Ein Herrenhaus zum Verlieben - Karin Lindberg - E-Book

Ein Herrenhaus zum Verlieben E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Winterzauber in Cornwall? Von wegen!

Tara O’Learys kleine Eventagentur steht kurz vor dem Aus. Da flattert ein lukrativer Auftrag ins Haus: Sie soll das malerisch gelegene Herrenhaus der Familie Swan nicht nur weihnachtlich dekorieren, sondern obendrein das Weihnachtsmenü und die Geschenke organisieren. Eigentlich ein Traumjob, bloß entpuppt sich der Eigentümer des imposanten Anwesens so missmutig wie der Weihnachtsgrinch höchstpersönlich.

Emery Swan würde das Fest der Liebe in diesem Jahr am liebsten ausfallen lassen. Diese Irin ins Haus zu holen, ist wahrlich nicht seine Idee. Überdeutlich lässt er Tara spüren, was er von ihrer Anwesenheit und ihrem Organisationstalent hält. Wenn es nach ihm ginge, dürfte die temperamentvolle Irin samt Weihnachtsdeko so schnell wie möglich wieder verschwinden. Dumm nur, dass ein Schneesturm Taras Abreise verhindert …

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EIN HERRENHAUS ZUM VERLIEBEN

WEIHNACHTSZAUBER IN CORNWALL

KARIN LINDBERG

Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de

Covermotiv: © dugdax, LilKar – shutterstock.com, kmiragaya – depositphotos.com, rozum, creativeartx  – elements.envato.com

Copyright © 2023 by Karin Lindberg

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Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Lektorat: Dorothea Kenneweg

Korrektorat Ruth Pöß - www.das-kleine-korrektorat.de 

K. Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

INHALT

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Hol dir dein Geschenk!

Über die Autorin

PROLOG

Ende November, New York

Tara schob sich ein paar ihrer roten Haarsträhnen unter die Wollmütze und schlug den Kragen ihres dunklen Wintermantels, der schon bessere Tage gesehen hatte, nach oben. Sie straffte sich, dann verließ sie die Lobby des Luxushotels durch die schimmernde Messing-Drehtür. Einen Augenblick blieb Tara unter dem Vordach des Waldorf Astoria stehen und zögerte. Regen prasselte vom Himmel, es war nasskalt und ungemütlich. Auf den Straßen befand sich eine schmierige Mischung aus getautem Schnee und tiefen Pfützen.

Nicht einmal die aufdringliche Beleuchtung und die mit roten Kugeln und funkelnden Lichtern geschmückte hohe Tanne konnten die Illusion einer Weihnachtsstimmung in Tara hervorrufen. Es war ein beschissener Tag. Und das lag nicht nur am Wetter.

Tara schluckte und dachte kurz über das eben geführte Vorstellungsgespräch nach. Weil die eigenen hippen Büros sich gerade im Umbau befanden, hatte man sie kurzerhand ins erste Hotel am Platz bestellt, weil die Agentur dort zurzeit ein Event abhielt. Die beiden Inhaberinnen, mit denen Tara eben geredet hatte, wollten sie einstellen, daran gab es keinen Zweifel – dass Tara sich nicht darüber freute, stand auf einem anderen Blatt. In der Diskussion hatte Tara mal wieder ihre Superkraft bewiesen, die darin bestand, mit komplizierten Menschen umgehen und zwischen ihnen vermitteln zu können.

Sie hatte die zwischenmenschlichen Klippen gekonnt umschifft, als sie die Rivalität der Geschäftspartnerinnen gespürt hatte. Tara war es daraufhin gelungen, die beiden gleichermaßen in ihrer Präsentation anzusprechen, sodass sich die gereizte Stimmung innerhalb des Frauenteams gelöst hatte.

Tara wusste, dass ihre Kompetenz und Fähigkeiten gefragt waren. Sie hatte sich aber nur aus ihrer finanziellen Not heraus beworben und wollte diesen Job im Grunde überhaupt nicht. Tara kämpfte vielmehr darum, ihrer eigenen kleinen Geschäftsidee nicht aus Geld- und Auftragsmangel den Todesstoß verpassen zu müssen. Für den Fall, dass ihr das nicht gelang, benötigte sie einen Plan B. Sie war vielleicht eine Träumerin, aber sie war nicht komplett naiv.

Bitte, flehte sie stumm und schloss für eine Sekunde die Augen, schick mir irgendein Weihnachtswunder, damit ich meine Agentur retten kann. Sie wollte endlich ihre eigene Vision von gelungenen Feiern und Veranstaltungen umsetzen und ihre Kreativität nicht für eine fremde Firma verschwenden. Ob sie nun vom Universum, Gott oder wem auch immer Beistand bekam, war ihr dabei völlig egal.

Tara seufzte leise, dann machte sie sich für den nächsten Kampf bereit: Bei diesem Wetter ein Taxi an der Park Avenue zu ergattern, war geradezu unmöglich. Sie war zweifellos nicht die Einzige, die eines brauchte. Natürlich hätte Tara den Concierge fragen können, eines für sie heranzuwinken, aber da sie kein Hotelgast war, traute sie sich nicht.

Eine Frau in einem schicken cremefarbenen Mohair-Mantel vor ihr hatte mehr Glück. Ein gelbes Fahrzeug hielt gerade am Straßenrand, ein Hotelmitarbeiter öffnete der Dame die Hintertür des Wagens. Tara beobachtete, wie sie auf ihren dünnen Absätzen wegrutschte. Oh, oh, das könnte böse ausgehen. Die Frau mittleren Alters begann, mit den Armen zu rudern und Tara rannte sofort los, um ihr zu helfen. Die Umstehenden waren in eine Art Starre verfallen, aber Tara erwischte die Stürzende. Das Ganze endete damit, dass sie zusammen mit ihr in einer tiefen Schneematschpfütze aufschlug. Das hieß, Tara platschte ins eiskalte Nass, und die Fremde landete auf ihr. Autsch.

Alle Luft wurde aus Taras Lungen gepresst, während ein scharfer Schmerz durch ihr Steißbein die Wirbelsäule hinaufschoss.

Auf einmal wimmelte es nur so von livrierten Hotelangestellten. Ein bisschen spät, wollte Tara schimpfen, aber sie hatte ihre Sprache noch nicht wiedergefunden. Tara wurde auf die Beine gezogen. Als sie wieder stand, war ihre Kehrseite platschnass.

»Du meine Güte, Sie haben mich vor einem schlimmen Unfall bewahrt«, stieß die Gerettete hervor. Ihr kastanienbrauner Pagenkopf saß noch immer perfekt, der cremefarbene Mantel hatte allerdings ein wenig gelitten.

»Nicht der Rede wert«, behauptete Tara. Blöderweise fingen ihre Zähne an zu klappern. Ihr war schrecklich kalt, sodass sie überall zitterte. Oder war das Adrenalin dafür verantwortlich? Vermutlich eine Kombination aus beidem. Schon vor dieser Rettungsaktion hatte Tara in der dünnen Seidenbluse gefroren. Aber das hippe Teil mit dem Flamingoprint war eben ein Statement, auf das die beiden Agenturdamen auch sofort angesprungen waren. Ihr Mantel hatte schon bessere Tage gesehen – er wärmte nicht mehr wirklich, und jetzt nass und schwer trug er gar nicht mehr dazu bei, dass sie weniger schlotterte. Im Gegenteil.

Auf einmal stand Tara im Rampenlicht, es kam ihr so vor, als ob alle sie anstarrten. Wie unangenehm. Leute fingen an, über sie zu tuscheln, sie konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagten.

»Kommen Sie bitte mit mir«, schlug die Frau mit einem offenen Lächeln vor. »Sie sind ja völlig durchnässt.«

Tara wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, deshalb ging sie einfach mit.

Die Dame führte sie zurück in die Hotellobby.

»D-as i-st n-nicht n-nötig«, brachte Tara vor Kälte schlotternd hervor, Sie bemerkte, dass sich auch hier viele Köpfe in ihre Richtung drehten.

»O doch, meine Liebe, tut mir leid. Ich bestehe darauf. Nun kommen Sie schon, wir müssen Sie trockenlegen, ehe Sie sich hier draußen den Tod holen!«

Tara protestierte nicht, auch, weil ihr die Blicke der Hotelgäste immer peinlicher wurden. Es kam ihr sogar so vor, als ob die Gespräche für einen Moment verstummt wären.

Na super! Diese Art von Rampenlicht konnte sie überhaupt nicht leiden, daher folgte sie der Dame ohne weiteren Widerstand nach oben.

Wenig später betrat Tara das Hotelzimmer der Unbekannten – das hieß, ihre Suite. Luxus war gar kein Ausdruck dafür.

Wie krass.

Tara fürchtete, dass sie den hellen Teppich ruinieren würde. Die Vorstellung, den Schaden zahlen zu müssen, ließ sie zögern. Das konnte sie sich nicht leisten, sie war so gut wie pleite.

»Nun kommen Sie näher, Sie müssen raus aus den Sachen. Bitte, hier ist das Badezimmer. Nehmen Sie eine Dusche oder genehmigen Sie sich ein schönes Vollbad – die Wanne ist einfach fantastisch und äußerst komfortabel. Ich bestelle Ihnen derweil eine heiße Schokolade, oder möchten Sie etwas anderes?« Die Frau nahm ihr die Handtasche ab und stellte sie auf ein Sideboard.

Tara war überfordert. »Äh«, war alles, was sie zunächst hervorbrachte.

»Und werfen Sie mir Ihre Sachen vor die Badezimmertür, ich lasse sie in die Express-Reinigung bringen. Meine Güte, ich fühle mich so schrecklich, dass Sie das alles meinetwegen erleiden mussten, ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht! «

Die Frau lächelte schuldbewusst. Ein paar feine Linien hatten sich um ihre Augen gebildet, die Stirn war glatt. Tara schätzte sie auf Anfang Sechzig, sie hatte sicherlich regelmäßig Termine bei ihrer Kosmetikerin, bei der die Fältchen unterspritzt oder mit Botox behandelt wurden. Ihr Lippenstift saß nach wie vor bombenfest, die Frau war ein Muster an Perfektion – im positiven Sinne. Nichts an ihr wirkte zu viel oder extrem. Sie trug keine dieser maskenhaften Fratzen zur Schau, die man leider häufig bei reichen Menschen sah, die von den falschen Leuten in der Schönheitsindustrie beraten wurden. »Oje, ich bin selbst durch den Wind«, meinte sie kopfschüttelnd. »Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir, bitte entschuldigen Sie. Mein Name ist Bedelia Swan, und es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. So, und ab mit Ihnen ins Bad. Sie haben blaue Lippen, meine Liebe, wärmen Sie sich auf, ehe Sie sich erkälten.«

»O-kay«, brachte Tara dann schließlich hervor. »Ich bin Tara. Tara O’Leary.«

»Ahhh, irisches Blut, nicht wahr? Dachte ich es mir doch, bei Ihren hübschen roten Haaren. Nun aber husch.« Bedelia Swan schob Tara ins Badezimmer und zog die Tür hinter sich zu, damit diese alleine sein konnte.

Hier drin war es kuschelig warm, ein Glück. Glänzender, heller Marmor, die angenehm temperierte Fußbodenheizung und die indirekte Beleuchtung zauberten ein Ambiente von Behaglichkeit und Exklusivität. Es duftete zart nach Rosenblüten. Obwohl Tara Hemmungen hatte, sich wirklich wie zuhause zu fühlen, so hatte sie noch mehr Bammel davor, Bedelias Anweisungen zu widersprechen. Obwohl die Frau supernett war, machte sie einem doch unmissverständlich klar, was sie erwartete. Vermutlich gab es nicht viele Menschen, die Bedelia Swan einen Wunsch abschlugen. Und um ehrlich zu sein, hatte Tara auch nichts dagegen, dass ihre Klamotten getrocknet wurden, während sie sich aufwärmen konnte. Wenn sie in ihrer Misere eines nicht gebrauchen konnte, dann war das eine fette Erkältung.

Tara stopfte die nassen Sachen in eine Wäschetüte, die sie unter dem Spiegel gefunden hatte, und stellte sie vor die Tür. Dann ging sie in die Dusche und – heiliges Kanonenrohr, war diese Regenwaldberieselung nicht fantastisch? – taute allmählich wieder auf. Die teuren Kosmetikfläschchen, die in einem eingelassenen Fach standen, taten ihr Übriges, dass Tara sich königlich fühlte. Sie ließ sich jedoch nicht allzu viel Zeit, weil sie Bedelias Gutmütigkeit nicht ausnutzen wollte. Der Luxus in diesem Badezimmer erinnerte sie außerdem auf unangenehme Weise an ihre eigene WG-Bude, in der der Wasserhahn tropfte, der Duschvorhang an manchen Stellen Löcher hatte und es durch die Fensterrahmen hereinzog.

Angesichts der niederschmetternden Bilanz nach dem ersten Geschäftsjahr ihres eigenen kleinen Unternehmens lief Tara sogar Gefahr, ihr Zimmer nicht mehr finanzieren zu können. Nein, sie wollte jetzt nicht daran denken, sonst würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

Tara trocknete sich ab, wickelte ein Handtuch um ihre Haare und hüllte sich in einen der flauschigen Bademäntel, die gefaltet unter dem Spiegel lagen. Es war der weichste Stoff, den sie je unter ihren Fingerspitzen gefühlt hatte. Sie schlüpfte hinein und nahm sich vor, diese Annehmlichkeiten, so gut es eben ging, zu genießen – und ein schlechtes Gewissen ließ sie gar nicht erst aufkommen.

Barfuß trat Tara schließlich aus dem Badezimmer. Sie fühlte sich nicht direkt unwohl, aber ein wenig unsicher. Die Suite war riesengroß, und es duftete auf dem Flur dezent nach Orangenblüten. Dieser überbordende Luxus war absolut nicht ihre Welt.

»Hallo?«, rief Tara in die Stille, weil sie Bedelia nicht erschrecken wollte, indem sie sich an sie heranschlich.

»Hier bin ich, kommen Sie ruhig, kommen Sie!«

Tara ging geradeaus und erreichte schließlich das Wohnzimmer, das ungefähr viermal so groß war wie ihr WG-Schlafzimmer in Brooklyn.

»Und, geht es Ihnen besser?«, erkundigte sich Bedelia Swan mit einem mitfühlenden Lächeln und wies Tara einen Platz auf dem cremefarbenen Sofa gegenüber zu. Auf dem Glastisch vor ihr stand ein Tablett mit verschiedenen Köstlichkeiten wie Gebäck, frischen Früchten, Kakao, Tee und Kaffee.

»Ich wusste nicht, was Sie mögen, deshalb habe ich Verschiedenes bestellt«, erklärte sie mit einem sympathischen Achselzucken. »Darf ich Tara sagen? Und nennen Sie mich bitte Bedelia, sonst fühle ich mich so alt.«

Britischer Akzent, schoss es Tara durch den Kopf, und sie erwiderte das Lächeln. Ihr gefiel Bedelias etwas steife Höflichkeit und vor allem ihre unaufgeregte Art. Sie war anders als die schroffen New Yorker, mit denen Tara es sonst zu tun hatte. »Gern, vielen Dank, Bedelia.« Taras Nervosität legte sich allmählich ein wenig. »Suchen Sie sich aus, was Sie mögen. Das ist das Mindeste, was ich nach Ihrer selbstlosen Rettungsaktion für Sie tun kann. Die Reinigung hat mir zugesagt, dass Sie Ihre Sachen in einer Stunde wiederbekommen. Ist das in Ordnung für Sie? Ansonsten lasse ich eine Auswahl aus der Hotelboutique kommen, ich ersetze Ihnen den entstandenen Schaden. Es ist mir unfassbar peinlich, was da draußen passiert ist, und gleichzeitig bin ich Ihnen unendlich dankbar, dass Sie Schlimmeres verhindert haben.«

Tara wurde beinahe schwindelig von so viel Zuwendung. »Ich bitte Sie, das hätte wirklich jedem passieren können, und die Wartezeit ist völlig in Ordnung, bitte machen Sie sich meinetwegen keine weiteren Umstände.« Von so viel Engagement und Dankbarkeit wurde Tara flau im Magen. Sie hatte ihr ja nicht das Leben gerettet.

»Unsinn! Sie haben mich vor einer heftigen Verletzung bewahrt. Ich weiß gar nicht, wie ich auf die dumme Idee gekommen bin, bei diesem Wetter derart hohe Absätze zu tragen.«

»Ihren Termin haben Sie jetzt leider verpasst. Tut mir leid«, entgegnete Tara, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.

Bedelia winkte ab. »Das ist überhaupt kein Problem! Wenn ich ehrlich bin, wollte ich da sowieso nicht hin.« Sie lächelte verschmitzt und wirkte dadurch ein wenig jünger. »Ich bin Ihnen also gleich mehrfach zu Dank verpflichtet, Tara.«

Tara knetete verlegen ihre Hände im Schoß. »Es ist wirklich keine große Sache«, versuchte sie ihre Tat herunterzuspielen, weil sie es nicht gewohnt war, so viel Anerkennung zu bekommen.

»Nun, nicht jeder hat so schnell reagiert wie Sie.« Damit spielte sie vermutlich auf die livrierten Hotelmitarbeiter an. »Was darf es denn nun sein? Kakao?«, wollte Bedelia von ihr wissen und erklärte das Thema Dank damit glücklicherweise für beendet. Tara war froh über die geschickte Wendung der Unterhaltung.

»Ja, gern. Eine heiße Schokolade ist jetzt genau das Richtige. Vielen Dank.«

Bedelia goss aus einer silbernen Kanne für Tara ein und setzte die Tasse anschließend samt Unterteller vor ihr auf dem Glastisch ab. »Hier haben Sie auch geschlagene Sahne«, erklärte Bedelia anschließend und zeigte auf ein silbernes Schälchen.

»Oh, das sollte ich lieber lassen. Meine Hüften …«, wandte Tara ein. Sie hatte gerade erst mit einer mühsamen kohlenhydratarmen Diät zwei Kilo verloren, die wollte sie nicht gleich an einem Tag wieder draufhaben – die ganzen Weihnachtsverlockungen standen ja noch bevor. Leider war Tara keine von den Menschen, die essen konnten, was sie wollten. Und mit Sport hielt sie es wie seinerzeit Churchill.

Weil Tara Bedelia nicht mit den kleinen Unzulänglichkeiten ihres Lebens langweilen wollte, sprach sie nicht weiter davon.

Bedelia winkte jedoch nur gutmütig ab. »Ach, nach so einer großartigen Aktion dürfen Sie sich nun aber wirklich etwas gönnen, liebe Tara.« Selbst schenkte sie sich Tee mit einem Schuss Milch ein. »Erzählen Sie, was machen Sie beruflich?«

Tara spürte, dass sie sich ein wenig versteifte. Hoffentlich bemerkte Bedelia das nicht. Das war ein Thema, das sie nicht gern vertiefte. Momentan zumindest war ihr Selbstbewusstsein angeknackst. Auch wenn sie das Vorstellungsgespräch vorhin mit Bravour gemeistert hatte, wie sie sich ins Gedächtnis rief. »Ich, ähm, führe eine kleine Eventagentur«, antwortete Tara daher nur ausweichend.

»Ach, wirklich? Das klingt fantastisch. Wie aufregend. Haben Sie eine Visitenkarte?«

Tara wusste, dass Bedelia das nur aus Höflichkeit fragte. Eine Frau von Welt wie sie würde Taras Dienste niemals buchen. Tara wollte sich nicht kleinreden, aber im Vergleich zu Bedelias beinahe aristokratischem Auftreten kam Tara sich kleinbürgerlich vor. »Natürlich, Moment, ich hole eine«, erwiderte sie dennoch, weil sie nicht unhöflich sein wollte. Sie stand auf und tapste in den Flur, wo sich ihre Handtasche befand. Dort zog sie eine Visitenkarte aus dem Seitenfach. Zum Glück war sie weder nass noch lädiert. Mit einem Kloß im Hals kehrte Tara zurück und legte das Kärtchen vor Bedelia auf den Tisch. »Bitte schön.«

Bedelia strahlte und nahm sie in die Hände. »Shamrock Leprechaun«, las sie und schaute Tara mit einem leichten Stirnrunzeln an, das sofort wieder verschwand und durch ein höfliches Lächeln ersetzt wurde.

Tara wurde heiß. Als sie die Agentur vor zwei Jahren gegründet hatte, war ihr der Kleeblatt-Kobold perfekt vorgekommen. Leider begriffen die meisten Leute nicht, was er bedeuten sollte. »Ich stamme aus Irland, deshalb habe ich die irischen Glückssymbole gewählt, also den Kobold und das Kleeblatt. Ich dachte, es wäre eine coole Kombination.«

Bedelia hob eine Braue und schmunzelte. »Sehr originell, wirklich«, sagte sie schließlich. Ihr Tonfall verriet nicht, was sie dachte.

Tara hatte jedoch längst begriffen, dass ein Name, den man erst einmal erläutern musste, aus Marketingsicht eine Katastrophe war. »Damals hatte noch Glücksdusche und Green Joy zur Auswahl gestanden«, brabbelte Tara drauflos, weil sie das Gefühl hatte, sie müsste sich erklären. »Aber bei der Grünen Freude hatten meine Mitbewohnerinnen die Assoziationen zum horizontalen Gewerbe hergestellt und bei der Glücksdusche kam ihnen auch nichts Gutes in den Sinn. Tja, und dann dachte ich eben, dass die Verbindung zu Irland mit dem Kobold und dem Kleeblatt super wäre.« Hitze flammte erneut in ihren Wangen auf.

Bedelia hörte aufmerksam zu, ihr Gesicht gab keinen Hinweis auf Hochnäsigkeit oder Verurteilung. Tara entspannte sich ein wenig. Trotzdem wunderte sie sich, warum ihr die Meinung dieser fremden Frau so wichtig war. Tara nippte vorsichtig an der heißen Schokolade.

»Was gehört zu Ihrem Leistungsangebot?«, wollte Bedelia wissen und rührte mit dem Löffelchen in ihrem Tee. Sie hielt dabei die Tasse samt Untertasse auf ihrem Schoß und erinnerte Tara damit beinahe an die verstorbene Queen – auch wenn Frisur und Haarfarbe nicht wirklich passten. Bedelias Pepita-Kostüm mutete jedoch äußerst britisch an.

»Alles im Eventbereich, allerdings habe ich mich auf private Feiern spezialisiert«, antwortete Tara, wobei sie nicht erwähnte, was das genau bedeutete. Die Wahrheit war zu deprimierend: Taras einzige Kunden waren Eltern, die mit der Veranstaltung von Kindergeburtstagen überfordert waren oder einfach keine Lust darauf hatten, die Partys für die Kids selbst zu schmeißen. Dass dabei nicht viel herumkam, stand außer Frage. Und jetzt, in der Weihnachtszeit sowieso nicht, da hatten die Familien anderes vor.

Tara hatte in diesem Jahr nicht genug beiseitelegen können, um bis zum Frühling über die Runden zu kommen. Sie stand vor dem Ruin. Aber das würde sie Bedelia nicht erzählen. Tara wollte weder Almosen noch Mitleid.

»Mit einem Job wie diesem leiden Sie sicher niemals unter Langeweile«, erwiderte Bedelia beschwingt.

Leider viel zu viel, dachte Tara, aber sie ließ sich nichts anmerken. »Ich liebe meine Arbeit.«

Das stimmte, auch wenn sie sich wünschte, dass sie in Zukunft auch mit anderen Events betraut werden würde als mit der Ausrichtung von Kinderpartys.

»Hervorragend, wirklich! Wenn ich einmal in die Verlegenheit komme, etwas planen zu müssen, weiß ich ja, an wen ich mich wenden kann.« Bedelias offenes Lächeln wirkte ehrlich, aber vielleicht war sie einfach eine gute Schauspielerin.

Sie wird mich niemals anrufen, schoss es Tara durch den Kopf. Aber sie nickte und lächelte mechanisch. »Sehr gern, ich würde mich freuen.«

Glücklicherweise wechselte Bedelia kurz darauf das Thema. Sie plauderten eine Weile über ihren New-York-Aufenthalt und Belangloses, bis Taras Kleidung sauber und trocken von einem Hotelangestellten geliefert wurde.

Nachdem Tara wieder vollständig angezogen war – die Flecken waren tatsächlich nicht mehr zu sehen –, verabschiedete sie sich von Bedelia. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu warten. Und die heiße Schokolade war köstlich.«

»Nicht doch. Ich habe zu danken, Tara. Es hat mich wirklich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.« Aus Bedelias Augen strahlte ihr eine so herzliche Wärme entgegen, dass Tara beinahe glauben wollte, dass die Engländerin ihre Worte ernst meinte. Es war eine angenehme Begegnung gewesen, die sie in der oberflächlichen Großstadt-Glamour-Welt nicht oft erlebte. »Es geht mir genauso. Dann haben Sie noch eine gute Zeit in New York, Bedelia. Auf Wiedersehen.«

Sie tauschen einen kurzen Händedruck, dann machte sich Tara auf den Nachhauseweg.

Weit kam sie nicht.

Bevor sie den Taxistand vor dem Hotel erreicht hatte, wurde sie von einem Mann angerempelt. Er trug einen offenen dunklen Mantel zum dreiteiligen Anzug. Trotz des Outfits hatte er keine Bankiers- oder Anwaltsausstrahlung. Der Mann war im Stechschritt unterwegs und schaute weder nach rechts noch nach links. Kein Wunder, dass er sie schlichtweg übersah.

»Haben Sie keine Augen im Kopf?«, knurrte er statt einer Entschuldigung.

Dass dieser Mensch sie beschimpfte, überraschte Tara. Er sah sie nicht an, während er in die Hocke ging, um die Blätter zusammenzuklauben, die aus seiner Mappe gesegelt waren. Viel war da nicht mehr zu retten, die Papiere waren bereits durchnässt und damit vermutlich unbrauchbar.

Der Mann brummte Worte vor sich hin, die stark nach einer Beleidigung klangen.

Tara schnappte nach Luft. Solche Typen hatte sie gern! »Entschuldigen Sie mal! Sie haben mich über den Haufen gerannt, nicht umgekehrt«, verteidigte sie sich.

Der Mann richtete sich – mit seinen nassen Unterlagen in der Hand – wieder auf und starrte Tara finster an.

Heiliges Kanonenrohr! Was für eine Erscheinung.

Er war nicht einfach schön im Sinne von hübsch, obwohl er natürlich auf eine klassische Weise attraktiv war, er hatte darüber hinaus eine besondere Ausstrahlung. Eines war er gewiss: atemberaubend. Buchstäblich.

Er hatte unfassbar breite Schultern und war mindestens einen Kopf größer als Tara, was bei ihren einsfünfundsechzig keine Wunderleistung war. Seine Gegenwart löste etwas in ihr aus, das sie nicht in Worte fassen konnte.

Und diese Augen!

Nie hatte sie ein so strahlendes Blau gesehen.

In seinen dunklen Haaren hatten sich ein paar Regentropfen gesammelt, die im Licht der Weihnachtsdeko golden funkelten. Sein Gesicht war kantig, aber nicht grob. Er war glattrasiert, was nicht der derzeit gängigen Mode von Voll- oder Dreitagebärten entsprach. Überhaupt war der Kerl alles andere als Mainstream. Mit seiner aristokratisch anmutenden Aura und seiner unerschütterlichen Selbstsicherheit war seine Erscheinung beinahe mehr, als sie für den Moment ertragen konnte.

Er wirkte wie ein Mensch, der gern und viel grübelte – und meckerte, natürlich.

Wie konnte sie das auch nur für eine Sekunde vergessen haben?

Weil du ihn heiß findest, stichelte das Stimmchen im Kopf, das Tara sofort zum Schweigen brachte. Als ob sie nicht schon oft genug bewiesen hätte, dass sie einen lausigen Männergeschmack hatte! Zu ihrer eigenen Verteidigung konnte sie im Geiste vorbringen, dass es nicht leicht gewesen war, ohne Vater und damit ohne männliches Vorbild aufzuwachsen. Nur so konnte sie sich ihr mangelndes Urteilsvermögen und die vielen damit verbundenen Enttäuschungen im Laufe ihres bisherigen Lebens erklären.

Dieses Mal nicht, nahm sie sich vor. Egal, welche Pheromone der attraktive Miesepeter versprühte.

Tara wollte ihn nicht weiter fasziniert anstarren, als wäre er ein Halbgott. Sie wollte wütend sein, weil er sie zu Unrecht angeschnauzt hatte. Aber es fiel ihr schwer, jemandem länger als fünf Sekunden böse zu sein. Ihr Ärger war bereits verpufft. Tara war keine Frau, die sich gerne stritt, im Gegenteil. Ihr lag viel an Harmonie und einem angenehmen Miteinander.

Dem Kerl offenbar nicht. Auf seiner Miene zog ein Gewitter auf. Warum ging er nicht einfach weiter? Taras Herz raste. Warum schaute er sie so merkwürdig an? War es möglich, dass er sie auch anziehend fand? Hässlich war sie nicht, das wusste Tara, aber nicht jeder stand auf rotes Haar und üppige Kurven.

Schon im nächsten Moment erhielt sie ihre Antwort. »Nun stehen Sie mir nicht länger im Weg herum, ich muss von meinem Vortrag retten, was zu retten ist!«

So viel dazu. Nein, er hatte sie nicht aus Faszination angestarrt, sondern weil er von ihr erwartete, dass sie den Weg freimachte.

Taras Mund klappte auf. Was für ein Ekel. Weil sie wusste, dass ein ungehobelter Klotz wie er es nicht wert war, sich über ihn aufzuregen, trat sie mit einem Achselzucken zur Seite. »Bitte. Haben Sie noch einen schönen Tag.«

Tara setzte sich in Bewegung, ohne sich erneut umzublicken. In Nullkommanichts würde sie diesen Idioten aus ihren Erinnerungen streichen.

Aber so einfach war es nicht. Die Begegnung ließ sich leider nicht ausradieren wie ein falscher Eintrag im Kalender. Immer wieder, auch lange, nachdem sie in ihr tristes WG-Zimmer zurückgekehrt war und nach möglichen Einkommensquellen im Netz gesucht hatte, für die sie nicht ihre Seele oder ihren Körper verkaufen musste, sah sie das ungewöhnliche Blau seiner Augen vor sich.

Was für ein Jammer, dass die charismatischen Männer zu häufig arrogante, selbstherrliche Idioten waren.

1

Cornwall, einige Wochen später.

Emery Swan trat neben den Kamin und stützte sich am Sims ab, während er düster in die Flammen starrte. Der Duft von brennenden Kiefernhölzern hatte sich im Wohnzimmer ausgebreitet und eine behagliche Wärme gleich mit dazu. Böiger Wind rüttelte an den Wänden des alten Herrenhauses, das weit oben auf den Klippen stand und den Witterungsbedingungen damit stärker ausgesetzt war als die Häuser drüben im Dorf.

Mit dem Alleinsein hatte er keine Probleme. Er hatte sich daran gewöhnt.

Menschliche Gesellschaft war nicht das, was er in Cornwall vermisste. Im Gegenteil. Trotzdem kam er nicht so zur Ruhe, wie er vor Reiseantritt gehofft hatte. Auch die ersehnte Inspiration ließ auf sich warten.

Emery ging einen Schritt zurück und rieb sich mit der Hand über die Stirn. Zum tausendsten Mal überlegte er, was er tun könnte, um nicht vielleicht doch noch den zündenden Funken für sein nächstes Buch zu empfangen. Das Vorgängerbuch, einer seiner Ratgeber für glückliche Scheidungen, war sehr erfolgreich gewesen. Die Vortragsreihe dazu hatte er gerade hinter sich gebracht. Aber dieses Thema kam ihm allmählich ausgelutscht vor – er hatte die Fragen aus dem New Yorker Publikum zum Schluss nur mehr knapp beantwortet, weil es ihn mittlerweile langweilte, über die Trennungen anderer Leute zu sprechen.

Nein, Emery wollte frischen Wind in seine Arbeit bringen. Nur fiel ihm ironischerweise selbst unter dem Heulen des Sturms nichts Neues ein.

Gar nichts.

Mit einem Fluch auf den Lippen goss er sich eine Handbreit Whisky ein und ließ sich anschließend in einen der beiden Sessel fallen, die vor dem Kamin standen.

Natürlich wusste er, warum er so schlecht gelaunt war. Dafür gab es eine ganze Reihe an Gründen. Einer davon war das Gespräch, das er kürzlich auf dem Rückflug von New York nach London mit seiner Mutter geführt hatte. Seufzend erinnerte er sich daran zurück.

Sie saßen wie üblich in der First Class und er wollte nach den anstrengenden Tagen im Big Apple ein wenig schlafen. Dort hatte er nicht nur einige Vorträge gehalten, sondern auch ein Gespräch mit dem Verlagslektor geführt, der ihn gedrängt hatte, bald ein neues Buch nachzulegen, ehe der Hype um seine Ratgeber nachließ.

Das war jedoch leichter gesagt als getan, denn ohne die passende Idee würde es kein neues Werk von ihm geben. Und einfach nur einen weiteren Abklatsch des alten Themas aufzuwärmen, wie man es ihm im Verlag nahegelegt hatte, kam auf keinen Fall infrage. Eines war sicher: Das Thema Scheidung ödete Emery inzwischen derart an, dass er unweigerlich seinen Ruf ruinieren würde, sollte er erneut gezwungen sein, damit an ein Rednerpult zu treten. Jeder Küchenpsychologe würde vermuten, dass diese vehemente Abwehrhaltung nur bedeuten könnte, dass er selbst noch eine Rechnung zu dem Thema offen hatte. Nicht nur einmal war er in den Diskussionsrunden nach seinen Vorträgen mit dieser These konfrontiert worden. Und dass es womöglich stimmte, brachte ihn zusätzlich auf die Palme.

Erschöpft ließ Emery sich in den Sitz der First Class fallen, in der Hoffnung, sich nach den anstrengenden Terminen ein wenig ausruhen zu können.

»Emery«, sprach ihn seine Mutter an und verwehrte ihm die ersehnte Ruhe.

»Was ist denn?« Höflich wandte er sich ihr zu. Er wollte nicht schroff sein, denn seine Mutter konnte nichts dafür, dass er unter einer Art Blockade litt.

»Stimmt es wirklich, dass du den kompletten Dezember in Cornwall verbringen willst?«, fragte sie und schnitt damit das einzige andere Thema an, das er absolut und überhaupt nicht besprechen wollte. Seine Gründe, Weihnachten zu hassen, würde er mit niemandem diskutieren, schon gar nicht mit seiner Mutter. Sie kannte die Ursache, aber war anscheinend der Meinung, dass es an der Zeit sei, mit dem Leben weiterzumachen und die Vergangenheit abzuhaken. Vielleicht glaubte sie ja wirklich, dass er endlich über die größte Enttäuschung seines Lebens hinweg war: Virginia.

Emery verdrehte innerlich die Augen, denn dass seine Ex der Hauptgrund für die Entscheidung war, die Feiertage nicht in London mit der Familie zu verbringen, wollte er nicht offenlegen. Das käme einer Niederlage gleich, die er nur vor sich selbst eingestehen konnte.

»Ja, Mama. Habe ich dir doch gesagt.« Ihm war klar, dass er ein wenig genervt klang, obwohl er sich bemühte, sich zusammenzureißen. Seine Mutter sollte nicht den Eindruck bekommen, dass ihm ihre Begleitung lästig war, denn das stimmte nicht.

Während sie in den letzten Tagen zum Weihnachtsshopping in den größten Kaufhäusern der Welt unterwegs gewesen war und ihre Schwester, Emerys Tante Marge, besucht hatte, war er seinen beruflichen Verpflichtungen nachgekommen. Normalerweise war er allein unterwegs, daher war es eine willkommene Abwechslung gewesen, einmal mit seiner Mutter zu verreisen. Sie hatten ein gutes Verhältnis, auch wenn sie manchmal nervte. Aber das gehörte wohl dazu …

»An den Feiertagen kommst du aber doch zu uns, nicht?«, bohrte sie weiter.

Emery stöhnte leise. Er war hundemüde und wollte schlafen – und nicht über das bevorstehende Weihnachtsfest reden. Seine Mutter wollte ihn überzeugen, nach London zu kommen. Darauf lief das Gespräch ohne Zweifel hinaus, und er verspürte nicht das geringste Interesse daran, das Fest der Liebe für andere zu verderben, nur weil er mies drauf war und sein Stimmungstief nicht in den Griff bekam.

»Tut mir leid, aber ich habe in Cornwall Verpflichtungen. Ich habe die Zusage gegeben, einen Monat lang Charity-Therapiestunden zu übernehmen. Die Sorgen der Leute machen auch an den Feiertagen nicht Pause.«

Ihm wurde unter seinen Lügen heiß, aber er wusste nicht, wie er sich sonst aus der Affäre ziehen konnte. Wenn er in diesem Jahr auf eines keine Lust hatte, dann war es die Erwartung seiner Familie, an Weihnachten einen auf heile Welt zu machen. Das würde ihm nicht gelingen, nicht nach den Neuigkeiten, die er zu verkraften hatte. Kürzlich hatte Emery von Virginia eine Nachricht erhalten, in der seine Ex ihm verkündete, wieder heiraten zu wollen – und schwanger war sie auch. Mit ihm hatte sie keine Kinder haben wollen, sie hatte ihm stets erklärt, dass sie sich nicht die Taille ruinieren wollte. Dass Emery schlicht der falsche Mann gewesen war, hatte sie nicht ausgesprochen, aber jetzt musste er sich eingestehen, dass es an ihm lag und an dem, was er ihr nicht hatte geben können. Es tat weh. Immer noch. Sein verletzter Stolz machte Emery dermaßen zu schaffen, dass er überhaupt nicht wusste, wohin mit sich und seinem Frust. Da war ihm Cornwall als Fluchtort einleuchtend erschienen.

»Weißt du«, fing seine Mutter an. »Ich habe mir etwas überlegt.«

Emery richtete sich kerzengerade in seinem Flugzeugsessel auf. Wenn sie einen Satz wie diesen aussprach, bedeutete es selten etwas Gutes. Die Stewardess kam gerade mit einem Tablett vorbei, auf dem sie Champagner und Orangensaft anbot. Emery schnappte sich ein Glas Saft. »Ach ja?«, erwiderte er in Richtung seiner Mutter und nickte der Stewardess dankend zu.

»Wie wäre es, wenn wir alle an Weihnachten zu dir nach Cornwall kämen? Das wäre doch mal was anderes. Dein Haus ist so riesig, wir müssten nicht einmal ein Hotel buchen. Und wir wären trotz deiner Wohltätigkeitsarbeit an Weihnachten alle zusammen! Papa, Jill, die Kinder … Na, wie klingt das?«

Emery stürzte das Getränk in einem Zug herunter. Dann krächzte er: »Das klingt … fantastisch.«

Verdammt. Er saß so was von in der Falle.

Damit war sein Schicksal auf dem Rückflug aus den Staaten besiegelt gewesen. Was seine Mum daraufhin alles an Zugeständnissen von ihm gefordert hatte, wusste er nicht mehr, er hatte zu allem nur noch Ja und Amen gesagt, um endlich seine Ruhe zu haben. Das Desaster würde so oder so seinen Lauf nehmen.

Seit dem Gespräch mit seiner Mutter waren ein paar Tage vergangen, und Emery hatte nach wie vor keinen Weg gefunden, wie er seine Familie wieder ausladen konnte. Er drehte den Tumbler zwischen seinen Fingern. Ein Holzscheit fiel knackend und knisternd in sich zusammen, während ein paar Funken gegen die Kaminscheibe flogen.

Er wollte seine Familie nicht hier haben.

Aus bekannten Gründen: Er war schlecht gelaunt und fühlte sich mies.

Das sollten seine Lieben nicht ausbaden müssen. Er war gerade nicht sozial kompatibel, daher wollte er allein sein und seine Wunden lecken.

»Verdammt«, brummte er und ließ sich mit geschlossenen Augen in den Sessel zurücksinken, lehnte den Kopf gegen das Polster und hoffte, dass er erst zum Neujahrstag wieder aufwachen würde. Leider geschahen in seinem Leben keine Wunder, schon gar nicht zur zermürbendsten Zeit des Jahres.

* * *

Tara war von stockfinsterer Nacht umgeben, es war kurz nach neunzehn Uhr. Laternen gab es auf den schmalen Wegen nur wenige bis gar keine. Stattdessen bildeten die überstehenden Äste der Bäume ein Dach über dem Asphalt. Zu den Regentropfen mischten sich, je weiter sie in Richtung Cornwall fuhr, immer mehr Schneeflocken. Tara war nach der langen Reise müde und gleichzeitig aufgedreht, sie musste sich stark konzentrieren. Ein paar Mal waren ihr beinahe schon die Augen zugefallen. Vielleicht hätte sie Bedelias Angebot, eine Nacht in London zu bleiben, doch annehmen sollen.

Dafür war es natürlich zu spät, aber die restlichen Meilen würde sie auch noch durchhalten. Der Gedanke, dass sie es fast geschafft hatte, verlieh ihr neue Kraft.

Tara konnte ihr Glück nicht fassen. Als ihr Telefon zwei Tage nach der ersten Begegnung mit der Engländerin geklingelt hatte, hatte sie gestottert und gar nicht gewusst, was sie sagen sollte. Nachdem Bedelia ihr Anliegen erklärt hatte, war Tara aus allen Wolken gefallen. Im positiven Sinne. Was für ein Wahnsinnsauftrag!

Davon hatte sie immer geträumt. Und hier ging es nicht nur um das Finanzielle. Geld benötigte Tara natürlich nach wie vor dringend, aber die Tatsache, dass sie nun mit dem Auftrag nach Cornwall unterwegs war, ein altes Herrenhaus weihnachtlich zu gestalten und alles für die Feiertage herzurichten und zu organisieren, war ein Glücksfall. Und zwar nicht nur, weil dieser Job es ihr ersparte, Weihnachten alleine in New York zu verbringen, nachdem ihre Mutter ihr eröffnet hatte, dass sie über die Feiertage mit ihrem neuen Freund in die Sonne fliegen würde. Nein, dieses Engagement ließ einen Herzenswunsch für sie wahr werden.

In ihrem Portemonnaie hatte Tara nach dem Treffen mit Bedelia in London so viele Scheine, dass ihr allein beim Gedanken daran schwindelig wurde. Ihre Auftraggeberin hatte darauf bestanden, ihr ausreichend Bargeld und den großen SUV mitzugeben, damit Tara alles besorgen konnte, was für die Organisation des Familien-Weihnachtsfestes nötig war. Tara hatte freie Hand. Einhundert Prozent. Und offenbar genoss sie außerdem Bedelias volles Vertrauen. Tara könnte sich auch mit der Kohle aus dem Staub machen, damit würde sie locker ein halbes Jahr oder länger klarkommen. Das kam für sie natürlich nicht infrage, trotzdem war Tara von Bedelias Glauben in sie gerührt. Das machte die Sache jedoch nicht einfacher. Tara wollte Bedelia und ihre Familie nicht enttäuschen. Sie wollte ihnen das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten bescheren. Es durfte nicht zu schlicht werden, aber auch nicht zu kitschig. Dabei gingen die Geschmäcker bekanntlich weit auseinander.

Aber eines war klar: Einen blinkenden Santa Claus wollten die Swans garantiert nicht auf ihrem Dach vorfinden. Das würde auch nicht nach Cornwall passen. Tara musste sich als Erstes von dem verabschieden, was in New York völlig normal war. In England lief das mit der Deko anders. Briten waren höflich, ein bisschen steif, es durfte keinesfalls grell und laut werden. Die Swans mochten es bestimmt gediegen. Tara plante deshalb, die Deko stilvoll zu halten – wie das genau aussehen würde, wusste sie noch nicht.

Zunächst würde sie sich von dem alten Gemäuer inspirieren lassen, dann würde ihr schon etwas einfallen. Angeblich stammte das Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert. Genau hatte es Bedelia nicht zu benennen gewusst, die akkurate Zahl spielte auch keine Rolle. Klar war jedenfalls, dass es sich um ein altehrwürdiges Anwesen handelte, das Tara nicht mit zu vielen Lichterketten verunstalten durfte. Sie würde die weihnachtlichen Akzente also gewählt setzen müssen. Weniger war in dem Falle mehr.

»Mann, ich bin so aufgeregt«, sprach sie mit sich selbst, während sie nach rechts abbog, weil das Navi sie mit dieser freundlich ruhigen Frauenstimme dazu aufgefordert hatte. Die Straßen wurden immer schmaler, es ging hinauf und wieder hinunter. Die alten Häuschen und Cottages waren niedlich, aus den meisten Kaminen rauchte es. Hinter vielen Fenstern brannten Lichter. Die Straßen waren jedoch wie leer gefegt.

Viel los ist hier am Abend ja nicht, überlegte Tara. Aber das war unwichtig, sie war nicht hergekommen, weil sie die Gesellschaft anderer suchte, sondern um zu arbeiten.

Fünfhundert Meter lagen laut Navi-Anzeige bis zum Zielpunkt noch vor ihr. Allmählich lichteten sich die Häuser, sie hatte das Dorf fast hinter sich gelassen. Es ging eine Anhöhe hinauf, die Straße war nicht beleuchtet. Dicke Schneeflocken tanzten im Scheinwerferlicht und erschwerten ihr zunehmend die Sicht. Als sie eine Einfahrt mit hohen Säulen und einem imposanten, aber zum Glück offenen, schmiedeeisernen Tor erreichte, hielt sie an. Trewane Manor konnte Tara mit zusammengekniffenen Augen lesen, das Schild an der einen Säule war in der Dunkelheit nur schwer zu erkennen. Erleichtert atmete sie aus. Hier war sie richtig. Zum Glück.

Zufrieden in sich hineinlächelnd steuerte sie das Auto durch die Einfahrt. Hier war der Weg gekiest, aber vernachlässigt, was sie sogar bei diesen Lichtverhältnissen erkannte. Ein paar Fackeln wären großartig, aber vermutlich schwer für mehr als einen Abend umzusetzen, denn die müssten dann täglich neu entzündet werden. Vielleicht fiel ihr ja noch etwas anderes ein.

Nur hinter einem Fenster brannte Licht, ansonsten lag das imposante Gebäude im Dunkeln. Es war zweistöckig und musste von sehr wohlhabenden Leuten erbaut worden sein. Sie schätzte, dass es mindestens fünf Schlafzimmer hatte – und ebenso viele Bäder. Natürlich war es modernisiert worden und nicht mehr auf dem Stand des Erbauungsjahres, das hatte Bedelia ihr erklärt.

»Gott, wie aufregend«, murmelte Tara und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. Sie wusste, dass der Sohn bereits vor Ort war, weil er in Cornwall beruflich zu tun hatte. Einen Schlüssel hatte sie daher nicht bekommen, sie sollte klingeln. Bedelia hatte ihr versichert, dass ihr Sohn Bescheid wisse. Tara hatte vergessen, nach seiner Nummer zu fragen, sie hätte ihre Ankunft gerne telefonisch angekündigt. Nun musste es so gehen.

Mit einem Seufzer der Erleichterung, dass die Reise so gut verlaufen war, parkte Tara den Wagen in der Auffahrt. Sie zog sich ihre Jacke etwas umständlich im Auto über und stieg aus.

Draußen nahm sie einen tiefen Atemzug und roch das Meersalz, die Brandung hörte sie sogar bis hierher. Tara hatte gar nicht gewusst, dass das Anwesen direkt am Meer lag. Wie schön! Die Aussicht musste bei Tageslicht fantastisch sein. Ob es auch einen großen Garten gab? Das wäre wundervoll, denn dann könnte sie dort einige Lichtakzente setzen.

Leider konnte sie in der Dunkelheit nicht viel erkennen, aber das würde sie morgen nachholen.

---ENDE DER LESEPROBE---