Ein Sommer in Sydney - Madeleine St John - E-Book

Ein Sommer in Sydney E-Book

Madeleine St John

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Beschreibung

Sydney in den fünfziger Jahren: Patty, Fay, Lisa und Magda sind Verkäuferinnen in einem Kaufhaus, in der Abteilung für Cocktailkleider. Alle haben höchst unterschiedliche Wünsche und Sehnsüchte für ihre Zukunft. Patty wünscht sich Kinder, Fay hat die üblichen Schwierigkeiten mit den Männern, Lisa hingegen sehnt sich nach Höherem, will sich weiterbilden. Nur Magda scheint es leicht zu haben: sie ist gut verheiratet und erst kürzlich nach Australien eingewandert. Gegen alle Widrigkeiten finden die Frauen ihren eigenen Weg. Mit subtilem Witz zeigt Madeleine St John die fernen fünfziger Jahre. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Madeleine St John

Ein Sommer in Sydney

Roman

Aus dem Englischen von Till R. Lohmeyer und Christel Rost

FISCHER Digital

Inhalt

Dieses Buch ist dem [...]12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243444546474849505152535455

Dieses Buch ist dem Andenken an M. & Mme. J.M. Cargher gewidmet.

1

Am Ende eines heißen Novembertages legten Miss Baines und Mrs. Williams von der Abteilung für Damenoberbekleidung bei Goode’s ihre schwarzen Dienstuniformen ab und, bevor sie sich auf den Heimweg machten, klagten sie einander ihr Leid.

»Mr. Ryder ist ja gar nicht so übel«, sagte Miss Baines und meinte damit den Abteilungsleiter.

»Nur Miss Cartright ist eine Nervensäge, entschuldigen Sie meine unverblümten Worte.« Miss Cartright war die Einkäuferin, die ihnen keine Sekunde Ruhe zu gönnen schien.

Mrs. Williams zuckte die Achseln und begann ihre Nase zu pudern. »Um diese Jahreszeit ist sie immer besonders schlimm«, erklärte sie. »Sie legt großen Wert darauf, daß wir uns unsere Weihnachtsgratifikation auch wirklich verdienen.«

»Was sollen wir denn noch tun!« sagte Miss Baines. »Wir laufen uns ja jetzt schon die Hacken ab.«

Was durchaus stimmte: Bis zum großen Fest waren es nur noch sechs Wochen. Immer mehr Kundinnen strömten in die Abteilung, und immer schneller verschwanden die Kleider von den Stangen. Und als Mrs. Williams am Abend im Waschbecken ihre Unterwäsche auswusch, beschlich sie auf einmal das Gefühl, daß mit dem Spülwasser, das gurgelnd im Abfluß verschwand, auch ihr Leben verrann. Doch sie riß sich zusammen und machte weiter mit ihrer Hausarbeit, umgeben vom pulsierenden Dunkel der australischen Sommernacht.

Mrs. Williams, Patty, und Miss Baines, Fay, waren zusammen mit Miss Jacobs für die Cocktailkleider zuständig, die gleich neben den Abendkleidern am hinteren Ende der zweiten Etage des Kaufhauses Goode’s im Herzen von Sydney angesiedelt waren. F.G. Goode, ein aufgeweckter Unternehmer aus Manchester, hatte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts das Imperium begründet: »Damen- und Herrenbekleidung – die neueste Mode aus London«. Er hatte es nie bereut. Von vornherein war ihm klar gewesen, daß die Menschen in der Kolonie für die Vorstellung, nach der allerneuesten Mode gekleidet zu sein, gewissermaßen den letzten Penny auszugeben bereit waren. Inzwischen waren seine Enkel Hauptaktionäre eines Konzerns, der mit dem Verkauf der neuesten Londoner – und anderer verkaufsträchtiger – Mode Jahr für Jahr mehrere Millionen australische Pfund umsetzte. Zur Zeit befand sich vor allem die italienische Mode im Aufschwung. »I got it at Goode’s« lautete der Werbespruch über jener unerträglich hochmütig blickenden Dame, die sich in einem schrecklich schicken neuen Kleid den verzweifelt-neidvollen Blicken einer Freundin präsentierte. Kleider und Pose mochten sich im Laufe der Jahre ändern, doch die Anzeige mit dem Werbespruch erschien unabänderlich in der unteren linken Ecke der Frauenseite des Herald; wahrscheinlich war der Platz für alle Ewigkeit reserviert worden. Längst war der Werbespruch in Sydney ein geflügeltes Wort. Goode’s behielt seinen Vorsprung vor der Konkurrenz, weil man sich dort wirklich mit Herz und Seele der Mode hingab. Die Einkäufer wurden von der Firmenleitung zur Fortbildung in die großen Londoner oder New Yorker Kaufhäuser geschickt. Und zweimal im Jahr, wenn die neue Kollektion eintraf, machte die Belegschaft Überstunden. Die Ware wurde mit Preisschildern ausgezeichnet, die Schaufenster neu dekoriert. Dabei fielen immer wieder fachmännische Kommentare: »Dieses Modell kann ruhig neun Pfund kosten, das macht gar nichts«, verkündete Miss Cartright. »In vierzehn Tagen ist es ausverkauft, verlassen Sie sich darauf!«

Und so war es dann auch.

2

Mrs. Williams war eine kleine, magere, strohblonde Frau mit verhärmtem Gesicht und einer störrischen Dauerwelle. Frank, ihr Ehemann, war ein Scheißkerl – was sonst? Er hatte Patty geheiratet, als sie gerade einundzwanzig war und er selbst ein vor Gesundheit strotzender junger Mann von sechsundzwanzig. Alle Welt fragte sich, warum die beiden bisher keinen Nachwuchs in die Welt gesetzt hatten. Immerhin waren seit der Hochzeit mittlerweile zehn Jahre ins Land gegangen, und Patty arbeitete immer noch, obwohl das gemeinsame Heim inzwischen längst möbliert, um nicht zu sagen randvoll war, und sie das Geld, das sich auf dem Sparkonto bei der Bank of New South Wales ansammelte, eigentlich gar nicht brauchte. Sie wußte ganz einfach nicht, was sie – außer sparen – damit hätte tun sollen. Frank gab ihr nach wie vor regelmäßig Haushaltsgeld, das sie selbstverständlich auch immer bis zum letzten Penny ausgab. Sie kaufte oft Rumpsteak, wo andere Hausfrauen sich mit Hackfleisch und Würstchen begnügt hätten. Frank mochte eben Steaks. Wenn Patty nach getaner Arbeit bei Goode’s gegen sechs Uhr abends in das kleine Häuschen in Randwick zurückkehrte, holte sie das Steak aus dem Kühlschrank, bereitete das Gemüse zu und deckte den Tisch. Frank kam, meist mit leichter Schlagseite, kurz vor sieben nach Hause. »Hall-lo!« rief er dann auf dem Weg zum Badezimmer, wusch sich laut und heftig, und wenn er danach in die Küche stampfte, brutzelte auf dem Herd bereits das Steak.

»Na, was gibt’s zum Abendbrot, Patty?« war seine Standardfrage. Worauf sie »Steak!« antwortete, und er zurückgab: »Schon wieder Steak.«

Sobald sie jedoch versuchte, ihm etwas anderes vorzusetzen, maulte Frank, selbst bei Lammkoteletts. Dann fuchtelte er mit einem Knochen hin und her und sagte: »An diesen Dingern ist doch überhaupt nichts dran!«

Mrs. Williams selbst war es egal. Sie hatte schon vor Jahren ihren Appetit verloren. An den Wochenenden besuchte sie ihre Mutter oder eine ihrer Schwestern. Frank fuhr sie hin und holte sie wieder ab, und während sie »tratschte«, spielte er Golf in Kingsford oder saß im Pub herum und soff. Er war ein australischer Scheißkerl in Normalausführung – nicht grausam, nicht gewalttätig, einfach nur unsensibel und maulfaul.

Patty hatte ihrer Kinderlosigkeit wegen sogar schon einmal einen Arzt aufgesucht, und der hatte ihr versichert, daß bei ihr alles in bester Ordnung sei. »Ohne eine entsprechende Untersuchung Ihres Gatten können wir die Frage natürlich nur unzureichend beantworten. Es kann durchaus an ihm liegen, ja, das ist sogar wahrscheinlich. Vielleicht ist er unfruchtbar.«

»Möglich«, erwiderte Patty bedrückt. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß er deswegen zum Arzt geht.« Mit Frank konnte sie nicht einmal andeutungsweise über das Thema sprechen.

»Wie oft haben Sie denn Verkehr?« wollte der Arzt wissen.

»Na ja, nicht sehr oft. Er ist immer so müde.«

Tatsache war, daß Franks diesbezügliche Aufmerksamkeiten höchst sporadisch waren.

Der Arzt musterte seine Patientin resigniert. Eine Frau in den fruchtbarsten Jahren – und kein Baby an der Brust. Das war doch ganz und gar unnatürlich. Die Blüte der Jugend war dahin, so daß es ihr auch kaum gelingen würde, einen anderen Mann auf sich aufmerksam zu machen, der das, was hier not tat, vollbringen konnte. Nein, wenn der Ehemann nicht bald auf Zack kam, war das Leben dieser Frau vertan, vergeudet … ein Jammer, wirklich.

»Nun denn«, sagte er, »probieren Sie’s einfach weiter. Die Empfängnis ist manchmal nicht so einfach. Geben Sie ihr Chancen – so viele wie möglich. Sie haben ja noch reichlich Zeit.«

Als dieses Gespräch geführt wurde, war Patty dreißig Jahre alt. Der Arzt blickte ihr nach – eine neue Frisur, ein bißchen Farbe im Gesicht und ein schwarzes Nachthemd würden sie ganz ordentlich aufmöbeln. Aber der Ehemann würde es vermutlich gar nicht merken, dieser Trottel.

Mit dieser Annahme hatte der Arzt sicherlich recht. Frank arbeitete in der Verkaufsabteilung einer großen Dachziegelfabrik, deren verschiedenfarbige Produkte zu jener Zeit in einer verführerischen Auslage an der Parramatta Road zu besichtigen waren. Abend für Abend trank er nach der Arbeit mit seinen Kumpeln in einem Pub unweit des Railway Square, bevor er zu Patty und seinem stattlichen Rumpsteak zurückkehrte. Danach schaute er Patty beim Abwaschen zu, sah ein bißchen fern (das Fernsehen war eine Errungenschaft, die es hier erst seit kurzem gab) und schleppte sich ins Bett: »Glaube, ich hau’ mich in die Koje«, worauf Patty »Okay, Liebling« sagte und ihm folgte. Im blauen Nylonnachthemd legte sie sich neben ihn und vernahm alsbald sein tiefes Schnarchen.

Das unbenutzte Kinderzimmer war primelgelb gestrichen, um gleichsam für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Vergeblich wartete es auf einen kleinen Bewohner, während Patty im Zustand uneingestandener und unbewußter Verzweiflung fortfuhr, bei Goode’s zu arbeiten, Jahr für Jahr, bis sich vielleicht eben doch noch ein Baby ankündigen würde.

»Ich verstehe es nicht, nein, ich verstehe es wirklich nicht«, sagte ihre Mutter, Mrs. Crown, nicht zu Patty, sondern zu Pattys Schwester Joy.

»Ich glaube, mit Frank ist nicht viel los«, sagte Joy ungnädig.

»Ach was«, widersprach ihre Mutter. »Er ist doch ein gutgebauter, kräftiger junger Mann.«

»Das Aussehen allein macht’s auch nicht«, gab Joy zurück.

»Ich verstehe es nicht, wirklich nicht«, sagte Mrs. Crown.

»Dir kann’s ja auch egal sein«, sagte Joy.

Sie war jünger als Patty und hatte schon zwei Kinder. Patty war die mittlere Schwester. Dawn, die älteste, hatte drei Sprößlinge. Mit der Fortpflanzungsfähigkeit der Crown-Töchter war offensichtlich alles in Ordnung. Patty hätte Frank nie heiraten sollen, dachte Joy bei sich. Bestimmte Sonderwünsche ließ sie sich indessen immer gern von ihrer Schwester erfüllen. Brauchte sie zum Beispiel ein schickes Partykleid, bekam sie es mit Rabatt von Patty, die es für sich selbst bestellte, was, wenn man genau hinsah, nicht stimmen konnte, denn das Kleid war Größe achtunddreißig, während sie selbst Größe vierzig trug. Aber das war noch nie jemandem aufgefallen.

3

Vorschriftsmäßig erschienen Patty, Fay und Miss Jacobs (deren Vorname ein Geheimnis blieb) um zwanzig vor neun bei Goode’s und betraten das Gebäude durch den Personaleingang. Lediglich Fay kam hin und wieder zu spät – und sah entsprechend zerzaust und ungepflegt aus. Mit dem Personalaufzug fuhren sie in die oberste Etage, gingen in die Personalgarderobe gleich hinter der Buchhaltung, holten ihre schwarze Dienstkleidung, die sie am Abend zuvor in die Schließfächer gehängt hatten, heraus und zogen sich um.

Die schwarzen Kleider wurden die ganze Woche lang getragen, am Wochenende von Goode’s gereinigt und lagen zum Arbeitsantritt am Montagmorgen wieder bereit. Ein eigentümlicher Geruch haftete ihnen an. Nicht unbedingt unangenehm, aber eben doch anders – eine Mischung aus häufiger Reinigung, dem Odeur von billigem Talkumpuder und Schweißgeruch. Alle weiblichen Angestellten von Goode’s rochen gleich in ihren schwarzen Arbeitskleidern.

Der Schnitt der Kleider, die vom Arbeitgeber gestellt wurden, paßte sowohl zu einer fülligen als auch zu einer schlanken Figur, schmeichelte aber weder der einen noch der anderen. Die Aufgabe der Angestellten von Goode’s bestand ja auch nicht darin, das Kaufhaus zu schmücken, sondern dessen Waren zu verkaufen. Also stieg jede Frau mit einem resignierten Seufzer in ihr schwarzes Gewand und zupfte es vor ihrem Spiegelbild ohne viel Hoffnung ein wenig zurecht. Die Kleider waren aus Kunstseide, und ihr Stil erinnerte an die späten dreißiger Jahre. Man hatte ihn beibehalten, weil der Schnitt gut war und der Stoffverbrauch relativ gering.

Pattys Kleid hatte, wie wir bereits wissen, Größe Large, während Fay Medium trug und Miss Jacobs eine perfekte Figur für Small besaß, vor allem oben herum. Ihre Größe und ihre äußere Erscheinung waren praktisch das einzige, was von ihr bekannt war; alles andere blieb ein Geheimnis.

»Diese Miss Jacobs«, sagte Fay zu ihrer Freundin Myra, als sie bei Repin’s zusammensaßen und Eiskaffee tranken, »ist ein echtes Rätsel.«

Selbst Miss Cartright fand hie und da einen Anlaß, sich über Miss Jacobs zu wundern, die bisher noch nicht einen einzigen Tag wegen Krankheit oder aus anderem Grund gefehlt hatte. Wer war sie? Wo wohnte, aß und schlief sie? Wie sah ihr Leben jenseits der Öffnungszeiten von Goode’s aus? Niemand hatte die geringste Ahnung, ausgenommen der Lohnstelle. Dort kannte man wenigstens ihre Anschrift, wäre aber sicherlich nicht bereit, diese Information mit eventuellen neugierigen Fragestellern, die es ohnehin nicht gab, zu teilen. Abend für Abend verließ Miss Jacobs Goode’s in dem Rock und in der Bluse, die sie bei ihrer Ankunft am Morgen getragen hatte (im Winter in Jacke oder Mantel). Sie trug eine große Umhängetasche bei sich, in der sich ein oder zwei in braunes Papier gewickelte Päckchen befanden. Aber was befand sich in diesen Päckchen? Niemand hätte es sagen können. Sie verließ Goode’s zu Fuß über die Castlereagh Street in Richtung Quay, was aber über ihr eigentliches Ziel nicht viel aussagte: Von Hunter’s Hill (eher unwahrscheinlich) bis Manly (nicht auszuschließen) war alles drin.

Miss Jacobs, eine kräftige Dame älteren Jahrgangs, hatte einen dunklen Teint und dünnes, dunkelgraues Haar, das hinten auf ihrem großen, runden Kopf zu einem kleinen, altmodisch wirkenden Dutt zusammengebunden war. Sie trug eine Brille mit Stahlfassung, und im Ausschnitt steckte stets ein blütenweißes Taschentuch. Sie trug hochgeschnürte schwarze Schuhe mit breiten Absätzen und hatte einen stampfenden, wenig attraktiven Gang. Eines Abends holte Mr. Ryder sie in der Pitt Street ein und versuchte sie, freundlich gestimmt, ein Stück des Weges zu begleiten. Doch Miss Jacobs bog an der nächsten Straßenecke ab – ob aus Notwendigkeit oder nicht, blieb unklar – und entfernte sich über den Martin Place, während sie etwas über Wynyard murmelte, was Mr. Ryder indessen für unglaubhaft hielt. Schließlich führte ihn sein eigener Heimweg über Wynyard, und Miss Jacobs hatte er noch niemals in dieser Gegend gesehen.

Miss Jacobs arbeitete nicht nur länger als Mrs. Williams bei Goode’s (letztere hatte gleich nach der Schule in der Kinderabteilung angefangen und war vor vier Jahren in die Damenoberbekleidung versetzt worden), sondern spielte auch eine nicht unbedeutende Rolle bei den Cocktailkleidern. Sie war dort für Änderungen zuständig, was man daran erkennen konnte, daß sie stets ein langes Maßband um den Hals trug, um allzeit bereit zu sein für Damen, die Säume oder gar Nähte geändert haben wollten. Die Verkäuferin, die eine solche Dame bediente, kam dann aus der Umkleidekabine und rief: »Miss Jacobs, Miss Jacobs bitte? Hier ist eine Änderung, wenn Sie frei sind!« Dann blickte Miss Jacobs von dem Saum, den sie gerade absteckte, auf und zischelte durch die Nadeln, die sie zwischen den Lippen hielt: »Alles zu seiner Zeit! Ich habe auch nur zwei Hände. Und zwei Beine.« Worauf die Dame, die sie gerade absteckte, voller Mitgefühl lächelte oder kicherte. Das Kleid wanderte dann in die sechste Etage, wo Näherinnen die betreffenden Änderungen vornahmen. Nach vollendeter Arbeit – es konnte ein paar Tage dauern – wurde das Kleid dann der Kundin zugestellt, mit einem jener blaugelben Lieferwagen, die so viele Goode’s-Güter auslieferten (»Bitte, schicken Sie’s mir doch!«) und in den besseren Wohnvierteln Sydneys vertraute Erscheinungen waren:

F.G. Goode’s

Seit 1895 im Dienste Sydneys und seiner Bürger

Miss Jacobs diente den Menschen (zumindest den weiblichen) schon seit vor dem Krieg – jener längst legendären, ja sagenhaften Epoche. Sie hatte bei Handschuhen und Wirkwaren angefangen, kurz bei den Tageskleidern hospitiert (wo man ihr beibrachte, wie man Änderungen absteckte) und war dann unten in der Abteilung für Sport- und Freizeitkleidung für Damen gelandet, wo ihr allerdings der Umgangston nicht behagte, so daß sie hocherfreut in die erste Etage zurückkehrte, als bei den Cocktailkleidern eine Stelle frei wurde. Maßband und Nadelkissen stets bereit, war sie nun also schon seit dem New Look dort tätig.

4

Fay Baines war mindestens neunundzwanzig, und Patty Williams fragte sich, ob sie nicht vielleicht sogar schon dreißig war. Das war allerdings nicht die einzige Frage, die sie bewegte. Denn während sie, Patty, immerhin Frank hatte, über den sie sprechen konnte, auch wenn es so gut wie nichts zu erzählen gab (»Frank war am Sonntag golfen«), und obendrein auch noch ihr Haus (»Ich glaube, ich lasse mir neue Bezüge für die Sitzgarnitur machen«), ganz zu schweigen von ihrer Mutter (»Mama hat am Freitag Geburtstag; am Samstag besuchen wir sie«) oder ihren Schwestern (»Dawn …, Joy …«), sprach Fay Baines ausschließlich über Männer.

Es war chronisch – mal dieser, mal jener. Ausgehen – mal hierhin, mal dorthin, mal überallhin, mit Tom, mit Dick, mit Harry. Und gab es auch nur das geringste Anzeichen dafür, daß einer von ihnen ernsthaft daran dachte, Fay zu heiraten? Nie im Leben! Manchmal fragte Patty sich, ob Tom, Dick und Harry (ganz zu schweigen von Bill, Bruce und Bob) überhaupt existierten. Immerhin war diese Frau schon mindestens dreißig.

Auf jeden Fall war das alles nicht so ganz koscher, wenn man genauer darüber nachdachte, denn Fay lebte allein, ganz allein, wie es aussah, in einem kleinen Apartment unweit von Bondi Junction. Es gab also niemanden, wie beispielsweise eine Mutter, die ein bißchen aufpassen und darauf hätte achten können, daß Fay nicht zu weit ging, was Patty durchaus für möglich hielt, denn schließlich war diese Frau mindestens einunddreißig, auf keinen Fall jedoch mehr in ihrer ersten Blüte, und offensichtlich hatte sie längst schon Torschlußpanik wie alle Frauen in ihrer Lage. Und die Männer nützten so etwas ja aus, denn sie wollten schließlich immer nur das eine. Es sei denn, sie hießen Frank.

Gegenüber Joy, Dawn und ihrer Mutter ließ Patty diesen Gedanken freien Lauf, wobei sie lediglich auf die Spitze gegen Frank verzichtete, und sie waren sich alle vollkommen einig. Sie saßen am Küchentisch und aßen Biskuitkuchen, während die Kinder im kleinen Garten herumtollten, sofern man das aus einer Rasenfläche, einem spindeldürren Eukalyptusbaum und einem alten, unbewohnten Kaninchenstall bestehende Rechteck hinter Mrs. Crowns Haus so bezeichnen konnte.

»Sie sollte mit ein paar anderen Mädchen in einer anständigen Wohnung leben«, sagte Mrs. Crown, »so wie Dawn damals, als sie noch nicht verheiratet war.«

»O ja, Mama, mit deiner leidenschaftlichen Unterstützung!« erwiderte Dawn ein wenig hitzig. Ihrem Schritt hinaus in die Welt waren damals fürchterliche Auseinandersetzungen vorausgegangen. Als Dawn verkündet hatte, daß sie mit zwei Freundinnen eine eigene Wohnung beziehen wollte, hatte Mrs. Crown ihr die übelsten Gelüste und Absichten unterstellt, obwohl es ihrer Tochter nur um etwas mehr Privatsphäre gegangen war. Mutter hatte wirklich nichts unversucht gelassen – und jetzt tat sie so, als habe es sich damals um die natürlichste Sache der Welt gehandelt. Typisch!

»Nun denn, die Zeiten ändern sich, nicht wahr?« sagte Mrs. Crown nun und schnitt sich noch ein Stück Kuchen ab.

»Nein«, widersprach Joy in der ihr eigenen aufreizenden Art, »die Menschen.«

»Wie dem auch sei«, mischte sich Patty ein. »Wenn Fay Baines an ihrem guten Ruf gelegen ist, sollte sie wirklich nicht allein leben. Meine ich jedenfalls. Was soll denn ein Mann von einem Mädchen denken, das so lebt wie sie?«

Vorübergehend sprach keine der vier Frauen ein Wort. Alle stellten sie sich möglichst bildhaft vor, was besagter Mann denken würde.

Fay Baines war übrigens, ohne daß wir Patty Williams zu nahe treten wollen, achtundzwanzig Jahre alt, eine vierzig mit der Tendenz zur zweiundvierzig, falls sie nicht aufpaßte. Während Mrs. Crown und ihre drei Töchter sich beim Kuchen in ihren schamlosen Spekulationen ergingen, saß sie in einem Sessel und weinte in ein kleines weißes Taschentuch – eines aus einer Kollektion von insgesamt vieren, die ihr, in einer flachen goldenen Pappschachtel sorgfältig zusammengefaltet, von einem Verehrer geschenkt worden war.

Wenn sie nicht gerade weinte, war Fay eine hübsche junge Frau mit gewelltem dunklen Haar und großen, unschuldigen braunen Augen. Sie liebte Kosmetika und machte reichhaltig Gebrauch davon, vor allem, wenn sie abends etwas vorhatte.

»Du siehst zum Anbeißen aus«, hatte Fred Fisher zu ihr gesagt, als er sie zum erstenmal abholte. Als sie wieder nach Hause kamen, begann er tatsächlich, an ihr herumzuknabbern, und Fay hatte buchstäblich alle Hände voll zu tun, sich seiner zu erwehren. Worauf er sie übel beschimpfte und wutentbrannt davonstürmte. Erlebnisse dieser Art widerfuhren Fay des öfteren. Nie, so schien es, begegnete sie einem Mann, der ihren Träumen entsprochen hätte – einem Mann, der sie ebenso respektierte und begehrte, der sie liebte und sie heiraten wollte. Irgendwie erweckte Fays Anblick bei niemandem den Gedanken an eine Ehe, und das war schlimm, denn Fay wünschte sich nichts anderes, was, alles in allem, ja auch ganz natürlich war. Die Männer dachten unterdessen an etwas ganz anderes – und zwar genau an das, was Mrs. Crown und ihre Töchter argwöhnten.

Fay war ziemlich allein auf dieser Welt. Ihre Mutter, eine Kriegswitwe, war vor einigen Jahren gestorben, und ihr Bruder – verheiratet und Vater zweier Kinder – lebte in Melbourne, wo sie ihn ab und zu besuchte. Aber sie kam mit seiner Frau nicht zurecht, die sich in Fays Augen für etwas Besseres hielt, und so wurden diese Besuche immer seltener und seltener.

»Man muß viele Frösche küssen, bevor man seinen Prinzen findet«, lautete ein Spruch, den jemand auf die erste Seite ihres Poesiealbums geschrieben hatte, als sie ein junges Mädchen war. Er verfolgte sie bis heute.

Eigentlich hatte Fay ins Showgeschäft gehen wollen, doch wie sich bald herausstellte, mußte sie sich als Teenager und junger Twen mit anderen Jobs zufriedengeben, als Zigarettenverkäuferin, als Kellnerin in einer Cocktailbar. Mit dreiundzwanzig hatte sie dann Mr. Marlow kennengelernt, einen reichen Junggesellen mittleren Alters, der ihr zwei Jahre später fünfhundert Pfund in die Hand drückte und ihr mitteilte, daß er nach Perth ziehe und daß es wirklich eine sehr schöne Zeit mit ihr gewesen sei. Aus reiner Trägheit war sie in ihrem Einzelapartment geblieben, obwohl es jetzt gar keinen Anlaß mehr dafür gab. Den hektischen Job in der Cocktailbar mit seinen ungewöhnlichen Arbeitszeiten und üppigen Trinkgeldern gab sie auf und nahm statt dessen eine Stelle in einem Modegeschäft an der Strand Arcade an. Dort lernte sie einen Kleiderfabrikanten namens Mr. Green kennen; als dieser ihr jedoch unvermittelt eröffnete, daß er heiraten werde, verließ sie ebenso unvermittelt die Strand Arcade mit all ihren Erinnerungen. Seit etwas mehr als achtzehn Monaten arbeitete sie jetzt bei Goode’s.

Was ihre Kontakte zur Männerwelt betraf, so setzten sich diese seither aus einem Sammelsurium von Gesichtern aus Fays turbulenter Vergangenheit zusammen, Rendezvous aufs Geratewohl, die Myra Parker – Freundin und Ratgeberin seit Fays Nachtclubzeiten – für sie arrangierte, und Bekanntschaften, die sie auf Partys machte, zu denen sie Myra oder einer des Sammelsuriums mitzuschleppen pflegte.

Und die fünfhundert Pfund? Die lagen auf einem Sparkonto. Wenn es endlich soweit war, wollte Fay das ganze Geld für ihre Mitgift ausgeben. Manchmal aber, so wie jetzt, überkam sie das heulende Elend, weil es noch so lange dauerte, bis es soweit war, und weil sie die Angst beschlich, es könne vielleicht gar nicht mehr dazu kommen. Doch irgendwann, wenn das Taschentuch vollkommen durchgeweicht war, trocknete sie ihre Augen, wusch sich das Gesicht, zündete eine Zigarette an und sagte zu sich selbst: »Man muß viel Frösche küssen, …«

Sie war ein tapferes Mädchen – wie die meisten ihrer Landsleute.

5

Die großen Eingangstüren aus Glas und Mahagoni wurden jeden Morgen exakt um fünf Minuten nach neun geöffnet. Montags bis freitags jeweils bis 17.30 Uhr (samstags bis 12.30 Uhr) gingen die Kundinnen mit ihren Wünschen und deren Erfüllungen hier ein und aus. Die meisten Damen kamen zu Fuß. Waren sie besonders gut gekleidet, tippte der livrierte Türsteher an seine Mütze oder nickte kurz; kamen sie jedoch mit dem Taxi oder gar – meine Güte! – in einem von einem Chauffeur gelenkten Automobil, so sprang er zum Bordstein und hielt der Dame die Tür auf.

Die meisten Kundinnen verweilten, bevor sie zum Lift oder zur Rolltreppe gingen, zunächst eine Zeitlang im Erdgeschoß und umkreisten die Parfümtheke, die Handschuhe, Tücher und Schals, Gürtel und Handtaschen. Manche begaben sich auch sofort zur Soft-Drink-Bar, setzten sich auf einen goldfarbenen Barhocker an der Marmortheke und tranken ein Milchmixgetränk oder ein Eiscreme-Soda, denn Sydney ist eine sehr große Stadt und die Damen hatten oft lange Anfahrtswege. Manche nahmen zu ihren Getränken auch ein Pülverchen gegen Kopfschmerzen ein, um für den Rest des Tages gerüstet zu sein.

An schulfreien Tagen sah man die Damen oft in Begleitung von ein oder zwei Kindern, um die man sie allerdings nicht beneidete. Grausige Bälger waren es, diese Kinder. Unentwegt zankten sie sich, und jeder Satz, der über ihre Lippen kam, begann mit den Worten: »Ich will …« Die meisten Kinder kamen wegen der Schuhabteilung zu Goode’s, denn dort gab es ein Röntgengerät, mit dessen Hilfe man erkennen konnte, ob neue Schuhe die Fußknochen verschoben oder nicht. Das Gerät war vor allem bei Müttern aus besseren Kreisen sehr beliebt, bis man eines Tages herausfand, daß die vielen Röntgenstrahlen doch um einiges gefährlicher waren als schlecht sitzende Schuhe, so unangenehm letztere auch sein mochten.

Benahmen sich die Kinder halbwegs anständig, wurden sie nach Erledigung der Einkäufe ins Restaurant oben im fünften Stock eingeladen. Während der Schulferien war es nicht sehr gemütlich dort, denn saßen sie erst einmal sicher am Tisch, drehten die lieben Kleinen meist richtig auf, und nur wenige Mütter besaßen den Mut, sofort wieder zum Rückzug zu blasen. Die Mahlzeiten wurden unterbrochen von Gequietsche und Gekreische, von Klapsen, überschwappenden Getränken und vom Manschen in schwabbelnden Wackelpuddings. Und die Zahl der Mütter, die über soviel Savoir-faire verfügten, daß sie das Trinkgeld nach dem angerichteten Chaos bemaßen, war noch geringer.

Miss Jacobs, Mrs. Williams und Miss Baines blieben die schlimmsten Seiten des Lebens innerhalb der Mauern von Goode’s erspart, denn nur wenige Damen kamen auf die Idee, mit ihren Sprößlingen im Schlepptau zum Kauf eines Cocktail- oder auch nur eines normalen Tageskleides zu erscheinen. Hier oben herrschte Luxe calme et volupté, mit hübschen rosa Lampen und rosagetönten Spiegeln, in denen man einfach himmlisch aussah, und auf dem Boden dämpfte ein dicker grauer Teppich jeden Schritt.

Punkt neun Uhr waren die Frauen in Schwarz alle an ihren Plätzen und startklar für den bevorstehenden Sommertag, als Miss Cartright in ihrem getüpfelten Piquékleid zu ihnen hinüberhuschte und »Mädels!« rief. Oh, wie sie das verabscheuten! Es gab Gerüchte, daß sie Erzieherin in einem College gewesen war, was man sich bei ihrer Art nur allzu gut vorstellen konnte. Was war nun?

»Eine junge Dame wird nächste Woche bei Ihnen aushelfen«, sagte Miss Cartright mit strahlendem Lächeln. »Ich hoffe, Sie sorgen dafür, daß sie sich wohlfühlt. Ich weiß, in dieser Abteilung arbeiten normalerweise keine Aushilfskräfte, aber ich denke, daß die Neue sich hier nützlich machen kann. Bei Bedarf kann sie ja auch Magda zur Hand gehen.«

Oje!

Am äußersten Ende der Damenoberbekleidung, noch hinter den Cocktailkleidern, gab es etwas ganz Besonderes, etwas ganz besonders Wunderbares – nur, und das war der springende Punkt, es war nicht für alle und jede da. Dort hinten am äußersten Ende befand sich nämlich ein schöner Torbogen, über dem in geschwungenen Lettern das Wort Modellkleider geschrieben stand. Wer den Bogen durchschritt, betrat eine rosafarbene, von kleinen Lampen mit gekräuselten Schirmen erleuchtete Grotte, die mit einigen eleganten, kleinen Sofas in perlgrau schimmerndem Brokat möbliert war. Die Wände waren mit schicken Mahagonischränken bestückt, in denen auf pinkfarbenen Satinbügeln die jeweils aktuellen Modellkleider hingen, deren phantastische Preise durchweg in Guineen angegeben waren.

Auf einer Seite der Grotte stand ein Louis-Seize-Tischchen mit dazugehörigem Stuhl. Dort konnte die Kundin Schecks oder Bestellungen unterschreiben. Zu beiden Seiten war jeweils ein großer Drehspiegel installiert, in denen sich die Kundin ausgiebig betrachten konnte, sofern sie sich tatsächlich erkühnt hatte, in einem der großen, geräumigen Umkleideräume eines der besagten Modellkleider anzuprobieren. Sie konnte vor dem Spiegel hin und her gehen, sich drehen und wenden und auf diese Weise die Wirkung des Kleides in einer durchaus angemessenen Umgebung prüfen. An der Decke hing ein Kronleuchter. Das einzige Requisit, das in dieser Szenerie noch fehlte, war eine schäumende Flasche Veuve Clicquot samt tulpenförmigem Glas; davon abgesehen war die Grotte eine naturgetreue Kopie jenes luxuriösen Ambientes, das man für das angestammte Lebensumfeld der Kundinnen hielt. Und die Pythia, die die Grotte bewachte, war Magda.

Magda, die sinnliche, anmutige, vollbusige, stets perfekt gekleidete, manikürte und frisierte Magda, war die umwerfendste, wohlduftendste, strahlendste, formidabelste und gräßlichste Schlangenfrau, die Mrs. Williams, Miss Baines und wahrscheinlich sogar Miss Jacobs jemals gesehen oder sich in ihren Phantasien vorgestellt hatten. Magda – niemand unternahm auch nur den Versuch, ihren schrecklich europäisch klingenden Nachnamen auszusprechen – war schlichtweg eine Tatsache, mit der man sich abfinden mußte. Die Frauen gingen ihr soweit wie möglich aus dem Weg. Doch nun sollten sie eine Aushilfskraft mit Magda teilen. Sie wußten längst, wem hier der Löwenanteil zufallen würde. Schon sahen sie Magda aus ihrer rosa Grotte schlüpfen, sich zu den Cocktailkleidern hinüberschlängeln und die Neue just in dem Moment entführen, in dem diese sich erstmals als nützlich erwiesen hatte. Das war Tatsache, denn Magda verkörperte jenen Frauentyp, der immer bekam, was er wollte. Man erkannte das sofort. Und woran? Magda war eben – Gott steh’ uns bei! – eine Europäerin: Und waren sie nicht alle heilfroh, daß sie selbst keine waren?

Mrs. Williams war es jedenfalls; sie hatte da ihre festen Überzeugungen. Meine Güte, sagte sie, ich könnte nicht so herumlaufen, unmöglich! Miss Jacobs wirkte lediglich noch etwas pikierter als sonst, ja fast ein wenig beleidigt, so als hätte sie gerade in ihrer Teetasse eine Spinne entdeckt. Fay Baines fand Magda furchterregend, sonst nichts, allein schon ihren Gang – doch daheim vor dem Spiegel grübelte sie ernsthaft darüber nach, welches Make-up Magda benutzte und wie sie es auflegte, denn die Frau war schließlich mindestens vierzig und sah – das mußte man ihr lassen – einfach blendend aus. Ja, das mußte man ihr lassen.

6

Als Lesley Miles, die sich bei Goode’s um eine Stelle als Aushilfsverkäuferin beworben hatte, zum Vorstellungsgespräch erschien, wurde ihr zunächst ein Formular zum Ausfüllen vorgelegt. Das erste Wort, das sie eintrug, schrieb sie mit großer Sorgfalt und der gruseligen Vorahnung von Gefahr. Es lautete ›Lisa‹.

Lisa war der Name, den sie sich einige Jahre zuvor ausgesucht hatte. Ihr richtiger Vorname war ihr über alle Maßen zuwider, und ihr Entschluß, bei erstbester Gelegenheit einen anderen anzunehmen, stand schon seit langem fest. Und dies war nun die erstbeste Gelegenheit.

»Lisa Miles!« schrie eine Stimme. Lesley-Lisa sprang auf und folgte einer Frau in ein kleines Büro, in dem die Einstellungsgespräche geführt wurden.

»Nun, Lisa«, sagte die Frau – und Lesleys neues Leben als Lisa begann. Wie einfach das war! Lesley war ganz sicher, daß sie sich sofort an den neuen Namen gewöhnen würde. Sie setzte sich auf, kerzengerade, wie eine Lisa, und lächelte fröhlich. Jetzt konnte es losgehen.