Ein Sommer in Frankreich - oder: Wo die Liebe hintanzt - Susanne Fülscher - E-Book

Ein Sommer in Frankreich - oder: Wo die Liebe hintanzt E-Book

Susanne Fülscher

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Beschreibung

Ein Abend, so leicht wie ein Tanz, so warm wie die Liebe … Auch wenn der Tod von Karlas Mann bereits mehrere Jahre zurückliegt, ist die Trauer für sie noch immer ein steter Begleiter – besonders in dem alten Stadtpalais in Cannes, das er ihr hinterlassen hat und welches sie nun umbaut. Um sie aus ihrem Alltag und den trüben Gedanken herauszureißen, macht ihre beste Freundin ihr ein ungewöhnliches Geschenk: Sie hat einen Tänzer für Karla gebucht. Karla ist zunächst skeptisch, aber dann hat sie doch einen wunderschönen Abend mit Pascal bei Walzer, Jive und Cha-Cha-Cha. Es passiert, womit sie nie gerechnet hätte: Das gemeinsame Tanzen berührt etwas in ihr und sie will Pascal unbedingt wiedersehen. Doch als es zwischen den beiden knistert, muss Karla sich fragen, ob eine Beziehung mit dem jüngeren Mann wirklich gut gehen kann – und ob sie überhaupt bereit dafür ist? »Berührend!« Bild der Frau Ein gefühlvoller Liebesroman über einen Neuanfang für Fans von Julia Holbe und Cecilia Ahern.

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Seitenzahl: 388

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Auch wenn der Tod von Karlas Mann bereits mehrere Jahre zurückliegt, ist die Trauer für sie noch immer ein steter Begleiter – besonders in dem alten Stadtpalais in Cannes, das er ihr hinterlassen hat und welches sie nun umbaut. Um sie aus ihrem Alltag und den trüben Gedanken herauszureißen, macht ihre beste Freundin ihr ein ungewöhnliches Geschenk: Sie hat einen Tänzer für Karla gebucht. Karla ist zunächst skeptisch, aber dann hat sie doch einen wunderschönen Abend mit Pascal bei Walzer, Jive und Cha-Cha-Cha. Es passiert, womit sie nie gerechnet hätte: Das gemeinsame Tanzen berührt etwas in ihr und sie will Pascal unbedingt wiedersehen. Doch als es zwischen den beiden knistert, muss Karla sich fragen, ob eine Beziehung mit dem jüngeren Mann wirklich gut gehen kann – und ob sie überhaupt bereit dafür ist?

Über die Autorin:

Susanne Fülscher, geboren 1961 in Stelle bei Hamburg, arbeitete nach ihrem abgeschlossenen Lehramtsstudium (Germanistik und Romanistik) als Kulturjournalistin. Schon bald widmete sie sich auch dem fiktionalen Schreiben. Ihr Handwerk verfeinerte sie als Stipendiatin der Drehbuchwerkstatt München sowie der Masterschool Berlin. Bisher sind von ihr um die fünfundsiebzig Romane und Kurzgeschichten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene erschienen und in viele Sprachen übersetzt worden. Ihre Mia-Reihe (Carlsen) wurde zum Bestseller. Susanne Fülscher lebt als freie Schriftstellerin und Drehbuchautorin in Berlin.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin »Ein Sommer in Frankreich« und »Das rosa Haus am Meer«.

Die Website der Autorin: susanne-fuelscher.de

Die Autorin bei Facebook: susanne.fuelscher

Die Autorin auf Instagram: @sfuelscher

Die Autorin auf TikTok: @susannefuelscher

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eBook-Neuausgabe Mai 2025

Dieses Buch erschien bereits 2019 unter dem Titel »Wo die Liebe hintanzt« bei Piper.

Copyright © der Originalausgabe Piper Verlag GmbH, München 2019

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Motive von Q-Zack / mfz / Adobe

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-845-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susanne Fülscher

Ein Sommer in Frankreich

Roman

dotbooks.

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Danksagung

Quellen

Lesetipps

Widmung

Für meine Eltern

Prolog

Cannes ächzte unter der Julihitze. Kaum ein Lüftchen ging, das Meer war eine milchig blaue Fläche, die im diesigen Licht mit dem Himmel verschwamm. Die Franzosen blieben die Mittagsstunden über in den Büros, verkrochen sich in ihren abgedunkelten Wohnungen oder aßen einen Happen in einem klimatisierten Restaurant. Anders die Touristen. Es störte sie nicht, dass das Thermometer schon am Morgen die Dreißig-Grad-Marke erklomm. In Sandalen und mit krabbenroten Schultern schlenderten sie durch die backofenheiße Stadt, aßen Eis und schossen Selfies.

Fritz hatte Karla zu einem verlängerten Wochenende an die Côte d’Azur eingeladen. Ihr zwanzigster Hochzeitstag. Den wollten sie gebührend begehen. Das erste Mal ohne ihren Sohn Erik, der mit einem Freund und dessen Vater im Spreewald zeltete. Kurz nach neun waren sie in Nizza gelandet und mit dem geschulterten Handgepäck zur Gare de Nice-Saint-Augustin gewetzt, um den nächsten Zug nach Cannes zu ergattern. Sie hatten Glück, es fuhr gerade einer ein, und eine knappe halbe Stunde später erreichten sie ihr Ziel. Das Hotel lag fußläufig, sie erfrischten sich und brachen gleich darauf wieder auf. Keine Sekunde verpassen. Alles auskosten, alles mitnehmen, was ihnen die kurze Auszeit bot. Ein Bummel durch die Fußgängerzone mit den unzähligen Geschäften, Kaffeetrinken an der Promenade der Croisette, das erste buttrige Croissant genießen und den Meerblick – den vor allem. Nach einem zweiten Kaffee flanierten sie durch die kleinen Gässchen der Altstadt Le Suquet und stiegen den Hügel hinauf zum Schloss und zur Kirche Notre-Dame- d’Espérance. Wie die Teenager blieben sie ab und zu stehen, um sich verliebt anzulächeln und verstohlene Küsse auszutauschen. Es war fast wie damals. Als sie sich, beide Mitte zwanzig, in einer Kneipe in Kreuzberg kennengelernt hatten und nur eine Woche darauf, gegen den Willen ihrer überbesorgten Eltern, nach Frankreich getrampt waren. Nizza, Cannes, Antibes und Saint-Tropez. Rasch hatten sie spitzgekriegt, was die Leute meinten, wenn sie vom Savoir-vivre redeten. Frühstück im Bett mit Café au Lait und Croissants. Faule Vormittage am Strand, während derer sie die Finger nicht voneinander lassen konnten. Ein leckeres Mittagessen in einem der Bistros, wenn die Sonne im Zenit stand. Sex am Nachmittag im abgedunkelten Pensionszimmer.

Die Abende verbrachten sie mit einer Flasche Rotwein, Baguette und Käse am Strand. Sie redeten, aßen und manchmal hatten sie sich vor dem dunklen, unermüdlich rauschenden Meer geliebt.

Und jetzt, so viele Jahre später, war es ihnen gelungen, das alte Gefühl wiederzubeleben. Erst beim Mittagessen – Fritz hatte Champagner und Austern bestellt – ließ er die Bombe platzen.

»Du hast was?« Karla stellte das Glas mit einem Knall auf dem Tisch ab. »Nein, Fritz, das hast du nicht! Ich bitte dich, wir haben doch so oft darüber gesprochen ...« Sie redete sich in Rage, erhob die Stimme, und es war ihr egal, dass die Leute vom Nebentisch zu ihnen herübersahen.

Dieses runtergekommene Haus in Cannes. Schon lange war Fritz mit der Idee schwanger gegangen. Wie ein übergroßes Straußenei hatte er sie ausgebrütet. Seit Monaten war es das Streitthema zwischen ihnen gewesen. Er wollte kaufen. Sie nicht. Er wollte immer noch kaufen. Sie immer noch nicht. Weil es verrückt war, sich eine verfallene Immobilie ans Bein zu binden, auf ewig verschuldet zu sein. Und wer wusste schon, was erst die Renovierungsarbeiten verschlingen würden? Das Haus klaffte zwischen den pompösen Villen in Le Cannet wie eine offene Wunde, die sich womöglich niemals schließen lassen würde. Eine Besichtigung hatte Karla gereicht, danach hatte sie das Thema ad acta gelegt. Fritz nicht. Anfang des Jahres hatte er geerbt – seine Großtante Isolde war überraschend gestorben –, und hinter Karlas Rücken hatte er zugeschlagen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Lucien, der die ersten Lebensjahre in Antibes gelebt hatte und in der Gegend verwurzelt war. Fritz hatte die eine Hälfte des Hauses erworben, Lucien die andere. Es sollte eine Überraschung sein.

Sonne, Meer und französische Küche. Karla hatte sich so auf das Wochenende gefreut. Und jetzt das. Dabei hatten sie beide ganz andere Pläne für die Zukunft gehabt. Gemeinsam reisen, Italien, Spanien, Portugal. Vielleicht auch Island oder New York. Unabhängig sein, sich mit der Erbschaft in der Tasche nicht immer einschränken müssen.

Die letzten Austern blieben liegen und auch die Petits Fours rührte sie nicht mehr an. Stattdessen stritten sie miteinander. Hässliche Worte flogen wie Geschosse zwischen ihnen hin und her und hinterließen kleine Kratzer und auch größere Blessuren. Karla wünschte sich so sehr, dass es aufhörte, dass sie sich wieder versöhnten. So wie jedes Mal, wenn es zum Streit kam. Doch Fritz’ Gesichtszüge blieben hart, und in diesem Augenblick wusste sie, dass von jetzt an etwas zwischen ihnen stehen würde. Dass ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen nicht mit denen ihres Mannes übereinstimmten. Dennoch liebte sie ihn. Mehr als sie je einen Menschen geliebt hatte.

»Lass uns doch zum Haus gehen, ja?«, schlug er vor, nachdem er die Rechnung beglichen hatte. Die Spur eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht. »Der Garten ist voller wilder Orchideen und Palmen. Du wirst ihn lieben!«

Karla willigte zähneknirschend ein. Was blieb ihr auch anderes übrig? Ihr weißes Kleid, das vom Sitzen knittrig geworden war, blähte sich wie ein Segel, als sie aus dem Windschatten der engen Gasse traten. Vielleicht musste sie nur ein paar Tage verstreichen lassen und sie würde sich an die Idee gewöhnen, dass Fritz sein eigenes Baby hatte und sie nur noch eine Statistin in seinem neuen Lebensentwurf war.

Karla griff sich an die rechte Schulter und erschrak: Wo war ihre Tasche? Vor lauter Gezanke hatte sie sie im Restaurant vergessen.

»Fritz, wartest du bitte kurz?«

Es waren bloß ein paar Meter zum Lokal, und zum Glück stand ihre Handtasche noch unter dem Tisch, an dem sie gegessen hatten. Erleichtert klemmte sie sich die Tasche unter den Arm. Ein Drama, wenn alles weg gewesen wäre, ihr Ausweis, die Kreditkarten, das Geld. Die Karten sperren lassen, unzählige Behördengänge – und das wäre nur die Spitze des Eisbergs gewesen.

Sie atmete tief durch und eilte zurück zu Fritz. Als sie einen Wimpernschlag darauf um die Ecke bog, sah sie, wie ihr Mann auf die Straße trat, den Blick aufs Handy gerichtet.

»Fritz!«, schrie sie, da rauschte ein cremefarbener Wagen heran. Einen Sekundenbruchteil später gab es einen ohrenbetäubenden Knall.

Die folgenden Stunden verlebte Karla wie in Trance. Ein Notarztwagen kam. Sie saß auf einem Krankenhausflur und schaute in eine flimmernde Neonröhre, während französische Wortfetzen zu ihr herüberdrangen. Jemand reichte ihr einen Pappbecher mit Kaffee, der sich, weil ihre Hände so sehr zitterten, auf ihrem Sommerkleid ergoss. Ein Pfleger kam mit einer Papierrolle angelaufen und wischte hektisch auf dem Stoff herum. Sie rief ihre Freundin Sarah an, dann ihren Sohn, doch kein zusammenhängender Satz wollte ihr über die Lippen kommen. Eine Schwester drückte ihr ein Formular in die Hand, dessen Inhalt sie nicht verstand, und erst als Lucien, der gerade in Cannes eingetroffen war, zu ihr ins Krankenhaus eilte, flossen die Tränen. Gemeinsam bangten und hofften sie und mussten am Ende der grausamen Tatsache ins Auge sehen: Der schlimmste aller denkbaren Fälle war eingetreten. Die Ärzte hatten Fritz nicht mehr retten können.

Am Tag darauf packte Karla die Koffer – sie schaffte es nur unter großen Mühen – und immer wieder flackerte der Gedanke in ihrem Kopf auf, wie gerne sie doch Statistin in Fritz’ Leben geworden wäre.

Kapitel 1

Fünf Jahre darauf

Ne me quitte pas, perlte Jacques Brels Stimme aus den Lautsprecherboxen des Straßencafés. Karla saß halb im Schatten der Markise, halb in der Sonne und genoss jeden Bissen der lauwarmen Aprikosentarte. Der Teig dünn und nicht zu zuckrig, die Aprikosen saftig und aromatisch. Es gab keine bessere Art, in Frankreich anzukommen. Eine Viennoiserie kosten, eine Noisette trinken und einem Brel-Chanson lauschen. Dazu die schmeichelnde Wärme, die Essensdüfte, die von den umliegenden Bistros herbeigeweht wurden und sich mit dem Summen der südfranzösischen Hafenstadt zu einem unnachahmlichen Cocktail vermischten.

Kaum dass Karla mit ihrer Freundin Sarah in Cannes aus dem Zug gestiegen war, hatten sie sich auf die Suche nach einem Café begeben. Es musste sofort eine Noisette sein. Sofort etwas zu essen. Sofort mit allen Sinnen genießen.

Allein der Duft des Gebäcks setzte in Karla eine Flut von Erinnerungen in Gang: der erste Frankreichurlaub mit knapp achtzehn in Cap d’Agde. Der Paris-Trip mit Sarah im zweiten Semester an der Uni. Und einmal mehr Fritz. Ihre Reisen nach Arcachon, Biarritz und Saint-Tropez. So viele gemeinsame Erlebnisse kamen ihr in den Sinn, Erinnerungsfetzen, die wie Nebelschwaden durch ihren Kopf zogen und gleich wieder verschwanden. Wehmütig dachte sie daran, dass so einiges auf ihrer Agenda gestanden hatte, was sie durch den tragischen Unfall nicht mehr gemeinsam hatten erleben können.

»Darf ich?« Zwischen zwei Schlucken Kaffee deutete Karla auf Sarahs Croissant.

»Nur zu.« Ihre Freundin lachte ihr ungeniert lautes, herzerfrischendes Lachen.

Karla probierte und seufzte, weil das Gebäck so durch und durch französisch schmeckte. Buttrig, knusprig, fettig – einfach köstlich. Gleich eine Dusche im Apartment, etwas Luftiges anziehen und sich ins Getümmel stürzen. Die Croisette rauf- und runterflanieren, das Meer begrüßen und sich den Wind durch die Haare pusten lassen.

»Nachschub?«

Bevor Karla antworten konnte, winkte Sarah auch schon nach dem Kellner und gab die Bestellung auf. Noch ein Croissant und zwei Cafés au Lait. Sie wollten von allem ein bisschen mehr.

Bereits um halb fünf hatte der Wecker geschrillt. Karla hatte eilig geduscht, ihre Kulturtasche in den Koffer gepfeffert, den Inhalt ihrer Handtasche überprüft, kurz darauf war das Taxi vorgefahren und sie mit nassen Haaren aus der Tür gestolpert. Es wäre auch eine spätere Maschine nach Nizza geflogen, aber sie brauchte diesen Tag, brauchte ihn, um sich langsam an diese Stadt heranzutasten und um in dem Restaurant, in dem sie morgen ihren fünfzigsten Geburtstag feiern würde, die Menüfolge abzusprechen.

Der Kellner brachte das Croissant, doch Karla biss nur einmal davon ab, dann schob sie den Teller von sich.

»Also, wenn du nicht magst ...«, sagte Sarah. »Ich opfere mich gerne.«

»Nur zu. Lass es dir schmecken.«

Der Ort, an dem sich dieser entsetzliche Unfall ereignet hatte ... Die Erinnerung daran versetzte Karlas Magen nach wie vor in Aufruhr. Fünf Jahre lang hatte sie zu ignorieren versucht, dass sie die Hälfte einer maroden Immobilie geerbt hatte. An manchen Tagen war es ihr besser, an anderen schlechter gelungen. Die meiste Zeit hatte sie das Thema ausgeblendet, weil allein der Gedanke an Cannes die Wunde jedes Mal aufs Neue aufriss. Doch auch in zehn, zwanzig Jahren, ja bis zu ihrem Lebensende würde es diese tiefe Verletzung geben. Sie war Teil ihres Lebens und Karla wusste, dass sie sich nicht ewig drücken konnte. Also hatte sie ihren runden Geburtstag zum Anlass genommen, sich der Vergangenheit zu stellen. Das Haus verkaufen? Es nicht verkaufen? Bei aller Unentschlossenheit – sie musste endlich mit Lucien reden, irgendeine Art von Einigung erzielen. Ihr Kontakt hatte sich in den letzten Jahren auf ein paar wenige WhatsApp-Nachrichten zum Geburtstag und zu Weihnachten beschränkt. Sie hatte ihr Leben in Berlin gelebt, er war wegen eines Großprojekts nach Dubai übergesiedelt.

Aber Karla hatte ihn auch gar nicht treffen wollen. Fritz und Lucien – die beiden hatten eine Einheit gebildet, waren so eng wie Zwillingsbrüder miteinander gewesen. Karla brauchte sich nur Luciens Lachen vorzustellen und schon sah sie im Geiste ihren Mann vor sich. Wie sie die Köpfe zusammensteckten und sich über eine Zeitungsnachricht oder ein Video auf ihrem Handy königlich amüsierten. Sie sah sie einen exquisiten Rotwein genießen und zu Saxofonklängen wippen. Sie sah sie beim Squash über den Court jagen und jede einzelne Sequenz, die wie automatisiert vor ihrem inneren Auge ablief, schmerzte. Noch immer. Aber es war an der Zeit, neu anzufangen. Das Vergangene zu akzeptieren und nach vorne zu schauen.

Die Luft stand unter der Markise, und Karla drängte zum Aufbruch. Das T-Shirt klebte ihr am Körper, als sie knappe zwanzig Minuten später die steile Treppe des in der Fußgängerzone gelegenen Apartments erklommen. Sie stellten ihre Rollkoffer im Eingangsbereich ab und inspizierten neugierig ihre Bleibe.

»Entzückend!«, rief Sarah immer wieder aus. »Ist das nicht zauberhaft?«

Karla nickte ihr zustimmend zu. Die Räume mit dem cremefarbenen Mobiliar im Landhausstil sahen wie aus dem Prospekt aus. Schwarz-Weiß-Fotografien von Ikonen wie Jeanne Moreau, Catherine Deneuve und Brigitte Bardot hingen, von schlichten Passepartouts umrahmt, an den Wänden. Die Nachttische und Fensterbänke der Schlafräume zierten antike Lämpchen vom Trödel. Und die offene Küche lud zum Kochen und Genießen ein. In einem Regal stapelte sich Blümchengeschirr neben bunt gemusterten Wasserkrügen, Bols und Töpfen. Gleich daneben surrte ein hellblauer Retro-Kühlschrank behaglich vor sich hin. Nur das Wummern der Bässe in der Sportbar im Erdgeschoss stieß Karla übel auf. Seit dem Unfall reagierte sie auf überlaute, penetrante Geräusche empfindlich.

Sarah stöckelte in den Flur. Dort gab sie ihrem Koffer einen Fußtritt und bugsierte ihn in das kleinere der beiden Schlafzimmer, das wie das Wohnzimmer zur Fußgängerzone rausging.

»Lass mich doch da schlafen«, schlug Karla vor.

»Kommt ja gar nicht infrage.« Lächelnd fuhr Sarah sich durch das verstrubbelte Haar. Erst vor Kurzem hatte sie sich von ihren schulterlangen roten Haaren getrennt und trug seitdem einen blondierten Pixie-Cut, der ihr zu den knallrot geschminkten Lippen ausgezeichnet stand. »Morgen ist dein Ehrentag, schon vergessen?«

Karla nickte Sarah dankbar zu und trug ihren Koffer in den Raum am Ende des Gangs. Es ging ihr nicht darum, in dem größeren und kühleren Raum zu schlafen, auch ihren Geburtstag fand sie nebensächlich, sie war nur erleichtert, dass das Hämmern der Bässe auf dieser Seite des Apartments kaum noch zu hören war.

Sie zwängte sich am Bett vorbei, trat ans Fenster und blickte hinaus. Schräg unter ihr lag ein gepflasterter Innenhof. Kein Baum, kein Strauch, kein Blumentopf – Betonwüste pur. An der Toreinfahrt, gleich neben den Mülltonnen standen zwei Frauen mittleren Alters in Kitteln und rauchten. Vermutlich arbeiteten sie im Käseladen nebenan, in dessen Fenster Karla bei ihrer Ankunft einen Blick geworfen hatte. Bei der Auswahl der vielen Käsesorten war ihr das Wasser im Munde zusammengelaufen. Morbier, Roquefort, Beaufort, Mimolette, Epoisses de Bourgogne – es hatte förmlich durch die Scheibe geduftet.

Das französische Bett mit den rosafarbenen und blauen Kissen schien ihr Leg dich hin, Karla! zuzuflüstern. Im Nu hatte sie sich die Schuhe von den qualmenden Füßen gestreift und streckte sich quer auf der Matratze aus. Bloß einen Moment ausruhen. Trotz der zwei Tassen Kaffee verspürte sie eine bleierne Müdigkeit. Das frühe Aufstehen, die lange Reise, die Bilder, die auf dem Hinflug unaufhörlich in ihr aufgestiegen waren.

»Karla?«, drang Sarahs Stimme an ihr Ohr und sie schreckte hoch.

»Hab ich geschlafen?«

»Aber hallo! Fast zwei Stunden.«

»Nicht dein Ernst.«

»Alles gut. Du hast nichts verpasst. Es hat kurz geregnet, und ich hab mich auch ein bisschen ausgeruht. Und köstliche Pfirsiche und Käse gekauft.«

Doch Karla fand, dass überhaupt nichts gut war. Es gab so viel zu erledigen. Sie musste sich frisch machen, ihre Sachen auspacken und vor allem versuchen, in dieser Stadt, die so schicksalhaft mit Fritz verknüpft war, nicht an ihn zu denken. Sie schob sich an Sarah vorbei ins Bad, wo ihr ein bleiches Gesicht aus dem Spiegel entgegenblickte. Es hatte so wenig mit der aschblonden, aparten Person gemein, die sie vor fünf Jahren gewesen war. Und plötzlich, sie schaffte es nicht, sich dagegen zu wehren, weinte sie. Wegen allem. Und als Sarah hinter sie trat und tröstend die Arme um sie schlang, zerfloss sie erst recht in Tränen.

»Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen«, sagte sie, kaum dass der Anfall vorüber war. Die guten Vorsätze. Alles Quatsch, wenn sich eine Gefühlslawine Bahn brach.

»Unsinn, Karla. Wenn du mich fragst, aber du fragst mich ja nicht – schon klar –, hättest du viel früher herkommen sollen. Fritz hätte das auch gewollt.«

»Was weißt du schon von Fritz?« Ihre Stimme klang ihr selbst fremd. Abweisend und harsch.

»Nicht so viel wie du, aber er hätte ganz sicher gewollt, dass du endlich wieder lebst«, erwiderte ihre Freundin sanft. »Und ich meine damit nicht, dass du es richtig krachen lässt und Männer verschleißt. Ich meine nur, dass du dir einfach diese Geburtstagsreise gönnst. Und sie verdammt noch mal genießt.«

Sarah sagte noch viel mehr. Dinge, die sie ihr schon oft gesagt hatte. Dass Fritz auf einer Wolke säße und ihr zuriefe: Los, Schatz, stürz dich endlich ins Leben! Sie wurde nicht müde, immer wieder dieselben kindlichen Vorstellungen zu bemühen. Karla wusste, dass Sarah es nur gut meinte, doch mitunter waren ihr diese Gespräche einfach zu viel. Es reichte schon, dass sie ab und zu zum Hörer griff, um Fritz anzurufen. Es geschah ganz automatisch, und manchmal wurde ihr erst im allerletzten Moment bewusst, wie unsinnig das war. Weil es ihren Mann nicht mehr gab. Er existierte lediglich als Zahlenfolge in den Telefonkontakten ihres Handys. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, die Nummer jemals zu löschen. So wie sie auch Fritz niemals aus ihrem Herzen radieren würde.

Karla trat an den Spiegel, wischte sich die Spuren der verschmierten Wimperntusche weg, dann legte sie ein Lächeln auf, griff beherzt nach ihrer Tasche und sagte: »Komm, Sarah, wir machen jetzt die Stadt unsicher. Das Auspacken kann warten.«

***

Erik saß, einen leeren Pappbecher zwischen den ausgelatschten Chucks, in der Rue Grignan in Marseille und schnorrte. Peinlich, dass es überhaupt so weit gekommen war, aber er war abgebrannt. Alles bis auf den letzten Cent ausgegeben. Er hatte versucht, per Anhalter aus der Stadt rauszukommen – ohne Erfolg. Niemand hatte ihn mitnehmen wollen. Weder die Einheimischen in ihren Kleinwagen noch die Ausländer, die in ihren Luxusschlitten an ihm vorbeigeschnurrt waren. Vielleicht lag es ja an dem Bart, den er sich aus purer Faulheit hatte stehen lassen. Zugegeben, es war ein ziemliches Gewächs. Und während er die Schuhe der vorüberlaufenden Menschen scannte, fragte er sich, ob er einen Typen mitgenommen hätte, der so verlottert und zottelig wie er aussah. Sein Rucksack war vollgestopft mit dreckigen Klamotten, im Seitenfach steckten die nigelnagelneuen Sneakers, die ihm sein Ex-Gastbruder Guy geschenkt hatte. Für die coolen Treter hatte er sich bei ihm mit einem Shirt von einer angesagten französischen Marke revanchiert und seiner Ex-Gastmutter Claire als Dankeschön für die Gratis-Woche im Hotel Mama einen teuren Duft gekauft. Mit der Folge, dass er jetzt wie ein Penner auf der Straße hockte. Sei’s drum. So oder so hatte es sich gelohnt.

Vor drei Jahren, mit siebzehn, war er für zwei Monate nach Marseille gegangen, um sein Französisch fürs Abi aufzupeppen. Doch statt die Sprache zu lernen, war er mit seinem Gastbruder Guy um die Häuser gezogen, er hatte den ersten Alkoholrausch durchlebt, Mädchen angeschmachtet und sich ganz nebenbei mit Guy angefreundet. Guy war in den Weihnachtsferien zu ihm nach Berlin gekommen – eine echt coole Zeit –, und sie hatten abgemacht, einander bald wieder zu besuchen. Aber erst hatte Guy sein Bakkalaureat gemacht, dann Erik sein Abi, und ruck, zuck waren drei Jahre um gewesen. Grund genug, das Versprechen endlich wahr zu machen und ihn zu besuchen. Heute, spätestens morgen musste Erik in Cannes auflaufen, sonst würde es Stress mit seiner Mutter geben. Der fünfzigste Geburtstag ... Nicht mal ein Geschenk hatte er für sie. Weil es ihm wichtiger gewesen war, sich bei Claire zu bedanken.

Ein paar Mädchen stöckelten mit Kaffeebechern vorüber.

Blitzschnell checkten sie ihn ab und trippelten, die Nasen in die Luft gereckt, weiter. Am liebsten wäre er hinter ihnen hergelaufen, um das Missverständnis aufzuklären. Nein, ich bin kein Obdachloser, also, nicht grundsätzlich, nur heute, weil ich die Kohle für die Fahrkarte brauche. Vielleicht hätten sie Mitleid mit ihm gehabt und ein paar Cent rausgerückt, aber er hatte seinen Stolz und blieb sitzen. Fahrig fummelte er sein Handy aus der Gesäßtasche. Mist, die Zeit drängte. Wenn er es in den nächsten Stunden nicht schaffte, genug Geld zu erbetteln, musste er eine weitere Nacht in Marseille ausharren. Und das ging gar nicht. Seine Mutter würde einen Riesenaufstand machen. Na klar, es war ein Affront, auf den letzten Drücker oder verspätet zum runden Geburtstag der eigenen Mutter aufzulaufen. Warum feierte sie auch ausgerechnet in Cannes? Sie würde sich ja doch bloß wieder die Augen aus dem Kopf heulen. Wie jedes Jahr rund um Papas Todestag. Erik weinte auch noch um seinen Vater, aber nur für sich im stillen Kämmerchen und seit einiger Zeit immer seltener.

Es gab Tage, da plagten ihn Zweifel, ob es ein Unfall gewesen war. Vielleicht hatte er einfach genug gehabt. Von dem öden Job als Bühnenpförtner. Schon als Schüler hatte er von einem Leben auf den Brettern, die die Welt bedeuten, geträumt. Als Bariton in La Traviata, La Bohème und Carmen. Aber es hatte nicht sein sollen. Sein Talent hatte nicht ausgereicht, was auch immer. Gegen die Theorie sprach, dass er das Haus gekauft hatte, diese Wahnsinnsvilla, die er gar nicht mehr hatte genießen können.

Erik schaute in den Himmel, alles grau in grau, und dann begann es zu nieseln. Ungünstig. Wenn es regnete, gaben die Passanten noch weniger Geld. Wer hatte schon Lust, stehen zu bleiben, das Portemonnaie zu zücken und sich dabei nass regnen zu lassen?

Sein Handy piepte, eine Nachricht von Hannah. Nahezu in derselben Sekunde schiffte es richtig los, und Erik rettete sich unter das Vordach der Boutique mit bretonischen Ringelshirts gegenüber.

Die Sache mit Hannah lief noch nicht lange, aber Erik konnte sich nicht erinnern, jemals so glücklich, so verliebt gewesen zu sein. Hannah war ein Hauptgewinn. Sie hatte alles, was er sich von einer Frau wünschte. Brüste, Hintern, Hirn. Okay, andere Reihenfolge: Hirn, Brüste, Hintern. Sie studierte Medizin im zweiten Semester und hatte Großes vor. Anästhesistin. Seine Mutter fand das cool. Ein Mädchen, das so klare Vorstellungen von der Zukunft hatte. Im Gegensatz zu ihm, der auch noch zwei Jahre nach dem Abi haltlos über den Globus gondelte und keine Ahnung hatte, was er mit sich und seinem Leben anfangen sollte. Er blickte auf das Handydisplay und las: »Hey, du. Ich muss dir was sagen ... äh, sorry, es klingelt gerade.« Ende der Nachricht. Im spannendsten Moment aufhören, das konnte er ja gut leiden. Hannah hatte diese Art mitunter auch drauf, wenn sie im Bett zugange waren. Dann ließ sie jäh von ihm ab, weil irgendetwas anderes wichtiger war. Ihr Handy, ihr Make-up, ihr fiel so einiges ein.

Mit dem Smartphone in der Hand starrte Erik in den Regen. Gut, es war südfranzösischer Regen, aber auch der war grau und ließ die Laune in den Keller rauschen. Ihn beschlich ein mulmiges Gefühl. Was um Himmels willen musste sie ihm so dringend sagen? Dass er der Größte war? Wohl kaum. Dass sie ihn liebte und vermisste? Vielleicht. Oder dass sie schwanger war? Ein Albtraum! Er wollte kein Kind. Grundsätzlich schon, aber garantiert nicht jetzt, da er keinen blassen Schimmer hatte, wie es mit seinem Leben weitergehen sollte. Er war nicht reif für das Projekt Familie. Im Geiste spulte er die Male ab, die sie miteinander geschlafen hatten. Wie üblich mit Kondom und keins war gerissen. Nur einmal hatten sie es im Eifer des Gefechts weggelassen.

In seinem Kopf brach ein ziemliches Tohuwabohu aus, und als das Handy erneut piepte, blieb sein Herz beinahe stehen.

»Sorry, Erik«, las er, »es haut nicht mehr mit uns hin. Ich hab keinen anderen, falls du das denkst. Mir ist nur klar geworden, dass du es nicht bist. Tut mir leid. Hannah.«

Seine Beine gaben nach, und er ließ sich an der Schaufensterscheibe der Boutique nach unten gleiten. Irgendetwas bohrte sich ihm in den Rücken, doch das war ihm egal. Sie hatte per SMS mit ihm Schluss gemacht. Das war erbärmlich. Und feige. Natürlich tat es ihr nicht leid. Im Gegenteil. Sie war sicher heilfroh, dass ihr eine Aussprache erspart blieb. Schon beim letzten Konzertbesuch in Berlin hatte er gemerkt, wie sie auf Abstand gegangen war. Die Küsse hatte sie sich noch gefallen lassen, aber als er sie ein paar Biere später zu sich in sein frisch bezogenes Bett einlud, hatte sie geschäftig auf ihrem Handy herumgetippt und erklärt, dass das nicht gehe. Die Cousine einer Freundin habe Geburtstag, und sie müsse mit den beiden um die Häuser ziehen. Klar, ganz dringend. Erik hatte sich gönnerhaft gezeigt. Weil man Frauen besser nicht unter Druck setzte. Diesen Fehler hatte er nur einmal mit siebzehn begangen. Erste große Liebe. Er hatte gedrängelt, genörgelt, wiederholt Szenen gemacht – und Lisa verloren. Er hatte auch Ella verloren, seine zweite Freundin. Weil er sich zu wenig für sie interessiert hatte, angeblich. Dabei hatte er sich absichtlich nicht wie ein Blutegel bei ihr angedockt, sondern ihr Raum zum Atmen gelassen. Nach Ella war er mit Nele zusammen gewesen, ein Festival-Wochenende lang. Am Montag darauf war ihr eingefallen, dass sie einen Freund hatte und der so eifersüchtig war, dass er schon mal auf einen Nebenbuhler mit dem Messer losgegangen war. Es hatte noch ein paar andere Mädels gegeben, flüchtige Begegnungen, manchmal nur ein One-Night-Stand, aber nie hatte er Schluss gemacht. Immer waren es die Mädchen gewesen. Der Super-Gau für sein angeknackstes Selbstbewusstsein, und hätte Guy nicht immer wieder auf ihn eingeredet, hätte er es mit den Frauen, mit dem Sex und mit diesem ganzen Gefühls-Wahnsinn einfach gelassen.

Doch dann war er buchstäblich in Hannahs Leben gefallen. Er hatte sie das erste Mal in der Sauna getroffen. Ein Teil war abgesperrt, nur für Frauen zugänglich, aber er war, das Handy vor der Nase, wie ein Volltrottel hineingestolpert. Mann, gab das ein hysterisches Gekreische! Als hätte er vorgehabt, über die vier Damen – durchschnittliches Alter zwischen vierzig und scheintot – herzufallen. Nur eine hatte nicht geschrien. Hannah. Sie hatte gegrinst und ihm kurz darauf, als er mit erhitzten Wangen an der Tram-Station vorm Schwimmbad stand, zugelächelt. Total süß. Und beim Sex, zu dem es exakt eine Stunde später in ihrer WG gekommen war, hatte sie leise geseufzt und ihm gesagt, wie aufregend sie ihn fände.

Und jetzt das. Warum zum Teufel? Wieso liebte sie ihn nicht mehr?

Der Regen ließ nach, und während er erneut seinen Platz an der Straßenlaterne bezog, beschloss er, ihr nicht zu antworten. Wozu auch? Um ihr was zu sagen? Vielen Dank für die Info, ich wünsche dir ein cooles Leben?

»Erik?« Die Stimme drang wie aus einer anderen Galaxie an sein Ohr, und als er aufblickte, stand Guy vor ihm. Womöglich schwebte er in einer Blase seiner Fantasien, sicher war sich Erik nicht.

»What are you doing here?«, fragte Guy.

»Well ...«, hob Erik an, wusste dann jedoch nicht weiter. Sie redeten fast nur Englisch miteinander. Reine Faulheit. Erik hatte keine Lust, in stümperhaftem Französisch vor sich hin zu stammeln, und Guy stand nicht darauf, sich Eriks stümperhaftes Französisch anzuhören.

»Warum bist du noch nicht in Cannes?«, fragte sein Kumpel.

Erik rappelte sich hoch, klopfte sich das Hinterteil ab und sagte: »Erwischt. Hab kein Geld mehr.«

Guy strich sich die nassen Locken aus der Stirn, aber sie fielen ihm gleich wieder über die Augen. »Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte dir doch was gepumpt.«

Erik nickte seinem Freund dankbar zu. Das Zugticket war ihm im Moment herzlich egal. Er hatte andere Probleme. Und als Guy grinsend zwei Scheine zückte, sagte Erik: »Hannah hat Schluss gemacht.«

»Echt? Deine Hannah?«

»Sie ist nicht mehr meine Hannah, und vielleicht war sie es auch nie.«

Guy klopfte ihm auf die Schulter und erklärte, dass es Wichtigeres gäbe, als einer bescheuerten Kuh nachzutrauern, die es nicht wert war.

»Und was?«

»Ein Bier trinken gehen, zum Beispiel.«

Erik stöhnte. »Meine Mutter wird mich köpfen, wenn ich heute nicht mehr in Cannes auftauche.«

»Keine Panik. Du fährst morgen ... ganz früh. Und jetzt erzählst du mir erst mal alles.«

Sie steuerten ein Bistro an, Guy suchte eine günstige Verbindung für den nächsten Morgen heraus und bei einem Bier, das zugegebenermaßen Eriks Lebensgeister weckte, hielt sein Kumpel ihm einen Vortrag über Gefühle und über Männerfreundschaften. Und dass die am Ende mehr als alles andere zählten.

»Es kommt schon wieder eine Frau. Du musst nur dranbleiben, Alter.«

»Wie lange? Bis ich sechzig bin?«

Guy lachte schallend auf. »Achtzig ist die Deadline. Wenn du bis dahin nichts aufgerissen hast, kannst du es ebenso gut bleiben lassen.«

Kapitel 2

Es war heiß, ja stickig im Apartment. Die Klimaanlage hatte einen Sekundenbruchteil, nachdem Sarah sie eingeschaltet hatte, den Geist aufgegeben. Dumm gelaufen. Vielleicht war sie auch schon vorher hinüber gewesen, und das kurze Aufflackern des grünen Lämpchens war ein letztes Aufbäumen, kurz bevor die Technik endgültig versagte.

Unten wummerten die monotonen Bässe der Sportbar. Bum-bum-bumbum, Pause, bum-bum-bumbum, Pause.

Sarah strampelte das Laken beiseite und riss das Fenster auf. Mit der kühleren Luft drang Gelächter zu ihr herauf. Draußen auf den Barhockern saß eine muntere Truppe und wurde mit jedem Drink enthemmter. Das war kaum zu ertragen; selbst Sarahs Schmerzgrenze war inzwischen erreicht. Sie hatte Karla das ruhigere Zimmer überlassen, weil die Nerven ihrer Freundin seit Tagen blank lagen. Wegen Fritz. Wegen ihres Geburtstags. Wegen allem. Karla war immer die Sensiblere von ihnen gewesen, schon damals, als sie sich im Studium kennengelernt hatten – rund ein Vierteljahrhundert war das her. Gemeinsam hatten sie in verschiedene Studienfächer reingeschnuppert, ein Semester lang auch in Romanistik. Was wurde man eigentlich mit einem Abschluss in Romanistik? Römerin ja wohl kaum. Gerade Karla mit den aschblonden, glatten Haaren und den grünblauen Augen.

Damals hatte Karla als Statistin an der Oper gejobbt und war im Laufe der Zeit dort hängen geblieben. Sie hatte Opernkarten verkauft, an der Garderobe ausgeholfen und eine Spielzeit lang in der Bühnenbild-Abteilung assistiert. Kurz darauf war die Referentin des künstlerischen Betriebsdirektors in Elternzeit gegangen, und Karla hatte ihre Chance genutzt. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie sich unentbehrlich gemacht, und als die Kollegin ein Jahr später abermals schwanger wurde und ausschied, bot man ihr einen unbefristeten Vertrag an. Ein sicherer Job, nicht sonderlich aufregend, aber Monat für Monat hatte er zuverlässig Geld in die Familienkasse gespült.

Sarah sog tief die frische Abendluft ein, dann lehnte sie das Fenster an und streckte sich wieder auf dem Bett aus. Nur im Slip lag sie da und versuchte, das Geplapper und Gelächter von draußen auszublenden. Wann gingen diese Leute eigentlich zu Bett? Gingen sie überhaupt jemals zu Bett? Ihre Gedanken schweiften zu ihrem Mann – was Götz jetzt wohl trieb? Da fiel ihr ein, dass sie gleich nach ihrer Ankunft in Berlin samt Gepäck zur Arbeit in die Seniorenresidenz musste. Sie sah die Papierberge auf ihrem Schreibtisch förmlich vor sich und fing an zu gähnen. Ja, es gab auch die berührenden Momente. Wenn sie einer Bewohnerin ein Zimmer mit Spreeblick anbieten konnte und die sich wie ein kleines Kind freute. Oder wenn die Angehörigen ihr Blumen mitbrachten und die Arbeit des Teams in höchsten Tönen lobten. Dennoch war der Großteil ihres Jobs längst Routine, und manchmal bereute sie es, dass sie keinen ihrer Studiengänge zu Ende gebracht hatte. Was hätte sie alles werden können! Journalistin vielleicht. Oder Apothekerin. Oder Galeristin. Götz hingegen hatte es geschafft. Er war Anwalt mit eigener Kanzlei. Weil sie, die dusselige Ehefrau, ihm stets den Rücken freigehalten hatte.

Der Strom der Gedanken wollte nicht abreißen, und ihr Blick ging zum Wecker. Halb drei. Himmel, wieso war sie nur so putzmunter? Zur Probe hatten sie in Karlas Geburtstagslokal zu Abend gegessen – der Wildkräutersalat und das Kalbssteak waren ein Gedicht gewesen –, den Espresso zur Crème Brûlée hatte sie absichtlich ausgelassen. Sie angelte sich das T-Shirt, das sie achtlos auf die andere Betthälfte geworfen hatte, und zog es über, dann tapste sie barfuß in die Küche.

Der Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sie eine geduckte Gestalt auf dem Hocker am offenen Fenster sitzen sah.

»Karla?«

Ihre Freundin fuhr herum. »Meine Güte, mir ist fast das Herz stehen geblieben! Was tust du hier?«

»Und du?«, entgegnete Sarah.

»Ich warte darauf, dass ich Geburtstag habe.« Karla schlug die Beine übereinander. »Ich bin um halb vier geboren. Wenn du es genau wissen willst.«

»Ist Erik eigentlich schon da? Ich hab gar nichts gehört.«

Karla strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ihm ist was dazwischengekommen. Er nimmt einen frühen Zug. Hat er mir versprochen.«

Sarah widerstand dem Impuls zu fragen, was bitte schön wichtiger sein konnte als der Geburtstag der eigenen Mutter. Es ging sie nichts an. Sie hatte sich nie in die bisweilen fragwürdigen Erziehungsstile ihrer Freundinnen eingemischt.

Da es sich zu zweit besser wartete, knipste Sarah die Lichtröhre unter der Spüle an, öffnete den Kühlschrank und nahm den Begrüßungs-Chardonnay raus, der bloß darauf zu warten schien, ausgetrunken zu werden.

Doch dann war kein Flaschenöffner da, und Karla half ihr beim Suchen. Sie zogen sämtliche Schubladen auf, durchwühlten die Schränke und fanden alles, was man zum Überleben brauchte. Nur ein Flaschenöffner ließ sich nicht auftreiben. Sarah wollte den Korken reindrücken, aber Karla, die nach nebenan gegangen war, kam triumphierend lächelnd mit einem Öffner zurück.

»Wo hast du den denn jetzt her?«

»War in meiner Kulturtasche. Fritz hat ihn mir mal reingesteckt. Für Notfälle.« Karla lachte erstickt. »Und jetzt ist wohl so ein Notfall.« Sie verstummte, und ihr Lächeln erstarb.

Sarah versuchte, die heikle Situation zu überspielen, indem sie beherzt die Flasche entkorkte und zwei Gläser Wein einschenkte. Sie stießen an, auf den Kurzurlaub, auf Südfrankreich, auf die Chardonnay-Rebe. Die Zeit tröpfelte, nachts schien sie einem anderen, langsameren Rhythmus zu folgen. Erst als sie sich über die Filme unterhielten, die sie zuletzt im Kino gesehen hatten, tickte die Uhr schneller, und plötzlich war es halb vier. Sarah drückte Karla an sich.

»Glückwunsch, meine Schöne.« Sie überschüttete sie mit guten Wünschen, was man eben so sagte, wenn man der Freundin wohlgesonnen war, dabei hoffte sie nur eins: dass sie Fritz endlich losließ und das Leben lebte, das sie verdient hatte.

»Findest du mich eigentlich alt?«, fragte Karla.

»O ja, steinalt. Das Greisentum klopft an.« Sarah lachte. Im Nachthemd, die Füße angezogen, sah Karla aus wie damals als Studentin. »Falls es dich tröstet: Bei mir dauert’s auch nicht mehr lange. Aber bis dahin ...« Sie nahm einen letzten Schluck, stellte das Glas schwungvoll ab und sagte: »Komm. Wir gehen runter zum Meer.«

»Mitten in der Nacht? Du bist ja verrückt!«

»Damit hab ich kein Problem.«

Und bevor Karla in eine sentimentale Leier verfallen konnte, dass sie das Bergfest des Lebens nun hinter sich hätte und abgesehen vom Umzug in ein Seniorenheim nichts Aufregendes mehr passieren würde, entführte Sarah sie an den Strand.

***

Eine entrückte Stille lag über dem Meer. Ein kaum spürbarer Wind blies, der Mond stand als schmale Sichel über dem tiefschwarzen Wasser, hin und wieder gaben die Wolken die Sicht auf die blinkenden Sterne frei.

Karla war beschwipst. Mehr noch, in ihrem Kopf war Seegang ausgebrochen. Aber das war in Ordnung, wenn man Geburtstag hatte und eine geradezu mystische Nacht mit der besten Freundin erlebte. Morgen würde sie unausgeschlafen sein – na und? Viel zu selten hatte sie sich in den letzten Jahren so lebendig gefühlt. Und sie wollte den Zustand jetzt so richtig auskosten.

Sarah hatte im Nu zwei Liegestühle auseinandergeklappt und malte mit dem Zeh Kreise in den vom Regen feuchten Sand. Nach den Kreisen ein Herz, das sie gleich wieder verwischte.

»Möchtest du dein Geschenk haben?«, fragte sie.

»Hast du’s denn dabei?«

Sarah hatte nichts mitgenommen, und die Taschen ihrer Lederjacke beulten sich kein bisschen aus.

»Klar doch!« Ihre Zähne blitzen im Dunkeln auf. »Ich bin immer bestens vorbereitet.«

»Dann her damit!«

Sie wühlte in den Gesäßtaschen ihrer Jeans, fand aber nicht, wonach sie suchte. Sie kramte weiter, griff in ihre Jackentasche und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor.

Triumphierend wedelte sie damit vor Karlas Augen. »Aha?

Was haben wir denn da, liebe Karla?«

»Einen Zettel?«

»Brillant, Miss Marple!«

»Das ist mein Geschenk? Aber was soll das sein? Steht was drauf?«

»Erst lesen, dann dumme Fragen stellen.«

Ihre Freundin grinste in diebischer Vorfreude, und Karla wurde immer gespannter. Sarah und ihre ausgefallenen Ideen! Bestimmt hatte sie sich etwas Besonderes für sie zum Fünfzigsten ausgedacht.

Karla entfaltete das Papier, und im Licht von Sarahs Handytaschenlampe las sie: Gutschein.

»Ein Gutschein? Wofür?«

Sarah zog ein weiteres Blättchen heraus, auf dem stand ebenfalls nur ein Wort: »Taxiboy.«

Taxiboy? Was sollte das sein? Ein Mann, der sie im Taxi von A nach B fuhr?

Karla räusperte sich. »Ich steh auf dem Schlauch. Gibt es zufällig noch einen dritten Zettel?«

»Gut, dass Sie danach fragen, Miss Marple.«

Sarahs Hand verschwand abermals in der Jackentasche, und sie angelte einen dritten Wisch hervor. Darauf stand in Schönschrift:

Liebe Karla,

du wirst sicher überrascht sein, vielleicht wird sich sogar Widerstand in dir regen, aber ich möchte dir einen Abend mit einem sogenannten Taxiboy oder – wie man in Deutschland sagt – einem Eintänzer schenken. Der Mann, den ich in einer Agentur gebucht habe, wird dich einen Abend lang stilvoll bereiten, mit dir Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba oder was immer dein Tänzerinnen-Herz begehrt, tanzen und dir hoffentlich ein paar vergnügliche Stunden bescheren.

Deine Freundin Sarah

Die Enttäuschung sackte Karla wie ein Stein in den Magen. Womöglich war es sogar eine ganze Lawine, die sich mit jeder Menge Geröll ihren Weg ins Tal bahnte.

»Karla?«

»Ja, sehr schön, Sarah.« Sie beugte sich zu ihrer Freundin rüber, gab ihr ein Küsschen auf die Wange und bedankte sich pflichtschuldig. Weil man das ja so tat, wenn man etwas geschenkt bekam.

»Du freust dich gar nicht, oder?«

»Natürlich freue ich mich«, entgegnete Karla mit einem bitteren Geschmack im Mund. »Aber ich weiß offen gestanden nicht, was du damit bezweckst.«

Ein paar Jugendliche zogen, einen französischen Song grölend, vorüber. Sie hatten Bier- und Weinflaschen dabei, und einer ließ seine leere Zigarettenschachtel in den Sand fallen. Irgendwer machte das schon wieder sauber, klar. Kaum war die Gruppe vorbei, sagte Sarah: »Du bist doch früher immer so gerne mit Fritz tanzen gegangen, oder?«

Karla nickte.

»In den letzten fünf Jahren warst du nicht ein Mal aus.« Das stimmte, aber war das verwunderlich? Nach Fritz’ Tod hatte es niemand Neues in ihrem Leben gegeben. Und selbst wenn, hätte sie keine Lust gehabt, mit einem Fritz-Ersatz tanzen zu gehen. Dadurch würde ihr Mann auch nicht wieder lebendig werden.

»Und da dachte ich«, fuhr Sarah fort, »dass du vielleicht Lust hast, es mal wieder zu probieren.«

»Es?« Karla stand auf und klappte den Liegestuhl mit einem Ruck zusammen. »Was meinst du damit? Tanzen? Sex? Oder beides?«

»Nein, Quatsch ...«

Unbehagen stieg in Karla auf, und in der nächsten Sekunde brach es aus ihr hervor: »Jetzt mal im Ernst, Sarah. Wirke ich so bedürftig, dass du mir jetzt schon einen Callboy organisierst?«

»He, he, he! Kein Sex. Eintänzer sind keine Männer für gewisse Stunden. Sie haben ihren Ehrenkodex.«

Sarah lächelte angestrengt. Sie schien enttäuscht und auch eine Spur verletzt zu sein.

Eintänzer, Taxiboy, Escort, Callboy – war das nicht alles ein und dasselbe? Eine einsame Frau zahlte für die Dienste eines Mannes, damit sie sich für ein oder zwei Stunden nicht mehr ganz so bedauernswert fühlte. Das hatte sie nicht nötig, und sie würde es nie so weit kommen lassen, es jemals nötig zu haben.

Sarah war verstummt. Sie stand auf und versuchte ihren Liegestuhl zusammenzuklappen, doch es gelang ihr nicht, und Karla kam ihr trotz ihres Ärgers zu Hilfe. Immer noch sprachen sie kein Wort miteinander.

»Tut mir leid«, murmelte Sarah, als sie etwas später an der Küstenstraße an der Ampel warteten. Sogar um diese Uhrzeit brausten schnittige Wagen, Vespas, selbst Lieferwagen an ihnen vorüber. »Wirklich. Ich wollte dir nicht zu nahetreten.«

Eine Pause trat ein. Nachdem ein Cabrio vorbeigeflitzt war, fuhr sie fort:

»Wenn du magst ... ich könnte dich begleiten. Es gibt da diesen Flotten Dreier, den könnte ich buchen, und dann rette ich dich, falls der Tänzer ein Reinfall ist.« Sie lächelte zerknirscht. »Aber wenn du so gar nicht magst, gebe ich den Gutschein zurück, und du bekommst was anderes. Wie wär’s mit einem Seidentuch? Gemustert oder uni, was würde dir gefallen?«

»Nein, Sarah, mir tut es leid.« Karla hielt ihre Freundin, die schon loslaufen wollte, am Arm fest. »Du hast dir so viel Mühe gegeben, und ich blöde Kuh weiß es nicht zu schätzen.«

»Schon okay. Ich dachte nur ...«

Die Ampel sprang auf Grün, und sie huschten über die Straße.

»Dass es dir vielleicht Spaß machen würde«, fuhr Sarah fort, als sie sicher auf der anderen Straßenseite angekommen waren.

Spaß, was war das noch gleich? Auf jeden Fall nichts, was häufig in Karlas Leben vorkam. Tag für Tag hockte sie in dem Glaskasten-Büro, langweilte sich und fieberte den Opernpremieren – Highlights in ihrem sonst so schnöden Arbeitsalltag – entgegen. Und über Erik ärgerte sie sich, das auch. Warum kam der Junge nicht in die Gänge? Was war so schwer daran, das Lotterleben aufzugeben und etwas Sinnvolles anzufangen? Wollte er etwa noch ein paar Jahre im Hotel Mama hocken und sich von vorne bis hinten bedienen lassen? Das kam bei den Mädels gar nicht gut an. Sie hätte sich früher nicht mit einem eingelassen, der noch mit zwanzig in seinem Kinderzimmer hauste. Überhaupt, Eriks Zimmer war auch so ein Thema. Verlottert bis zum Geht- nichtmehr. Zog er sich abends die Klamotten aus, verteilte er sie überall, als müsste er sein Revier markieren. Aß er vor dem Fernseher – was oft genug vorkam –, blieb das schmutzige Geschirr auf den Dielen oder auf der Sessellehne stehen. Karla war es leid. Endgültig. Ihr Sohn musste endlich aufwachen und erwachsen werden.

Sie musterte Sarah von der Seite und dachte traurig, dass es unehrlich wäre, wenn sie sich ihretwegen verbog.

»Entschuldige, Sarah«, sagte sie und lehnte sich an ihre Schulter. »Es geht nicht. Ich kann einfach nicht mit anderen Männern tanzen. Sei mir bitte nicht böse.«

»Das bin ich nicht, alles okay.«

Ihr Lächeln war entwaffnend ehrlich, und als sie ins Apartment zurückkehrten, setzten sie sich in die Küche, um Karlas Ehrentag mit einem Absacker zu begießen und den heraufdämmernden Tag zu begrüßen. Kurz darauf musste Sarah gähnen, Karla ebenfalls, sie putzten sich rasch die Zähne, dann sanken sie bleischwer ins Bett. Morgen war auch noch ein Tag. Und Karla schlief in dem beruhigenden Gefühl ein, dass alles zwischen ihnen in Ordnung war. Weil sie sich, was auch immer vorgefallen sein mochte, immer wieder verziehen.

Kapitel 3

Luciens erster Gang führte zu seinem Stadtpalais. Pardon, zu Karlas und seinem Stadtpalais. So sehr er Karla schätzte, die Vorstellung, dass die Hälfte der Immobilie ihr gehörte, war nach wie vor eigenartig. Fritz und er und ihr Traum vom gemeinsamen Haus in Südfrankreich – das war so viele Jahre lang fester Bestandteil ihrer Freundschaft gewesen, dass selbst Fritz’ Tod nichts daran zu ändern vermocht hatte.

Angefangen hatte es in der achten Klasse. Lucien, der von den Ferien bei den Großeltern in Antibes zurückgekommen war, hatte seinen besten Kumpel in seinen Lieblingsfilm Ein mörderischer Sommer geschleppt und ihm, da der Film im Original lief, souffliert. Wobei er sich das hätte sparen können, weil Fritz von Anfang an wie gebannt auf die Leinwand starrte und sich in Nullkommanichts in die blauen Augen von Isabelle Adjani verguckte. Lucien verguckte sich ebenfalls in ihre Augen, ihren Mund und ihre Haare, was aber kein Grund war, sich deswegen zu streiten. Im Gegenteil schweißte es sie umso mehr zusammen. Sie verknallten sich also bis über beide Ohren in die Schauspielerin mit den hübschen Brüsten, und während ihre Hormone ein wildes Spiel in ihnen trieben, hatten sie sich nebenbei in die südfranzösische Landschaft verliebt.