Ein Junge namens Weihnacht - Matt Haig - E-Book + Hörbuch

Ein Junge namens Weihnacht E-Book

Matt Haig

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Beschreibung

Weihnachts-Kino für die ganze Familie Wie war das eigentlich, als der Weihnachtsmann noch ein Junge war? Er hieß Nikolas, wuchs in großer Armut irgendwo in Finnland auf und dies ist seine wahre Geschichte ... Der elfjährige Nikolas begibt sich allein auf eine gefährliche Reise an den Nordpol, um seinen Vater zu finden. Er besteht haarsträubende Abenteuer, begegnet Rentieren mit erstaunlichen fliegerischen Fähigkeiten, einer Elfe, die eine seltsame Vorliebe für explodierende Köpfe hat, einem gewalttätigen Troll namens Sebastian – und er stellt fest: Wichtel gibt es wirklich! Und in ihm reift ein Entschluss: Er will die Welt zu einem glücklicheren Ort machen.

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Der elfjährige Nikolas begibt sich allein auf eine gefährlicheReise an den Nordpol, um seinen Vater zu finden. Er besteht haarsträubende Abenteuer, begegnet Rentieren mit erstaunlichen fliegerischen Fähigkeiten, einer Elfe, die eine seltsame Vorliebe für explodierende Köpfe hat, einem brutalen Troll namens Sebastian – außerdem stellt er fest: Wichtel gibt es wirklich! Und er fasst einen Entschluss: Er will die Welt zu einem glücklicheren Ort machen.

Von Matt Haig sind bei dtv u. a. erschienen:

Das Mädchen, das Weihnachten rettete

Ich und der Weihnachtsmann

Das große Herz der kleinen Elfe

Matt Haig

Mit Illustrationen von Chris Mould

Deutsch vonSophie Zeitz

Für Lucas und Pearl

»Unmöglich.«

Altes Wichtel-Fluchwort

Ein Brief von Matt Haig

Liebe Leserin, lieber Leser,

als mein Sohn Lucas sechs Jahre alt war, stellte er mir eine Frage.

Er stellte mir ständig Fragen. Tut er jetzt (mit dreizehn) immer noch, aber nicht ganz so häufig wie damals. Ich hatte in seinem Zimmer gerade das Licht ausgemacht, da ertönte seine Stimme in der Dunkelheit.

»Dad, wie war der Weihnachtsmann eigentlich, als er noch ein Junge war?«

Es war eine gute Frage. Aber es war schon spät, längst Schlafenszeit für ihn, und ich war auch müde.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«

Doch es gibt Fragen, die verschwinden nicht wieder. Dies war so eine. Deshalb setzte ich mich hin und schrieb eine Antwort. Eine Antwort, die all die wichtigen Dinge enthielt – die Magie, die rote Mütze, die Rentiere, die Wichtel, die Hoffnung – und noch ein paar mehr dazu, wie die Wahrheitselfe und eine gewisse kleine Maus.

Wenn man ein Buch schreibt, hat man erst einmal keine Ahnung, wie es werden wird. Und ich hatte keine Ahnung, dass meine Geschichte so wunderschöne Illustrationen von Chris Mould bekommen würde. Oder dass sie so viele Leser finden würde. Oder verfilmt werden würde.

Verfilmt.

Es war wie ein Traum, der Entstehung des Films zuzusehen. Hinzugehen und durch Wichtelhäuser und eine Wichtelschule zu spazieren. Mitzuerleben, wie Hunderte von Menschen einen großen, leuchtenden Film erschaffen, der als kleine Frage in der Dunkelheit begann.

Ich liebe den Film. Ich finde es wunderbar, dass der Regisseur Gil Kenan sich von dem Buch inspirieren ließ, ein paar fantastische neue Dinge dazugab, aber immer dem Herzen der Geschichte treu blieb. Es war unglaublich schön, zu sehen, wie die Geschichte zum Leben erweckt wurde, mit einigen der tollsten Schauspieler auf diesem Planeten.

Ich hoffe, ihr mögt den Film und das Buch. Und vielleicht gefallen euch auch die beiden nächsten Bände der Serie – ›Das Mädchen, das Weihnachten rettete‹ und ›Ich und der Weihnachtsmann‹, die zu schreiben ebenso viel Spaß gemacht hat.

Es ist überhaupt der größte Spaß in meinem Schriftstellerleben, dass ich mich nach Wichtelgrund begeben und da Magie finden kann, wann immer es nötig ist.

Ich hoffe, auch ihr werdet dort ein bisschen Magie entdecken.

Fröhliche Weihnachten!

Matt Haig

Ein ganz gewöhnlicher Junge

ier vor dir hast du die ganz und gar wahre Geschichte des Weihnachtsmanns.

Ja, richtig gelesen. Des Weihnachtsmanns.

Vielleicht fragst du dich jetzt, woher ausgerechnet ich die ganz und gar wahre Geschichte des Weihnachtsmanns kenne. Darauf kann ich nur sagen, dass man manche Dinge einfach nicht in Frage stellen sollte. Jedenfalls nicht gleich am Anfang. Schon weil es unhöflich ist. Du wirst mir einfach glauben müssen, dass ich die Geschichte des Weihnachtsmanns kenne, denn warum würde ich mir sonst die Mühe machen, sie aufzuschreiben?

Vielleicht nennst du ihn nicht den Weihnachtsmann.

Vielleicht hast du einen anderen Namen für ihn.

Santa Claus oder Väterchen Frost oder Sinterklaas, Kris Kringle oder Pelznickel oder Papa Noël oder Der komische dicke Mann mit der roten Mütze, der mit den Rentieren redet und die Geschenke bringt. Oder du hast dir selbst einen Namen für ihn ausgedacht. Wenn du aber ein Wichtel wärst, dann würdest du ihn immer Weihnachtsmann nennen. Den Namen Santa Claus haben die Elfen erfunden, aus reinem Schabernack, um ordentlich Verwirrung zu stiften. Sieht ihnen ähnlich.

Doch egal, wie du ihn nennst, du weißt, wer er ist, und das ist die Hauptsache.

Kannst du dir vorstellen, dass es eine Zeit gab, als ihn niemand kannte? Eine Zeit, als der Weihnachtsmann ein ganz gewöhnlicher Junge namens Nikolas war, der ganz abgeschieden mitten im Nirgendwo lebte, oder besser gesagt, mitten in Finnland, und mit Wundern nichts zu tun hatte, außer dass er daran glaubte? Ein Junge, der kaum etwas wusste von der Welt und nur den Geschmack von Pilzsuppe kannte und den kalten Nordwind und die Geschichten, die er erzählt bekam? Und dessen einziges Spielzeug eine aus einer Steckrübe geschnitzte Puppe war?

Doch das Leben des kleinen Nikolas sollte sich ändern, so von Grund auf, wie er es sich niemals hätte träumen lassen. Ihm würden sehr viele Dinge widerfahren.

Gute Dinge.

Schlechte Dinge.

Unmögliche Dinge.

So. Nun hör zu: Falls du zu den Menschen gehörst, die glauben, dass bestimmte Dinge unmöglich sind, dann solltest du dieses Buch lieber gleich weglegen. Dann ist es eindeutig nichts für dich.

Denn dieses Buch ist voller unmöglicher Dinge.

Du liest immer noch?

Gut. (Die Wichtel wären stolz auf dich.)

Dann lass uns beginnen …

Der Sohn des Holzfällers

ikolas war ein glückliches Kind.

Na ja. Nein. Eigentlich war er das nicht.

Hätte man ihn gefragt, hätte er zwar gesagt, er sei ein glückliches Kind, und er versuchte auch, glücklich zu sein, aber manchmal ist das mit dem Glücklichsein ganz schön schwierig. Was ich damit sagen will, ist, Nikolas war ein Junge, der an das Glück glaubte, genauso wie er an Wichtel, Trolle und Elfen glaubte, aber er hatte noch nie einen echten Wichtel, Troll oder Elf gesehen, und genauso wenig hatte er echtes Glück erlebt. Zumindest nicht seit sehr langer Zeit.

Er hatte kein einfaches Leben. Nehmen wir zum Beispiel Weihnachten.

Dies ist die Liste aller Geschenke, die Nikolas je zu Weihnachten bekommen hatte. In seinem ganzen Leben.

1. Ein Holzschlitten.

2. Eine Puppe, die aus einer Steckrübe geschnitzt war.

Das war’s.

Tatsache ist, Nikolas hatte ein hartes Leben. Aber er machte das Beste daraus.

Er hatte keine Geschwister, mit denen er spielen konnte, und das nächste Dorf – es hieß Kristiinankaupunki – war sehr weit weg. Man brauchte noch länger, um dorthin zu kommen, als um den Namen auszusprechen. Außerdem konnte man in Kristiinankaupunki nicht viel unternehmen, außer in die Kirche zu gehen und sich das Schaufenster des Spielzeugladens anzusehen.

»Papa! Schau mal! Ein Rentier aus Holz!«, seufzte Nikolas, wenn er sich mal wieder die Nase an der Scheibe plattdrückte.

Oder:

»Schau mal! Eine Puppe, die wie der König aussieht!«

Oder:

»Schau mal! Ein Spielzeugwichtel!«

Und einmal fragte er sogar: »Darf ich den haben?«

Er blickte hinauf ins Gesicht seines Vaters. Ein langes, schmales Gesicht mit buschigen Brauen, dessen Haut rauer war als alte Lederschuhe nach dem Regen.

»Weißt du, was das kostet?«, fragte Joel, sein Vater.

»Nein«, sagte Nikolas.

Da hielt sein Vater die linke Hand hoch. Wegen eines Unfalls mit der Axt hatte er nur viereinhalb Finger an der linken Hand. Schlimme Sache. Jede Menge Blut. Ich will nicht weiter ins Detail gehen, schließlich ist dies eine Weihnachtsgeschichte.

»Viereinhalb Rubel?«, fragte Nikolas.

»Nein. Fünf! Fünf Rubel«, antwortete sein Vater verdrossen. »Fünf Rubel für einen Spielzeugwichtel ist viel Geld. Dafür könnte man ein ganzes Haus kaufen.«

»Ich dachte, Häuser kosten einhundert Rubel, Papa.«

»Komm mir nicht schlau, Nikolas.«

»Ich dachte, du willst, dass ich schlau werde.«

»Aber nicht ausgerechnet jetzt«, sagte sein Vater. »Wozu brauchst du überhaupt eine Wichtelpuppe? Du hast doch die Steckrübenpuppe, die deine Mutter für dich geschnitzt hat. Kannst du nicht spielen, die Rübe wäre ein Wichtel?«

»Ja, natürlich, Papa«, sagte Nikolas, der seinen Vater nicht aufregen wollte.

»Keine Angst, mein Sohn. Ich arbeite hart, und eines Tages bin ich reich, und dann kriegst du jedes Spielzeug, das du willst, und wir kaufen ein echtes Pferd und unsere eigene Kutsche und fahren in die Stadt ein wie ein König und ein Prinz!«

»Arbeite nicht zu hart, Papa«, sagte Nikolas. »Auch du musst mal spielen. Außerdem bin ich mit meiner Rübenpuppe wirklich zufrieden.«

Doch sein Vater musste hart arbeiten. Jeden Tag hackte er von früh bis spät Holz. Sobald es hell wurde, fing er zu arbeiten an und hörte erst auf, wenn es dunkel war.

»Das Problem ist, dass wir in Finnland leben«, sagte sein Vater zu Nikolas an dem Tag, als unsere Geschichte beginnt.

»Leben denn nicht alle Menschen in Finnland?«, fragte Nikolas.

Es war früh am Morgen. Sie waren auf dem Weg in den Wald und hatten gerade den alten steinernen Brunnen hinter sich gelassen, dessen Anblick sie nicht ertragen konnten. Der Boden war von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Joel hatte die Axt auf dem Rücken. Die Klinge blitzte in der kalten Morgensonne.

»Nein«, sagte Joel. »Manche Menschen leben auch in Schweden. Und es gibt noch ungefähr sieben, die in Norwegen leben. Vielleicht sogar acht. Die Welt ist groß.«

»Und warum ist es ein Problem, dass wir in Finnland leben, Papa?«

»Zu viele Bäume.«

»Zu viele Bäume? Ich dachte, du magst Bäume. Weil du sie fällen kannst.«

»Ja, aber es gibt zu viele davon. Und deshalb sind sie nicht viel wert …« Joel brach ab. Er drehte sich um.

»Was ist los, Papa?«

»Ich dachte, ich hätte was gehört.« Doch es war nichts zu sehen außer Birken und Kiefern und Sträuchern und Heide. Auf einem Ast über ihnen saß ein Rotkehlchen.

»Wahrscheinlich nichts«, sagte Joel unsicher.

Er sah an einer riesigen Kiefer hinauf und legte die Hand auf die raue Rinde. »Das ist der richtige.« Dann ging er daran, den Baum zu fällen, und Nikolas machte sich auf die Suche nach Pilzen und Beeren.

Nikolas hatte erst einen einzigen Pilz in seinem Körbchen, als er in der Ferne ein Tier erblickte. Nikolas liebte Tiere, doch meistens zeigten sich im Wald nur Vögel, Mäuse und Kaninchen. Selten auch mal ein Elch.

Aber dieses Tier war viel größer und stärker.

Es war ein Bär. Ein riesiger Braunbär, der, dreimal so groß wie Nikolas, auf den Hinterbeinen stand und sich mit den mächtigen Tatzen Beeren ins Maul schaufelte. Nikolas’ Herz klopfte wild. Er beschloss, näher heranzugehen.

Vorsichtig schlich er sich durchs Unterholz. Jetzt war er ganz nah.

Ich kenne diesen Bären!

In demselben schrecklichen Moment, als er den Bären erkannte, trat Nikolas auf einen Zweig. Es knackte. Der Bär drehte sich um und starrte ihn an.

Plötzlich wurde Nikolas am Arm gepackt. Sein Vater funkelte ihn wütend an.

»Was machst du da?«, zischte er. »Du bringst dich in Lebensgefahr!«

Der Griff seines Vaters war so fest, dass es weh tat. Dann ließ er Nikolas’ Arm los.

»Sei der Wald«, flüsterte Joel. Das sagte er immer, wenn es gefährlich wurde. Nikolas wusste nie genau, was sein Vater damit meinte. Also hielt er einfach still. Aber es war zu spät.

Nikolas erinnerte sich, wie er als Sechsjähriger mit seiner Mutter im Wald gewesen war – mit seiner fröhlichen, singenden, rosigen Mutter. Sie waren auf dem Weg zum Brunnen, um Wasser zu holen, als sie genau diesem Bären begegnet waren. Seine Mutter hatte gesagt, Nikolas solle zur Hütte laufen, und Nikolas war losgelaufen. Seine Mutter nicht.

Nikolas sah, wie sein Vater die Axt fester packte, doch seine großen Hände zitterten. Er zog Nikolas hinter sich, für den Fall, dass der Bär angriff.

»Lauf«, sagte sein Vater.

»Nein. Ich bleibe bei dir.«

Es war unklar, ob der Bär hinter ihnen hergelaufen wäre. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war er zu alt und zu müde. Aber er riss das Maul auf und brüllte laut.

Im selben Moment hörten sie ein pfeifendes Geräusch. Nikolas spürte, dass etwas an seinem Kopf vorbeizischte und sein Ohr streifte, wie eine schnelle Feder. Im nächsten Augenblick bohrte sich ein grau gefiederter Pfeil in den Baumstamm genau neben dem Kopf des Bären.

Der Bär ließ sich hastig auf alle viere hinunter und trottete davon.

Nikolas und Joel blickten sich nach dem Schützen um, doch sie sahen nichts als Bäume.

»Das muss der Jäger gewesen sein«, meinte Joel.

Vor einer Woche hatten sie einen verletzten Elch gefunden, dem genauso ein grau gefiederter Pfeil im Fleisch steckte. Nikolas hatte seinen Vater überredet, dem armen Tier zu helfen. Er hatte zugesehen, wie sein Vater Schnee zusammenklaubte und zur Betäubung auf das Fell um die Wunde drückte, bevor er den Pfeil herauszog.

Sie starrten immer noch in den Wald. Ein Zweig knackte, aber sie sahen nichts.

»Na gut, Weihnacht, gehen wir«, sagte Joel.

Er hatte Nikolas seit langer Zeit nicht so genannt.

Früher war sein Vater immer fröhlich gewesen und hatte ständig Witze gemacht. Er hatte allen Spitznamen gegeben. Nikolas’ Mutter hieß »Zuckerplätzchen«, obwohl ihr richtiger Name Lilja war, und Nikolas nannte er »Weihnacht«, weil Nikolas am Weihnachtstag zur Welt gekommen war. Sein Vater hatte Nikolas’ Spitznamen sogar in seinen Schlitten geschnitzt.

»Schau ihn dir an, Zuckerplätzchen, unseren Weihnachtsjungen«, hatte er oft gesagt.

Doch jetzt nannte er ihn fast nie mehr so.

»Schleich dich nie wieder an einen Bären an, verstanden?«, sagte er. »Sonst wirst du gefressen. Bleib schön in meiner Nähe. Du bist eben doch noch ein kleiner Junge.«

Etwas später, als Joel sich nach einer Stunde Holzfällen auf einem Baumstumpf ausruhte, bot Nikolas an: »Ich könnte dir helfen.«

Sein Vater hob die linke Hand. »Das passiert, wenn Elfjährige die Axt schwingen.«

Also richtete Nikolas wieder den Blick auf den Boden, suchte nach Pilzen und fragte sich, ob das Leben eines Elfjährigen irgendwann auch mal Spaß machte.

Das Haus und die Maus

ikolas und sein Vater lebten zusammen in einem Häuschen. Es war das zweitkleinste Haus in ganz Finnland.

Es gab nur ein Zimmer. Das Schlafzimmer war also gleichzeitig Küche, Wohnzimmer und Bad. Na ja, ein Bad gab es eigentlich nicht. Es gab nicht einmal ein richtiges Klo. Das Klo war ein tiefes Loch hinter dem Haus. Im Zimmer standen zwei Betten, deren Matratzen mit Stroh und Federn gefüllt waren. Der Schlitten blieb draußen, und die Steckrübenpuppe hatte ihren Platz an Nikolas’ Bett, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte.

Doch Nikolas war zufrieden. Wenn man jede Menge Fantasie besitzt, ist es egal, wie groß ein Haus ist. Und Nikolas träumte den ganzen Tag vor sich hin und dachte sich Geschichten von Zauberwesen wie Elfen und Wichteln aus.

Die schönste Zeit des Tages war der Abend, wenn Nikolas ins Bett ging und sein Vater ihm eine Geschichte erzählte. Dann kam oft auch eine kleine braune Maus, der Nikolas den Namen Miika gegeben hatte, ins warme Haus gehuscht und hörte mit zu.

Jedenfalls stellte sich Nikolas vor, dass Miika zuhörte, auch wenn es wahrscheinlicher war, dass Miika von Käse träumte. Wozu Miika viel Fantasie brauchte, denn er war ein Waldmäuserich, und im Wald gab es weder Kühe noch Ziegen, daher hatte er noch nie einen Käse gesehen oder gerochen, geschweige denn probiert.

Doch wie alle Mäuse glaubte Miika an die Existenz von Käse, und er wusste, dieser würde sehr, sehr gut schmecken, falls er jemals welchen in die Pfoten bekommen sollte.

Jedenfalls lag Nikolas abends gemütlich im Bett und lauschte gespannt den Geschichten seines Vaters. Joel sah immer müde aus. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Jedes Jahr schien ein neuer hinzuzukommen. Wie bei einem Baum.

»Also«, begann sein Vater, »welche Geschichte möchtest du heute hören?«

»Erzähl mir von den Wichteln.«

»Schon wieder? Ich erzähle dir doch jeden Abend von den Wichteln, seit du drei bist.«

»Bitte, Papa. Erzähl mir mehr.«

Also erzählte Joel eine Geschichte von den Wichteln im Hohen Norden, die hinter dem einzigen Berg in Finnland lebten, einem geheimen Berg, von dem manche Leute behaupteten, es gäbe ihn gar nicht. Die Wichtel lebten in einem magischen Tal in einem verschneiten Dorf namens Wichtelgrund, das von waldigen Hügeln umgeben war.

»Gibt es die Wichtel wirklich, Papa?«, fragte Nikolas.

»Ja. Ich habe sie zwar nie gesehen«, sagte sein Vater aufrichtig, »aber ich glaube an sie. Und manchmal ist Glauben genauso gut wie Wissen.«

Und Nikolas gab seinem Vater recht, auch wenn Miika der Mäuserich anderer Meinung war – oder gewesen wäre, hätte er das Gespräch verfolgt. Hätte Miika zugehört, hätte er gesagt: »Ich würde lieber in einen echten Käse beißen, als nur daran zu glauben.«

Nikolas aber war zufrieden. »Ja, Papa, ich weiß, dass Glauben so gut ist wie Wissen. Und ich glaube, dass die Wichtel freundliche Wesen sind. Du auch?«

»Ja«, sagte Joel, »und sie haben immer bunte Kleider an.«

»So wie du, Papa!«

Das stimmte, aber der Grund dafür war, dass Joel sich seine Kleider selbst aus alten Stoffresten nähte, die ihm der Dorfschneider schenkte. Er hatte sich eine bunte Flickenhose genäht und ein grünes Hemd, und das Beste war eine lange rote flauschige Zipfelmütze mit weißem Pelzrand und einer weißen wolligen Bommel.

»Ach ja, aber meine Sachen sind alt und abgetragen. Die Kleider der Wichtel sind hübsch und nagelneu, und …« Er hielt inne.

Von draußen war ein Geräusch zu hören.

Und einen Augenblick später klopfte es dreimal laut an die Tür.

Der Jäger

m. Merkwürdig«, sagte Joel.

»Vielleicht ist es Tante Carlotta«, meinte Nikolas und hoffte inständig, dass es nicht Tante Carlotta war.

Joel ging zur Tür. Der Weg war nicht weit. Er musste nur einen Schritt machen. Als er öffnete, stand ein Mann vor ihm.

Ein großer, kräftiger, breitschultriger Mann mit kantigem Gesicht und Haar wie goldenes Stroh. Er hatte strahlend blaue Augen, roch nach Heu und sah aus, als wäre er so stark wie zwanzig Pferde. Oder ein halber Bär. Er sah so stark aus, als könnte er, wenn er wollte, das Haus hochheben. Nur dass er im Moment zufällig nicht wollte.

Joel und sein Vater erkannten die Pfeile, die der Mann im Köcher auf dem Rücken trug, an den grauen Federn.

»Du bist es!«, sagte Joel. »Der Jäger.«

Nikolas spürte, dass sein Vater beeindruckt war.

»Das stimmt«, sagte der Mann. Selbst seine Stimme klang, als hätte sie Muskeln. »Ich heiße Anders. Das war ziemlich knapp heute Morgen mit dem Bären.«

»Ja, vielen Dank auch. Komm doch herein. Ich bin Joel. Und das ist mein braver Sohn Nikolas.«

Der große Mann bemerkte den Mäuserich, der in der Ecke saß und einen Pilz aß.

»Ich mag dich nicht«, sagte Miika und starrte auf die Füße in den großen Stiefeln. »Deine Füße sind einfach entsetzlich.«

»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Joel schüchtern. »Ich hätte Moltebeerwein da.«

»Gern«, sagte Anders und lächelte Nikolas, der in seinem Bett saß, freundlich an. »Ein Glas Moltebeerwein wäre schön. Wie ich sehe, trägst du deine rote Mütze sogar im Haus, Joel.«

»Ja, also, sie hält mich warm.«

Moltebeerwein, na so was, dachte Nikolas, als Joel die Flasche hervorholte, die oben auf dem Küchenschrank versteckt war. Er hatte gar nicht gewusst, dass sein Vater Moltebeerwein im Haus hatte.

Väter steckten voller Rätsel.

»Ich bin hier, um dich wegen etwas um Hilfe zu bitten«, erklärte Anders.

»Nur zu«, sagte Joel und schenkte zwei Becher Wein ein.

Anders nahm einen kleinen Schluck. Dann einen großen. Dann kippte er den ganzen Becher hinunter. Mit seiner großen Rechten wischte er sich den Mund ab. »Ich will, dass du etwas tust, für den König.«

Joel zuckte zusammen. »König Fredrik?« Dann lachte er, denn offensichtlich handelte es sich hier um etwas seltsamen Jägerhumor. »Ha! Fast wäre ich drauf reingefallen! Aber was könnte der König schon von einem kleinen Holzfäller wie mir wollen?«

Joel wartete, dass Anders mitlachte, aber es entstand ein langes Schweigen.

»Ich habe dich den ganzen Tag beobachtet. Du bist geschickt mit der Axt …« Anders brach ab, als er sah, dass Nikolas, der noch nie ein so aufregendes Gespräch miterlebt hatte, mit großen Augen lauschte. »Aber vielleicht unterhalten wir uns besser unter vier Augen.«

Joel nickte so heftig, dass die weiße Bommel seiner Mütze nach vorne sprang. »Nikolas, bitte geh in dein Zimmer.«

»Aber Papa, ich habe doch gar kein Zimmer.«

Sein Vater seufzte. »Ach ja, das stimmt … Nun«, sagte er dann zu seinem hünenhaften Gast, »vielleicht gehen wir lieber raus. Es ist Sommer, und der Abend ist mild. Wenn du willst, gebe ich dir gern meine Mütze.«

Da lachte Anders lang und laut. »Ich glaube, ich überlebe es auch ohne!«

Also gingen die Männer nach draußen, während Nikolas sich hinlegte und angestrengt versuchte zu verstehen, was sie sagten. Er lauschte den murmelnden Stimmen, aber er fing nur einzelne Wörter auf.

»… Männer … König … Rubel … Turku … weit … Berg … Waffen … Strecke … Geld … Geld …« Das Wort Geld fiel mehrere Male. Doch dann hörte Nikolas ein Wort, das ihn im Bett hochfahren ließ. Ein magisches Wort. Vielleicht das magischste Wort der Welt. »Wichtel.«

Nikolas sah, wie Miika an der Wand entlanghuschte. Der Mäuserich stellte sich auf die Hinterpfoten, blickte Nikolas unverwandt an und sah aus, als wollte er sich mit ihm unterhalten. So weit sich eine Maus unterhalten konnte. Was nicht sehr weit war.

»Käse«, sagte Miika in der Mäusesprache.

»Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache, Miika.«

Miika sah zum Fenster hinauf. Nikolas meinte Sorge in seinen winzigen Augen zu sehen, und es schien ihm, als ob Miikas Schnurrbart nervös zuckte.

»Wenn ich keinen Käse kriege, fresse ich eben dieses stinkende alte Gemüseding.«

Und schon wollte sich Miika über die Steckrübenpuppe hermachen, die an Nikolas’ Bett lag.

»He! Das war ein Weihnachtsgeschenk!«, protestierte Nikolas.

»Ich bin eine Maus. Weihnachten bedeutet mir nichts.«

»He!«, sagte Nikolas wieder, aber es war schwer, einer Maus böse zu sein, und so ließ er Miika weiter am Ohr der Steckrübenpuppe knabbern.

Die Männer verbrachten eine lange Zeit draußen vor dem Fenster, redeten unverständliches Zeug und tranken Moltebeerwein, während Nikolas sorgenvoll im Dunkeln lag, mit einem unguten Gefühl im Magen.

Miika hatte auch ein ungutes Gefühl im Magen. Aber bei ihm kam es daher, dass er von der alten Steckrübe genascht hatte.

»Gute Nacht, Miika.«

»Ich wünschte, es wäre Käse gewesen«, grummelte Miika.

Nikolas lag da, und ein schrecklicher Gedanke ließ ihn nicht ruhen. Der Gedanke war: Es wird etwas Schlimmes passieren.

Und er sollte recht behalten.

Es würde etwas Schlimmes passieren.

Der Schlitten (und andere schlechte Nachrichten)

ör mal, mein Sohn, ich muss dir was sagen«, begann der Vater am nächsten Morgen, als sie altes Roggenbrot zum Frühstück aßen. Altes Roggenbrot war Nikolas’ zweitliebstes Frühstück, gleich nach frischem Roggenbrot.