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Wenn ein Verrat dich zerstört – kannst du jemals wieder vertrauen? Hannah ist am Boden zerstört, als sie sich entscheidet, einen Neuanfang zu wagen. Das vergangene Jahr hat sie vor allem eines gelehrt: man kann niemandem trauen. Nicht einmal seinen besten Freunden. Obwohl sie sich vornimmt, keinen an sich heranzulassen, ist sie bereits am allerersten Tag auf Hilfe angewiesen. Als sie sich dann auch noch gezwungen sieht, in eine große WG zu ziehen, werden ihre Vorsätze auf eine harte Probe gestellt. Wäre da bloß nicht Chris, der fröhliche Mann mit den grünen Augen, der sie viel zu intensiv mustert … Chris ist mit sich selbst im Reinen. Er liebt sein Leben, seine Freunde, sein Studium. Selbst sein Single-Status ist ihm nur recht. Als ihm eines Tages die zugeknöpfte Hannah praktisch vors Auto springt, weckt sie sein Interesse. Je abweisender sie wird, desto wilder entschlossen ist er, sie kennenzulernen. Aber Hannah hat ein dunkles Geheimnis, das alles zu überschatten droht. Ob das gut gehen kann? Was ist wichtiger? Vertrauen oder die Wahrheit? Kann das eine ohne dem anderen überhaupt bestehen?
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Ein Hauch von Hoffnung: Hannah & Chris
Emma S. Rose
1. Auflage
August 2020
© Emma S. Rose
Rogue Books, Inh. Carolin Veiland, Franz - Mehring - Str. 70, 08058 Zwickau
Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von Nadi Spasibenko
Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten.
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
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Sämtliche Figuren und Orte in der Geschichte sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit bestehenden Personen und Orten entspringen dem Zufall und sind nicht von der Autorin beabsichtigt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Für eine ganz bestimmte WhatsApp-Gruppe. Mit euch ist dieser Job gar nicht mehr einsam und die Motivation doppelt so groß.
Danke!
Liebe siegt immer.
DON BOSCO
Playlist
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Epilog
Danksagung
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Über den Autor
Too Good At Goodbyes - Sam Smith
Birds (feat. Elisa) - Imagine Dragons
Control - Zoe Wees
My Mistake - Gabrielle Aplin
No Sound but the Wind - Acoustic Hits
Antisocial - Ed Sheeran, Travis Scott
Dancing On My Own - Calum Scott
Lonely Together - Sofia Karlsberg
Hear Me Tonight - Alok, THRDL!FE
Head Above Water - Avril Lavigne
Someone You Loved - Lewis Capaldi
Already Gone - Sleeping At Last
No Matter What - Calum Scott
Made to Love You - Dan Owen
Neuanfänge können richtig spannend sein … am Arsch.
Aufgebracht sitze ich da und starre auf meine Tankanzeige. Dieses verfluchte, unzuverlässige Mistding! Gereizt schlage ich mit flachen Händen gegen das Lenkrad – und zucke schrecklich zusammen, weil ich dabei versehentlich die Hupe betätige. Jepp. Macht Spaß, sich selbst und den gesamten Umkreis aufzuwecken. Auch wenn sich in meinem besagten Umkreis wahrscheinlich nur ein paar Hasen, Rehe oder was auch immer befinden. Ich weiß es nicht genau, weil ich mich mitten auf einer Landstraße befinde, umringt von Feldern und einem Wald rechts von mir. Keine Menschenseele. Keine vorbeifahrenden Autos. Nichts und niemand, der mich in meinem Elend sehen oder womöglich retten könnte. Ich fühle mich wie der letzte Mensch auf Erden, und dann noch einer, der zu dämlich war, seine Tankfüllung im Blick zu behalten.
Großartig. Ganz, ganz großartig.
Jetzt bin ich also tatsächlich liegen geblieben. Vielleicht zehn Kilometer vor meinem eigentlichen Ziel, in der Abenddämmerung – und, Überraschung, ohne Reservekanister. Der hätte nicht auch noch in den Kofferraum gepasst. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, ob ich so etwas überhaupt besitze.
Gereizt stöhne ich auf. Und jetzt? Der Tag war lang. Ich habe mich früh ins Auto gesetzt, um die knapp tausend Kilometer auch zu schaffen. Ich musste meinen Eltern versprechen, eine Pause einzulegen, wenn ich zu müde werde, habe es bis auf eine kleine Unterbrechung für die Toilette aber tatsächlich durchgehend geschafft. Es grenzt an pure Ironie, dass nicht mir, sondern dem Wagen zuerst die Energie ausgegangen ist.
Wenigstens stehe ich nicht mitten auf der Straße. Ich war geistesgegenwärtig genug, auf den Seitenstreifen zu lenken, als ich bemerkt habe, dass etwas nicht stimmt. Mit dem letzten Schwung, den ich noch hatte, konnte ich mich aus dem Weg manövrieren, bin dabei sogar beinahe zu weit gefahren. Zum Glück konnte ich im letzten Moment auf die Bremsen treten und verhindern, dass der leere Tank mein kleinstes Problem wird. Dann bin ich also ganz klassisch liegen geblieben. Etwas von der großen Liste an Dingen, die man definitiv nicht erlebt haben muss, die sich aber unweigerlich trotzdem aufdrängen.
Welche Optionen bleiben mir? Mein erster Gedanke ist natürlich, meine Eltern anzurufen. Diese Aussicht ist mir allerdings viel zu peinlich. Ganz abgesehen davon, dass sie sowieso nichts für mich tun können, solange das Beamen noch nicht erfunden wurde, will ich ihnen keinen Grund liefern, dass sie doch noch an ihren Sorgen ersticken. Sie waren gar nicht begeistert von der Idee, dass ich hierherziehe. Scheinbar fällt es ihnen schwer, zu glauben, dass ihr Nesthäkchen erwachsen geworden ist. Überraschung. So etwas geschieht, wenn man einen Schulabschluss in der Tasche hat.
Oder wenn man durch die Scheiße waten musste – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ach verdammt. Ehrlicherweise würde ich mich in diesem Moment nur zu gerne ihren Vorhaltungen stellen, wenn mein Papa dafür kommen und mich einfach aus meiner Lage retten könnte. Mir wird das erste Mal so richtig bewusst, welchen unwiderruflichen Schritt ich fort vom heimischen Nest getan habe. Nein, ich kann meine Eltern nicht einfach anrufen, damit sie mir Sprit bringen oder mich abschleppen. Mir bleibt keine Wahl, ich muss alleine dadurch, muss meine Probleme selbst klären, muss eine Lösung finden. Erfüllt von dieser Erkenntnis, könnte ich mich kaum verlassener fühlen als in diesem Moment. Dabei waren die letzten Monate schon extrem lehrreich, was den Punkt Einsamkeit betrifft.
Seufzend sinke ich mit der Stirn auf das Lenkrad und versuche, nicht durchzudrehen oder mich von all der Anspannung verschlingen zu lassen. Stattdessen fokussiere ich mich darauf, was ich nun tun kann. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die nicht mit meiner Familie zu tun haben.
Erstens: Ich rufe einen Abschleppdienst. Ziemlich peinliche Alternative, wenn man bedenkt, dass es lediglich um einen leeren Tank geht, aber auf jeden Fall eine Lösung.
Zweitens: Ich mache mich zu Fuß auf den Weg Richtung Waldstädt. Laut Navi ist es nicht mehr allzu weit, das sollte ich also hinkriegen. Vielleicht kommt unterwegs ja sogar eine Tankstelle, bei der ich einen Ersatzkanister kaufen kann. Mit dem könnte ich dann zurückmarschieren und die letzten Kilometer doch noch hinter mich bringen, ehe dieser unsägliche Tag verstrichen ist.
Oder drittens …
Etwas Helles taucht hinter mir auf. Mir wird sofort klar, dass es herannahende Scheinwerfer sein müssen. Ohne darüber nachzudenken, taste ich nach meinem Gurt, löse ihn fahrig und reiße die Tür auf. Eventuell ist es ein bisschen lebensmüde, aber ich springe auf die Straße, greife verzweifelt nach dem einen Strohhalm, der sich mir bietet. Zwar riskiere ich, überfahren zu werden – doch was soll’s. Ich schreie relativ dramatisch »Stehen bleiben« und wedle mit den Armen, um auf mich aufmerksam zu machen. Das herannahende Auto wird langsamer, während ich wie eine Irre mitten auf der Straße stehend winke, rollt aus … und erst dann setzt mein Verstand ein.
Super. Der Abschleppdienst war mir zu peinlich. Mich vor einem Fremden zum Affen zu machen und zu riskieren, dass ich überfahren werde, war mir aber recht. Was stimmt eigentlich nicht mit mir?
Gerade, als mir der Gedanke kommt, dass ich soeben womöglich einen Serienmörder angehalten haben könnte, der meinen leeren Tank zu einer Lappalie schrumpfen lässt, parkt das Auto schon direkt hinter meinem. Natürlich habe ich nicht das Glück, eine gütige alte Dame oder von mir aus auch eine Hausfrau angehalten zu haben, nein. Das Auto ist pickepackevoll mit mindestens fünf Personen, und trotz der einsetzenden Dämmerung und der Tatsache, dass ich von den Scheinwerfern geblendet werde, erkenne ich, dass sie alle etwa in meinem Alter sein dürften, vielleicht ein bisschen älter.
Großartig. Ob es helfen würde, mich einfach im Auto zu verkriechen und so zu tun, als wäre all das nicht passiert? Würden sie dann wieder fahren?
Vermutlich nicht.
Mein Puls verdoppelt sich also, mein Stresspegel schießt in die Höhe, während ich zusehe, wie die Leute im Auto sich offenbar beraten. Insbesondere die auf der Rückbank scheinen ihren Spaß zu haben. Na toll. Ob sie sich wohl gerade über mich lustig machen? Ich wage mal, zu behaupten, dass sich hier nicht allzu oft Fremde lebensmüde vor herannahende Autos werfen. Wahrscheinlich habe ich ihnen damit also gerade den Abend versüßt.
Seufzend verschränke ich die Arme vor der Brust und warte ab, ob sich die Insassen dazu durchringen können, auszusteigen. Oder sollte ich vielleicht rüber laufen ...?
Ehe ich mich entschieden habe, scheint der Fahrer einen Entschluss zu fassen. Seine Tür wird aufgestoßen – und passend untermalt von einem heulenden Geräusch irgendwo aus dem Wald, das mir einen Heidenschreck einjagt, steigt ein Kerl aus, der in mir den Wunsch erweckt, doch die Variante mit dem Abschleppdienst bevorzugt zu haben.
Verdammt.
Als allererstes sehe ich ein hinreißendes Grinsen, mit Grübchen und allem drum und dran. Augenblicklich scheint bei mir eine Sicherung durchzubrennen, ich gerate beinahe ins Stolpern, obwohl ich sicher auf beiden Füßen stehe und fest davon ausgehe, dass hier gerade nicht zufällig ein Erdbeben den Boden erschüttert hat. Dann nehme ich wuscheliges, blondes Haar wahr, das dem Kerl in die Stirn fällt. Und er ist groß. Ja, auch das wird mir klar, während ich ihn in wenigen Sekundenbruchteilen in eine Schublade stecke.
Und zwar in die des Players. Kerle, die sich ihres eigenen Aussehens mehr als bewusst sind und verdammt gerne damit spielen. Auf gut Deutsch: Ganz und gar nicht mein Geschmack.
Meine Miene verhärtete sich, während der Kerl einen Schritt näher kommt. »Hey. Können wir dir irgendwie helfen?«
Ich beiße kurz die Zähne zusammen, weil mir ein dummer Spruch auf den Lippen liegt. Etwas in der Art von »Na ja, eigentlich werfe ich mich nur aus purer Langeweile vor Autos, um sie dann grinsend vorbeizuwinken«. Doch dann atme ich tief durch, löse meine Arme und deute vage auf das verräterische Mistding hinter mir. »Kommt ganz darauf an.«
Der Kerl scheint die ganze Situation eher witzig zu finden. Zumindest zucken seine Mundwinkel in die Höhe, und ich sehe, wie sich das Funkeln in seinen Augen vertieft. Augen, deren Farbe ich nicht richtig einordnen kann – nicht, dass es eine große Rolle spielen sollte. »Worauf denn?«, hakt er nach, und jetzt ist es offiziell. Er findet die ganze Angelegenheit zum Schießen.
Ich seufze auf. »Von meiner eigenen Dummheit wirst du mich nicht befreien können, aber, äh …« Ich beiße erneut die Zähne zusammen, aber durch Herumdrucksen komme ich auch nicht voran. Was soll’s, blamiere ich mich eben vor dem Unbekannten, der mich eh nicht zu interessieren hat. » … möglicherweise ist mir der Sprit ausgegangen. Wenn ihr also zufälligerweise einen Reservekanister voller Diesel dabei habt oder wahlweise die Möglichkeit, mich zur nächsten Tankstelle mitzunehmen, wäre ich wirklich dankbar.«
Die Worte sind draußen. Meine Brust hebt und senkt sich schwer unter der Last des Eingeständnisses, mein Gesicht fühlt sich an, als hätte ich es einmal in den Kamin meiner Eltern gesteckt, und der Drang, mich doch im Auto zu verstecken, wird praktisch übermächtig.
Interessanterweise lacht der Typ mich jedoch nicht aus, im Gegenteil. Ich bilde mir ein, Mitgefühl in seiner Miene zu lesen.
»Oh je. Mit einem Reservekanister kann ich nicht weiterhelfen, aber tatsächlich gibt es ein paar Kilometer weiter eine kleine Tankstelle. Wir können dich gerne mitnehmen …« Er wendet sich um, und offenbar scheint er erst in diesem Moment zu bemerken, dass sein Auto ja bereits rappelvoll ist. Er kratzt sich am Kopf, während er mir einen verlegenen Blick zuwirft. »Warte kurz.«
Mit trockener Kehle sehe ich zu, wie er zum Auto zurück trabt, seinen Kopf in den Wagen steckt, und kurz darauf steigt der Beifahrer aus. Mit extrem mürrischer Miene, muss ich hinzufügen.
»Hey«, rufe ich schwach und winke ihm zu, doch er würdigt mich nicht eines Blickes. Stattdessen höre ich ihn gereizt murren.
»Warum muss ich hier bleiben, Mann? Lass doch eines der Mädchen hier. Ich fasse es nicht! Das verstößt ganz sicher gegen einen Bro-Codex.«
»Halt die Klappe, Ryan.« Der Fahrer fährt ihm lachend über den Mund. »Es geht doch schnell. Ehe du in den Graben gepinkelt hast, sind wir schon wieder da.« Dann wendet er sich mir zu und winkt mich heran. »Komm mit, Gestrandete. Wir besorgen dir Sprit.«
Habe ich erwähnt, dass meine Wangen brennen? Und dass es überhaupt eine extrem beschissene Idee ist, zu Fremden ins Auto zu steigen? Zugegeben, der Umstand, dass es mehrere junge Leute sind, mildert meine Sorgen, einem Psychopathen in die Hände zu fallen, zumindest in einem gewissen Rahmen. Aber mulmig ist mir trotzdem, als ich unter dem aufmerksamen Blick des Blondies zu seiner Beifahrerseite schlurfe und in ein komplett fremdes Auto steige. Ach, und der besagte Ryan sieht mich nun doch an: Mörderisch trifft es wohl am ehesten.
Ganz genau so habe ich mir den Tag vorgestellt. Nicht.
»Hallo Leute«, presse ich hervor, sobald ich sitze. Ich wage es nicht einmal, mich umzudrehen. »Entschuldigt bitte die Umstände.«
»Ach, hör auf. Du brauchst Hilfe.« Das kommt von dem Blonden, der soeben neben mir ins Auto gestiegen ist. Im selben Moment ertönen von hinten verschiedene Begrüßungen, allesamt weiblich.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragt der Kerl, während er den Motor startet und damit meinen Wagen und den angefressen wirkenden Ryan hinter sich lässt.
»Wie heißt denn du?«, gebe ich zurück, ehe ich nachdenken kann, was mir zumindest ein mehrstimmiges Gelächter von hinten beschwert.
Der Blonde wirft mir einen blitzschnellen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. Lang genug, damit ich seine Belustigung wahrnehmen kann. Außerdem bin ich nun beinahe sicher, dass seine Augen grün sind. Grün! Es wird immer schlimmer. »Ich bin Chris, und das da sind Lisa, Trix und Mariella.«
Nun werfe ich doch einen kurzen Blick nach hinten. Irgendwie habe ich damit gerechnet, Barbies zu entdecken, die mich mit einer Mischung aus Ekel und Ablehnung mustern. Interessanterweise sieht es ganz anders aus. Keine Ahnung, wer von den dreien wer ist, aber mein erster Eindruck ist durchaus sympathisch. Verärgert über mich selbst, weil ich so selbstgerecht mit Fremden ins Gericht gehe, die mir doch nur helfen wollen, lächle ich sie angestrengt an.
»Ich bin Hannah.« Seufzend kneife ich die Augen zusammen, während ich mich wieder nach vorne drehe. »Und verdammt froh, dass ihr mir helft. Bei meinem Glück hätte ich mich auf dem Weg zur Tankstelle ja doch nur verlaufen.«
»Das glaube ich kaum, Hannah«, erwidert Chris. Seine Worte werden mit dem klackenden Geräusch des Blinkers untermalt – denn jepp, wir haben die Tankstelle bereits erreicht. Direkt an der Straße. Selbst für mich nicht zu verfehlen und definitiv fußläufig erreichbar. Dennoch bin ich froh, dass sie mich mitgenommen haben.
Chris fährt direkt vor das kleine, klapprig wirkende Häuschen, in dem sich die Kasse und ein kleiner Shop befinden. Etwas seltsam mutet sie an, eine kleine Festung im Nirgendwo, eingerahmt von dem Waldsaum, der sich der Straße deutlich angenähert hat. Noch ehe ich mich wieder abgeschnallt habe, ist Chris bereits nach draußen gesprungen und umrundet den Wagen.
Ich blicke ihn mit gerunzelter Stirn an, als er die Tür aufreißt. »Was wird das?«
Er erwidert meinen Blick unschuldig. »Wovon redest du?«
»Na ja.« Ich klettere so anmutig wie möglich aus seinem Auto. »Ich denke, von hier aus komme ich alleine zurecht. Vielen Dank.«
Chris lacht auf. »Was denn? Glaubst du etwa, jetzt lassen wir dich stehen? Ryan wartet bei deinem Auto, schon vergessen?«
Ach ja, das. Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm mir das Ganze ist. Chris begleitet mich aus welchen Gründen auch immer in die Tankstelle. Unter seinen Argusaugen zahle ich einen Reservekanister voller Diesel, fülle das Ding mit dem notwendigen Kraftstoff und lasse zu, dass er ihn höchstpersönlich ins Auto hebt. Offenbar scheint er mir nicht allzu viel zuzutrauen. Ehrlicherweise kann ich es ihm nicht einmal verübeln. Wer schafft es schon, seine Tankfüllung nicht im Blick zu behalten? Wenige Kilometer vor der nächsten Tankstelle abgesoffen. Ehrlich. So ein Pech kann auch nur ich haben.
Die Rückfahrt zu meinem Wagen vergeht schnell. Die Mädchen auf der Rückbank unterhalten sich miteinander, ich bekomme in dem Durcheinander nicht viel mit, aber es scheint um irgendwelche Typen zu gehen – inklusive dem Grummeligen, den wir bei meinem Auto zurückgelassen haben. Obwohl ich es nicht will, spitze ich die Ohren, aber die vielen verschiedenen Namen, mit denen die Mädchen um sich werfen, verwirren mich mehr als alles andere, also gebe ich schnell wieder auf. Insgesamt kommt mir die ganze Situation extrem surreal vor. Ich kann es kaum noch erwarten, wieder alleine zu sein, mich zu sortieren – und todesmüde in mein Bett zu fallen, sofern ich es denn endlich bezogen habe. Die Erschöpfung beginnt ernsthaft an mir zu nagen.
»Danke«, wende ich mich Chris zu, als mein Auto in Sichtweite kommt. »Ehrlich, ihr habt mir den Abend gerettet.«
»Kein Problem«, erwidert er. Es klingt aufrichtig. In diesem Moment wird mir bewusst, dass er sich nicht eine Sekunde lang über mich lustig gemacht hat, abgesehen von diesem einen Moment zu Beginn, wo er amüsiert wirkte. Nicht im Geringsten. Dafür, dass ich eine Fremde bin, hat er sich wirklich tadellos verhalten. »Hast du es denn noch weit?«
Ich atme tief durch. »Nein, ehrlich gesagt habe ich mein Ziel fast erreicht. Ich versuche, das nicht als Omen zu werten.«
»Oh.« Er blickt mich überrascht an. »Willst du etwa nach Waldstädt?«
Ich brumme. »Ja, genau.«
Es wird plötzlich still, als er den Motor abstellt. Dann wendet er sich mir lächelnd zu. Neugierde steht ihm ins Gesicht geschrieben. »Sonderlich gesprächig bist du ja nicht, hm? Was treibt dich ausgerechnet hierher?«
Augenblicklich schrillen sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf los. Logisch betrachtet gibt es keinen Grund dazu. Er ist einfach ein Kerl, der mir bei einem Problem geholfen hat, und jetzt betreibt er Smalltalk. Andererseits fällt mir auf, dass es auch hinten verdächtig ruhig geworden ist. Sie alle scheinen auf meine Antwort zu warten. Noch während ich überlege, ob ich ihnen eine schuldig bin oder nicht, wird die Beifahrertür aufgerissen, und niemand anderes als Ryan steht neben mir. Mit ungeduldiger Miene und hochgezogener Augenbraue deutet er auf meinen Platz.
»Was geht? Seid ihr fertig? Kann ich wieder einsteigen, Mann? Es wird verdammt kalt!«
Ich nutze die Unterbrechung als Möglichkeit, mich von dem Grüppchen loszueisen. In Windeseile löse ich den Gurt, schnappe den Kanister, der brav zwischen meinen Beinen gestanden hat, und springe aus dem Wagen, ehe noch einer etwas sagen kann.
»Vielen, vielen Dank für eure Hilfe. Damit habt ihr auf dem Karmakonto einige Punkte gut gemacht!« Mein Blick wandert zu Ryan. »Sorry für die Umstände. Ich bin schon weg.«
Seine grummelige Ungeduld spielt mir in die Karten: Er nimmt meinen Platz ein, ehe Chris oder die Mädels noch irgendwas sagen können. Ich versuche, ganz die abgeklärte, aber dankbare junge Frau zu sein, nach der ich mich ganz und gar nicht fühle und winke der Besatzung des Autos zu, ehe ich mich abwende. Hoffentlich steigt keiner aus – und damit meine ich insbesondere Chris.
Ehrlich gesagt würde ich nämlich sehr gerne alleine herausfinden, wie ich meinen Wagen mit dem Sprit betanke, um dann auch noch das letzte Stück hinter mich zu bringen. Inklusive eines weiteren Zwischenstopps bei der Tankstelle, die noch etwa eine Stunde geöffnet hat. Mein Bedarf an sozialer Interaktion ist definitiv gedeckt, und das auch noch für die nächsten Tage. Erstaunlich, wie schnell man sich von einem aufgeweckten Mädchen in einen Einsiedlerkrebs verwandeln kann. Hallo, ich bin Hannah und der lebende Beweis dafür.
Ein letztes Mal begegne ich Chris' Blick. Er wirkt nachdenklich und nicht zufrieden mit der Entwicklung, aber schließlich nickt er mir zu, und als kurz darauf der Motor seines Wagens anspringt, atme ich erleichtert aus.
Sie fahren davon. Während ich den kleiner werdenden Lichtern hinterherstarre, frage ich mich, wie unfreundlich ich mich nun verhalten habe, auf einer Skala von eins bis »undankbares Miststück«. Dann zucke ich schließlich mit den Schultern und widme mich meiner neuesten Aufgabe.
Neuanfänge können richtig spannend sein. Jepp. Man lernt auf jeden Fall eine Menge dazu. Zum Beispiel, wie man Sprit aus einem Reservekanister in den Tank füllt, ohne sich dabei komplett vollzusauen.
Etwas von der Liste an Dingen, die man mal getan haben muss? Vielleicht. So oder so kann ich diesen Punkt getrost abhaken.
»… und dann hat er mich einfach am Feld zurückgelassen. Kannst du dir das vorstellen?«
Langsam geht mir Ryans Gelaber auf die Nerven. Vor allem, weil er heillos übertreibt. Normalerweise ist er nicht der Kerl, der wegen so einer Nummer ein derart riesiges Fass aufmacht. Unter anderen Umständen hätte er sogar selbst beschlossen, dem Mädel zu helfen. Hätte nicht mit der Wimper gezuckt, nicht eine Sekunde gezögert und auch mich dafür stehen gelassen. Aber ich gebe zu, dass er heute einen schlechten Tag hat. Vielleicht sogar eine schlechte Woche. Verdammt, seit seine Ex ihn verlassen hat, ist er grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Also von mir aus soll er sich darüber aufregen. Wenn er die Geschichte als Story nutzt, um Aufmerksamkeit zu generieren und mich durch den Kakao zu ziehen, ist mir das tausend Mal lieber als seine griesgrämige Laune zuvor. Was jedoch nichts daran ändert, dass ich meine Augen verdrehe, als er wieder damit anfängt.
Jemand prostet mir zu, einer von Ryans Kollegen aus dem Labor. Er wirkt nicht gerade so, als würde es ihm leidtun, dass Ryan zehn Minuten in der Dämmerung stehen und auf uns warten musste. Grinsend hebe ich mein Bier, dann trinken wir auf sein traumatisches Erlebnis.
»Irgendwann wirst du drüber hinwegkommen, Mann. Versprochen«, erkläre ich meinem besten Kumpel grinsend, ehe ich weiterwandere, die Finger am kühlen Flaschenhals und auf der Suche nach Mariella. Sie ist die Königin, was Klatsch und Tratsch in unserer beschaulichen Stadt angeht, und ich bin mir sicher, dass sie bereits all ihre Quellen angezapft hat, um herauszufinden, wer diese mysteriöse Hannah sein könnte, die ganz offensichtlich hierhergezogen ist. Oder es zumindest versucht hat, ehe ihr vollgestopfter Wagen kurz vorher den Geist aufgeben musste.
Meine Mundwinkel zucken in die Höhe. Die Arme. Scheint nicht den besten Start gehabt zu haben. Hoffentlich betrachtet sie das nicht als Omen.
Die WG ist bis zum Bersten gefüllt. Angeblich haben hier mal katholische Schüler gelebt. Das muss wirklich angenehm für die Nachbarn gewesen sein. Seit Mariella, Lisa, Trix, Ryan und Mike hier leben, ist ordentlich Leben in die Bude gekommen, so viel steht fest. Wie heute, zum Beispiel. Mike hat Geburtstag, und er fand, dass es der perfekte Anlass wäre, mal wieder eine der legendären WG-Partys steigen zu lassen. Von denen gibt es unterhalb des Semesters einige. Normalerweise wäre es dann sogar noch viel voller. Da die Vorlesungen erst übernächste Woche starten, ist es noch relativ ruhig in unserem kleinen Städtchen. Die meisten kommen erst am nächsten Wochenende zurück. Wir haben versucht, Mike davon zu überzeugen, die Party zu verschieben, doch dahingehend ist er wie ein kleines Kind. Hat er sich etwas in den Kopf gesetzt, will er es unbedingt haben.
In dem Fall eine Geburtstagsparty, die sich gewaschen hat.
Man kann seinen Mitbewohnern jedenfalls vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie füreinander sorgen. Wer hier wohnt, hat es gut. Die Truppe hält zusammen wie Pech und Schwefel. Dass Jan zu Beginn der Semesterferien ausgezogen ist, hat ein Loch hinterlassen. Ich weiß, dass den anderen nur recht wäre, wenn ich sein Zimmer bezöge, aber so sehr ich den Haufen auch mag, bin ich doch froh, wenn ich mich ab und zu in meine eigene Wohnung zurückziehen kann. Auch wenn die, im Vergleich zur WG, die Dimensionen eines Schuhkartons hat.
»Ah, Chris, der edle Retter!« Trix fällt mir wie aus dem Nichts um den Hals. Sie ist schon ziemlich angetrunken, was bei ihr aber nicht unbedingt etwas zu bedeuten hat. Trix muss nur ein Glas Sekt trinken und tanzt auf den Tischen. An anderen Abenden wiederum könnte ich ihr eine Flasche Wodka einflössen und sie würde mich noch im Kopfrechnen schlagen. Diese Frau ist ein Mysterium auf zwei Beinen.
»Hör auf. Du hättest es doch auch getan«, gebe ich grinsend zurück. Dann verwuschle ich ihr kurzes Haar. Sie funkelt mich gespielt wütend an, erinnert mich dabei aber immer noch an einen Dackel. Also ziehe ich auch noch sanft an ihrem baumelnden Ohrring, woraufhin sie mir die Hand wegschlägt. Meine Augenbrauen wandern in die Höhe.
»Vielleicht«, murmelt sie verschlagen. »Wenn es ein sexy Kerl gewesen wäre. Ich stehe ja nicht auf Frauen, wie du weißt.«
Das betont sie jedes Mal, vermutlich, um von den Gerüchten abzulenken, sie hätte letztes Jahr auf einer Party mit einer Kommilitonin herumgemacht. Wir alle haben schon versucht, ihr durch die Blume zu sagen, dass sie die Gerüchte dadurch eher noch verfestigt, aber in diesem Punkt stellt sie auf stur. Also lasse ich es ihr einfach durchgehen. »Denkst du, nur deshalb habe ich angehalten? Du hast zwei Augen im Kopf, oder? Das Mädel ist uns fast ins Auto gesprungen. Mir blieb gar keine andere Wahl.«
»Ja, ja.« Trix klopft mir auf die Schulter. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie sich über mich lustig macht. »Wie auch immer. Mariella fragt nach dir. Sie ist in der Küche.«
»Ah, das trifft sich gut. Ich suche sie auch.« Augenblicklich mache ich mich auf den Weg in den besagten Raum. Unterwegs schlängle ich mich an einem Pärchen vorbei, das mitten im Flur herumknutscht. Meine Mundwinkel zucken grimmig in die Höhe, als ich erkenne, dass ich mit dem Mädel im letzten Semester auch schon so weit war. Ich wünsche dem Kerl mehr Glück als mir.
Die Küche ist riesig, wird beherrscht von einem massiven Eichentisch, an dem wir schon einige Abende verbracht, zusammen gegessen, getrunken oder Spiele gespielt haben. Zahlreiche Dellen und Kratzer sprechen von einer sehr lebendigen Geschichte. Irgendwie hat sich jeder von uns schon in der Platte verewigt. Heute finden sich dort die besonders Wagemutigen ein, um ein eher gefährliches Kartenspiel zu spielen, bei dem es letztlich nur darum geht, möglichst schnell betrunken zu werden. Als Ersti habe ich so etwas auch gemacht. Nun, ein Jahr später, weiß ich es normalerweise besser. Die Qualität eines Abends definiert sich nicht über die Höhe des Pegels, sondern über die Länge, die man miterlebt. Und über die Stärke des Katers am nächsten Morgen. Ich würde ja sagen, ich bin bereits vernünftiger und erwachsener geworden, aber eigentlich habe ich lediglich keinen Bock auf die Kopfschmerzen am nächsten Tag. Was jedoch nicht bedeutet, dass auch ich manchmal zu viel trinke. Heute jedoch … eher nicht.
»Ah, da bist du ja!«
Schon kommt Mariella mir entgegen. Ihre Miene ist ganz verschwörerisch und ich weiß sofort, dass sie hat, wonach ich suche. Grinsend lasse ich mich von ihr aus der Küche raus und durch den Flur zerren, erneut vorbei an dem knutschenden Pärchen, das nun Richtung Küche stolpert. Kurz überlege ich, wohin Mariella mit mir will, bis sie auf die durchgesessene Ledercouch sinkt, die neben dem Badezimmer steht. Ich lasse mich ebenfalls nieder und blicke sie stumm an.
Mariella lacht auf. »Meine Quellen sind zuverlässig.«
»Deine Quellen?« Ich stelle mich absichtlich blöd, zumindest für ein paar Sekunden. Dann gebe ich nach. »Okay, schieß los.«
»Eigentlich ist es nur purer Zufall. Du kennst doch Lara, oder?« Als meine Stirn sich fragend in Falten legt, schnaubt Mariella auf. »Ihre Großmutter führt die kleine Pension unweit vom Campus.«
»Ah, die«, murmle ich, obwohl ich immer noch kein Bild vor Augen habe. Aber da es ja auch eigentlich keine Rolle spielt, tue ich einfach so, als wüsste ich Bescheid. Einfacher für beide Parteien.
Mariella redet weiter. »Sie ist hier, du Dummerchen. Jedenfalls hat sie vorhin erzählt, dass sie einen neuen Gast haben.«
Ich blicke Mariella ungerührt an.
Sie seufzt auf. »Einen weiblichen. Mit hellblondem Haar.«
Mir ist längst klar, worauf sie hinaus will, und ich gebe sogar zu, dass die Neuigkeit mich nicht kalt lässt, aber es macht viel zu viel Spaß, Mariella zappeln zu lassen, also lege ich den Kopf schräg. »Und wo ist die Pointe?«
»Mann, Chris!« Sie boxt mir beherzt gegen die Brust.
Lachend reibe ich die schmerzende Stelle. Den Schlag habe ich verdient. Dann zucke ich mit den Schultern. »Alles klar, also scheint Hannah erstmal in der Pension zu wohnen. Ist doch cool.«
»Ja, klar …« Mariellas Stimme verläuft sich, und ich frage mich, was gerade durch ihren Kopf geht. Ehe sie mir das mitteilen kann, fällt ein schwerer Körper wie ein Sandsack auf unsere Schöße. Mariella kreischt auf, mir entkommt ein dumpfes Stöhnen.
»Hey, Leute.« Ryan. Er starrt zu uns hinauf, mit geweiteten Pupillen und … irgendwie locker. Das bemerken wir beide sofort.
»Hau ab, du Mistkerl. Du bist schwer!«, murrt Mariella gereizt, in ihrer Miene lese ich aber pure Erleichterung.
Eigentlich ist Ryan gar nicht so ein grummeliger Idiot. Man kann sogar richtig viel Spaß mit ihm haben. Aber die vergangenen Wochen waren nicht nur für ihn hart. Ich weiß, dass die Mädchen manchmal auf Zehenspitzen um ihn herumgeschlichen sind. Mike hat sich sogar einmal beinahe eine gefangen, weil er keine Rücksicht auf Ryans Laune nehmen wollte.
Vielleicht … hat es ihm ja gutgetan, eine Weile am Feld zu warten. Selbstisolation, Katharsis oder so etwas in der Art.
»Willst du mir etwa sagen, dass ich fett bin?« Ryan grinst, richtet sich auf – und schon im nächsten Moment fällt seine Miene in sich zusammen. Verdammt. Jede Wette, dass er sich gerade fragt, ob seine Ex ihn deshalb verlassen hat. Weil er zu fett geworden ist. Er. Ich schlage mir mit der flachen Hand vor die Stirn.
Mariella springt leichtfüßig auf. Wie immer versucht sie, die Situation zu retten, ehe sie endgültig kippen kann. »Kommt, Jungs. Wir gehen noch etwas trinken. Und wir sollten einen Blick auf die Leute in der Küche haben. Nicht, dass die es so übertreiben wie beim letzten Mal.«
Beim letzten Mal … gab es hinterher eine Menge zu putzen. Ich wollte mich eigentlich rausziehen, weil es ja nun mal nicht meine WG ist. Aber als bester Freund von Ryan, der sowieso verdammt oft hier ist, blieb mir leider keine andere Wahl. Mariellas Worte sind also Motivation genug, mich ebenfalls zu erheben.
»Wo ist eigentlich das Geburtstagskind?«, wende ich mich Ryan zu, in der Hoffnung, ihn wieder in die Spur zu bringen.
Der zuckt jedoch nur mit den Schultern. »Keine Ahnung, Mann. Im besten Fall in seinem Zimmer. Du weißt schon.«
Das Wackeln seiner Augenbrauen wäre gar nicht nötig gewesen. Gespielt missbilligend schüttle ich den Kopf, ehe ich Richtung Küche deute. »Auf jetzt, Kinder. Lasst uns sicherstellen, dass die Wohnung morgen noch steht.«
»Aye, aye.« Ryan salutiert. Mariella boxt ihm dafür in die Seite. Und ich grinse leise vor mich hin.
Unterwegs begegne ich einem Mädchen, das ich zuerst nicht einordnen kann. Dann wird mir bewusst, dass es Lara ist. Die Pensions-Damen-Enkelin. Wieder wandern meine Gedanken zu dem mysteriösen, zugeknöpften, verunfallten Mädchen. Hannah. Sie wohnt also erstmal in der Pension. Interessant.
Die gute Neuigkeit lautet: Mit der Wahl meiner Unterkunft habe ich richtig gelegen. Am Abend meiner Ankunft war zwar die Besitzerin nicht mehr wach, aber eine junge Frau, die sich als ihre Enkeltochter vorgestellt hat, und die hat mich bereitwillig auf mein Zimmer geführt.
Besagtes Zimmer ist geräumig und sauber, mit eigenem, kleinen Badezimmer, einem riesigen Bett mit kuscheliger Decke und vielen Kissen und einem Schreibtisch, an dem ich locker meine ersten Hausarbeiten fertigstellen könnte. Es gibt sogar einen Wasserkocher und eine Auswahl an Kaffee- und Teebeuteln, außerdem einen bequemen Sessel und einen Fernseher. Im Prinzip alles, was ich brauche, um vorerst zufrieden zu sein.
Jeden Morgen zwischen sieben und halb zehn wird das Frühstück aufgetischt, von Frau Mues liebevoll frisch zubereitet. Pfannkuchen, Rührei, Omelette, selbstgemachte Marmeladen, frisches Brot und Speck. Nachmittags steht immerzu Kuchen bereit, manchmal gibt es auch Muffins oder frische Scones. Wenn ich nicht aufpasse, nehme ich schon in den ersten Tagen jedes Kilo wieder zu, das ich in den vergangenen Monaten abgenommen habe.
Andererseits – wäre das so schlimm? Vermutlich eher nicht.
Die meiste Zeit über ist der Speisesaal verlassen, wenn ich dort auftauche. Manchmal sind ein oder zwei Tische besetzt. Ich glaube nicht, dass die Pension derzeit sonderlich ausgebucht ist, und das trotz der Uninähe. Selbst bis zur Innenstadt ist es gerade mal ein Fußweg von fünfzehn oder zwanzig Minuten. Aber auch wenn die scheinbare Leere für die Besitzerin womöglich weniger gut ist, bin ich geradezu erleichtert über diesen Umstand. Je weniger Menschen um mich herum sind, während ich mich orientieren muss, desto besser.
Die ersten Tage nutze ich, um anzukommen. Das heißt: Ich schlafe aus, was in meinem Fall jedoch selten länger als bis acht Uhr bedeutet, frühstücke schweigsam, aber in Ruhe, und verbringe den Rest des Tages mehr oder weniger auf meinem Zimmer.
Ich weiß, dass ich die Zeit anders nutzen sollte. Zum Beispiel, um mir eine Wohnung zu suchen. Ich bin alleine deshalb schon einige Tage vor Semesterbeginn angereist, weil ich ein paar Besichtigungen vereinbaren wollte. Ich habe sogar einen Stapel Online-Anzeigen ausgedruckt, ehe ich mich auf den Weg gemacht habe. Die liegen jedoch nach wie vor tief in meinem Rucksack vergraben; genau dort, wo ich sie vor meinem Aufbruch deponiert habe.
Der Nachteil daran, wenn es einen so weit weg zieht: Es macht solche Dinge wie das Finden einer Unterkunft zu einem echten Problem. Da es hier ja nicht um irgendeine Lappalie geht, ist mein Stresspegel dementsprechend hoch. Schon merkwürdig, dass ich mich dennoch in einer Art Schockstarre befinde und nicht in der Lage bin, etwas an der Situation zu ändern. Umso dankbarer bin ich, zumindest für den Anfang in dieser netten und dann auch noch bezahlbaren Pension untergekommen zu sein. Auch wenn jeder weitere Tag, den ich ungenutzt verstreichen lasse, mein schlechtes Gewissen anwachsen lässt, spüre ich doch, wie es mir guttut, hier zu entschleunigen. Frau Mues ist herzlich und dennoch zurückhaltend. Sie respektiert, dass ich schweigsam bin, quittiert es mit einem gütigen Lächeln, von dem ich beinahe gewillt bin, es auch ernst zu nehmen. Die letzte Zeit war ziemlich hart. Eine Weile lang einfach nur fort zu sein, untergetaucht und alleine, ist das Beste, was mir hätte passieren können.
Nach einer Weile jedoch beginnen die Wände, auf mich einzurücken. So schön es auch ist, sich verkriechen zu können, ich verschwende wertvolle Zeit. Anstatt mich an mein Umfeld zu gewöhnen, mich umzusehen und ein Gefühl für mein neues Zuhause zu bekommen, versinke ich in Selbstmitleid. So sehr ich auch der Meinung bin, mir das verdient zu haben, wird es Zeit, den Arsch hochzukriegen.
Als ich am Donnerstag ungewöhnlich früh wach werde, beherrscht mich direkt der Gedanke, etwas ändern zu müssen. Natürlich habe ich mir dafür ausgerechnet den einen Tag ausgesucht, an dem es in Strömen regnet. Ob das Rauschen meine Unruhe fokussiert hat? Oder spielt mir der Wettergott einfach nur einen wirklich fiesen Streich?
Nach einem schnellen Frühstück schlüpfe ich in Boots und Regenjacke, schnappe mir meine Handtasche und bin bereit, endlich das zu tun, was ich schon am Sonntag hätte tun sollen. Einen Vorteil hat das Wetter immerhin, ich werde sicherlich nicht auf allzu viele Menschen treffen.
Glaube ich zumindest.
Mit der Kapuze über den Kopf gezogen stapfe ich hinunter ins Erdgeschoss. Am Eingang treffe ich auf Frau Mues, die mich überrascht mustert. »Ausgerechnet heute willst du vor die Tür gehen, Hannah? Sie haben Gewitter vorausgesagt.«
Oh, Mist. Das gehört jetzt nicht gerade zu meinen liebsten Wetterkapriolen. Für einen winzigen Moment gerät mein Entschluss ins Wanken – doch wenn ich jetzt wieder umdrehe, werde ich für immer hier feststecken. Das neue Maskottchen der Pension oder etwas in der Art. Ich muss raus hier, und zwar dringend. Auch wenn es nur für ein Stündchen ist. Anschließend kann ich es mir immer noch im Bett bequem machen. Ich versuche, die Pensionsleiterin so freundlich wie möglich anzulächeln und vor allem nichts von meinen Vorbehalten zu zeigen. Frau Mues ist eine nette alte Dame. Großer Pluspunkt: In den letzten Tagen habe ich herausgefunden, dass sie keine Ahnung von Internet zu haben scheint, weshalb sie in meinen Augen derzeit zu den harmlosesten Menschen auf der Welt gehört. Zumindest überlässt sie alles, was das Buchungssystem und die Homepage betrifft, ihrer Enkelin. »Nur ein kleiner Spaziergang. Ich brauche frische Luft und komme wieder, ehe es zu schlimm wird.«
Zwar bleibt ihre Miene zweifelnd, doch die alte Dame nickt mir zu, ehe sie sich abwendet und mir so den Weg freigibt. Ein letztes Mal atme ich tief durch, inhaliere den Duft nach Lavendel und gebackenen Plätzchen, der das gesamte Erdgeschoss zu beherrschen scheint, dann stoße ich die Eingangstür auf – und stelle meine geistige Gesundheit augenblicklich in Frage.
Es regnet nicht einfach nur, es schüttet. Die Tropfen peitschen beinahe waagerecht durch die Luft und piksen unangenehm in mein Gesicht. Windböen machen das Ganze auch nicht unbedingt besser.
Dennoch, ein Rückzieher ist jetzt nicht drin. Ich zerre die Kapuze noch tiefer, schlinge den Trageriemen meiner Tasche über meinen Kopf und stopfe meine Hände in die Jackentaschen. Die ersten Meter schimpfe ich murrend vor mich hin. Was bringt es, sich seine Umgebung ansehen zu wollen, wenn der Regen einem jegliche Sicht nimmt?
Dann jedoch breitet sich ein neues Gefühl in mir aus. Es braucht eine Weile, bis ich es begreife. Zunächst kann ich mit dem Prickeln wenig anfangen, das sich unaufhörlich einen Weg über meine Wirbelsäule hinauf und hinab bahnt. Meine Kehle wird eng, nur um sich dann zu öffnen, und es ist, als würde sich ein wenig von dem Gewicht lüften, das meine Schultern in den letzten Monaten nach unten gezogen hat. Schlagartig wird mir bewusst, dass ich Erleichterung verspüre. Es tat bereits gut, in eine neue Stadt zu ziehen, aber jetzt, während ich eine verlassene Straße hinab laufe, die mich, wenn mich mein Orientierungssinn nicht trübt, ins Zentrum führen soll, wird mir mit aller Macht bewusst, was mir in den letzten Tagen gefehlt hat.
Frische Luft. Mehr als nur die vier Wände, auf die ich gestarrt habe – oder wahlweise auf Fernseher oder Laptop. Freiheit. Die Möglichkeit, einfach zu laufen, idealerweise ohne Bedürfnis, den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen.
Mein Puls beschleunigt sich, als ich unmittelbar stehenbleibe, den Kopf gen Himmel recke und den prasselnden Regen im Gesicht willkommen heiße. Das Gefühl, lebendig zu sein. Mehr als nur eine Marionette, die sich vor allen versteckt. Es überwältigt mich hinterrücks, aber auf gute Art und Weise.
Ich strecke die Arme langsam aus, drehe mich einmal im Kreis und spüre sogar, wie meine Mundwinkel in die Höhe wandern. Oh, verdammt. Ja. Wahrscheinlich sehe ich gerade ziemlich irre aus, wie ich einfach so auf dem Bürgersteig stehe, irgendwo in einer fremden Stadt, umringt von Mehrfamilienhäusern und geparkten Autos. Zwar befindet sich keine Menschenseele draußen in meiner Nähe, aber wer weiß, wer alles am Fenster klebt und mich beobachtet …
Langsam sinken meine Arme herab. Ich klammere mich an diesem befreienden Gefühl fest, richte meinen Blick aber dennoch wieder zu Boden, verstecke mich in meiner Kapuze und räuspere mich verlegen. Im Idealfall bin ich für sie alle sowieso nur eine Fremde. Eine wunderliche Fremde, aber schnell wieder vergessen.
Eilig laufe ich weiter, nun auch noch mit triefendem Gesicht und zutiefst aufgewühlt. Dennoch, dieses Gefühl werde ich nicht vergessen. Diesen kurzen Moment von Freiheit, von Leichtigkeit. Unverhofft und dafür umso wertvoller.
Alleine dafür hat es sich schon gelohnt, herzukommen.
* * *
Bis ich das Zentrum erreiche, bin ich pitschnass und durchgefroren. Wenigstens habe ich noch nichts von einem Gewitter mitbekommen, aber vielleicht übertönt das laute Rauschen des Regens auch einfach jegliches Grollen. Ich bin nur einer Handvoll Menschen begegnet, und sie alle haben sich um ihren eigenen Kram gekümmert. Keine Zwischenfälle, nichts, was mich hätte beunruhigen können. Nur deshalb kommt mir die Idee, mich erstmal in einem Café aufzuwärmen, nicht wie die schlechteste vor.
Meine Wahl fällt auf ein eigentümlich wirkendes Geschäft direkt zu Beginn der Innenstadt. Die Ladenfront ist weitestgehend verglast, weshalb ich erkennen kann, dass es drinnen nur mäßig voll ist – und das trotz des Regens. Ich nehme Sessel wahr, sogar ein paar Sofas, mehrere kleine Sitznischen ebenso wie größere Tische. Viele der kleineren Plätze sind unbesetzt, weshalb ich beschließe, mein Glück zu wagen.
Ein helles Glöckchen kündigt meine Ankunft an, sobald ich die Tür aufstoße. Augenblicklich hüllt mich der Duft nach frischgemahlenem Kaffee ein und ich nehme leise Musik wahr, die aufgrund des Geräuschpegels aber kaum auszumachen ist. Dafür, dass nur wenige Tische besetzt sind, ist es erstaunlich laut. Mein Blick schweift flüchtig über die gemütliche, aber eigenwillige Einrichtung. Die Wände sind in einem dunklen Lilaton gestrichen, beinahe aubergine. Unzählige Platten hängen an den Wänden, teilweise in ihren Hüllen, teilweise einfach so. Selbst an der Decke baumeln sie, brechen sich funkelnd im Licht und drehen sich sanft. Nun kann ich die Musik auch besser verarbeiten; irgendein rockiges Lied, das mir nicht unbekannt ist. Allerdings fällt mir der Titel nicht ein. Die Tische sind umringt von unterschiedlichsten Sesseln und Sofas, aber sie alle sind ebenfalls dunkel gehalten. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Ich liebäugle sofort mit einem mittelalterlich wirkenden Samtsofa, doch da es sich direkt neben dem Eingang und an der Fensterfront befindet, ist dieser Platz automatisch raus. Seufzend hefte ich meinen Blick auf die gläserne Theke und die hohen Regale voller Kaffee, die gleichermaßen ins Bild passen und herausstechen. Tief durchatmend versuche ich, nicht erst jeden einzelnen der vorhandenen Gäste abzuchecken und zu kontrollieren, ob ich angestarrt werde, dann streife ich mir die Kapuze vom Kopf und schlendere langsam zur Theke.
Mein Blick bleibt an der appetitlichen Auslage hängen. Zwar ist mein Frühstück wirklich noch nicht lange her, aber ich beschließe, mir neben einer Dosis Koffein auch noch einen der riesigen Schokoladenmuffins zu gönnen. Gerade überlege ich noch, ob ich lieber einen schlichten Kaffee oder doch etwas Besonderes bestellen soll, als mich eine Stimme überrumpelt.
»Hannah?«
Mein Kopf schießt in die Höhe und ich blicke in ein Gesicht, das ein nervöses Kitzeln in meiner Magengrube auslöst. Mein erster Impuls ist, davonzurennen. Von Wildfremden erkannt zu werden, habe ich bereits zu Genüge hinter mir … dann jedoch macht es Klick in meinen panikverschlungenen Hirnwindungen, und ich ordne das Gesicht einem der Mädchen zu, die bei meiner peinlichen Rettungsaktion auf der Rückbank von Chris’ Wagen gesessen haben. Na toll. »Äh, hi.«
»Ich bin Trix, erinnerst du dich?« Sie grinst mich breit an, ehe sie ein paar Strähnen ihrer Kurzhaarfrisur aus dem Gesicht streicht. »Hast du dein Ziel noch gut erreicht?«
Augenblicklich flammt Röte in meinem Gesicht auf, allerdings ist da auch eine riesige Welle der Erleichterung, die meine Knie weich werden lässt. Haltsuchend klammere ich mich an der Kante der Theke. »Ja, zum Glück. Danke nochmal für eure Hilfe …«
Trix winkt lächelnd ab. »Das hätte doch jeder getan.«
Ich bin da anderer Meinung, behalte meinen Widerspruch aber für mich. Stattdessen versuche ich mich ebenfalls an einem Lächeln. »Also, was kannst du mir empfehlen?«
Sie mustert mich mit abschätzendem Blick. »Du siehst aus, als könntest du unser Spezialgetränk gebrauchen.«
Obwohl ich dagegen ankämpfe, zucken meine Mundwinkel in die Höhe. »Spezialgetränk?«
Sie nickt beinahe feierlich. »Jepp. Eine extragroße Vanille-Latte mit Karamelltopping. Und dazu empfehle ich dir einen Schokomuffin.«
Nun kann ich nicht mehr dagegen ankämpfen, ich pruste los. »Ach so? Das ist aber nicht unbedingt was für Leute auf Diät, oder?« Ich überlege kurz. »Oder Diabetiker.«
Trix’ Augenbrauen wandern in die Höhe. »Willst du damit behaupten, du bist auf Diät?«
Ich schüttle den Kopf, doch ehe ich noch etwas sagen kann, redet sie schon weiter.
»Also gut, Schnuckelchen. Such dir schonmal einen Platz, ich mache die Bestellung fertig.«
»Warte, wieviel bekommst du überhaupt?«
Trix sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Das ist unser Spezial, Hannah. Das geht natürlich aufs Haus.«
Ich will protestieren, doch ehe ich das kann, hat sie sich bereits abgewendet. Ein hilfloser Laut dringt über meine Lippen, verschwindet jedoch in dem lauten, satten Geräusch des Mahlwerks. Irgendwo tief in mir drin flammt Irritation auf, während mein Blick sich auf ihre kurzen, dunklen Haare heftet. Vielleicht auch eine Spur Scham. Dann jedoch klingelt erneut das Glöckchen über der Eingangstür und verkündet neue Gäste. Ehe ich negativ auffalle – oder überhaupt auffalle –, wende ich mich ab und steuere einen der Tische weiter hinten an. Dort, wo sich kaum jemand aufhält, weit genug von der Fensterfront entfernt, um mich in Ruhe aufwärmen zu können. Kein cooles Samtsofa, nicht einmal besonders plüschige Sessel, sondern brokatbezogene Stühle. Egal. Die Anonymität hier hinten ist mir wichtiger.
Gerade, als ich meine Tasche beiseitegelegt und mich aus meiner nassen Jacke geschält habe, taucht Trix auch schon mit einem kleinen Tablett vor mir auf. »Normalerweise musst du dir dein Zeug selber da vorne abholen, aber heute mache ich eine Ausnahme«, erklärt sie verschwörerisch, während sie ein schmales, hohes Glas und einen Teller mit dem riesigsten Muffin vor mir abstellt, den ich jemals gesehen habe. Augenblicklich läuft mir das Wasser im Mund zusammen, aber ich fühle auch, wie sich wieder Scham in meinem Gesicht ausbreitet. »Du hättest mich einfach ausrufen können.«
»Nein, schon gut. Du bekommst eine Speziallieferung, da kommt es darauf auch nicht mehr an.«
Ich fühle mich definitiv unbehaglich dank dieser Sonderbehandlung, vor allem, weil ich das Gefühl habe, ihr nun etwas schuldig zu sein. Trix steht immer noch vor meinem Tisch und lächelt mich an, als wäre ich eine gute Freundin. Irritiert reibe ich mir durchs Gesicht. »Danke, wirklich. Das wäre nicht nötig gewesen …«
Sie wedelt abweisend mit der Hand. »Papperlapapp. Schon gut. Betrachte es als Willkommensgruß. Du bist doch jetzt auch Teil unserer Gemeinschaft, oder?