Ein Prinz auf Abwegen - Rhys Bowen - E-Book

Ein Prinz auf Abwegen E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Eine griechische Prinzessin, falsche Gerüchte und echte königliche Fehltritte – das kann nur Lady Georgie retten
Die Cosy-Krimi-Reihe von New-York-Times-Bestsellerautorin Rhys Bowen geht weiter …

Zwischen ihrer hohen Geburt und ihrem leeren Geldbeutel gefangen ist Georgie, die Fünfunddreißigste in der Thronfolge Großbritanniens, erleichtert, einen neuen Auftrag von der Königin zu erhalten. Der jüngste Sohn des Königs, George, soll Prinzessin Marina von Griechenland heiraten und die Königin wünscht Georgie als ihre Begleiterin: Sie soll ihr das Beste von London zeigen – und alle Gerüchte über Georges wüstes Leben zerstreuen. Der Prinz ist für seine vielen Affären bekannt, aber wirklich kompliziert werden die Dinge erst, als eine seiner angeblichen Geliebten ermordet wird. Nichts ruiniert eine Hochzeit mehr als ein Mord, daher möchte die Queen, dass die ganze Angelegenheit vertuscht wird. Doch während Georgie in dem Fall ermittelt, kommt sie dem Prinzen selbst unerwartet nah …

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Erste Leserstimmen
„Es geht weiter – endlich! Ein neuer Fall für Lady Georgie.“
„Auch dieses Mal wird es wieder royal und Rhys Bowen schafft es immer die Stimmung perfekt einzufangen!“
„britischer Humor, eine sympathische Protagonistin und königlicher Flair"
Rhys Bowen weiß genau, wie man den Leser fesselt“
„von Band zu Band wird die Geschichte einfach noch besser“

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Seitenzahl: 507

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Über dieses E-Book

Zwischen ihrer hohen Geburt und ihrem leeren Geldbeutel gefangen ist Georgie, die Fünfunddreißigste in der Thronfolge Großbritanniens, erleichtert, einen neuen Auftrag von der Königin zu erhalten. Der jüngste Sohn des Königs, George, soll Prinzessin Marina von Griechenland heiraten und die Königin wünscht Georgie als ihre Begleiterin: Sie soll ihr das Beste von London zeigen – und alle Gerüchte über Georges wüstes Leben zerstreuen. Der Prinz ist für seine vielen Affären bekannt, aber wirklich kompliziert werden die Dinge erst, als eine seiner angeblichen Geliebten ermordet wird. Nichts ruiniert eine Hochzeit mehr als ein Mord, daher möchte die Queen, dass die ganze Angelegenheit vertuscht wird. Doch während Georgie in dem Fall ermittelt, kommt sie dem Prinzen selbst unerwartet nah …

Impressum

Deutsche Erstausgabe Oktober 2020

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-925-1 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-198-8

Copyright © 2015 by Janet Quin-Harkin Titel des englischen Originals: Malice at the Palace

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © Veronika, © Tobias Arhelger, © inarik, © Sviatoslav Khomiakov shutterstock.com: © Raftel, © Vectorpocket, © bluefish_ds, © Jones M depositphotos.com: © brebca Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 24.07.2023, 15:36:19.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Ein Prinz auf Abwegen

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Ein Prinz auf Abwegen
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-98778-198-8

Eine griechische Prinzessin, falsche Gerüchte und echte königliche Fehltritte – das kann nur Lady Georgie rettenDie zweite Staffel der Cosy-Krimi-Reihe von New-York-Times-Bestsellerautorin Rhys Bowen geht weiter …

Das Hörbuch wird gesprochen von Arlett Drexler.
Mehr Infos hier

Widmung

Dieses Buch ist Karen Mayers gewidmet, mit Dank für ihre Freundschaft, ihre Unterstützung von Autoren wie mir und ihre fantastischen Karten für die Giants! Ich liebe diesen Sitz hinter der Home Plate!

Vielen Dank an all die Fans von Lady Georgie, die mir so schöne Briefe schreiben und zu meinen Lesungen kommen.

Und wie immer danke ich meinen Herzdamen: meiner Herausgeberin Jackie Cantor und meinen herausragenden Agentinnen Meg Ruley und Christine Hogrebe. Sie sind meine größten Heldinnen. Für mich ist jeder Tag, an dem ich mit ihnen zusammenarbeite, ein Segen. Und nicht zu vergessen John, mein erster Leser, dessen viele Verbesserungen dafür sorgen, dass ich bescheiden bleibe!

Kapitel 1

Sonntag, 28. Oktober 1934

Clabon Mews, London SW 7

Das Wetter draußen: einfach grauenvoll! Das Wetter drinnen: gemütlich und warm. Ich würde zur Abwechslung das Leben genießen, wenn Darcy nicht schon wieder auf geheimer Mission wäre …

Warum treibt er mich so in den Wahnsinn?

Für Londoner Verhältnisse war es eine dunkle, stürmische Nacht. Mit den harschen Sturmböen der schottischen Highlands war es natürlich nicht zu vergleichen, aber es war doch stürmisch genug, dass ich froh darüber war, drinnen und in Sicherheit zu sein.

Regen prasselte gegen die Fenster und trommelte auf die Dachziegel, während der Wind wild im Kamin heulte. Auf Castle Rannoch, wo ich aufgewachsen war, hätte der Wind außerdem eisige Luftzüge durch die Flure geschickt und die Wandteppiche flatternd aufgebauscht, sodass es drinnen beinahe so ungemütlich wie draußen gewesen wäre. Aber in dieser Nacht lag ich gemütlich und warm eingepackt im Bett, lauschte dem Sturm und spürte große Dankbarkeit dafür, nicht auf Castle Rannoch zu sein. Stattdessen befand ich mich in dem Cottage in Knightsbridge, das meiner Freundin Belinda gehörte, und ich kostete jeden Moment davon aus.

Als ich Ende August aus Amerika zurückkehrte – nachdem meine Mutter mich dorthin geschleppt hatte, um sich in einer Blitzscheidung von einem ihrer Ehemänner zu trennen –, war Mummy unverzüglich weitergereist, wie üblich mit nichts als einer kurzen Verabschiedung. Seit jenem ersten Mal, als sie mich mit zwei Jahren verlassen hatte, ließ sie ihr einziges Kind mit monotoner Regelmäßigkeit sitzen, ohne kaum jemals einen Blick zurück zu werfen. Aber diesmal hatte sie immerhin einen Funken mütterlicher Gefühle gezeigt, von deren Existenz ich bislang nichts geahnt hatte. Als sie das Brown’s Hotel verließ, überreichte sie mir einen großzügigen Scheck. „Georgie, Liebling, du sollst wissen, dass du dich in Hollywood großartig gemacht hast“, sagte sie. „Ohne dich hätte ich an diesem barbarischen Ort nicht überlebt.“

Ich lief rosarot an und mir fehlten die Worte, da dies so gar nicht zu ihr passte. Ich brachte ein gemurmeltes „Allmächtiger, vielen herzlichen Dank“ heraus.

„Liebling, ich muss zurück nach Deutschland zu Max“, sagte sie und küsste mich auf die Wange. „Aber ich möchte nicht, dass du glaubst, ich würde dich vergessen. Du weißt, dass du jederzeit willkommen bist, wann immer du willst.“

„Danke, aber ich glaube nicht, dass mir Berlin gefallen würde“, sagte ich. „Nicht, seit dieser scheußliche kleine Hitler an der Macht ist. Zu viel Geschrei und Marschiererei.“

Sie stieß ihr glockenhelles Lachen aus, das schon auf der ganzen Welt das Theaterpublikum verzaubert hatte. „Oh, Liebling. Niemand nimmt ihn ernst. Ich meine, mit einem solchen Schnurrbart ist das unmöglich. Einmal küsste er meine Hand und es kam mir vor wie eine Begegnung mit einem Igel. Max sagt, er sei im Moment gut für die Moral der Deutschen, aber er wird nicht lange an der Macht bleiben.“

„Wie auch immer, ich würde lieber eine Weile im guten alten England bleiben“, sagte ich. „Die Zeit in Amerika war aufregend genug für mich.“

„Du willst doch nicht etwa nach Schottland zurückkehren?“, fragte sie.

„Ehrlich gesagt, nein“, erwiderte ich. „Auf Castle Rannoch bin ich im Moment nicht gerade willkommen und Belinda meinte, ich könnte ihre Londoner Wohnung benutzen, während sie in Hollywood ist“, fügte ich hinzu. „Und da du mir diesen Scheck gegeben hast, kann ich mich sogar eine Zeit lang sattessen.“

Ein besorgter Ausdruck huschte über ihre hübschen Züge. „Liebling, hat es Zeiten gegeben, in denen du dir kein Essen leisten konntest?“

„Unzählige Male. Einmal habe ich mich einen Monat lang nur von Tee und Baked Beans ernährt.“

„Wie ekelerregend. Georgie, glaub mir, wenn du etwas brauchst, musst du mich nur fragen. Max ist unanständig reich, weißt du. Ich bin mir sicher, dass ich ihn dazu bringen könnte, dir Unterhalt zu zahlen.“

„Mummy, ich kann nicht von Max’ Geld leben. Außerdem würde Großvater das nicht gutheißen. Nicht deutsches Geld. Du weißt, wie sehr Großvater das hassen würde, nachdem dein Bruder im Krieg getötet wurde.“

„Man muss lernen zu vergeben und zu vergessen, wie ich deinem Großvater immer sage. Und sobald wir verheiratet sind – nun, es wird auch mein Geld sein, nicht wahr?“ Sie hob aufgeregt ihre Hände. „Du musst uns zur Hochzeit besuchen! Du kannst meine Trauzeugin sein.“

„Du hast wirklich vor, ihn zu heiraten?“ Ich brachte es nicht über mich, ihr in die Augen zu sehen.

„Es ist mein Wunsch, also lautet die Antwort vermutlich ja. Wir werden es sehen, nicht wahr? Tja, wenn ich den Fährzug noch erreichen will, muss mich auf den Weg machen, Liebling. Pass auf dich auf und lass dich um Himmels willen bald von diesem umwerfenden Darcy verführen. Jungfräulichkeit ist nach dem zwanzigsten Geburtstag weder modisch noch akzeptabel.“

Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. Ich hatte Belindas kleines Cottage in den umgebauten Stallungen bezogen und es genossen, eine Weile lang eine Lady zu spielen, die dem Müßiggang frönte. Das Einzige, was mir zu meinem Glück fehlte, war Darcys Anwesenheit. Er war wieder einmal in geheimer Mission unterwegs und ich hatte keine Ahnung, wann er nach London zurückkehren würde oder wie ich ihn erreichen konnte. Es war wirklich ärgerlich mit ihm. Ich wusste, dass er meist nicht darüber sprechen durfte, was er tat (ich vermutete, dass er dann und wann sogar verdeckt für den MI5 arbeitete), aber es wäre nett gewesen, hin und wieder eine Postkarte aus Buenos Aires oder Kalkutta zu bekommen.

Ein besonders heftiger Windstoß rüttelte am Fensterrahmen. Ich zog die Decken hoch und rollte mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Wie schön zu wissen, dass ich warm und sicher war. Das Geld, das Mummy mir gegeben hatte, würde nicht ewig reichen, aber ich hoffte, dass ich damit wenigstens bis nach Weihnachten über die Runden kommen würde. Wenn ich nur irgendeine Anstellung finden würde, könnte ich bis zu Belindas Rückkehr hier wohnen – und das konnte wer weiß wie lange dauern, wenn sie eine erfolgreiche Kostümbildnerin in Hollywood wurde. Aber für junge Frauen wie mich schien es keine Arbeit zu geben, da wir nur dafür ausgebildet waren, uns einen Ehemann zu angeln. Ich zog sogar in Erwägung, mich in der Weihnachtszeit auf eine befristete Stelle in einem der Kaufhäuser zu bewerben, aber ich fürchtete, dass das meinen Verwandten zu Ohren kommen und Ärger nach sich ziehen würde.

Ihr wundert euch, warum es meine Verwandten etwas anging, wenn ich bei Selfridges oder Gamages an der Kasse stehen würde? Ich sollte wohl erwähnen, dass es sich bei meinen Verwandten durchaus nicht um normale, gewöhnliche Leute handelte – sondern um das Königspaar. Königin Victoria war meine Urgroßmutter, daher war ich zur Hälfte von königlicher Herkunft und man erwartete von mir, mich so zu benehmen, wie es mein Stand verlangte – allerdings ohne die Mittel dafür zu haben. Das war wirklich mächtig ungerecht.

Ich schob diese Sorgen beiseite. Im Augenblick war alles gut. Seit Queenie, mein Dienstmädchen, für einige Wochen nach Hause gegangen war, verlief mein Leben bemerkenswert friedlich. Sie war abgereist, um sich um ihre Mutter zu kümmern, die beim Überqueren der Walthamtow High Street von einer Straßenbahn angefahren worden war und sich das Bein gebrochen hatte. Aber das Bein war verheilt und ich erwartete Queenie jeden Tag zurück. Ich sah ihrer Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegen, da Queenie bei Weitem das unverbesserlichste Dienstmädchen des Universums war. Ehrlich gesagt vermutete ich, dass ihre Familie sie nicht aus Pflichtgefühl dazu bestärkte, zu mir zurückzukehren, sondern weil sie sie schnell wieder loswerden wollte. Ich seufzte, entspannte mich und ließ meine Gedanken zu angenehmeren Themen schweifen. Ich war schon im Halbschlaf, als ich ein Geräusch hörte, bei dem ich sofort hellwach hochschreckte.

Neben dem Rauschen von Wind und Regen hatte ich das deutliche metallische Klicken eines Schlosses vernommen, gefolgt von dem Knarzen einer Tür, die geöffnet wurde. Jemand betrat das Haus. Ich fragte mich, ob ich vor dem Schlafengehen vergessen hatte, die Tür abzuschließen, aber ich konnte mich deutlich daran erinnern es getan zu haben. Binnen eines Augenblicks war ich auf den Beinen. Belindas Cottage war winzig. Eine Treppe führte zu dem Schlafzimmer, in dem ich mich befand, daneben waren das Badezimmer und eine Dienstmädchenkammer. Ich sah mich verzweifelt um. Es gab kein Versteck, falls Einbrecher ins Haus eingedrungen waren. Ich nahm das Bett in Augenschein, aber Belinda hatte Kisten und Koffer darunter geschoben. Der Kleiderschrank war voll mit ihren Kleidern. Ich überlegte, ob ich auf Zehenspitzen über den Flur in die Kammer schleichen konnte, oder besser noch in das Badezimmer. Im Bad würde sicher kein Einbrecher nachsehen, oder?

Vorsichtig öffnete ich die Tür und wollte gerade um die Ecke spähen, als ich aus dem Flur unter mir gedämpfte Stimmen hörte. Allmächtiger. Mehr als einer. Ich warf einen Blick zurück ins Zimmer, für den Fall, dass ich dort irgendetwas fand, das sich als Waffe eignete – aber die zierliche Tischlampe aus Porzellan würde mir nicht viel nützen, selbst wenn es mir gelang, sie rechtzeitig auszustecken. Dann hörte ich ein Lachen, das ich erkannte. Belindas Lachen. Sie war unerwartet zurückgekommen und unterhielt sich wahrscheinlich mit dem Taxifahrer, der ihr Gepäck hereintrug. Ich wollte gerade hinausgehen, um sie zu begrüßen, da hörte ich, wie sie sagte: „Toby, du bist so unanständig. Lass das oder warte zumindest, bis ich meine Handschuhe ausgezogen habe.“

„Kann es nicht erwarten, du köstliches Ding“, sagte eine tiefe Männerstimme. „Ich werde dir alle Kleider vom Leib reißen, dich auf dieses Bett werfen und über dich herfallen.“

„Du wirst mir sicher nichts vom Leib reißen“, sagte Belinda und lachte erneut. „Zufällig mag ich meine Kleider. Aber du darfst mich so schnell ausziehen wie du magst.“

„Die Vorstellung gefällt mir“, sagte er. „Ich habe mich danach verzehrt, mit dir ins Bett zu gehen, seit wir auf diesem Schiff zum ersten Mal miteinander getanzt haben. Aber es gab zu viele wachsame Augen. Verflixt schlau von dir hierherzukommen anstatt ein Hotel zu nehmen. Ein Mann in meiner Position kann nicht vorsichtig genug sein, weißt du.“

Toby? Ich dachte nach. Sir Toby Blenchley, der Minister der Regierung? Mir bleib keine Zeit, um darüber nachzudenken, da sie sich nun der Treppe näherten. Ich blieb hinter der Tür stehen, hin und her gerissen zwischen Peinlichkeit und Unentschlossenheit. Hatte sie etwa vergessen, dass ich ihr Haus und daher auch ihr Schlafzimmer bewohnte? Hielt sie es wirklich für angemessen, sich mit einem Minister zu vergnügen, während ich anwesend war? Wohin sollte ich gehen, während sie beschäftigt waren? Ich seufzte verärgert. Das sah Belinda ähnlich.

Ich hörte, wie sie kicherte und sagte: „Na so etwas, du bist aber ungeduldig“, während sie die Treppe hinaufgingen. Was in aller Welt sollte ich tun? Auf den Flur springen und sagen: „Willkommen zu Hause, meine liebe Belinda. Vielleicht hast du vergessen, dass du deine Wohnung deiner besten Freundin geliehen hast?“ Sir Toby war nicht mehr der Jüngste. Was, wenn die Überraschung bei ihm einen Herzinfarkt auslöste? Andererseits war es mir unmöglich, über die Galerie zur Dienstmädchenkammer zu gelangen, und ich wollte wirklich nicht im Zimmer festsitzen und ihrem Stelldichein lauschen müssen.

Doch mir wurde die Entscheidung abgenommen. Belinda rannte die restlichen Stufen hinauf und rief: „Dann komm, wer zuletzt im Bett ist, ist ein faules Ei!“ Mit voller Wucht stieß sie die Schlafzimmertür auf und ich saß dahinter in der Falle. Hinter der Tür hingen mehrere Bademäntel, die sich nun direkt vor meinem Gesicht befanden. Ich hörte, wie die beiden sich eilig auszogen. Wenn ich mich ruhig verhielt und mich nicht bewegte, würde er seinen Spaß mit ihr haben und dann gehen, überlegte ich. Oder besser noch, vielleicht würden sie beide einschlafen, und ich konnte hinausschleichen und Zuflucht im Kämmerchen suchen.

„Gott, du bist wirklich ein Augenschmaus“, hörte ich ihn sagen. „Diese hübschen kleinen Brüste. Das reicht aus, um einem Mann den Verstand zu rauben. Komm her.“

Ich hörte das Knarzen von Bettfedern, ein Grunzen, ein Seufzen. Dann geschah etwas Schreckliches. Einer von Belindas Morgenmänteln war mit Federn gesäumt. Und eine dieser Federn kitzelte nun meine Nase. Zu meinem Entsetzten wurde mir klar, dass ich niesen würde. Ich war so dicht hinter die Tür gedrückt, dass ich kaum die Hand zur Nase führen konnte. Es gelang mir gerade noch rechtzeitig und ich schlug mir die Finger über Nase und Mund. Die Geräusche auf dem Bett wurden wilder und drängender. Das Niesen ließ noch auf sich warten, bereit herauszubrechen, sobald ich lockerließ. Ich versuchte, es zu unterdrücken, aber ich musste atmen. Und dann, trotz allem, kam es heraus, ein großes, lautes „Hah-tschi“ in genau dem Moment, als Belinda stöhnte: „Oh ja, oh ja.“

Es war bemerkenswert, wie schnell es im Zimmer ruhig wurde.

„Was zum Teufel war das?“, fragte Sir Toby.

„Jemand ist im Haus.“ Ich hörte, wie das Bett knarzte, als sich Belinda erhob.

„Hast du nicht gesagt, niemand wäre hier?“

„Es muss mein Dienstmädchen sein, obwohl ich ihr nicht gesagt habe, dass ich heimkomme“, sagte Belinda. „Woher hat sie das erfahren? Ich sehe nach, ob sie in ihrem Zimmer ist.“ Dann senkte sie die Stimme. „Geh nicht weg, du wildes Tier. Ich komme wieder und dann können wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, sagte er. „Nicht, wenn dein Dienstmädchen im Haus ist. Neigt sie dazu, zu tratschen?“

„Mein Dienstmädchen wird sehr gut dafür bezahlt, nichts von dem mitzubekommen, was in meinem Schlafzimmer passiert“, sagte Belinda. „Du musst dir keine Sorgen machen, Toby, das verspreche ich dir. Ich hole nur meinen Morgenmantel …“

Sie zog die Tür schwungvoll auf.

Kapitel 2

Zum Glück verursachte der Sturm draußen solchen Lärm, andernfalls hätte man ihren Schrei noch an der Victoria Station und vielleicht sogar auf der anderen Seite der Themse hören können.

„Belinda, es ist in Ordnung“, sagte ich und streckte eine Hand nach ihr aus. „Ich bin’s, Georgie.“

„Oh Gott.“ Sie schnappte nun nach Luft und hatte die Hand auf ihre nackte Brust gelegt. „Georgie. Bist du wahnsinnig geworden? Warum in aller Welt versteckst du dich in meinem Schlafzimmer?“

„Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe, Belinda“, sagte ich. „Ich hatte nicht vor, mich zu verstecken, aber als ich aufgewacht bin und dich die Treppe heraufkommen hörte, war es zu spät, um vernünftig zu reagieren. Und du hast die Tür so schwungvoll aufgestoßen, dass ich dahinter in der Falle saß.“

Sir Toby stand neben dem Bett. Offensichtlich war ihm gerade erst klargeworden, dass er nackt und in unbekannter weiblicher Gesellschaft war, denn er griff nach einem spitzenbesetzten, herzförmigen Kissen und versuchte, sein bestes Stück damit zu verdecken. Er sah alt und lächerlich aus und ähnelte kein bisschen dem souveränen, elegant gekleideten Mann, dessen Bild ich aus Nachrichten und Zeitschriften kannte. „Du kennst diese Person, Belinda?“, fragte er herrisch. „Sollen wir die Polizei rufen?“

„Oh nein, natürlich nicht“, sagte Belinda. „Sie ist meine beste Freundin – Georgiana Rannoch.“

„Lady Georgiana, Schwester des Dukes von Rannoch?“, fragte Sir Toby. „Meine Güte. Aber was hat sie in deinem Haus verloren? In deinem Schlafzimmer, um Himmels willen?“

„Ich habe keine Ahnung, Toby.“

Es reichte mir. Beide blickten mich voller Entsetzen und Misstrauen an, als wäre ich ein gefährliches, in die Enge getriebenes Tier. „Vielleicht hast du in der Hitze des Augenblicks vergessen, dass du mich eingeladen hast, bei dir zu wohnen, solange du fort bist, Belinda“, sagte ich. „Und du hättest mich vorwarnen können, dass du zurückkommen würdest.“

Belinda hatte einen der Morgenmäntel vom Haken genommen und versuchte gerade ihn überzuziehen. Mir fiel auf, dass ihr Körper kurviger war als zu der Zeit, als wir als Jugendliche im Internat für höhere Töchter ein Zimmer geteilt hatten. Kein Wunder, dass sich Männer so zu ihr hingezogen fühlten.

„Ich erinnere mich daran, erwähnt zu haben, dass du bei mir wohnen kannst“, sagte Belinda, nachdem sie erfolgreich den Morgenmantel angezogen und um ihre Taille geknotet hatte. „Aber ich hatte nicht gedacht, dass du mein Angebot annehmen würdest. Du hättest mir ein paar Zeilen schreiben und Bescheid geben können.“

„Dir ein paar Zeilen schreiben?“ Jetzt war ich ehrlich entrüstet. „Belinda, ich habe dir zwei Briefe geschrieben. Und da ich nicht wusste, wo du dich aufhältst, habe ich einen an Golden Pictures und einen an das Beverly Hills Hotel adressiert. Willst du mir etwa sagen, dass du keinen von beiden bekommen hast?“

„Natürlich habe ich sie nicht bekommen. Ich bin nie zu Golden Pictures zurückgekehrt. Mr Goldmans Witwe hat den Betrieb so gut wie zum Stillstand gebracht; zumindest sind alle Dreharbeiten im Moment ausgesetzt. Und mein Budget hat wirklich nicht zugelassen, im Beverly Hills Hotel zu bleiben.“

Sir Toby räusperte sich. „Belinda, angesichts der Umstände sollte ich wohl so schnell wie möglich aufbrechen. Wenn es euch jungen Ladys also nichts ausmacht, vor die Tür zu gehen, während ich mich anziehe …“

Belinda folgte mir hinaus auf den Treppenabsatz. „Ehrlich, Georgie. Du hast alles verdorben.“

Sie stand da und starrte mich finster an, während ich mich vor Peinlichkeit wand.

„Es tut mir leid, aber du hast es mir angeboten und ich habe dir geschrieben, um dir Bescheid zu geben. Und ich werde um diese Zeit nicht hinaus in den Sturm gehen, damit du deine kleine Angelegenheit mit einem Regierungsminister zu Ende bringen kannst.“

Sir Toby kam heraus und sah in seinem dunklen Anzug und der Krawatte in den Farben seiner alten Privatschule nun wieder mehr nach sich selbst aus. „Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause, Belinda“, sagte er. „Ich bin mir sicher, dass ich auf der Knightsbridge ein Taxi erwischen kann. Ich finde selbst zur Tür.“

Belinda folgte ihm die Treppe hinunter. „Sehe ich dich bald wieder?“

Er räusperte sich auf die nervtötende Art, die manchen Männern zu eigen war. „Ich halte das wirklich nicht für klug … So gern ich auch würde. Kann es mir nicht leisten, die Partei mit einem Skandal zu behaften, weißt du. Lassen wir heute Nacht einfach hinter uns. Vergessen wir das Ganze.“

Mit diesen Worten griff er nach seinem Mantel, öffnete die Haustür und trat hinaus in den Sturm.

Ich blieb auf dem oberen Treppenabsatz stehen. Wir sahen einander in angespannter Stille an.

„Tja, das war’s dann wohl“, sagte Belinda. „Gibt es irgendwas zu trinken im Haus?“

„Ich könnte dir eine Tasse Tee machen und ich glaube, es gibt Kakao“, antwortete ich.

Sie prustete los. „Gott, Georgie, warum musst du ständig so unverdorben und naiv sein? Wann wirst du erwachsen werden und merken, wie es im Leben läuft? Wenn Leute sagen, sie brauchen einen Drink, sprechen sie nicht von Kakao, sondern von einem großen Whisky.“

„Ich glaube, in deinem Cocktailkabinett gibt es Scotch“, sagte ich. „Und mein Leben unterscheidet sich stark von deinem, Belinda. Ich bringe keine Minister zum Sex nach Hause. Ehrlich gesagt bringe ich niemanden zum Sex nach Hause.“

Belinda seufzte. „Georgie, du bist wirklich eine typische Kakaotrinkerin. Himmel, dabei hatte ich mich so darauf gefreut. Mächtige Männer üben eine starke Anziehung auf mich aus. Und offensichtlich war er auch noch gut im Bett. Aber jetzt werde ich nie wissen …“

Eine weitere peinlich berührte Stille folgte. „Wie gesagt, es tut mir leid“, wiederholte ich. „Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Und du hast mich oft genug ausgenutzt, nicht zuletzt, als du aus heiterem Himmel in Hollywood aufgetaucht bist, also glaube ich, dass du mir den ein oder anderen Gefallen schuldest.“

Die Stille dehnte sich aus, während sie die Treppe hinunter und zu dem Schrank in der Ecke ging. Ich hörte, wie Alkohol in ein Glas gefüllt wurde. Oder vielmehr in zwei Gläser. Sie kam wieder die Treppe hinauf und hielt mir einen halb vollen Whisky-Tumbler entgegen. „Hier, trink das. Du brauchst es ebenso sehr wie ich. Und du hast recht. Ich habe dir mein Zuhause angeboten und dich bei vielen Gelegenheiten schamlos für meine Zwecke ausgenutzt. Komm schon, runter damit.“

Ich tat wie geheißen und spürte, wie mir die feurige Flüssigkeit die Kehle hinunterrann und sich Wärme in meinem Körper ausbreitete. Ich hustete und wischte mir über die Augen. Sie lachte. „Du musst die einzige Schottin sein, die keinen Whisky verträgt“, sagte sie.

„Ich bin nur zu einem Viertel schottisch“, erwiderte ich und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Und ich bin nie auf den Geschmack gekommen.“

„Du und dein verdammter Kakao“, sagte sie und fing wieder an zu lachen. „Ach, ich glaube, es hätte ohnehin zu nichts geführt. Es war nur eine dieser Schiffsromanzen. Und jetzt ist er nach Hause gegangen.“ „Zurück zu seiner Frau, wenn ich mich recht erinnere“, sagte ich. „Und war er nicht derjenige, der diese Rede über die Heiligkeit der Familie gehalten hat und meinte, jeder stolze Engländer wäre der König seines eigenen Schlosses, umringt von seiner Frau und seinen Kindern?“

Sie nickte. „Er ist ein Politiker, Georgie. Die sagen, was die Leute hören wollen.“

„Belinda, ich glaube, ich habe dir einen Gefallen getan. Du hättest große Unruhe stiften können. Du hättest die Regierung stürzen können.“

„Das wäre vielleicht interessant gewesen“, sagte sie. „Und dann würden die Leute wenigstens wissen, wer ich bin. Ich wäre eine Berühmtheit.“

„Nicht von der richtigen Sorte“, sagte ich. „Kein respektabler Haushalt würde dich zum Dinner einladen, aus Angst, du könntest ihre Ehemänner verführen.“

„Wahrscheinlich hast du recht, wie immer“, sagte sie. „Mir ist wirklich der Gedanke gekommen, dass es nett wäre, die Geliebte von jemandem zu sein. Ich wäre versorgt und würde irgendwo in einer schicken Wohnung leben.“

„Ohne jegliche Sicherheit, Belinda. Warum nicht als Ehefrau von jemandem? Dein Stammbaum ist so gut wie meiner – naja, beinahe.“

„Aber ich bin beschädigte Ware, Schätzchen. Keine der erstklassigen Familien möchte, dass ihr Sohn mit jemandem wie mir durchbrennt. Im Gegensatz zu dir bin ich eindeutig keine Jungfrau mehr. Ich habe jetzt einen gewissen Ruf und noch dazu keinerlei Vermögen. Und im Moment bin ich völlig abgebrannt – keine Ahnung, wie ich mein Dienstmädchen bezahlen und mir Essen leisten soll, falls sich nicht eine Möglichkeit auftut.“

„Es hat sich also nichts für dich in Hollywood ergeben?“, fragte ich. „Du meintest, dass Goldman Pictures von Mrs Goldman eingestellt wurde, aber was ist mit all den anderen Studios? Wollte keines davon eine talentierte Kostümbildnerin? Immerhin hattest du die besten Kontakte – du bist nackt mit Craig Hart geschwommen.“

Belinda runzelte die Stirn. „Anscheinend sind in Hollywood zu viele talentierte Leute, die sich um zu wenig Arbeit streiten. Dieser Lebensstil war nichts für mich. Zu aufdringlich. Zu künstlich. Niemand meint, was er sagt. Sie machen große Worte und geben große Versprechen, aber es ist alles nur zum Schein.“

„Das tut mir leid“, sagte ich. „Ich wette, aus dir wäre eine brillante Kostümbildnerin geworden. Du bist sehr talentiert.“

„Lieb von dir, das zu sagen, Schätzchen.“ Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande.

„Du bist bei Chanel in die Lehre gegangen, Belinda. Und du bist wirklich gut. Du könntest hier mit Leichtigkeit deine eigene Kollektion auf die Beine stellen. Davon bin ich überzeugt.“

„Das bin ich ebenfalls“, sagte sie, „allerdings kostet das alles Geld. Ich würde Räume brauchen, Näherinnen, Stoffe … und weißt du noch, was ich damals herausgefunden habe? Diejenigen, die sich gute Kleider leisten können, wollen alles auf Pump haben. Sie zum Zahlen zu bringen ist ein ständiger Kampf.“

Diesmal war ich an der Reihe zu seufzen. „Es ist nicht einfach, was? Meine Mutter überreichte mir bei ihrer Abreise nach Deutschland einen netten Scheck, aber er wird nicht ewig reichen. Und jetzt, da du daheim bist, weiß ich nicht einmal, wohin ich gehen soll. Vermutlich zurück nach Schottland, zu meiner Schwägerin, die mir vorhält, was für eine Belastung ich doch bin.“

Belinda legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich würde dich hier wohnen lassen, aber wenn mein Dienstmädchen zurückkommt, gibt es keinen Schlafplatz für dich. Und es passt ganz und gar nicht zu meinem Lebensstil, wenn eine Freundin unten auf dem Sofa schläft.“

„Mir ist natürlich klar, dass ich nicht hierbleiben kann“, sagte ich.

„Aber es gibt das Haus am Belgrave Square, das deiner Familie gehört“, sagte sie. „Unzählige Schlafzimmer. Was stimmt damit nicht?“

„Nichts, außer dass Fig sehr deutlich gemacht hat, dass sie es sich nicht leisten können, es nur für mich zu öffnen. Anscheinend übersteigt die geringe Menge Kohlen, die ich zum Heizen eines Schlafzimmers nutzen würde, ihre Mittel.“

„Hat dein Bruder wirklich so große Geldprobleme?“, fragte Belinda.

„Das behauptet jedenfalls seine Frau. Ich glaube eher, dass sie von Natur aus geizig ist und nicht will, dass irgendetwas von ihrem Geld für mich ausgegeben wird. Sie hat mir ein ums andere Mal gesagt, dass Binkys Verantwortung für mich endete, sobald meine Saison vorbei war. Es ist meine Schuld, dass ich keine gute Partie eingegangen bin.“

„Wo wir vom Heiraten sprechen …“ Sie hielt inne. „Gibt es Neuigkeiten von Darcy? Er ist doch immer noch auf der Bildfläche, oder?“

„Wenn er in der Gegend ist“, sagte ich. Ich blickte an ihr vorbei auf die weiß lackierte Eingangstür. „Ich habe ihn seit einer Weile nicht gesehen. Du kennst doch Darcy. Er taucht auf, es ist wie im siebten Himmel, dann geht er wieder und ich weiß nie, wo er ist oder wann er wieder zurückkommt. Dieser Mann treibt mich wirklich in den Wahnsinn, Belinda. Er hat nicht einmal eine richtige Adresse in London. Er quartiert sich in den Häusern von Freunden ein, wenn sie nicht in der Stadt sind, und schläft bei ihnen auf der Couch. Und die Hälfte der Zeit darf er mir nicht mal sagen, wohin er geht.“

„Georgie, für wen arbeitet er eigentlich, wenn er diese kleinen Aufträge annimmt – weißt du das? Glaubst du, es ist etwas schrecklich Illegales, wie Drogenschmuggel für Gangster?“

„Allmächtiger, ich hoffe nicht“, antwortete ich. „Manches von dem, was er tut, ist bemerkenswert geheim. Ich glaube, er nimmt fast jeden Auftrag an, der ihm angeboten wird, aber meistens auf der richtigen Seite des Gesetzes.“ Ich schaute mich um und senkte meine Stimme, obwohl wir allein waren und der Sturm tobte. „Manchmal denke ich sogar, dass er zuweilen von der Regierung als Spion verpflichtet wird. Er spricht nicht darüber und ich frage nicht nach. Ich weiß, dass er versucht, genug Geld zu verdienen, damit wir heiraten können …“

„Ihr seid verlobt, Schätzchen?“ Sie packte meine Hände.

Ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. „Nun, im Geheimen schon. Wir dürfen unsere Verlobung nicht bekannt geben, bis Darcy sicher ist, dass er mich versorgen kann. Der Himmel weiß, wann es soweit sein wird. Ich habe ihm gesagt, dass es mir nichts ausmachen würde, in einer kleinen Wohnung zu leben, aber er besteht darauf, es ganz oder gar nicht zu tun.“

„Natürlich tut er das.“ Sie sah mich wehmütig an. „Du hast so großes Glück, Georgie. Du kannst dich auf eine wundervolle Zukunft mit einem Mann freuen, der dich liebt.“

Das sah Belinda kein bisschen ähnlich und ich drehte mich zu ihr um. „Belinda – ich weiß, dass du den Richtigen treffen wirst. Auf dich wartet eine vielversprechendere Zukunft als auf mich, weil du so talentiert bist.“

„Liebe Georgie.“ Sie streckte die Arme aus, um mich zu umarmen. „Du bist so nett. Du verdienst es, glücklich zu sein.“

„Kopf hoch, Belinda. Alles wird sich zum Guten wenden“, sagte ich. „Du wirst eine Arbeit finden oder dein Vater wird nachgeben und dir etwas Geld geben … und wirst du nicht eine Summe von deiner Großmutter erben?“

Sie schnitt eine Grimasse. „Meine Großmutter wird die Hundert erreichen. Sie läuft immer noch jeden Morgen drei Meilen und nimmt kalte Bäder. Und von meinem Vater bekomme ich kein Geld, solange meine böse Stiefmutter auf der Bildfläche ist. Nein, Schätzchen, ich fürchte, ich muss zurück ins Crockford’s, wenn ich überleben will.“

„Crockford’s? Den Club, meinst du? Glaubst du wirklich, dass du mit Glücksspiel Geld verdienen kannst?“

„Ehrlich gesagt bin ich darin ziemlich gut, Schätzchen“, sagte sie. „Ich spiele das hilflose, unschuldige junge Mädchen – du weißt schon – das erste Mal am Spieltisch und alles ist so furchtbar verwirrend. Mein Einsatz wird normalerweise von netten Männern übernommen. So verliere ich tatsächlich nie mein eigenes Geld und ich gewinne bemerkenswert oft. Manche Männer erwarten allerdings etwas im Gegenzug …“ Sie lächelte strahlend. „Aber genug der Trübsal. In meinem Bett ist genug Platz für zwei und morgen früh schmieden wir Pläne.“

Kapitel 3

Montag, 29. Oktober

Clabon Mews und später Rannoch House, Belgrave Square

Liebes Tagebuch,

Belinda kam letzte Nacht unerwartet heim. Es war ehrlich gesagt ziemlich peinlich. Jetzt habe ich keine Ahnung, wohin ich gehen soll. Ich hasse es, mich auf die Gutmütigkeit, das Mitleid oder das Pflichtgefühl der Menschen verlassen zu müssen, die mich bei sich aufnehmen. Wann werde ich je ein eigenes Zuhause haben?

Am Morgen hatte der Sturm sich ausgetobt. Die Welt war in helles Sonnenlicht getaucht. Ich stand auf und ging zum Fenster, um die morgendliche Stille auszukosten. Der Gehweg unter mir war mit durchnässtem Laub und sogar kleinen Ästen übersät, was bewies, wie stark der Sturm in der Nacht gewütet hatte. Belinda seufzte und murmelte etwas. Ich drehte mich zu ihr um, aber sie schlief noch tief und fest. Im Schlaf sah sie wirklich engelsgleich aus. Ich stand da und schaute auf sie hinab. Für gewöhnlich war Belinda die optimistische Opportunistin, die sich recht gut durchzuschlagen wusste. Sie hatte Affären mit glamourösen italienischen Grafen und bulgarischen Prinzen gehabt. Es sah ihr also gar nicht ähnlich, ihre verletzliche Seite zu zeigen. Ich fragte mich, ob in Hollywood etwas passiert war …

Dann beschloss ich, dass ich mir mehr Sorgen um mich selbst machen musste. Immerhin hatte sie ein eigenes Zuhause und keine Familienbande zum Königshaus, denen sie gerecht werden musste. Ich überlegte, wohin ich nun gehen würde. Erwartete sie, dass ich sofort auszog? In diesem Fall bliebe mir nichts anderes übrig, als den nächsten Zug zurück nach Schottland zu nehmen. Oh Allmächtiger, dachte ich. Castle Rannoch, wenn der Winter vor der Tür stand, sturmgepeitscht und düster jenseits meiner Vorstellungskraft. Ich würde Fig schreiben müssen, um herauszufinden, ob sie mich aufnehmen würden, da es nun nicht länger mein Zuhause war. Und wenn sie Nein sagte … Ich wandte mich vom Fenster ab und versuchte nicht daran zu denken. Mummy meinte, dass ich sie jederzeit in Deutschland besuchen könne, aber das gefiel mir auch nicht – nicht angesichts der aktuellen Entwicklungen dort.

Wie auch immer, ich würde anfangen müssen meine Sachen zu packen. Ich würde Queenie im Haus ihrer Eltern abholen, was mir einen Grund gab, Großvater zu besuchen. Bei diesem Gedanken lächelte ich. Seit ich in London war, besuchte ich Großvater regelmäßig. Ich sollte wohl hinzufügen, dass von dem Vater meiner Mutter die Rede war, dem Cockney-Polizisten im Ruhestand, der in einem Reihenhaus mit Gartenzwergen im Vorgarten lebte, nicht von dem furchteinflößenden schottischen Duke, der eine Prinzessin geheiratet hatte. Der schottische Großvater war vor meiner Geburt gestorben, zum Glück, und man munkelte, dass sein Geist noch immer auf den Zinnen von Castle Rannoch spukte.

Aber mein lebender Großvater war mir lieb und teuer. Er hieß mich immer willkommen, obwohl er selbst nur wenig besaß. Mir kam ein anderer Gedanke: Wäre es nicht wundervoll, eine Weile bei ihm zu wohnen? Ich malte mir den Geruch von brutzelndem Speck aus und stellte mir vor, wie wir zusammen in seiner winzigen Küche Tee tranken und am Feuer plauderten. Ich seufzte. Leider wusste ich, dass das Missfallen erregen würde. Man hatte mir in aller Deutlichkeit gesagt, dass es die Familie in große Verlegenheit bringen würde, wenn die Zeitungen Wind davon bekämen. Mitglied der Königsfamilie in mittellosen Umständen. Ihre Hoheit isst im Fish-and-Chips-Laden um die Ecke. Für die linken Zeitungen wäre es ein gefundenes Fressen.

Meine Familie ging mir wirklich auf die Nerven. Ich durfte keine Stelle annehmen, die sie in Verlegenheit brachte. Ich durfte nicht bei dem einzigen Menschen wohnen, dem meine Gesellschaft willkommen war. Und dennoch boten sie mir keine finanzielle Unterstützung. Wie in aller Welt sollte ich ihrer Meinung nach leben? Die Antwort darauf kannte ich nur zu gut: Man erwartete von mir, eine passende Ehe mit irgendeinem halbverrückten, kinnlosen europäischen Prinzen einzugehen – einem von der Sorte, die mit monotoner Regelmäßigkeit hinterrücks gemeuchelt wurden. Sie hatten mich einigen Kandidaten vorgestellt, aber sehr zur allgemeinen Verärgerung hatte ich sie abgewiesen. Es gab eben Dinge, die ein Mädchen nicht tat, selbst wenn es darum ging, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Ich muss doch irgendeine Arbeit finden können, dachte ich, als ich auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich und den Teekessel füllte. Das Problem war, dass ich über keine Bildung verfügte, abgesehen von der Fähigkeit, mich in den korrekten gesellschaftlichen Kreisen gut zu benehmen. Und in dieser Zeit der Wirtschaftskrise gab es Menschen mit echten Qualifikationen, die für Anstellungen Schlange standen. Ich seufzte, während ich Tee kochte. Hätte ich nur das umwerfende Aussehen meiner Mutter geerbt, dann hätte ich in ihre Fußstapfen treten und zum Theater gehen können. Aber leider schlug ich nach meinem Vater – groß, schlaksig und von gesundem schottischen Äußeren.

Ich munterte mich mit dem Gedanken auf, dass ich bald Großvater sehen würde, und bereitete hart gekochte Eier und Toast zu, bevor ich nach oben ging, um Belinda zu wecken. Als sie sich an den Esstisch setzte, von ihrem Tee nippte und an einer Scheibe Toast knabberte, machte sie einen geräderten Eindruck.

„Ich fühle mich schrecklich dabei, dich jetzt vor die Tür zu setzen, Schätzchen“, sagte sie. „Wenn ich nur ein Gästezimmer hätte …“

„Ich weiß. Es ist wirklich in Ordnung“, sagte ich. „Mach dir keine Sorgen, es wird sich etwas ergeben. Ich hole Queenie her und sie kann meine Sachen packen. Im schlimmsten Fall kann ich ein paar Tage bei meinem Großvater bleiben.“

„Ich dachte, das würde deiner Familie nicht besonders gefallen“, sagte Belinda.

„Das tut es auch nicht, aber sie bieten mir schließlich keine Alternativen an, oder? Wenn ich ausgehe, werde ich eine Ausgabe der Lady holen. Es muss irgendeine Stelle geben, für die ich tauge.“

„Georgie, sei nicht albern. Die Lady hat Anzeigen für Gouvernanten und Kammerzofen.“

„Und für Gesellschafterinnen und Privatsekretärinnen. Alles ist besser als Castle Rannoch.“

„Da stimme ich dir zu. Aber es steht dir frei, bei mir auf dem Sofa zu übernachten, bis du etwas findest. Ich will dich nicht in den Sturm hinausschicken.“

Ich lächelte. „Es ist ein herrlicher, sonniger Morgen, falls es dir nicht aufgefallen ist.“

Sie blinzelte verschlafen zum Fenster. „Tatsächlich? Das war mir entgangen.“ Dann wandte sie sich wieder mir zu und lächelte. „Entschuldige. Inzwischen solltest du wissen, dass ich morgens nicht in bester Verfassung bin. Im Laufe des Tages bessert sich meine Laune. Und wenn ich ins Crockford‘s gehe, werde ich in Höchstform sein.“

Während ich nach oben ging, um mich zu waschen und anzuziehen, dachte ich über Belinda nach. Ich hatte sie stets für ihre selbstbewusste, weltgewandte Art bewundert, ihr savoir faire, ihre Eleganz und ihren Stil. Ich hatte immer geglaubt, dass sie besser als jeder andere wusste, wie man überlebte. Ich zog meinen Kaschmirpullover an – eines der abgelegten Stücke meiner Mutter – und einen Schottenrock, darüber meinen alten Harris-Tweedmantel, und trat in den kalten, frischen Morgen hinaus. Ich liebte es, an solchen Tagen zu Fuß zu gehen. Zuhause in Schottland wäre es der perfekte Tag für einen Ausritt über die Heide gewesen, wenn der Pferdeatem aussah wie Drachenfeuer und das Hufgetrappel von den Felswänden widerhallte.

Beim Laufen fühlte ich mich optimistischer. Vielleicht war Castle Rannoch gar nicht so schlecht. Ich konnte ausreiten, spazieren gehen und mit meiner Nichte und meinem Neffen spielen, bezaubernde Kinder. Selbst Fig konnte nichts dagegen haben, wenn ich ungefähr eine Woche zu Besuch kam – lang genug, um die Lady zu überfliegen und Bewerbungen abzuschicken. Immerhin hatte ich letzte Weihnachten bei einer Hausgesellschaft ausgeholfen. Vielleicht konnte ich dieses Jahr dasselbe tun. Lady Hawse-Gorzley würde mir eine gute Referenz ausstellen. Oder vielleicht könnte ich als Privatsekretärin arbeiten. Ich konnte zwar nicht richtig tippen, aber ich war gut im Briefeschreiben und kannte die Umgangsformen der gehobenen Gesellschaft. Vielleicht würde es eine neureiche Person reizen, eine Sekretärin mit königlichen Verbindungen zu haben, die sich auskannte. Und außerhalb von London, fernab der Pressespäher, konnte die Familie über eine solche Anstellung nicht die Nase rümpfen.

Dann kam mir ein weiterer ermutigender Gedanke. Ich konnte jederzeit die Herzoginwitwe von Eynsford besuchen. Hatte ich sie nicht als eine Art Gesellschafterin beziehungsweise Privatsekretärin unterstützt? Über meine Gesellschaft letztes Jahr war sie dankbar gewesen und ich war mir sicher, dass sie mich wieder willkommen heißen würde. Vielleicht waren der junge Herzog und seine Cousine aus der Schweiz zurückgekehrt, dann würde es wohl recht heiter zugehen. Mit neuer Energie marschierte ich die Pont Street entlang. Mein Kopf schwirrte so vor lauter Ideen, dass ich kaum darauf achtete, wohin ich ging. Als ich anhalten musste, um die Sloane Street zu überqueren, bemerkte ich, dass ich in Belgravia war, ganz in der Nähe unseres Londoner Hauses am Belgrave Square. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick darauf zu werfen, obwohl ich dort als Kind nur selten gewesen war und mich nie heimisch gefühlt hatte. Ich ging über die Straße und betrat den ruhigen Belgrave Square mit seinen eleganten weißen Häuserfronten und den Gartenanlagen in der Mitte, wo Bäume steif und kahl hinter ihren Eisenzäunen standen.

Zwei Kindermädchen fuhren ihre Schützlinge spazieren und unterhielten sich, während sie die Kinderwagen schoben. Ein Dienstmädchen schrubbte eine Türschwelle. Ein Milchmann machte eine Lieferung und die Flaschen klimperten, als er sie hinunter zu einem Dienstboteneingang trug. Alles war so friedlich und häuslich, dass ich mich dabei ertappte, wie ich sehnsüchtig zum Rannoch House hinaufstarrte. Es befand sich in der Mitte der Nordseite des Squares – das größte und imposanteste Haus.

„Ich wünschte …“, hörte ich mich laut sagen, aber als ich darüber nachsann, wusste ich nicht genau, was ich mir wünschte. Wahrscheinlich, dass es einen Ort auf der Welt gab, der mir noch ein Zuhause war. Ich wollte gerade daran vorbeigehen, als sich die Eingangstür öffnete und kein anderer als mein Bruder Binky, der aktuelle Duke von Rannoch, die Treppe hinunterkam und seinen Schal zurechtrückte. Er wollte gerade an mir vorbeigehen, ohne mich zu bemerken, aber ich stellte mich ihm in den Weg.

„Hallo, Binky“, sagte ich.

Er blieb aufgeschreckt stehen, dann blinzelte er, als sähe er eine Luftspiegelung. „Georgie. Du bist es. Verflixt und zugenäht. Was für eine angenehme Überraschung. Wir wussten nicht, dass du in der Stadt bist.“

„Ich habe auch nicht erwartet, dass ihr in der Stadt seid“, sagte ich.

„Wir sind vor ein paar Wochen heruntergefahren“, erklärte er. „Figs Tante ist kürzlich gestorben und hat ihr eine hübsche kleine Erbschaft hinterlassen, also haben wir beschlossen, auf Castle Rannoch eine Zentralheizung zu installieren. Im Winter kann es bitterkalt werden, nicht wahr? Und die kleine Adelaide bekommt so schlimmen Husten. Also haben wir beschlossen nach London zu fahren, während sie Boiler, Rohre und so weiter installieren. Wir müssen ohnehin eine Gouvernante für Podge suchen, also schlagen wir eigentlich zwei Fliegen mit einer Klappe. Aber genug von unserem langweiligen Leben – was ist mit dir? Was hast du getrieben? Das Letzte, was wir von dir gehört haben, war, dass du bei der Herzogin von Eynsford zu Gast warst.“

„Seitdem ist viel passiert“, sagte ich. Mich überkam ein jähes Schuldgefühl. Ich hätte meinem Bruder öfter schreiben sollen, aber dann sagte ich mir, dass Fig die Briefe wahrscheinlich ohnehin verbrannt hätte. „Aber bist du unterwegs zu einem Termin? Ich könnte dich besuchen, wenn du Zeit hast, und dir alle Neuigkeiten von mir mitteilen, anstatt hier auf der Straße zu stehen und zu frieren.“

„Du kannst jetzt hereinkommen, wenn du nicht zu beschäftigt bist“, sagte er. „Ich wollte nur einen Abstecher zu meinem Club machen, um die Morgenzeitungen zu lesen, und Fig würde dich liebend gern sehen.“

Ich war davon überzeugt, dass Letzteres ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach, aber ich würde die Einladung nicht ablehnen. „Ich würde gern alle wiedersehen“, sagte ich. „Es ist eine Ewigkeit her, seit ich Podge und Adelaide gesehen habe. Nennt ihr sie eigentlich immer noch so? Kommt mir nicht wie der passende Rufname für ein Baby vor.“

„Ich nenne sie Klößchen, weil sie runde Pausbacken hat“, sagte Binky, „aber Fig mag es nicht und das Kindermädchen besteht darauf, die Kinder bei ihren richtigen Namen zu rufen. Keine Kleinkindsprache und kein Geblödel.“

„Ihr habt ein neues Kindermädchen?“

„Ja. Eigentlich Figs Idee. Sie hielt unser Kindermädchen für zu alt und zu nachgiebig. Also hat sie sie in den Ruhestand geschickt. Ich muss zugeben, dass ich mit der Neuen nicht so gut zurechtkomme. Zu modern und effizient und sie sorgt sich ständig wegen Keimen.“

Während wir uns unterhielten, ging Binky die Treppe wieder hinauf und öffnete die Eingangstür. „Komm rein, Georgie.“

Ich folgte ihm in die Eingangshalle. Binky hatte soeben die Tür hinter uns geschlossen, als Hamilton, unser Butler, auftauchte, der über jenen sechsten Sinn verfügte, der Butlern verrät, ob jemand kommt oder geht.

„So schnell schon zurück, Euer Gnaden? Ich hoffe, es ist nichts vorgefallen“, setzte er an, dann sah er mich und seine Miene erhellte sich auf höchst zufriedenstellende Art. „Wenn das nicht Lady Georgiana ist. Welch freudige Überraschung. Es ist so lang her.“

„Wie geht es dir, Hamilton?“, sagte ich, als er mir aus meinem Mantel half. „Den Umständen entsprechend gut, Mylady. Rheuma, Sie wissen schon, und die vielen Treppen in diesem Haus. Soll ich im Morgensalon Kaffee servieren, Euer Gnaden, oder würde Ihre Ladyschaft ein richtiges Frühstück im Speisesaal bevorzugen? Es wurde noch nicht abgeräumt, obwohl sich Ihre Gnaden heute Morgen ein Tablett aufs Zimmer bringen ließen, wie ich glaube.“

„Die Nierchen sind heute Morgen mächtig gut, Georgie. Und du weißt ja, wie verdammt fein das Kedgeree ist, das unsere Köchin macht.“

„Klingt wundervoll“, sagte ich. Bei dem Versuch, den Scheck meiner Mutter so weit wie möglich zu strecken, hatte ich sehr einfach gelebt, abgesehen von ein paar Gelegenheiten, zu denen ich mir fertig zubereitetes Essen von Harrods gegönnt hatte. Und Nierchen konnte ich nicht selbst kochen.

„Geh und greif zu“, sagte Binky. „Ich lasse Fig wissen, dass du hier bist, und dann geselle ich mich vielleicht zum zweiten Frühstück zu dir, obwohl Fig sich beschwert, dass ich um die Mitte zu viel ansetze.“ Er klopfte sich auf den Bauch, der ein bisschen dem des Weihnachtsmanns ähnelte.

„Soll ich frischen Kaffee in den Speisesaal schicken lassen, Mylady?“, fragte Hamilton und blieb vor der filzbespannten Tür stehen, die hinunter zur Küche führte.

„Das wäre reizend, danke, Hamilton“, sagte ich. „Ich finde sicher allein in den Speisesaal.“

Ich ging in Richtung des hinteren Hauses, während Binky die Treppe hinaufging. Ich war noch nicht ganz im Speisesaal, als ich hörte, wie eine Stimme keifte: „Hier? Jetzt? Was will sie?“

„Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas will, Fig“, antwortete Binkys Stimme. „Wir sind uns zufällig auf dem Bürgersteig begegnet, da habe ich sie natürlich hereingebeten.“

„Also wirklich, Binky, du bist unverbesserlich“, fuhr Fig fort. „Du denkst nie nach, oder? Ich bin noch nicht einmal aufgestanden und angezogen. Du hättest ihr sagen sollen, dass sie zu einer angemesseneren Uhrzeit zurückkommen soll.“

„Verflixt noch mal, Fig, sie ist meine Schwester“, sagte Binky. „Das hier ist ihr Zuhause.“

„Es ist jetzt unser Zuhause, Binky. Deine Schwester ist seit Monaten fort, Gott weiß wo, und führt ihr eigenes Leben – was sie auch sollte, da du nicht länger für sie verantwortlich bist.“ Ein tiefer Seufzer folgte. „Nun, geh nach unten und unterhalte dich mit ihr. Ich schätze, ich werde aufstehen müssen. Dabei hatte ich mich heute Morgen darauf gefreut, lang im Bett zu bleiben und Country Life zu lesen.“

Auf Zehenspitzen schlich ich zum Speisesaal, als Binky wieder die Treppe herunterkam.

„Fig ist gleich bei uns“, sagte er und brachte ein strahlendes Lächeln zustande. „Hat heute ausgeschlafen, weißt du. Aber greif gern zu, ich bin sicher, dass alles noch warm ist.“

Ich tat wie geheißen und setzte mich mit einem turmhoch beladenen Teller voller Kedgeree, Nierchen, Rührei und Bacon an den Tisch. Ein solches Festmahl hatte ich schon seit Langem nicht gehabt und ich fragte mich, ob Figs Erbschaft groß genug gewesen war, um ihren Lebensstandard zu verbessern. Als ich das letzte Mal zu Hause auf Castle Rannoch gewesen war, hatte Fig nur magere Kost aufgetischt. Es war sogar so weit gekommen, dass sie Cooper’s Oxford Marmelade durch Golden Shred ersetzt hatte.

Der Kaffee wurde serviert und als mein Teller beinahe leer war, hörte ich Schritte im Flur und Fig kam herein. „Georgiana“, sagte sie knapp. „So eine Überraschung. Wie schön, dich zu sehen.“ Sie sah älter aus als bei unserer letzten Begegnung und auf ihrer Stirn zeichneten sich erste Sorgenfalten ab. Sie war nie eine Schönheit gewesen, aber früher hatte sie das gesunde, wenn auch pferdeähnliche Aussehen einer Frau vom Land und einen makellosen Teint gehabt. Jetzt sah sie eindeutig teigig aus und ich empfand aufs Neue Mitleid mit Binky, der den Rest seines Lebens mit dieser Person verbringen musste. Wenn die Dinge wie geplant liefen, würde ich jeden Morgen am Frühstückstisch Darcy gegenüber sitzen – eine weitaus erfreulichere Aussicht.

Fig schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, dann setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch. „Wir wussten nicht einmal, dass du in der Stadt bist, sonst hätten wir dich zum Essen eingeladen. Ehrlich gesagt hatten wir keine Ahnung, wo du steckst, nicht wahr, Binky? Dein Bruder hat sich große Sorgen gemacht, weil er nichts von dir gehört hat.“ „Das Letzte, was wir hörten, war, dass du bei den Eynsfords zu Gast warst“, sagte Binky, „und dort gab es eine kleine Unannehmlichkeit, nicht wahr? Diese unschöne Geschichte mit dem armen alten Cedric.“

„Georgiana scheint unschöne Geschichten anzuziehen“, sagte Fig. „Du warst im Ausland, nachdem du dich von den Eynsfords verabschiedet hast? Wir haben die Herzoginwitwe auf Balmoral getroffen und sie erwähnte etwas in der Art.“

„Ich war mit meiner Mutter in Amerika“, sagte ich.

„Warum in aller Welt? Sucht sie sich jetzt einen reichen Amerikaner als Ehemann?“ Fig rührte zornig in ihrem Kaffee.

„Oh, ich bitte dich, Fig, das ist wirklich nicht nötig“, unterbrach Binky sie.

„Im Gegenteil. Sie ließ sich dort von einem scheiden.“ Ich lächelte sie süßlich an. „Sie hat vor, den Industriellen Max von Strohheim zu heiraten.“

„Einen Deutschen?“ Fig warf meinem Bruder einen finsteren Blick zu. „Hast du das gehört, Binky? Georgies Mutter wird einen Deutschen heiraten. Ich verstehe einfach nicht, wie die Leute den Großen Krieg so schnell vergessen können.“ „Ich glaube nicht, dass der Beau von Georgies Mum viel mit dem Großen Krieg zu tun hatte“, sagte Binky auf seine übliche versöhnliche Art. Ich verkniff es mir zu erwähnen, dass er vermutlich ein Vermögen mit Waffenlieferungen verdient hatte. Sein industrielles Imperium war jedenfalls weitreichend. „Hast du dich in Amerika denn vergnügt, Georgie? Warst du lang dort?“

„In Teilen war es sehr schön, danke“, sagte ich. „Die Überfahrt auf der Berengaria –“

„Hörst du, Binky?“, unterbrach Fig. „Sie ist auf der Berengaria gereist – man nennt sie auch das Millionärsschiff. Das werde ich mir nie leisten können. Offensichtlich habe ich etwas im Leben falsch gemacht. Ich hätte Schauspielerin werden und Affären mit allerhand Männern eingehen sollen, wie Georgies Mutter.“

„Dafür hast du nicht das Aussehen, altes Haus“, sagte Binky liebevoll. „Du musst zugeben, dass Georgies Mum ein echter Knaller ist.“

Fig lief ziemlich rot an und ich bemühte mich, nicht an meinem Kaffee zu ersticken.

„Sie ist kaum mehr als ein Flittchen für die Oberklasse“, fuhr Fig ihn an.

„Ganz ruhig, altes Haus“, sagte Binky. „Georgies Mum mag ein ziemlich wildes Leben geführt haben, aber sie ist eine durch und durch anständige Frau. Als sie mit Vater verheiratet war, behandelte sie mich sehr gut. Sie war die Einzige, die merkte, wie unglücklich ich im Internat war.“

Fig erkannte, dass dieser Kampf nicht in ihrem Sinne verlief. „Du wurdest auf Balmoral vermisst, Georgiana“, sagte sie. „König und Königin haben beide deine Abwesenheit kommentiert. Waren höchst pikiert, weil du nicht dort warst.“

„Oh, ich bin mir sicher, dass meine Anwesenheit keinen Unterschied gemacht hätte“, sagte ich und war insgeheim geschmeichelt, dass überhaupt aufgefallen war, dass ich dieses Jahr nicht an der Hausgesellschaft teilgenommen hatte.

„Höchst pikiert“, wiederholte Fig. „Der König sagte doch tatsächlich zu mir: ‚Wo ist denn die junge Georgiana? Hatte sie genug davon, sich mit uns alten Knackern abzugeben? Verbringt ihre Zeit lieber mit den umtriebigen jungen Leuten, was?‘“

„Und die kleine Prinzessin hat dich auch vermisst, Georgie“, sagte Binky. „Diese Elisabeth entwickelt sich zu einer verdammt guten Reiterin. Sie meinte, sie bedaure es, dass du nicht dort warst, um mit ihr auszureiten.“

„Wahrscheinlich ist es nicht das Klügste, das Königspaar vor den Kopf zu stoßen, Georgie“, sagte Fig. „Immerhin sind sie die Familienoberhäupter. Und du weißt, dass die Königin felsenfest davon ausgeht, dass man sich auf Balmoral zeigt.“

Das stimmte allerdings. Es war nicht leicht, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, um der Einladung zu entgehen. Es wurde sogar gemunkelt, dass ein gewisses Mitglied der erweiterten Königsfamilie ihre Schwangerschaften zeitlich so abstimmte, dass sie Balmoral jedes zweite Jahr verpassen konnte. Uns Rannochs allerdings machte es nichts aus. Wir waren bereits an eiskalte Zimmer und Dudelsackklänge gewöhnt, die alle im Morgengrauen aus dem Schlaf rissen. Nicht zu vergessen die Schottenkaro-Tapete auf dem stillen Örtchen.

„Wir haben uns dieses Jahr dort prächtig amüsiert, nicht wahr, Binky?“ Fig leerte ihre Kaffeetasse und stand auf, um sich eine Scheibe Toast zu nehmen.

„Oh, in der Tat“, pflichtete er ihr bei. „Das Wetter war natürlich nicht besonders freundlich. Hat ehrlich gesagt jeden verdammten Tag geregnet. Hab jeden Vogel, auf den ich schoss, verpasst. Abgesehen davon war es durchaus vergnüglich. Sie haben einen neuen Dudelsackmusikanten, der im Morgengrauen spielt.“

„Wie schade, dass ich gezwungen war, es zu verpassen“, sagte ich ohne eine Miene zu verziehen. Ich wandte mich wieder an Fig. „Wie ich höre, hast du eine Erbschaft gemacht, Fig, und ihr lasst eine Zentralheizung installieren.“

„Nur eine kleine Erbschaft“, sagte Fig hastig. „Meine Tante lebte sehr schlicht. Ohne Luxus. Sie war bis zu ihrem Tod sehr aktiv bei den Pfadfinderinnen.“

„Und ihr wohnt nur hier, bis der neue Boiler installiert ist?“

„Eigentlich dachten wir, dass wir auch gleich bis zur Hochzeit hier bleiben könnten“, sagte Binky und erntete einen warnenden Blick von Fig.

„Die Hochzeit?“, fragte ich. „Die königliche Hochzeit“, erklärte Binky.

„Der Prince of Wales gibt sich endlich geschlagen und heiratet?“, rief ich überrascht.

„Nicht der Prince of Wales, obwohl er sich viel Zeit damit lässt, eine passende Frau auszusuchen, die eines Tages Königin sein wird“, sagte Fig. „Der jüngere Sohn ist es, Prinz George, der nächsten Monat heiratet.“

Ich hätte nicht überraschter sein können. „George?“, quiekte ich. Prince Georgie, der vierte Sohn des Königs, war ein vollendeter Charmeur, unterhaltsam und lustig, aber nach allem was ich gehört (und gelegentlich gesehen) hatte, war er ein ziemlich ungezogener Bursche. „Der König und die Königin versuchen also, ihm Zügel anzulegen.“

„Zügel anlegen? Was meinst du damit?“, erkundigte sich Fig.

„Es gab Gerüchte …“ Ich warf Binky einen Blick zu, erntete aber keine Reaktion, also vermutete ich, dass die Neuigkeiten Schottland nicht erreicht hatten oder meine Verwandten so weltfremd waren, dass sie nicht wussten, dass es Menschen wie George gab.

„Komm schon, Georgiana. Selbst Prinzen unseres Landes dürfen in ihrer Jugend ein bisschen Spaß haben“, sagte Fig. „Solange sie ihre Pflicht erfüllen und eine gute Partie eingehen.“

Ich persönlich war der Ansicht, dass nackt in nichts als einer Bärenfellmütze zu posieren und eine Affäre mit Noel Coward zu haben nicht mehr als „ein bisschen Spaß haben“ durchgingen. Ich hatte ihn einmal auf einer Party gesehen, wo Kokain geschnupft worden war. Es gab außerdem Gerüchte über Affären mit ganz und gar unpassenden Frauen.

„Wen heiratet er?“, wollte ich wissen.

„Prinzessin Marina von Griechenland“, sagte Binky. „Dänische Königsfamilie, weißt du. Du hast ihren Cousin Philip kennengelernt, glaube ich. Sehr gutaussehend. Netter Junge. Guter Sportler.“

„Und natürlich sind wir zur Hochzeit eingeladen“, fügte Fig selbstzufrieden hinzu. „Würden sie um nichts in der Welt verpassen, nicht wahr, Binky?“

„Oh nein“, sagte Binky. „Ein großer Spaß.“

„Ich frage mich, ob ich eingeladen bin“, sagte ich. „Wird es eine große Angelegenheit?“

„Westminster Abbey“, sagte Fig. „Ich habe keine Ahnung, ob du auf der Gästeliste stehst. Irgendwo müssen sie ja eine Grenze ziehen.“

Binky rückte seinen Stuhl etwas näher zu mir. „Also, Georgie, was sind deine Pläne, nun da du aus Amerika zurückgekehrt bist? Bleibst du in London?“

„Ich durfte das Cottage einer Freundin nutzen“, sagte ich, „aber sie ist überraschend zurückgekommen, also muss ich ausziehen. Ich hatte daran gedacht, nach Castle Rannoch zu fahren, während ich mich nach einer passenden Stelle umsehe, aber das steht nun natürlich außer Frage. Bleibt noch mein Großvater …“

„Der aus Essex?“ Bei Fig klang es wie einer der äußeren Kreise der Hölle.

„Da der andere seit vielen Jahren tot ist, lautet die Antwort darauf Ja“, gab ich zurück. „Er ist ein ganz wunderbarer Mensch, nur nicht –“

„Einer von uns“, unterbrach Fig. „Du kannst doch nicht ernsthaft daran denken, nach Essex zu ziehen! Was würde die Familie dazu sagen, wenn sie davon erführe? Ich glaube nicht, dass sie über die Nachricht erfreut wären, dass du in Essex bei einem Cockney lebst, Georgiana. Egal, wie wunderbar er ist.“

„Hast du etwa einen besseren Vorschlag?“, fragte ich.

„Du musst hier wohnen“, sagte Binky hellauf begeistert.

Figs Gesicht war ein Anblick für die Götter. Sie öffnete ihren Mund, setzte zum Sprechen an, dann schloss sie ihn wieder. Ich konnte nicht widerstehen, eilig zu antworten: „Wenn ihr euch wirklich sicher seid, dass es keine Umstände machen würde?“

„Umstände?“, sagte Binky. „Es ist dein Zuhause, Georgie, altes Haus. Wir nehmen dich liebend gern auf – nicht wahr, Fig?“

Darauf folgte eine ausgedehnte Stille, bevor sie sich ein schmallippiges Lächeln abrang und sagte: „Natürlich tun wir das. Du kannst sehr gern hier bleiben.“

Kapitel 4

29. Oktober

Rannoch House, Belgrave Square, London W1.

Ich musste in mich hineinlächeln, als ich Rannoch House verließ und mich auf den Weg zur U-Bahn-Station an der Ecke Hyde Park machte. Ich hatte für die unmittelbare Zukunft einen Schlafplatz. Nun musste ich nur noch Queenie in ihrem Elternhaus abholen, damit sie meine Kleider packen und mir beim Umzug helfen konnte.

„Allmächtiger“, schoss es mir durch den Kopf, als mir etwas klar wurde. Das würde Fig wirklich verärgern. Sie konnte Queenie nicht ausstehen und hatte mich schon mehrmals aufgefordert, sie zu feuern. Ich merkte, dass es mir diebische Freude bereitete, zu wissen, dass sowohl ich als auch Queenie Fig auf die Nerven gehen würden. Natürlich nicht für lange Zeit, aber wenn ich ebenfalls zu der Hochzeit eingeladen war, würde ich bis Ende November bleiben müssen. Und bis dahin würde ich es schaffen, eine Arbeit oder eine Einladung zu ergattern.

Der Zug fuhr ein und Dunkelheit verschluckte uns. Ich war auf dem Weg ins tiefste Essex zum Haus meines Großvaters. Seine direkte Nachbarin war Queenies Großtante, sie würde also wissen, ob Queenies Mutter sich wieder ausreichend erholt hatte und ich Queenie mitnehmen konnte. Das Haus meines Großvaters lag in einer respektablen und ruhigen Mittelschichtsvorstadt. Jedes Reihenhaus hatte einen kleinen, quadratischen Vorgarten, wo im Sommer Rosen und Lavendel blühten, der um diese Jahreszeit aber traurig und leer wirkte. Großvaters Vorgarten machte immer noch einen fröhlichen Eindruck, da mitten in seinem Blumenbeet drei bunt bemalte Gartenzwerge standen. Ich holte tief Luft, bevor ich zur Eingangstür ging. Es kam mir vor, als sei viel Zeit vergangen, bis ich schließlich eine Stimme hörte, die sagte: „Ich komme, ich komme.“

Die Tür wurde geöffnet und dort stand Großvater. Zu meiner Überraschung trug er Morgenmantel und Hausschuhe. Erst schaute er mich misstrauisch an, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem faltigen alten Gesicht aus.

„Tja, das gibt’s doch nich’“, sagte er. „Dich hätte ich als Letztes erwartet, meine Liebe. Ich dachte, es wäre die Nachbarin, die mir den versprochenen Eintopf bringt. Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich mich ein bisschen vorzeigbarer angezogen.“

„Dir geht es nicht gut?“, fragte ich und küsste ihn auf die stoppelige Wange, als er mich umarmte.

„Nichts Ernstes. Nur die alte Bronchitis, die sich wieder meldet. Bei diesem Wetter bekomme ich sie immer ziemlich stark, aber jetzt bin ich wieder auf dem Wege der Besserung. Ich gönne mir Ruhe, wie es der Doktor verordnet hat, und erlaube der Nachbarin, sich um mich zu kümmern. Sie ist eine gute Seele, das kann man nich’ anders sagen, und sie bringt mir alle möglichen Gerichte vorbei, um mich wieder zum Essen zu verleiten. Aber komm rein. Steh nich’ einfach da, ich setze den Kessel auf. Sie hat auch kürzlich einen leckeren Dundeekuchen gebacken.“

Ich folgte ihm in die Küche und setzte mich auf einen Holzstuhl, während er den Teekessel füllte.

„Großvater, ich wünschte, du hättest mir gesagt, dass du krank warst“, sagte ich. „Ich hätte herkommen und mich um dich kümmern können.“

„Sehr lieb von dir, Küken, aber wie gesagt war es nichts Ernstes. Nur ein kleiner Husten. Diese Lunge hat schon zu lange im Old Smoke gelebt. Funktioniert nich’ mehr richtig.“

„Ich wünschte, ich hätte ein Haus auf dem Land, dann würde ich dich bei mir aufnehmen“, sagte ich. „Die frische Landluft tut dir so gut.“

„Mach dir um mich keine Sorgen, meine Liebe.“ Er tätschelte meine Hand. „Ich hatte ein langes, erfülltes Leben. Kann mich nich’ beschweren.“

Ich nahm seine Hand. Er hatte immer einen so starken und munteren Eindruck gemacht. Der Ex-Polizist, der zeit seines Lebens alle Schwierigkeiten gemeistert hatte. Zu sehen, dass er kurz davor war aufzugeben, beunruhigte mich. „Sag so etwas nicht, Großvater. Du musst noch lange durchhalten. Du musst zu meiner Hochzeit kommen und mein erstes Kind im Arm halten.“

„Und wird eines dieser beiden Dinge schon bald eintreten?“, fragte er mit einem schelmischen Grinsen. „Macht dir dieser Darcy immer noch den Hof?“