Ein Schuh kommt selten allein - Silke Porath - E-Book

Ein Schuh kommt selten allein E-Book

Porath, Silke

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Beschreibung

Dora liebt ihren Mister, ihr Tagebuch und - Schuhe. Sie geht mit Leidenschaft auf die Jagd nach dem perfekten Paar für ihre Sammlung. Ihr Job dagegen ödet sie an. Bis Dora für einen Kunden eine Marketingstrategie entwerfen darf: 'Balu Hundekekse' werden Kult. Und Dora dick. Was nicht an den Keksen liegt. Nachwuchs kündigt sich an und damit das Ende des schönen Lebens. Während Dora noch überlegt, wie sie in Zukunft ohne ihr geliebtes Schuhzimmer auskommen soll, flüchtet auf einmal der Mister. Zu allem Überfluss verliert Dora auch noch ihren Job. Doch so leicht lässt sie sich nicht unterkriegen. Als sie herausbekommt, dass ihr Chef eine Affäre hat, eröffnet sich für Dora die Chance ihres Lebens. Geht ihr Traum von der 'Schuhkönigin', dem perfekten Schuhladen für Mütter und Töchter, am Ende doch in Erfüllung?

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Silke Porath

Ein Schuh kommt selten allein

Roman

1. KAPITEL

High Heels

Mein Mister, meine Schuhe und ich

Mein Name ist Dora. Ich bin näher dran an der 30 als an der 40. Ich habe einen Mister, zurzeit 147 Paar Schuhe und seit vorgestern ein Laptop. Wer so eine Kiste sein Eigen nennt, der besorgt sich erst mal schicke Aufkleber für den Deckel. Ich habe mich für ein Paar Stiefel aus grünen Strasssteinen entschieden. Dann stellt frau sich dumm und lässt einen Mister ihrer Wahl sich um all den technischen Schnickschnack kümmern, damit die Rechenmaschine weiß, wie sie überall und jederzeit ins Internet kommt.

Es macht Spaß, hier rumzuklappern, die Tastatur klickt leise und der Lüfter schnurrt. Endlich kann ich machen, was ich schon immer wollte: Tagebuch schreiben. Hab ich als Teenager schon mal versucht und ganze vier Tage durchgehalten. Die Ergebnisse waren mir am fünften Tag so peinlich, dass ich das Buch in die Tonne gekloppt habe. Erstens konnte meine Schrift sowieso niemand lesen, nicht mal ich selbst (leider hab ich bis heute eine Sauklaue). Und zweitens dauerte es mir einfach zu lange, meine Gedanken handschriftlich festzuhalten. Aber jetzt, einige Jahre Tipperfahrung und technischen Fortschritts später, kommt die zweite Auflage. Da bist du also, Doras Diary!

Ich brauche übrigens neue Schuhe. Was mein Mister nicht versteht. Natürlich nicht! Er sagt, ich hätte mehr Schuhe als Imelda Marcos. Aber erstens hat die mindestens 1000 Paar Schuhe. Und zweitens habe ich kein einziges Paar in Flaschengrün. Ich besitze dunkelgrüne Pumps und samtene Ballerinas, deren Grün an frisches Moos erinnert. Ich habe quietschgrüne Sneaker (ein Fehlkauf, ja, ich weiß), lindgrüne Peeptoes und olivgrüne Stiefeletten. Aber: Ich! habe! keine! flaschengrünen! Schuhe! Und ohne flaschengrüne Schuhe kann ich heute Abend, wenn der Mister und ich unseren Jahrestag (den vierten) bei Enzo zelebrieren, nicht das flaschengrüne Kleid anziehen. So einfach ist das.

»Deine Füße stecken doch unterm Tisch, die sieht keiner«, sagt mein Mister. Ich überlege mir, ob ich ihn dafür treten soll. Das lasse ich aber lieber, denn der flaschengrüne Nagellack auf meinen Zehennägeln, den ich für perverse 37 Euro passend zum Kleid auf einer der Glücklichmach-Seiten im Internet bestellt habe, ist noch nicht ganz trocken.

»Meine Unterwäsche sieht auch keiner«, kontere ich. »Und die ist trotzdem schön.«

»Ich sehe deine Unterwäsche nach dem Essen«, sagt der Mister und macht diesen sabbernden Gesichtsausdruck. Wenn er sich nicht benimmt, kann er das vergessen. Jawoll!

»Wenn du nicht ein bisschen Verständnis für mich aufbringst, dann siehst du gar nichts«, sage ich und schlüpfe ultravorsichtig in meine braunen Flipflops. Der Mister fand es bekloppt, dass ich fast 80 Öcken für zwei Plastikscheiben mit Plastikbändern ausgegeben habe. Natürlich! Aber erstens passt nur dieses Braun zu meiner Tunika und zweitens … Ach, mein Mister würde es sowieso nicht verstehen.

Leider beißt sich der flaschengrüne Nagellack mit dem Braun der Flipflops. Darauf kann ich im Moment aber keine Rücksicht nehmen, denn nach dem Schuhkauf will ich noch zum Friseur. Nur Alfredo mischt das perfekte Blond.

Alfredo ist sowieso der einzige Mann, der mich versteht.

Zwei Stunden, 50 Schuhkartons und fünf Läden später verfluche ich alle Designer dieser Welt. Warum, zum Geier, entwerfen die flaschengrüne Kleider, aber keine dazu passenden Schuhe?

»Grün ist das neue Pink«, habe ich neulich noch gelesen. Oder war’s Lila? Egal – es ist auf jeden Fall kein Flaschengrün, was sich mir da in Leder, Seide, Lack oder Plastik in den Schuhregalen zeigt. Ein einziges Paar Sandaletten kommt schon ganz nah dran an den Farbton meiner Träume. Aber eben nur ganz nah. Ich kaufe sie trotzdem. Nicht wegen der Farbe, sondern wegen der Satinbänder, die man um die Fessel schlingen kann. Ein Traum, wirklich. Jetzt brauche ich noch den passenden Rock zu den Schuhen. Aber dafür ist keine Zeit, denn mein Date mit Alfredo wartet.

Ich wette, mein Mister hockt derweil vor der Daddelkiste und fährt irgendein sinnloses Autorennen. Nebenbei zerlegt er eine Tüte Chips und die Krümel auf der Couch piksen mich heute Nacht, wenn wir … Ja, wenn wir denn. Meine Laune ist auf dem Nullpunkt. Zum Trost kaufe ich mir lavendelfarbene Slipper. Lavendel soll ja beruhigend wirken. Und Lavendel soll das neue Pink sein. Oder so.

»Chérie, dafür haben wir heute keine Zeit«, teilt Alfredo mir mit. »Dein Blond dauert mindestens zwei Stunden, das habe ich nicht eingeplant.«

»Ich auch nicht«, gebe ich zerknirscht zu und zippele an meinen Haaren herum. Der Ansatz ist viel zu dunkel.

»Da müssen wir was tun«, sagt Alfredo. Ich nicke heftig. Aber er schüttelt den Kopf. »Nicht heute, Chérie, nächste Woche.« Scheiße.

»Wenigstens ein bisschen …?«, versuche ich es noch mal.

Aber Alfredo hört mich gar nicht mehr. Er ist um die Ecke verschwunden und kommt mit seinem rollenden Zauberwagen voller Bürsten und Kämme, Wickler und Scheren wieder. Eine halbe Stunde und geschätzte 50 Haarnadeln später ist vom dunklen Ansatz meiner Haare nichts mehr zu sehen. Die türmen sich nun auf meinem Kopf, und es sieht aus, als sei es ein Klacks gewesen, sie so zu arrangieren. Außerdem sieht man der Frisur nicht an, dass sie 40 Euro gekostet hat. Kurz: Sie ist perfekt. Küsschen links, Küsschen rechts, neuer Termin für nächste Woche.

Berlin. Mitten in der City. Wind, 20 Grad, Regen. Die Frisur sitzt. Drei-Wetter-Alfredo.

Zu Hause. Kein Wind. 24 Grad. Der Mister sitzt. Vor der Glotze. »Hallo«, nuschelt er und starrt weiter auf den Bildschirm. Ich knalle die beiden Tüten mit den Schuhkartons vor ihm auf den Tisch. Keine Reaktion. Ich drehe mich im Kreis, deute auf das kunstvolle Haargebilde. Reaktion: keine. Ich packe die Schuhe aus, nehme in jede Hand ein Paar und halte sie ihm vor die Nase. Nichts.

Es muss etwas Entsetzliches passiert sein: Der Mister meckert nicht, macht keine blöden Kommentare zu Schuhpaar Nummer 148 und Nummer 149 – er schaut düster vor sich hin und schweigt.

»Was ist passiert?«, frage ich.

»Aus«, sagt er. »Es ist aus.«

Hallo? Ich habe doch nur zwei Paar Schuhe gekauft und bin mal schnell beim Friseur meines Vertrauens gewesen. Und heute ist doch unser Jahrestag …

»Das meinst du nicht ernst«, sage ich und lasse mich in den Sessel fallen. Jemand muss die Knochen aus meinen Beinen genommen haben, denn ich spüre dort nichts weiter als Pudding.

»Doch. Leider.« Der Mister hebt den Blick und sieht mich sekundenlang an. »Ich verstehe es auch nicht.«

Er sieht traurig aus. Und müde. Doch plötzlich klopft er sich auf die Schenkel und springt auf. »Werde wohl morgen zum Laden gehen, die müssen das reparieren.«

»Was?« Klar, Männer denken so: Ist die Beziehung im Eimer, dann braucht man bloß einen Schraubendreher und zack funktioniert sie wieder.

»Die Playstation. Ist noch Garantie drauf«, erklärt der Mister und verschwindet ohne weiteren Kommentar im Bad. Kurz darauf rauscht das Duschwasser.

Erleichtert gehe ich in mein Schuhzimmer und probiere nacheinander erst die neuen und dann die älteren grünen Schuhe an. Es hat immense Vorteile, wenn man keine Kinder hat: Das dritte Zimmer unserer Wohnung, in dem laut Bauträger die Brotwölfe hausen sollten, gehört mir ganz allein. Mir, den Billy-Regalen und den Schuhkartons. Und dem großen Spiegel, der mir unmissverständlich klarmacht: Dora, du hast keine passenden Schuhe für das flaschengrüne Kleid.

Schließlich entscheide ich mich für den schwarzen Hosenanzug und die roten Lacksandaletten. Erstens muss ich mir, der Hose sei Dank, nicht die Beine rasieren. Und zweitens hatte ich diese Sandaletten noch nie an. Unterm Tisch fällt der grüne Nagellack nicht auf. Ich bin echt froh, dass ich ein Mädchen bin.

Der Abend war übrigens klasse. Es gab Kalbsschnitzel al Limone, Spaghetti vongole und Tartuffo zum Dessert. Und zu Hause Kuscheln mit dem Mister. Nach vier Jahren ist das mit dem Sex nicht mehr so wichtig, wenn man zu viel gegessen hat. Außerdem hätte ich mich sowieso nicht konzentrieren können … denn auf dem Nachhauseweg habe ich im Schaufenster eines Ladens Schuhe gesehen. Im Neonlicht sahen sie flaschengrün aus.

Es tickt bei Dora

Ich bin’s wieder, Dora. Mein flaschengrünes Kleid hängt noch immer ungetragen im Schrank. Die Schuhe, die in der Nachtbeleuchtung des Schaufensters so toll aussahen, hätten zwar perfekt zum Kleid, aber nicht zu meinen Füßen gepasst. Ich fülle beim besten Willen und auch mit Hilfe von einem Dutzend Blasenpflastern und Einlagen keine Schuhe in Größe 41 aus. Aber ich jage weiter, versprochen. Es gibt sie, irgendwo da draußen, die flaschengrünen Schuhe Größe 39, made for Dora.

Was es Neues gibt? Mein Mister und ich gehen getrennte Wege. Allerdings nur manchmal. Gestern zum Beispiel: Nach seiner Arbeit in der Bank musste er unbedingt ein immens wichtiges Fußballspiel mit Kumpel Kai gucken und mich hat mein Mädel entführt.

Zum Weiberabend. Start bei Enzo, Prosecco inklusive. Und nach den Tagliatelle zwei Portionen Panna Cotta. Ist ja nur Sahne mit Zucker – und Milch ist gesund. Von mir aus hätten wir danach noch ein wenig um die Häuser ziehen und die neue Bar am Hauptbahnhof ausprobieren können. Aber Vivien musste nach Hause. Jannis konnte nicht länger als bis 22 Uhr auf sie verzichten. Dabei ist sie nicht mal mit ihm verheiratet – der Hosenscheißer ist grade mal acht Monate alt.

Ich kann Jannis nicht leiden. Na ja, ein bisschen schon, süß ist er ja. Aber er hat mir Vivien geklaut. Der Zwerg hat mir doch wirklich meine beste Freundin genommen: unsere gemeinsamen Abende, die Wellness-Wochenenden und die Shoppingtouren – alles futsch! Und nicht nur mir fehlt was, wie die junge Mutter mir zwischen Antipasti und Espresso lang und breit erzählt hat. Der Kindsvater will mehr Sex, als Vivien geben kann.

»Wenn alle drei Stunden ein Zwerg an deinem Busen nuckelt, dann willst du einfach nicht, dass später auch noch ein Kerl die Milchbatterie betatscht.«

Verstehe ich. Klar! Einerseits. Andererseits gäbe ich sonst was für den Atombusen, den Vivien im Moment hat. Diese Körbchengröße macht sogar den noch immer von der Schwangerschaft ausgeleierten Bauch wett. Sagt Vivien. Und ich finde das auch.

»Willst du eigentlich Kinder?«

Zonk.

Bislang hat Vivien sich diese Frage verkniffen. Jetzt, mit einem Salatblatt im Mund, lässt sie sie raus. Klingt wie »Nettes Wetter heute« oder »Schicke Uhr hast du da«. Aber es ist keine beiläufige Frage. Vivien, meine einst um die Häuser ziehende Freundin, deren Hormonhaushalt sie zu einem Muttertier hat mutieren lassen, stellt nüchtern fest: »Du willst Kinder. Schon, weil ich eins habe und das toll finde.«

Ich zucke mit den Schultern. Vivien erwartet auch gar keine Antwort. Sie schwadroniert von Jannis. Wie süß er lächelt. Dass demnächst der erste Zahn durchbricht. Von seinen Löckchen im Babynacken. Klingt niedlich – aber brauche ich das wirklich?

Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie der Mister und ich abwechselnd Pampers wechseln und Kinderkotze aufwischen. Und dann bleibt so ein Kind ja auch nicht ewig klein und im praktischen Handtaschenformat. Die Zwerge werden größer. Und damit lauter, schmutziger und klebriger.

Ich versuche mir vorzustellen, wie so ein Steppke meine Schuhkartons ausräumt. An den Wildlederpumps nuckelt. Oder die Playstation vom Mister mit Apfelmus einsaut.

Geht gar nicht.

Andererseits – stylish sind Kids ja. Wer als Schauspielerin in Hollywood was auf sich hält, trägt ein Baby auf dem Arm. Ob selbst gebrütet oder adoptiert, spielt dabei keine Rolle. Sieht schon schick aus, wenn der Wonneproppen passend zur Designerwickeltasche gewandet ist.

Wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich mich für ein Mädchen entscheiden. Suri Cruise hat geile Schuhe. High Heels in Größe 25. Meine Tochter und ich gemeinsam beim Schuhkauf. Doch … das könnte ich mir vorstellen.

Genau das will ich Vivien mitteilen. Aber in diesem Augenblick verrückt sie die Kerze in der Tischmitte und das flackernde Licht bestrahlt ihre Augenringe wie ein Flakscheinwerfer. Vivi gähnt und ich starre auf die grauen Tränensäcke, die ihr beinahe bis zu den Knien reichen.

»Mein größter Wunsch ist, endlich mal wieder auszuschlafen«, bemerkt sie zerknirscht.

Glaube ich ihr sofort. So, wie sie aussieht, könnte sie genauso gut eine Woche am Stück durchgefeiert haben. Hat sie aber nicht – der Spaßfaktor tendiert garantiert gegen null, wenn man nachts um drei eine vollgeschissene Windel wechseln soll.

Vivien schwafelt irgendwas von: »Ein Lächeln von Jannis und alles ist vergessen, die Schreiattacken, seine Blähungen …«

Komisch, dass ich beim Stichwort »Blähungen« an den Mister denken muss. Männer furzen ja ungeniert, wenn sie sich wohlfühlen. Erst knattert es, dann kommt ein wohliges Seufzen. Ich hab meinem Mister deswegen mal die Meinung gesagt, denn sexy ist das nicht gerade. Seine Antwort: »Ich pupse nur bei Leuten, die ich mag.«

Na toll. Wenn ich einen Sohn bekomme, dann begasen mich zwei Kerle gleichzeitig. Brauche ich das? Nö. Und überhaupt haben der Mister und ich noch nie über das Thema »Kinder« gesprochen. Nicht ernsthaft jedenfalls. Irgendwann wollen wir mal Kinder – vielleicht.

»Du bist ja auch nicht mehr die Jüngste«, bemerkt Vivien und faltet kunstvoll ein Salatblatt mit der Gabel. Und in diesem Moment höre ich es: Ticktack. Ticktack! TICKTACK! Die biologische Uhr. Sie rattert. Vivi hat recht – ich bin keine 18 mehr. Aber auch noch keine 40. Frauen, die mit 44 Jahren das erste Kind bekommen, sind doch heutzutage fast schon der Normalfall. Gianna Nannini hat sich mit flotten 56 künstlich befruchten lassen.

»Man kann auch mit 44 oder 56 noch Kinder bekommen«, merke ich an und spieße eine Tomate auf. Etwas zu schwungvoll, die Kerne spritzen auf die weiße Tischdecke. Peinlich.

»Klar, kannst du«, nuschelt Vivi und polkt den Kern einer Olive zwischen den Lippen vor. »Du planst dann irgendwann den 16. Geburtstag deines Kindes und gleichzeitig deinen 60. Ihr könnt dann ja zusammen feiern. Praktisch, oder?«

Grauenhaft! Mein Sprössling macht den Führerschein und Mama geht in Rente. Das Kind macht Abitur, wenn der Vater den ersten Herzinfarkt hinter sich hat. Männer sterben früher als Frauen – das heißt, ich hätte gute Chancen, die Hochzeit meines Ablegers als Witwe zu erleben.

Ich denke gerade, dass ein »Schatz, wollen wir Kinder?«-Gespräch mit dem Mister fällig wird, als Enzo die abgegrasten Salat- und Nudelteller abräumt. Mein liebster Italiener zwinkert mir zu – und in dem Moment weiß ich, dass ich noch nicht bereit bin, Mutter zu werden. Ein Kind zu haben ist so … endgültig. Und ganz egal, wie alt du bist: Mit einem Zwerg an der Backe wirst du überall gesiezt. Das ist etwas, was ich hasse. Okay, wenn Menschen unter 1,20 m manchmal »Sie« zu mir sagen, dann kann ich damit leben. Aber diejenigen Zeitgenossen, denen ich auf Augenhöhe begegne, sollen mich duzen. Ein »Sie« macht automatisch zehn, fünfzehn Jahre älter.

»Was darf ich dir noch bringen?« Balsam! Zucker! Ich liebe Enzo – für sein gutes Essen und für diese Frage.

»Panna Cotta«, hauche ich. Genau das ist das Sahnehäubchen dieses Abends. Leider versaut Vivien mir den Genuss. Nach jedem zweiten Bissen schaut sie auf die Uhr. Das Ding an ihrem Handgelenk hat beinahe Burger-Größe und glitzert in grellem Silber. Das Zifferblatt hat extra große Zahlen, sodass man die Zeit auch dann ablesen kann, wenn man sieben Meter entfernt steht.

Die Uhr war ein Geschenk vom Kindsvater zu Jannis’ Geburt. An jeder anderen Frau würde sie stylish aussehen. An einer frischgebackenen Mutter wirkt sie wie der Timer einer Zeitbombe. Überschreitet der Stundenzeiger eine gewisse Marke, dann muss Mama heim.

»Ich glaub, ich muss langsam heim«, sagt Vivien.

»Das glaube ich allerdings auch«, sage ich und starre gebannt die nassen Flecken auf ihrer Brust an, die langsam, aber stetig größer werden. »Dir läuft schon die Milch aus.«

»Scheiße!« Vivien wird hektisch und versucht, ihren Busen mit der Serviette abzudecken. »Ich hab die Stilleinlagen vergessen!«

»Du hast was?«

»Stilleinlagen! Untersetzer für den Busen, damit keine Milch ausläuft.« Meine Freundin sieht traurig aus. Und müde. Sehr müde.

»Das fällt unter die Kategorie Stilldemenz«, sagt sie leise.

Ich zerre den Pashmina aus meiner Handtasche und reiche ihn über den Tisch. Vivien drapiert den Schal über den Milchpfützen und ich frage mich, ob Muttermilch aus einem 120-Euro-Stöffchen wieder rausgeht.

Es ist grade mal kurz nach neun, als ich mich auf den Rücksitz eines Miet-Daimlers klemme. Einen Augenblick lang bin ich versucht, mich in einen Club chauffieren zu lassen. Nach Hause zu gehen ist nicht gerade verlockend, wenn dort eine Horde Männer vor dem Fernseher klebt und den Bundestrainer mimt. Ich schätze, die erste Halbzeit ist gerade erst zu Ende.

Der smarte Taxifahrer dreht sich zu mir um. Er hat dunkle Augen, einen Dreitagebart, leicht ergraute Schläfen … ein türkischer Student der Agrarwissenschaften, tippe ich. Ein verdammt gut aussehender türkischer Student der Agrarwissenschaften. Lecker, sehr lecker. Ich lächle mein schönstes Lächeln.

»Wo möchten Sie hinfahren?«

Sie? Der Kerl sagt »Sie« zu mir? Sehe ich im funzeligen Schein der Innenraumbeleuchtung wie eine Mittdreißigerin aus? Okay, ich bin eine Mittdreißigerin. Aber das muss der Typ mir doch nicht zeigen, verdammt noch mal, Dora will flirten!

»Nach Hause«, sage ich resigniert und starre aus dem Fenster. Draußen geht ein Pärchen vorbei. Sie schiebt eine riesige Kugel vor sich her, er hat fürsorglich den Arm um seine watschelnde Brutmaschine gelegt.

»Wo ist Ihr Zuhause?«, fragt der Taxler und startet den Wagen. Er sieht mich nicht mehr an, nicht mal durch den Rückspiegel. Ich nenne ihm die Adresse und wir gondeln los. Der Kerl hat ein Doppelkinn, ich sehe es genau. Und zu viel gelbes Schmalz in den Ohren. Aber das braucht er vermutlich, um das Geschrei der sieben Kinder auszublenden, die er zu Hause hat.

Ich weiß, ich bin gehässig. Aber ich darf das, weil ich ein Mädchen bin, das sich nicht so alt fühlt, wie es ist. Peng.

In meinem Zuhause klingt es genau so, wie ich es dem türkischen Taxistudenten wünsche: laut. Die Jungs sind im Wohnzimmer und ich will gar nicht wissen, wie viel Bier der Mister schon intus hat. Ich werde es spätestens dann erraten können, wenn er lautstark schnarchend neben mir liegt. Der Schnarchpegel steigt mit zunehmender Bierzahl. Leider auch die Pupsfrequenz. Aber daran will ich jetzt noch gar nicht denken.

Ich schnappe mir das Laptop und eine Tafel Nugatschokolade und stöpsle das Männergeschrei mit Ohropax weg, die ich wegen der nächtlichen Sägerei stets griffbereit im Nachtkästchen habe. Dann surfe ich los.

Bei Facebook ist tote Hose, klar, es ist Samstag und meine virtuellen Freunde sind alle unterwegs. Oder sie sind zu Hause, wechseln aber grade die Windeln, gucken sich eine plastikbunte TV-Show an oder spielen Memory bis zum Würgen. Ich logge mich bei Facebook aus und betrete den virtuellen Schuhladen, der 24 Stunden an sieben Tagen die Woche geöffnet hat. Klasse, neu eingetroffene Ware! Mein Jagdinstinkt erwacht. Die megageilen Sneaker in rotem Lack sind bereits vergriffen, die hat mir garantiert eine von den Frauen weggeschnappt, die der Kinder wegen am Samstagabend zu Hause bleiben müssen. Aber bei den Ankle Boots in genau dem Blau, aus dem Vader Abraham die Schlümpfe gemacht hat, habe ich Glück. Ein Klick und die schlumpfledernen Boots sind auf dem Weg zu mir. Paar Nummer 150. Das habe ich mir verdient. Ich weiß zwar nicht genau womit, aber das ist doch völlig egal.

Nach dem Bestellvorgang schlägt mein Lieblingsshop mir Partnerlinks vor. Parfum. Designer-Outlet. Kinderwagen.

Kinderwagen?!

Mal gucken, kann ja nicht schaden. Mit dem letzten Stück Schokolade in den Backen rufe ich die Seite auf. Das sollen Kinderwagen sein? Diese futuristischen Metallgestelle in Trendfarben? Die sehen … wow … Hammer aus. Und diese Wickeltasche … die wäre eigentlich die perfekte Handtasche. Sie ist groß und hat bestimmt zehn separate Fächer. Der Tragegurt ist beliebig verstellbar, die Wickelunterlage eignet sich prima als Notkissen für den Rasen im Stadtpark. Und außen an der Traumtasche ist ein Karabinerhaken, an den frau den Hausschlüssel klicken kann, damit die elende Sucherei ein Ende hat. Das Einzige, was die Wickeltasche nicht hat, ist eine Innenraumbeleuchtung. Zum Spaß lege ich Wagen und Tasche in den Warenkorb, was sich eigenartig anfühlt.

Noch eigenartiger ist der Preis: Für beides zusammen müsste ich so viel löhnen wie für ein Wellness-Wochenende mit dem Mister. Mindestens. Ich leere den Warenkorb. Für ein Windelscheißer-Cabrio schlage ich mir ganz bestimmt nicht die Arbeitstage in der Kanzlei um die Ohren, indem ich Tipparbeiten für die Herren Steuerberater mache und Termine mit lästigen Kunden, die zu viel Kohle haben und die dann noch ins finanzielle Nirwana transferieren wollen.

Kinder sind teuer. Ich hab mal gelesen, dass es 250.000 Euro kostet, bis ein Kind aus dem Gröbsten raus ist. So viel wie ein Eigenheim. Oder fast 5.000 Paar Schuhe. Wenn ich dem Mister erzähle, was wir da alles sparen, wird er mir Schuhkauf Nummer 150 bestimmt zugestehen.

Er versteht mich nicht

Was zum heiligen Schnürsenkel gibt’s da nicht zu verstehen? Ich frage meinen Mister, ob ich den Bikini vom Vorjahr in dieser Saison noch tragen kann. Der Kerl zuckt mit den Schultern und sagt allen Ernstes: »Ich verstehe jetzt die Frage nicht.«

Also wiederholt Dora laut und deutlich die Frage: »Kann ich den Bikini vom letzten Jahr noch mal anziehen?«

»Welchen Bikini?«, fragt der Mister. Gibt’s das?

»Den vom letzten Jahr, den ich in Barcelona gekauft habe. Der gelbe mit den aufgestickten schwarzen Blumen.« Der Mister schaut mich an, als hätte ich gerade die Frage aller Fragen (»Was ist eigentlich Abseits?«) gestellt. Er war doch dabei, als ich das Traumteil in einer winzigen Altstadtboutique entdeckt habe. Und jetzt weiß er nicht, wovon ich spreche? Ich hirsche ins Schlafzimmer und krame das Teil aus der Schublade. Einen Moment später platziere ich mich vor den Fernseher (wo mein Mister gerade ein haariges Monster durch eine Höhlenlandschaft jagt) und schwenke das 80-Euro-Stöffchen vor seiner Nase.

»Mein Monster!«, brüllt der Mister. »Ich sehe nichts!« Hinter mir stirbt gerade ein Computervieh. Muss er eben den Level noch mal spielen – bei Dora gibt’s nur eine Chance. Und die ist jetzt.

»Also?«, frage ich und drapiere das Oberteil über dem Shirt vor dem Busen.

»Passt der noch?«

Wie bitte? Ob der Bikini noch passt?

»Glaubst du, dass ich zugenommen habe?« Der Mister täte gut daran, das unterschwellige Knurren in meiner Stimme zu hören. Aber vor lauter Monstern scheint er völlig blockiert zu sein.

»Ich weiß nicht«, sagt er und legt den Joystick auf den Tisch. »Jetzt kann ich von vorne anfangen, Mist, der Level ist im Eimer.«

»Ja – hab ich oder hab ich nicht zugenommen?« Die Waage sagt: Dora hat sogar 200 Gramm abgenommen. Aber was ist mit der Wahrnehmung meines Wohnraummitbenutzers?

»Keine Ahnung. Ein bisschen vielleicht?«, sagt der Mister sehr, sehr vorsichtig und lässt den Blick über meinen Körper schweifen. Vier Jahre an meiner Seite haben ihn geprägt und ich sehe ihm an: Er weiß, wie dünn das Eis ist. Aber er ist eben auch ein typischer Mann. Und Männer wissen nicht, wann es besser ist, nichts zu sagen. Sie können tage- und wochenlang schweigen. Aber im entscheidenden Moment reißen sie die Klappe auf, statt einfach mal den Mund zu halten.

»Am Bauch vielleicht? Ist da mehr Speck? So ein kleines bisschen?« Der Mister zuckt zusammen, als ich einen Sprung auf ihn zu mache. Er hat Glück, dass mich der Couchtisch bremst. Was wehtut, sehr weh. Ich reibe mein Schienbein und fange an zu heulen.

»Ich habe sogar abgenommen. Und ich kann’s beweisen«, schluchze ich und hinke davon. Scheiße. Den neuen Rock kann ich erst mal im Schrank lassen. Das gibt einen fiesen blauen Fleck, der unter keiner Strumpfhose verschwindet. Aber das ist jetzt mein kleinstes Problem.

Im Schlafzimmer schäle ich mich aus Jeans und Bequemshirt. Der Push-up fliegt in die Ecke, der String hinterher. In null Komma nichts habe ich den Bikini an. Die gefütterten Cups heben meinen Busen auf genau das Maß, das ich ohne die Watte gern hätte. Und das Höschen sitzt perfekt – nichts klemmt. Ein paar Haare meiner intimsten Region schielen aus der Hose. Die muss ich nachher trimmen. Für den Moment genügt es, dass ich sie unter den Stoff stopfe. Ich und zugenommen? Der tickt nicht ganz richtig!

Obwohl … wenn ich genau hinsehe … Ich trete näher an den Spiegel, drehe mich ins Profil. War der Liebesring letzte Saison schon da? Unter dem Bauchnabel ist eine Beule, eindeutig. Ich ziehe den Bauch ein. Die Beule ist weg, aber lange kann ich so nicht stehen bleiben. Noch mal von vorne gucken. Die Taille war auch schon schmaler. Oder? Eigentlich nicht … Und die Waage sagt doch: Dora, du hast 200 Gramm weniger Masse. Herrschaftszeiten, wieso lasse ich mich vom Mister so verwirren? Ich bin knackig. Basta. Und was nicht knackig ist, wird im Schnelldurchlauf knackig gemacht.

Das Zaubermittel: meine sonnengelben Pumps. Zehn Zentimeter Absatz. Schwarze Blütenranken auf der Ferse. Weiches Leder. Ein Schnäppchen, von 179 Euro auf 129,99 runtergesetzt. Und sie sind jeden Cent wert: Das Gelb ist genau das Gelb des Bikinis und sie strecken meine Beine. Man kann ja über Heidi Klum sagen, was man will: Seit Germany’s Next Topmodel weiß jede Frau, dass hohe Schuhe aus einer Normalfigur eine Madonna machen. Und nur High Heels zaubern dank des extrem gestreckten Beines die Knubbel an meinen Knien weg. Fast jedenfalls.

Schnell noch ein bisschen Körperpuder aufs Dekolleté und schon schwebt Dora ins Wohnzimmer. Der Mister kniet auf dem Boden und sammelt die Erdnussflocken ein, die ich beim Zusammenprall mit dem Couchtisch in alle Richtungen geschossen habe. Ich bin eine Venus – da darf er gern niederknien.

»Und?«, sage ich und baue mich vor ihm auf. Der Mister sieht Titten und einen Arsch – und tut, was ihm die Hormone befehlen: Er pfeift.

»Wow«, sagt er. Ich drehe mich um die eigene Achse.

»Also? Kann ich den noch anziehen?«

»Du hast ihn doch schon an.«

»Ich meine, kann ich so unter die Leute gehen?«

»Ja, klar, kannst du, passt ja noch«, sagt er. Und schiebt ein »Sieht gut aus« hinterher. Ich bin geneigt, mich zu ihm herabzulassen, damit er die Bänder des Tops löst. Aber dann sagt er: »Aber die Schuhe sind doch bekloppt am Strand.«

Was dann passiert, geschieht von ganz allein. Ehrlich. Ich kann nichts dafür. Der rechte Pumps bohrt sich mit der Spitze in den Hintern des Misters. Der kippt nach vorne, stützt sich am Couchtisch ab und schmeißt dabei die Wasserkaraffe um. Sprudelwasser schwappt auf den Boden und die Erdnussflips saugen sich damit voll.

»Mann!«, brülle ich und mache auf der Hacke kehrt.

»Geht’s noch?«, brüllt der Mister zurück.

»Du hast echt keine Ahnung«, jaule ich und knalle die Tür zu meinem Schuhzimmer zu. Hier, in meiner heiligen Halle, zetere ich vor mich hin, während ich den Bikini aus- und die Jogginghose samt Schlabbershirt anziehe. Der Mister nennt das »Wohncontainer« – ich nenne es Wellness-Outfit. Aber er hat sowieso keine Ahnung von gar nichts. Dabei wäre es so einfach gewesen. Auf meine Frage, ob ich den Bikini noch tragen kann, hätte er sagen müssen: »Aber natürlich, mit deiner Figur kannst du alles tragen.«

Dann hätte ich gesagt: »Meinst du?« und er hätte heftig genickt. Und dann noch gesagt: »Aber gönn dir doch noch einen neuen, Schatz, hier ist meine Kreditkarte.« Ganz einfach, oder? Also – was zum Geier war an meiner Frage nicht zu verstehen?

Mein Bermuda-Dreieck

Samstag, 22.43 Uhr. Mein Mister ist auf dem Weg in die Nachtapotheke. Es ist ein absoluter Notfall: Ich habe eine Blase am kleinen Zeh und weit und breit ist kein Blasenpflaster zu finden.

Mister und ich sind ausgegangen, zum Tanzen. Man kann über ihn sagen, was man will: Tango Argentino beherrscht er perfekt. Wahrscheinlich, weil er dabei das Sagen hat und die Tanzpartner jeden Blickkontakt vermeiden wie der typische Mann einen Juwelierladen. Und reden muss er auch nicht. Die ca. 50 Worte, die so einem Kerl pro Tag zur Verfügung stehen, kann er also getrost tagsüber verpulvern und mich abends schweigend übers Parkett schieben.

Nur dann nicht, wenn ich, Dora, eine Blase am Fuß habe. Ja, okay, ich habe zwei Fehler gemacht:

Nummer eins: Man zieht keine Schuhe zum Tanzen an, die man noch nicht eingetragen hat.

Nummer zwei: Man schaut vor dem Ausgehen nach, ob man noch Blasenpflaster in der Handtasche hat.

Ich habe aber zwei gute Entschuldigungen:

Nummer eins: Die Schuhe kamen erst heute Mittag per UPS aus dem Onlineshop bei mir an. Und sie sehen dermaßen perfekt zu meinem schwarzen Kleid mit dem Volantrock aus, dass ich sie einfach nicht zu Hause lassen konnte.

Nummer zwei: Neulich hatte ich noch Blasenpflaster in der Handtasche.

Der Mister war so klug, sich jeden Kommentar zu verkneifen, nachdem ich nach nur einer knappen Stunde auf dem Parkett um eine Pause gebeten hatte. Er schwieg, als ich zu unserem Lieblingstisch in der Ecke hinter dem Pfeiler humpelte. Und er hielt die Klappe, als ich den rechten Schuh unter dem Tisch abstreifte und ihm den Fuß mit dem pochenden kleinen Zeh auf den Schoß legte. Aber dann machte er einen Fehler: Er kommentierte meine Suche nach dem Blasenpflaster wie ein Sportreporter die Bundesliga.

Warum schweigen Männer tage- und wochenlang und machen exakt in den Momenten den Mund auf, wenn sie nichts sagen sollten?

Frau Dora öffnet also den Reißverschluss der Tasche. Es ist die perfekte Tasche, nach der ich jahrelang gesucht habe: weiches schwarzes Leder, lange Trageriemen, sechs (!) Innentaschen, Karabiner außen für den Hausschlüssel und das alles in Shoppergröße für nur 299 Euro. Mister öffnet den Mund:

»Die Hände tauchen ab ins Nirwana. Dort wird gerührt wie in einer Teigschüssel. Da! Der Lippenstift landet auf der Tischdecke. Daneben das Portemonnaie, gefolgt von einem zweiten Lippenstift. Wieder wird gegraben und ja, liebe Zuschauer, da ist ein Päckchen Kaugummis, eine Bürste, ein kleines Haarspray!«

»Halt die Klappe«, herrsche ich ihn an und packe Handy, Ersatzstrümpfe und einen blauen Nagellack (da war der also!) aus. Ich finde eine Tube Handcreme, ein Mini-Parfum und die Quittung vom letzten Besuch bei Enzo. Außerdem einen halb gegessenen Müsliriegel und einen Schnuller (den muss Vivien bei mir deponiert haben!).

»Ladies and Gentlemen«, platzt der Mister heraus, »der Berg auf dem Tisch wächst ins Unermessliche und noch immer fördert Dora spannende Dinge zutage: Hier kommt ein Ohrring, gefolgt von einer Packung Taschentücher und ja, unglaublich, nun gesellt sich zu all den Dingen noch eine Sonnenbrille!«

»Halt! Die! Klappe!«

Ich werfe ein Pfefferminzbonbon nach dem Mister, aber der duckt sich geschickt weg, sodass das klebrige Teil an seinem Kopf vorbeisegelt und direkt auf dem Nachbartisch landet. Zum Glück sitzt dort gerade keiner.

»Fast ein Tor!« Der Mister grinst und fährt mit der Reportage fort: »Langsam müsste der Bodensatz der Bermuda-Tasche erreicht sein, meine Damen und Herren, aber hier kommen noch ein Taschenspiegel, ein Deostift, eine Dollarnote und ein Kugelschreiber ans Tageslicht.«

»Klappe halten!«, brülle ich und rühre verzweifelt in der Tasche. Verdammt noch eins, wo sind die verfluchten Blasenpflaster? Mein Zeh pocht, ich schwitze und meine Laune ist auf dem Nullpunkt.

»Liebe Zuhörer!«, macht der Mister weiter. Und dann macht er ein quiekendes Geräusch und verzieht gequält den Mund. Das würde ich an seiner Stelle auch tun, denn mein Zeh bohrt sich direkt in sein Allerheiligstes.

»Du gehst jetzt sofort in die Nachtapotheke und holst mir Blasenpflaster, sonst …« Mein Zeh bohrt sich noch etwas tiefer in die Samenfabrik.

Mister reißt die Augen auf. Ganz weit. Dann nickt er stumm und rutscht mit dem Stuhl nach hinten. Mein Bein schwebt einen Moment in der Luft, dann knallt die Ferse auf den Boden. Spitze, nun tut die auch noch weh. Jetzt ist es an mir, ein quiekendes Geräusch zu machen.

»Kleine Sünden …«, sagt der Mister und haucht mir einen Kuss auf die Wange. »Weißt du, Dora, ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen und wie sie es bekommen.«

Na bitte! Böse Mädchen kommen eben doch überallhin. Mister rauscht davon und ich räume meine Utensilien zurück in die Tasche. Es ist wirklich fast die perfekte Tasche – bis auf ein paar Kleinigkeiten. Ich wünsche mir eine Förderschnecke, die auf Knopfdruck genau das nach oben fährt, was ich brauche. Frauen, habe ich gelesen, verbringen Jahre ihres Lebens mit Suchen nach Dingen, die sich im Bermuda-Dreieck ihrer Handtaschen verschanzt haben. Vielleicht würde statt einer Förderschnecke auch ein Kompass reichen, in kleinen Abend-Täschchen ist der besser unterzubringen. Hilfreich wäre auch eine Innenraumbeleuchtung. Was in Autos funktioniert, dürfte doch bei einer simplen Tasche kein Problem sein. Okay, Männer tragen selten Taschen und weil die meisten Designer Männer sind, kam noch keiner auf die Idee. Ich trete meine Idee gern ab! Außerdem: Egal wohin wir gehen, mein Mister hat immer irgendeine Kleinigkeit, die er nicht in seinen Hosen- und Jackentaschen verstauen kann und die ich dann in meiner Tasche deponieren muss: Das Navi (früher: der Stadtplan), die Kamera oder das Ladegerät fürs Handy. Somit ist meine Handtasche also auch eine externe Herrenhandtasche. Und mein Mister kann froh sein, dass er nicht mit einem unmännlichen Beutel am Handgelenk rumlaufen muss. Jawoll.

Weil ich mir die Wartezeit ja irgendwie verkürzen muss, gucke ich noch in alle Seitenfächer. Richtig, die kleine Taschenlampe ist dort (für den Notfall, wenn ich nach Hause laufe und wegen Stromausfalls alle Straßenlaternen düster bleiben). Die Nagelfeile (auch für Notfälle) und die Blasenpflaster.