Ein schamloser Blick auf die Dame in Schwarz - Adrian Naef - E-Book

Ein schamloser Blick auf die Dame in Schwarz E-Book

Adrian Naef

4,8

Beschreibung

Wie keine andere Krankheit schleicht sich die Depression in andere Krankheitsbilder hinein. Ihre mentalen Auswirkungen beeinflussen deren Verlauf ganz manifest. Was kann man tun - und vor allem: Was kann man nicht tun? Eine schwere Depression ist auch ein Symptom userer Zeit. Vielleicht ist sie die folgenschwerste Krankheit in den westlichen Gesellschaften. Adrian Naef hat unter ihr gelitten. Sein Buch «Nachtgängers Logik» (Suhrkamp, 2003) zeugt von einer ebenso intensiven wie verzweifelten Auseinandersetzung mit der Depression. In seinem neuen Buch legt Naef in 79 Thesen seine über Jahre entwickelten Überlegungen vor. Dem Menschen in der tiefen Depression ist nicht zu helfen - man muss ihn lassen. Gleichzeitig aber wird die Depression von einem unbarmherzigen Gesundheitssystem intensiv bewirtschaftet, weil es ihm nutzt. Naefs Thesen sind heftig, wirken manchmal widersprüchlich, aber immer sind sie von dem Gedanken getragen, sich der «Dame in Schwarz» aufrichtig zu nähern. Deshalb schreibt Prof. Dr. Daniel Hell im Nachwort: «Adrian Naef hat sich seiner depressiven Not (...) auf eine Weise gestellt, die Seltenheitswert hat. Da darf er auch den Holzhammer benützen, um auf zähe Vorurteile einzuschlagen, Schließlich ist er einer, der mit dem Hammer einer dreijährigen Depression belehrt wurde, dass es so nicht geht, wie er glaubte, dass es gehen müsse.»

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Adrian Naef

Ein schamloser Blickauf die Dame in Schwarz

79 Thesen zu Depression und Gesundheit

Elster Verlag • Zürich

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 by Elster Verlagsbuchhandlung AG, Zürich

Alle Rechte vorbehalten

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Elster Verlagsbuchhandlung AG

Hofackerstrasse 13, CH 8032 Zürich

Telefon 0041 (0)44 385 55 10, Fax 0041 (0)44 305 55 19

[email protected]

www.elsterverlag.ch

ISBN 978-3906065-66-3

E-Book-Herstellung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Umschlagabbildung: istockphoto.com

Autorenfoto: Rahel Greuter, Sulgen

Umschlag: Andi Zollinger, Zürich

Für Adolf Muschg

Inhalt

Prolog

1 Es ist nicht entscheidend, Gründe zu kennen

2 Niemand hat die Macht, einen anderen in eine Depression zu stürzen

3 Zu wenig wird zwischen Auslöser und Schub unterschieden

4 Jeder hat schließlich seine Missbrauchsgeschichte

5 Depression ist eine symptomatische Krankheit unserer Zeit

6 Ein Lob der modernen Medizin bringt die Diskussion nicht weiter

7 Ein Phänomen, das keiner Therapie bedarf

8 Eine Depression kann das Beste sein, das einem je widerfahren ist

9 Niemand besiegt eine Depression

10 Es gibt gute Gründe, in der Hölle zu bleiben

11 Der Schlüssel heißt: Hör auf zu leiden

12 Wie meist – Depression ist die Notbremse unserer Seele

13 Einsicht wendet alles

14 Einsicht hat die Natur eines Blitzes

15 Zwei Drittel aller Unfälle und Krankheiten haben eine Botschaft

16 Unsere Gesundheitssysteme sind selbst krank

17 Unser Unbewusstes arbeitet mit unglaublicher Präzision

18 Wir sind verrückt

19 Nicht von Natur und Zufall gegebenes Leiden hat eine Verbindung zum Stolz

20 Angst vor Versagen erklärt das meiste

21 Der Schlüssel zum Verständnis von Depression heißt Hoffnungslosigkeit

22 Der Maniker ist ein Nachtgänger mit umgekehrten Vorzeichen

23 Wer Gesundheit will, darf keine Angst haben, sie zu verlieren

24 Wir haben vergessen, was Opfern bedeutet

25 Glaube ist für die guten Tage

26 Die wenigsten springen freiwillig

27 Depression heißt Nachhilfenunterricht

28 Der Nachtgänger ist nicht auszuhalten

29 Die Strafe, die er sich selbst zuspricht, heißt: verdammt in alle Ewigkeit

30 Dass auch Tiere hoffen können, wird am Ende Nachtgängers Rettung sein

31 Zwischen Taggängern und Nachtgängern gibt es keine Verbindung

32 Depression macht unsichtbar

33 Es ist nicht der Verstand, der zählt

34 Aber keiner kann hinterher sagen, er hätte es nicht wissen können

35 Tiere brauchen keine Seele

36 Hingabe ist nicht umsonst das religionsübergreifende erste Thema

37 Depression kann als Krankheit bezeichnet werden; aber was hilft das?

38 Schroffe Rückweisung kann Heilung sein

39 Ärzte, die kränker sind als ihre Patienten, kann Hippokrates nicht gemeint haben

40 Wenn Heilung geschieht, hat nicht einfach jemand recht gehabt

41 Wenn es einmal noch gut gegangen ist, will das gar nichts heißen

42 Man muss von Grenzen reden

43 Wir meinen zu verstehen und rechtfertigen nur das Bisherige

44 Drehtüreffekt – eine Niederlage der Heilkunst

45 Leiden gehört zum Leben

46 Die Schwarze Dame ist eine Unbehauste

47 Die Auftraggeberin, die Seele, und ihre Agentin, die Schwarze Dame, sind Sippenfrauen

48 Im «Privatzimmer» kann man lange auf Entlassung warten

49 Krank wird nicht umsonst mit «ernsthaft» in Zusammenhang gebracht

50 Depression ist ein religiöses Phänomen

51 Unsere Seele läßt sich nicht dreinreden

52 Gesundheit ist etwas anderes

53 Humor wäre das Aspirin allen Leidens

54 Vor dem sicheren Tod ist die Lage so oder so stets hoffnungslos

55 Biochemische Störung im Hirn ist Folge, nicht Ursache

56 Medikamente können ein Segen sein

57 Medikamente sind viel präziser geworden

58 Das Sträuben des Tiers in uns hat etwas Großes

59 Man gibt sich zu viel Mühe

60 Man muss dem Depressiven gerecht werden – er muss durch-leiden

61 Die Lüge nistet sich ein

62 Dem Nachtgänger sollte keine Depressionsliteratur zugeschoben werden

63 Ohne psychiatrische Kliniken würden Nachtgänger eines Tages tot umfallen

64 Was ein Nachtgänger ohne Hoffnung sieht, muss er für die Wahrheit halten

65 Der Nachtgänger ist zum Leben verdammt – und zwar zum besseren Leben

66 Die Schwarze Dame heißt Lucia

67 Der Nachtgänger braucht Beistand, nicht Hilfe

68 Die Selbstmordgefahr ist beim Eintauchen und beim Auftauchen am größten

69 Hier spricht sie doch gerade einmal, die berühmte Stimme Gottes

70 Manchmal wird ein Familiendrama erlöst

71 Auch ein Hirnscanner wird es nicht erhellen

72 Die Depression teilt mit: Stopp dem Bisherigen!

73 Das Joch wäre leicht

74 Wir erleben Verstand als Erfolg

75 Da man heute Depression verstehen könnte, macht man sich schuldig

76 Hinterher wird er kein anderer sein

77 Ein Kollaps anderer Art kann die Folge sein

78 So wenig die Ursache definiert werden kann, so wenig ihr Gewinn

79 Trotz allem: kein Zweifel mehr an der Großartigkeit dieser Welt

Nachwort von Prof. Dr. Daniel Hell

Zu den Autoren

Melencolia I (1514) – Kupferstich von Albrecht Dürer (1471–1528).

PROLOG

Dieses Buch beschäftigt sich im Kern mit zwei verschiedenen Dingen: Zum einen behandelt es die schwierige Situation schwer depressiver Menschen. Dabei geht es nicht einfach um depressive Anwandlungen und auch nicht um manisch-depressive Schübe, sondern um jenes Leiden, das seine Opfer scheinbar für Ewigkeiten in die Tiefe zieht und dort verharren lässt. Es ist unklar, wie Menschen in solche Situationen geraten und ebenso unklar, wie sie aus ihnen wieder herauskommen.

Über die gesellschaftliche Dimension dieser Vorgänge ist viel philosophiert worden. Neue Technologien, die elektronischen Medien und vor allem die grundlegende Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche werden als Erklärungshilfen bemüht. Alle Triebkräfte erhalten durch ihre Visualisierung mit Hilfe des Internets zusätzliche Schubkraft. Der französische Pychoanalytiker Jacques Lacan (1901–1981) und der britische Soziologe Zygmunt Bauman (* 1925) haben sich mit der Bedeutung der Beschleunigung für die gesellschaftliche Entwicklung beschäftigt. Sie wären verblüfft, mit welcher Rasanz ihre Analysen von der Realität überholt wurden.

Alle gesellschaftlichen Bereiche beschleunigen sich. Die soziale Interaktion wird schneller und mit ihr die wirtschaftliche. Persönliche Dramen und gesellschaftliche Phänomene werden ohne Zeitverzögerung durch den Fleischwolf der privaten und kollektiven Kommunikationsmittel gedreht. Ob Handy, iPad, Internet oder Fernsehen – sie lassen keine Zeit mehr zum Nachdenken, sondern zwingen zum permanenten Handeln. Und so, wie inzwischen die persönliche Sphäre sich beschleunigt hat, ist es auch in der Wirtschaft. Finanzblasen folgen einander wie Seifenblasen aus dem Rohr, und kaum ist eine geplatzt, zockt man wieder – mehr, schneller, größer, Bilanzen erst im Halbjahres-, dann im Vierteljahrestakt, Rohstoffgeschäfte bald im Sekundentakt, Boni in zweistelliger Millionenhöhe – ein Teufelsritt.

Wir kommen nicht mehr hinterher, und weil wir es nicht mehr schaffen, der exponentiellen Temposteigerung zu folgen, werden wir unsicherer. Haben die Risiken zugenommen oder die Erfinder von Risiken? Die Lastenträger des Landes, die Partnerschaften des Mittelstandes, werden schon krank daran, neben dem Aufziehen der Kinder auch noch die Mittel für die Krankheitsvorsorge aufzubringen. Und wer vertritt die Mütter und Kinder, um die sich alles drehen sollte, tatsächlich in den Wandelhallen der Macht? Spätestens hier wird das Thema zu einer Frage der Würde – aber selbst die ist in unseren gesellschaftlichen Gesundheitsapparaten der Ökonomisierung zum Opfer gefallen.

Warum wir trotz (oder gerade wegen) einer ebenso exponentiell wachsenden Informationsflut und der Rasanz gesellschaftlicher Entwicklungen bei diesem Irrlauf über die Klippe nicht abbremsen, ist eine der größten Merkwürdigkeiten dieser Zeit. Es kann nur sein, dass sowohl Hü wie Hott dem gleichen Denken entspringt und dass das bekannte übliche Denken in einer «analogen» Gesellschaft hilfreich sein konnte und es in der heutigen «exponentiellen» Gesellschaft eben nicht mehr ist. In Urzeiten genügten die Finger, um zu zählen. «Exponentiell» war nicht vorstellbar oder später in Form der Zinsen und Zinseszinsen des Teufels. «Exponentiell» ist gleichsam noch nicht in unseren Genen. Deshalb verlieren wir bei der Beschleunigung weiterhin die Übersicht.

Ein Ende ist nicht abzusehen, dafür sind es aber die Folgen: 120 Millionen Menschen weltweit leiden an Depressionen, wie ein amerikanisches Forschungsteam der State University of New York 2011 ermittelt hat; vorwiegend in den industrialisierten Ländern und vorwiegend Frauen. Konsequent fordert der deutsche Philosoph und Physiker Klaus Michael Meyer-Abich (* 1936) unter anderem «ein gesundes Innehalten», denn unser Umgang mit der Zeit sei «pathogen» (krankheitsauslösed).

Und damit sind wir beim zweiten Schwerpunkt. Wie gehen wir, wie geht unser Gesundheitswesen mit diesen Phänomenen um? Dem dringenden Votum für mehr Menschlichkeit und Vernunft stehen Legionen von gesellschaftlichen Sachzwängen gegenüber. Problemen rückt man in der Regel mit derselben Medizin zu Leibe, mit der man die Probleme erst hervorgerufen hat.

Mit den folgenden Überlegungen zur vielleicht folgenschwersten Volkskrankheit dieser Zeit, der Depression, soll zumindest ein Blick auf die meist vernachlässigten Umstände im Gesundheitswesen geworfen werden. Denn die Depression ist ein Polyp, der in viele Krankheitsbilder hineinragt und Folge anderer Krankheiten sein kann. Vor allem ist sie, alles in allem gesehen, wohl die häufigste Todesursache. Die meisten direkten Suizide sind ihr anzulasten, von den indirekten, versteckten oder über Jahre gestundeten gar nicht zu reden. Und was man gerne vergisst und Statistiken zu Makulatur verdammt: Eine Blinddarmentzündung gefährdet niemand anderen, Depressionen sind hingegen geeignet, andere mitzunehmen, allenfalls in den Tod. Nicht, weil jemand einen anderen in eine Depression stoßen könnte, aber weil niemand kontrollieren kann, ob der Depressive noch Auto fährt oder nicht.

Depression als solche und als Lackmustest unserer Gesellschaft ist hier das Thema. Wer Krankheiten nur als solche sieht, ohne sie in einen Zusammenhang zu stellen, der kann ihnen nicht wirklich beikommen. Und wer den Schlüssel zu den Eigenheiten aller folgenden Ausführungen sucht, kann ihn hier finden: Jeder, der die fast alles bestimmende Macht und atemberaubende Präzision des Unbewussten in Rechnung stellt, sieht die Welt mit anderen Augen, insbesondere unser Gesundheitswesen und insbesondere dessen Schwächen. Seine Tendenz zu ausufernden internationalen Standards und Indizes weist leider in die andere Richtung, sowohl im somatischen wie im psychosomatischen Bereich. Sie will mehr des Machbaren und läuft gleichzeitig in die Sackgasse des Machtlosen. «Die Schwarze Dame», der Star der versuchten Bildersprache der folgenden Thesen, ist leider «resistent». Das ist das Beängstigende.

Die folgenden 79 Thesen versuchen am Beispiel der Depression einen Blick auf Leben und Sterben zu werfen, einen Blick, der wohl die in der Weisheit des Unbewussten verpflichtete Antike weniger befremdet hätte, als er heute zu befremden mag. Wer schon in eine schwere Depression gefallen ist, weiß aus Erfahrung, was damit gemeint ist. Und wer diese Thesen zu drastisch findet, vergleiche sie mit den unzweifelhaft gegebenen drastischen Umständen im heutigen Gesundheitswesen.

Den Experten aller Lager sei übrigens von vornherein recht gegeben, man spare sich die Mühe: Die besagte Dame in Schwarz ist eine Herumtreiberin. Sie ist nicht gescheit, aber objektiv, sie ist widersprüchlich wie das pralle Leben, sie ist Analphabetin, spricht in Bildern, ist selbst ein Bild, foutiert sich um Argumente und Prozente, urteilt auf den ersten Blick, nicht auf den letzten. Sie ist eine Fahrende, keine Bleibende, sie streitet nicht um Zimmer in Häusern, die sie für auf Sand gebaut hält. Für sie ist alles auf Sand gebaut, daher ihr schallendes Lachen, das Gesündeste, das es gibt. Sie raucht Kette und trinkt aus der Flasche, tritt Gesundheit mit Füßen – sie ist nicht weniger als die Chefexpertin des besten Gesundheitswesens der Welt, uns allen an Intelligenz haushoch überlegen.

Was wollen wir da noch, Angsthasen, die wir sind!

Zürich, im August 2011

1.ES IST NICHT ENTSCHEIDEND, GRÜNDE ZU KENNEN

Ausgerechnet das Phänomen Depression – neben Krebs und den Herz-Kreislauf-Erkrankungen wohl die häufigste Sterbeursache – kann nicht auf einen bestimmten Kern zurückgeführt werden. Das sollte zu denken geben. Niemand kann sagen, er sei «deswegen» ins Loch gefallen, wie man immer wieder hört. Es sei denn, man könne Depression der offensichtlichen Fehlfunktion eines Organs zuordnen oder man habe zum Beispiel Zeckenbisse erhalten.

Da wir «nicht Herr im eigenen Haus» sind – was schon in der Antike jedem klar zu sein schien und Sigmund Freud mit Recht erneut festgestellt hat –, sind wir in den meisten Fällen zu Vermutungen verurteilt. Auch wer schon eine Depression durchlebt hat, ist hinterher meist auch nicht schlauer. Es ist auch nicht entscheidend, Gründe zu kennen, weder fürs Hineinfallen noch fürs Herausfinden. Man kann sich die Mühe sparen und auch die Kosten. Die Lektion heißt in jedem Fall: Nachdenken über den eigenen gegenwärtigen Lebensstil und Anpassung an neue Lebensumstände. Das will diese geheimnisvolle Ausbremsung offenbar erzwingen. Eine Instanz in uns, hier Seele genannt, will einen Kurswechsel, andere Ursachen sind ihr egal. Depression in der Schublade «Krankheiten» verschwinden zu lassen und Schluss, ist ein fataler und obendrein kostspieliger Fehler.

2.NIEMAND HAT DIE MACHT, EINEN ANDEREN IN EINE DEPRESSION ZU STÜRZEN

Niemand hat die Macht, uns in eine Depression zu stoßen. So wichtig sind wir füreinander nicht, auch wenn wir es gerne wären. Inwieweit das auch für andere Krankheitsbilder gilt, sei offen gelassen. Alle Nazischergen zusammengenommen konnten ihre Häftlinge nicht in Depressionen stürzen und offenbar auch nicht in andere Krankheiten. Der österreichische Psychiater Viktor Frankl (1905–1997) ist das beredte Beispiel für diese These. Vier Jahre war er in den Nazi-KZs; er hat darüber in seinem Buch «… trotzdem Ja zum Leben sagen» berichtet.

«Die Dame in Schwarz», wie sie C. G. Jung genannt hat, ist ein Single. Depression ist ein Single.

3.ZU WENIG WIRD ZWISCHEN AUSLÖSER UND SCHUB UNTERSCHIEDEN

Suizide lösen in der Regel rundum heftige Schuldgefühle aus. Depression ist der Hauptgrund von Suiziden und spielt massiv in andere Krankheitsbilder hinein. Das ist die Dringlichkeit des Themas. Aber genauso wenig, wie man Depression einem anderen anlasten kann, bringt sich jemand wegen eines anderen um. Wir mögen der letzte Tropfen in sein übervolles Fass gewesen sein, haben es aber nicht gefüllt. Ein nächster Tropfen wäre auch so hineingefallen.

Was an Schub dann folgt, hat seine naturgesetzliche Notwendigkeit. «Wegen dir bin ich in eine Depression gefallen», «Wegen ihm hat sie sich umgebracht», wie man es ab und zu hört, ist eine falsche Projektion auf einen dramatischen Zustand. Unnötige Gewissensbisse von Angehörigen könnten vermieden werden, würde nicht immer mit diesem Unsinn hausieren gegangen. Schuldgefühle in diese Richtung haben eine Verbindung zur Eitelkeit.

4.JEDER HAT SCHLIESSLICH SEINE MISSBRAUCHSGESCHICHTE

Alle Kliniken, die sich mit psychischen oder psychiatrischen Fällen beschäftigen, würden sich zur Hälfte leeren, würden wir einsehen, dass wir spätestens ab zwanzig für unser Leben in jeder Hinsicht selbst verantwortlich sind. Dabei ist völlig unerheblich, welche Missbrauchsgeschichte als Schutzwall für das eigene Verhalten herhalten muss.

Juristisch ist es ohnehin so: Jeder hat seine Herkunft und seine Missbrauchsgeschichte; die Welt hat nicht unseretwegen ideal zu sein und sie ist es nicht. Die Probleme müssen uns dazu bringen, an ihnen zu wachsen, aber sie sind kein Hinweis darauf, sie uns wegzudenken und unversehrt zu bleiben. Und die offensichtlich schrillsten Familienverhältnisse sind nicht notwendigerweise die schlimmsten, da liegen die Fakten wenigstens offen.

Ob wir unangebrachte Aggression gegen außen oder innen richten – «außen» beginnt direkt außerhalb unserer Hirnschale; wir selbst sind stets unser erstes Opfer. Und wenn ich für jemanden ein Licht anzünde, bin ich der erste, der mehr sieht.