Ein Mädchen mit Prokura - Christa Anita Brück - E-Book

Ein Mädchen mit Prokura E-Book

Christa Anita Brück

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Beschreibung

Ein Klassiker der 1930er-Jahre-Literatur, neu entdeckt: das Schicksal einer klugen und ehrgeizigen Frau als Bankangestellte in der Weltwirtschafskrise Berlin, 1931. Thea Iken ist Prokuristin im Bankhaus Brüggemann Sohn. Sie ist unbedingt loyal, arbeitet viel und genießt das Vertrauen des Bankdirektors, dem sie freundschaftlich verbunden ist – für seinen jugendlichen Sohn ist sie eine Art Ersatzmutter. Den übrigen Angestellten ist sie ein Dorn im Auge oder bestenfalls ein Rätsel, denn sie gibt wenig von sich preis. Die aufkommende Bankenkrise versetzt Thea und ihre Kollegen wie den Rest der Welt in Aufruhr. Existenzen sind bedroht oder werden zerstört, die Welt wirkt ungewiss und bedrohlich. Als es in der Bank zu einem Mord kommt, gerät Thea gar in Verdacht. Sie wird verhaftet. Klar ist, sie hat etwas zu verbergen – doch ist es wirklich ihre Schuld?

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Seitenzahl: 229

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Christa Anita Brück

Ein Mädchen mit Prokura

Roman

 

Herausgegeben von Magda Birkmann und Nicole Seifert

 

 

Über dieses Buch

«Der Weg der tüchtigen Frau ist immer der gleiche: Er führt über Feindschaft, Befremden, Misstrauen und Neid zu tragischer Isoliertheit.»

 

Berlin, 1931. Thea Iken ist Prokuristin im Bankhaus Brüggemann Sohn. Sie ist unbedingt loyal, arbeitet viel und genießt das Vertrauen des Bankdirektors, dem sie freundschaftlich verbunden ist – für seinen jugendlichen Sohn ist sie eine Art Ersatzmutter. Den übrigen Angestellten ist sie ein Dorn im Auge oder bestenfalls ein Rätsel, denn sie gibt wenig von sich preis. Die aufkommende Bankenkrise versetzt Thea und ihre Kollegen wie den Rest der Welt in Aufruhr. Existenzen sind bedroht oder werden zerstört, die Welt wirkt ungewiss und bedrohlich. Als es in der Bank zu einem Mord kommt, gerät Thea gar in Verdacht. Sie wird verhaftet. Klar ist, sie hat etwas zu verbergen – doch ist es wirklich ihre Schuld?

Ein Klassiker der 1930er-Jahre, neu entdeckt: das Schicksal einer klugen und ehrgeizigen Frau in einer männerdominierten Welt, die ins Wanken gerät.

Vita

Christa Anita Brück wurde 1899 in Liegnitz geboren. Nach dem Lyzeum und kaufmännischer Ausbildung arbeitete sie in Berlin als Stenotypistin und Sekretärin. Neben journalistischen Texten verfasste sie vier Romane, die sich mit der Situation weiblicher Angestellter in der Weimarer Republik beschäftigen. Ihr Debüt, «Schicksale hinter Schreibmaschinen», fand viel positive Beachtung und wurde mehrfach übersetzt. Brücks zweiter Roman, «Ein Mädchen mit Prokura», wurde 1934 verfilmt. Sie starb 1958.

 

Magda Birkmann ist seit ihrer Jugend begeisterte Schatzsucherin in Bibliotheken, Antiquariaten und auf Bücherflohmärkten, seit 2018 teilt sie diese Begeisterung für Literatur als Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlung Ocelot und als freiberufliche Literaturvermittlerin auch regelmäßig mit der Öffentlichkeit. 2021 war sie für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert.

 

Nicole Seifert ist gelernte Verlagsbuchhändlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt in Hamburg und arbeitet frei als Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Ihr Literaturblog nachtundtag.blog wurde 2019 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels als bester Buchblog ausgezeichnet. Zuletzt erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr Buch «FRAUEN Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt».

Impressum

Die Originalausgabe dieses Romans erschien 1932 im SIEBEN-STÄBE-VERLAG BERLIN.

Der vorliegende Text folgt der Erstauflage von 1932. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert, und der Text wurde in die neue Rechtschreibung übertragen.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Auch mit gründlicher, weltweiter Recherche ist es dem Verlag nicht gelungen, einen Rechtsnachfolger der Autorin ausfindig zu machen. Weiterführende Hinweise nimmt der Verlag gerne entgegen.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Inge Lazansky, Porträt 1929, Fotograf:Rolf Mahrenholz/ullstein bild

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01795-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Spelzig, der aufgeregt und spindelbeinig neben seinem Anwalt hertippelt, findet kein Ende mit Instruktionen.

Holsten hört nur mit halbem Ohr auf das Geschwätz. Er hat einen heißen Tag vor sich: um zehn Moabit, elf Uhr dreißig Landgericht III, zwölf Uhr Charlottenburg.

Morgen beginnt die Hauptverhandlung im Sensationsprozess Ina von Stuck. Ein Unfug, dass er überhaupt mitzockelt mit diesem alten Trottel, denn das ganze Schwelverfahren ist natürlich eine verrückte Idee.

«Also verstehen Sie», hüstelt Spelzig und ist asthmatisch vom schnellen Gehen und vom vielen Reden, «die Frau müssen wir gewinnen. Die Iken müssen wir gewinnen. Haben wir die Iken, so haben wir auch Brüggemann. Brüggemann allein beißt nicht an.»

«Da nehmen wir doch richtiger eine Tafel Schokolade mit statt der Sachverständigengutachten», sagt Holsten bissig. «Wieso ist denn dieser Brüggemann so ein Weiberknecht? Ich denke, er ist ein tüchtiger Bankier?»

«Ist er auch, ist er auch. Aber kein Schwung dahinter, überhaupt kein Schwung dahinter. Wissen Sie, ein Mensch mit einem inwendigen Knacks! Besinnen Sie sich noch auf die Geschichte mit seiner Frau?»

«Keine Ahnung.»

«Natürlich nicht … ist ja auch … warten Sie mal … der Junge wird annähernd zwanzig sein … der war gerade geboren. Brüggemann war leidenschaftlicher Jäger damals, hatte eine Jagd irgendwo bei Brandenburg. Damit die junge Frau sich erholt, gehen sie auf ein paar Wochen in das Jagdhaus. Wie das nun eigentlich gekommen ist und wobei das überhaupt passierte, darauf besinne ich mich nicht mehr. Jedenfalls hat Brüggemann irgendein Malheur mit dem Gewehr und trifft die junge Frau.»

«Tot?»

«Drei Tage hat sie noch gelebt. Sie haben sie auch noch operiert. War aber nichts mehr zu machen.»

«Und was hat das mit der Iken zu tun?»

«Gar nichts natürlich … ganz und gar nichts … Die Iken hat es damals überhaupt noch nicht gegeben … das heißt, geboren wird sie schon gewesen sein, da sie immerhin Ende zwanzig sein kann, aber sie kam viel später an die Bank. Ich glaube, sie hat Brüggemann wieder auf die Beine geholfen. Man hat ein bisschen gemunkelt die erste Zeit. Schließlich wird ja immer gemunkelt um eine so auffallend gut aussehende Frau. Sie werden sie ja nachher sehen. Ganz ungewöhnlich. Wirklich, Holsten, diese Frau …»

Spelzig schnellt sich einen Kuss auf die Fingerspitzen.

«Meine letzte Liebe … meine letzte große Liebe … ganz von fern, versteht sich … einen Augenblick mal!»

Er macht halt vor den steinernen Stufen, die zu der Bank hinanführen.

«Habe ich auch meine Pläne? Sekunde, Sekunde!» Er klopft gegen seine sämtlichen Taschen. Es ist nichts weiter als ein Vorwand, unauffällig wieder zu Atem zu kommen.

Einen Portier hat das Bankhaus Brüggemann Sohn nicht. Die Schwingtür schlägt sausend hinter den beiden Herren zu. Spelzig reißt sich mächtig zusammen. Er tut fürchterlich aufgekratzt. Der Gamsbart auf seinem Hütchen steht keck in die Höhe. Inwendig ist ihm einfach bange, schauderhaft bange sogar. Die feierliche Verhaltenheit des Raumes ist daran schuld, die kühle Atmosphäre der Bank. Wenn Brüggemann ihm das Geld nicht gibt? Wenn es wieder mal Essig ist, auch mit diesem Projekt?

Er nimmt einen gewaltigen Stimmanlauf und kräht: «Morgen, meine Herren, Morgen, Morgen allerseits.»

Und von allen Seiten hagelt es Zurufe wie: «Guten Morgen, Herr Konsul», «Grüß Gott, Herr Konsul!», «Ergebenster Diener, Herr Konsul». Auch eine Frauenstimme ist dazwischen mit einem Kichern und unterdrückten Prusten hinterdrein.

Holsten klemmt sein Einglas ins Auge.

Sollte das etwa …?! Ach du lieber Gott! Solche Mädchen sitzen zu Dutzenden in den Berliner Büros, bisschen zurechtgemacht, bisschen auf Blond gefärbt, nette Beine, soviel er sehen kann, und weiter nichts.

«Ist sie nicht! … Ist sie nicht! …», beschwichtigt Spelzig und winkt nach allen Seiten wie ein Fürst, der unter seine Landeskinder tritt.

Auf allen Gesichtern wird gegrinst und eine Portion Ehrerbietung zu viel verschwendet. Spelzig nimmt das für Ernst. Er fühlt sich geschmeichelt, gehoben.

Sein lederner Hosenboden sieht spaßig unter der kurzen Joppe vor. Er liebt es, in einer schneidigen Mischung von Jagd- und Reiterdress in Berlin einherzustolzieren: eine pietätvolle Erinnerung an eine glorreiche Zeit, in der die Spelzigs ein Rittergut in Pommern besessen haben wollen.

«Der Chef zu sprechen? Wo ist der Chef?»

Im Hintergrund des Kassenschalters setzt sich etwas in Bewegung. Butterbrotpapier knistert. Eine Thermosflasche wird irgendwo unterwärts verstaut. Ein Gesicht, das dahinten geschienen hat, rund und gelb wie eine Mondscheibe, kommt langsam näher. Man kaut angestrengt und missvergnügt, hat den Mund gehörig voll und murrt: «Ist noch nicht da. Kommt aber bald.»

Es klingt nicht freundlich, ist auch keineswegs freundlich gemeint. Stohp, der Kassierer, kennt diesen Spelzig. Auf Stohps Gesicht wird nicht gegrinst und verhohnepipelt. Es nimmt keine Notiz von der Lederhose und ihren wunderlichen Grimassen. Es ist ganz und gar verrottet in Argwohn und böser Verdrossenheit.

«Wir sind bestellt», sagt Spelzig. «Halb zehn. Um halb zehn sollten wir antreten. Bitte», er zieht seine Uhr und lässt sie flach auf der Hand liegen. «Punkt halb zehn.»

Stohp macht eine Miene, die sich ganz gewiss nicht gehört für einen Angestellten der Kundschaft gegenüber. In ihm brennt der stumpfe Wunsch, diesen Spelzig zu verscheuchen.

Dessen Name ist schon einmal in einer Pleiteaffäre unrühmlich genannt. Das ist so einer, der Banken zu Sturz bringt mit seinen wilden Projekten, seinen kostspieligen Fantastereien.

«Sehen Sie», kräht Spelzig, dem bange ist um seine Beredsamkeit und der sie gleich hier, gleich an diesem schwierigen Objekt erproben will, «dieses Schwelverfahren, dessentwegen ich mit Herrn Brüggemann sprechen muss, wird die ganze Weltwirtschaft auf den Kopf stellen. Die Nebenprodukte der Kohle kosten dann nur noch die Hälfte. Die Hälfte, Mann! Was rede ich? Fünfunddreißig bis vierzig Prozent. Überlegen Sie sich mal, was das heißt auf gut Deutsch! Das gibt einen Umsturz, einen Tumult, einen Eklat an allen Börsen der Welt.»

Er breitet steifes Papier vor sich aus, auf dem Unverständliches gezeichnet steht. «Hier!» Er fördert Akten aus seiner schäbigen Mappe zutage. «Hier … Professor Devall. Werden Sie kennen, den Namen, der Erste in unserm Fach, eine Kapazität, auf den die ganze Welt hört. Und hier, hier … Gutachten von Dr. Prinn. Das ist der Öl-Prinn, wissen Sie? Der Mann von der Standard Oil Company.»

Stohp blinzelt mit den gelben Augen. Er trieft vor Argwohn. Ihm läuft eine Welle der Übelkeit über die kranke Leber. «Umsturz, Eklat, Tumult an der Börse.» Das fehlte noch gerade. Das brauchten wir obendrein.

Er räuspert sich umständlich, einmal, zweimal.

«Und warum, wenn die Sache so sicher ist, geben die Engländer nicht auch das Geld?»

«Das Geld? Sind Sie ein Deutscher, Mann? Das Geld auch noch? Schlimm genug, dass es Engländer sind, die mir ein Werk zur Verfügung stellen, in dem ich meinen Brikomoss-Ofen ausprobieren kann. Aber die Finanzierung? Nee, mein Lieber, das ist Ehrensäbel für Deutschland, verstehen Sie, Ehrensäbel! Und ich bezweifle keine Sekunde, dass ein Bankier von der Elastizität Ihres Herrn Brüggemann …»

Autsch! Das Wort Elastizität wirkt wie der Bohrer des Zahnarztes, wenn er auf den Nerv kommt.

Holsten unterdessen sieht sich mit Kennermiene das Personal an. Spaßige Leute, die sich dieser Herr Brüggemann da zusammengesucht hat. Er muss selbst schon sehr viel können, wenn er seinen Laden in Schwung halten will, zusammen mit diesem Wunderwesen von Sekretärin oder Prokuristin, das sich ja nun eigentlich mal sehen lassen könnte.

Er sieht belustigt dem weizenblonden jungen Burschen unter der Glasplakette «Buchhaltung» zu, der dabei ist, mit einem riesengroßen Taschenmesser seinen Bleistift zu spitzen, andächtig und voller Hingabe. Die Holzspäne fliegen ihm nur so um die Ohren. Der Bleistift wird kürzer und kürzer. Scheint etwas los zu sein mit dem Bleistift. Der Junge, mit todernstem, liebevoll versunkenem Antlitz spitzt und spitzt. Gott sei Dank, dass der Bleistift in fünf Minuten unweigerlich zu Ende ist.

Well, das ist ein braver und gründlicher Bursche. Möglich, dass solche braven und gründlichen Burschen das Bankgeschäft schmeißen. Den Tresorschlüssel jedenfalls kann man ihm ohne Bedenken um den Hals hängen.

Vorsichtiger in dieser Hinsicht müsste man schon mit dem Don Rodrigo dort hinten am Devisenschalter sein. Donnerwetter! Eine beachtliche Type. Hat der Kerl einen Blick! Ich für mein Teil würde mir vorsorglicherweise ein paar Fingerabdrücke von ihm sichern.

Veidt, der bleich und finster den gestrigen Abschluss überrechnet, fühlt den fremden Blick und sieht auf. Die Blicke der beiden Männer kreuzen sich.

In diesem Augenblick geht hinter Veidt die Tür auf, und Thea Iken tritt heraus. Sie ist geradewegs in Holstens geschärften Blick, seinen unverhohlenen Argwohn geraten.

Und sonderbar: Sooft Holsten sich später dieses Moments erinnert, immer erfüllt die Erinnerung ihn mit Missbehagen, immer wieder kommen ihm Zweifel an Theas Lauterkeit.

Es hat da blitzschnell eine Verschiebung stattgefunden in der Sekunde, da ihr markantes, bleiches, leidenschaftliches Gesicht Veidts Gesicht verblassen ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde steht eine eisige, nahezu grausame Drohung in der saugenden Schwärze ihrer groß geschnittenen herrlichen Augen.

Um keinen Deut aus ihrer selbstbewussten Sicherheit verwiesen, kommt sie auf die Herren zu.

Sie hat einen guten Gang. Ihr enger Rock spannt sich, zeigt die Linie der hohen Beine, die Kuppe der schmalen Knie. Ihr glattes blauschwarzes Haar liegt in strengem Herrenschnitt um den wohlgeformten Kopf. Ihre Haut ist weiß, von durchscheinender Klarheit.

«Gerade bin ich dabei, Ihren Brikomoss-Ofen zu sezieren», sagt sie lächelnd und zeigt leicht nach innen gebogene weiße Zähne.

Spelzig, der sie nicht hat kommen sehen, verschlägt das Wort mitten in seiner bombastischen Rede. Er tritt drei Schritte zurück. Er macht tolle chevalereske Verbeugungen, zu denen man sich einen mittelalterlichen Federhut denken könnte und ein Sammetwams.

«Herr Brüggemann ist leider dienstlich verhindert. Er wird etwas später kommen. Ich muss die Herren bitten, mit meiner Beratung vorliebzunehmen.»

Sie schreitet voran ins Direktionszimmer. Holsten, ihr unmittelbar auf den Fersen, sieht auf ihren Hals, der schlank, sehr zart, von durchsichtiger Blässe aus dem Kleiderausschnitt aufwächst.

«Bin ich hysterisch», denkt er ärgerlich. «Die ewigen Weiberprozesse machen einen verdreht. Hier hat kein Mensch etwas ausgefressen. Alles all right bis auf die Tatsache, dass der Vorvertrag, den Spelzig schließen will, im Leben nicht zustande kommt.»

Als sie den Devisenschalter passieren, spürt Holsten Veidts Blick im Rücken.

Thea setzt sich mit dem Rücken gegen das Fenster und platziert die beiden Herren sich gegenüber ins volle Licht des Tages.

«Heller Junge», fühlt Holsten, der schon vergisst, dass er es mit einer Frau zu tun hat. Es spielt keine Rolle mehr, ob sie hübsch oder hässlich ist. Sie ist mordsgescheit, und Brüggemann wird gewusst haben, weshalb er ihr diese Verhandlung überließ.

Spelzig bemüht sich heroisch um den Schwung seiner Rede. Aber es dauert nicht lange, da bekommt seine Begeisterung etwas Verkrampftes. Zuletzt sitzt er rührend hilflos da und ist grau im Gesicht.

Thea Iken war aufgetaucht, als man nach Beendigung der Inflation aus dem alten Bankhaus in der Nettelbeckstraße nach dem Lützowplatz übergesiedelt war.

Stohp, der damals schon missvergnügt hinter dem Kassenschalter amtierte – wozu ausziehen aus der Nettelbeckstraße? Wozu wieder neues Personal engagieren? Wozu? –, sah sie eintreten, und sie missfiel ihm gründlich.

Man hatte wegen einer Stenotypistin annonciert. Unter den Bewerbungen war eine aufgefallen durch ihre knappe, selbstbewusste Fassung.

Vielleicht war es auch nur der Zug der Handschrift gewesen, der Brüggemann angerufen hatte. Er war flüchtig beim Anblick der gesteilten, fast herrischen Buchstaben von der Empfindung gestreift, dass eine gereifte Frau dahinter stehen müsse.

Er war überrascht, ein sehr junges Mädchen, hochbeinig, etwas blass und mager, vor sich zu sehen, angetan mit einem verblichenen Sommermantel, obgleich draußen der erste Schnee fiel.

Es fand eine Prüfung statt, die ihn amüsierte, eine Prüfung auf Gegenseitigkeit.

Nein, eine Handelsschule habe sie nicht absolviert. Ob es ihm mehr auf technisches Können ankäme oder auf wirkliche Mitarbeit? Nein, sie habe nicht eigentlich die Absicht, sich dem Bankfach zu widmen. Sie wolle sich neben dem Dienst zur Matur vorbereiten und später studieren.

Einem Probediktat widersetzte sie sich mit aller Bestimmtheit. Wenn es ihm darauf ankäme, eine Schreibkraft zu engagieren, müsse sie notgedrungen zurücktreten. In Bezug auf Fleiß, Energie und die Fähigkeit, sich die Materie zu eigen zu machen, fühle sie sich indessen hors concours. Ja, diesen Ausdruck hatte sie gebraucht: «hors concours». Brüggemann hatte gelächelt und sie mit einem Monatsgehalt von sechzig Mark engagiert.

Es war ihre erste Stellung. Sie konnte notdürftig stenografieren. Sie stotterte auf der Schreibmaschine, dass einem himmelangst dabei werden konnte. Die andern Mädchen warfen sich verstohlene Blicke zu. Sie machten sich einen Spaß daraus, plötzlich im Schreiben innezuhalten. Dann zerhackte Theas unseliges Gestockele erbarmungslos die Stille.

Sie ließ sich indessen in ihrer heftigen Konzentration nicht beirren. Sie wusste, was sie diesen Mädchen sehr bald voraushaben würde. Von Brüggemann unwirsch zurechtgewiesen ob ihrer Stümperei, erklärte sie: «Dafür bin ich Anfängerin und beziehe das Gehalt einer Anfängerin.»

Es klang nicht dreist. Sie musste sich Raum schaffen für die schlimmsten ersten acht Tage.

Brüggemann erkannte sehr bald, dass die neue Stenotypistin zu denken verstand. Sie tat eine Menge gescheiter Fragen.

Erst wandte sie sich an Stohp, der der Älteste war. Warum man dies so und nicht anders mache? Worin der Vorteil von diesem und jenem bestände? Stohp ließ durchblicken, dass dies sie nicht zu kümmern habe. Es sei ihre Aufgabe einzig und allein, ihre Briefe sauber zu schreiben. Von ihrem forschenden großen Blick weiter bedrängt, gab er unwirsch zur Antwort, man mache das eben so und nicht anders seit fünfzehn Jahren. Da gäbe es kein Warum. Die andern fanden, die Neue täte sich dicke.

Thea wandte sich an Brüggemann. Der stand ihr Rede und Antwort. Er packte ihr fachmännische Bücher auf. Sie studierte, verglich. Sie hielt die Augen und Ohren offen.

Eines Tages überraschte sie ihren Chef mit der Frage, ob er die Sicherheiten der Firma Huß tatsächlich für ausreichend halte, um einen Kredit von hunderttausend Mark zu gewähren. Brüggemann wies ihre Einmischung nicht zurück. Er überprüfte die Unterlagen genauer und strich den Kredit auf die Hälfte zusammen.

Er wusste nun schon, in diesem Mädchen steckte eine ungewöhnliche Tüchtigkeit. Er war zu jener Zeit stark mit Arbeit überlastet. Sein Prokurist war zu einer Großbank übergewechselt. Die Abneigung gegen neue Gesichter in seiner Umgebung hatte ihn eine Neubesetzung des Postens immer wieder hinausschieben lassen. Auch Theas Fremdheit, die verschwiegene leidenschaftliche Zähigkeit, mit der sie sich ein Arbeitsgebiet eroberte, das ihr keineswegs zugedacht war, weckte sein Misstrauen, eine geheime, gefühlsmäßige Abwehr, der Thea stetig und zielbewusst entgegenwirkte. Aber sie verstand es, sich unentbehrlich zu machen, ohne aufdringlich zu werden. Hinzu kam, dass sie sich äußerlich sehr schnell entwickelte.

Das unansehnliche Baumwollkleid schwand, nachdem sie das erste Gehalt hingenommen hatte. Eines Tages erschien sie in kurz verschnittenem Haar: dunkel und schmal, ein Page von erlesener Rasse. Damals sah Brüggemann, der Mann, sie zum ersten Male. Er war zehn Jahre Witwer.

Eine unruhige Nacht hindurch, während welcher ihm Theas Herbheit nicht aus den Sinnen wich, überlegte er, wozu ihr Verbleiben in seiner Nähe führen könnte. Er fand sie undurchsichtig, vielleicht gefährlich und kam zu dem Schluss, sie bei der erstbesten Gelegenheit zu entlassen.

Aber es fügte sich, dass Thea wenige Tage darauf einen Schwächeanfall bekam. Sie brach neben Brüggemanns Schreibtisch zusammen. Das Lächeln, mit dem sie sich, kaum zum Bewusstsein zurückgekehrt, zu entschuldigen suchte, brachte Brüggemanns Herz in Aufruhr. So sehr erinnerte es an ein Lächeln, mit dem schon einmal eine Frau in seinen haltenden Armen die Augen zu ihm aufgeschlagen hatte, um sie gleich darauf für immer zu schließen.

Thea, in Furcht, ihr Brot zu verlieren, wenn man sie schwächlich fand, gab abgewandten Gesichtes zu, seit Wochen nichts Warmes gegessen zu haben. Sie stand allein in der Welt und musste leben von dem wenigen, was sie verdiente.

Konnte Brüggemann sie entlassen?

Ihr Gehalt wurde aufgebessert. Sie blieb bleich, aber das Weiß ihrer Haut begann zu leuchten. Die Kunden, die in die Bank kamen, starrten sie an.

Was sich zwischen ihr und Brüggemann ergab, blieb eine Art behutsamer Freundschaft (oder streng voreinander geheim gehaltener Liebe). Die Grenze zwischen Arbeitgeber und Angestellter wurde niemals überschritten. Indessen: Einer fühlte sich des andern gewiss.

Als es Brüggemann eines Tages schien, als wenn Theas Leben keineswegs ohne Mann verlief, erkannte er an der tiefen Bitterkeit seiner Enttäuschung, wie viel sie ihm bedeutete.

Es war das zwischen seines Sohnes dreizehntem und fünfzehntem Lebensjahre, eine Zeit, in der er erfahren sollte, dass dieses Kind der so sehr geliebten Frau ihm früh entglitt.

Die Einwirkungen einer Epoche, die wie keine zweite geeignet war, die Gegensätze zwischen den Generationen aufklaffen zu lassen, beschworen frühe Konflikte herauf, die bei der reizbaren Gemütsart des Vaters und dem leidenschaftlichen Kampfgeist Joachims zu bedenklichen Härten führten.

Brüggemann alterte vorzeitig. Seine Gesundheit war nicht die beste. Seitdem Sorgen um die Aufrechterhaltung seines Bankgeschäftes hinzukamen, erforderte die Zusammenarbeit mit ihm immer mehr Klugheit und Geduld.

In solchen Stunden, in denen die geschäftliche Anspannung an allen Nervensträngen riss, in denen Brüggemann sie marterte mit seiner Übellaunigkeit und Überreiztheit, brachte Thea sich immer wieder zum Bewusstsein, wie viel sie dennoch erreicht hatte in ihrer Arbeit. Vor drei Jahren hatte Brüggemann ihr Handlungsvollmacht erteilt, vor einigen Monaten war sie zur Prokuristin bestellt worden. Das war schon viel. Sie konnte als Frau kaum mehr von ihrer Karriere erwarten.

Es ist ein gewöhnlicher Alltag im Grunde genommen, einer der dreihundert Arbeitstage im Jahr. Draußen ist es Mai, ein etwas kühler, unfreundlich unentschlossener Mai.

In der Bank ist es genau umgekehrt. In der Bank herrscht etwas wie Siedehitze und Gewitterschwüle.

Die gestrigen Abendblätter haben die Nachricht verbreitet, dass die Österreichische Creditanstalt in Wien Millionenverluste erlitten habe und unterstützungsbedürftig sei. Keine angenehme Kunde für Bankleute. Es ist ein Elend jetzt mit den Pleiten.

Natürlich haben es alle gelesen. Schwartzkopf, der Kassenbote, liest es erst gerade jetzt. Er frühstückt. Das ist seine große Stunde am Tage. Er hat sich die Zeitung über die Knie gebreitet, kaut bedächtig und buchstabiert. Ab und zu nimmt er einen Schluck aus der Flasche. Echtes Dortmunder. Dortmunder schmeckt ihm am besten.

«Merkste was?», ruft Roderich, der erste Buchhalter, zu ihm hinüber und gähnt mit aufgerissenem Munde. Roderich ist ein tüchtiger Buchhalter. Weiß der Himmel, wie er das macht, bei seinem Lotterleben. Er lumpt in den Nächten. Man weiß nie ganz genau, ist er angetrunken oder tut er nur so. Nach Alkohol riecht er ewig. Seine Finger sind gelb vom vielen Rauchen. Aber seine Bücher hat er im Schuss, und seine Abschlüsse stimmen auf den Pfennig.

«Gott, was geht uns schon ein Bankkrach in Wien an!», platzt Fräulein Prill heraus und legt Kohlepapier zwischen zwei Briefbogen. Sie ist ein großes hageres Mädchen mit einem unverhältnismäßig üppigen Busen. Da sie keinen Büstenhalter trägt und seidene Blusen bevorzugt, hat Roderich in ihr einen ständigen Anlass zu Anzüglichkeiten.

Haffke, der zweite Buchhalter, etwas zu blond geraten, treuherzig und ehrlich (Holstens Hypothese war durchaus richtig), gibt ihr im Stillen recht bezüglich der Creditanstalt. Wien, das ist doch weit vom Schuss und obendrein Ausland. Und überhaupt, die machen sich hier ja gegenseitig verrückt. Solange er denken kann, herrscht Untergangspanik. Der Stohp hat einen Abbaukomplex. Das ist das Ganze.

Stohp schleicht denn auch umher wie ein Ungewitter. Er hat einen Gallensteinanfall gehabt die Nacht. Es kam so weit, dass er ins Badewasser musste. Heißes Bad hilft ihm immer. Jetzt ist er gelb und erschöpft, mit schwärzlichen Säcken unter den Augen. Seine Tochter Hilde hat die mathematische Arbeit verbogen. Wenn die das Abitur nicht besteht! Kein Glück, die ganze Familie. Und nun diese Schweinerei in Wien.

Er steht böse und gequält bei Veidt herum.

Veidt hat sich noch mit keinem Wort zu der Creditanstalt geäußert. Es scheint etwas los zu sein mit Veidt heute. Er rechnet fanatisch am gestrigen Abschluss, und jedes Mal, wenn die Tür geht, sieht er schnell auf. Kommt jemand herein, so macht er eckige Backenknochen.

Hätte er Brüggemann doch bloß gestern um Urlaub gebeten. Auf jeden Fall muss er Urlaub haben von zehn bis zwölf.

Um es anzudeuten: Veidt will zum Standesamt. Er macht Schluss mit dem Warten auf bessere Zeiten. Er hat das Hausen in möblierten Buden satt, den Fraß im Wirtshaus, Annas ewige Angst vor Schwangerschaft. Er lässt sich nachher um halb elf trauen und ist von jeglicher glückhaften Einstellung zu diesem Schritt so weit entfernt, dass er bisher keinem seiner Kollegen auch nur ein Sterbenswort davon gesagt hat.

Wenn Brüggemann nicht kommt bis spätestens zehn Uhr zehn, dann muss er die Iken um Urlaub angehen. Veidt ist im Allgemeinen ein Mann der Vernunft. Aber in seinem Verhalten zu Thea fehlt ihm jegliche Einsicht. Er hat da einen verbohrten Mannesstolz, der ihm verbietet, sie anzuerkennen. Es kostet ihn täglich einen lächerlichen Aufwand an Nervenkraft, ihre Autorität zu umgehen.

Thea weiß das und vermeidet jegliche Kraftproben. Und diese Ruhe und Besonnenheit ist wieder, was Veidts Hass gegen sie unmäßig schürt. Er möchte sich einmal, einmal ihr gegenüber entladen.

Der Kassenraum steht voller Kunden. Der Rückschlag der Wiener Ereignisse bleibt nicht aus. Alles umdrängt den Devisenschalter. Veidt hat seine Uhr vor sich auf dem Tintenfass liegen. Es ist gleich zehn.

Fünf Minuten nach zehn fegt Brüggemann durch den Kassenraum, sichtlich in großer Eile und übler Laune.

Veidt will ihm nach. Da ruft an seinem Platz das Telefon.

Verdammt! Die Kaffeegroßrösterei Untzer braucht fünftausend Dollar. Veidt schreibt im Telefonieren die Order für Dr. Leitner aus, den er gerade bedient. «Neunhundert englische Pfunde?» Dr. Leitner kann unmöglich wissen, dass er gefragt ist. Der Angestellte von Untzer schreit in den Apparat: «Dollar, Mann, fünftausend Dollar, keine Pfunde.»

Ehe noch Veidt das Gespräch beenden kann, kommt Brüggemann schon wieder heraus aus seinem Zimmer, in Hut und Mantel, den Mantel offen. Veidt lässt alles liegen und setzt ihm nach.

Brüggemann hat ein Handgemenge mit Spelzig, der ihn festhalten will.

«Tut mir schrecklich leid, Herr Konsul. Wichtige Gläubigerversammlung. Morgen um elf.»

«Herr Brüggemann, eine Sekunde!»

Der ist schon draußen, und Veidt steht da mit seinem Problem, das keins ist.

Aus der Gruppe am Schalter tritt ein Herr auf ihn zu. «Ach, entschuldigen Sie», flüstert er geheimnisvoll, «eine Bankverbindung in Holland, können Sie mir eine ganz verlässliche Bank in Holland …?? Zinssatz spielt keine Rolle, wohlverstanden … nur bombensicher, Sie verstehen … hundertprozentig risikofrei.»

Veidt, bleich, als habe sich Entsetzliches entschieden, kehrt an seinen Platz zurück.

«Ich brauche unbedingt Schweizer Franken in Gold, mein Gott, wie lange dauert denn das hier?», zetert eine hysterische Dame, die ganz hinten steht, und fuchtelt mit einem Paket Hundertmarkscheinen über den Köpfen der andern hinweg.

«Eine vertrauliche Auskunft …», fleht jemand vor Veidt. «Ist es ratsamer …?»

Veidt gibt außen Antwort. Innen foltern ihn imaginäre Gespräche mit der Iken.

«Fräulein Iken, ich muss mal auf zwei Stunden weg.» Unsinn, wozu anreden? Also: «Ich gehe mal auf zwei Stunden weg.» – «Heute? Ausgeschlossen.» – «Das wird sich finden.» – «Das findet sich nicht, Sie bleiben hier.» – «Darüber haben Sie nicht zu bestimmen.» – «Sie bleiben hier und damit basta.» – «Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie?»

So ungefähr müsste es losgehen. Er kann die Entwicklung nicht ganz überdenken. Zum Schluss müsste es eine Raserei werden mit Beleidigungen und Schmähungen rabiatester Art. Oh, er hasst dieses Weib. Er hasst sie mit der ganzen Wut seines unbefriedigten Ehrgeizes. Er wäre Prokurist hier, wenn sie es nicht geworden wäre. Unter der Voraussetzung, bald befördert zu werden, ist er seinerzeit bei der Brüggemann-Bank eingetreten. Das war ein Wettlauf zwischen ihnen beiden, die letzten Jahre! Er hatte sich tausendmal gesagt, dass ein weiblicher Prokurist eine Unmöglichkeit wäre im Bankgewerbe. Er hatte sehr wohl auch Brüggemanns Widerstand gegen Thea Ikens Ehrgeiz bemerkt. Weiß der Himmel, mit welchen Mitteln sie ihn schließlich dennoch rumgekriegt hat. Sie drängt sich ja zu jeder Arbeit, sie schmust mit den Kunden, sie steckt die Nase in alles und jedes.

Da hat er nun das Abendgymnasium besucht, jahrelang, regelmäßig nach dem anstrengenden Dienst. Da hockt er jetzt noch Nacht für Nacht in der Abendhochschule, übermüdet, überanstrengt, überreizt. Die Hoffnung, zu einer anderen Bank hinüberwechseln zu können, ist ein Irrsinn in der Zeit des unentwegten Abbaus. Er wird eines Tages promovieren. Schön. Er wird die Berechtigung haben, sich Dr. Veidt zu nennen. Großartig. Aber die Iken wird er dadurch nicht verdrängen, seine Stellung nicht verbessern, sein Gehalt nicht erhöhen können. Und wenn er wer weiß welche Anstrengungen machte, es würde ihm alles nichts nützen, das Weib würde ihm immer und ewig im Wege sein und bleiben.

Wenn man sie aus dem Wege schaffen könnte? Sie brauchte ja nur zu heiraten. Herr, mein Gott, warum heiratet so eine nicht? Was haben Weiber schon in einer Bank zu suchen? Wenn sie nicht hinter den Kochtopf gehört (unmögliche Vorstellung) oder neben die Wiege, dann seinetwegen in eine Luxuslimousine oder in eine Villa am Vierwaldstädtersee. Seinetwegen soll sie Nachfolgerin der Garbo werden oder seiltanzen oder sonst was anfangen. Er gönnt ihr jede Karriere, die glanzvollste, die fantastischste, nur seine nicht, seine nicht. Seine Karriere soll sie ihm nicht wegnehmen.

Das Hemd klebt ihm am Leibe. Er ist so herunter mit seinen Nerven, dass die geringste Erregung ihn in Schweiß bringt.

Er stiert auf den Zettel, auf dem er hundertsiebenundfünfzig Dollar in Reichsmark umrechnen soll. Er rechnet, rechnet …

«Fräulein Iken, Sie müssen mich nachher auf zwei Stunden vertreten.» Weg mit der Anrede: «Ich gehe nachher mal auf zwei Stunden weg, und Sie vertreten mich.»