Ein Sattel aus Silber - Wolfgang Dietmar - E-Book

Ein Sattel aus Silber E-Book

Wolfgang Dietmar

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Beschreibung

Als die Pensionärin Bep Lijftoght im belgischen Oud-Turnhout mit ihrem Labrador einen Spaziergang unternimmt, spürt dieser im Wald eine weibliche Leiche auf. Die Ermittlungen der belgischen Polizei bleiben zunächst ergebnislos, bis auf einem Autobahnrastplatz in Holland vor einem Grenzübergang ein ausgesetzter Säugling gefunden wird. Dadurch ergeben sich Beziehungen zum Leichenfund in Belgien und nach Deutschland. Die hier einsetzenden Ermittlungen fördern in diesem Zusammenhang schließlich eine Liebesgeschichte zwischen einer 15-Jährigen und einem wesentlich älteren Werkstattmeister in Oberhausen zutage. Der kinderlos verheiratete Roland versteht es, mit Lügen und Täuschungen über längere Zeit seine unerfahrene Geliebte in seinen Bann zu ziehen. Der erste Bruch erfolgt, als die 15-Jährige Elke eine Abtreibung rigoros ablehnt und dafür Sanktionen ihrer Eltern in Kauf nimmt. Nach der Geburt eines Kindes flammt die Liebesbeziehung kurz auf. Mit einer vorgetäuschten Schwangerschaft und einem Ultimatum setzt Elke ihren Geliebten unter Druck. Derart in die Enge getrieben, kennt Roland nur noch ein Ziel: Die Beseitigung des Problems und den Erhalt seiner Ehe. Er ist Sportschütze. Er hat eine Waffe. Er hat einen Plan.

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Seitenzahl: 307

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Eine Kriminalnovelle

nach einer wahren Begebenheit

von Wolfgang Dietmar

Kriminalhauptkommissar a.D.

Inhaltsverzeichnis

Die Spürnase

Der Tatbefundbericht (auszugsweise)

Das Rätsel

Das Findelkind

Die Spur

Die Schlinge

Das Procedere

Das Entsetzen

Der Ausverkauf

Der Anfang - ein Rückblick

Die Whisky-Bude und erstes Kennenlernen

Rolands Ehe, der Reitstall und der Ausflug nach Holland

Der erste Ausritt

Die Affäre beginnt

Der Anruf

Der zweite Ausritt

Die Gelegenheit

Der Alltag

Das Liebes-Wochenende

Die Motorradfahrt

Der nächste Ausritt

Das Liebesnest

Der Sattel aus Silber

Die Erkrankung

Der nächste Ausritt

Die Ruhr

Die Urlaubsplanung

Und immer wieder die Whisky-Bude!

Die Pferdepflegerin

Der Flug

Das Hotel

Der Ausflug

Die Argentinier

Der Tauchshop

Der Strand

Der Schock

Die Lüge

Der Rückflug

Der Streit

Die Prophezeiung

Der Zeitvertreib

Die Ablenkung

Die Versöhnung

Der letzte Ritt

Die Ungewissheit

Der Jahreswechsel

Die Sauna

Das Ultimatum

Die Vorbereitung

Der Plan

Die letzte Fahrt

Das Ende

Das Gericht

Das Urteil

Die Meinung

Anlagen

Die Spürnase

Am Sonntagmorgen kleidete sich Bep Lijftoght für einen längeren Spaziergang an. Das blieb ihrem Hund Bruno, einem cremefarbenen, kurzhaarigen Labrador mit hellbraunen Ohren nicht verborgen. Schließlich lebten sie schon lange zusammen und seitdem Bep nicht mehr bei der Post arbeitete und pensioniert wurde, verbrachten sie eigentlich keine Sekunde ohne den Anderen. Bep war 70 Jahre alt, rank und schlank, seit 15 Jahren Witwe und kinderlos. So ist der Hund ihr Ersatz für alles andere und ihr liebster Kamerad. Als sie sich fertig angekleidet hatte, nahm sie Bruno an die Leine, der es kaum erwarten konnte, das kleine Häuschen in der Straße Reebokweg zu verlassen. Die Sonne strahlte vom Himmel, wie es sich für Anfang Juli gehörte, fand Bep, die dazu neigte, mit sich selbst oder mit Bruno zu sprechen. Bruno wendete dann den Kopf mal nach links, mal nach rechts und Bep meinte, er überlege bestimmt, was sie sage. Gemütlichen Schrittes schlenderten sie die Straße hoch und bogen dann nach rechts auf die Straße Goordijk ein. Zu Anfang zog Bruno noch an der Leine und wurde dann merklich langsamer, als Bep ihn am Wegesrand überall, wo er wollte, schnüffeln ließ. Die Straßen in diesem Waldstück waren nicht asphaltiert, aber doch so befestigt, dass auch Autos bequem hier fahren konnten. Noch wurde diese Gegend nicht erschlossen, aber Bep fürchtete, dass das nur eine Frage der Zeit sein konnte. Wurde in Belgien nicht alles zugebaut, ohne Rücksicht auf die Natur? Am Ende vom Goordijk zweigten zwei Straßen nach rechts und halbrechts ab und Bep stand unschlüssig am Wegesrand. Bruno zog, die Nase tief am Boden, in Richtung Staatsbaan und Bep folgte ihm. Es war egal, wo sie spazieren gingen. Das Wetter war prima und Zeit hatten sie ohnehin. Es wartete ja niemand auf sie. Gegen halb zwölf bogen sie in die Dennenlaan ein. Bep kannte sich hier blind aus. Sie war in der Gegend groß geworden und machte als Kind oft den Wald unsicher. Ihr Vater, Willem Jacobus de Groen1, arbeitete hier als Forstarbeiter und hatte für sich und seine Familie das kleine, noch immer einsam stehende, Haus als Dienstwohnung von der Gemeinde zugewiesen bekommen. Bep begleitete ihn oft auf seinen Dienstgängen und lernte dadurch auch den Forstbetrieb kennen. Nach dem Tod der Eltern kaufte sie das Haus von der Gemeinde auf Erbpacht. Es veränderte sich wenig über die Jahrzehnte. Allerdings waren mehr Waldwege zur Erleichterung der Forstwirtschaft angelegt worden.

Als sie in Höhe des ehemaligen Vliegvelds angekommen waren, schaute sich Bep nochmal gründlich um. Weit und breit war niemand zu sehen und Forstarbeiter waren heute am Sonntag nicht zu erwarten. Gewöhnlich ließ sie Bruno in dieser Gegend immer von der Leine, obwohl der Revierförster sie mehrfach gewarnt und ihr angedroht hatte, auf Bruno zu schießen, falls der hinter einem Reh oder anderem Wild herjagte. Da könne sie machen, was sie wolle. Er wäre im Recht, das möge sie bedenken. Natürlich ließ sie den Hund nicht auf einem der breiten Waldwege frei, sondern abseits des Weges.

Schon bald kam sie an den Waldweg, der nach links abging und mit einem Schlagbaum versperrt war. Schnell bog sie ein, umging den Schlagbaum auf einer Seite und ließ Bruno von der Leine, sorgsam darauf achtend, dass er keine immer größer werdenden Kreise zog. Bruno dachte aber gar nicht daran, seine neue Freiheit auszunutzen, sondern packte den erstbesten Stock und animierte Bep, den Stock zu werfen. Sie tat ihm den Gefallen, denn damit hatte sie Bruno unter Kontrolle und er wurde gleichzeitig etwas abgehetzt. Die ersten Würfe ließen den Stock, der mehr ein kurzer Knüppel war, nach wenigen Metern auf dem Weg landen. Der Hund machte nur ein paar kurze Sätze und kam mit dem Knüppel zurück.

Bep warf das Holz erneut, aber diesmal landete es nicht auf dem Weg, sondern links in einem Busch. Bruno machte einen Satz in das Gebüsch und war nicht mehr zu sehen. Bep stand noch wartend da, als plötzlich ein Gebell zu hören war, das sie von Bruno nicht kannte. Sie rief ihn mehrfach, aber das Gebell hörte nicht auf und Bruno kam auch nicht zurück zu ihr. Da musste etwas sein, was für Bruno fremd war und Bep begab sich vorsichtig in die Richtung, die ihr das Gebell wies. Angst hatte sie nicht, denn Bruno war alles andere als klein und so mancher Passant blieb, wenn er Bruno sah, in achtungsvoller Entfernung.

Unvermutet stand sie vor Bruno, der auf den Hinterpfoten saß und etwas anbellte, was vor ihm lag. Bep trat näher und schreckte zurück, als sie erkannte, was da lag. Nur mit Mühe konnte sie einen Aufschrei unterdrücken. Es war ganz offensichtlich ein Mensch, der mit dem Rücken nach oben auf dem Waldboden lag. Die langen schwarzen Haare fielen auf der rechten Seite herunter. Die Bekleidung, eine hellblaue Bluse und eine hellblaue Hose, war die einer Frau. Die langen schwarzen Haare ließen den Nacken frei und Bep sah dort einen kleinen braunschwarzen Fleck, aus dem etwas Blut gesickert und eingetrocknet war. Unterhalb des Fleckens umringten zwei Silberkettchen den Nacken. Bep nahm sich zusammen und berührte den Körper an einer Hand. Da war keine Wärme mehr zu fühlen. Sie war sich sicher, dass die Frau tot war und offensichtlich Opfer eines Verbrechens.

Sie leinte Bruno an und eilte mit schnellen Schritten nach Hause, um die Gendarmerie von Oud-Turnhout zu verständigen. Nur wenig später erschienen zwei Gendarmen und fuhren mit Bep zum Fundort, denn sie war eine wichtige Zeugin und kannte sich hier auch bestens aus. Nach der ersten Inaugenscheinnahme wurde die Wache in Oud-Turnhout über den Fundort informiert, die ihrerseits die Reichspolizei in Turnhout verständigte. Bis zum Erscheinen der Spezialisten wurde der Fundort durch die zuvor entsandten Gendarmen gesichert und Bep ausführlich befragt. Danach konnte sie, da sie zu einem möglichen Tathergang nichts sagen konnte, nach ihrer Personalienfeststellung nach Hause entlassen werden. Sie sollte dort auf das Eintreffen der Beamten aus Turnhout warten und sie ebenfalls zum Fundort führen.

1 Namen geändert

Der Tatbefundbericht (auszugsweise)

Ich, Leonardus Wilhelmus Soetendijk2, Opperwachtmeester der Rijkspolitie, (weitere persönliche Daten) wurde heute, am Sonntag, dem 5.7.1981, gegen 12:00 Uhr, von der Einsatzleitstelle Turnhout darüber informiert, dass in Oud-Turnhout an der Dennenlaan, die Leiche einer unbekannten weiblichen Person von einer Spaziergängerin aufgefunden worden sei.

Die Spaziergängerin Bep Lijftoght3kann in ihrem Haus in Oud-Turnhout, Reebokweg, angetroffen werden zwecks weiterer Kontaktaufnahme.

Mit Wachtmeester Henry van Hijndijk4 begab ich mich mittels Dienstkraftwagen zur angegebenen Adresse, wo wir um 12:30 Uhr eintrafen.

Mevrouw Bep Lijftoght gab an, bei einem Spaziergang habe ihr Hund an der bezeichneten Stelle einen leblosen menschlichen Körper gefunden. Sie habe am Fundort nichts verändert, sondern nur gefühlt, ob noch eine Körperwärme feststellbar war. Da dies nicht der Fall war, ging sie davon aus, dass es sich hier um eine Leiche handele und habe dann von ihrer Wohnung aus, die Polizei verständigt. Die Aussage wird noch schriftlich protokolliert werden. Noch während der Befragung begaben wir uns mit der Zeugin zum Fundort, den sie uns anwies. Dazu fuhren wir über den Reebokweg in östlicher Richtung bis Goordijk, um hier rechts einzubiegen. Nach ca. 500 Meter rechts in Lintbekelaan bis zur Kreuzung Dennenlaan, wo wir nach rechts gewiesen wurden. Nach 600 Meter macht die Straße Dennenlaan eine fast rechtwinklige Biegung nach rechts. Im Knick geht nach rechts ein ebenfalls unbefestigter Waldweg ab, der nach 50 Meter durch einen Schlagbaum verschlossen ist.

Um 12:45 Uhr trafen wir am Fundort ein.

Hier wurden die Gendarmen (weitere Personalien siehe deren Bericht) von der Wache Oud-Turnhout angetroffen. Sie bestätigten die bisherigen Kenntnisse sowie die Nichtveränderung des Fundortes seit ihrem Eintreffen.

(Siehe hierzu ebenfalls den Bericht).

Der Zugang zum Fundort erfolgt über einen unbefestigten Waldweg nach dem verschlossenen Schlagbaum und ist somit für Fahrzeuge unzugänglich. Auf dem Waldweg sind keine Fahrzeug- oder Fußspuren sichtbar.

Vom Zugang zum Fundort sowie der Auffindesituation werden durch Wachtmeester Henry van Hijndijk Lichtbilder gemacht, die nach Fertigstellung durch das Labor der Dienststelle zu einer Lichtbildmappe zusammengestellt werden.

Nachdem Mevrouw Lijftoght den genauen Fundort gezeigt hat, bestätigt sie, dass die Lage der Leiche nichtverändert worden war. Mevrouw Lijftoght wird nunmehr nach Hause entlassen.

Etwa 35 Meter nach dem Schlagbaum befindet sich auf der linken Seite des Waldweges ein Gebüsch, ca. 2 Meter hoch und offensichtlich aus einer Buchenart bestehend. Hinter diesem Gebüsch liegt in Bauchlage eine offensichtlich weibliche Leiche. Das Gesicht liegt auf der linken Wange auf, die Augen sind geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Die langen schwarzen Haare fallen nach rechts und geben einen Teil des Nackens frei.

Etwa 4 cm oberhalb zweier silberfarbener Kettchen ist eine schwarzbraune, kreisrunde Färbung sichtbar, Durchmesser ca. 10 mm. Von hier aus ist eine Abrinnspur, ca. 50 mm lang, Richtung Boden, vorhanden. Es handelt sich möglicherweise um Blut, bereits eingetrocknet und von dunkelroter Färbung. Eine Verletzung, die als Ausschuss gedeutet werden könnte, ist nicht vorhanden. Der linke Arm ist ausgestreckt und weist nach links, während der rechte Arm leicht angewinkelt ist. Die Beine sind gerade ausgestreckt. Die Bekleidung ist geordnet.

Um die Leiche herum sind weder auf dem Boden noch am Gehölz Veränderungen festzustellen, die darauf hindeuten, dass sie zum Fundort gebracht worden sein könnte. Eine weitere Absuche des Ortes erbringt keine Hinweise, die zweckdienlich sein könnten. Insbesondere werden keine Gegenstände gefunden, die im Zusammenhang mit der Tat stehen könnten.

Die Leiche wird von mir und Wachtmeester Henry van Hijndijk nach diesen Feststellungen in Rückenlage gebracht.

Nunmehr kann festgestellt werden, dass es sich um die Leiche einer etwa fünfzehn- bis zwanzigjährigen Frau handelt, geschätzte Größe 155 bis 165 cm. Eine Leichenstarre ist lediglich in den Schultergelenken feststellbar. Blassrote Totenflecke sind der Bauchlage entsprechend ausgeprägt und nicht wegdrückbar. Langes, schwarzes Haar mit Linksscheitel, rundes Gesicht, braune Augen, dichte und ebenfalls schwarze Augenbrauen, gepflegte Hände mit spitzgeschnittenen und nicht lackierten Fingernägeln.

Als besonderes Merkmal kann eine rotbräunliche Verfärbung in ovaler Form, etwa 5 cm in der Länge, als ein so genanntes Muttermal auf dem linken Knöchel festgestellt werden.

Auch von dieser Situation werden Lichtbilder angefertigt.

Bekleidung:

Hellblaue Bluse aus Baumwolle, vorne mit 4 weißen Knöpfen geschlossen, Ärmel reichen bis über die Armbeuge. Hellblaue Baumwollhose mit 2 Taschen vorne und 2 Taschen hinten, ohne Inhalt. Beide Bekleidungsstücke tragen das Etikett „Teen Club, 100% Baumwolle Cotton“. Die Nylonstrümpfe enden unter den Knien. Die Schuhe sind dunkelblau, Größe 37 und werden mit einer Spange um die Knöchel geschlossen. Fabrikat ist „Luisa – Made in Italy“-Obermaterial Leder.

Mitgeführte Gegenstände:

Um den Hals ein silberfarbenes Kettchen von etwa 70 cm Länge mit der Reproduktion eines Reitsattels, daneben ein zweites gleichartiges Kettchen, aber nur etwa 35 cm lang, mit der Reproduktion eines Motorrades. Möglicherweise Nachbildung eines BMW-Motorrades. Am linken Handgelenk eine Damen-Armbanduhr Marke Piratron Quartz mit einem Armband aus Weißmetall. Am rechten Ringfinger ein kleiner, silberfarbener Ring und ein ähnlicher Ring am linken Mittelfinger. An den Ringen sind keine Besonderheiten feststellbar.

Aufgrund des sommerlichen und trockenen Wetters der letzten Tage sowie fehlendem Insektenbefall kann davon ausgegangen werden, dass die Liegezeit der Leiche nicht länger als 1/2 bis 1 Tag ist. Der hohe Baumbestand verhindert einen Sonneneinfall bis auf den Boden. Dadurch ist es hier deutlich kühler als auf einer freien Fläche. Mithin kann als vorläufige Annahme die Tatzeit auf den gestrigen Samstag gelegt werden.

Nach den bisherigen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die unbekannte weibliche Person durch einen Genickschuss an Ort und Stelle getötet worden ist. Hinweise auf ein Sexualdelikt sind bisher nicht erkennbar.

Genaueres muss durch eine Obduktion festgestellt werden.

Die Einsatzleitstelle wird über Funk über den bisherigen Sachstand informiert und veranlasst die Benachrichtigung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Der Abtransport der Leiche zur Gerichtsmedizin in Turnhout wird ebenfalls durch die Leitstelle veranlasst. Der Tatort wird bis zum Abtransport weiter durch die Gendarmerie gesichert.

Noch während der Rückfahrt zum Dienstort teilt die Einsatzleitstelle mit, dass ein Abgleich der bekannten Daten mit den Vermisstenmeldungen keinen Hinweis auf eine bestimmte Person ergeben hat.

Zurzeit wird in Belgien keine weibliche Person vermisst, auf die die Beschreibung der Leiche zutrifft.

Weitere Maßnahmen:

Bildung einer Ermittlungskommission.

Gründliche Absuche des näheren und weiteren Tatortes durch die Gendarmerie frühestmöglich am Montag, den 6.7.1981.

Obduktion der Leiche so schnell wie möglich durch die Gerichtsmedizin nach Anordnung der Staatsanwaltschaft.

Feststellung der Fingerabdrücke und Abgleich in den Landesdateien.

Fernschreiben über die bisherigen Erkenntnisse sowie Anfrage auf zutreffende vermisste Personen innerhalb der BENELUX-Länder.

Mitteilung an Presse und sonstige Medien.

2 Name geändert

3 Name geändert

4 Name geändert

Das Rätsel

Am 5. Juli begann der Reitunterricht wie gewöhnlich um 9 Uhr. Nach einer Pause wurden die Hindernisse von den Reitern aufgebaut, die am Springunterricht teilnahmen. Es war nur ein leichter Parcours, für die Reiter ohne besondere Erfahrungen, aufgebaut. Neben den Schulpferden nahmen daran einige Reiter mit ihren eigenen Pferden oder Pflegepferden teil; Birgit ritt auf Wladimir. Er war ein Hannoveraner Fuchswallach und gehörte Birgit und Wolf, die ihn abwechselnd ritten.

Heute nahm Birgit am Springunterricht teil, denn sie ritt noch nicht lange und der Parcours war heute genau richtig für sie.

Wolf und Birgit waren noch nicht sehr lange mit ihrem Pferd in diesem Reitstall. Er arbeitete als Kriminalist im Polizeipräsidium Oberhausen, während Birgit Juristin war. Sie hatten sich dienstlich kennengelernt und ihre Liebe zum Reitsport entdeckt. Wolf war in gewissem Sinn vorbelastet, denn er hatte schon früher ein eigenes Pferd namens Flicka gehabt. Sie war nichts Besonderes und mit Wladimir verglichen eher als lahm zu bezeichnen, aber für die ersten Reiterfahrungen genau richtig. Genauso hatte es ja auch Horst Stern in seinem Buch über das Reiten gefordert: Junger Reiter – altes Pferd, alter Reiter – junges Pferd und damit auf die Erfahrung und den jeweiligen Ausbildungsstand hingewiesen.

Um 11 Uhr war der Unterricht zu Ende und noch während die Reiter ihre Pferde am langen Zügel durch die Reithalle laufen ließen, wie sie wollten, was die Reiter Trockenreiten nennen, begann schon der Abbau der Hindernisse, an dem sich auch Wolf beteiligte. Nach dem Absatteln brachte er Wladimir auf die Weide hinter dem Reitstall und begab sich nach oben in das Reiterstübchen, wo Birgit schon auf ihn wartete. Wie meistens sonntags war es gut besucht und Frau Peters5, die Frau des Reitlehrers, hatte alle Hände voll zu tun.

Nach einer Weile machte Birgit Wolf auf Roland Ritter6aufmerksam, der mit anderen an der Bar saß. Erst jetzt fiel Wolf auf, dass Roland auffallend gut gelaunt war, ja sogar fröhlich, das große Wort führte und lautstark von seinen manchmal gefahrvollen Tauchgängen zu Zeiten der Marine berichtete und eine Runde nach der anderen ausgab. Das war wirklich seltsam und passte gar nicht zu dem sonst eher ruhigen und besonnenen Mann. Viel Zeit sollte nicht vergehen, um dieses Verhalten verstehen zu können.

5 Namen geändert

6 Name geändert

Das Findelkind

Es war Montagmorgen, kurz vor 8 Uhr und der Saal 301 im Polizeipräsidium Duisburg füllte sich. Alle abkömmlichen Kriminalbeamten versammelten sich hier, um sich über die Ereignisse informieren zu lassen, die seit Freitagmittag außerhalb der normalen Bürozeit angefallen waren. Außerdem wurden weitere Informationen und Nachrichten von allgemeinem Belang bekannt gegeben.

Die Vorkommnisse der Kriminalwache wurden vom Kommissar vom Dienst vorgetragen.

Eines der hervorragenden Ereignisse war das Auffinden eines Säuglings, der in einer Tragetasche an einer Autobahnraststätte in Berghe-Zuid, nahe der niederländisch-deutschen Grenze, aufgefunden worden war. Die Tasche stand in einem Gebüsch und wurde entdeckt, weil eine Autofahrerin auf ein Wimmern aufmerksam geworden war und dem nachging. Der Zeitpunkt des Auffindens war gegen 22 Uhr, aber das Besondere daran war, dass der Säugling in eine Windel des Bertha-Krankenhauses in Duisburg-Rheinhausen gewickelt war. Geschätztes Alter des Säuglings 7 Monate, weibliches Geschlecht, ein auffälliges ovales Muttermal am linken Knöchel. Die weitere Beschreibung der Bekleidung sowie der Tragetasche ergab nichts Auffälliges. Die Säuglingsstation des Krankenhauses sei von der Kriminalwache aufgesucht worden. Hier sei es tatsächlich aufgrund der persönlichen Erinnerung der Stationsschwester gelungen, das Kind zu identifizieren. Als Mutter sei eine Elke Beier, wohnhaft in Moers, registriert worden. Sie habe während des Aufenthaltes auf der Entbindungsstation immer nur von ihrer Tante Besuch erhalten. Elke Meier habe immer von ihrem Freund gesprochen, mit dem sie einige Hobbys teilen würde. Dabei habe sie immer auf zwei Silberkettchen an ihrem Hals verwiesen, an denen ein Miniatursattel und ein ebensolches Motorrad aus Silber gehangen hätten. Davon habe sie sich nie trennen wollen, auch nicht während der Entbindung. Ein Name des Freundes sei nicht genannt worden; es sei auch nie ein männlicher Besuch erschienen.

Die weiteren Ermittlungen in Moers bei der Tante hätten die Angaben des Krankenhauses bestätigt. Allerdings habe Elke Meier bei ihrer Tante nur vorübergehend gewohnt. Die eigentliche Adresse der Eltern und damit auch die von Elke Meier sei in Dinslaken.

Hier handele es sich um ein einzelstehendes Haus im Gewerbegebiet. Es sei mehrfach aufgesucht, aber niemand angetroffen worden. Nachbarn, die nach dem Aufenthaltsort hätten befragt werden können, waren nicht vorhanden.

Weitere Ermittlungen wären durch das 1. Kriminalkommissariat vorzunehmen.

Die Spur

Der Sachbearbeiter für Vermisste, Alfred Nieswaldd7 begab sich nach der Dienstversammlung zur angegebenen Adresse in Dinslaken. Hier traf er die Mutter von Elke an. Auf die Frage, wo sich die Tochter mit dem Kind aufhalte, erbleichte Frau Beier und antwortete Elke sei bei einer Freundin in Bottrop, hätte aber eigentlich schon wieder zu Hause sein müssen. Bei dieser Freundin habe sie öfter übernachtet, von der sie aber nur eine Telefonnummer habe. Da sie selbst erst im Laufe der Nacht von einem Wochenendtrip nach Hause gekommen sei, habe sie dort noch nicht nachgefragt. Nieswaldd ließ sich das Zimmer von Elke zeigen, fand hier aber nichts Außergewöhnliches. Zur Bekleidung konnte ihre Mutter nur vermuten, dass sie wahrscheinlich eine blaue Bluse und eine blaue Hose anhabe. Die Beschreibung der Tragetasche übergab eine Übereinstimmung mit den Angaben der holländischen Kollegen. Die besorgte Mutter konnte bestätigen, dass Elke immer zwei Silberkettchen mit einem kleinen Reitsattel und einem kleinen Motorrad um den Hals trug. Das waren Zeichen ihrer Hobbys.

Nieswaldd wollte sich den Namen des Freundes, der ja vermutlich auch der Vater des Kindes war, geben lassen. Frau Beier musste einräumen, dass weder sie noch ihr Mann, der bereits in seinem Büro war, den Namen kennen würden. Aber einmal habe sie einen Teil eines Telefonates ihrer Tochter mit dem Freund belauscht und da sei der Name Roland und die Opel-Werkstatt in Oberhausen gefallen. Ihr Mann habe danach diese Werkstatt aufgesucht und unter einem Vorwand nach diesem Roland gefragt, aber nichts herausbekommen. Er habe allerdings den Eindruck gehabt, dass man ihm etwas verschweigt. Auf die Frage nach einem besonderen Merkmal des Enkelkindes gab die Mutter an, es habe einen ovalen Geburtsfleck auf dem linken Knöchel, den sowohl ihre Tochter als auch sie selbst habe. Dann stellte sie auf Nachfrage ein Bild ihrer Tochter zur Verfügung und holte die Telefonnummer der Bottroper Freundin Simone. Nieswaldd rief im Beisein von Elkes Mutter dort an. Die Freundin war aber nicht zu Hause, sondern, wie ihre Mutter sagte, in der Schule. Elke war ihr bekannt, sie war auch in der letzten Woche zu Besuch, aber an diesem Wochenende war sie auf keinen Fall bei ihnen. Vielmehr habe Elke Andeutungen gemacht, sie wolle mit ihrem Freund und dem Kind ein Wochenende in Holland verbringen. Den Namen des Freundes wisse aber weder sie noch ihre Tochter. Nieswaldd gab der Frau seine Telefonnummer und bat um einen Rückruf der Tochter, sobald sie aus der Schule nach Hause käme, auch wenn sie glaube, nichts zu wissen. Es könne alles wichtig sein.

Nieswaldd eröffnete nun Frau Beier, das Kind sei in einer Tragetasche auf einem Autobahnrastplatz in Holland gefunden worden. Zum Aufenthalt ihrer Tochter gäbe es im Moment keinen Hinweis, ob sie sich vorstellen könne, dass sich ihre Tochter freiwillig von dem Kind trennen würde. Das verneinte Frau Beier vehement und erklärte, dass ihre Tochter sich gegen jeglichen familiären Widerstand für das Kind entschieden habe und den Verlust des Schulplatzes und des eigenen Pferdes in Kauf genommen habe. Frau Beier erklärte sich bereit, sofort beim Erscheinen ihrer Tochter die Dienststelle davon in Kenntnis zu setzen.

7 Namen geändert

Die Schlinge

Nieswaldd als erfahrener Kriminalist fühlte, dass es hier nicht einfach um das Aussetzen einer hilflosen Person ging, wie der betreffende Strafparagraf lautete. Da musste mehr im Spiel sein.

So beschloss er, auf weitere Ermittlungen in der Opel-Werkstatt zu verzichten, da er alleine war und stattdessen zum Präsidium zu fahren. Dort würde im Kollegenkreis das Erforderliche besprochen und veranlasst werden.

Es war gerade Mittagszeit und die meisten Sachbearbeiter des 1. Kriminalkommissariats waren in ihren Büros. Der Leiter, Manfred Kischke8, kam mit einer Mappe mit Eingängen, die er vom KI geholt hatte. Nieswaldd berichtete ihm kurz und meinte, dass hier mehr dran sei als nur eine Vermisstensache. Es sehe so aus, als ob das Kind zwar aufgefunden worden wäre, aber es gebe keinerlei Hinweise auf den Aufenthaltsort der Kindesmutter. Er halte es nach den Schilderungen der Mutter von Elke Meier für unwahrscheinlich, dass sich ihre Tochter freiwillig von ihrem Kind getrennt habe. Kischke rief alle Mitarbeiter in das Geschäftszimmer seiner Dienststelle, sah die Eingänge kurz durch und schaute ernst hoch:

Die holländischen Kollegen haben uns soeben ein Fernschreiben gesandt und verweisen auf den Fund einer weiblichen Leiche in Belgien. Für die belgischen Kollegen ergaben sich bisher keine Hinweise auf Deutschland, daher ging die Mitteilung nur an Holland und Luxemburg. Die niederländischen Kollegen erwähnen, dass der aufgefundene Säugling ein ähnliches Muttermal, wie die aufgefundene Leiche, habe und bitten um eine entsprechende Überprüfung.

Das Ursprungsfernschreiben aus Belgien lautet wie folgt:

Am Sonntag wurde im Waldgebiet längs der Dennenlaan in Oud-Turnhout die Leiche einer unbekannten Frau aufgefunden. Sie wurde offenbar durch einen Genickschuss getötet.

Beschreibung:

16-17 Jahre alt, etwa 159 cm groß, langes, schwarzes Haar mit Linksscheitel, rundes Gesicht, braune Augen, sehr dichte, schwarze Augenbrauen, gepflegte Hände mit spitzgeschnittenen Fingernägeln, jedoch nicht lackiert. Fingerabdrücke sind vorhanden.

Bekleidung:

Hellblaue Bluse aus Baumwolle, die vorne mit 4 kleinen, weißen Knöpfen geschlossen wird, mit weiten, über die Armbeuge fallenden Ärmeln, hellblaue Baumwollhose mit 2 Taschen hinten. Beide Kleidungsstücke tragen das Etikett „Teen Club, 100% Baumwolle Cotton“. Nylonsportstrümpfe bis unter die Knie, offene, dunkelblaue Schuhe, Größe 37, die mit einer Spange um die Knöchel geschlossen werden, „Marke Luisa – Made in Italy“ – Obermaterial Leder.

Besondere Merkmale:

Geburtsmal von etwa 5 cm Länge in ovaler Form auf dem linken Knöchel.

Mitgeführte Gegenstände:

Um den Hals ein silbernes Kettchen von etwa 70 cm Länge, an dem die Reproduktion eines Reitsattels hängt und ein zweites, ebenfalls versilbertes Kettchen von etwa 35 cm Länge mit der Reproduktion eines Motorrades. Am linken Handgelenk eine Damenarmbanduhr Marke Piratron Quartz, Nr. P. 6623, mit einem Armband aus Weißmetall. Am rechten Ringfinger ein kleiner, silberfarbener Ring und ein ähnlicher Ring am linken Mittelfinger.

Fingerabdrücke sind vorhanden.

Kischke schaute hoch, nachdem er alles verlesen und Alfred Nieswaldd den Sachstand seiner bisherigen ersten Ermittlungen vorgetragen hatte, zweifelte keiner der Kollegen daran, dass die Tote in Belgien die Mutter des aufgefundenen Säuglings war. Es galt nun zu klären, wer der Freund beziehungsweise der Vater des Kindes war, ob er ein Alibi für die mögliche Tatzeit vorweisen konnte oder wer sonst ein Motiv für die Tat hatte. Das Aussetzen des Kindes sprach nicht gerade für eine Zufallstat, außerdem, wie sollte die junge Frau ohne Kind nach Belgien geraten sein? Sie besaß kein Auto, war nicht übers Wochenende in Bottrop, sondern hatte es offensichtlich woanders verbracht. Der Täter hatte möglicherweise Skrupel, den Säugling ebenfalls umzubringen. Auch dies wies nicht auf eine Zufallstat hin, sondern war möglicherweise eine Beziehungstat.

Kischke informierte in aller Kürze die holländischen Kollegen und bat darum, ihrerseits dafür zu sorgen, dass die belgischen Kollegen schnellstens ein Fernschreiben mit allen Ermittlungsergebnissen über Bundes- und Landeskriminalamt an seine Dienststelle richten.

Dann informierte Kischke den Kapitaldezernenten, Staatsanwalt Gerd Oppertal9 über den bisherigen Sachstand. Eine Notwendigkeit, sich direkt einzuschalten sah Oppertal nicht, es gab keinen Tatort in Deutschland und bisher noch keine namhaften Tatverdächtigen. Er wollte lediglich über jede neue Ermittlung auf dem Laufenden gehalten werden.

Nieswaldd hatte die Anschrift der Opel-Werkstatt festgestellt und war mit drei Kollegen auf dem Weg dorthin. Sie begaben sich ohne Umschweife in das Büro des Werkstattleiters, stellten sich vor und fragten nach einem Angestellten mit Vornamen Roland. Der Werkstattleiter erwiderte, dass das nur der Werkstattmeister Roland Ritter sein kann, der in seinem Büro zwei Räume weiterarbeitet. Nieswaldd und die anderen Kriminalbeamten fanden ihn auch in dem angegebenen Büro. Nieswaldd stellte sich vor und fragte, ob er eine Elke und ein Kind namens Opela kennen würde. Roland wurde zwar kreidebleich, gab aber an, diese Namen nicht zu kennen. Er wisse nicht, was man von ihm wolle. Er sei sich keiner Schuld bewusst.

Nach den bisherigen Ermittlungen ging Nieswaldd nunmehr von einem dringenden Tatverdacht der Tötung und Kindesaussetzung gegen Roland Ritter aus.

Nieswaldd ordnete in seiner Eigenschaft als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft, wie es für diesen Fall in der Strafprozessordnung vorgesehen ist, wegen Gefahr im Verzuge die Durchsuchung von Pkw und den Räumlichkeiten an, zu denen Roland Ritter Zutritt hatte. Die Waffe, ein Revolver Smith & Wesson, Kaliber .357, wurde unter dem Fahrersitz gefunden. Von den 6 Patronen in der Trommel war eine abgeschossen worden. Die Hülse steckte noch in der Kammer. In der Ablagetasche der Beifahrertür fand sich ein handgeschriebener Zettel mit Ortsangaben in Belgien, wie Nieswaldd am Namen „Liége“ erkannte, der französischsprachigen Bezeichnung für Lüttich. Weitere Spuren waren in Rolands Büro und seinem Spind nicht zu finden, vermutlich war das Fahrzeug nicht der direkte Tatort. Eine genauere Untersuchung würde später durch den Erkennungsdienst erfolgen. Nach diesem Ergebnis gab es für Nieswaldd keinen Zweifel mehr und er erklärte Roland Ritter trotz dessen Unschuldsbeteuerungen als vorläufig festgenommen.

Roland Ritter wurde anschließend zum Polizeipräsidium verbracht und in das Polizeigewahrsam eingeliefert. Seiner Bitte, die Handschellen so anzulegen, dass es seine Kollegen in der Werkstatt nicht sahen, wurde entsprochen.

8 Namen geändert

9 Name geändert

Das Procedere

Während Staatsanwalt Gerd Oppertal, inzwischen über den neuen Sachstand informiert, auf dem Weg zum Präsidium war, wurde Roland Ritter einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Wegen möglicher Verwendung einer Schusswaffe wurden seine Hände mit destilliertem Wasser abgerieben, um eventuell vorhandene Pulverrückstände, die so genannten Schmauchspuren, nachweisen zu können. Da die Personalienüberprüfung ergab, dass Roland Ritter als Sportschütze Inhaber einer Waffenbesitzkarte war, wurde sofort ein Durchsuchungsteam zu seiner Wohnung entsandt. Der positive Nachweis von Schmauchspuren bei ihm war aus dieser Sicht nicht gerichtsverwertbar.

Nach der Aufnahme der Personalien nahm Staatsanwalt Oppertal die obligatorische Belehrung vor und gab als Tatvorwurf Roland Ritter zu verstehen, dass er beschuldigt werde, seine Geliebte Elke Beier in Belgien getötet und das gemeinsame Kind in hilfloser Lage in Holland ausgesetzt zu haben.

Roland verzichtete auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes und gab an, er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun und brauche deshalb auch keinen Anwalt. Oppertal eröffnete ihm, dass er aufgrund der Schwere der Taten einen Haftbefehl beantragen und er morgen dem Haftrichter in Duisburg vorgeführt werden würde. Aufgrund der Taten und der zu erwartenden Strafe sei eine Fluchtgefahr gesetzlich begründet. Roland nahm diese Ankündigung schweigend zur Kenntnis; dann wurde er in das Polizeigewahrsam eingeliefert. Auf seine Bitte informierte Staatsanwalt Oppertal dessen Frau von der Festnahme und gab nur den generellen Tatvorwurf an.

Das Entsetzen

Am Dienstagnachmittag waren Wolf und Birgit im Reitstall, um abwechselnd am Reitunterricht mit ihrem Pferd Wladimir teilzunehmen. Da Peters wusste, dass Wolf im Polizeipräsidium Oberhausen tätig war, kam er auf ihn zu und fragte ihn, ob er schon wisse, dass Roland verhaftet worden sei. Er solle seine Geliebte umgebracht haben. Wolf äußerte sein Entsetzen über eine solche Tat, wie auch die anderen Reitstallbesucher, als sie davon erfuhren. Egal, was jeder von Roland hielt, aber das traute ihm niemand zu. Peters erläuterte, dass die Geliebte wohl ein Kind von Roland hatte und oft stundenlang mit Kind und Kinderwagen vor dem Reitstall gesessen habe. Auf Wolfs Nachfrage, wie dieses junge Mädchen denn ausgesehen habe, beschrieb Peters sie und Wolf konnte sich an beide erinnern. Aber er und Birgit hatten sich dabei nichts gedacht. Besucher aller Art waren im Reitstall nichts Besonderes. Birgit sagte spontan, dass sie sich nun auch erklären könne, warum Roland am Sonntagmorgen so auffallend fröhlich oder ausgelassen war. Da hatte er sich wohl sicher und frei gefühlt. Trotzdem glaube sie nicht daran, dass er zu einer solchen Tat fähig sei.

Der Ausverkauf

Nur wenige Tage nach Roland Ritters Verhaftung war die Box seines Pferdes Pirat leer und seine Pflegerin Martina lief mit verweinten Augen umher. Ihre Karriere als Pferdepflegerin war nur von kurzer Dauer gewesen. Außer Sattel und Zaumzeug, was zusammen mit dem Pferd verkauft worden war, wurden alle übrigen Ausrüstungsgegenstände im Reitstall angeboten. Wolf erwarb eine rote, fast neuwertige Satteldecke, weil sie günstig angeboten wurde und er für Wladimir gerade eine benötigte. Genaues war über Roland, seine Geliebte und ihrem Kind nicht bekannt, aber plötzlich wussten einige, dass Elke oft mit dem Kind am Reitstall war und offensichtlich durch ihre bloße Anwesenheit Druck auf Roland ausgeübt habe und angeblich auch sonst nicht gerade zimperlich gewesen sei, um Roland für sich zu gewinnen. Einige wenige meinten, es sei auch möglich, dass Roland wirklich nichts mit der Tat zu tun habe. Es soll auch andere Männer in Elkes Leben gegeben haben. Nach wenigen Wochen gab es nichts Neues mehr über den Fall in den Zeitungen zu lesen und bald sprach kaum noch jemand über die Sache. Man war zur Tagesordnung übergegangen.

Wolf wusste, dass es bis zum Prozess noch länger dauern konnte, weil Verfahren dieser Art in festgelegten Sitzungsperioden nur von einer großen Strafkammer abgehandelt wurden. Abgesehen davon, wer nun der wirkliche Täter war, hatte sich die ganze Geschichte bis zu diesem bitteren Ende entwickelt. Eine Liebesgeschichte, ja – und viele gehen irgendwann in die Brüche, aber doch nur die wenigsten enden auf diese tragische Weise. War die Liebe wirklich der stärkste Motor, im Guten wie im Bösen? Was musste geschehen, um das Töten eines Menschen als letzten Ausweg zu begreifen?

Der Anfang - ein Rückblick

Roland beugte sich tief hinunter und lauschte aufmerksam auf die Geräusche des Boxermotors, den Blick nach vorne gerichtet und auf den Verlauf der Straße achtend.

Irgendwie waren ihm die Vergasereinstellungen wohl doch nicht so recht gelungen. Dabei war er so sorgsam vorgegangen und hatte viel Zeit auf die Synchronisation verwendet. An modernen Messgeräten war kein Mangel, als Werkstattmeister konnte er im Betrieb auch private Arbeiten erledigen.

An diesem Samstagmorgen war Roland mit seinem Motorrad, einer R 69S, unterwegs Richtung Whisky-Bude, um noch einige Einstellungen zu überprüfen. Er hatte das Motorrad, Baujahr 1961, günstig erworben. Es wurde nicht mehr hergestellt, war aber das Topmodell dieser Baureihe. Das „S“ stand für Sport, was sich auch durch spezielle Zylinderköpfe, Vergaser und Kolben auszeichnete. Damit waren 42 PS aus 600 Kubikzentimeter zu erzielen. Allerdings reagierte die Kurbelwelle gelegentlich auf länger anhaltende hohe Drehzahlen mit Brüchen. Genau das war der Fall bei Rolands Motorrad und das war auch der Grund, warum er es günstig erwerben konnte. Für Roland war die Reparatur aufgrund seines Berufes überhaupt kein Problem. Ihm standen die Werkstatt und alle Werkzeuge zur Verfügung. Nach Reparatur und Einbau eines Schwingungsdämpfers war mit einem Bruch der Kurbelwelle nicht mehr zu rechnen.

Eigentlich hatte er mit seinem Fuchswallach Pirat ausreiten wollen, aber das Pferd schonte den rechten Vorderlauf und bedurfte der Ruhe. Das Sprunggelenk war geschwollen und zeigte auch eine erhöhte Temperatur. Wegen des schönen Sommerwetters fand Roland es schade, denn er hatte sich auf den Ausritt gefreut und auf die Aussicht, andere bekannte und unbekannte Reiter unterwegs zu treffen. Das Ziel seiner Ausritte war immer die Whisky-Bude, so nannten alle einen Steh-Imbiss, der malerisch am Rand eines Wäldchens an der Schlägerheide lag und sich nicht nur bei Reitern einer großen Beliebtheit erfreute. Heute allerdings hätte Roland sehr früh ausreiten müssen, denn aufgrund der Hitze waren die Bremsen, sobald die Nachtkühle den ersten Sonnenstrahlen wich, besonders angriffslustig. Die Bremsen wurden nicht nur von den Reitern gehasst, sondern auch die Pferde reagierten höchst unwillig, wenn die beißenden und blutsaugenden Insekten heran schwirrten. Das traf vor allen Dingen für einen Teil des Reitweges zu, der einige hundert Meter mitten durch den Rotbach neben der Schlägerheide führte, einer unbefestigten Straße. Das machte die Pferde sehr unruhig, sie schlugen mit den Köpfen und Schweifen. Die Reiter hatten alle Hände voll zu tun, um Bremsen, die bereits auf dem Fell saßen, abzuschlagen. Und das machte das Reiten wahrlich nicht zu einem Vergnügen. Gelegentlich versuchte eine Bremse durch die Reiterhose zu beißen, was mit einem Mückenstich nicht zu vergleichen und schon schmerzhaft war. Aus diesem Grund entschloss sich Roland nach einem ausgedehnten Frühstück mit seiner Frau, die R 69S aus der Garage zu holen und diesmal damit zur Whisky-Bude zu fahren. Eine Probefahrt war nach den Einstellarbeiten ohnehin fällig und er würde bestimmt einige Reiterfreunde sehen.

Mit langsamer Fahrt verließ Roland die asphaltierte Landstraße und bog auf den Sandweg ein, der zum eigentlichen Ziel führte. Rechts neben der Straße verlief bereits der Reitweg, der kurz vorher vom Bach abgeschwenkt war.

Aufmerksam registrierte Roland die Motorgeräusche, um einige Hinweise auf Justierarbeiten zu bekommen. Dadurch verlagerte sich seine Aufmerksamkeit auf die Motorgeräusche und er achtete nicht mehr auf den Reitweg, auf dem ohnehin nichts los war. Ein um das andere Mal neigte Roland den Kopf in Richtung der seitwärts hervorstehenden Zylinder, aber etwas Auffälliges war nicht zu hören. Einmal hielt er das Motorrad an, legte eine Hand abwechselnd auf den Motor, erhöhte die Drehzahl, um aus den Vibrationen Schlüsse ziehen zu können. Aber auch da tat sich nichts. Nun ja, da war im Moment wohl nichts zu machen und Roland dachte nach, wann er nach Feierabend wieder in die Werkstatt konnte, um erneute Messungen vor zu nehmen.

Während die Maschine langsam über den unebenen Weg rollte, riss eine kleine Erhebung Roland den Lenker aus der Hand und völlig überrascht, fiel er mit dem Motorrad auf die linke Seite. Wegen der vorstehenden Zylinder und der Schutzbügel blieb es allerdings in Schräglage liegen und Roland sah aus den Augenwinkeln, dass nur knapp einen Meter vor ihm ein Pferd scheute und die Reiterin alle Mühe hatte, sich im Sattel zu halten. Wie in seinen besten Karate-Tagen war Roland auf den Beinen und es gelang ihm ohne Schwierigkeiten, die Zügel zu ergreifen. Mit ruhiger und sonorer Stimme redete er dem Pferd zu, das sich merklich beruhigte. Erst jetzt hatte er Gelegenheit, sich die Reiterin näher anzusehen.

Sie war noch sehr jung. Roland schätzte sie auf ein Alter von 15, höchstens 16 Jahre, vollschlank und etwa 1,60 Meter groß. Auffallend war der lange Zopf, der am Hinterkopf ihre Reiterkappe leicht anhob und fast bis zum Bund der Reithose reichte. Er schaute in ein sympathisches und etwas rundliches Gesicht, aus dem ihm zwei braune, schreckerfüllte Augen unter dichten schwarzen Augenbrauen ansahen.

„Das ist ja noch mal gut gegangen. Tut mir leid, wenn mein Sturz dafür die Ursache gewesen sein sollte. Ich habe mich natürlich nicht extra fallen lassen. Aber ich gebe zu, dass ich nicht voll konzentriert war. Normalerweise bin ich hier selber mit meinem Pferd unterwegs. Wie wär’s, darf ich dich als kleine Wiedergutmachung zu einem Kaffee an der Whisky-Bude einladen?“

Die Reiterin sah ihn prüfend an und Roland verspürte urplötzlich eine hochsteigende Wärme im Bauch, wie seit langem nicht mehr. Schließlich nickte sie bejahend, wandte ihr Pferd Richtung Whisky-Bude und ritt davon.