Ein letztes Lächeln (Die Gouvernante – Band 2) - Blake Pierce - E-Book

Ein letztes Lächeln (Die Gouvernante – Band 2) E-Book

Blake Pierce

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Beschreibung

In den sanft geschwungenen Hügeln der Cotswolds findet Gouvernante Mary Wilcox ihre neueste Anstellung: bei der Familie Carlton. Mit einem Reichtum und einer Eleganz, die selbst dem Königshaus Konkurrenz machen könnten, verkörpern die Carltons den Inbegriff moderner Aristokratie. Doch hinter ihrer makellosen Fassade verbirgt sich ein Geflecht aus stillen Ressentiments und Familiengeheimnissen. Und eines davon könnte tödliche Folgen haben. Jemand in diesem Haushalt hütet eine unheimliche Geschichte, getarnt hinter aristokratischer Höflichkeit – eine Geschichte, die Mary entweder zur Vertrauten einer gequälten Seele machen könnte – oder zum nächsten ahnungslosen Opfer. Je tiefer Mary gräbt, desto mehr stößt sie auf unerklärliche Vorkommnisse, die das Verschwinden ihrer eigenen Schwester widerspiegeln. Sie beginnt sich zu fragen, ob sie dabei ist, die Wahrheit aufzudecken – oder ob sie ihrer eigenen gepeinigten Psyche zum Opfer fällt. Wem kann sie in einem Haus voller Herren und Geheimnisse wirklich vertrauen? "Ein packender Thriller einer neuen Serie, der einen nicht mehr loslässt! ... So viele Wendungen, Drehungen und falsche Fährten ... Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, was als Nächstes passiert."– Leserkommentar (Her Last Wish)⭐⭐⭐⭐⭐ EIN LETZTES LÄCHELN (DIE GOUVERNANTE – BAND 2) ist der zweite Band einer mit Spannung erwarteten neuen Psychothriller-Reihe der #1-Bestsellerautorin und USA Today-Bestsellerautorin Blake Pierce, deren Bestseller The Perfect Wife (als kostenloser Download erhältlich) über 20.000 Fünf-Sterne-Bewertungen erhalten hat. Weitere Bücher der Reihe sind ebenfalls erhältlich! "Ein Meisterwerk des Thrillers und Kriminalromans."– Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Once Gone)⭐⭐⭐⭐⭐ "Eine kraftvolle, vielschichtige Geschichte über zwei FBI-Agenten auf der Jagd nach einem Serienmörder. Wenn Sie einen Autor suchen, der Sie in seinen Bann zieht und Sie raten lässt, während Sie versuchen, die Teile zusammenzusetzen, dann ist Pierce genau der Richtige für Sie!"– Leserrezension (Her Last Wish)⭐⭐⭐⭐⭐ "Ein typischer Blake-Pierce-Thriller mit überraschenden Wendungen und einer spannenden Achterbahnfahrt. Sie werden die Seiten bis zum letzten Satz des letzten Kapitels verschlingen wollen!"– Leserrezension (City of Prey)⭐⭐⭐⭐⭐ "Von Anfang an haben wir eine außergewöhnliche Protagonistin, wie ich sie in diesem Genre noch nie erlebt habe. Die Handlung ist atemlos ... Ein äußerst atmosphärischer Roman, der Sie bis in die frühen Morgenstunden weiterlesen lässt."– Leserrezension (City of Prey)⭐⭐⭐⭐⭐ "Alles, was ich in einem Buch suche ... eine großartige Handlung, interessante Charaktere, und es fesselt einen sofort. Das Buch schreitet in rasantem Tempo voran und hält die Spannung bis zum Ende. Jetzt geht's weiter mit Buch zwei!"– Leserbewertung (Girl, Alone)⭐⭐⭐⭐⭐ "Spannend, herzzerreißend, ein echter Pageturner ... ein Muss für Krimi- und Thriller-Fans!"– Leserbewertung (Girl, Alone)⭐⭐⭐⭐⭐

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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EIN LETZTES LÄCHELN

DIE GOUVERNANTE – BAND 2

Blake Pierce

Blake Pierce ist der USA Today-Bestsellerautor zahlreicher Krimireihen, darunter die RILEY PAGE-Serie mit siebzehn Bänden. Zu seinen weiteren erfolgreichen Serien gehören unter anderem die MACKENZIE WHITE-Reihe (vierzehn Bände), die AVERY BLACK-Reihe (sechs Bände), die KERI LOCKE-Reihe (fünf Bände) und die MAKING OF RILEY PAIGE-Reihe (sechs Bände).

Seine Werke umfassen auch die KATE WISE-Reihe (sieben Bände), die psychologischen Thriller der CHLOE FINE-Reihe (sechs Bände) und die fortlaufende JESSIE HUNT-Reihe mit bisher achtunddreißig Bänden. Weitere Serien sind die AU PAIR-Reihe (drei Bände), die ZOE PRIME-Reihe (sechs Bände) und die ADELE SHARP-Reihe (sechzehn Bände).

Pierce hat zudem die gemütliche EUROPEAN VOYAGE-Krimireihe (sechs Bände) verfasst sowie die FBI-Thriller-Reihen LAURA FROST (elf Bände) und ELLA DARK (fünfundzwanzig Bände und mehr). Die gemütliche A YEAR IN EUROPE-Krimiserie umfasst neun Bände.

Zu seinen neueren Werken zählen die AVA GOLD-Reihe (sechs Bände), die RACHEL GIFT-Reihe (fünfzehn Bände und mehr), die VALERIE LAW-Reihe (neun Bände), die PAIGE KING-Reihe (acht Bände), die MAY MOORE-Reihe (elf Bände), die CORA SHIELDS-Reihe (acht Bände), die NICKY LYONS-Reihe (acht Bände), die CAMI LARK-Reihe (zehn Bände), die AMBER YOUNG-Reihe (acht Bände) und die DAISY FORTUNE-Reihe (fünf Bände).

Darüber hinaus hat er die FIONA RED-Reihe (dreizehn Bände und mehr), die FAITH BOLD-Reihe (siebzehn Bände und mehr), die JULIETTE HART-Reihe (fünf Bände), die MORGAN CROSS-Reihe (dreizehn Bände und mehr) und die FINN WRIGHT-Reihe (sieben Bände und mehr) geschrieben.

Seine jüngsten Werke umfassen die Thriller-Reihen SHEILA STONE und RACHEL BLACKWOOD (jeweils acht Bände und mehr) sowie die neue psychologische Thriller-Reihe THE GOVERNESS (neun Bände und mehr).

Als leidenschaftlicher Leser und lebenslanger Fan des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Blake über Ihre Zuschriften. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com für weitere Informationen und um in Kontakt zu bleiben.

Copyright © 2024 bei Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verbreitet oder übertragen oder in einem Datenbanksystem gespeichert werden, es sei denn, dies ist nach dem US-amerikanischen Urheberrechtsgesetz von 1976 zulässig. Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch lizenziert und darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Falls Sie dieses Buch lesen, ohne es gekauft zu haben, oder es nicht ausschließlich für Ihren eigenen Gebrauch erworben wurde, geben Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihr eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren.

 

PROLOG

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

EPILOG

 

PROLOG

Wenn man das Carlton-Anwesen mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es Perfektion. Die Auffahrt wird von tadellos gepflegten Hecken und Blumenkübeln gesäumt, in denen makellose Reihen von Orchideen, Primeln und Fingerhüten blühen. In der Mitte des Hofes steht ein makelloser Marmorbrunnen mit der Jungfrau Maria, die das Jesuskind hält, umgeben von Putten. Um den Brunnen herum befinden sich weitere Pflanzgefäße mit exquisit geschnittenen Rosenstöcken, deren Blüten in leuchtendem Scharlachrot erstrahlen. Das Haus selbst ist ebenso makellos, die Ziegelfassade und das Schindeldach sind auf Hochglanz poliert. Kein Grashalm wagt es, aus der Reihe zu tanzen. Nicht der kleinste Makel trübt die Vollkommenheit der Fassade.

Man könnte meinen, dass ich nach meiner Zeit auf dem trostlosen Ashford-Anwesen erleichtert wäre, das genaue Gegenteil zu sehen. Doch meine Erfahrung mit den Wohlhabenden hat mich gelehrt: Je makelloser die Fassade, desto verkommener das Innere. Also steige ich mit einem mulmigen Gefühl die Stufen zum Haus hinauf und wappne mich für die Begegnung mit meinen neuen Arbeitgebern.

Die Tür öffnet sich, bevor ich sie erreiche, und zu meiner Überraschung werde ich nicht von einem Butler, sondern von Veronica Carlton höchstpersönlich empfangen. Sie scheint etwa in meinem Alter zu sein, so um die fünfzig, plus minus ein paar Jahre. Doch sie besitzt jene geschliffene Schönheit, die die Wohlhabenden mehr als jede andere Gesellschaftsschicht zu schätzen wissen – weniger der Versuch, attraktiv zu wirken, als vielmehr kultiviert zu erscheinen. Ihr elegantes Seidenkleid schmiegt sich perfekt an ihre Figur, und ihr dezentes Make-up verleiht ihr ein fast zeitloses Aussehen.

Nicht, dass sie nicht attraktiv wäre. Im Gegenteil, sie ist mit einer makellosen Figur und edlen Gesichtszügen gesegnet, von denen die meisten von uns nur träumen können. Dass ihr blondes Haar ebenso natürlich ist wie ihre strahlend blauen Augen, setzt dem Ganzen die Krone auf.

„Willkommen!”, ruft sie. „Oh, wir freuen uns so, dich zu sehen, Mary! Lucas ist schon ganz aus dem Häuschen!”

Ich erwidere ihr Lächeln und – etwas unbeholfen – ihre Umarmung. „Das freut mich zu hören, Mrs. Carlton.”

„Ach bitte”, sagt sie und winkt ab. „Nenn mich Veronica.”

„Danke, Veronica.”

Lucas ist Veronicas jüngstes Kind. Ich wurde engagiert, um ihn in seinem letzten Jahr der Oberstufe zu unterrichten. Das ist eine ganz andere Situation, als ich es gewohnt bin. Ich habe Erfahrung im Unterrichten von Grundschülern – in England heißt das Primary School – und die Betreuung eines jungen Mannes in seinem letzten Jahr vor der Universität wird meine Fähigkeiten auf eine harte Probe stellen. Da er jedoch älter ist, muss ich weniger andere Aufgaben einer Erzieherin übernehmen, sodass ich mehr Zeit haben werde, den Unterricht zu planen und dafür zu sorgen, dass er auf seine Abschlussprüfungen vorbereitet ist.

„Komm herein! Komm rein!”, drängt sie. „Du musst die anderen kennenlernen! Mach dir keine Gedanken um dein Gepäck. Horace wird sich darum kümmern. Oh, wir sind so froh! Überglücklich!”

Es gelingt mir, mein Lächeln aufrechtzuerhalten und mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, während sie mich hineinführt. Und es ist sowieso albern. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Wahrscheinlich bin ich immer noch aufgewühlt wegen meiner Erfahrung mit den Ashfords und wittere Gefahr, wo keine ist.

„Kinder!”, ruft Veronica. „Kommt und lernt Mary kennen!”

Kinder ist ein dehnbarer Begriff. Die Älteste, Eliza, ist dreiundzwanzig, und der Mittlere, Oliver, ist zwanzig. Nur Lucas ist noch ein Kind, und mit seinen siebzehn Jahren ist er gerade noch so eines.

Eliza kommt die Treppe herunter. Ich kann nicht umhin zu bemerken, dass ihre Haltung tadellos ist. Sie streicht mit den Fingern ihrer linken Hand sanft über das Geländer und blickt mich über ihre Schulter an, mit der perfekten Balance aus königlicher Würde und Anmut. In ihrem schimmernden weißen Seidenkleid und mit ihren goldenen Locken, die ihr in sanften Wellen über die Schulter fallen, könnte man sie leicht für eine Prinzessin halten.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mary”, sagt sie und reicht mir die Hand, als sie die unterste Stufe erreicht.

Ich ergreife sie und antworte: “Ganz meinerseits. Du bist genauso bezaubernd, wie deine Mutter dich beschrieben hat.”

Sie lacht und winkt ab, wobei sie Veronica verblüffend genau imitiert. „Mutter neigt zur Übertreibung. Du darfst kein Wort von dem glauben, was sie sagt.”

„Da hat sie Recht”, stimmt ein heller Tenor zu.

Ich drehe mich um und sehe einen großgewachsenen, gut aussehenden jungen Mann mit einem verschmitzten Lächeln von rechts auf mich zukommen. Seine Hände stecken in den Taschen einer perfekt geschnittenen Hose, die er über polierten Oxfords und unter einem weißen Hemd und einem Blazer trägt. Die Ärmel des Blazers hat er lässig hochgekrempelt, was irgendwie perfekt zu seiner Persönlichkeit zu passen scheint.

Erneut überkommt mich ein ungutes Gefühl. Nichts sollte so makellos sein.

Wieder ermahne ich mich, dass ich albern bin. Um Himmels willen, sich über die Kleidung des jungen Mannes Gedanken zu machen? Wie paranoid kann ich denn sein?

Der besagte junge Mann streckt nun selbst seine Hand aus. „Oliver Carlton, zu deinen Diensten.” Er führt meine Hand an seine Lippen, und ich fühle mich lächerlich, als meine Haut bei der Berührung prickelt. „Ich muss sagen, Mutter hat mich nicht vorgewarnt, dass du so hübsch bist.”

Das Kompliment ist unbeholfen und unreif. Genau das macht es zur schönsten Erfahrung, seit ich hier angekommen bin. Dankbar lächle ich und erwidere: “Schön, dich kennenzulernen, Oliver.”

Ich schaue mich nach dem jüngsten Spross der Carltons um, demjenigen, den ich die nächsten zehn Monate betreuen werde. Veronica lacht nervös und fragt Oliver: “Hast du deinen Bruder gesehen?”

Ein Anflug von Irritation huscht über Olivers Gesicht. „In letzter Zeit nicht, nein. Ich dachte, er wäre wie üblich mit seiner Kamera irgendwo auf dem Gelände unterwegs.”

„Schon gut”, sage ich. „Ich sollte mich ohnehin erst einmal einrichten. Ich werde noch Gelegenheit haben, zu ...”

„Ah!” ruft Veronica aus. „Da ist er ja! Lucas, du hast Mary warten lassen.”

Ich folge ihrem Blick zum oberen Treppenabsatz und sehe einen jungen Mann, der mich mit großen, dunklen Augen anstarrt. Er ist groß, sogar größer als Oliver, aber viel schmächtiger. Mit seiner blassen Haut und den feinen Gesichtszügen ähnelt er eher seiner Schwester als seinem Bruder. Er trägt einen Anzug, der ähnlich geschnitten ist wie der seines Bruders, aber sein Jackett ist zugeknöpft. Der Anzug ist zu groß und scheint ihn fast zu verschlucken. Eine weitere Unvollkommenheit, die mein Unbehagen jedoch nicht mindert.

Er ist der Einzige der drei, der nicht lächelt. Er neigt den Kopf und sagt mit sanfter, melodischer Stimme: “Willkommen, Mary.”

Ich erinnere mich daran zu lächeln und zu antworten: “Schön, dich kennenzulernen, Lucas. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zeit.”

Lucas antwortet nicht, sondern starrt mich weiterhin mit diesen dunklen, ernsten Augen an.

Als das Schweigen lange genug anhält, um unangenehm zu werden, sagt Veronica: “Nun, ich bin sicher, du möchtest dich nach deiner langen Reise ausruhen. Horace wird dir dein Zimmer zeigen. Ich würde mich freuen, wenn du heute Abend um sieben mit uns zu Abend essen würdest. Natürlich nur, wenn du dich ausgeruht genug fühlst.”

Ich lächle sie an. „Das klingt wunderbar. Danke, Veronica.”

Ich drehe mich zum Treppenabsatz zurück und stelle fest, dass Lucas verschwunden ist. Mein Lächeln verblasst ein wenig, und ich halte meinen Blick auf die Stelle gerichtet, an der er eben noch stand.

„Hier entlang, Miss”, sagt Horace. Er ist einige Jahre älter als ich, und obwohl er nicht unfreundlich wirkt, scheint er ein Mann zu sein, der gerne Abstand hält.

KAPITEL EINS

„Ich muss mich für Sebastians Abwesenheit entschuldigen”, seufzt Veronica. „In letzter Zeit hält ihn die Arbeit ständig fern.”

„Ach, das ist wirklich kein Problem”, erwidere ich. „Ich kann das gut verstehen.”

„Tja, die Leute brauchen nun mal ihr Internet”, wirft Oliver ein. „Nichts ist wichtiger als die ständige Verbindung zu allen Menschen, überall, jederzeit und aus jedem erdenklichen Grund.”

Ich spüre einen Hauch von Bitterkeit in seiner Stimme und empfinde einen Anflug von Mitleid. Ich frage mich, wie viel Sebastian wohl schon wegen seiner Arbeit verpasst hat.

Nicht, dass es mir zustünde, darüber zu urteilen. Mein eigener Vater war aufgrund seines Berufs oft abwesend, aber ich darf nicht zulassen, dass mein persönlicher Groll meine Meinung über einen Mann trübt, den ich noch nicht einmal kennengelernt habe.

„Mary, du musst noch Platz für den Nachtisch lassen”, unterbricht Eliza meine Gedanken. „Henri macht den köstlichsten Pudding.”

„Keine Sorge, ich werde schon etwas Platz dafür finden”, versichere ich ihr.

„Möchtest du etwas Wein, Mary?” Bevor ich ablehnen kann, ruft sie: “Hazel! Bitte fülle Marys Glas! Ich denke, wir beginnen mit dem Sauvignon Blanc, der passt gut zum Salat.”

Eine schlanke, blasse Frau, etwa in meinem Alter, erscheint lautlos an meiner Seite und schenkt ebenso geräuschlos aus der Flasche in das Glas neben meinem Salatteller ein. Ich bin kein großer Freund von Alkohol, aber mir wurde keine Gelegenheit gegeben abzulehnen, und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich es getan hätte. Veronicas Höflichkeit wirkt beinahe aggressiv, als würde sie jeden herausfordern, ihr vorzuwerfen, keine perfekte Gastgeberin zu sein.

Die Frau verschwindet so lautlos, wie sie aufgetaucht ist, und ich bemerke, dass ich mich nicht bedankt habe. Die Familie scheint das nicht zu stören. Ich weiß nicht, warum mich das so sehr beunruhigt.

„Ich habe gehört, du hast in Amerika gearbeitet, bevor du hierhergekommen bist”, sagt Eliza. „Wie war das denn so?”

Ich wäge meine Antwort sorgfältig ab. „Nun ja, es hätte schlimmer sein können.”

Die drei finden das anscheinend zum Totlachen. Sie werfen die Köpfe zurück und brechen in schallendes Gelächter aus, ihre Brust hebt und senkt sich vor Heiterkeit. Ich lächle und gebe ein gezwungenes Lachen von mir, dann nehme ich einen Schluck von meinem Wein. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, dass der Alkohol meine Stimmung für dieses Essen etwas aufhellt.

„Sag schon, was war unerträglicher - das Wetter oder die Leute?” fragt Oliver. „Oder beides?”

„Also wirklich, Oliver”, tadelt Veronica, „das ist doch kein Grund, unhöflich zu sein.”

„Ich stelle nur eine allgemein bekannte Tatsache fest, Mutter”, erwidert er mit frechem Grinsen. „Jeder weiß doch, dass Amerika ein trostloser Ort voller schrecklicher Menschen ist.”

„Du musst gerade reden”, kontert Eliza. „Wenn es nach dir ginge, würdest du dich immer noch mit diesen Barbaren aus Eton herumtreiben.”

„Wenn es nach dir ginge, würdest du dich immer noch mit diesen Wilden aus Cambridge herumtreiben.”

„Kinder!” schimpft Veronica. „Das reicht jetzt! Ich bin sicher, Mary ist nicht den weiten Weg hierhergekommen, um euch streiten zu hören!”

„Entspann dich, Mutter, wir machen doch nur Spaß”, beschwichtigt Eliza grinsend. „Oliver weiß, dass ich seine Freunde liebe.”

„Ein bisschen zu sehr, wenn du mich fragst.”

Eliza schnaubt verächtlich und gibt ihm einen spielerischen Klaps. „Es ist ja nicht meine Schuld, dass sie ihre Augen nicht bei sich behalten können.”

„Na ja, man muss ja auch nicht unbedingt im Zweiteiler schwimmen gehen, weißt du.”

Ich habe das Gefühl, dass sie nicht sonderlich an meinen Erfahrungen in Amerika interessiert sind. Ich nehme noch einen Schluck von meinem Wein und hoffe, dass mein Lächeln nicht so gezwungen wirkt wie das von Veronica.

„Da ist ja mein kleiner Liebling!” ruft Veronica erleichtert aus. „Lucas, wo warst du denn? Wir sind schon fast mit der Vorspeise fertig!”

Die beiden anderen verstummen und blicken zu Lucas hinüber. Er trägt immer noch seinen Anzug von vorhin und nähert sich langsam dem Tisch, die großen Augen auf mich gerichtet. Er setzt sich neben seine Mutter, und sie legt schützend den Arm um ihn. „Du weißt doch, dass du essen musst, Lucas. Es ist nicht gesund, wenn du nur wie ein Vögelchen an deinem Essen herumpickst.”

„Du hast ihm gar nichts serviert, Mutter”, erinnert Oliver sie.

In Olivers Stimme liegt eine seltsame Anspannung, und als ich mich zu ihm umdrehe, sind seine Augen hart wie Diamanten. Ich kann nicht sagen, ob diese Wut seiner Mutter oder seinem jüngeren Bruder gilt.

„Ach Unsinn”, winkt Veronica ab. „Hier, nimm etwas von meinem.”

Mit ihrer Gabel spießt sie einige Salatblätter auf und führt sie zu Lucas' Mund. Fassungslos beobachte ich, wie der Junge den Mund öffnet und die Gabel wie ein Säugling entgegennimmt. Lucas' Gesicht bleibt ausdruckslos, während er seiner Mutter erlaubt, ihn mit mehreren Bissen des Grünzeugs zu füttern.

„Mary wollte uns gerade von Amerika erzählen”, durchbricht Eliza die Stille. „Ich bin mir sicher, du hast wunderbare Geschichten.”

In Wahrheit war meine Zeit in Amerika, besonders auf dem Ashford-Anwesen, anstrengend und sogar beängstigend. Doch ich spüre, dass Eliza verzweifelt nach etwas sucht, um die unangenehme Stimmung zu durchbrechen. Ehrlich gesagt geht es mir genauso.

Also biege ich die Wahrheit ein wenig zurecht.

„Ja, das Wetter war etwas trostlos, aber nicht so schlimm wie man denken könnte. Es hat eine gewisse Schönheit in seiner Wildheit. Und wir hatten eine Stockentenfamilie in unserem Teich auf dem Ashford-Anwesen, die spät in der Saison geschlüpft war, also ...”

Veronika japst. „Oh, wie niedlich! Ich liebe Entenküken einfach!”

„Sie waren wirklich bezaubernd”, stimme ich zu, „und die Kinder waren wunderbar.”

Der letzte Teil ist keine Lüge. Elijah, Isabella und Samuel waren das einzig Gute an meiner Zeit auf dem Ashford-Anwesen. Ich vermisse sie noch immer.

„Waren sie so bezaubernd wie unser Lucas hier drüben?”, fragt Oliver beiläufig.

Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, verschwindet Veronicas Lächeln. An seine Stelle tritt ein Blick, den ich hoffentlich nie auf mich gerichtet sehen werde. Eliza wird blass und schaut verzweifelt zwischen ihrer Mutter und ihrem ältesten Bruder hin und her. „Mutter, vielleicht könntest du Mary morgen den Garten zeigen. Ich bin sicher, sie würde sich über die wunderbare Arbeit freuen, die Niall geleistet hat.”

Bevor Veronica reagieren kann, öffnet sich die Tür zum Speisesaal. Hazel serviert leise die Vorspeise - mit Spinat und Frischkäse gefüllte Blätterteigtaschen - und schenkt mir Wein nach. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mein Glas geleert habe.

Lucas nutzt den Blickkontakt zwischen seiner Mutter und seinem Bruder, um seinen Teller zu nehmen und seinen Stuhl so weit wegzustellen, dass er selbst essen kann. Oliver bemerkt das und lächelt. „Das war nur ein Scherz, Mary. Abgesehen davon bin ich mir sicher, dass du Lucas als einen durch und durch angenehmen Menschen kennenlernen wirst. Er ist ruhig, aber was ihm an Geselligkeit fehlt, macht er mit seiner sanften Seele und seinem wissbegierigen Geist wieder wett. Ich weiß, dass ihr beide gut miteinander auskommen werdet.”

Veronicas Lächeln kehrt langsam zurück, aber ihre Augen bleiben beinahe feindselig. „Ja. Natürlich wird sie das.”

Ich nehme noch einen Schluck von meinem Wein und überlege, ob ich eine Krankheit vortäuschen und mich früh ins Bett legen soll.

***

Es stellt sich heraus, dass selbst vier Gläser Wein und mehr Essen, als ein Mensch in einer Woche zu sich nehmen sollte, nicht ausreichen, um meine Schlaflosigkeit zu vertreiben. In dieser Nacht, als ich im Bett liege, packt mich der Drang umherzuwandern. Also schlüpfe ich in meine Pantoffeln und schleiche leise aus dem Zimmer.

Das Carlton-Haus ist zwar nicht so groß wie das Ashford-Anwesen, aber dennoch sehr geräumig und prächtig. Das Erdgeschoss ist der Unterhaltung gewidmet und wie die meisten englischen Landhäuser legt es großen Wert auf die Ästhetik seiner Inneneinrichtung. Es gibt mehrere Studierzimmer, die jeweils einem bestimmten Thema gewidmet sind. Ich finde solche Übertreibungen ziemlich prätentiös, aber es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.

Wie das Ashford-Haus verfügt es über eine Küche, die so modern ist, dass sie nicht zum Rest des Hauses passt. Wenigstens wird hier der Kaffee mit einer richtigen Presse zubereitet und nicht mit einem dieser schrecklichen Automaten. Ich vermute allerdings, dass ich die Einzige sein werde, die Kaffee trinkt. Wie es sich für eine gute englische Familie gehört, nehmen die Carltons ihren Tee sehr ernst und stellen ein wunderschönes, hochwertiges Set aus Porzellantassen und Untertassen auf die Anrichte.

Im ersten Stock befinden sich die Schlafzimmer der Familie, im Souterrain die Dienstbotenzimmer, darunter auch mein eigenes. Ich habe kein Interesse daran, zu erfahren, was in diesen Räumen vor sich geht, also nehme ich die Treppe zum Dachboden.

Ich weiß nicht, was mich zu Dachböden und anderen vergessenen Räumen zieht. Seit ich meine Schwester verloren habe, fühle ich mich zu den verborgenen Dingen der Welt hingezogen, als ob ich sie eines Tages mit offenen Armen empfangen könnte, wenn ich jeden Winkel erkunde.

Annie, meine schöne jüngere Schwester, verschwand vor fast dreißig Jahren. Es wurde keine Spur von ihr gefunden, und obwohl es offiziell heißt, dass sie tot sein muss, kann ich nicht umhin, mich zu fragen, ob die Antwort auf diese Frage komplizierter ist. Vielleicht ist sie sogar noch irgendwo am Leben und hat ihr Versprechen eingelöst, dem Leben zu entkommen, in dem sie sich gefangen fühlte, als wir jünger waren.

Eines Tages werde ich Antworten finden. Vorerst möchte ich einfach so viel wie möglich über meine neuen Arbeitgeber in Erfahrung bringen.

Der Dachboden erstreckt sich hier über ein ganzes Stockwerk und ist nicht wie in vielen amerikanischen Häusern nur ein großer Schrank oder Raum. Obwohl er auf ähnliche Weise als Lagerraum dient, wirkt er durch den offenen Grundriss weitaus weniger beengend. Ich spüre, wie meine Unruhe nachlässt, während ich mit der Taschenlampe meines Handys alte Statuen und Porträts durchstöbere, die zwischen veralteten Möbeln und allerlei Krimskrams verstreut sind.

Das Unbehagen, das ich zuvor verspürt hatte, verflüchtigt sich zusammen mit meiner Nervosität, und ich betrachte das Verhalten der Familie nun aus einem nüchterneren Blickwinkel. Es ist offensichtlich, dass Veronica eine herrschsüchtige Mutter ist, die ihr Kontrollbedürfnis hinter einer Fassade unbeschwerten Frohsinns verbirgt. Die beiden älteren Kinder haben es geschafft, sich aus ihren Fängen zu befreien, und nun ist Lucas der Blitzableiter für Veronicas Aufmerksamkeit. Eliza scheint sich von ihren Gefühlen zu diesem Thema etwas distanziert zu haben, aber Oliver hegt immer noch einen Groll.

Was nicht ganz klar ist, ist ihre Meinung über Lucas. Nehmen sie es auch ihm übel, oder ärgern sie sich nur über das Verhalten ihrer Mutter ihm gegenüber? Oliver scheint ihn sowohl zu bemitleiden als auch von ihm genervt zu sein, und Eliza scheint sich wieder einmal davon zu distanzieren. Ich kann nur erahnen, wie sich das alles auf den armen Lucas auswirkt. Kein Wunder, dass er ein so eigenartiger junger Mann ist.

Entschlossen schüttle ich den Kopf und verdränge diese Gedanken. Ich bin nicht hier, um der Familienpsychologe zu sein, und ich habe kein Interesse daran, mich in ihr Drama hineinziehen zu lassen. Ich bin hier, um Lucas zu unterrichten und sicherzustellen, dass er seinen Schulabschluss macht. Das ist alles, wofür ich angestellt wurde, und das ist alles, was ich tun werde.

Um meine Gedanken von der Dynamik der Familie Carlton abzulenken, gehe ich auf ein verhülltes Porträt zu und ziehe beherzt das Laken weg, um zu sehen, was sich darunter verbirgt. Ich richte das Licht meines Handys auf das Gemälde und ...

Mir stockt der Atem, und mein Kiefer klappt herunter.

Diesmal ist der Wald anders. Es ist nicht der düstere Kiefernwald, in dem ich Annie zuletzt gesehen habe, und auch nicht der nebelverhangene, skelettierte Ulmenfriedhof, auf dem die geisterhafte Frau mein Ebenbild auf dem Ashford-Anwesen gequält hat. Es sind die hügeligen Wälder Mittelenglands mit ihren bescheidenen grünen Eichen und Pappeln, die der Landschaft einen sanften Anstrich verleihen.

Das Mädchen auf dem Gemälde ist jedoch unverkennbar. Die große, geschmeidige Gestalt, das golden schimmernde Haar, die hohen Wangenknochen und die zarten, zu einem Amorbogen geschürzten Lippen unter spielerisch verführerischen blauen Augen.

Ich starre auf das Bild meiner Schwester und versuche verzweifelt, mir einzureden, dass ich es mir nur einbilde. Ich träume wieder. Genau wie auf dem Ashford-Anwesen bilde ich mir dieses Bild nur ein. Ich werde aufwachen und feststellen, dass dieses Gemälde, wie das auf dem Ashford-Anwesen, gar nicht existiert. Es ist nicht real. Es ist nicht ...

„An deiner Stelle würde ich sie nicht zu lange anstarren.”

Ich schreie auf und drehe mich ruckartig um. Lucas steht in der Tür des Dachbodens, seine dunklen Augen wirken im schwachen Licht des Treppenhauses riesig wie die eines Vampirs.

„Sie versteckt sich jetzt in den Wänden”, sagt er. „Wenn du sie zu lange anstarrst, kommt sie dich besuchen, so wie sie mich besucht.”

Zu sagen, dass ich Angst habe, wäre eine Untertreibung. Ich bin davon überzeugt, dass ich einen Albtraum habe, und erst als Lucas nach dem Lichtschalter greift und den Dachboden erhellt, lässt meine Furcht nach.

Ich schalte die Taschenlampe meines Handys aus und wende mich wieder dem Bild zu. Es zeigt ein schönes junges Mädchen. Sie hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Annie, aber im besseren Licht kann ich feine Unterschiede erkennen, die zeigen, dass sie keine Doppelgängerin ist. Meine Wangen brennen leicht vor Verlegenheit. Ich wende mich an Lucas und sage: “Warum bist du so spät noch auf? Es ist schon nach Mitternacht.”

„Ich schlafe nachts nur selten durch”, erwidert er.

Er schaut wieder auf das Bild, und ich frage: “Hattest du einen Albtraum?”

„Nein, in letzter Zeit nicht. Ich habe nur Schwierigkeiten, in einem so unruhigen Haus zur Ruhe zu kommen.”

Ich stehe in der Stille des Herrenhauses und komme zu dem Schluss, dass es Lucas ist und nicht das Haus, das unruhig ist.

„Kanntest du dieses Mädchen?”, frage ich ihn.

Er zuckt leicht zusammen und wendet sich mir zu. „Oh. Nicht wirklich. Für mich ist sie nur ein Mädchen auf einem Bild.”

Das ist eine merkwürdige Antwort, und ich mustere ihn noch einen Augenblick länger, unschlüssig, ob ich nachhaken soll. Schließlich entscheide ich, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Und will ich wirklich, so kurz nach der Affäre mit der Familie Ashford, in ein weiteres Geheimnis verstrickt werden? Als ich meine Nase in die Angelegenheiten meines früheren Arbeitgebers steckte, wäre ich fast umgekommen. Eine Erfahrung, auf deren Wiederholung ich gerne verzichte.

„Na ja”, sage ich. „Wenn sie nur ein Mädchen auf einem Foto ist, gibt es keinen Grund zur Beunruhigung. Wie auch immer, es ist schon spät. Ich sollte wieder ins Bett gehen. Du auch.”

Er nickt einmal kurz. „Ja. Ich wollte dich nur warnen.”

Er dreht sich um und lässt mich sprachlos auf dem Dachboden zurück. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, und ich eile hinaus, gerade noch daran denkend, das Licht auszuschalten.

Eines ist mir jetzt klar: Die Perfektion des Carlton-Anwesens ist tatsächlich nur Fassade. Hinter den gepflegten Gärten und den makellosen Mauern wuchert der Verfall genauso sicher wie bei den Ashfords.

 

KAPITEL ZWEI

 

 

 

Der nächste Morgen bricht strahlend und wunderschön an. Singvögel begrüßen fröhlich die Sonne, und ich öffne die Vorhänge gerade rechtzeitig, um eine Hummel zu beobachten, die träge an meinem Fenster vorbeisummt. Ich hole tief Luft und lasse sie in einem reinigenden Seufzer wieder entweichen. Heute bin ich fest entschlossen, das Unbehagen des Vortages abzuschütteln.

Eigentlich bin ich selbst schuld. Ich bin eine fünfzigjährige Frau. Warum schleiche ich in einem fremden Haus herum wie ein junges Mädchen? Das Porträt geht mich nichts an, und es ist ganz sicher nicht meine Schwester. Es war nur ein Streich des Lichts und meiner Fantasie.

Eine äußerst unangenehme Erinnerung drängt sich in mein Bewusstsein: ein Gespräch mit einem Psychologen, der das Ashford-Anwesen besucht hatte. Der Mann, ein schmieriges und skrupelloses Individuum namens ... war es Harlow? Nein, Harrow. Dieser Dr. Harrow behauptete, ich hätte mich bei ihm über Albträume von meiner Schwester beklagt. Zwar hatte ich Albträume, aber ich hatte sie in unserer kurzen Begegnung nie erwähnt.

Warum denke ich jetzt an Dr. Harrow? Ich habe doch zugegeben, dass meine Assoziation des Porträts mit Annie nichts weiter als ein Hirngespinst war. Vielleicht erinnert mich das an seine Andeutung, dass es mir nicht gut ginge. Es stimmt zwar, dass ich gelegentlich unter Albträumen leide, aber mir zu unterstellen, ich bräuchte professionelle Hilfe, war völlig unprofessionell von ihm.

Ich seufze und schüttle diese lästigen Gedanken ab. Heute wird ein guter Tag. Ich werde eine Tasse Kaffee und ein leichtes Frühstück genießen und den Tag damit verbringen, das wunderschöne Gelände des Carlton-Anwesens zu erkunden. Wenn möglich, werde ich versuchen, Lucas besser kennenzulernen, bevor ich morgen mit seinem Unterricht beginne. Ich werde eine hervorragende Lehrerin sein, und wenn er seinen Abschluss gemacht hat, werde ich mich im Guten von dieser Familie verabschieden. Ihre Streitereien gehen mich nichts an, und was auch immer Lucas' Problem sein mag, dass er sich einbildet, ein Mädchen aus einem Gemälde in den Wänden zu sehen ... nun, ich werde mein Bestes tun, um ihm seine Ängste zu nehmen, aber letztendlich bin ich nur angestellt, um sicherzustellen, dass er die Oberstufe besteht. Es ist das Beste, wenn ich meinem Schützling dieses Mal nicht zu nahe komme.

Ich betrete den Frühstücksraum, ein kleineres Esszimmer mit einem großen Fenster zum Westgarten hin, und finde Veronica dort bei einer Tasse Tee. Offenbar ist auch sie eine Frühaufsteherin.

Sie sieht mich kommen und springt förmlich auf. „Maria! Wie schön, dich zu sehen! Setz dich. Ich hole dir eine Tasse Tee.”

Ich will gerade protestieren, dass ich morgens lieber Kaffee trinke, aber sie ist schon auf dem Weg in die Küche. Ich trinke eher nachmittags als morgens Tee, aber wie heißt es so schön: Andere Länder, andere Sitten.

Einen Moment später kommt sie zurück und stellt eine Tasse mit Untertasse vor mich hin. Sie strahlt mich an, als sie selbst Platz nimmt, und fragt: “Sag, wie gefällt es dir bisher hier?”

Ich halte es für klug, auf diese Frage nicht ganz ehrlich zu antworten, also sage ich nur: “Ihr habt ein wunderschönes Zuhause, und Lucas scheint ein sehr aufgewecktes Kind zu sein.”

„Er ist brillant!”, erwidert sie und strahlt über mein Kompliment. „Er kommt am meisten nach mir.”

Das bezweifle ich. „Tatsächlich?”

„Ja. Oliver ist das Ebenbild seines Vaters. Du wirst ihn übrigens heute Abend kennenlernen. Er kommt heute Nachmittag zurück, wird also rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein. Aber diese forsche Einstellung und eher ... nun, ich will nicht sagen, faul.”

Und doch verlässt das Wort deinen Mund so leicht. Ich nippe an meinem Tee und hoffe, dass das Koffein den Sarkasmus in meinem Kopf etwas mildert.

„Und Eliza ... nun, Eliza ist auf ihre eigene Art besonders. Sie kommt mehr nach ihrer Großmutter, finde ich. Sebastians Mutter, meine ich.” Sie kichert. „Meine Mutter war eine trinkfeste und fluchende Seemannstochter, die mich verstoßen hat, als ich wegen des Geldes geheiratet habe.”

Sie lacht, als hätte sie gerade etwas Lustiges gesagt, dann steht sie auf. „Sollen wir den Spaziergang machen, den ich dir gestern versprochen habe?”

Ich blinzle und schaue auf meine kaum angerührte Tasse Tee hinunter. Ich nehme noch einen Schluck - er ist wirklich sehr gut - und stelle ihn auf den Tisch. „Das klingt wunderbar.”