Ein seltsamer Verein - Young-Ha Kim - E-Book

Ein seltsamer Verein E-Book

Young-Ha Kim

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Beschreibung

Liebe, Sex und Leben. Keiner ist mehr in nur einer Welt. Mehrfach-realitäten, Internet, Handys. Ein schneller Wandel. Grenzen zwischen Erlebtem und Fiktion verschwimmen. 10 atemberaubende Kurzthriller. Gänsehaut, Suspensegefühl, Erotik. Schauplatz der Handlung der neuen Erzählungen von Kim Young-ha ist meist das gegenwärtige Südkorea. Ein zufälliges Aufeinanderprallen in der U-Bahn. Die Frau, eine Schauspielerin, findet danach einen Piepser in ihrer Tasche. Sie wartet auf die Vibration, darauf, dass der Unbekannte Kontakt aufnimmt, während sie eine Sexszene dreht. Am Ende aber sieht alles anders aus. Eine Kaufhausdiebin. Menschen, die sich einen ekstatischen Kick durch Blitze holen. Ein Mord. Kleine Geschehnisse, scheinbare Zufälle, bringen die Welt der ProtagonistInnen durcheinander. Und dann beginnt die Zeit manchmal, rückwärts zu laufen.

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Kim Young-ha EIN SELTSAMER VEREIN

10 Kurzthriller aus dem Koreanischen von Hoo Naam Seelmann und Rudolf Bussmann

konkursbuchVerlag Claudia Gehrke

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Zum Buch

Christmas Carol

Eine Reise

Der Pager

Geliebter Schraubenzieher

Mord im Fotoshop

Der Vampir

Der Umzug

Ein seltsamer Verein

Herr Cho

Dein Baum

Zum Autor

Impressum

Zum Buch

In seinen 10 Miniatur-Thrillern erzählt der Autor KimYoung-Ha mit Raffinesse von der jungen Generation Südkoreas. In nüchterner, spröder Sprache geht es um Dramen, die sich zwischen den Figuren und in ihrem Inneren abspielen. In einigen Geschichten spielt ein Mord eine Rolle, andere durchzieht die Ahnung eines Ereignisses, das die Welt der Protagonisten auf den Kopf stellen wird. Korea ist hin- und hergerissen zwischen modernem Rationalismus und traditionellen Werten. Der Widerspruch geht oft mitten durch die Figuren In Korea hat sich der Wandel zum elektronischen Zeitalter in rasender Geschwindigkeit vollzogen.Die Suche nach dem, was sich jenseits von Schein und Wahn als Wahrheit erweisen könnte, durchzieht die Geschichten wie ein roter Faden. Oft vermögen die Protagonisten die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderzuhalten und werden zu Gefangenen ihrer fixen Ideen. Ihre Fluchten gelingen nicht immer, sie geraten in einen Strudel aus Leidenschaft, Gewalt und Obsessionen.Kim schafft es, in diesen kurzen Geschichten eine Atmosphäre zu erzeugen, wie sie sonst nur in Romanen zu finden ist – nach der Lektüre einer Geschichte hat man das Gefühl, einen Schmöker gelesen zu haben ...

Christmas Carol

Du hast bestimmt die Nachrichten gesehen. Sollten wir uns nicht treffen? Es war Jong-Sik, der am Telefon den Vorschlag gemacht hatte. Hast du Chung-Kwon informiert? Nein? Dann werde ich es tun. Young-Su drückte die Taste und wählte bedächtig die Nummer von Chung-Kwon. Der war nicht zu erreichen. Zu Hause schien er nicht zu sein und sein Handy war ausgeschaltet. Wo der Kerl wohl stecken mag? Young-Su schmiss das Telefon auf das Sofa und stand auf. Was ist denn eigentlich los? Seine Frau musterte ihn argwöhnisch. Wusste sie etwas? Oh, nichts, gar nichts, es ist wegen der Verabredung für Silvester. Was, wieder eine Sauferei! Betrinkt euch nicht ständig! Umkippen, und das war’s dann. Das Ende wird schneller kommen, als ihr denkt. Seine Frau war mit der Abfalltüte in der Hand unterwegs zur Wohnungstür. Ich bringe schnell den Müll weg. Als sie draußen war, versuchte Young-Su noch einmal, Chung-Kwon zu erreichen, ohne Erfolg. Wäre es möglich, dass er es getan hat? Young-Su rief erneut Jong-Sik an. Bist du es, Jong-Sik? Ich bekomme Chung-Kwon einfach nicht an die Strippe. Die Stille hockte sich wie ein Untier zwischen die beiden Männer. Derselbe Gedanke fraß an ihnen. Vielleicht …? Nein. Soweit kann er nicht gegangen sein. Niemals. Nein, bestimmt nicht, das tut einer nicht einfach so. Okay denn. Sollten nicht wir zwei uns wenigstens treffen? Ja, das sollten wir. Was schlägst du vor? Gut, der Ort ist ausgezeichnet, wann? Um 16 Uhr? Ist das nicht eine ungünstige Zeit, so mitten im Nachmittag? Genau, 17 Uhr ist besser. Wir plaudern ein wenig und gehen zusammen essen. In Ordnung, alles okay. Seine Frau hatte den Müll entsorgt und kehrte mit einem knallroten Briefumschlag in der Hand zurück. Dieses komische Ding war im Briefkasten. Was ist das? Keine Ahnung, sieht wie eine Weihnachtskarte aus. Wer schickt dir denn eine Weihnachtskarte? Das ist ja doch seltsam. Mürrisch warf sie den Umschlag Young-Su zu. Sie verschwand in die Küche, aber der Umschlag schien ihre Neugier geweckt zu haben. Willst du ihn nicht öffnen? Young-Su hatte einen flüchtigen Blick darauf geworfen. Links oben stand in kleiner Schrift der Absender: Zin-Suk. Wer ist das? Keine Ahnung, ehrlich. Young-Su riss den Umschlag auf. Aus dem Umschlag sprang, wie von einer verborgenen Sprungfeder getrieben, Santa Claus heraus, dazu erklang eine elektronische Melodie, die Orgelklang imitierte. Ding, ding, ding … Santa Claus is coming to town. Frohe Weihnachten wünscht Zin-Suk. Ziemlich lange her, seit ich selber solche Karten verschickte. Erinnerst du dich? Muss ungefähr vor zehn Jahren gewesen sein. Seine Frau hielt es nicht mehr in der Küche, sie kam ins Wohnzimmer. Was ist das denn für eine Karte? Bevor Young-Su sich’s versah, war die Karte in ihrer Hand. Ihr Gesicht wurde aschfahl. Zin-Suk? Ist das jene Zin-Suk? Wie kommt sie dazu, dir eine solche Karte zu schicken? Ihr zwei hattet etwas miteinander, was? Hast du sie getroffen? Wann war das? Was soll das Ganze? Hast du die Karte durch die Luft geschwenkt, damit ich in Bewunderung ausbreche? Treibt ihr ein mieses Spiel oder was? Und was soll diese lächerliche Musik? Heißt das etwa, dass ich hier verschwinden soll? Young-Su wartete schweigend, bis der Hagel von Fragen, der auf ihn niederprasselte, vorbei war und sie sich etwas beruhigt hatte. Hör bloß auf damit. Womit soll ich aufhören? Ich habe noch gar nicht angefangen. Schon gut, schon gut, hör damit bloß auf. Warum soll ich aufhören? Weil Zin-Suk nicht mehr am Leben ist. Sie ist tot? Wann ist sie denn gestorben? Wie kann sie eine Karte schicken, wenn sie tot ist? Es ist ja nur wenige Tage her. Young-Su holte die Zeitung, die zusammengefaltet unter dem Couchtisch lag. In Deutschland lebende Koreanerin unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Die am 15. Dezember nach Korea zurückgekehrte Deutschkoreanerin wurde in ihrem Pensionszimmer im Bezirk Chang-chun in Seoul ermordet aufgefunden. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen. Entdeckt wurde der Leichnam vom Personal, das wegen der verdächtigen Stille im Zimmer – es ging gegen Mittag – misstrauisch geworden war. Aufgrund von Indizien geht die Polizei von einem Rache- oder Eifersuchtsmord aus und ermittelt unter dem engeren Umkreis des Opfers. Bemerkenswert ist zum einen die Tatsache, dass Geldbeutel und Wertsachen des Opfers unberührt geblieben sind. Zum andern wurde das Opfer mit einer spitzen Waffe verstümmelt. Seine Frau hatte den Kopf tief in der Zeitung. Du wirst es doch nicht gewesen sein, oder? Ihr Mann sprang wie gestochen auf. Bist du wahnsinnig? Weißt du, was du da sagst, Lee Suk-Gyong? Komm her, komm her zu mir. Schau mich genau an. Young-Su schrie, bis seine Stimme trocken und brüchig wurde. Wenn du es nicht warst, ist ja alles in Ordnung. Sie stand auf und ging in die Küche. Wie sie so vor dem Spülbecken stand, kam sie ihm ganz irreal vor, wie mit dem Fotoapparat weggezoomt. Krieg ohne Schießlärm, Waffenstillstand ohne Verhandlung. Das Paar schwieg, jeder ging der eigenen Tätigkeit nach. Young-Su schaltete den Fernseher ein, Suk-Gyong hantierte in der Küche. Sie säuberte Lauch und bereitete den Seeteufel zum Kochen vor. Bevor sie die Bohnensprossen zu sortieren begann, ging sie an ihrem Mann vorbei, der auf dem Sofa saß, und holte die Zeitung vom Couchtisch. Sie kippte die Packung Keimlinge darauf und die deckten den Bericht über Zin-Suk ab. Aber zwischen den Sprossen hindurch waren immer wieder Zeilen lesbar. Deutsch … tot … Die am 15. Dezember … Deutschkoreanerin … Zimmer … Bezirk … Seoul … aufgefunden. Die Polizei hat Ermittlungen … Stille … misstrauisch … … Rache oder Eifersucht … … verstümmelt … … … Je mehr Keimlinge sortiert in der Schüssel landeten, desto mehr gewannen die Zeilen ihre Bedeutung zurück. Zin-Suk ist tot. Jemand hat ihr Zimmer in der Pension betreten und sie getötet. Schlimmer noch: mit einer spitzen Waffe verstümmelt. Suk-Gyong warf einen Blick ins Wohnzimmer. Ihr Mann kaute noch immer an seinen Fingernägeln. Die Beine hatte er auf den Couchtisch gelegt und bewegte die Zehen. Seine Haltung verriet höchste innere Unruhe. Hat etwa er sie getötet? Suk-Gyong brach die Köpfe der Keimlinge mit mehr Kraft ab, als nötig gewesen wäre. Ist nicht jedermann fähig, einen Mord zu begehen? Nein ausgeschlossen, dass einer wie er, ein so gewöhnlicher Mensch, sich ein Messer besorgte, in die Pension eindrang und etwas tat, was sein Leben grundlegend verändern würde. Dafür kannte sie ihn zu gut. Er hatte zum Beispiel nie in seinem Leben etwas auf Kredit gekauft. Auch war er nicht der Typ, der etwas entschlossen anpackte. Selbst die Eigentumswohnung, in der sie lebten, hätten sie niemals erworben, wenn nicht sie gehandelt hätte. Ich bin dagegen, Schulden zu machen. Er hatte immer nur den Kopf geschüttelt. 20 Millionen Won Schulden, das ist doch ein Klacks! Schulden sind Schulden. Du brauchst sie auch gar nicht zurückzahlen. Wer soll sie denn zurückzahlen? Ich werde es tun. So einer wie er kann Zin-Suk nicht ermordet haben. Jedes Mal, wenn es um die Finanzierung ging, wollte er peinlich genau geklärt haben, wessen Geld es sei. Jedermann weiß, was für ein schrecklicher Pedant er ist. Ob Zin-Suk Geld verlangt hat? Unwahrscheinlich. Hatte sie es nötig? Falls ja, würde ein Buchhalter wie Jang Young-Su kaum mit einem Messer in der Hand in ihr Pensionszimmer eingedrungen sein. Und wenn er die Tat dennoch begangen hat? Freiheit. Der Gedanke an Freiheit war der erste, der ihr durch den Kopf ging. Ja, sie wäre frei. Sollte er den Mord tatsächlich begangen, dieses schreckliche Blutbad angerichtet haben, würde er im Mindesten zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt werden. In diesem Fall würde sie natürlich nicht nur über die bei der Heirat erworbene Eigentumswohnung verfügen, sondern auch über das gemeinsame Vermögen. Eine Scheidung dürfte kein großes Problem darstellen, die Fortführung der Ehe, an deren Scheitern er die alleinige Schuld trug, wäre unzumutbar. Damit alles formell korrekt über die Bühne ging, hätte man einiges an Anwaltskosten aufzuwenden. Das war nicht zu umgehen, die Formalitäten waren notwendig. Bei einem Autounfall wäre die Sache um einiges interessanter, er hatte eine Lebensversicherung. Aber mit so etwas konnte man nicht rechnen. Oh! Die Klinge des Küchenmessers hatte den Nagel des Zeigefingers gestreift. Sie hatte sich zum Glück nicht verletzt, doch war sie erschrocken. Welchen Gedanken sie da nachgehangen hatte! Sie schüttelte den Kopf. Sie sah Zin-Suk in ihrem Blut auf dem Boden des Pensionszimmers liegen. Wie mochte ihr zumute gewesen sein, als das Blut so aus ihrem Körper floss, hatte sie allmählich das Bewusstsein verloren wie nach der Einnahme eines Schlafmittels? Zin-Suk war schon immer leichtsinnig gewesen, um nicht zu sagen liederlich. Sie war aus dem Studentenwohnheim geflogen, noch bevor sie ein Jahr dort gewesen war – sie hatte dreimal unerlaubt auswärts übernachtet. Es waren Gerüchte im Umlauf, sie gehe mit Männern ins Bett. Klar, dass darunter auch Young-Su sein musste. Ihr Mann hatte heftig widersprochen und das Gerücht in Abrede gestellt. Alles frei erfunden! Ich kenne sie halt, eine Bekannte, mehr nicht. Sie hat ja einen ganzen Schwarm. Zin-Suk wohnte Suk-Gyong gegenüber. Einmal, wirklich nur dieses eine Mal, hatte sie es getan. Suk-Gyong presste die Lippen zusammen, während sie die gesäuberten Bohnensprossen in den Topf kippte. Einmal hatte sie ein Stück Unterwäsche von Zin-Suk geklaut. Die Unterwäsche von Zin-Suk, die in komplizierten Männerbeziehungen lebte, war ein begehrtes Ziel für Diebinnen gewesen. Ich aber war anders. Die Gründe, Suk-Gyong blickte zur Decke, ich meine, warum ich es getan habe, die Gründe sie senkte den Kopf. Nein. Ich war nicht anders als die anderen. Ich hasste sie, das war es. Und zugleich beneidete ich sie. Dennoch war es anders bei mir. Nicht warum ich es tat, war anders, sondern wie ich es tat. Die anderen rissen die Wäsche einfach von der Leine, ich aber drang in ihr Zimmer ein und wählte sie aus ihrem Wäschekorb aus. Was ich damals mit dem Unterhöschen machte? Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich es in die Toilette geworfen. Ja bestimmt. Im Studentenwohnheim war Diebstahl gang und gäbe. Jeden Tag stahl jemand von jemandem etwas. Auch ihr selber wurden Kosmetika, Unterwäsche, ja sogar die Uhr gestohlen. Sicher ist etwas davon auch bei Zin-Suk gelandet. Verdammtes Luder! Mit jedem schlief sie, ein leichtsinniges Mädchen war sie, eine Schlampe. Besaß reizende Höschen en masse. Wo hast du all die Sachen gekauft, fragten sie die Studentinnen. Sie antwortete in ihrer unverblümten Art, oh, das sind alles Geschenke. Dass man Höschen schenken konnte, überraschte die Studentinnen im Wohnheim. Sie brachten den Mund nicht mehr zu. Zu welchem Anlass denn? Oh, dieses hier war zum Geburtstag, jenes zu Weihnachten. Tatsächlich war auf dem Höschen, auf das sie wies, der Weihnachtsmann aufgedruckt. Ist die nicht total bescheuert? Suk-Gyong blickte ihre Zimmergenossin an. Diese erwiderte ohne zu überlegen: Die? Aber gewiss ist sie bescheuert. Kennst du ihren Spitznamen? Automat. Wer sagt das? Ein Bekannter. Der ganze Fachbereich nennt sie so. Weiß sie etwas davon? Kaum. Aber jemand schien ihr zu berichten, was die anderen über sie erzählten. Einige Zeit wirkte Zin-Suk niedergeschlagen, doch bald war sie wie eh und je. Eigentlich war sie nicht besonders hübsch. Sie sah wie die Tochter eines Provinzbahnhofsvorstehers aus, etwas mollig und durchaus gewöhnlich. Wie sie mit diesem Äußeren zu ihren unzähligen Männerbekanntschaften kam, blieb für Suk-Gyong ein Rätsel. Ihr Blick fiel wieder auf die am Boden liegende Zeitung. Mysteriöser Todesfall. Wer mochte Zin-Suk getötet haben? Sie hatte Korea vor mehr als zehn Jahren verlassen und in der Zwischenzeit bestimmt unzählige Männer kennengelernt. Einer von ihnen war es gewesen, ganz gewiss. Und wenn ihr Mann es war? Zu Beginn wäre es sicher lästig, viel Lärm würde um die Sache entstehen. Es gäbe Untersuchungen, Besuche von Kriminalkommissaren und Journalisten. Die Verwandten ihres Mannes würden auftauchen und die Wohnung besetzt halten. Oh, endlich würde Leben in die Bude kommen! Zweifellos wäre es eine aufregende Erfahrung, Ehefrau eines Mörders zu sein. Haben Sie geahnt, dass Ihr Mann ein Verbrecher ist? Von Frauenmagazinen käme eine Flut von Anfragen für ein Interview. Mein Mann war der Mörder! Großartige Schlagzeilen gäbe das. Das Eheleben mit dem Frauenmörder, das Abendessen mit dem Frauenmörder, die Hochzeitsreise mit dem Frauenmörder. Die Leute wären auf alles neugierig. Während sich ihre Gedanken diesen Fantasien hingaben, machte sich ihr Mann bereit auszugehen. Wohin gehst du? Ich gehe kurz weg. Sag mir wohin, ich will es wissen. Jong-Sik hat vorhin angerufen, ich treffe mich mit ihm. Nach dem Abendessen komme ich nach Hause. Dass ich schon lange dabei bin, den Seeteufel zuzubereiten, hast du wohl nicht bemerkt? Warum musst du ihn denn treffen? Oh, ich verstehe. Zin-Suk ist gestorben, und du gehst, um sie zu beweinen. Wollt ihr Liebhaber euch versammeln, um ein Klagelied anzustimmen? Young-Su zog schweigend den Mantel an und wickelte den Schal um den Hals. Während er den Schuhlöffel zwischen Ferse und Schuh schob, protestierte er leise. Wie kannst du einen solchen Unsinn reden? Suk-Gyong wollte ihm etwas nachrufen, da war die Tür schon ins Schloss gefallen. Sie schmiss die Schöpfkelle ins Spülbecken. Gemeiner Hund! Young-Su hatte das Haus verlassen und ließ seinen fülligen Leib ins Auto plumpsen, das vor dem Wohnblock abgestellt war. Die Masse seines Bauchs quoll über den Sicherheitsgurt. Hässlich, dieser Körper. Das Auto schwankte leicht, als es davon fuhr. Jedes Mal, wenn er an einer Ampel anhalten musste, versuchte er Chung-Kwon anzurufen, aber er erreichte ihn nicht. Am verabredeten Ort wartete Jong-Sik bereits auf ihn. Jong-Siks Gesichtsausdruck war düster. Er blickte schräg zu Young-Su hoch, ohne ihn zu grüßen. Uns zu treffen ist vielleicht nicht ungefährlich, wie? Bringen Sie uns bitte Kaffee, ach, egal was für einen, irgendein gutes Gebräu. Was sagst du da? Haben wir etwas Verbotenes getan oder was? Warum sollen wir uns nicht treffen, bitte schön? Jong-Sik nahm ein Bonbon, wickelte es aus und steckte es in den Mund. Ich meine, wir könnten doch, verdammt noch mal, Verdacht erregen. Genau genommen gibt es keinen Grund, warum wir uns treffen sollten. Die Kerle da hinten, sind das nicht Bullen? Jong-Sik zeigte auf die Männer in der Ecke. Ich glaube nicht. Bullen haben keinen Anzug an. Es gibt aber auch welche in Anzügen. Young-Su erhielt seinen Kaffee, von dem er mit lautem Schlürfen einen Schluck nahm. Bist du … du bist es doch nicht gewesen? Young-Su stellte die Frage, ohne seine Augen von der Kaffeetasse zu heben. Nun, eines weiß ich ganz sicher. Mit aggressivem Schnalzen schob Jong-Sik das Bonbon in seinem Mund hin und her. Ich bin nicht derjenige, der Zin-Suk getötet hat. Wer war es denn? Die Blicke der beiden trafen sich zum ersten Mal. Möglich, dass der Scheißkerl es war. Chung-Kwon lebt doch in getrennter Ehe, oder? Uh, wie ist das Zeug bitter! Young-Su hatte vergessen, Zucker in den Kaffee zu tun. Zerstreut kippte er zwei Teelöffel voll in die Tasse. Was hat die Trennung denn mit dem Mord zu tun? In Jong-Siks Frage lag wenig Überzeugung. Der Idiot! Er soll auch Bankrott gemacht haben. Was für ein Geschäft hatte er überhaupt? Chicken chain. Verkaufte Hühnchen, tagsüber zusätzlich Kaffee und Fleischspieße, glaube ich, aber ich weiß nichts Genaues. Als er Bankrott machte, trennten sich seine Frau und er. Hatte er nicht früher einige Zeit mit Zin-Suk zusammengelebt? Nicht eigentlich. Wahrscheinlich schlief er einige Male mit ihr. Zin-Suk ist ab und zu in seine Studentenbude gekommen. Hast du damals nicht überhaupt das Zimmer mit ihm geteilt, Young-Su? Oh, nur kurz, ich glaube höchstens einige Monate, wenn ich mich richtig erinnere. Zin-Suk war leichtsinnig, das ist schon wahr. Leichtsinnig? Ich würde eher sagen, ein bisschen beschränkt. Grauenhaft, man soll mit einem Messer auf sie eingestochen haben. Welcher Dreckskerl kann es gewesen sein? Und warum? Warum auf diese Weise? Es wäre doch einfacher gewesen, ihr den Hals zuzudrücken. Wäre auch schneller gegangen. Er atmete schwer. Ich meine nur. Hast du aufgehört zu rauchen? Ja, vor kurzem. Verräter! Es heißt, mit Kerlen, die aufhören zu rauchen oder die beim Kartenspiel ständig gewinnen, solle man sich nicht einlassen. Du solltest damit auch aufhören. Wie du siehst, bin ich eigentlich ganz zufrieden. In dieser teuflischen Situation kann ich nicht daran denken mit Rauchen aufzuhören. Was meinst du mit teuflischer Situation? Hat sich etwa die Polizei bei dir gemeldet? Bei mir nicht. Und bei dir? Auch nicht. Meinst du, die Polizei hat Wind von unserem Treffen bekommen? Natürlich nicht. Wie sollte sie davon wissen! Es war dumm von mir, dass ich dorthin gekommen bin. Ich kam nur, weil ihr, du und Chung-Kwon, hingehen wolltet. Wer konnte ahnen, dass so etwas passieren würde! Die beiden saßen eine Weile schweigend da. Es passierte doch gar nichts Außergewöhnliches an jenem Abend. Ja, das denke ich auch. Zin-Suk trank mit uns zusammen und ging anschließend in die Pension zurück, nicht? Sie muss dort jemanden getroffen haben. Oder jemand hat sie dort aufgesucht. Oder sie hatte jemanden zu sich bestellt. Wer kann es gewesen sein? Wenn man das wüsste. Sie kannte so viele Männer. Jong-Sik kniff die Augen zusammen. Bist du anschließend direkt nach Hause gegangen? Young-Su schmiss die Zigarette in den Aschenbecher. Verdächtigst du etwa mich? Ausgerechnet du? Oh, ich frage nur, ich wollte nur wissen, ich meine, ob du ohne Zwischenfall nach Hause gekommen bist. Wie auch immer, es kann lästig werden. Was denn? Die Polizei wird bestimmt ihr Adressbuch und anderes durchsuchen. Dann wird sie auf Notizen zu Verabredungen stoßen. So oder so stehen da sicher unsere Telefonnummern. Young-Su nahm die Zigarette vom Aschenbecher wieder auf und fuhr fort zu rauchen. Warum machst du dir Sorgen? Wenn man unschuldig ist, gibt es doch nichts zu befürchten. Das ist nicht das Problem. In zwei Tagen muss ich dienstlich ins Ausland reisen. Wenn die Polizei meinen Namen entdeckt und zu mir kommt, um mich zu befragen, und ich bin ins Ausland gereist, wird sie mich doch als Ersten verdächtigen, verstehst du? Oder meinst du nicht? Weiß nicht. Vielleicht wird dir die Reise auch untersagt. Heutzutage wird das Reisen schnell mal verboten, schon beim geringsten Verdacht. Ich bin in einer furchtbaren Situation, niemand außer mir weiß im Geschäft Bescheid über die Angelegenheit, um die es im Ausland geht. Ohne mich kommen die Verträge über die Beteiligung an einer Möbelausstellung nicht zustande. Kannst du dir vorstellen, wie wichtig die Sache ist? Wie kann ich das meinem Chef begreiflich machen? Leider müssen wir das Ausstellungsprojekt aufgeben, ich wurde mit einem Ausreiseverbot belegt. Ich war in einen Mordfall verwickelt. Oder soll ich sagen, das Verbot komme daher, dass ich mit einer Frau, die ich vor mehr als zehn Jahren kennenlernte und die aus dem Ausland zurückgekehrt war, den letzten Abend verbrachte, bevor sie ermordet aufgefunden wurde? Young-Su hob die Hand, um Jong-Siks Wortschwall zu bremsen. Wieso lässt du deine Wut an mir aus? Habe ich dir die Ausreise untersagt? Außerdem ist keineswegs sicher, dass deine Reise verboten wird. Also beruhige dich. Weiß deine Frau etwas davon? Diese verdammte Weihnachtskarte … deswegen ist bei mir zu Hause … Moment mal, Weihnachtskarte? Welche Weihnachtskarte? Zin-Suk hat eine Weihnachtskarte an unsere Adresse geschickt. Meine Frau sah sie und regte sich fürchterlich auf. Ich kann nicht verstehen, dass sie sich deswegen gebärdet wie eine Wahnsinnige. Bin ich vielleicht mit Zin-Suk ins Bett gegangen? Bist du doch. Ich? Wann denn? Früher. Ach, das ist eine alte Geschichte. Wie war das mit der Weihnachtskarte? Erzähl, Mensch! Steckte sie in einem roten Umschlag drin? Ja, knallrot; ist sie ein pubertierendes Mädchen oder was? Wie kommt sie bloß auf eine Weihnachtskarte! Jong-Sik sprang erschrocken auf. Was erzählst du da? Als ich mich vorhin auf den Weg machte, sah ich im Briefkasten einen roten Umschlag stecken. Ich dachte, es handle sich um eine Werbesendung. Verdammt noch mal, der muss von Zin-Suk sein. Verfluchtes Luder. Sie macht einem noch im Tod Schwierigkeiten. Du, ich muss gehen. Jong-Sik steckte an der Theke einige Bonbons ein, als er das Café verließ. Kaum saß er im Auto, schob er eins in den Mund. Einige Male ließ er das Bonbon im Mund herumwandern, dann zerbiss er es mit aller Kraft. Nach kaum zehn Minuten war er zu Hause. Glück gehabt, die Weihnachtskarte steckte noch immer im Briefkasten. Seine Frau kannte zwar Zin-Suk nicht, aber sie wäre über eine solche Karte kaum sehr erfreut. Jong-Sik war gerade dabei, den Umschlag aus dem Briefkasten zu ziehen, da trat jemand neben ihn. Sind Sie Herr Lee, Lee Jong-Sik? Wir täuschen uns doch nicht, oder? Wir müssen Sie bitten mit uns zu kommen. Nein, nicht hier ins Haus. Sie halten sich wohl für eine Berühmtheit und denken, wir möchten Sie in Ihrer Wohnung besuchen? Jong-Sik, der schweigend zum Auto folgte, blieb mitten im Gehen stehen. Er befreite sich so sanft wie möglich aus der Umklammerung der Männer, damit diese ja nicht meinten, er versuche zu entkommen. Den roten Briefumschlag in der Hand, ging er zum Briefkasten zurück. Ich muss die Post wieder in den Briefkasten tun, sie ist für meine Frau. Während der eine Beamte Jong-Sik ins Auto einsteigen ließ, ging der andere gemessenen Schrittes zum Briefkasten und zog den Umschlag wieder heraus. Wie können Sie in unserer Post herumwühlen? Legen Sie den Brief gefälligst dorthin zurück, woher Sie ihn genommen haben. Hören Sie, ich werde Sie anzeigen. Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl? Der Beamte steckte den Umschlag, ohne den Widerstand Jong-Siks zu beachten, in die Innentasche seiner Jacke und setzte sich auf den Beifahrersitz. Fahren wir. Das Auto verließ den Parkplatz des Hochhauses. Der Brief stammt vom Opfer. Der Kriminalbeamte auf dem Beifahrersitz grinste. Er war sichtlich zufrieden, etwas gefunden zu haben, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Opfer stand. Leg ihm Handschellen an, befahl er. Sein Kollege auf dem Rücksitz legte Jong-Sik die Handschellen an. Jong-Sik dämmerte, dass er als jemand angesehen wurde, der versucht hatte, etwas zu vertuschen. Er gab sich gelassen. Es handelt sich um ein Missverständnis, Sie verhaften einen Unschuldigen. Ich frage Sie: Warum tun Sie mir das an? Er erhielt keine Antwort. Kommissare schienen mit Verdächtigen unterwegs so viel zu sprechen wie ein Getränketransporteur mit Colaflaschen oder ein Händler auf dem Viehmarkt mit Kälbern. Im Hauptquartier führte man Jong-Sik zum Verhör und begann mit der offiziellen Vernehmung. Dunkler Raum, flackernde Neonröhre, Schreibmaschine. Dieses Ambiente kam nur in Filmen vor. Hier gab es nichts davon, es sah eher aus wie auf dem Steueramt. Vor gelangweilt blickenden Beamten saßen Bürger in unterwürfiger Haltung und versuchten sich verständlich zu machen. Alter? Beruf? Jong-Sik antwortete offen auf alle Fragen, vielmehr, er versuchte den entsprechenden Eindruck zu erwecken. Ich habe nichts zu verbergen, ich habe keinen Grund dazu. Fragen Sie, was immer Sie wollen. Aber diese Strategie wollte ihm nicht recht gelingen. Vielmehr schien es ihm, was er von sich gäbe, klänge wie eine billige Ausrede. Er hatte das Gefühl, die aus seinem Munde kommenden Worte verwandelten sich wie in einem bösen Märchen in Schlangen und Kröten. Ich kannte Zin-Suk von früher, das ist alles. Es ist doch nichts Unübliches, sich mit alten Studienfreunden zu treffen. Sie war nach langem Auslandaufenthalt in die Heimat zurückgekehrt. Es bot sich die Gelegenheit, auch einige alte Freunde wiederzusehen, und so haben wir uns alle zusammengefunden, sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Warum in aller Welt hätte ich auf eine alte Bekannte, die ich nach so langer Zeit wiedersah, mit dem Messer einstechen sollen? Dazu hatte ich wahrhaftig keinen Grund. Überlegen Sie das einmal. Der Kommissar blickte ihn über den Rand des aufgeklappten Notebooks schweigend an. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Umbringen sollte man das verdammte Luder! Das haben Sie doch gesagt, nicht? Oh, das war … Haben Sie zufällig ein Bonbon, Herr Kommissar? Ich habe vor kurzem das Rauchen aufgegeben. Rauchen Sie? Dann wissen Sie wohl, wie es ist, die Entzugserscheinungen bringen einen um. Wenn ich nichts, nicht einmal ein Bonbon im Mund habe, ist diese Leere in meinem Hals, und ich muss unentwegt schlucken. Falls Sie ein Bonbon haben, bitte ich Sie … Der Kommissar schüttelte nur den Kopf und setzte die Vernehmung fort. Umbringen sollte man das verdammte Luder! Haben Sie das gesagt oder nicht? Ja, das wohl, aber es war nur aus Wut so hingesagt. Hätte ich geahnt, dass sie auf diese Weise sterben würde, wäre so etwas niemals über meine Lippen gekommen, das müssen Sie mir schon glauben. Am Tag des Mordes, nachdem Sie zu viert – Jong Young-Su, Bag Chung-Kwon, das spätere Opfer Cho Zin-Suk und Sie – gezecht und sich dann voneinander verabschiedet hatten, suchten Sie das Opfer in seiner Pension auf, ist das korrekt? Jong-Sik hob den Kopf und ließ einen Seufzer hören, der aus der Tiefe seines Innern zu kommen und einen stillen Schmerz auszudrücken schien. Herr Kommissar, wenn Sie kein Bonbon haben, bitte ich Sie um eine Zigarette. Der Kommissar bot ihm eine an. Oh, wegen dieser Fotze beginne ich wieder zu rauchen. Ja, das stimmt, ich bin hingegangen. Herr Kommissar, ist Ihnen so etwas nie passiert? Wenn nicht, dann eben nicht. Zin-Suk und ich, wir hatten damals was miteinander. An der Uni gehörten wir einem Freizeitzirkel an, der sich häufig traf. Wir tranken viel, dann stahlen wir uns unbemerkt davon und suchten auf getrennten Wegen eine Pension auf. Sie wissen schon. Aber am Mordtag war Bag Chung-Kwon vor Ihnen dagewesen, nicht? Wie können Sie das denn wissen? Hat Chung-Kwon schon ausgesagt? Darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Bitte antworten Sie auf meine Fragen. Uff, Sie haben keine Ahnung, wie kompliziert unsere Beziehungen waren. Sie werden es auch nicht verstehen, wenn ich es Ihnen erzähle. Offen gesagt war Zin-Suk so etwas wie der gemeinsame Besitz von uns dreien. Wir hatten davon anfänglich nichts gewusst. Beim Trinken kam es dann einmal heraus. Es muss Young-Su gewesen sein, der zuerst darüber sprach, jedenfalls kam die Wahrheit auf den Tisch. Ich meine, dass alle mit ihr ins Bett gingen. Es gibt zwei Möglichkeiten, sich als Mann in einer solchen Situation zu verhalten. Entweder, man lässt die Hände davon. Die Frau wird sozusagen zur Sperrzone erklärt, haha. Hätte Zin-Suk auch nur ein bisschen Charakter gehabt und wäre sie hübsch gewesen, hätten wir gewiss so gehandelt. Aber sie war dumm und unbedarft. Wie naiv sie war, zeigt doch der Umstand – ich meine, sie hielt es, als wir es miteinander trieben, für meinen Finger. Sie hatte wirklich keine Ahnung. Wie ein solches Mädchen auf die Universität kam, bleibt auf ewig ein Rätsel für mich. Oder, zweitens, man verdrängt ganz einfach die Existenz dieser Frau. Es gibt sie nicht und hat sie nie gegeben. Niemand erwähnt ihren Namen, aber das Verhältnis geht munter weiter. Man muss bloß vermeiden, sich bei ihr zu begegnen. Sie ist eine Art Phantom, und ein Phantom darf nicht von mehreren zugleich gesehen werden. Na, Sie verstehen jetzt, wie es war. Da sie nicht existierte, war es kein Problem, sie gemeinsam zu besitzen. In abgelegenen Gegenden gab es das früher oft. Fast jedes Dorf hatte seine Schwachsinnige, die als Gemeinschaftsbesitz von Männern herhalten musste. Vom siebzigjährigen Greis bis zum fünfzehnjährigen Knaben hatten alle was mit ihr. Das Leben im Dorf wurde dadurch nicht berührt. Unser Fall war irgendwie ähnlich. Das Telefon klingelte, der Kommissar nahm den Hörer. Moment ich habe verstanden, Sie brauchen nicht weiter zu erzählen. Er hatte von dem, was Jong-Sik berichtete, nichts aufgeschrieben. Geschichten gehörten nicht zu einem Vernehmungsprotokoll, protokolliert wurden nur klare Aussagen. Trotzdem hatte der Kommissar geduldig zugehört. Die nötigen Fakten waren beisammen, er hatte nur noch die Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Untersuchungen abzuwarten. Von den Resultaten hing es ab, wie das Protokoll zu verfassen war. Das war nun der lang erwartete Anruf, der Bericht über die untersuchten Fingerabdrücke. Der Kommissar sprach so, dass der Verdächtige im Ungewissen blieb. Wer? Wirklich? Besteht kein Zweifel? Gut. Er legte den Hörer auf und zog das Notebook zu sich heran. Sie sind es nicht gewesen? Natürlich nicht, warum sollte ich? Warum haben Sie denn gesagt, Sie wollten sie umbringen? Der Kommissar kaute auf einem Streichholz herum. Das war doch nur Gerede, ein Witz. Machen Sie häufig derartige Witze? Das Streichholz zerbrach. Jong-Sik hob abwehrend die Hand und machte ein unterwürfiges Gesicht. Sie haben Bag Chung-Kwon aus dem Zimmer der Pension gerufen und mit ihm weiter gezecht, nicht? Da sind dann diese Worte gefallen, stimmt’s? Ja, das ist richtig. Hat Herr Bag darauf nicht erwidert, wegen ihr sei sein Leben ruiniert und er habe sie im Zimmer aufgesucht, um sie zu töten? Muss wohl so gewesen sein. Warum glaubte Herr Bag, sein Leben sei wegen ihr ruiniert? Wissen Sie, Chung-Kwon war immer etwas eigen. Er schien – so lächerlich es klingt – wirklich in Zin-Suk verliebt zu sein. Ausgerechnet in diese Frau! Wegen ihm gingen wir vor zehn Jahren im Streit auseinander. Wir hatten das Studium abgeschlossen, Young-Su hatte eine Stelle als Buchhalter in einer Firma angetreten und auch ich hatte Arbeit gefunden, auf die ich in einem intensiven Training vorbereitet wurde. Wir trafen uns zu dritt, um die erfolgreiche Stellensuche zu feiern, und waren in bester Laune. Plötzlich zückte Chung-Kwon, der nicht einmal richtig betrunken war, unerwartet das Messer und fuchtelte damit herum. Wir standen Todesangst aus. Er drohte, uns beide umzubringen, sollten wir Zin-Suk je wieder anrühren. Als ob wir sie je gegen ihren Willen angefasst hätten! Dummkopf. Wir gingen ja gerade zu ihr, weil sie uns nie abwies. So war es, Herr Kommissar, wären Sie nicht auch hingegangen, wenn Sie eine solche Frau gekannt hätten? Chung-Kwon hatte sich genauso verhalten wie wir. Wie konnte er auf einmal damit kommen, sein Tun sei Liebe, das unsere aber Amüsement und Missbrauch? Das hätte er uns besser erspart, meinen Sie nicht? Genau genommen war Chung-Kwon ein armer Kerl. Er hatte bis zum Ende seiner Studentenzeit außer Zin-Suk keine Frau näher gekannt. Trotzdem verstand ich ihn nicht. Wie konnte er uns, seine Freunde, mit dem Messer bedrohen und alles zwischen uns zerstören? Rückblickend würde ich sagen, er neige zu extremen Handlungen. Nein, damit will ich keineswegs unterstellen, er könnte mit Zin-Suks Mord etwas zu tun haben. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass er depressiv wurde, nachdem sein Geschäft bankrott gegangen war und die Ehe geschieden wurde. Der Kommissar korrigierte ihn. Es war nicht Scheidung, sondern Trennung. Sie wissen ja schon alles. Jong-Sik hatte Mühe beim Schlucken. Warum habe ich bloß so viel Speichel im Mund. Er fürchtete, der Kommissar könnte gehört haben, wie laut er schluckte. Dann ärgerte er sich darüber, dass er sich darüber Sorgen machte. In diese vertrackte Situation hinein hörte er den Kommissar sagen: Gut, Sie können nach Hause gehen. Sie dürfen sich in nächster Zeit aber nicht weit entfernen, es sind nicht alle Verdachtsmomente gegen Sie ausgeräumt. Jong-Sik zögerte, wollte etwas sagen, schien sich zu besinnen, erhob sich vom Sitz. Er hätte gern die bevorstehende Auslandsreise ins Spiel gebracht, war zunächst jedoch heilfroh, der Polizei ungeschoren zu entkommen. Die Geschichte mit der internationalen Möbelausstellung war ohnehin Angeberei gewesen. Lächerlich, immer musst du übertreiben, immer ungeheuren Schaden andeuten! Ohne dich läuft wohl gar nichts, wie? Du willst mir doch nicht weismachen, die Prototypen würden liquidiert, wenn du die Reise nicht antrittst! Diese Gedanken waren Young-Su durch den Kopf gegangen, als er seinem Freund zugehört hatte. Young-Su blieb, nachdem Jong-Sik nach Hause geeilt war, um die Post zur Seite zu schaffen, im Café sitzen und trank eine Tasse Kaffee nach der anderen, sooft ihm nachgeschenkt wurde. Es widerstrebte ihm, heim zu gehen. Womöglich hielten sich Polizisten in der Nähe des Hauses versteckt, um alles zu beobachten, was er tat. Schlimmer als das Polizeiverhör jedoch würde jenes sein, das seine Frau veranstalten würde, um über die Beziehung zwischen ihm und Zin-Suk Genaueres zu erfahren. Schon während der Universitätszeit hatte Suk-Gyong ihren Ärger nicht verhehlt, sobald die Rede auf Zin-Suk gekommen war. Ich weiß, jedes Mal wenn du mit mir schläfst, vergleichst du mich mit ihr. Sie lagen zusammen im Bett, als sie das sagte. Zwischen euch beiden ist doch gar kein Unterschied: Bestimmt denkst du so, gib es zu. Nur mit Mühe gelang es Young-Su, ihr erregtes Gemüt zu beruhigen. Wenn er ehrlich sein wollte, sah er tatsächlich keinen Unterschied, davon einmal abgesehen, dass sie, anders als Zin-Suk, nur mit ihm schlief. Umso schwerer für ihn, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts mit Zin-Suk hatte. Kannst du mich damit nicht in Ruhe lassen? Wenn wirklich nichts gewesen sein soll, warum fängst du an zu schwitzen, wenn von ihr die Rede ist? Suk-Gyong war keine leichte Gegnerin. Auch in der Zeit, in der Young-Su sich mit ihr gestritten hatte, hatte er mit Zin-Suk geschlafen. Manchmal wunderte es ihn, wie Zin-Suk freiwillig ein solches Leben führen konnte. Erst als sie aus Deutschland zurückkam, gab Zin-Suk eine Antwort. Soll ich es dir sagen? Ich hatte für mich damals nur Verachtung übrig. Ich fühlte mich als ein Nichts. Als Wurm habe ich mich gefühlt. Mit diesem Gefühl gibt es nichts, was man nicht tun würde. Als Wurm empfand ich alles andere weniger schlimm, solange ich nicht direkt vergewaltigt oder unflätig behandelt wurde. Da aber tauchte ein Mann auf, der fand, dies sei nicht richtig. Es ist mein jetziger Ehemann. Der Kerl aus Deutschland? Ja, er ist Deutscher. Er sagte, du bist kein Wurm, du bist ein Wesen mit menschlicher Würde. Wie seltsam das klang! So etwas hörte ich zum ersten Mal. Dass ich kein Wurm sei, dass ich Würde besäße. Weißt du, mein Mann ist Bezirksvorsitzender der Grünen Partei in Düsseldorf. Ich bin auch Mitglied dieser Partei geworden. Aber dass ich eine Umweltaktivistin sei, wie ein Magazin bei meiner Rückkehr über mich schrieb, ist übertrieben. Wenn ich Mitglied der Grünen Partei bin, heißt das noch lange nicht, dass ich eine Umweltaktivistin bin. Ich hätte mich verändert? Mag sein. Früher war ich angespannt und nervös. In Deutschland hörte ich, Korea entwickle sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Ich erlebte, wie die Sowjetunion kollabierte und der dadurch entstandene politische Strudel vieles in Bewegung brachte. Dann folgte die IWF-Finanzkrise in Korea. Wie mochtet ihr euch verändert haben, und nicht nur ihr, wie mochte die koreanische Gesellschaft sich gewandelt haben? Ob ich mich bei meiner Rückkehr noch zurechtfinden würde? Ich machte mir Sorgen. Jetzt bemerke ich aber, dass ich diejenige bin, die sich am meisten verändert hat. Ihr seid noch genau so wie früher. Was ist mit dir, fühlst du dich nicht wohl? Als sie so gelassen von sich erzählt hatte, war ein einziger Gedanke durch seinen Kopf gegangen. Nun ist es zu Ende, ich werde nie mehr mit ihr ins Bett gehen können. Der Gedanke klang, als er ihn in Worte kleidete, ganz anders. Klug bist du geworden! Sie schüttelte den Kopf. Ihr dachtet, ich sei dumm. Ja, das war nicht einmal falsch, ich war ein naives Ding, aber ich hatte Mitleid mit euch. Ihr wart Anfangs zwanzig. Nimm, was ich sage, bitte nicht persönlich, es geht um eine Geschichte, die längst vergangen ist. Ja, ihr wart wie Hundewelpen, die den Drang verspürten zu scheißen. Ihr nahmt euch nicht einmal die Zeit, mich richtig anzusehen. Voller Selbsthass, gefangen in euren Begierden, wart ihr unzugänglich für Wärme oder Mitgefühl anderen gegenüber. Großspurig kamt ihr in meine Studentenbude stolziert, um euch nach wenigen Minuten, wenn der Samen verspritzt war, wie Diebe davon zu machen. Dazwischen habt ihr euch aufgeführt wie siegreiche Guerillakämpfer. Young-Su unterbrach sie. Hör bitte auf damit! Ich habe genug gehört. Es tut uns ja leid. Sie blieb ruhig. Ich erzählte dies nicht, damit ihr mich nachträglich um Verzeihung bittet, wie sollte ich? Das Problem lag in Wirklichkeit bei mir, meinem Gefühl, ein Niemand, ein Wurm zu sein. Wenn eine Frau sich selber so sieht, liegt es nahe, dass anderes Gewürm sich zu ihr gesellt. Ich wollte es euch ganz einfach einmal sagen. Ich weiß, ihr hieltet mich für beschränkt. Erst in Deutschland habe ich darüber nachgedacht, und da verspürte ich auch das Bedürfnis, mit euch zu reden. In diesem Augenblick hätte Young-Su sie tatsächlich aus der Welt schaffen mögen. Sie kam ihm vor wie ein Videofilm auf zwei Beinen. Darin waren alle seine vergangenen Untaten unversehrt erhalten. Wenn sie auf die Wiederholungstaste drückte, würde der Film endlos laufen. Ohne Strom und Batterie würde er Bilder erzeugen und Stimmen ertönen lassen. Young-Su spürte, wie der Impuls, sie zu töten in ihm Raum zu gewinnen begann. In seinen Gedanken stach er auf sie mit einem Messer ein, erstickte er sie mit einem Kissen, stieß er sie vom Dach eines Hochhauses. Insbesondere hielt ihn die Vorstellung besetzt, wie er der schlafenden Zin-Suk ein spitzes Messer in die Brust stieß. Während das Blut wie eine Fontäne herausspritzt und das ganze Zimmer mit seinem Geruch erfüllt, wird er in die mitgebrachten sauberen Kleider schlüpfen und das Zimmer ruhig verlassen. Das Blut wird stoßweise aus ihrem Herz quellen und sie wird immer schwerer atmen. Auch aus ihrem Mund wird Blut fließen. Es tut mir leid. Ich wollte es nicht tun. Es wäre für uns alle besser gewesen, du wärst dort geblieben. Wir drei, musst du wissen, leben alle in glücklichen Verhältnissen. Wir haben Kinder und eine Eigentumswohnung und fahren am Wochenende zu unserem Einkaufszentrum. Wir haben vergessen, dass wir einst eine Frau gemeinsam besaßen. Es ist am besten, du verschwindest, wie du gekommen bist. Dies alles ging Young-Su durch den Kopf. Natürlich ließ er sich nichts anmerken. Bevor er seine Fantasien fortspinnen konnte, waren Chung-Kwon und Yong-Sik am verabredeten Ort erschienen. Es wurde ein surreales Treffen, für alle sehr peinlich. Zin-Suks Rückkehr war höchst beunruhigend. Young-Su hatte wie die andern in der Illusion gelebt, diese Frau sei aus ihrem Leben getilgt. Eigentlich nett von ihr, so schnell nach dem Abschluss der Universität in ein fernes Land zu entschwinden. Sie hatten selbst die Tatsache, dass sie weg war, vollständig vergessen. Nicht leicht, sich damit abzufinden, dass das einstige Dummchen als Umweltschützerin zurückgekehrt war. Komisch, unerträglich komisch diese Situation. Wenn zwischen ihnen und Zin-Suk so etwas wie Macht im Spiel war, lag diese nun, anders als früher, eindeutig bei ihr. Sie war es, welche das Treffen anberaumt hatte. Und: sie kannte jeden von ihnen genau, keiner wusste aber umgekehrt, welche Beziehung zwischen Zin-Suk und den beiden anderen herrschte. Man konnte nur mutmaßen. Und nun zerrte Zin-Suk auf einmal Dinge, deren Existenz erfolgreich verdrängt war, ans Licht und machte sie real. Wenn auch keiner darüber ein Wort verlor, war es offensichtlich, dass die Führung in die Hände von Zin-Suk übergegangen war. Unvermeidlich, dass man den Drang in sich aufsteigen fühlte, die Person, die einen zwang, die Schamteile zu entblößen, zu beseitigen. War sein Blick nicht, als er von Zin-Suks Tod hörte, instinktiv auf seine Hände gefallen? Habe ich ein Messer in die Faust gekriegt, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein? Bin ich jene Nacht wirklich wie sonst mit dem Taxi nach Hause gekommen? Zin-Suk war in seinen Träumen mehrfach getötet worden. Ihr Blut war endlos geflossen. Deswegen ein Geständnis ablegen? Wie auch! Kann man für ein nicht begangenes Verbrechen Reue zeigen? Es war nicht seine Art, etwas zu gestehen. So blieb er unangreifbar und musste sich auch nicht davor fürchten, bei einer polizeilichen Vernehmung etwas Unvorsichtiges zu tun. Aber die Träume machten ihm Angst. Nicht nur die Träume, auch das Leben war beunruhigend. Vor seinem Haus schaute Young-Su verstohlen um sich. Er hatte das Gefühl, von irgendwoher mit einem Fernglas beobachtet zu werden. Er war sich sicher, dass man ihn beschattete, ein Gefühl nahe dem Verfolgungswahn hatte sich seiner bemächtigt. Nachdem er die Umgebung unauffällig gemustert hatte, drückte er auf die Klingel. Die Tür ging auf. Aus der Wohnung drang der penetrante Geruch gekochter Bohnenkeimlinge. Seine Frau öffnete ohne ein Wort die Tür, kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich vor den Fernseher. Hat jemand angerufen? Wer sollte schon anrufen! Sie schien gereizt. Niemand hat angerufen. Ihre Stimme wurde höhnisch. Ist das Verbrechertreffen zu Ende? Young-Su unterdrückte seinen aufsteigenden Ärger. Aber sie bohrte weiter. Wie intelligent ihr es angestellt habt, dass die Polizei noch nicht in unserer Wohnung erschienen ist! Nun konnte Young-Su nicht mehr an sich halten. Drohend baute er sich vor ihr auf. Sie erschrak, als sie in sein verzerrtes Gesicht blickte. Mach den Fernseher aus! Sie widersetzte sich. Was willst du? Mach das Ding aus, sage ich! Sie schaltete es aus. Als der Fernseher aus war, ging Young-Su ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Sie schaltete wieder ein. Obwohl der Kabel-Newskanal Nachrichten sendete, wurde über den Mordfall in Changchon-dong nicht mehr berichtet. Der Fall einer durch Messerstiche getöteten Frau ist ja auch nichts Besonderes. Die Nachrichten beschäftigten sich mit der Neuordnung von Bankenstrukturen sowie mit einem Finanzskandal; High-Tech-Firmen hatten sich durch geschönte Bilanzen Kredite in riesiger Höhe erschlichen. Suk-Gyong stand auf und ging zu ihrem Mann ins Schlafzimmer. Willst du nicht Urlaub nehmen und wegfahren, vielleicht aufs Land, in deine Heimat? Young-Su sprang erregt auf. Was soll das schon wieder? Was willst du damit sagen? So etwas würde nur jemand tun, der etwas Verbotenes getan hat. Meine Schuld, wenn überhaupt, besteht allein darin, zusammen mit Zin-Suk einige Gläser getrunken zu haben. Das ist alles. Die Augen von Suk-Gyong blitzten auf. Getrunken? Hast du gesagt, getrunken? Mit Zin-Suk? Oh, ich verstehe. Wann war das? Er ließ den Kopf hängen. Am Fünfzehnten. Was, am Fünfzehnten.? Das war doch der Tag, an dem sie starb? Wie kannst du denn nur zu Hause hocken? Er packte sie an den Haaren und warf sie aufs Bett. Sie schrie. Ja töte mich nur, eine Person mehr oder weniger, was macht das schon! Er saß auf ihr und drückte ihren Hals. Sie keuchte. Aber nicht lange. Schwächling! Suk-Gyong warf ihn zur Seite. Sie verließ voller Verachtung das Zimmer. Er lag aufgewühlt auf dem Bett. Was ist los mit unserer Ehe? Ich habe Zin-Suk nicht mit der Fingerspitze berührt. Ich meine, ich habe wirklich keinen Grund, Schuldgefühle zu haben. Warum kann das Miststück nicht nett und freundlich sein, wenn ihr Mann in Schwierigkeiten steckt? Was? Intelligente Verbrecher verhielten sich anders? Es klingt beinahe, als hätte sie erwartet, dass ich einen Mord begangen habe. Wahrhaftig. Soll ich vielleicht auswandern? Das ganze Vermögen nach und nach in Geld umwandeln und dann blitzartig weg, in das Traumland Kanada? Wie kommt es, dass sie sich so hochnäsig und siegessicher aufführt? Sein Handy klingelte. Es war Jong-Sik. Er sagte den einen Satz: Schalte den Fernseher ein und schau. Young-Su suchte nach der Fernbedienung und schaltete den kleinen Apparat im Schlafzimmer ein. Kanal sieben zeigte gerade, wie Chung-Kwon von der Polizei verhaftet und mit Handschellen aus der Wohnung geführt wurde. Es war das Ende der Nachrichtensendung, so dass nicht ersichtlich wurde, was sich ereignet hatte. Was ist geschehen? In den Nachrichten hieß es eben, Chung-Kwon hätte es getan. Warum bloß? Wer kann das begreifen! Jong-Siks Stimme klang kraftlos, dennoch schwang in ihr etwas wie Bedauern mit. Die Polizei sagte, er habe sich an ihr rächen wollen, weil sie ihn angeblich nicht treffen wollte. Aber bekanntlich saßen wir an jenem Tag zusammen und tranken. Young-Su schnalzte mit der Zunge. Das heißt, dass sie ihn nicht allein treffen wollte. Wie auch immer, der dumme Kerl hat sein Leben verpfuscht. Vor allem hat er das Leben von Zin-Suk zerstört. Wie ist es mit dir? Bist du okay? Du sagtest doch, deine Frau wisse einiges, da wird es wohl schwierig sein? Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Aber mich beschäftigt es, ich bin aufs Höchste beunruhigt. Was mit mir nur los sein mag? Ich habe doch, verdammt noch mal, kein Blut an den Händen. Jong-Sik schien sich zu ärgern. Ja, irgendwie geht es mir ähnlich. Verstehe das Leben, wer will. Die letzten Tage habe ich kaum ein Auge zugetan, aber nun werde ich immerhin wieder ruhig schlafen und die Müdigkeit wird verschwinden. Wir bleiben in Kontakt. Das Gespräch war beendet. Young-Su begab sich ins Wohnzimmer und näherte sich seiner Frau, die missgelaunt in den Fernseher starrte. Er sprach mit sanfter Stimme zu ihr. Du weißt, bald ist Weihnachten. Wollen wir auf dem Namdaemun-Markt einen Weihnachtsbaum kaufen gehen? Sie schaute ihn entgeistert an. Er redete mit übertriebenen Gesten und lauter Stimme wie ein Missionar, der seine Heilsbotschaft unter die Leute bringen will. Eben hieß es in den Nachrichten, Chung-Kwon sei der Mörder. Der Blödmann hätte uns Bescheid geben können, er hätte mir vieles erspart. Schöne Freunde hast du da! Suk-Gyongs Miene verriet Bedauern und zugleich Verachtung. Young-Su unterdrückte den aufsteigenden Zorn und sprach weiter. Gehen wir den Weihnachtsbaum nun kaufen oder nicht? Sie schwieg. Dann lass es sein. Er hatte aus vollem Hals geschrien und verschwand ins Badezimmer. Das Wasser, mit dem er seine Hände wusch, schien ihm rot wie Blut. Ich habe es nicht getan. Er hob sein Gesicht und schaute in den Spiegel. Das Gesicht eines Monsters sah ihn an. Lass das! Seine Frau schrie hysterisch auf ihr Kind ein. Hat Mama nicht gesagt, du sollst das nicht anfassen? Santa Claus is coming to town. Das Kind hatte Zin-Suks rote Weihnachtskarte entdeckt und damit gespielt. Er hörte, wie seine Frau die Karte in Stücke riss. Aber aus dem mit Musik geladenen Chip made in China tönte es munter fort. Unversehens summte Young-Su die Melodie nach. Santa Claus weiß, welches Kind Gutes getan hat. Er wird heute Abend kommen. Lalala la … Suk-Gyong suchte im Abfallkorb den Chip, der hartnäckig mit der Melodie weiterfuhr, ging auf den Balkon und warf ihn hinunter. Santa Claus is coming to town. Das unschuldige Weihnachtslied würde erst schweigen, wenn die Batterie leer wäre. Aber die beiden hörten es schon nicht mehr.

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