Ein neuer Anfang - Alfred Langer - E-Book

Ein neuer Anfang E-Book

Alfred Langer

4,8

Beschreibung

Das idyllische Leben, das die Familie Langer seit Generationen im kleinen sudetendeutschen Hermannstadt genossen hatte, wurde jäh mit der Ankunft der russischen und tschechischen Armee beendet. Die Familie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen – aber sie und ihre Nachbarn wurden mit Verachtung und üblen Schindereien von den Besatzern behandelt, eine Tatsache, die der junge Fredi nicht verstehen konnte. Die Bewohner von Hermannstadt wurden aus ihren Häusern gezwungen, und unter unbeschreiblichen Bedingungen als sogenannte Flüchtlinge oder Heimatvertriebene in Viehwaggons zu ihnen noch unbekannten Zielen verfrachtet. Sie verloren alles, was sie hatten. Nur ihr unerschütterlicher Glaube an Gott blieb ihnen. Dadurch jedoch war es den Langers möglich, die Not und Hindernisse, mit denen ihr Leben geprüft wurde, schließlich zu überwinden. Ein neuer Anfang ist Alfred Langers fesselnde, inspirierende und oft herzzerreißende, wahre Lebenssaga, angereichert mit liebenswerten Anekdoten aus seiner Kindheit im Sudetenland vor der Vertreibung. Der Roman beschreibt sowohl Einzelheiten über die Schrecken, die folgten, aber auch Langers glückliche Fügungen und Begegnungen, als er später auf der Suche nach dem amerikanischen Traum seine neue Heimat Bayern verließ. Alfred Langers Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Überzeugung beweisen, dass kein Hindernis zu groß ist, wenn man nur fest daran glaubt. Diese Geschichte berührt die Herzen und bleibt nach dem Lesen noch lange in Erinnerung. Das emotionsgeladene Buch, das die schreckliche Vergangenheit am Leben erhält, sollte von allen Menschen als Beispiel dafür gesehen werden, dass man niemals den Mut verlieren darf.

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Seitenzahl: 356

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Alfred Langer

Ein neuer Anfang

Die wahre Geschichte eines heimatvertriebenen Sudetendeutschen, der große Nachkriegsschwierigkeiten überwinden musste, sich aber seinen amerikanischen Traum in Südkalifornien mit einer erfolgreichen Existenz erfüllte.

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im

Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© by Verlag Kern, Bayreuth

© Inhaltliche Rechte beim Autor

Autor: Alfred Langer, CA, USA

Layout/​Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Titelbild: fotolia © Kevkel

1. Auflage/​2014

Originalausgabe: „A New Beginning“ von Alfred Langer

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache Deutsch,

Seiten: 300, Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN: 9783957160904

ISBN E-Book: 9783957161369

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

www.verlag-kern.de

INHALT

COVER

TITEL

IMPRESSUM

WIDMUNG

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

EPILOG

DANKSAGUNG

WIDMUNG

EIN NEUER ANFANG ist den mehr als 15 Millionen mutigen Deutschen aus dem Sudetenland und anderen osteuropäischen Ländern gewidmet, die in den Jahren 1945 und 1946 brutal aus ihrer Heimat vertrieben wurden und in bitterer Armut einen neuen Anfang machen mussten. Sie ertrugen ihr schier unermessliches Leid mit unvorstellbarer Kraft, Entschlossenheit und Mut, nachdem sie gezwungen wurden, sich in fremden Ländern eine neue Existenz aufzubauen.

EINS

Alfred saß seiner Mutter am Küchentisch gegenüber und stocherte lustlos in seinem Frühstück herum. In den Gesichtern der beiden stand ein Ausdruck voller Leere und Traurigkeit. Diese Miene verschwand auch dann nicht, als seine Mutter ihn liebevoll anlächelte.

Die beiden waren allein an diesem Morgen, während die übrigen Familienmitglieder ihren eigenen Beschäftigungen nachgingen.

Gerti, seine ältere Schwester, war bereits bei der Arbeit. Sein ältester Bruder Rudi lebte in Naila, dreieinhalb Kilometer entfernt und sein zweitältester Bruder Willi war bei der deutschen Luftwaffe. Heinz und Harald waren in der Volksschule und sein Vater Rudolf arbeitete auf den nahen Feldern.

„Du musst etwas essen“, sagte seine Mutter Elsa leise. „Du brauchst Kraft.“

„Ich weiß, Mama“, antwortete er. Langsam begann er zu essen, als ob er ahnte, dass eine sehr lange Zeit vergehen würde, bevor sie eine gemeinsame Mahlzeit haben würden.

Als er fertig war, sahen sich die beiden schweigend an. Die Stille im Raum war unheimlich und nahezu ohrenbetäubend. Sohn und Mutter taten ihr Bestes, um einander Mut zu machen, aber ihre Sorgen lasteten weiterhin tonnenschwer auf ihren Herzen. Elsa blickte auf die Uhr an der Wand und seufzte. „Es ist Zeit“, sagte sie leise.

Alfred nickte und biss sich in die Unterlippe, um die drohenden Tränen zurückzuhalten. Zögernd stand er auf und griff nach seinem Koffer, der nahe der Tür stand. Auch Elsa griff nach dem Koffer und strich liebevoll über die Hand ihres Sohnes. Lass mich deinen Koffer tragen, sagte ihr Blick und Alfred rang sich ein Lächeln ab.

Zögernd öffnete er die Tür. Bevor sie beide hinausgingen, warf er noch einen letzten Blick in die Küche und das Wohnzimmer. Noch Jahre später würde er sich an diese Bilder zurückerinnern, so stark hatten sie sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Weiter gingen sie hinaus auf die Veranda und sein Blick wanderte über den Hof und das Haus. Langsam gingen die beiden über den Bürgersteig in Richtung Bahnhof. Elsa hielt seine Hand, während sie Alfreds Koffer trug, und Alfred verspürte ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass seine Mutter den schweren Koffer tragen wollte.

Alfred begriff, dass Elsa diese letzte Gelegenheit, ihm ihre Liebe und Zuneigung zu schenken, nicht auslassen wollte.

Mutter und Sohn gingen schweigend weiter und beide hofften, dass sich der Weg bis zum Selbitzer Bahnhof heute länger hinziehen würde. Plötzlich erschien auch Alfred alles anders: die Häuser der Nachbarn, der Geruch von frisch gemähtem Gras, das Rascheln der Blätter in den Bäumen und die spielenden Kinder in den Vorgärten. Alles hinterließ urplötzlich einen bleibenden Eindruck ob der drohenden Trennung von seinem Zuhause. Er spürte, dass er all diese Dinge, so unbedeutend sie noch vor wenigen Tagen hatten sein mögen, schon bald vermissen würde.

Beim Erreichen des Bahnhofs stellte Elsa den schweren Koffer auf den Boden, während Alfred noch einmal eilig überprüfte, ob er alle notwendigen Papiere und Dokumente bei sich hatte. Ein paar Leute warteten ebenfalls auf den Zug und waren in lebhafte Gespräche vertieft. Die meisten wollten nur in nahegelegene Dörfer und Städte reisen. Nicht jedoch Alfred – sein Ziel war das andere Ende der Welt.

Alles war gesagt. Er hatte sich von seiner Familie und seinen Freunden schon verabschiedet und nun saßen ihm seine Gefühle wie ein dicker Kloß im Hals, den er nicht hinunterschlucken konnte. Er dachte das Gleiche wie seine Mutter. Vielleicht kommt der Zug ja später. Vielleicht haben wir noch ein paar Minuten mehr zusammen! Das schrille Pfeifen der Dampflok zerriss diesen Wunsch, als sich der Zug aus der Ferne in Richtung Bahnhof schob. Mit großem Getöse fuhr er ein in den Bahnhof, und der schwarze Rauch aus der Dampflok stieg wie ein böses Omen in den klaren Sommerhimmel.

Elsa und Alfred schauten sich tief in die Augen, als der Zug mit quietschenden Bremsen zum Stillstand kam. Die Tränen begannen zu fließen. Es würde nicht lange dauern, die Lokomotive wieder mit Wasser aufzufüllen und die wenigen wartenden Gäste einsteigen zu lassen. Trotzdem hielten sich Alfred und seine Mutter immer fester im Arm und wollten sich nicht loslassen.

„Alle einsteigen!“, rief der Schaffner und die Tränen der beiden rannen noch heftiger. Das Pfeifen der Lok übertönte ihre Schluchzer, als Alfred seiner Mutter ins Ohr hauchte: „Ich liebe dich, Mama!“

„Gott sei mit dir“, antwortete sie mit größter Mühe.

Als der Zug schließlich losrollte, sprang Alfred in letzter Sekunde ins Abteil. Von der Tür aus sah er, wie seine Mutter, seine Familie, sein ganzes altes Leben, langsam in der Ferne verschwanden.

Er war allein. Sein altes Leben lag hinter ihm und das neue war erst in weiter Ferne zu erahnen. Seine Mutter stand noch immer auf dem Bahnsteig und wurde mit jedem Meter, den der Zug zurücklegte, kleiner. Sie wischte sich die Tränen mit einem kleinen, weißen Taschentuch aus den Augen, das sie einst von Alfred zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Alfred drehte sich um, als er sich die eigenen Tränen mit dem Jackenärmel aus dem Gesicht trocknete. Als er sich wieder in Richtung Tür wandte, war der Bahnhof bereits aus seinem Blickwinkel verschwunden.

Elsa Langer blieb noch für eine Weile auf dem Bahnsteig stehen und blickte sehnsüchtig dem Zug hinterher. Ihr Herz war zugleich mit Stolz und Furcht gefüllt. Stolz, weil ihr kleiner Sohn schon jetzt Mann genug war, um den Schwierigkeiten des Lebens zu trotzen. Furcht, weil niemand genau sagen konnte, welche Steine das Leben ihrem Alfred noch in den Weg legen würde. Schließlich drehte sie sich um und ging langsam nach Hause. Der Himmel war an diesem 16. August 1961 mit weichen, weißen Wattewölkchen gefüllt und Elsa dachte daran, wie unsicher doch die Zukunft ihrer Familie war. Noch mehr jedoch dachte sie an all das, was sie zu diesem Punkt in ihrem Leben geführt hatte.

Bahnhof Selbitz, 1961

***

Idyllisch wäre wohl die beste Bezeichnung für das Dorf Hermannstadt, eine kleine und relativ isolierte Gemeinde. Die Gegend sah aus, als wäre sie einer perfekten Ansichtskarte entsprungen. Hermannstadt lag im Sudetenland in der Grafschaft Freiwaldau im Nordosten Deutschlands und schien meilenweit vom Rest der Welt entfernt zu sein.

Hermannstadt, Kreis Freiwaldau

Durch die Ortschaft liefen nur zwei mit Bäumen gesäumte Straßen – die Alte Straße und, kaum fünf Kilometer lang, die Hauptstraße. Mit Ausnahme eines kleinen Geschäftsviertels standen dort fast nur Bauernhäuser. Zu fast allen dieser Häuser gehörten ein Stall mit Vieh und Getreidefelder, deren Ernte in den Scheunen gelagert wurde und die Zeugnis harter Arbeit auf den fruchtbaren Feldern waren.

Das zwölf Kilometer entfernte Altvater-Gebirge war der höchste Punkt im Sudetenland und bot die perfekte Kulisse für eine ruhige und malerische Umgebung. Im Sommer kamen viele Wanderer hierher und in den Wintermonaten bot der tiefe Pulverschnee beste Bedingungen für unzählige Langläufer. Aufgrund der stark bewaldeten Gegend war es keine Seltenheit, dass man auf den Wegen Waldarbeiter sah mit von Pferden gezogenen Schlitten.

Hermannstadt (1), Altvatergebirge (2),

Maria Hilf-Kirchlein (3), Niklasdorf (4), 1938–1945

Im Jahr 1939, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, hatte Hermannstadt eine Bevölkerung von knapp zweitausend Personen, die in etwa fünfhundert Häusern lebten.

Die Mehrheit der Bewohner waren Bauern. Sogar jene Bewohner, die kleinere Unternehmen besaßen, hatten hier und da mit der Landwirtschaft zu tun. Da die Einwohnerzahl nicht gerade hoch war und fast jeder im Ort die Hauptkirche St. Andreas besuchte, kannte man sich gut untereinander. Viele lebten seit Generationen hier, und da es stets friedlich in dem Ort geblieben war, verzichteten die meisten Bewohner auf Schlösser an den Türen.

Während der Weihnachtszeit im Jahre 1939 hatte sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer unter den Frauen des Dorfes verbreitet: Im Laufe des kommenden Sommers würde Hermannstadt einen weiteren kleinen Bewohner begrüßen dürfen.

An diesem Julitag lief Rudolf Langer wie ein eingepferchtes Raubtier im Wohnzimmer auf und ab. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und sein Verhalten war äußerst ungewöhnlich, da er zuvor bereits drei gesunde Kinder gezeugt hatte. Es war einer dieser seltenen Tage, an denen er nicht auf den Feldern oder im Stall arbeiten wollte. Heute war er verständlicherweise anderweitig beschäftigt.

Seine Tochter Gerti, vier Jahre alt, beobachtete ihren Vater fasziniert und fragte schließlich: „Tata, wann kommt das neue Baby nach Hause?“

„Bald, hoffe ich“, antwortet er nur und fügte hinzu: „Es dauert eben eine Weile.“

Gerti war mit dieser Antwort zufrieden und begann wieder, mit ihrer Puppe zu spielen. Der dreijährige Rudi, und Willi, schliefen unterdessen friedlich in ihren Betten im Obergeschoss und bekamen von der Spannung im Hause rein gar nichts mit.

Rudolf war von durchschnittlicher Statur, kräftig und braungebrannt. Ein Bauernsohn. Er hatte dunkelbraunes Haar und an seinen Händen hatten sich aufgrund der harten Arbeit auf den Feldern und im Wald Schwielen gebildet.

Es war ungewöhnlich, ihn so aufgewühlt zu sehen.

Frieda Bannert, die Magd der Familie, trat aus dem Schlafzimmer, ging die Treppe hinab und dann in Richtung Küche.

Rudolf trat ihr entgegen und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Frieda, ist es Zeit?“

Sie schüttelte den Kopf und lachte leise. „Ach Rudolf, das Baby wird schon kommen, wenn es an der richtigen Zeit ist!“ Im selben Augenblick drang ein lautes Stöhnen aus dem Schlafzimmer und Rudolf fuhr herum. „Das ist normal“, erklärte Frieda ruhig. „Trink einen Schnaps. Ich hole noch etwas mehr heißes Wasser.“

Minuten zogen sich zu Stunden hin und das Stöhnen im Schlafzimmer wurde immer lauter. Es war der elfte Juli, ein klarer, aber dennoch schwüler Sommertag und endlich, am Nachmittag, hielt die Hebamme ein kleines, weißes Bündel im Arm. „Es ist ein feiner, gesunder Junge“, verkündete sie.

Rudolf strahlte über das ganze Gesicht. „Und sein Name ist Alfred!“, rief er.

„Elsa sagt, du kannst ihn Fredi nennen“, fügte die Hebamme lächelnd hinzu.

„Ist Elsa …“, begann Rudolf, doch sie unterbrach ihn. „Elsa geht es gut“, beruhigte sie ihn. „Komm lieber her und halte deinen Sohn.“

„Darf ich ihn sehen, Tata?“, fragte Gerti ungeduldig.

„Natürlich darfst du“, entgegnete er und nahm seine Tochter an die Hand, während er die Treppe hinauf eilte. Oben angekommen, nahm er der Hebamme das kleine Bündel aus dem Arm und beugte sich nach unten, damit auch Gerti ihren neuen Bruder begrüßen konnte.

„Er ist so klein und rot“, sagte sie kritisch.

„So sahst du damals auch aus“, sagte er.

„Darf ich ihn anfassen?“, fragte Gerti und strich Fredie behutsam über die Wange. Erstaunt blickte sie ihren Vater an. „Weich ist er auch!“

Noch bevor die Sonne an diesem Abend unterging, hatte sich die Neuigkeit im Dorf herumgesprochen. Der Mutterinstinkt war in jeder Frau geweckt und so wollten alle die Mutter besuchen und das Baby im Arm halten. Im Grunde fühlte es sich an wie in einer riesigen Familie: Jeder im Dorf war bereit, das Glück mit anderen zu teilen und ihnen zu helfen, wo und wann man nur konnte.

Und so fielen an diesem warmen Juliabend im Jahre 1940 alle Bewohner von Hermannstadt irgendwann friedlich in den Schlaf.

***

Nicht friedlich hingegen war es im Rest Europas. Hitlers gewaltige Kriegsmaschine fegte durch ein Land nach dem anderen, und überall gab es Aufruhr, Gewalt und Tod.

Glücklicherweise jedoch war Hermannstadt von all dem unberührt und viele der Einwohner waren sich nicht einmal bewusst über den nahen Krieg.

Am nächsten Morgen gingen die Menschen im Dorf wie eh und je ihrer Arbeit nach. Alle folgten ihrer täglichen Routine und gingen auf die Felder oder in Richtung Geschäftsviertel. Mütter bereiteten Frühstück, schickten ihre Kinder zur Schule oder kümmerten sich um den Haushalt. Das Leben ging weiter wie gewohnt.

Der Grund für die Sorglosigkeit im Anblick des drohenden Krieges war verständlich. Es gab keine Eisenbahn in der Nähe des Dorfes und somit bekamen die Bewohner von Hermannstadt nicht mit, wie Truppen entsandt wurden oder Güterzüge voller Waffen durch die Landschaft fuhren. Außerdem waren die Informationsquellen stark begrenzt. Nur zweimal pro Woche fuhr einer der Dorfbewohner mit der Pferdekutsche zum Würbenthaler Bahnhof, etwa sechs Kilometer entfernt, wo er Post und Vorräte, die es so in Hermannstadt nicht gab, abholte. Die Reise dauerte fast immer einen ganzen Tag und die nächsten zwei Tage war er damit beschäftigt, die Post und die Vorräte per Fahrrad zu verteilen. Danach, je nach Wetterlage, wurde die Reise erneut angetreten.

Die „Zuckmanteler“ Zeitung informierte meist nur über den Stand der Landwirtschaft im Sudetenland und über lokale Ereignisse. In Bezug auf den Krieg wurde nur von Hitlers Erfolgen berichtet, kontrolliert durch die Propagandamaschine Göbbels. Meist wurden diese Nachrichten von den Dorfbewohnern mit Gelassenheit und Gleichgültigkeit aufgenommen, wohl wissend, dass ihr Dorf weit entfernt von Hitlers Wahnsinn lag.

Da die Bevölkerung fast alle verfügbaren Mittel im Zuge des Krieges abgeben musste, gab es keine zuverlässige Elektrizität mehr und kaum Telefonanschlüsse. „Licht-Seidel“ wurde der Betreiber des Generators genannt, der in einem zentral gelegenen Haus, links neben der Kirche wohnte. Jeden Morgen startete er den Diesel-Generator, um für das weitgehend elektrifizierte Hermannstadt Strom zu erzeugen. Um Treibstoff zu sparen, war er jedoch gehalten, abends um 22.00 Uhr den Generator abzuschalten, gerade zu der Zeit, wenn der deutsche Rundfunk Sendeschluss hatte. So konnte es passieren, dass die traditionelle Schlussmelodie „Lilli Marlene“ vom überkorrekten Herrn Seidel etwas gekürzt wurde.

Dann und wann bekam einer der Bewohner einen Brief von Verwandten oder Freunden über den Schrecken des Krieges oder die Erfolge der Armee. Noch seltener übernachteten Reisende in Hermannstadt, die jedem, der es hören wollte, Neuigkeiten über den Krieg erzählten. Aber da das Dorf in keiner Weise betroffen war, hörten die meisten Bewohner erst gar nicht hin.

Das Leben ging weiter wie immer. Bis auf eine kleine Ausnahme.

***

Nachdem die Mütter in der Nachbarschaft ihre Kinder in die Schule oder zum Spielen geschickt hatten, besuchten sie den Hof der Familie Langer auf einen Kaffee, einen kleinen Klatsch und natürlich, um das neueste Mitglied der Familie zu begutachten. „Wie reizend Fredi doch ist!“, gurrten dann alle im Einklang und jeder wollte mit der frischgebackenen Mutter sprechen. Frieda jedoch blieb hartnäckig und bestand darauf, dass Elsa vorerst noch im Bett bleiben musste. Diese Geburt war schwieriger gewesen, als die drei Geburten zuvor und sie musste noch etwas zu Kräften kommen. Am Anfang protestierte sie noch, dann jedoch folgte sie wie gewöhnlich den Anweisungen der resoluten Frieda und ließ sich vor ihren Freundinnen beschützen.

Als Fredi im Wohnzimmer herumgezeigt wurde, erklärte Gerti stolz: „Das ist mein neuer Babybruder!“

Es schien, als sei sie nicht im Geringsten darüber enttäuscht, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt der Familie stand. Sie war und blieb das einzige Mädchen im Hause Langer und wusste deshalb genau, dass sie für immer etwas Besonderes in den Augen ihres Vaters bleiben würde.

Wie immer mussten auch an diesem Morgen die Kühe gemolken werden, frisches Stroh im Stall ausgebreitet und das Vieh gefüttert werden – zwei Arbeitspferde, zwei Kühe, vier Ziegen, vier Schweine, sechs Kaninchen, mehrere Hühner und einige Enten.

Rudolf kehrte mit seinem Ochsengespann auf die Felder zurück und nahm auf dem Weg dorthin zahlreiche Glückwünsche zur Geburt seines Sohnes entgegen. Es gab viel zu tun und leider konnte Baby Alfred die Arbeit nicht aufhalten.

***

Rudolf war der älteste Sohn von Antonia und Franz Langer und war nach seinem zweijährigen Dienst in der deutschen Wehrmacht nach dem Ersten Weltkrieg nach Hause zurückgekehrt. Es war Tradition in der Familie, dass der Erstgeborene den Hof mitsamt Vieh und einem kleinen Waldstück erbte. Das Grundstück gehörte der Familie schon solange man sich daran erinnern konnte und wurde stets von einer Generation an die nächste weitergegeben.

Rudolfs jüngere Brüder nahmen nach Abschluss der Oberschule und Ausbildungen verschiedene Berufe an: Johann wurde Zahnarzt im etwa sechzig Kilometer entfernten Troppau, der größten Stadt im Sudetenland, Alfred wurde Schneider in Einsiedel und Hermann besaß einen Herrenfriseursalon in, wie könnte es anders sein, Hermannstadt. Josef hingegen wurde zum Wehrdienst eingezogen, nach Russland an die Front geschickt und galt seitdem als vermisst.

***

Nach ein paar Tagen kehrte wieder Routine in das Leben der Familie Langer ein und auch Elsa nahm wieder aktiv am Geschehen teil. Sie war in einem Waisenhaus unter der strengen Aufsicht katholischer Nonnen in Einsiedel aufgewachsen. Dank dieser strengen Erziehung und dem manchmal harten Leben auf dem Bauernhof wurde sie eine starke und unabhängige Frau. Sie war stets damit beschäftigt, ihre Kinder zu ordentlichen Menschen zu erziehen, den Haushalt zu machen oder auch auf den Feldern und im Stall mitzuhelfen.

Bauernhof Langer, Hermannstadt, Hausnummer 78

Elsa war eine attraktive Frau, mit hohen Wangenknochen, braunem Haar und einem ansteckenden Lächeln. Für gewöhnlich trug sie ein einfaches Schürzenkleid, um dessen Zustand sie sich beim Putzen, Kochen oder Gärtnern nicht allzu sehr kümmern musste. Der Garten des Hauses war eingezäunt, um das Gemüse vor herumstreunenden Tieren zu schützen. Elsa erntete beinahe jeden Tag etwas, um schmackhafte Mahlzeiten für ihre Familie zuzubereiten. Im Erdgeschoss lagen neben der offenen Küche das Esszimmer, das Wohnzimmer und das Familienzimmer. Eine Treppe führte hinab in den Keller, wo es das ganze Jahr über kühl blieb, und der sich daher vorzüglich als Lagerraum eignete. Die Möbel im Haus waren allesamt schlicht gehalten und aus grobem Holz gefertigt, einfach aber dennoch bequem. Der Fußboden bestand aus polierten Holzdielen und an den Wänden hingen religiöse Bilder und Teppiche. Ein Kruzifix hing genau gegenüber der Eingangstür. Es war ein Geschenk von Rudolfs Eltern, Franz und Antonia. Wann immer Elsa am Kreuz vorbeiging, berührte sie kurz die Füße der Jesusfigur und sprach ein kleines Gebet für die Familie. Im Laufe der Zeit waren deshalb die Bronzefüße der Figur ganz blank geworden.

Geheizt wurde das Haus mithilfe zweier Öfen. Da Holz in ausreichender Menge zur Verfügung stand, wurde das Haus sowohl von einem Koch-, als auch von einem Backofen erwärmt. Der Backofen hatte die Form eines Iglus und war direkt eingemauert in eine Wand. Er war beinahe zwei Meter hoch und von einer Sitzbank umgeben, auf der man sich herrlich wärmen konnte. Wenn Elsa Brot backte, ritzte sie stets drei Kreuze in die Unterseite des Laibes, als Dank für all den Segen, den ihre Familie erhalten hatte. Wie auch im Rest des Dorfes gab es im Hause Langer nur ab und an Elektrizität und so wurden die Räume mit dem warmen Licht von Öllampen beleuchtet.

An diesem Abend hatte Rudolf eine besondere Überraschung, als er nach Hause kam. Er hatte irgendwo auf einem der Felder einen kleinen Mischlingswelpen, wohl zum Teil Schäferhund gefunden, der ganz offensichtlich unterernährt war und niemanden hatte, der sich um ihn kümmerte. Fritzl, wie der Welpe getauft wurde, war ein schneller Lerner und wurde sofort herzlich vom Rest der Familie aufgenommen. In kurzer Zeit lernte der junge Hund, wie er die Ziegen des Hofes zu hüten hatte und er trieb sie von dann an auf die Weide und wieder zurück auf den Hof. Obwohl Fritzl im Haus schlafen durfte, zog er es vor, sich mit den anderen Tieren die Scheune zu teilen, so, als wolle er sie des Nachts vor Raubtieren beschützen. Die ganze Familie liebte Fritzl und er war bald ein fester Bestandteil des Langer‘schen Haushaltes.

Rudolf und Elsa Langer

ZWEI

Endlich hielt der Frühling Einzug in Hermannstadt. Die ersten warmen Strahlen der Sonne waren eine willkommene Abwechslung nach einem kalten Winter. Wenige Wochen zuvor hatte die Familie trotz meterhohen Schnees den Weg zur St.-Andreas-Kirche gewagt, um den kleinen Fredi zu taufen. Jetzt aber begannen Sträucher, Bäume und Blumen zu sprießen und zu blühen. Überall strahlte das Dorf plötzlich in anderen Farben und die Bäume hatten ihre Zweige wie einen grünen Baldachin über der alten Straße ausgebreitet.

Der Frühling bedeutete jedoch nicht nur eine willkommene Abwechslung zum grauen Winter, sondern auch viel Arbeit. Die Pflanzsaison begann. Jeden Morgen, nach dem Melken der Kühe, legte Rudolf den Pferden das Geschirr an und pflügte die Felder.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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