Ein Königreich aus Feuer und Eis (Die Feenwelt-Reihe 1) - Leni Wambach - E-Book
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Leni Wambach

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Beschreibung

**Tauch ein in die magische Welt der Feen!** Gegensätzlicher könnten die Wasser- und Feuerfeen von Adalien gar nicht sein: Wo die Wasserfeen die Kälte eines eisigen Winters lieben, bevorzugen die Feuerfeen die flimmernde Hitze des Sommers. Doch nur vereint können sie laut einer uralten Prophezeiung das Land vor dem Untergang bewahren. Für Andira, Prinzessin der Wasserfeen, ist diese nur ein Ammenmärchen, bis sie von ihren Eltern erfährt, dass sie wahrhaftig Teil dieser Prophezeiung ist. Zusammen mit Gardorath, dem Erben der Feuerfeen, soll sie das mächtigste Artefakt der Welt finden, um mit diesem das tödliche Schicksal der Feen zu verhindern. Nur widerwillig macht sich Andira mit ihrem Reisegefährten auf den Weg, entdeckt aber bald, dass ihre Gegensätzlichkeit nicht nur schlechte Seiten hat… //Alle Bände der romantischen Feenwelt-Reihe: -- Ein Königreich aus Feuer und Eis (Die Feenwelt-Reihe 1) -- Eine Krone aus Perlen und Asche (Die Feenwelt-Reihe 2) -- Alle Bände der magischen »Feenwelt«-Reihe in einer E-Box! (Die Feenwelt-Reihe )// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Leni Wambach

Ein Königreich aus Feuer und Eis

**Tauch ein in die magische Welt der Feen!** Gegensätzlicher könnten die Wasser- und Feuerfeen von Adalien gar nicht sein: Wo die Wasserfeen die Kälte eines eisigen Winters lieben, bevorzugen die Feuerfeen die flimmernde Hitze des Sommers. Doch nur vereint können sie laut einer uralten Prophezeiung das Land vor dem Untergang bewahren. Für Andira, Prinzessin der Wasserfeen, ist diese nur ein Ammenmärchen, bis sie von ihren Eltern erfährt, dass sie wahrhaftig Teil dieser Prophezeiung ist. Zusammen mit Gardorath, dem Erben der Feuerfeen, soll sie das mächtigste Artefakt der Welt finden, um mit diesem das tödliche Schicksal der Feen zu verhindern. Nur widerwillig macht sich Andira mit ihrem Reisegefährten auf den Weg, entdeckt aber bald, dass ihre Gegensätzlichkeit nicht nur schlechte Seiten hat …

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Vita

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© privat

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Für meinen Vater,

der mich als Erster in fremde Welten entführte.

Für meine Mutter,

die immer mehr an mich glaubt als ich selbst.

1. Kapitel

Im Nachhinein, stellte Andira fest, waren die Ereignisse des Tages wirklich nicht überraschend gewesen. All ihre Geburtstage hatten in Katastrophen geendet. Diese besondere nahm ihren Anfang jedoch am Vorabend ihres achtzehnten Geburtstages, als sie zu ihrem Vater gerufen wurde.

Als sie also den Ratssaal betrat und die aufgeladene Stimmung bemerkte, war sie sofort alarmiert.

Ihr Vater, König Darian, und ihre Mutter, Königin Adrastea, saßen auf der rechten Seite des langen, in der Mitte stehenden Tisches, der den Saal mit seiner Respekt heischenden Präsenz dominierte. Auf der anderen Seite saß König Viridan, der von ihren Eltern und deren Beratern wütend angefunkelt wurde.

»Das kommt nicht infrage«, erklärte König Darian und die Berater nickten eifrig.

»Das habt nicht Ihr alleine zu entscheiden!«, gab der Feuerkönig erzürnt zurück.

Argwöhnisch gab Andira, die immer noch am Eingang des Saals stand, der Fee, die Neuankömmlinge ankündigte, ein Zeichen. Was ging hier nur vor?

Die Fee knickste anmutig vor ihr und schlug mit ihren schillernden Flügeln, was ein hohes Klingeln durch den fensterlosen Raum schellen ließ, dessen einzige Lichtquelle die Fackeln an den Wänden waren. Das Gespräch am Tisch verstummte.

»Andira, Kronprinzessin der Wasserfeen, hat soeben den Ratssaal betreten und wünscht sich zu nähern!«

Damit waren die Formalitäten erledigt und mit mehr Sicherheit, als Andira verspürte, schritt sie auf den Tisch zu.

»Setz dich«, sagte ihr Vater und deutete auf den Stuhl neben ihrer Mutter, der extra für diesen Zweck bereitstand.

Die Blicke aller auf sich spürend ließ sich Andira mit hocherhobenem Kopf nieder. Erst jetzt sah sie sich genauer um und betrachtete die Anwesenden eingehender.

Plötzlich war ihr, als hätte man ihr einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf geleert, was entgegen der allgemeinen Vorstellungen auch für eine Wasserfee keine angenehme Erfahrung war. Ihr schräg gegenüber saß niemand Geringeres als Gardorath, der Neffe und Erbe des Feuerkönigs.

Seit ihrer frühen Kindheit, seit ihrem ersten Aufeinandertreffen an ebendiesem Ort, im Berg der Zusammenkunft, konnten sie einander nicht ausstehen. Unglücklicherweise trafen sie einmal im Jahr aufeinander, wenn die Könige sich über die Handelsbeziehungen und Streitereien zwischen den Feenvölkern austauschten.

Andira wusste noch sehr genau, dass er ihr vor einigen Jahren die Haare angesengt hatte. Und wenn seine sich verfinsternde Miene irgendein Beweis war, dann hatte auch er nicht vergessen, dass sie zum Dank seine Flügel eingefroren hatte. Die Erinnerung daran war jedoch nicht der einzige Grund, warum Andira Wut in sich aufsteigen spürte. War Gardorath etwa von Anfang an bei der Versammlung gewesen? Und sie hatte man erst jetzt geholt? Sie versuchte mühsam den Zorn aus ihrem Gesicht zu vertreiben, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Hände bebten. Um ihre Füße herum spürte sie, wie der Boden gefror.

»Andira«, zischte ihre Mutter und sie blinzelte.

Während sie so in Gedanken versunken gewesen war, hatten die beiden Könige anscheinend ihr Streitgespräch fortgesetzt und waren inzwischen bei einer ohrenbetäubenden Lautstärke angelangt. Nun ärgerte sie sich auch noch über sich selbst, dass sie nicht zugehört hatte.

»Und ich sage Euch, meine Tochter wird nicht mit Eurem Neffen –«

»Als würde ich wollen, dass mein Erbe mit Eurer Tochter –«

»Jetzt ist aber genug!«, unterbrach Adrastea die Streitenden mit energischer Stimme.

Wie immer war Andira beeindruckt davon, mit welcher Leichtigkeit sich ihre Mutter Gehör verschaffte. Sie war eben die geborene Königin.

Gleichzeitig schwirrte ihr aber der Kopf. Wovon hatten ihr Vater und der Feuerkönig gesprochen? Es ging anscheinend um sie und … und um Gardorath?

»Worum geht es hier, Vater? Warum sollte ich kommen?«, sprach Andira die Frage laut aus, die ihr nun umso mehr auf der Zunge brannte.

Darian, der am Kopfende des Tisches saß, warf ihr einen seltsamen Blick zu, als wäre er überrascht, dass sie sich eingemischt hatte, aber bevor er antworten konnte, ertönte die höhnische Stimme, die sie so sehr verabscheute: »Natürlich musstest du diese Frage stellen. So etwas wüsste man, wenn man schon seit Beginn anwesend wäre.«

Sie fuhr herum und funkelte Gardorath aufgebracht an. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden! Und sie mit so einem herablassenden Grinsen anzusehen! In seinem dunkelbraunen Gesicht leuchteten seine Zähne strahlend weiß und seine funkelnden, fast schwarzen Augen schienen sie zusätzlich verhöhnen zu wollen.

»Genug«, unterband König Viridan, der Feuerkönig, den aufkommenden Streit.

»Es geht um die Prophezeiung, Andira«, erklärte König Darian eher widerwillig. Sie drehte sich wieder zu ihrem Vater um.

»Die Herzkristall-Prophezeiung?«, versicherte sie sich. Sie spürte, wie ein ungutes Gefühl in ihr aufstieg.

Die Herzkristall-Prophezeiung zählte zu den ältesten des Feenvolks und war eine der wenigen, die sich Feuer- und Wasserfeen teilten. Sie war genau hier, in diesem Berg, während der ersten Zusammenkunft niedergeschrieben worden und war ihnen allen vor einigen Jahren auf schreckliche Weise wieder in Erinnerung gerufen worden.

»Und wenn das Land vergeht in Kälte

und wenn die Städte brennen in Feuer lichterloh,

dann dreht sich das Herz um sich selbst

und streut Übel in die Welt.

Die Jungen müssen die Alten retten

und nur Feuer bekämpft Feuer

und Wasser siegt über Eis.«

Alle Augen richteten sich auf Gardorath. Mit leiser, aber volltönender Stimme hatte er die Prophezeiung rezitiert, die ihnen allen seit Jahren nicht mehr aus dem Kopf ging. Nachdem das Reich der Feuerfeen von einer Kältewelle bedroht worden war und das Reich der Wasserfeen angefangen hatte zu brennen, hatten die Feen der Prophezeiung diese Weissagung wieder ans Licht gebracht.

Immer mehr Feen flüchteten seitdem aus den betroffenen Gebieten, aber bis jetzt hatten die Katastrophen nicht gestoppt werden können.

Am Anfang wäre beinahe ein Krieg zwischen den Feen ausgebrochen, als sich beide Seiten für das Unglück des jeweils anderen verantwortlich machten – bis sich jemand an die Prophezeiung erinnert hatte. Die Prophezeiung, die verhieß, dass der Herzkristall im besten Fall die Lösung war. Und im schlimmsten die Ursache.

Von da an versuchten sie eine Lösung zu finden, was aufgrund der ständigen Streitereien beinahe unmöglich schien.

»Und Ihr glaubt … Ihr glaubt, dass die Jungen –«, begann Andira, konnte den Satz aber aus Furcht nicht zu Ende bringen. So wie vermutlich bei allen anderen, die von der Prophezeiung wussten, verging kaum ein Tag, an dem Andira nicht an sie dachte. Und dass man Gardorath und sie zu einer Besprechung des Königsrats rief, war ungewöhnlich genug, um eine Verbindung zwischen der Prophezeiung und ihnen zu vermuten.

Sie sah Gardorath an, der ihren Blick vielleicht zum ersten Mal ohne Häme erwiderte. »Ja. Die Feen der Prophezeiung glauben, dass sie von dir und mir handelt.«

Obwohl sie die Feen der Prophezeiung, die seit Jahrhunderten Weissagungen aussprachen und versuchten ihnen Bedeutung zu verleihen, eigentlich bewunderte und nicht infrage stellte, wünschte sie sich verzweifelt, sie lägen falsch.

Nun blickte Andira ihre Eltern an. Das konnte nicht stimmen. Gardorath nahm sie doch bestimmt nur auf den Arm!

»Aber es gibt doch viele junge Feen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ausgerechnet wir sind?«, fragte sie und atmete tief ein und aus.

»Die Feen der Prophezeiung haben alle Weissagungen eingehend studiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass nur ihr gemeint sein könnt«, erklärte Adrastea mit vor Sorge gerunzelter Stirn.

So erzürnt und besorgt, wie ihre Mutter wirkte, konnte sich Andira der Unterstützung ihrer Eltern gewiss sein. Sie würden nicht zulassen, dass sie sich auf diese Reise begab! Eine Expedition zum Herzkristall, der im höchsten Berg der Herzberge versteckt lag, im Zentrum Adaliens. Schon seit vielen Jahren hatte sich niemand dorthin gewagt. In dieser Region, die zwischen dem eisig kalten Gebiet der Wasserfeen und den Wüsten der Feuerfeen lag, war das Klima gemäßigt und alles grünte und blühte. Was dafür gesorgt hatte, dass sich dort allerlei Untiere eingefunden hatten. Ganz zu schweigen davon, dass Andira fest davon überzeugt war, nicht die nötigen Fähigkeiten für eine derartig wichtige Aufgabe zu haben. Dazu kam noch – Gardorath? Sie vertraute ihm kein bisschen, wie sollten sie da eine so gefährliche Reise gemeinsam unternehmen? Das kam überhaupt nicht infrage.

»Dann irren sie sich«, sagte Andira entschieden. »Sie müssen sich irren, nicht wahr, Vater?«

Zu ihrem größten Entsetzen antwortete Darian nicht sofort, sondern sah nachdenklich auf die Tischplatte vor sich.

»Gardorath hat sich schon bereit erklärt die Bürde der Prophezeiung zu tragen«, mischte sich zu allem Überfluss auch noch König Viridan ein.

Bevor sie unter dessen kaltem Blick zusammenzucken konnte, besann sie sich darauf, dass sie die Kronprinzessin war und kein kleines Kind, das von einem Erwachsenen, und schon gar nicht vom Feuerkönig, getadelt werden konnte. Sie entschied sich seine Bemerkung und seinen Blick zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen wieder auf ihren Vater.

»Was ist, wenn sie doch recht haben?«, fragte Darian abwägend und warf ihr einen Blick zu. Andira konnte nichts anderes tun, als wie gelähmt dazusitzen.

»Das kann nicht dein Ernst sein«, erwiderte Adrastea ungläubig.

Andira sah zur Seite, um ihrem Vater ihre Angst nicht noch deutlicher zu zeigen, und ihr Blick traf wieder auf Gardoraths Gesicht. Er hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen, als wolle er sie herausfordern. Seine Augen schienen direkt in ihr Innerstes zu sehen, schienen alles zu erkennen, was sie zweifeln ließ. Ihr Unvermögen, es ihrem Vater recht zu machen. Dass er sie immer zurücksetzte, sie nicht wie die Kronprinzessin, sondern wie ein Niemand behandelte und ihr damit jeden Anflug von Selbstbewusstsein nahm.

Wütend darüber, dass er ihr so unter die Haut ging, presste Andira die Lippen zusammen und versuchte sich so gut es ging auf die immer noch hitzige Diskussion zu konzentrieren, in die sich jetzt auch die bis dahin stumm gebliebenen Berater einmischten.

***

Als Andira am Abend endlich in dem Bett lag, das ihr während des jährlichen Aufenthalts im Berg der Zusammenkunft gehörte, fühlte sie sich wie erschlagen. Die Versammlung hatte bis in die späten Abendstunden gedauert und der Königsrat, einschließlich Gardorath und Andira, war zu keiner eindeutigen Lösung gekommen. Allerdings machte sie sich keinerlei Illusionen darüber, wie sich ihr Vater letztendlich entscheiden würde. Mit jeder verstreichenden Minute schien er überzeugter davon gewesen zu sein, dass die Feen der Prophezeiung recht haben mussten. Sogar ihre Mutter war vom plötzlichen Meinungsumschwung überrascht gewesen, aber Andira wusste, dass sie sich nicht auf die Unterstützung der Königin verlassen konnte, wenn sich der König der Wasserfeen einmal zu etwas entschlossen hatte.

»Vielleicht will er mich ja auch nur loswerden«, murmelte sie in die Stille ihres Zimmers hinein. »Ich wünsche mir einen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

***

Der nächste Tag wurde genauso grauenvoll, wie ihn sich Andira vorgestellt hatte. Es fand keine Versammlung statt, dafür musste sie einen Festakt nach dem anderen über sich ergehen lassen und Glückwünsche von völlig Fremden entgegennehmen, die nur gekommen waren, um sich mit dem Herrscherpaar gut zu stellen.

Auch das gemeinsame Abendessen mit ihren Eltern, das in einem kleineren, privaten Speisesaal arrangiert worden war, verbesserte ihre Laune nicht.

Die Köche hatten wirklich ihr Bestes gegeben und all ihre Lieblingsspeisen aufgetischt. Sie bekam jedoch nichts herunter, denn sie ahnte, dass ihre Eltern eine Entscheidung getroffen hatten. Schon den ganzen Tag hatten sie sie merkwürdig behandelt und immer wieder leise miteinander gesprochen. Sie war also nicht überrascht, als ihr Vater das Besteck zur Seite legte und sie mit seinen goldenen Augen, die sie von ihm geerbt hatte, durchdringend anschaute.

»Andira, deine Mutter, die Berater und ich haben noch lange diskutiert. Wir haben beschlossen, dass wir den Feen der Prophezeiung vertrauen. Sie haben uns noch nie in die Irre geleitet und wenn sie überzeugt davon sind, dass du die Richtige für diese Aufgabe bist, dass du es bist, die vor so langer Zeit prophezeit worden ist, dann sind auch wir davon überzeugt«, erklärte er und seine Stimme duldete keinerlei Widerspruch.

Heftiger als beabsichtigt stellte Andira ihren Becher ab, den sie umklammert gehalten hatte. Die Flüssigkeit darin schwappte gefährlich hin und her, doch das kümmerte sie nicht. Obwohl sie mit dieser Entscheidung gerechnet hatte, fühlte sie sich wie überrannt.

»Mutter?«, fragte sie Hilfe suchend und verbannte jedes Zittern aus ihrer Stimme, während sie Adrastea ansah.

»Ich habe dem nichts hinzuzufügen«, antwortete diese ruhig.

»Und wenn ich nicht möchte? Wenn ich mich nicht auf diese Reise begeben möchte? Es ist gefährlich.«

Die Miene ihres Vaters verfinsterte sich und schlagartig schienen die Temperaturen im Raum zu sinken. So wie Andira hatte auch der König eine starke Affinität zum Eis und es blieb selten unbemerkt, wenn er wütend wurde.

»Dann muss ich mir wirklich Gedanken darüber machen, ob du irgendwann die Krone tragen kannst. Du existierst nicht nur für deine eigenen Bedürfnisse, du bist für dein Volk verantwortlich und kannst dich nicht deinem Egoismus –«

»Egoismus?«, echote Andira ungläubig. »Ich? Egoistisch? Was habe ich in den letzten Jahren getan, dass du so etwas von mir denkst? Ich habe immer das getan, was ihr von mir verlangt habt! Ich habe mein Bestes gegeben. Es ist nicht meine Schuld, dass ich nicht mein Bruder bin!«

Die letzten Worte schrie sie beinahe und bereute sie sofort, als ihre Mutter zusammenzuckte.

Vor Wut war der König noch bleicher geworden, als er es ohnehin schon war. »Geh. Sofort! Ich will dich erst einmal nicht mehr sehen. In einer Woche werdet ihr aufbrechen und das ist ein Befehl. Befehlsverweigerung ist Hochverrat, denk darüber nach.«

Auch wenn Andira wusste, dass sie mit ihren Worten zu weit gegangen war, zügelte dies nicht ihren Zorn. Sie sprang so schnell auf, dass sie den Stuhl umwarf, und stürmte aus dem Raum, eine Eisspur auf dem Boden hinterlassend. Ärgerlich wischte sie die Tränen von ihren Wangen und eilte durch das Labyrinth aus Gängen. Die Feen, die ihr entgegenkamen, wichen hastig zur Seite aus, um nicht von ihr umgerannt zu werden.

Ohne dass sie darüber nachdachte, ging sie zur großen Terrasse, die um die Uhrzeit meistens leer war.

Hier, in der Einsamkeit unter dem Sternenhimmel, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und sie rannen kalt ihr Gesicht hinab. Sie schlang sich die Arme um den Körper, der von Schluchzern geschüttelt wurde, und trat an den Rand der Terrasse.

Adalien breitete sich unter ihr aus. Der Berg der Zusammenkunft war die zweithöchste Erhebung im Land, größer als die meisten Berge des Herzgebirges. Die Weite des Landes machte ihr Angst. Eine Angst, die ihr Herz fest umklammerte. Andira hatte immer schon Furcht vor offenen Räumen verspürt und fühlte sich da, wo andere das Gefühl hatten, eingeengt zu werden, am wohlsten. Und jetzt sollte sie … Das musste ein Irrtum sein. Niemand, der noch bei klarem Verstand war, würde sie für so eine Aufgabe auswählen. Es ging um das Überleben der Feen! Um den Fortbestand des ganzen Landes! Das war eine Verantwortung, die zu groß für sie war.

Wenn Liron noch leben würde … Wenn er noch leben würde, dann wäre niemand auf die Idee gekommen, sie zu schicken. Und Liron hätte sich, ohne zu zögern, auf den Weg gemacht, da war sich Andira sicher. Aber ihr älterer Bruder hatte zu den ersten Opfern des Feuers gehört und war nun seit fast vier Jahren tot. Sie hatten sich oft gestritten, aber sie vermisste ihn jeden Tag.

»Ich hätte gedacht, dass du dich feiern lässt«, ertönte hinter ihr eine Stimme, die sie erstarren ließ.

Hastig wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Warum musste er ausgerechnet hier und jetzt auftauchen? Die Terrasse hatte zwei Zugänge, einen von der Nord- und einen von der Südseite und war somit für beide Feenvölker zugänglich. Es war der einzige Ort, außer den Ratssälen, wo sie aufeinandertreffen konnten.

»Feiern lassen?«, wiederholte sie und bemühte sich ihrer Stimme den gleichen festen, überheblichen Klang zu geben wie er seiner. Den Blick behielt sie dabei starr auf das Land gerichtet.

»Du bist doch nun offiziell die Retterin des Volkes.«

Gardorath trat neben sie und Andira rückte ein Stück zur Seite, um genügend Abstand zwischen sie zu bringen. Er trat immer absichtlich in ihren persönlichen Bereich, um sie zu verunsichern. Selbst hier, einige Meter von ihm entfernt, spürte sie die Hitze, die er ausstrahlte.

»Das weißt du schon?«, fragte sie und fuhr sich mit der Hand erschöpft über die Augen.

Sie hatte eigentlich keine Energie mehr übrig, um sich mit Gardorath zu streiten.

»Heute Mittag hat uns dein Vater eine entsprechende Botschaft zukommen lassen. Mein Onkel ist nicht sehr erfreut. Er fürchtet, dass du alles ruinieren wirst.«

»Ich? Wenn einer irgendetwas ruiniert, dann ja wohl du«, knurrte Andira und wandte sich ihm nun doch zu, um ihm einen giftigen Blick zuzuwerfen.

Gardorath schaffte es noch besser als ihr Vater, sie wütend zu machen.

Er schaute sie finster an. »Bei dir kann man ja nie wissen, ob du einem nicht einfach die Flügel einfrierst!«

»Ich müsste dir die Flügel nicht einfrieren, wenn du mich nicht mit Feuerbällen bewerfen würdest«, schoss Andira sofort zurück.

»Oh, ja, nicht auszudenken, der holden Prinzessin fehlen ein paar Zentimeter ihres güldenen Haares.«

»Was willst du eigentlich? Wenn du nur hier bist, um dich zu streiten, dann such dir jemand anderen oder ich frier dir die Zunge am Gaumen fest.«

Andira war sich nicht sicher, ob sie das wirklich zustande bringen konnte, aber das musste sie Gardorath ja nicht auf die Nase binden.

»Eigentlich wollte ich meine Ruhe haben, aber dann musste ich ja unbedingt auf dich treffen«, brummte Gardorath und Andira schnaubte sehr unprinzessinnenhaft.

»Das Gleiche könnte ich über dich sagen. Ich war schließlich zuerst hier. Aber der Klügere gibt nach, also gehe ich.«

Sie stieß sich von der Mauer ab und wollte in den Berg zurückkehren.

»Warte«, rief Gardorath leise und hielt sie am Arm fest.

Ihre Haut prickelte an der Stelle, die seine Hand berührte. Obwohl sie wusste, dass es einzig und allein an ihren verschiedenartigen Kräften lag, fühlte sie sich dennoch seltsam. Schnell schüttelte sie seine Hand ab und drehte sich mit verschränkten Armen wieder um. Er war ein Stück größer als sie, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn weiter ansehen zu können.

»Was ist?«, fragte sie misstrauisch.

Wenn er sie weiter verhöhnen wollte, konnte sie für nichts mehr garantieren.

»Wir kommen aus der Sache nicht mehr raus.« Er fuhr sich durch die schwarzen, unordentlich vom Kopf abstehenden Haare, als sei ihm das Gespräch unangenehm. »Ich ziele nicht mehr mit Feuerbällen auf dich und du frierst mich nicht ein. Abgemacht?« Er streckte die Hand aus – ein Waffenstillstand.

Andira sah zur Seite und verzog das Gesicht. Er hatte recht, all ihre Wut brachte nichts. Ihr Vater hatte eine Entscheidung getroffen und sie hatte keine andere Wahl, als seinem Befehl zu gehorchen. Er hatte sehr deutlich gemacht, was passierte, wenn sie sich verweigerte.

»Abgemacht«, murmelte sie und schüttelte seufzend seine Hand, während sie seinen Blick erwiderte.

Sie schnappte nach Luft und hörte auch Gardorath leise zischen, als ein scharfes, heißes Kribbeln ihren Arm hinaufschoss. Es war so stark, dass sich ihre dicht am Körper liegenden Flügel aufrichteten und leise klingelnd unruhig schlugen.

»Ich … Ich würde sagen, das ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Prophezeiung uns meint«, murmelte Gardorath schließlich benommen und Andira nickte, als das Kribbeln nachließ.

Sie bemerkte, dass sie sich immer noch an der Hand hielten, riss sich schnell aus der Berührung los und machte einen Schritt nach hinten. Unwillkürlich fielen ihre Augen auf Gardoraths Flügel, die im Mondlicht schimmerten. Sie waren mit flammenartigen rötlichen Mustern versehen.

»Nicht einfrieren, das haben wir abgemacht«, erinnerte er sie und lächelte schwach.

Es war das erste ehrliche Lächeln, das sie auf seinem Gesicht sah. Überrascht senkte sie den Blick.

»Keine Sorge, ich vergesse es nicht. Ich … ich gehe jetzt wieder rein.«

Schnell wandte sie sich um und dieses Mal hielt Gardorath sie nicht auf.

»Gute Nacht, Andira.«

Sie war schon beinahe im Berg verschwunden, als seine Stimme ein letztes Mal zu ihr wehte.

***

Die nächsten Tage verbrachte Andira in ihren Räumen. Sogar das Essen ließ sie sich dorthin bringen und da ihre Eltern nicht nach ihr verlangten, hatte sie keinen Grund, auch nur einen Schritt nach draußen zu machen. Sie wusste, sie würde den Tag des Aufbruches nicht dadurch aufhalten können, dass sie sich vor der Welt versteckte, aber sie musste es der Welt ja auch nicht einfacher machen, sie zu finden.

Am Vorabend des Aufbruches wurden ihre Pläne jedoch durchkreuzt. Als sie gerade mit angezogenen Beinen, bekleidet mit etwas, was ihre Mutter häufig mit abfälligen Blicken betrachtete, da sie es für unschicklich hielt, auf ihrem Bett saß und an die karge, steinerne Wand starrte, klopfte es zaghaft an der Tür.

»Herein«, sagte sie nach einer Sekunde.

Ihre Kammerdienerin öffnete die Tür, in der sie stehen blieb. Seit den letzten Tagen war die ältere Fee immer etwas vorsichtig, denn Andira hatte sie häufig angefahren. Meistens hatte ihr das im Nachhinein leidgetan, aber sie fand nicht die Kraft dazu, sich angemessen zu entschuldigen. »Prinzessin, der Königsrat verlangt nach Euch. Soll ich Euch beim Ankleiden helfen?«

Andira blinzelte benommen, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das mache ich selbst. Sag ihnen, dass ich auf dem Weg bin«, erwiderte sie und lauschte dem Geräusch der sich schließenden Tür.

Offensichtlich war es an Zeit, in die Welt zurückzukehren. Sie war sogar überrascht, dass es so lange gedauert hatte. Sicherlich mussten viele Absprachen getroffen werden. Mit ihr, zwischen den Königen … Die beiden Thronfolger der Regionen auf eine gefährliche Reise zu schicken, war vermutlich mit viel Aufwand verbunden.

Aber wahrscheinlich hatte ihr Vater wie immer schon alles entschieden. Wer brauchte schon ihre Meinung zu hören, wenn König Darian etwas für das Richtige hielt?

***

Die Versammlung war dieses Mal bedeutend kleiner, dafür waren einige neue Gesichter zu sehen. Sie wurde auch nicht im großen Ratssaal abgehalten, sondern in einem etwas kleineren Saal des Bergs. Auch hier stand ein großer, allerdings runder Tisch in der Mitte, aber an den Wänden hingen einige Gemälde, die das Land oder ehemalige Könige und Königinnen zeigten.

Eine der Anwesenden erkannte sie an den schlichten Gewändern als eine Fee der Prophezeiung. Sie musste aus der Wasserregion stammen, denn sie hatte dunkelblaue Haare und hellblaue Haut. Sie schätzte sie ungefähr auf das Alter ihrer Eltern, aber es war schwer zu sagen. Die Feen, die sich um die Prophezeiungen kümmerten, schienen oft einer ganz anderen Welt anzugehören.

Gardorath unterhielt sich in einer Ecke des Raumes mit seinem Onkel und sah nur kurz auf, als sie diesen betrat. Ihre Eltern und deren Berater standen in der Nähe der Tür, durch die sie soeben eingetreten war. Sie ging langsam auf sie zu.

»Da bist du ja«, sagte ihr Vater ungeduldig und Andira musste sich beherrschen, um ihn nicht anzufahren. »Wir müssen die letzten Details besprechen und ich halte es für nötig, dass du sie dir anhörst.«

Adrastea warf ihrer Tochter einen warnenden Blick zu, damit sie nicht aus der Haut fuhr. Andira hätte nichts lieber getan als das, denn die Worte ihres Vaters waren voller Herablassung. Sie fühlte sich wie ein kleines, trotziges, dummes Kind und ihre Stimmung sank noch weiter.

»Ich bin so weit, Eure Hoheiten«, erklärte eine Andira noch unbekannte Fee, vermutlich ein Kartograph.

Alle Anwesenden traten an den Tisch heran, auf dem die fremde Fee viele Karten ausgebreitet hatte.

»Sprecht«, forderte König Viridan den Kartographen auf, der bereits einen Stock zur Hand genommen hatte und sich eifrig über eine der Karten beugte.

»Dies«, er tippte auf einen kreisförmigen Bereich, der mit einer dünnen schwarzen Linie vom Rest der Karte abgetrennt war, »ist das Zentrum des Landes. Das Herz-Gebirge liegt beinahe mittig, seine Ausläufer ziehen sich aber durch das ganze Zentrum. Umgeben ist es von einem dichten Wald. Der Trupp –«

»Es wird keinen Trupp geben«, unterbrach die Fee der Prophezeiung den Mann, der sie nun mit großen Augen ansah.

Andira fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Ein Teil von ihr hatte sich noch längst nicht damit abgefunden, dass sie überhaupt aufbrechen musste. Und jetzt auch noch das? Das war zu viel.

Auch den Königen und ihrer Mutter schien diese Information neu zu sein.

»Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass Prinzessin Andira und Lord Gardorath diesen Weg alleine bestreiten. Sie müssen schnell sein.«

»Aber die Prophezeiung sagt doch gar nicht, dass wir alleine gehen müssen«, wandte Gardorath ein. »Außerdem wird uns ein kleiner Trupp nicht aufhalten.«

»Die Prophezeiung sagt aber auch nicht, dass ihr Begleitung haben werdet.« Die Augen der Fee duldeten keinerlei Widerspruch. Nicht zum ersten Mal bewunderte Andira diese Feen für ihre innere Ruhe und Kraft, die es ihnen ermöglichten, auch mit Adligen auf Augenhöhe zu sprechen.

»Ihr wisst, Lord Gardorath, dass bei Eurer Geburt eine Weissagung über Euch gemacht worden ist. Ihr kennt ihren Inhalt, doch wie so viele Prophezeiungen ergibt sich ihr Sinn nur durch die Beziehung zu anderen Prophezeiungen. Das Gleiche gilt für Euch, Prinzessin Andira. Ihr werdet nur zu zweit reisen.«

Andira tauschte einen Blick mit Gardorath, der so entsetzt aussah, wie sie sich fühlte. Sie fragte sich, was schlimmer war: alleine mit Gardorath zu reisen oder diesen gefährlichen Weg ohne zusätzliche Unterstützung auf sich zu nehmen!

»Nun … Nun gut. Dann würde ich Euch gerne den Weg zeigen, den Ihr am besten einschlagt, Prinzessin, mein Lord«, verschaffte sich der Kartograph wieder Gehör und als sich die Augen wieder auf ihn richteten, fuhr er fort: »Der beste und schnellste Weg ist der direkt an der Grenze entlang. Er führt geradewegs ins Zentrum hinein.«

Mit seinem Stock fuhr er die blau gestrichelte Linie nach, die schnurgerade vom Berg der Zusammenkunft bis zum Zentrum führte. Dahinter ging sie auf gleicher Höhe weiter, bis zum Meer. Andira war diese Karte mehr als nur bekannt, sie hing auch im heimatlichen Schloss und sie hatte sie oft studiert. Eigentlich war Adalien eine Insel, auf allen Seiten von Meer umgeben.

»Und im Zentrum? Da sind keine Wege, nicht wahr?«, fragte sie und tippte auf den abgegrenzten Bereich. »Können wir den Ausläufern des Gebirges folgen?«

»Das würde ich Euch nicht raten, Prinzessin«, erwiderte der Kartograph und schüttelte langsam den Kopf. »Tut Ihr das, würdet Ihr dem Flusslauf folgen, der im Gebirge verschwindet. Er setzt sich hier«, er deutete auf eine Stelle im rechten Teil des Zentrums, »in Euer Land fort. Allerdings leben am Fluss in der Herzregion unseren Erkenntnissen nach die meisten wilden Tiere.«

»Aber wir brauchen doch Wasser«, protestierte Gardorath.

Andira schnaubte. »Da wäre es ja wirklich praktisch, wenn wir jemanden dabeihätten, der das Wasser beherrscht.«

»Ach, du kannst mehr als nur Eis?«, schoss er sofort zurück.

»Selbst wenn nicht, als ich es das letzte Mal gesehen habe, wirkte es noch so, als hättest du Kontrolle über das Feuer.«

Bildete sie es sich nur ein oder sah Gardorath beinahe etwas verlegen aus? Jedenfalls protestierte er nicht weiter, sondern bedeutete dem Kartographen mit einer Handbewegung fortzufahren.

»Lord Gardorath hat ganz recht. Ihr werdet Euch mit Wasser versorgen müssen. Wenn Ihr die vorgeschlagene Route vollends aus den Augen verliert, dann sucht nach dem Fluss, aber betrachtet dies als absolute Notlösung. Ansonsten versucht so lange wie möglich am Rand des Zentrums zu bleiben, ob links oder rechts, macht unseren Erkenntnissen nach keinen Unterschied. Von dort aus könnt Ihr auch die Berge weiterhin gut ausmachen. Wenn Ihr auf Höhe des Herzberges seid, dann versucht ihn so schnell wie möglich zu erreichen.«

»Mal abgesehen von den wilden Tieren, mit was müssen wir denn noch rechnen?«, stellte Gardorath die Frage, die Andira bis jetzt noch nicht gewagt hatte zu stellen.

Sie war sich auch nicht sicher, ob sie die Antwort hören wollte, und der Kartograph zögerte sichtlich, was ihren Herzschlag nur noch beschleunigte.

»Sprecht«, forderte ihr Vater ungeduldig und verschränkte die Arme vor der Brust.

»E-Entschuldigt, Eure Hoheit!«, beeilte sich der Mann zu sagen. »Es ist nur so, dass ich keine genaue Antwort geben kann. Die letzte Expedition ist schon sehr lange her und der einzige Überlebende ist dem Wahnsinn anheimgefallen.«

Andira glaubte nicht recht zu hören. Das wurde ja immer besser. »Moment! Damit ich das richtig verstanden habe: Wir müssen uns auf diese Reise begeben, ohne Unterstützung. Wir müssen das Zentrum durchqueren, ohne eine Ahnung davon zu haben, was uns erwartet. Richtig?«, fragte Andira mit immer lauter werdender Stimme.

Aus den Augenwinkeln sah sie Gardorath und König Viridan frösteln. Wenn sie ihre Abmachung mit Gardorath nicht schon vor der Abreise brechen wollte, musste sie sich beherrschen, doch sie spürte nur ungläubige Wut in sich. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie verspürte den unbändigen Drang, etwas mit ihren Kräften zu zerstören.

»Ich gebe ihr ungern recht, aber sie hat recht. Das ist Wahnsinn. Erst passiert sechs Tage überhaupt nichts, wir werden über nichts unterrichtet, und jetzt sollen wir morgen derart unvorbereitet auf so eine gefährliche Reise gehen?«, mischte sich Gardorath ein.

Andira wurde schwindelig, als ihre Kräfte aufeinandertrafen und in der Luft miteinander kämpften. Aber sie war nicht die Einzige – auch die anderen schwankten oder runzelten zumindest die Stirn.

»Wenn es nach mir gegangen wäre –«, begann König Viridan, was Andiras Vater sofort dazu brachte, sich aufzuplustern.

»Nach Euch? Es ist ja wohl Eure Schuld –«

»Man kann Euch Wasserfeen nicht trauen! Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass Ihr nichts mit dem Unglück zu tun habt!«

»Wie könnt Ihr es wagen, uns so etwas zu unterstellen! Vielleicht solltet Ihr besser in die eigenen Reihen schauen, ein Feuer entzündet sich nicht von allein. Eure Leute –«

»Meine Leute haben damit nichts zu tun!«

»Stopp!«, rief Andira und stapfte mit dem Fuß auf, was den Boden auf ihrer Seite des Raumes in eine glitzernde Eisfläche verwandelte.

Gleichzeitig rief Gardorath dasselbe und schlug seine Faust auf den Tisch, was die Kerzen und das Kaminfeuer auf seiner Seite hell und heiß auflodern ließ.

Dort, wo Kälte auf Hitze traf, zischte es leise.

Die Könige verstummten und starrten sie an, als hätten sie vergessen, dass sie nicht alleine waren.

»Es geht hier doch nicht mehr um diesen Streit«, ereiferte sich Gardorath. »Darüber sind wir längst hinaus! Der Rat ist vor einigen Jahren zu dem Schluss gekommen, dass keiner etwas mit dem Unglück des anderen zu tun hat. Diese Prophezeiung, diese Reise ist anscheinend unsere einzige Chance, unser Überleben zu sichern, und wir können nicht zulassen, dass sie durch die alten Vorurteile noch gefährlicher wird. Onkel, ich bitte Euch.«

Andira war überrascht von der Eindringlichkeit und der Überzeugungskraft in seiner Stimme. Sie hatte nicht geglaubt, dass er sich so für eine Sache einsetzen konnte.

König Viridan murmelte etwas Unverständliches, setzte den Streit jedoch nicht fort. Zu Andiras größter Überraschung blieb auch ihr Vater ruhig.

Eine weitere Stunde verging, in der sie sich ausführlich mit dem Kartographen berieten, dann wurde ein Stratege hinzugezogen, der ihnen wertvolle Hinweise lieferte, wie man alleine in der Wildnis überlebte.

***

Als die kleine Versammlung am späten Abend endlich für beendet erklärt wurde, fühlte sich Andira erschöpft und noch weniger vorbereitet als zuvor. Die Reise sollte am nächsten Tag in aller Frühe beginnen und man war der einstimmigen Meinung, dass sie und Gardorath genug Schlaf bekommen sollten. Andira bezweifelte jedoch, dass sie überhaupt Schlaf finden würde. Sie fühlte sich absolut unvorbereitet. Das sollte es gewesen sein? Das war die einzige Vorbereitung, die sie bekam?

In den Geschichten, die sie als Kind so gerne gelesen hatte, waren auch immer Helden vorgekommen, die unsicher waren oder keine nennenswerten Fähigkeiten besaßen. Sie trainierten einige Zeit bei dem alten, weisen Mann und erschlugen danach den Drachen. Irgendwie hatte Andira das Gefühl, dass man bei ihr einige dieser Schritte übersprungen hatte.

Wie betäubt ging sie auf ihr Zimmer zurück, sich in Gedanken immer wieder herbetend, was morgen passieren würde. Vielleicht würde sie es dann glauben.

Sie zog sich gerade vor dem Spiegel sitzend die Bänder aus den weißen Haaren, als die Tür geöffnet wurde. Ihre Mutter stand im Türrahmen.

»Mutter«, sagte Andira überrascht und beobachtete das Spiegelbild ihrer Mutter. »Was tust du hier?«

Adrastea bedeutete Andiras Kammerdienerin das Zimmer zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen, sodass sie allein waren. Langsam trat sie hinter ihre Tochter und betrachtete ihr gemeinsames Spiegelbild.

»Du siehst deiner Großmutter sehr ähnlich«, erklärte sie plötzlich.

Gedankenverloren nahm ihre Mutter den Kamm auf, der auf dem Tisch vor dem Spiegel lag, und bürstete ihre Haare, wie sie es früher immer getan hatte. Einen Moment saß Andira stocksteif da, dann entspannte sie sich und genoss die vertraute Berührung. Das erste Mal seit Tagen fühlte sie, wie sie sich beruhigte.

»Kind, was auch immer passiert. Wir lieben dich sehr. Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich dich hierbehalten, in Sicherheit, aber ich fürchte, bald wird es nirgendwo mehr sicher sein. Vergiss nie, wer du bist. Du bist die Kronprinzessin und du bist genauso viel wert wie dein Bruder. Ich bitte dich, kehre sicher und siegreich heim.«

***

Die Worte ihrer Mutter ließen sie die ganzen schlaflosen Stunden der Nacht nicht mehr los. Sie hörte sie auch noch, als sie sich am Morgen mit tauben Fingern die Reisekleidung anzog.

Sie hörte sie, als ihre Kammerdienerin geduldig wartete, während sie ohne Appetit auf ihr Frühstück starrte.

Sie hörte sie, als sie mit dem gesamten Gefolge und ihren Eltern den Berg auf ihrer Seite des Landes verließ.

Sie hörte sie, als die Grenze in ihr Blickfeld geriet, an der die Feuerfeen bereits warteten.

»Ich bitte dich also, kehre sicher und siegreich heim«, war das Einzige, was sie überhaupt noch hörte, das Einzige, was in ihren vor Angst tauben und kalten Geist drang.

Es war so weit. Es gab kein Zurück mehr und wenn sie ehrlich mit sich war, fragte sie sich, ob es bei den Gefahren, die auf sie zukamen, überhaupt ein Vorwärts geben würde.

2. Kapitel

»Auch endlich da?«, fragte Gardorath Andira leise, als sie vor der Grenze stehen blieb und sich zu ihm stellte. Die Arme vor der Brust verschränkt stand er ein wenig abseits von der Gruppe der Berater, des Hofstaats und seinem Onkel. Die Delegation der Wasserfeen stellte sich ihnen gegenüber, was auf beiden Seiten zu feindseligen Blicken führte. Sie entschied sich, ebenso wie Gardorath, auf das zu blicken, was vor ihnen lag. Die Ebene der Grenze, die sich auf allen Seiten im Horizont verlor. Kein Zeichen von Bebauung, nicht einmal der rötliche Sand oder die Eisfläche der Regionen.

Gardorath trug schlichte, zweckmäßige Reisekleidung und einen Beutel auf dem Rücken. An der Seite, an seinem Gürtel, hatte er einen Krummsäbel geschnallt, der für die Feuerfeen üblich war. Er schien genauso gut ausgerüstet zu sein wie Andira selbst, stellte sie etwas frustriert fest. So chaotisch, wie er als Kind immer gewesen war, hätte sie nicht gedacht, dass er überhaupt an so etwas wie Proviant denken würde.

»Wir sind pünktlich«, erwiderte sie so ruhig, wie sie konnte. »Es ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn ihr viel zu früh am Treffpunkt seid.«

»Ach, und ich hätte gedacht, dass du einfach so lange brauchst, weil du dich noch der Schönheitspflege gewidmet hast.«

Andira warf ihm einen finsteren Blick zu und konnte sich gerade davon abhalten, mit den Fingern durch ihre Haare zu fahren. Ihre Mutter hatte kurz vor dem Aufbruch noch darauf bestanden, dass sie den traditionellen Haarschmuck, bestehend aus Bändern und Perlen, trug – nur hatte das Anlegen tatsächlich sehr lange gedauert. Trotzdem, unpünktlich waren sie ganz sicher nicht! Schnell wandte sie sich ab, um ihn nicht schon vor der Reise festzufrieren. Ganz aus Versehen natürlich.

Sofort traf sie jedoch auf den mahnenden Blick ihrer Mutter.

»Lass dich nicht so von ihm aus der Fassung bringen«, wies Adrastea, die das Ende ihrer Unterhaltung anscheinend mitbekommen hatte, sie streng zurecht und Andira seufzte leise.

Wenn sie ehrlich war, dann war ihr die Wut lieber als die Furcht, die wie ein Abgrund in ihrem Inneren lauerte. Aber das würde ihre Mutter nicht verstehen. Niemand würde das. Die meisten Feen, die Andira kannte, würden sich überglücklich schätzen das Reich der Feen retten zu dürfen. Warum konnte sie nicht mit demselben Eifer an diese Sache herangehen? Das, was sie taten, diese Reise, war etwas Gutes. Und sie wollte das Reich, das eines Tages ihres sein würde, beschützen! Nur … was würde passieren, wenn sie versagte? Dann würde alles, was sie kannte und liebte, endgültig zu Asche werden.

Ihre Mutter berührte sie an der Schulter und sie zuckte zusammen. Es war Zeit. Sie drehte sich um, stand nun mit dem Rücken zur Ebene, um die anderen Feen anzublicken.

Hoch aufgerichtet standen die Könige nebeneinander und gaben wie immer ein merkwürdiges Bild ab. Ihr Vater mit der weiß-bläulichen Haut der Wasserfeen und den ergrauten Haaren. Seine Flügel waren vom Tiefblau des Eismeeres, das sich an der Seite der Eisregion erstreckte.

Und daneben König Viridan mit ebenholzdunkler Haut und den gleichen schwarzen Haaren wie Gardorath, die aber mit grauen Strähnen durchzogen waren. Seine Flügel waren von einem dunklen, satten Rot wie Magma.

Unterschiedlicher hätten sie kaum sein können, aber ihre Mienen waren beide grimmig. Ganz offensichtlich missfiel ihnen diese Angelegenheit zutiefst. Nicht genug jedoch, um sie abzusagen, was Andira wirklich bedauerlich fand.

Nein, so durfte sie nicht denken. Sie musste sich darauf konzentrieren, dass dies vielleicht die letzte Chance für das Volk der Feen war. Das gesamte Volk, sollte sie sich besser in Erinnerung rufen. Vielleicht würde das helfen, um nicht die ganze Zeit mit Gardorath zu streiten. Bekanntlicherweise starb die Hoffnung ja zuletzt.

»Dies ist ein historischer Augenblick und ein trauriger noch dazu«, begann König Darian, während die Schreiber beider Feenvölker eifrig mit den Federn zu kratzen begannen. Die Zeichner hatten die Szenerie schon seit ihrer Ankunft in groben Skizzen festgehalten. Am Ende der Woche würde jede Fee wissen, was am Fuße des Berges geschehen war.

»Historisch, weil sich mit dem Beginn dieser Reise eine Prophezeiung bewahrheitet, die schon unsere Vorfahren voller Furcht studiert haben. Traurig, weil sie überhaupt nötig ist. Adalien schwebt in größerer Gefahr als je zuvor, vielleicht in der größten Gefahr seit den Drachenkriegen unserer Vorväter.«

»Und doch sind wir voller Hoffnung«, fuhr König Viridan fort. »Denn die Auserwählten der Prophezeiung sind zwei mutige, mächtige junge Feen und wir haben vollstes Vertrauen in ihren Erfolg.«

Seine dunklen Augen richteten sich auf Gardorath und Andira und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er sie nicht abschätzend musterte.

»Andira Wasserlauf, Gardorath Feuerflug, unser aller Schicksal liegt in euren Händen. Mögen euch eure Flügel schnell zum Ziel bringen, mögen euch Wasser und Feuer auf eurer gefährlichen Reise helfen.«

»Und möget ihr siegreich und sicher heimkehren«, beendete Andiras Vater die traditionellen Worte und die beiden Könige neigten die Köpfe.

Alle anderen Feen gingen auf die Knie, sodass neben den Königen nur noch Andira und Gardorath aufrecht standen. Zum ersten Mal fühlte sie einen Anflug von Mut durch ihren Körper rinnen. So viele glaubten an sie und wenn sie ihrer Mutter Glauben schenkte, dann taten das auch ihre Eltern.

Sie blickte zu Gardorath, der von der Geste ebenso berührt schien. Sie nickten einander zu und drehten sich um. Vor ihnen breitete sich die Grenzebene aus.

Andira begann mit den Flügeln zu schlagen und das bekannte Kribbeln schoss durch ihre Schulterblätter, durch ihren ganzen Körper, als dieser plötzlich leichter wurde.

Gleichzeitig, als hätten sie das jahrelang geübt, erhoben sie und Gardorath sich in die Luft. Sie stiegen hoch, höher, als sie es später benötigen würden, in den leicht bewölkten Himmel, bis die große Gruppe unter ihnen wie ein winziger Punkt aussah.

»Ich werde diese Eindruckschinderei nie verstehen. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht?«, knurrte Gardorath und kämpfte gegen die Windströmungen, die so weit oben heftig an ihnen rissen. Um ein besseres Bild abzugeben, waren sie angewiesen worden so schnell wie möglich und so hoch wie möglich zu fliegen. Reine Effekthascherei für die Zeichner und Geschichtenerzähler.

Andira ließ sich ein Stück fallen, um einem Wirbel auszuweichen. »Sei froh, dass die Wolken nicht so tief hängen. Dann würden deine Flügel einfrieren, ohne dass es meine Schuld wäre.«

»Ein schönes Schlupfloch für dich«, erwiderte er, aber die Bissigkeit seiner Worte ging ein wenig in seinem Kampf gegen das störrische Element unter.

Andira warf einen Blick über die Schulter. Der Berg der Zusammenkunft sah immer noch zum Greifen nah aus, war aber wohl inzwischen weit genug weg, dass sie an Höhe verlieren konnten.

»Ich würde sagen, wir können jetzt runter«, erklärte sie und ließ sich prompt wie ein Stein nach unten fallen.

Zumindest war das der Plan gewesen, bis sie von einem Aufwind erwischt wurde und zurück in die Höhe schoss.

»Elegant!«, rief Gardorath ihr zu und manövrierte geschickt nach unten, während sie noch damit beschäftigt war, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Innerlich schäumte sie und neigte sich steil nach unten. Sie würden ja noch sehen, wer von ihnen zuerst unten ankam! Kalter Wind schlug ihr ins Gesicht und ihr Magen schien nach oben zu rutschen, als sie Richtung Erde schoss. Ein unwillkürliches Lachen befreite sich aus ihrer Kehle. Das hatte sie schon lange nicht mehr getan. Sturzflüge, Saltos und alles, was ihr eigentlich verboten war, weil es einer Prinzessin nicht würdig war.

Wenige Meter vom Boden entfernt stoppte sie ihren Fall und zog sich wieder ein Stück in die Höhe. Sie drehte sich auf den Rücken, sah zu Gardorath hoch, der über ihr zurückgeblieben war und erst jetzt aufholte.

»Ich bin in eine Strömung geraten«, murrte er, als er sie erreichte, und Andira warf ihm einen süffisanten Blick zu.

»Genug gespielt. Lass uns weiterfliegen. Je schneller wir das alles hinter uns haben, desto besser.«

Dem konnte Andira nur aus vollstem Herzen zustimmen. Schweigend setzten sie ihren Weg fort.

Die Landschaft blieb gleichbleibend langweilig und veränderte sich kaum. Andira, die sich weiter rechts hielt, begann langsam die vertraute Kälte zu spüren, die ihre Glieder belebte. Je schmaler der Grenzbereich wurde, desto näher kam das Eis! Aber auch die Wüste auf der anderen Seite war nicht nur mehr eine Andeutung am Horizont, sondern nun deutlicher zu erkennen. Andira betrachtete sie mit mehr Faszination, als ihr lieb war. Die Vorstellung, in diesem Sand zu leben, der in der heißen, aufgegangenen Sonne flimmerte … Sie schüttelte sich unwillkürlich. Es war ihr möglich, dort zu überleben, aber es schwächte sie. Ihre Fähigkeiten waren in der fremden Region schwieriger einzusetzen als in ihrer Heimat. Trotzdem … Irgendetwas an dieser fremden Region weckte ihre Neugierde. Wie es sich wohl anfühlte, wenn einem die Sonne heiß auf die Haut brannte? Wenn man den Sand unter den Füßen spürte?

***

Andira und Gardorath flogen bereits eine ganze Weile, als sie aus den Augenwinkeln etwas sah, was ihr den Schreck kalt durch die Glieder fahren ließ. Mitten in der Luft hielt sie inne, getragen von einer schnellen Flügelbewegung, und bemerkte nur am Rande, dass Gardorath es ihr gleichtat. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und sah zur Wasserregion.

Bis jetzt hatte sie noch keines der unnatürlichen Feuer mit eigenen Augen gesehen, aber das musste es sein. Es war plötzlich aufgetaucht, sonst hätte sie es früher bemerkt, und wie es dort brannte, inmitten von Kälte und Eis … Die Härchen an ihren Armen stellten sich auf. Alles in ihr rebellierte gegen diese unmöglich erscheinende Wand aus rauchlosem, zerstörerischem Feuer, die ungefähr zehn Meter in die Höhe ragte und mindestens doppelt so lang war. Es hatte nichts mit dem Feuer gemein, das die Feuerfeen heraufbeschwören konnten.

»So was habe ich noch nie gesehen«, flüsterte Gardorath, der plötzlich direkt neben ihr war.

Seine Anwesenheit, so sehr sie ihn auch verabscheute, war in diesem Moment eigenartig tröstlich. Der Anblick einer so unbekannten, unaufhaltbaren Macht erschütterte sie tief und es tat gut zu wissen, dass sie nicht alleine an diesem verlassenen Ort war.

»Wie kann jemand glauben, dass ihr etwas damit zu tun habt?«, fragte sie und schüttelte langsam den Kopf. »Was auch immer das ist, es ist nicht natürlich.«

»Es ist wie mit dem Eis auf unserem Land. Es schmilzt nicht in der Sonne und es … Ich habe das Eis einmal gesehen und wenn ich es beschreiben müsste, dann würde ich sagen, es ist wie eine Blume. Das Eis blüht über dem Sand«, versuchte Gardorath das in Worte zu fassen, was offenbar nicht möglich war. »Und es ist kalt. Viel kälter als zum Beispiel du oder dein Eis.«

Andira schluckte. Bis jetzt hatte sie sich insgeheim immer gefragt, warum die Feen, selbst als sie ihre Kräfte zusammengelegt hatten, nichts gegen diese Katastrophe unternehmen hatten können. Erst jetzt, als sie ihr Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wurde es ihr langsam klarer.

»Ich habe gehört, das Feuer soll so heiß brennen, dass jeder in seiner Nähe sofort zu Asche zerfällt«, sagte sie sehr leise und ein Stich durchfuhr sie, als sie an Liron dachte.

Was wohl seine letzten Gedanken gewesen waren, bevor ihn das Feuer verschlungen hatte? Diese Feuerwände tauchten wie aus dem Nichts auf und pflügten durch die Landschaft. Es hieß, sie verschwanden an der Grenze und an der Herzregion im Nichts, aber ansonsten waren sie unaufhaltbar. Sie konnten sich sogar miteinander verbinden. Einer ihrer Häfen im Westen war durch eine Wand verschlungen worden, die dreißig Meter lang und zwanzig Meter hoch gewesen war. Zumindest behaupteten das die Gerüchte. Es hatte keine Zeugen gegeben.

Andira runzelte die Stirn. Die Feuerwand war größer geworden. Nein, nicht größer. Sie war nur näher gekommen, und das in rasender Geschwindigkeit.

»Sie kommt auf uns zu«, stellte Gardorath mit fast nüchterner Stimme fest.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie wich automatisch nach hinten zurück, obwohl das Feuer noch weit entfernt war. »Aber dann wird sie ja an der Grenze erlöschen«, sagte sie zuversichtlich, ohne sich tatsächlich so zu fühlen.

»Genau«, erwiderte Gardorath tonlos und überraschte sie, indem er sie am Arm noch weiter nach hinten zog.

Seine Berührung war wie immer ein Schock, der als ein Kribbeln durch ihre Nervenbahn schoss und ihre Flügel leise klirren ließ.

»Wenn das Feuer wirklich so heiß ist, wie du sagst, dann solltest du ihm besser nicht zu nahe kommen«, erklärte er. Sie war von dem Anblick der immer größer werdenden Feuerwand so gebannt, dass sie nicht auf Gardoraths Worte reagierte. Er ließ sie rasch los, als sie so weit nach hinten gewichen waren, dass Andira die Hitze, die der Sand der Wüste ausstrahlte, spüren konnte. Aber von der wusste sie wenigstens, woher sie kam. Keiner von ihnen machte Anstalten weiterzufliegen. Mittlerweile mussten sie den Kopf in den Nacken legen, um das Feuer in seiner ganzen Größe überblicken zu können. Ein nüchterner, überlegter Teil von ihr stellte fest, dass das Feuer nicht nur rauch- und geruchlos, sondern auch lautlos brannte. Irgendwie war dies die Eigenschaft, die sie am beunruhigendsten fand. Das einzig Natürliche schien die Hitze zu sein, die so gewaltig war, dass ihre Flügel heiß wurden und sie zu Boden stürzte. Sie spürte den unsanften Aufprall kaum, zu sehr war sie gefangen in der Angst, die urplötzlich mit aller Macht in ihr nach oben schoss.

Leise stöhnend schloss sie die Augen, hatte das Gefühl, als würde sich ihre Haut ablösen, so sehr schmerzte sie. In der Dunkelheit ihrer geschlossenen Lider hoffte sie nur darauf, dass es bald vorbei war.

Sie schrak zusammen, als sie eine Berührung auf ihrer Schulter spürte.

»Du kannst wieder hinsehen«, sagte Gardorath und langsam, sehr langsam, öffnete sie die Augen.

Das Feuer war verschwunden. Es war an der Grenze, wie alle sagten, gelöscht worden. Hinterlassen hatte es eine Spur der Verwüstung. Schwarze, verkohlte Erde, die sich sonst immer unter den Schichten von Eis verborgen hielt. Sogar Steine hatte es aufgeschmolzen. Langsam kroch auch ihre Kälte in ihren Körper zurück und ihre Flügel regten sich kläglich. Hektisch schob sie den Ärmel ihres Oberteils zurück. Ihre Haut war bläulich und unversehrt wie immer.

»Geht’s?«, fragte Gardorath und sie erinnerte sich wieder an seine Anwesenheit.

Jetzt war ihr der Zusammenbruch peinlich. Wie hatte sie sich nur vor seinen Augen so gehen lassen können! Nun würde er sie erst recht für schwach halten und über sie spotten. Von dieser Wut auf sich selbst angetrieben ignorierte sie die Hand völlig, die er ihr hinhielt, und kam selbst auf die Beine. Sie wich seinem Blick aus und ging stattdessen näher an die Grenze heran.

»Das ganze Eis ist weg«, murmelte Andira benommen.

»Ja. Kannst du weiterfliegen?«, fragte Gardorath ohne jede Spur von Häme und sie drehte sich zögernd zu ihm um.

Er stand einige Meter hinter ihr, mit neutraler Miene, und sein Blick flackerte immer wieder zu dem verbrannten Boden, als wäre ihm das alles auch nicht ganz geheuer. »Macht schon deutlich, wie wichtig unsere Mission ist, was?«

Andira nickte langsam. Sie musste ihm zustimmen. »Das ist mir auch klar.« Sie seufzte. »Und ja, ich kann weiterfliegen. Hier weiter herumzustehen bringt uns nicht weiter.«

In einvernehmlichem Schweigen setzten sie ihren Weg fort. Andira fragte sich, was der Herzkristall ihnen offenbaren würde. Würde er überhaupt etwas offenbaren? Soweit sie wusste, hatte ihn noch nie jemand gesehen. Vielleicht musste man ihn berühren und bekam ungeahnte Kräfte. Vielleicht zeigte er einen anderen Weg zur Lösung. Und vielleicht jagten sie auch nur hoffnungslos den Worten einer längst verstorbenen Fee nach. Sie war kurz davor, sich ganz der Trübseligkeit ihrer Gedanken hinzugeben, als Gardorath wieder sprach: »Wie hat es bei euch eigentlich angefangen?«

Sie schämte sich ein wenig, weil ihr die Antwort nicht sofort einfiel. Hatte ihr Vater doch recht, wenn er sie egoistisch nannte? Sie sollte wissen, seit wann ihr Volk litt!

»Ich glaube … Ich glaube, das ist vor ungefähr fünf Jahren gewesen. In einem Dorf weiter unten die Küste entlang. Das Feuer ist wohl nur winzig klein gewesen, aber es hat ausgereicht, um das Dorf auszulöschen«, antwortete sie zögernd.

Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Damals hatte sie ihr Leben noch nicht mit den Pflichten einer Kronprinzessin bestritten, ihr Bruder war derjenige gewesen, der ständig beschäftigt gewesen war und an langweiligen Gesprächen hatte teilnehmen müssen. An jenem Tag jedoch nicht, da hatte er sich am Morgen mit ihr auf die Eisschollen im Meer vor der Stadt geschlichen und ihr seine besten Tricks für die Kontrolle von Wasser und Eis beigebracht. Es war eines der letzten Male gewesen, dass sie so viel Zeit miteinander verbracht hatten. Am Abend waren sie aufgeweicht und erschöpft ins Schloss zurückgekehrt und obwohl sie nur Stunden weg gewesen waren, hatte sich die Stimmung von Grund auf geändert. Liron war sofort zu ihrem Vater gerufen worden. Mit tropfenden Haaren hatte sie in der Eingangshalle gestanden, vollkommen überrumpelt von dem Aufgebot an aufgescheuchten Dienern und Wachen. Ihr Bruder hatte sich, schon im Gespräch vertieft, noch einmal zu ihr umgedreht und ihr beruhigend zugewunken.

»Ungefähr so wie bei uns«, riss Gardorath sie aus ihren Gedanken, die einen schmerzhaften Stich durch ihren Körper sandten.

Sie schüttelte sacht den Kopf, um ihre Konzentration wieder auf die Gegenwart zu lenken. Das schiefe Lächeln ihres Bruders sah sie trotzdem weiterhin vor ihrem inneren Auge.

»Das Eis hat weiter entfernt von den Vulkanen angefangen zu entstehen. Bis dahin hat es das Eis noch nicht geschafft. Das ist wohl doch eine Nummer zu heiß«, fuhr er fort, in bemüht lässigem Tonfall.

»Näher als einen halben Tagesflug ist das Feuer auch nicht an unsere Stadt herangekommen. Bis jetzt«, fügte Andira hinzu. Es war vermutlich wirklich nur eine Frage der Zeit, bis die Katastrophen auch die Hauptstädte verschlingen würden. Vulkane oder meterdickes Eis hin oder her.

Nach diesem erstaunlich friedlichen Gespräch setzten sie ihre Reise fast schweigend fort. Als schließlich die Sterne am Himmel bleich aufleuchteten, entschieden sie sich erschöpft ihr Nachtlager aufzuschlagen.

Tief seufzend setzte Andira auf dem Boden auf und versuchte die Spannung ihrer Muskeln loszuwerden. Wahrscheinlich hätte sie doch mehr Zeit in Flugausdauertraining investieren sollen.

»Was machst du da?«, fragte sie belustigt und beobachtete Gardorath bei einigen albern aussehenden Verrenkungen.

»Dehnübungen«, erwiderte er. »Damit mir morgen nicht alles wehtut. Solltest du auch mal probieren.«

Andira setzte sich auf den unteren Teil ihres Reisemantels und gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Nein, danke, ich verzichte.«

»Soll mir auch recht sein, aber dann beschwer dich morgen ja nicht bei mir.«

»Würde mir nicht im Traum einfallen«, gab sie zurück und verdrehte die Augen.

Aus ihrem Reisebeutel holte sie einen rustikalen Becher und füllte ihn unter Zuhilfenahme ihrer Kräfte mit Wasser. Stirnrunzelnd stellte sie fest, dass es ziemlich kalt war. Als sie auf einen Eisbrocken biss, war ihr klar, woran das lag. Verflucht sollte ihre Affinität zum Eis sein. Gardorath würde einen fürchterlichen Aufstand machen, wenn er das trinken musste. Andererseits konnte er sein Wasser ja auch einfach zum Kochen bringen. Wenn er wirklich so gut war, wie er immer behauptete, dann wäre das eine leichte Übung für ihn.

»Was dagegen, wenn ich ein Feuer mache? Mir wird die Nacht hier eindeutig zu kalt«, sagte er in diesem Moment und verzog das Gesicht.

»Kalt?«, echote Andira ungläubig. Ihr war hier schon viel zu warm, sie wollte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn die Grenze noch schmaler war. »Von mir aus. Aber halte Abstand.«

»Jaja, Prinzessin Jammerschön«, brummte er und sie nahm sich fest vor seinen Becher nur mit Eis zu füllen.

Eine Minute später flackerte ein kleines Feuer auf, dem Andira unwillkürlich einen misstrauischen Blick zuwarf. Aber es waren ganz normale Flammen, aufgeregt flackernd und nach Holz duftend. Eine kleine Rauchfahne stieg in den dunklen Himmel.

»Sollen wir Wachen einteilen?«, fragte sie und gähnte zum zweiten Mal.

Gardorath warf ihr über sein Lagerfeuer hinweg einen spöttischen Blick zu. »Wachen? Hier? Keine Fee verirrt sich freiwillig an die Grenze. Das ist Niemandsland.«

»Oh, ich vergaß, der Herr ist ja ein richtiger Reiseexperte«, knurrte sie und legte sich auf ihre Matte, die sie aus ihrem Beutel geholt hatte. Aus ziemlich sicherer Quelle wusste sie, dass Gardoraths größte Reise bisher darin bestanden hatte, den Berg der Zusammenkunft zu besuchen.

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Das nennt man Verstand. Ist dir wohl auch fremd.«

»Fein! Dann werde ich jetzt schlafen. Ich würde dir ja eine gute Nacht wünschen, aber meinetwegen sollst du kein Auge zu tun«, gab sie zurück und drehte sich auf die andere Seite.

Ihren Mantel nutzte sie als Decke. Alles ganz genau so wie in den Büchern über berühmte Helden. Leider wurde in den Geschichten nie erwähnt, wie wenig bequem so ein Reisebett war. Es dauerte gefühlte Stunden, bis sie eine Position gefunden hatte, die einigermaßen erträglich war. Dann waren es die Geräusche, die sie störten. Das Prasseln des Feuers, der Wind, der über die Ebene fuhr … Ihr fehlte das Knacken des Eises, das Rauschen der Wellen, die gegen die Mauern brandeten. Und war das ein Stein, der sich in ihren Rücken bohrte?

Leise grummelnd zog sie sich ihren Mantel über das Gesicht. Das war zu warm und der Stoff kratzte. Wenn das so weiterging, würde sie auf dieser Reise keinen erholsamen Schlaf finden. Vielleicht würde sie einfach den Rest der Reise überhaupt nicht mehr schlafen.