen Herde sammeln, die Ende des Jahres in einem gemeinsamen Trieb wieder eingefangen wird. Anschließend bekommt jeder Bauer seine Rinder wieder zurück, nur der, der zuerst die Herde erreicht, darf sich die fünf schönsten heraussuchen. Das ist ein großer Spaß für die Bauern, bei dem jeder versucht, der Erste zu sein und die anderen nach Kräften zu behindern. Danach wird in den großen Siedlungen mit viel Bier und gebratenem Rindfleisch, allerlei Gauklern, Spielen für Jung und Alt, Musik und Festreden gefeiert.

Die Kinder spielten in der Scheune, weil der kleine Albert zu den Kaninchen wollte. Das sollte sich noch als Glücksfall herausstellen! Während die älteren „Hol sie dir“ spielten, erklang Pferdegetrappel. Albert rannte freudestrahlend zum Scheunentor, guckte hinaus und taumelte zurück, als wäre er gegen einen unsichtbaren Gegenstand geprallt. Der Vierjährige lief wankend mit weit aufgerissenen Augen zu seinen Geschwistern.

Seine ältere Schwester Mia bemerkte das, lief auf ihn zu, nahm ihn in den Arm und fragte ihn: „Albi, was hast du?“

Albert guckte sie mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen an und sagte nur: „Gespenster!“

Inzwischen schauten auch die anderen drei Geschwister. Mia gebot ihnen mit einer eindeutigen Handbewegung, still zu sein und ging vorsichtig zum Scheunentor. Sie schaute langsam heraus und konnte zu ihrer Erleichterung nichts Außergewöhnliches sehen. Bis plötzlich direkt am Tor etwas vorbeiritt, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ! Sie stand eine gefühlte Ewigkeit wie angewurzelt da. Es waren wohl nur Sekunden, und doch kam es ihr so vor!

Als sie zu sich kam, schlich sie sich zu ihren Geschwistern. Ohne etwas zu sagen, versteckte sie das Spiel unter dem Heu und sagte nur ein Wort: „Verstecken!“

Sie versteckten sich in einer Schweinebox, in der einige Säcke mit Futter lagen, die aber ansonsten leer war. So gut es ging stapelten sie die Säcke als Sichtschutz. Georg, ihr Zwillingsbruder fragte sie: „Was hast du gesehen?“

Sie antwortete, selbst noch ungläubig ob ihrer seltsamen, schaurigen Sichtung: „Ein abscheuliches Skelett mit einem großen gebogenen Schwert auf einem mächtigen Pferd!“

Georg schaute sie ungläubig an: „Was oder wer auch immer das war, wir müssen hier raus!“, schoss es ihm blitzschnell durch den Kopf. „Dreimal verfluchte Hasenscheiße!“, flüsterte er. „Wir müssen hier weg! Durch das Tor sieht es uns, das ist aber der einzige Ausgang und die Bretter, mit denen die Scheune verkleidet ist, sind fest vernagelt! Kein Durchkommen!“

„Hasen nicht scheiße!“, sagte der kleine Albert etwas zu laut für Mia. Sie wollte gerade etwas sagen, da zog Albert sie am Ärmel und flüsterte vor Aufregung seltsam abgehackt: „Geht raus, hinten, keiner sieht, komm!“

Er führte sie zu einer Stelle an der Rückwand in der Scheune und zog knarrend ein paar Bretter ab, sodass man in das kleine Wäldchen hinter der Scheune gelangen konnte.

„Du kleiner Schlingel“, flüsterte Mia. „So bist du also immer zu deinen geliebten Kaninchen gekommen! Guter Junge!“

„Weiß der Henker, warum die Bretter lose sind?“, dachte sie. „Wahrscheinlich morsch geworden. Es ist die Wetterseite, durch das Gebüsch und das Herbstlaub immer feucht.“ Sie hoffte, dass das Knarren niemand gehört hatte, holte leise ihre Geschwister und verschwendete keine Gedanken mehr an die Bretter.

Es ging alles glatt. Die Geschwister passten durch den Spalt und gelangten unbemerkt in das Wäldchen. Albert zog die Bretter wieder zu.

„Ein verdammt schlaues Kerlchen!“, dachte sich Mia noch und verschwand mit den anderen im dichten Unterholz. Sie hörten, wie das Scheunentor aufgeschoben wurde.

„Das war keinen Moment zu früh!“, schoss es ihr durch den Kopf.

„Nun sitzen wir hier fest!“, flüsterte Georg. Das kleine Wäldchen war von Feldern umgeben, die man bis zur nächsten Deckung überqueren musste. „Keine Chance, hier ungesehen wegzukommen!“

Nun fiel es auch Mia auf. „Dann warten wir hier ab!“, sagte sie.

„Nein!“, raunte ihr Georg zu. „Ich locke sie weg! Allein bin ich schneller! Ich locke sie ins dichte Unterholz. Da kenne ich mich aus und Wot schickte uns den Nebel. Die kriegen mich nicht! Sobald sie weg sind, schnapp dir die Kleinen, renn los und guck dich nicht um! Schlagt euch nach Weidenstein zu den Eltern durch. Wir sehen uns da!“

Mia schaute ihn traurig an. Sie wusste, dass ihr Bruder fest entschlossen war. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Trotzdem sagte sie leise: „Lass mich mit!“

„Nein! Rette die Kleinen! Wir sehen uns in Weidenstein!“, widersprach Georg entschlossen und küsste sie auf die Stirn, so fest und innig, als wolle er ihr seine Seele übertragen, damit sie nicht verloren ist, und rannte los.

Mia sah ihm nach. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr die Seele herausgerissen und musste sich fast übergeben. Es war ihr Zwillingsbruder! Sie waren noch nie getrennt und oft wie eins. Als Kleinkinder spielten sie oft stundenlang, ohne zu reden. Weil der eine wusste, was der andere dachte. Und jetzt getrennt, das erste Mal, vielleicht für immer. Wären die Kleinen nicht, wäre sie ihm nachgelaufen. Lieber im Tod vereint als fürs Leben getrennt! So aber würde sie tun, was nötig war. Das Opfer durfte nicht umsonst sein!

Ihr Bruder rannte nahe der Scheune, damit er möglichst spät gesehen wurde und niemand sah, wo er herkam. Dann ertönte ein Horn. Eins der Wesen hatte ihn entdeckt und ritt an. Georg schlug einen Haken und rannte nun direkt auf das dichte Unterholz nördlich des Hofes zu. Er rannte um sein Leben, wie er noch nie gerannt war!

Mia sah, wie ihr Bruder im Unterholz verschwand und der Reiter ihm folgte. Äste knackten, das Pferd wieherte und der Reiter fluchte.

„Das klingt sehr menschlich!“, schoss es Mia durch den Kopf. Dann kamen die anderen drei Gestalten aus der Scheune, sprangen auf ihre Pferde und verschwanden ebenso in den Wald. Es war Zeit zum Aufbruch!

Rettung im letzten Moment

Erich kam am Hof an. Drei Reiter verschwanden gerade im Unterholz. Als sie nicht mehr zu hören waren und sich auch sonst nichts rührte, durchsuchte er zuerst das Wohnhaus. Majosch immer neben ihm. Dann die Scheune. Nichts! Keine Spur von seinen Geschwistern!

„Aber auch keine Leichen!“, machte er sich selbst Mut. Majosch schnüffelte am hinteren Ende der Scheune und Erich nahm die Forke und drehte dort jeden Halm um. Aber auch da war nichts.

„Hier hinter ist ein kleines Wäldchen“, dachte sich Erich, „optimal zum Verstecken!“, und ging um die Scheune herum. Sein Hund wich ihm nicht von der Seite. Erich durchsuchte das Wäldchen. Wieder nichts! Aber Majosch hatte eine Spur aufgenommen und folgte ihr aus dem Wäldchen heraus.

Plötzlich kamen die Reiter aus dem Unterholz wieder. Erich rief den Hund zurück und gebot ihm, sich hinzulegen und still zu sein. Je näher die Reiter kamen, desto seltsamer und gruseliger sahen sie aus! Die drei durchsuchten die Scheune. Dann ritten sie langsam um das Gebäude. Inzwischen hatten sie Fackeln entzündet, mit denen sie suchend die Außenwand ableuchteten. Das flackernde Licht ließ ihr Aussehen noch angsteinflößender erscheinen. Jetzt ritten sie, den Boden absuchend, um das kleine Wäldchen.

„Haben die mich entdeckt?“, schoss es Erich durch den Kopf.

Er duckte sich noch tiefer. Da stieg ihm ein waldig-erdiger, sehr feiner Geruch in die Nase. Nein, das war nicht das feuchte Laub, es waren Schweinepilze, seine Lieblingsspeise. Unser Bauernsohn malte sich aus, wie Muttern Speck und Zwiebeln brutzelte, die Pilze hinzugab und dann mit Eiern und allerlei Kräutern das Omelett ausbriet. Wie es mit frischem Brot auf seinem Teller landete und … Die Reiter kamen näher und Erich schreckte aus seinen Gedanken hoch. Da hörte er es neben sich leise schmatzen. Erich grinste unwillkürlich.

„Nicht nur Schweine lieben diese Pilze, und ich selbstverständlich, sondern auch Hunde können den leicht fleischigen Geschmack der festen und doch samtig weichen Konsistenz, die an gekochtes Bauchfleisch erinnert, nicht widerstehen!“, dachte er und streichelte seinen Hund. Der kaute sichtlich vergnügt vor sich hin. Dann fiel langsam ein leichtes Knurren in das Schmatzen! Erich musste wieder grinsen: „Der kann essen und knurren gleichzeitig!“

Doch nun waren die Reiter ganz nah und Erich machte leise einen Schnalzlaut. Der Hund verstummte augenblicklich. Das hatte er ihm für die Jagd beigebracht. Sogar die halb zerkauten Pilze lagen in seinem Maul, ohne dass er Anstalten machte, die auch nur noch schnell zu schlucken. „Ein großartiges Tier! Ein außergewöhnlich schlaues und so treu wie mein rechter

Arm!, schossen ihm die Gedanken durch den Kopf, während die drei langsam vorbeiritten.

Erich fielen die unnatürlich großen Skelettschädel auf. Gruselig und angsteinflößend. „Was sich bewegt, lebt, und was lebt, kann man töten!“, dachte er sich trotzig. Wie sehr wünschte er sich jetzt Mutter und Vater an seiner Seite!

Doch dann sah Erich etwas, das ihm das Blut endgültig in den Adern gefrieren ließ! Der dritte Reiter hatte ein kindsgroßes Bündel hinter sich auf sein Pferd geschnallt, aus dem noch Blut tropfte.

Er wollte schreien, doch es ging nicht. Er wollte aufspringen und mit seinem Speer nachschauen, welche Farbe das Blut dieses Wesens hatte, doch es ging nicht. Erich lag vor Entsetzen wie gelähmt da. Ein leises Schmatzen weckte ihn aus der Starre. Die unmittelbare Gefahr war vorüber und der Hund setzte seine Mahlzeit fort. Unser verhinderter Held blickte zum Bauernhaus. Es begann Rauch aus dem Kamin zu quellen.

„Die machen es sich also gemütlich!“, dachte er sich und sein Blick fiel auf die Pferde, die vor dem Haus standen. Das Bündel hing noch am Sattel!

Erich machte sich auf den Weg. Vorsichtig schlich er zum Haus, zog sein Langmesser und öffnete das Bündel. Kein Mensch! Ein Wild musste ihren Weg gekreuzt haben! Glücksgefühle der Erleichterung durchströmten warm seinen Körper und für eine Sekunde vergaß er die Gefahr.

Da durchschnitt ein lauter Befehl die Stille!

„Recht menschlich!“, schoss es Erich durch den Kopf.

Er wollte gerade die Stricke durchtrennen, mit denen die Pferde angebunden waren, da stürmte das erste Wesen auch schon durch die Tür und hieb mit dem riesigen Schwert nach ihm. Sich zur Flucht wendend sah Erich, wie sich Majosch nach zwei kraftvollen Sprüngen in den Arm des Angreifers verbiss und so den Hieb ablenkte. Knapp neben ihm krachte das Schwert in einen Futtereimer mit Hafer, den es in tausend Teile zerfetzte.

„Das war knapp!“, dachte er sich und rief dem Hund noch den Befehl „Hier!“ zu, den der wie gewohnt sofort befolgte und binnen Sekunden schon neben ihm lief, und das, obwohl Erich lief, was seine Beine hergaben!

„Danke!“, rief Erich dem Hund noch zu. Er wusste nicht, ob Majosch es verstand, und er wusste nicht, ob er je die Gelegenheit noch bekommen sollte, es ihm zu danken. Denn die Verfolger waren auf ihre Pferde gesprungen und der Hufschlag kam immer näher!

Doch dann entfernte sich das Geräusch wieder. Im Wäldchen angekommen schaute Erich zurück. Da war keiner mehr! Zehn bis fünfzehn Reiter hetzten die Straße entlang nach Norden und entschwanden seinem Blickfeld. Weiß der Henker, wo die anderen herkamen und warum die wegritten! Aber die war er einstweilen los! Erleichtert kraulte er seinen Hund, der derweil die letzten Pilze fraß. Das Adrenalin hatte ihn hellwach gemacht und die Knie wurden leicht weich ob der überstandenen Gefahr. So setzte er sich auf einen armdicken Ast, den der letzte Sturm von der großen Eiche gerissen hatte und überlegte, was zu tun sei. Das nasse Holz durchfeuchtete langsam seine Hose und die Sonne durchbrach endlich mal wieder seit Wochen die Wolken und den Nebel. Auch hatte es aufgehört zu regnen. Doch all das nahm Erich gar nicht wahr. Auch nicht, dass die Vögel fröhlich zwitschernd die Sonne begrüßten. Er wünschte sich nur, dass seine Eltern da wären und wollte nach seinen Geschwistern suchen!

Doch ehe er mit seinen Überlegungen fertig war, kamen die Reiter zurück!

Erich dachte sich noch: „Ich Idiot bin immer noch in diesem Wäldchen!“

Doch zu einer Flucht war es zu spät! Also duckte er sich in sein Versteck und beobachtete. Es waren zehn Reiter, die die Anhöhe zum Hof heraufritten. Sie hatten alle eine Lanze in der rechten Hand, einen leichten Schild auf den Rücken gebunden, ihre Bögen und die Pfeile auf dem Pferd verzurrt und die bei den Menschen dieser Region typische 30 Zentimeter lange Klinge in einer Scheide links am Gürtel hängend.

„Weidensteins leichte Reiterei! So viel Glück kann man doch gar nicht an einem Tag haben!“, ging es ihm durch den Kopf.

Er dankte Wot und beschloss, ihm ein angemessenes Opfer zu bringen! Der Hund hatte die Pilze schon alle gefressen, aber es würde sich beizeiten schon etwas Exquisites finden für die in ihrer Kultur und Religion üblichen Speiseopfer an die Götter! „Und Bier!“, sinnierte Erich. „Viel Bier, er hat sich das verdient!“

Inzwischen waren die Reiter herangekommen und Erich trat aus seinem Versteck.

Der Anführer, ein großer hagerer und doch muskulöser Mann mit einer alten Narbe quer über sein Gesicht, ritt auf ihn zu. Kurz vor dem Bauernsohn hielt der Reiter an und musterte sein Gegenüber abschätzend aus seinen braungrünen Augen.

Einige Sekunden lang erwiderte Erich den Blick und dachte sich: „Interessante Augen! Ein brauner Stern auf grünem Grund um die Pupille, selten!“ Das Pferd stand genau vor seiner Nase. Es war noch nass von der wilden Jagd und roch nach Schweiß.

Dann sprach das Narbengesicht: „Da kamen wir ja gerade noch rechtzeitig! Wir folgten den Spuren dieser Gestalten schon länger! Als wir sie hier erspähten, hatten sie dich schon fast erwischt! Leider flohen sie dann!“

Nun ergriff Erich das Wort: „Willkommen am Hof Sonenhügel, mein Brot ist euer Brot, tretet ein, labt und wärmt euch, mein Name ist Erich Dorkssohn, ältester Sohn des Bauern.“ Nach einer kurzen Pause: „Und danke vielmals für meine Rettung!“

Der Soldat lächelte leicht, nickte Erich zu und ritt mit seinen Kameraden zum Hof.

Erich fragte noch: „Habt ihr einen erwischt?“

„Nein!“, brummte das Narbengesicht: „Oder doch ein bisschen! Fred hat mit seiner Lanze einen leicht verletzt. So gruselig sie aussehen, ihr Blut ist rot, und was blutet, kann man töten!“

Das Versteck

Mia nahm Albert fest an die Hand, überquerte die Lichtung den Hügel hinab, eilte schnell über den schmalen Kutschweg, der den Fürstensitz Weidenstein mit dem Norden verband, dann kroch sie zwischen Dornensträuchern und dichtem Geäst in einen flachen Graben, der sie kriechend gerade so passieren ließ und verschwand darin für jedwelche Blicke unerreichbar. Ihre mittleren Geschwister Luisa und Olf folgten und verschwanden ebenso. Mia kannte den Weg, sie und Georg hatten ihn einst beim Spielen entdeckt und seitdem oft benutzt. Das dichte Geäst bestand hauptsächlich aus den Dornensträuchern Brombeere und Hagebutte. Mit ihren spitzen, leicht gebogenen Dornen, von ganz klein bis fingerkuppengroß, gaben sie ihre Früchte nur ungern her. Doch zum ersten Mal freute sie sich über die Dornen! Durch das dichte Gewirr aus Ästen, Ranken voller Dornen und dem einzigen, kaum einen Meter hohen Durchgang passte kein Reiter! Ja sogar abgesessen und auf allen vieren hätte ein Erwachsener große Schwierigkeiten, ihnen zu folgen. Einstweilen waren sie in Sicherheit.

Auf dem engen Pfad musste man aufpassen, dass man sich nicht in den widerhakenähnlichen Stacheln verfing. Sonst hielten sie einen fest, als wollten sie einen verzehren, für immer binden. Aber die Brombeeren waren süß und die Marmelade, die Mutter aus Beeren und Hagebutten kochte, war weltklasse! „Hagebuttenmarmelade!“, träumte Mia vor sich hin und rutschte auf einem Stein aus. Nicht das erste Mal! Der sonst trockene Graben führte nach den langen Regenwochen Wasser. Es war kaum fünf Zentimeter hoch, aber da sie oft unter den Dornenranken hindurchkriechen mussten, um nicht hängenzubleiben, waren bald nicht nur die Schuhe, sondern auch die Beinkleider bis zu den Knien und die Ärmel ihres Oberkleids nass. Und die Feuchte kroch durch den Stoff weiter. Sogar die Steine, die aus dem Wasser herausragten, waren durch den Regen und den ewigen Nebel grün und glitschig wie feuchte Seife.

Die Kinder froren und kamen auf dem glitschigen Untergrund nur langsam voran.

Inzwischen hatten sie schon zahlreiche Prellungen, was die Sache nicht besser machte. Luisa und Olf sammelten alles, was irgendwie essbar war, ein. Nur, die Zeit der Brombeeren war vorbei und alles, was sie fanden, ungekocht nicht wirklich hilfreich! „Keine gute Zeit für schlechte Zeiten!“, murmelte Mia vor sich hin.

Es kam keine Antwort.

Der kleine Albert zog an Mias Hosenbein. „Schau Mia!“, sprach er und zeigte Mia zwei Frösche.

„Die schmecken gegrillt wie Hähnchen!“, antwortete Mia. „Sehr gut, Albert!“, und streichelte ihm über den Kopf.

Albert steckte die Frösche stolz in seine Hosentaschen, aus denen sie aber bald herauskletterten und sich ins Gebüsch verzogen.

Es wurde langsam dunkel. Mia wollte den Graben eigentlich längst hinter sich gelassen haben. Daran war aber nicht mehr zu denken. Und so beeilte sie sich, eine Stelle zu erreichen, an der die Geschwister die Nacht wenigstens trocken verbringen konnten.

„Naja, so trocken es mit den nassen Klamotten halt geht“, dachte sie sich. „Aber immerhin hat es aufgehört zu regnen und der olle Nebel hat sich auch verzogen!“

Die Abenddämmerung hatte schon begonnen, als sie die kleine Lichtung erreichten. Mia schnitt Äste von den Tannen, die auf ihrem Weg langsam zahlreicher wurden. Luisa und Olf schleppten sie zu dem Schlafplatz, für den sie eine kleine, windgeschützte Mulde ausgesucht hatten. Sie verteilten die Äste auf dem Boden, um nicht im Nassen zu liegen. Weitere Äste sollten als Decke dienen.

Die Kinder schmiegten sich eng aneinander und schliefen erschöpft ein.

Mia machte die Augen auf, der Himmel war ganz rot, die Sonne lugte schon leicht zwischen den Bäumen hervor.

„Morgenrot“, dachte sie sich. „Der Tag verspricht trocken zu werden! Die Sonne wird uns guttun!“

Sie schaute sich um. Ihre Geschwister schliefen noch. Eng, wärmesuchend, aneinandergekuschelt. Mia löste sich von den anderen. Sie war ganz steif gefroren und brauchte Minuten, bis sie sich wieder bewegen und klare Gedanken fassen konnte. Dann weckte sie ihre Geschwister. Denen ging es nicht besser. Man sah ihnen an, wie sie froren. Die Gesichter, vor allem die Wangen und die Nase, waren ganz rot, dafür gingen die Lippen leicht ins Blau. Am schlimmsten ging es dem kleinen Albert! Der weinte und wollte gar nicht aufstehen. Mia ging zu ihm und massierte ihm die Glieder warm. Sie mussten weiter! Hier würden sie erfrieren!

Sie kämpften sich noch ein Stück durch den schmalen, steinigen Graben. Dann wurde das Gelände offener und flacher. Der Bach mäanderte in zig kleinen Adern über den einzig gangbaren Weg. Der Pfad war jetzt zwar nicht mehr steinig, dafür tiefgründig matschig und nicht weniger glitschig. Das Vorankommen war eine einzige Quälerei! Der durchfeuchtete Untergrund schien sich an den Füßen regelrecht festzusaugen. Die Schlammschicht an den Schuhen wurde immer dicker, und durch das permanente Ausrutschen sahen sie alle bald aus wie die Schlammgnome aus dem Märchen! Sie waren über und über mit Schlamm bedeckt und nasser als zuvor. Aber sie froren nicht! Die Anstrengung und die inzwischen hochstehende Sonne sorgten dafür, dass ihnen warm war und sie am ganzen Körper dampften.

„Ihr dampft wie die Büffelbullen in der Paarungszeit!“, sagte Luisa und kicherte.

„Du aber auch!“, antwortete Olf und alle lachten.

Für eine Moment vergaßen sie ihren Schmerz, den bohrenden Hunger und ihre missliche Situation.

Mia rief: „Los weiter, ihr Schlammgnome!“, und wieder lachten alle.

Sie quälten sich noch einige Stunden weiter, bis sie an einen steilen Abhang kamen.

Der einzige Weg hinauf war ein enger, steiler, lehmiger Einschnitt, den das Wasser über Generationen in den Hang gegraben hatte. Das Rinnsal führte hier kaum noch Wasser. Und dennoch brauchten sie ihre letzte Kraft, um die glitschige Anhöhe zu erklimmen. Den völlig entkräfteten Albert mussten sie mehr ziehen und schieben, als er aus eigener Kraft vorwärtskam. Das machte es nicht wirklich einfacher!

Endlich oben angekommen schleppten sich die völlig erschöpften Geschwister weiter. Luisa und Olf sammelten alle Pilze, die ihnen auf ihrem Weg begegneten, während Mia mit Albert im Schlepptau nur noch endlich am Unterstand ankommen wollte. Den hatten sie und ihr Zwillingsbruder sich bei früheren Besuchen, und besserem Wetter, errichtet. Als sie ihn nach etwa einer weiteren Stunde, und noch vor der Dämmerung, erreichten, war Mia erleichtert. Hier würde sie keiner finden und sie konnten sich aufwärmen und neue Kraft tanken.

Georg und Mia hatten den Unterschlupf unter einen großen Stein gebaut, der aus einem Abhang herausragte. Nach außen war er mit Zweigen, Ästen voller Tannennadeln, Lehm und Moos gegen Wind und wilde Tiere abgedichtet. Der Eingang war mit einem Fell abgedeckt, das sie Mutter abgeschwatzt hatten. Sie schlugen das Fell zur Seite und traten ein. Es roch feucht und erdig. Mia überlegte, ob der Unterschlupf so roch oder doch eher ihre kleinen „Schlammgnome“?

Neben dem Eingang war eine mit Steinen eingefasste Feuerstelle. Hier vorne zog der Rauch am besten ab. Dann folgten zwei Bettchen aus Reisig und Tannennadeln, auf denen jeweils ein Fell als Decke lag. Auch die hatte Mutter, nach einiger Überredung, gespendet. Am Ende des Unterstands gab es noch ein aus Ästen und Steinen improvisiertes Regal. Auf dem ein Topf, zwei aus Holz geschnitzte Teller und Löffel, eine alte Holzschüssel und etwas trockenes Reisig sowie zwei Feuersteine zum Entzünden einer Flamme lagen. Daneben hatte Georg noch einiges trockenes Holz gestapelt.

„Das wird hervorragend und auch recht rauchfrei brennen!“, dachte sich Mia.

„Und das können wir beides jetzt gut gebrauchen!“

Sie nahm die Feuersteine, etwas von den Birkenrindenfetzchen, die die Zwillinge im Sommer vorsichtig von der Rinde abgezogen und sorgsam in kleine Ledersäckchen verstaut hatten, das Reisig und entzündete das Feuer geschickt.

Nachdem das Feuer von der leicht entzündlichen Birkenrinde auf das Reisig überging schichtete sie erst kleinere, dann größere Äste aus dem Vorrat über das brennende Reisig. Die Flamme wuchs und eine wohlige Wärme breitete sich langsam aus. Als das Feuer groß genug war, nahm sie den Topf, füllte ihn in einer nahen Quelle mit Wasser und hing ihn an einen kleinen Haken, der an einer Kette über der Feuerstelle hing.

„Legt alles, was ihr gesammelt habt, auf einen Teller“, sagte sie sich langsam entspannend zu ihren Geschwistern.

Ein buntes Gemisch aus Baumsamen, Pilzen, Hagebutten und allerlei Kräutern kam zusammen. Mia nahm zuerst die Hagebutten, wusch sie und hackte sie in große Stücke. Dann ging sie zum Regal, holte ein kleines Stoffsäckchen hervor, füllte die Hagebuttenstückchen hinein und hängte es in das inzwischen kochende Wasser.

Erst jetzt bemerkte sie, dass der Jüngste leise weinte. Sie ging zu ihm und streichelte ihm sanft über das Haar.

„Was ist denn los, Albert? Hier sind wir doch erstmal sicher und Mama und Papa, Georg, Erich und die Babys warten sicher schon in Weidenstein auf uns!“

„Sie sind weg!“, jammerte Anton leise.

Mia musste ihre Tränen unterdrücken. Sie wollte stark sein für ihre Geschwister.

Keines, und schon gar nicht Albert, sollte bemerken, dass sie sich große Sorgen machte, ob sie Erich und Georg je wiedersehen würde.

Sie versuchte, ihn zu beruhigen: „Nein sie sind nicht weg! Die warten sicher in Weidenstein auf uns! Bei Onkel Hans und Tante Erika. Mit Kuchen. Bestimmt!“

Albert schaute sie verdutzt an: „Die Frösche?“

Mia schaute ratlos: „Welche Frösche?“, wollte sie wissen, aber dann fiel es ihr ein:

„Ach die Frösche!“

Jetzt musste sie lachen und der Rest der Anspannung fiel von ihr ab! Sie drückte Albert fest an sich und tröstete ihn: „Die hüpfen bestimmt vergnügt durch das Laub und fressen Käfer!“

Albert schaute zu ihr rauf und lächelte. „Nicht böse?“, fragte er.

„Nein!“, lachte Mia.

Albert sah einen Käfer über den Boden krabbeln, der seine ganze Aufmerksamkeit ablenkte und hüpfte wie ein Frosch hinterher.

Inzwischen war der Tee fertig, und die Kinder tranken das heiße vitaminreiche Getränk. Eine angenehme Wärme breitete sich jetzt auch von innen aus! Mia beschloss, dass es Zeit wurde, aus den „Schlammgnomen“ wieder Menschen zu machen.

„Luisa, Olf, nehmt die Schüssel und folgt mir!“

Die beiden folgten Mia zur Quelle, zu dritt holten sie Wasser. Mia im Topf, die beiden in der Schüssel.

Zurück erwärmte Mia das Wasser im Topf und befahl: „Los ausziehen! Waschen!“

Dann waren die Klamotten dran. Mia knurrte der Magen vor Hunger, sodass man es schon hören konnte!

Also ordnete sie an: „Ihr drei wascht unsere Plünnen, ich laufe schnell noch mal Wasser zum Kochen holen! Wird Zeit, dass wir was in den Magen bekommen!“

Dann schnappte sie sich den Topf und rannte, so nackt, wie sie war, ein letztes Mal Wasser holen. „Das nächste Mal bauen wir einen Unterschlupf direkt an einer Quelle!“, schwor sie sich.

Wieder am Unterschlupf schob sie das Fell am Eingang beiseite. Die Wäsche hing schon über alle möglichen Gegenstände zum Trocknen.

„Schön!“, freute sich Mia, doch es war merkwürdig still!

Plötzlich flog ihr etwas Weiches, Warmes gegen den Kopf, rutschte über ihre Wange nach unten und klatschte spritzend auf den Boden. Mia griff nach ihrem Messer, doch da war nichts! Instinktiv duckte sie sich und spannte alle Muskeln.

Da bemerkte sie eine Bewegung hinter einer Jacke. Erneut flog ihr etwas entgegen.

Sie wich geschickt aus, stolperte dann aber und riss im Fallen das Fell am Eingang mit sich herunter. Jetzt kicherte es aus allen drei Ecken und von dort flogen ihr kleine, braune, ballartige Gegenstände entgegen, denen sie nun nicht mehr ausweichen konnte.

„Blöde Bande!“, schrie Mia, die jetzt ihre Geschwister erkannte.

Die hatten den Matsch von ihren Schuhen gepult und fanden es lustig, ihre große Schwester ein wenig zu necken. Mia sammelte etwas von dem Matsch ein und warf ihn zurück. Nach einigen Minuten endete der Spaß und sie mussten nun doch noch mal Wasser holen. Der Topf war verschüttet und die Kinder brauchten eine erneute Wäsche.

Nachdem das erledigt war, wollte Mia langsam mal endlich was essen. Sie schickte noch Olf und Luisa los, die Schuhe an der Quelle zu reinigen. Sie wollte gerade anfangen zu kochen, da waren die schon wieder zurück.

„Schon fertig?“, fragte sie.

Die beiden antworteten wie aus einem Mund: „Ne, viel besser!“, und feixten.

Sie hatten die Schuhe voll Wasser gefüllt und begannen sie im warmen Unterstand zu reinigen.

„Ach egal!“, dachte sich Mia und machte sich ans Kochen.

Sie wusch das Gesammelte, schnitt es klein und warf alles zusammen in das kochende Wasser. Als sie es dann gemeinsam aßen, kam es ihnen vor wie die leckerste Mahlzeit, die sie je gegessen hatten! Nach dem ausgiebigen Speisen waren sie nur noch müde und legten sich schlafen.

Ein Alptraum

Georg duckte sich und hechtete ins Unterholz, so schnell ihn die Füße trugen.

Dicht hinter ihm krachte es, Äste brachen und der Reiter fluchte.

Georg grinste: „Das war knapp!“, schoss es ihm durch den Kopf.

Das einschießende Adrenalin vertrieb die Kälte aus seinen Knochen, ihm wurde wohlig warm und die Angst wich einer seltsam gefühllosen Rationalität! Er lief schnell und doch geschickt, Ästen und Dornensträuchern ausweichend, über Wurzeln und Totholz springend, immer weiter in den Wald hinein.

Das Knacken hinter ihm wurde leiser, doch auf einmal kam es langsam wieder näher. Das Wesen verfolgte ihn nun zu Fuß. Das ging im dichten Geäst wesentlich schneller. Georg änderte die Taktik. Nun lief er auch über kleine Lichtungen und schmale Pfade entlang. Georg hatte einen Plan: Nicht weit entfernt hatte sich ein Rinnsal über die Jahrhunderte einen schmalen Durchgang durch eine mehrere Kilometer breite und bis zu 30 Meter hohe, jedoch recht schmale Felswand geschnitten. Gerade so breit, dass er sich hindurchziehen konnte. Dadurch konnte ihm das Wesen nicht folgen und es würde ihm den nötigen Vorsprung verschaffen!

Das Herz schlug Georg vor Anstrengung schon bis zum Hals. Und doch erhöhte er das Tempo noch einmal. Er brauchte einen ausreichenden Vorsprung, um sich in die Höhle ziehen zu können! Mindestens so weit, dass der Angreifer ihn nicht mehr herausziehen oder mit dem Schwert erreichen konnte.

Endlich war der rettende Durchgang in Sicht. Kurz vor der Felswand schaute sich der Flüchtende kurz um:

„Noch nichts von dem Drecksbiest zu sehen!“, ging es ihm rasend schnell durch den Kopf: „Der Vorsprung sollte reichen!“

Er schaute wieder nach vorne, blieb mit dem Fuß an einer Ranke hängen, stürzte, und es wurde dunkel.

Als Georg die Augen wieder öffnete, hatte er das Gefühl, als sei ihm jeder Knochen gebrochen. Aber weit schlimmer: Das Wesen war da! Georg ging nur ein einziger Gedanke durch den Kopf, nur ein einziges Wort: „Scheiße!!!“

Das Wesen kam näher. Je näher es kam, desto unheimlicher wurde es! Der nur noch leichte Nebel, die jetzt von Zeit zu Zeit durchbrechende Sonne und der unnatürlich große Schädelkopf machten die Szenerie gruseliger als jede der Schauergeschichten, die Onkel Heinz den Kindern so gerne am flackernden Feuerschein des Kamins bei seinen Besuchen erzählte. Nun stand das Wesen direkt vor ihm. Georg rührte sich nicht, zur Flucht war es eh zu spät!

Das Knochenmonster nahm sein großes, in einer sanften Krümmung nach hinten gebogenes Schwert in beide Hände und holte in einer schnellen Bewegung nach hinten über den Kopf aus. Das entblößte kurzzeitig den Krieger aber jeglicher Deckung. Georg sah seine Chance. Er umfasste sein Langmesser fester, schnellte hoch und winkelte dabei seinen messerführenden Arm nach hinten an, um ihn dann kurz vor dem Auftreffen mit aller Wucht nach vorne schnellen zu lassen. Er traf den Bauch der Schreckensgestalt mit solcher Wucht, dass die Klinge hinten wieder austrat. Das Wesen verlor das Gleichgewicht und stürzte durch die eigene Ausholbewegung mit dem riesigen Schwert rückwärts. Das Schwert rammte sich tief in den weichen Boden. Als der Kopf aufschlug, knackte es schaurig. Der Schädel war auf einen großen Stein gestürzt und platzte auf. Hervor kam ein menschlicher Kopf. Georg schaute verdutzt. „Also keine Monster!“, stellte er lapidar fest.

Es war ein Reiterkrieger vom Stamme der Tar. Dem alten Feind im Norden. Und nun tot! Seit über zehn Sonnenumläufen hatte es keine Übergriffe dieser halbnomadischen, geschickten Reiter mehr gegeben.

„Genug sinniert!“, sagte er zu sich selbst: „Es sind mindestens drei weitere Krieger hinter mir her.“ Er wollte sich gerade durch die Höhle zwängen, als er in einiger Entfernung einen Schatten bemerkte. Es war ein Pferd ohne Reiter. Das Pferd des Kriegers, das ihm treu folgte. Die Pferde der Tar waren schon etwas Besonderes: groß, kräftig, schnell und treu, vor allem treu! Behutsam ging er auf das Pferd zu, beruhigte es sanft und band es in einiger Entfernung an. „Damit wäre ich schneller in Weidenstein und damit bei meiner Schwester!“, dachte er sich und änderte den Plan.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn nicht mehr losließ: „Ich sollte die anderen Bauern warnen und ihnen zeigen, dass es keine Monster sind, die uns heimsuchen, sondern Menschen. Nur wie? Werden sie einem vierzehnjährigen glauben?“ Er brauchte einen Beweis! Ihm kam eine Idee. Viel Zeit für lange Überlegungen war nicht, da jederzeit die anderen Krieger auftauchen konnten, also ging er zu dem toten Krieger und schnitt ihm kurzerhand den Kopf ab. Während er den Kopf und den seltsamen, gespaltenen Totenschädel auf dem Sattel vertäute, dachte er sich: „Ich habe ja oft Vater nach dem Schlachten geholfen, aber es ist irgendwie doch etwas anderes, einem Menschen oder Tier den Kopf abzutrennen!“ Es schüttelte ihn leicht bei diesem Gedanken.

Dann ritt er los. „Das Pferd befolgt meine Befehle erstaunlich bereitwillig!“, dachte er sich noch und schwenkte Richtung Weidenstein ein. Georg nahm die ihm bekannten Schleichwege. Noch kannte er die Umgebung gut! Das war ein Vorteil, den er nutzen wollte. Er hatte keine Lust, einen Trupp der Krieger von Tar zu begegnen, ehrlich gesagt noch nicht mal einem einzigen! Und dann waren ja noch die drei Kameraden des Kriegers, dessen Kopf nun an seinem Sattel hing, hinter ihn her. Denen wollte er schon gar nicht in die Hände fallen! Er ritt durch Wälder, Wiesen und Felder, über Bergpfade und entlang von plätschernden Bächen, wich dabei immer wieder tiefhängenden Ästen aus, saß ab und führte sein Pferd an einigen besonders schwierigen Stellen an der Hand, bis der erste Hof in Sicht kam.

Der gehörte Freunden der Familie. Georg stieg vom Pferd, band es an und schlich, die Bäume als Deckung suchend, näher. Eine ganze Weile beobachtete er das Haus. Aber es rührte sich nichts! Dann schlich er zurück und ritt zunächst die Umgebung ab. Als er sicher war, dass von da keine Gefahr drohte, schlich er in das Haus, aber auch das war leer. Es lagen noch reichlich Vorräte herum. Auch andere Haushalts- und Arbeitsutensilien waren teils wild verstreut auf dem Boden.

Sogar die Puppe der kleinen Sina. „Der Aufbruch muss plötzlich und überstürzt erfolgt sein!“, dachte er sich.

Dann erschauderte er leicht: „Hoffentlich der Aufbruch!“

Georg sammelte an Lebensmitteln, was er brauchte, stopfte sie in einen Kartoffelsack und verzurrte ihn vor dem Sattel. Danach ging er wieder rein, griff sich ein verkohltes Holzscheit aus dem Kamin und krakelte seinen Namen und die Rune für „Danke“ an den Vorratsschrank. Im Herausgehen nahm er noch die Puppe mit, in der Hoffnung, sie der kleinen Sina wiedergeben zu können!

Georg stieg wieder auf sein Pferd und ritt los. In der Scheune fehlten Kutsche und Pferde. Die Gegend war ihm ab hier unbekannt und so folgte er den Spuren des Karrens. Georg ritt langsam und aufmerksam, die Umgebung absuchend, um jederzeit und möglichst früh etwaigen Gefahren ausweichen zu können. Dabei hoffte er, dass ihm dann sein geringes Gewicht und das durch das niedrige Tempo ausgeruhte Pferd zugutekommen würden. Dafür holte er den Wagen aber auch langsamer ein.

Sie kamen an einem anderen Gehöft vorbei. Auch hier das gleiche Bild: hektisch verlassen und leer. Kein Freund, kein Feind. Die Spuren der Wagenräder führten in die gleiche Richtung. So folgte er ihnen weiter bis zu einem dritten Hof.

Inzwischen wurde es schon langsam dunkel. Georg durchsuchte den Hof und die Umgebung akribisch und beschloss zu rasten. Es ging nicht mehr! Er war völlig fertig. Schon halb schlafend sattelte er das Pferd ab, nahm alles Gepäck herunter und band es bei einem großen Heuhaufen an. Dann besorgte er sich einen Eimer und holte noch schnell am Hausbrunnen Wasser. Der Bauernsohn nahm einen großen Schluck und stellte den Rest seinem treuen Begleiter hin. Georg beschloss, nicht im Haus zu schlafen und lieber bei seinem Weggefährten zu bleiben. Auf der Suche nach einer Art Kopfkissen fand er ein paar Hafersäcke. Er schnappte sich zwei, schnitt einen für das Pferd auf und legte sich auf den anderen. „Nur kurz etwas schlafen!“, dachte er sich, während er dem Pferd zusah, wie es genüsslich den Hafer fraß. Dann schlief er ein wie ein Stein.

Georg wurde schweißgebadet wach und griff zu seinem Messer. Es war schon hell.

Doch nichts rührte sich!

„War wohl nur ein Alptraum!?“, hoffte er und sprach leise zu sich selbst: „Ich wache schweißgebadet auf, aus einem Alptraum, nur um in einem noch viel schlimmeren Alptraum zu landen!“, und fluchte so unflätig, dass ihm seine Mutter eine leichte Ohrfeige verpasst hätte!

„Wenn sie nur da wäre!“, sagte er traurig. Er vermisste sie so sehr, seine Eltern, und seine Geschwister. „Hoffentlich geht es allen gut!“, wünschte er sich.

Während er langsam in trübsinnigen Gedanken versank, stupste ihn sein Pferd aufmunternd an. Die schweren Gedanken verschwanden. Der Junge lehnte seinen Kopf an den seines Pferdes und streichelte es sanft.

„Es ist so schön, nicht allein zu sein!“, dachte er sich, und zu dem treuen Ross laut: „Es kommen bessere Zeiten! Du wirst immer genug Futter bei mir haben!

Und wir werden einfach nur so zum Spaß herumreiten!“

Dann sattelte er das Pferd, vertäute das Gepäck und brach auf. Er hoffte, die Wagen noch vor Einbruch der Nacht einzuholen.

Georg ritt nun schon einige Stunden durch den Wald und hing seinen Gedanken nach: „Eigentlich wollte ich schon immer ein richtiges Abenteuer erleben, mal weg vom elterlichen Hof, die Welt erkunden! Aber das hier ist ein verdammtes Scheiß-Abenteuer! Wie viel herrlicher wäre es jetzt, zu Hause zu sein! Mit meinen Geschwistern zu spielen. Mutters sensationellen rübanischen Steckrübeneintopf, mit ordentlich Rindfleisch, Mohrrüben, Kartoffeln, Petersilienwurzel, Zwiebeln, etwas Speck, dazu allerlei Kräuter und Gewürze und natürlich ordentlich Steckrübenwürfel, zu essen! Miam! Oder Vater bei der Feldarbeit zu helfen. Ja sogar Geschirr aufwaschen wäre ein Fest gegen das hier. Hoffentlich sehe ich sie alle überhaupt wieder!“

Dann endete der Wald abrupt. Vor ihm lagen Felder und Grasland. Und er konnte die Wagenkolonne sehen! Freudig wischte er die trüben Gedanken aus dem Kopf und trieb sein Pferd an. Schon bald erreichte er sie. Es waren so um die 30 Wagen.

Georg ritt an ihnen vorbei an die Spitze des Zuges. Dort ritt Großbauer Knut mit seinen Söhnen. Drei vollbeladene Wagen gehörten zu ihm. Und noch einer mit den Frauen und Kindern. Die Wagen lenkten seine Knechte. Knut war von den Bauern der Umgebung zu ihrem Sprecher und Friedensrichter gewählt worden.

Eine allseits geachtete Respektsperson. Stets freundlich, gerecht und von ruhigem Gemüt. Georg zügelte sein Pferd.

Knut schaute herüber und grüßte: „Hallo Georg, die Götter seien mit dir!“

Georg verbeugte sich und erwiderte: „Die Götter seien mit dir, Knut!“

„Kommst du mituns?“

„Nein, ich habe eine wichtige Mission zu erfüllen!“, sagte Georg entschlossen.

Knut schaute fragend und ratlos. Welche Mission konnte wohl ein 14-jähriger Junge haben, dass er den Schutz der Gemeinschaft ausschlug?

„Mission?“, fragte er und guckte, als sei ihm gerade ein gebratenes Huhn ohne Kopf begegnet und hätte ihm einen guten Tag gewünscht.

„Ja!“, antwortete Georg bestimmt: „Doch sag erst, sind meine Geschwister bei euch?“

„Leider nein!“, antwortete Knut und wollte gerade weiterreiten.

Georg war traurig und saß zusammengesunken in seinem Sattel. Doch dann riss er sich zusammen und rief: „Knut!“

„Ja?“

„Wo reitet ihr hin?“

„Nach Weidenstein!“

„Warum?“

„Weil schreckliche Gestalten unsere Gegend heimsuchen, morden, zerstören und brennen! Schreckliche Dämonen mit Knochenschädeln! Sie sind nicht nur einmal gesehen worden! Komm lieber mit uns, Junge!“

Georg zog jetzt die Knochenmaske aus einem Sack und rief: „Die da?“

„Ja! Wie hast du? Wie bist du?“

Bevor Knut weiterfragen konnte, zog er den abgetrennten Kopf aus dem anderen Sack: „Und schaut, wer in diesem Schädel steckt!“

Knut blieb der Mund offen stehen. Die vorderen Karren hielten an. Die hinteren wunderten sich, was los ist. Vorne schaute alles.

Knut schloss den Mund wieder und als Erstes entwich ihm ein kräftiges „Donnerlüttchen!“.

Georg rief jetzt laut: „Es stecken die Krieger von Tar unter den Knochenmasken!

Der alte Feind. Sie haben uns erschreckt wie kleine Kinder!“

Und Knut wieder: „Donnerlüttchen!“ Nach einer Weile rief der Großbauer: „Das müssen alle sehen!“

Darauf Georg: „Das ist meine Mission!“

Nun ritten sie die Wagenkolonne entlang, Knut voraus, immer wieder rufend: „Es sind die Krieger von Tar! Alles nur Maskerade!“

Georg ritt hinterher und hielt seine Beweise hoch. Man konnte es im Vorbeireiten sehen, fühlen und greifen, wie die Furcht schmolz und Zuversicht und Entschlossenheit die Menschen ergriffen.

Beim Ritt wieder an die Spitze des Zuges sah er die kleine Sina neben einer Kutsche herlaufen. Er verstaute den Schädel und den Schopf gründlich wieder in den Säcken, saß ab und ging auf sie zu.

„Sina!“, rief er.

Sie erkannte ihn und rannte freudestrahlend auf ihn zu. Er hielt ihr die Puppe hin.

„Puppi, Puppi!“, rief sie freudestrahlend und riss ihm die Puppe geradezu aus der Hand. Nur um Georg dann in die ausgestreckten Arme zu springen und ihn überschwänglich zu begrüßen.

Georg erwiderte ihre Umarmung und dachte sich: „Wie wundervoll es in diesen garstigen Zeiten doch ist, von einem Menschen so offen, rein und unbefangen die Zuneigung durch eine so herzliche Umarmung gezeigt zu bekommen!“, ihm wurde sogleich etwas wärmer ums Herz.

Knut gab ein Zeichen und die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung. Er hatte einen guten Platz zum Rasten erspäht, und da der Abend schon graute, beschlossen, ihn zu nutzen. Es gab saftiges Gras für die Pferde und einen kleinen Fluss als Tränke. Georg ging langsam zum Pferd, als ihn eine bekannte Stimme rief.

„Georg“, rief sie, „bleib doch über Nacht bei uns!“ und „Ich mache zur Rast rübanischen Rübeneintopf! Du bist herzlich eingeladen!“

Es war Sinas Mutter Helene, Nachbarin vom elterlichen Hof, gute Freundin der Familie. Georg kannte sie von klein auf. Er überlegte einen Moment. Bis zur Nacht würde er eh nicht mehr sehr weit kommen und müsste dann sowieso rasten, also beschloss er zu bleiben.

Inzwischen hatten die anderen die Pferde ausgespannt, die Wagen zu einer Wagenburg zusammengeschoben und Knut Wachen eingeteilt. Also sattelte Georg das Pferd ab und ließ es mit den anderen grasen. Die Zeit bis zum Essen vertrieb er sich damit, mit Sina zu spielen. Dann stieg ihm der würzige Duft des deftigen Eintopfs in die Nase. Voller Vorfreude lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

„Das wird mir guttun!“, dachte er sich. Aber dann fiel ihm etwas ein. Er ging zur Bäuerin und sagte schuldbewusst: „Leni.“

Die schaute und fragte: „Ja?“

„Ich habe ungefragt etwas von euren Vorräten mitgenommen, als ich bei eurem Hof vorbeigekommen bin!“

Helene lachte.

„Ich ersetze es auch, sobald ich die Möglichkeit dazu habe!“

Helene lachte laut, nahm ihn in den Arm und sagte: „Ach mein lieber Junge, dass du dir darüber Gedanken machst. Es war keiner da, den du fragen konntest, du brauchtest sie dringend und unsere Familien sind so lange befreundet, behalte sie vom Herzen!“

Sie schaute ihn liebevoll an und sprach weiter mit sanfter Stimme: „Du hast Sina die Puppe gebracht und uns allen Hoffnung! Das ist viel mehr wert!“, und noch sanfter: „Du kannst bei uns bleiben, solange du willst! Das weißt du hoffentlich!“

Georg war tief berührt und durchaus versucht! Das Essen war wie erwartet reichhaltig und lecker! Satt und zufrieden kletterte er auf den Wagen und suchte sich einen Platz zum Schlafen.

Die Nacht war ruhig, das Lager weich und die Decke warm! Georg wachte ausgeruht auf und stieg von der Kutsche. Die Sonne küsste gerade den Horizont und das Gras war noch taubedeckt. Er sprang mit nackten Füßen hinein, um sich waschen zu gehen. Es war zugleich angenehm, aber auch arschkalt! Georg war schlagartig hellwach. Den Rest erledigte das kalte Flusswasser für die Katzenwäsche! Zurück am Wagen zog er sich gerade an und sattelte sein Pferd, als Knut zu ihm kam.

„Willst du wirklich gehen?“, fragte der.

„Ja!“, antwortete Georg entschlossen.

„Dann habe ich etwas für dich! Mein bestes Packpferd will ich dir schenken!“

Georg wollte gerade etwas sagen, doch Knut unterbrach ihn: „Das ist das Mindeste, was ich für einen so tapferen Jungen tun kann!“