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Valeda, die jüngste Tochter Sir Roderick Alcesters, lebte nach dem Tod der Mutter lange Zeit mit dem Vater allein im Herrenhaus, das sie nach seinem Ableben - trotz aller finanziellen Schwierigkeiten - so gut wie möglich alleine weiter verwaltet. Ihre sehr schöne ältere Schwester Hermoine wurde nach ihrer Hochzeit die Countess of Eltsley, die Ballkönigin der Londoner Gesellschaft. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie sehr reich, aber sie will weiter in den sozialen Schichten aufsteigen und sucht einen geeigneten Kandidaten. Diesen findet sie im gutaussehenden und reichen Marquis de Silvala. Um ihn für sich zu gewinnen, will sie mit ihrer jungen Tochter Mirabelle nach Madrid reisen. Da die Gouvernante ihrer Tochter sehr kurz vor der Abreise gekündigt hat, überredet sie ihre Schwester Valeda unter falschem Namen mitzureisen. Valeda trifft in Madrid nicht nur den Marquis de Silvala, sondern auch König Alfonso XI. und dessen Gemahlin. Valeda erfreut sich an Madrids Kunstschätzen und besichtigt mit Mirabelle den Prado, wo die beiden auch die Jungfrau mit Kind von Luis de Morales sehen. Der Marquis trifft dort auf die beiden Engländerinnen und bemerkt, dass Valeda der Jungfrau sehr ähnlichsieht. Wird Hermoine ihr Ziel erreichen, und den Titel der Marquesa de Silvala tragen?
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Letztes Jahr an Ostern war ich nach dreißig Jahren wieder einmal in Madrid.
Die Geschichte dieser Stadt begann 852 mit den Arabern, doch erst 1561 wurde sie unter König Philipp II. die Hauptstadt des Landes.
Mit seinen breiten Alleen und modernen Gebäuden ist Madrid eine der lebendigsten Hauptstädte Europas. Ich war überwältigt von der großartigen Architektur der Plaza Mayor, die 1617 entstanden ist. Das Schloss war eindrucksvoller, als ich es in Erinnerung hatte. Zum zweiten Mal besuchte ich den düsteren, furchteinflößenden Escorial, siebenunddreißig Meilen von Madrid entfernt. Obwohl es dort von Besuchern wimmelte und strahlender Sonnenschein herrschte, hatte das graue Steingebäude etwas Unheimliches und Drohendes an sich. Vor dem Prado, dem berühmten Museum, kam mir dann die Idee zu diesem Roman.
Als Valeda durch den Wald nach Hause ritt, schätzte sie sich glücklich, ein so ausgezeichnetes Reitpferd wie Skylark zu besitzen.
Ihr Vater hatte ihr den Hengst kurz vor seinem Tod geschenkt und dafür tief in die Tasche gegriffen.
Valeda war sich sehr wohl bewusst, dass ihre morgendlichen oder nachmittäglichen Ausritte auf den anderen Pferden, die allmählich alt wurden, ziemlich langweilig gewesen waren. Doch Skylark bewies täglich, dass er, wie Sir Roderick Alcester zu sagen pflegte, ‚sein Geld wert war‘.
Als ob er Valeda auf die Probe stellen wollte, scheute er vor einem Ast, der den Weg versperrte. Als sie ihn anspornte, verhielt er sich störrisch, um ihr seine Unabhängigkeit kundzutun. Es war, als ob er zu ihr spräche und ihr erklärte, dass das Leben nur ein Spaß sei. Valeda beugte sich vor und tätschelte seinen Nacken. Nach einer Weile sah sie das Herrenhaus vor sich, in dem sie aufgewachsen war. Sie fand, dass es einen ganz eigenen Reiz besaß, mit dem die größeren und pompöseren Häuser in der Nachbarschaft nicht konkurrieren konnten.
Es lag in einem ziemlich abgelegenen Teil der Grafschaft, in dem es wenig Abwechslung für ein junges Mädchen gab, denn die feine Gesellschaft zog es vor, sich in London zu amüsieren. Hier wohnten ältere Leute, deren Kinder längst erwachsen waren, ihre eigene Familie hatten, oder Leute wie Sir Roderick Alcester, die verwitwet waren. Manchmal kam sich Valeda sehr selbstsüchtig vor, weil sie insgeheim froh war, dass ihr Vater keine andere Frau mehr geheiratet hatte. Er hatte sich damit begnügt, mit Hilfe seiner Tochter das kleine Gut zu bewirtschaften, und war unermüdlich in seiner Arbeit. Hermione, Valedas ältere Schwester, hatte einmal spöttisch bemerkt: »Vater werkelt immer herum.«
»Und was sollte Papa deiner Meinung nach sonst tun?« hatte Valeda sie gefragt.
»Nun, er könnte sich zum Beispiel um die Jagd kümmern, damit sich ein paar interessante Männer hierher verirren statt dieser rotgesichtigen Farmer und ihrer tollpatschigen Söhne.« Valeda hatte gelacht, doch sie hatte verstanden, dass ihre schöne Schwester sich nach Komplimenten sehnte. Auch wenn sie es nicht zugegeben hätte, war es für Hermione ein großes Glück gewesen, dass sie anlässlich eines Besuchs einer älteren Cousine in London den Earl of Eltsley kennengelernt und geheiratet hatte.
Es war alles so schnell gegangen, dass Valeda, die damals erst zwölf gewesen war, es kaum glauben konnte, dass ihre Schwester, die gerade noch mit ihnen gelebt hatte, plötzlich ihr eigenes Leben führen würde.
Nach Hermiones Heirat vergingen Monate, ohne dass sie eine Nachricht von ihr erhielten.
Nachdem der Vater Witwer geworden war, sprach er so selten von seiner älteren Tochter, dass Valeda schon befürchtete, er könne sie vergessen haben.
Als Valeda heranwuchs, erkannte sie, dass sie im Leben ihres Vaters den Platz einnahm, den der Sohn, den er nie gehabt hatte, hätte einnehmen sollen.
Er sprach zu ihr, als ob sie ein Junge wäre, und gemeinsam besprachen sie, was auf dem Gut geschehen sollte.
Sie gingen zum Taubenschießen in den Wald und genossen vor allem die gemeinsamen Ausritte.
Sir Roderick war immer ein sehr guter Pferdekenner gewesen. Es gefiel ihm, ein Pferd günstig zu kaufen, es zu trainieren und dann festzustellen, dass es ein wertvolles Pferd war.
Valeda interessierte sich sehr für das Gestüt, und sie wurde eine ausgezeichnete Pferdekennerin, was weder ihr noch ihrem Vater ungewöhnlich erschien.
Im Winter hatte sich Sir Roderick eine Erkältung geholt, die sich zu einer Lungenentzündung entwickelte, an der er starb.
Valeda war nun ganz auf sich gestellt.
Zuerst war die Trauer um den Verlust des Vaters übermächtig. Dann gewann ihre Jugend die Oberhand. Sie wusste, dass sie in seinem Sinne das Gut weiter bewirtschaften musste.
Am Ende eines jeden Tages fragte sie ihn im Stillen, ob sie es richtig gemacht habe und ob er mit den Entscheidungen, die sie getroffen hatte, einverstanden sei.
Sie war davon überzeugt, dass er ihr weiterhin zuhören und irgendwie Ratschlage erteilen wurde, wie er es in den letzten Jahren getan hatte.
Als sie jetzt nach Hause ritt, sprach sie wieder mit ihm, als ob er sich direkt neben ihr befände.
»Papa, es ist ein wunderschönes Haus, und all die Generationen der Alcesters, die hier vor uns lebten, haben es mit Liebe erfüllt. Und ich hatte das Glück, einen so wunderbaren Vater zu haben«, fügte Valeda flüsternd hinzu, »und einen so intelligenten.«
Abends nach dem Dinner hatte sie sich immer mit ihrem Vater unterhalten. Dabei hatten sie alle möglichen Themen diskutiert. In der Jugend war Sir Roderick viel herumgereist, und er erzählte Valeda von den Ländern, die er besucht hatte. Das war für sie aufregender als alles, was sie in Geschichts- oder Geographiebüchern lesen konnte.
Da er alles so lebendig und interessant schilderte, hatte sie oft den Eindruck, ihn auf seinen Reisen durch Griechenland, Frankreich, Italien, Spanien und Nordafrika begleitet zu haben.
Alle ihre Freunde waren überrascht, als Valeda nach dem Tod des Vaters ganz allein im Herrenhaus geblieben war.
»Bestimmt haben Sie eine Verwandte, die bei Ihnen leben kann?« hatte die Frau des Lord Lieutenants sie gefragt. »Schließlieh benötigen Sie ja eine Anstandsdame!«
Valeda hatte gelacht.
»Ich versichere Ihnen«, hatte sie erwidert, »ich bin durch die Bediensteten, die seit ewigen Zeiten bei uns sind und mir näherstehen als jegliche Verwandte, mehr als gut behütet!«
Die Frau des Lord Lieutenants kniff die Lippen zusammen, und Valeda fuhr fort:
»Nanny, die kam nach Hermiones Geburt zu uns und ist jetzt seit sechsundzwanzig Jahren im Haus, und der alte Banks und seine Frau waren schon vor Papas Heirat bei ihm. Ich glaube, sie sind jetzt seit dreiunddreißig Jahren in unseren Diensten. Sie verwöhnen, beschützen und hüten mich wie Glucken ihre Jungen. Ich kann Ihnen versichern, noch mehr Aufsichtspersonen benötige ich nicht.«
Eine Freundin von Lady Alcester hatte Valeda aufgefordert, mit ihr nach London zu gehen.
»Da jetzt deine Trauerzeit vorüber ist, wird es Zeit, dass du bei Hofe vorgestellt wirst«, hatte sie gesagt. »Du solltest eine Saison als Debütantin mitmachen, Bälle und Empfänge besuchen, wie es deine Schwester mit Erfolg getan hat das hat schließlich ihre Vermählung bewiesen.«
Doch Valeda konnte sich für diesen Vorschlag nicht erwärmen. »Ich fühle mich hier ganz wohl«, hatte sie entschlossen geantwortet, »und habe kein Verlangen, mich in London zu amüsieren.«
»Aber bestimmt ist sich deine Schwester ihrer Verantwortung für dich bewusst, jetzt, nachdem dein lieber Vater tot ist, oder vielleicht nicht?«
Das war eine heikle Frage, der Valeda so gut wie möglich auswich.
Sie wusste nur all zugut, dass Hermione keine Sehnsucht nach ihr hatte und bestimmt keine Lust verspürte, sich um die jüngere Schwester zu kümmern. Seit ihrer Heirat hatte sie nie mehr Interesse an Valeda gezeigt.
Als der Vater gestorben war, hatte Hermione ein riesiges und teures Bukett gesandt und einen Brief, in dem sie schrieb, dass sie leider nicht zur Beerdigung kommen könne.
Valeda war darüber nicht enttäuscht, da Hermione in den letzten sieben Jahren nur wenig Kontakt zu ihrer Familie gehabt hatte. Die einzigen Nachrichten über sie bezogen sie aus den Gesellschaftskolumnen der Zeitungen, in denen sie immer in den höchsten Tönen gepriesen wurde.
Dort war zu lesen:
Die schöne Countess of Eltsley trug ein himmelblaues Seidenkleid mit Seidenbändern und Spitze...
Und
Und wieder war die Ballkönigin die Countess of Eltsley, deren funkelndes Diamantendiadem das aller anwesenden Damen in den Schatten stellte, mit Ausnahme natürlich des Diadems der Princess of Wales...
Manchmal erschien ein Foto von ihr in einer Frauenzeitschrift, auf dem sie reichlich steif, aber auch sehr schön wirkte. Auf einem Bild sah sie etwas traurig aus, doch Valeda war davon überzeugt, dass das an der Aufnahme lag. Denn weshalb sollte Hermione traurig sein, da ihr doch alle Welt zu Füßen lag und sie einen Mann hatte, der sie aus Liebe mit kostbaren Juwelen überschüttete?
Vor ungefähr einem Jahr hatte Valeda mit Bestürzung erfahren, dass der Earl of Eltsley ganz unerwartet einem Herzinfarkt erlegen war. Valeda hatte selbstverständlich angenommen, Hermione würde heimkehren. Wohin sollte sie sich sonst wenden, um Trost zu suchen?
Doch obwohl ihr Vater Hermione geschrieben und ihr angeboten hatte, sofort nach London zu reisen, erhielten sie fast zwei Wochen lang keine Antwort.
Darin, als sie sich schon fragten, was wohl passiert sein könnte, erhielten sie einen förmlichen Brief, in dem Hermione mitteilte, man brauche sich um sie keine Sorgen zu machen; es gehe ihr gut, und sie werde zu Freunden nach Frankreich reisen und ihre Tochter Mirabelle mitnehmen.
Sir Roderick hatte nichts gesagt, doch Valeda, die ihn bis in sein Innerstes kannte, wusste, wie sehr er darunter litt, dass Hermione nie mit der Kleinen nach Hause gekommen war oder ihn nach London eingeladen hatte, damit er sein Enkelkind kennenlernen konnte.
An Weihnachten und am Geburtstag hatte Lady Alcester Mirabelle Geschenke geschickt. Nach ihrem Tod hatte Valeda diese Tradition fortgesetzt.
Manchmal schrieb Hermione, um sich für die Geschenke zu bedanken, doch häufiger erhielten sie lediglich einen Brief vom Sekretär des Earls, der den Empfang der Geschenke bestätigte.
»Wem Mirabelle wohl ähnlich sieht?« fragte sich Valeda oft. Sollte sie genauso schön wie ihre Mutter werden, würde Hermione sicherlich eifersüchtig sein.
Valeda überlegte, dass Hermione nach ihrer Heirat keinen Kontakt mit ihr gepflegt und sie nie gebeten hatte, sie zu besuchen, weil sie alles für sich allein haben wollte und kein Verlangen verspürte, irgendetwas mit jemandem zu teilen.
Es war seltsam, dass sie solche Dinge über ihre eigene Schwester dachte, aber Valeda konnte sich erinnern, dass Hermione früher einmal zornig zu ihrer Mutter gesagt hatte: »Ich verstehe nicht, weshalb ich eine Schwester habe. Ein Bruder wäre besser gewesen, doch im Grunde möchte ich euer einziges Kind sein, ich will nicht, dass Valeda meine Sachen benutzt.« Lady Alcester hatte sanft, aber entschlossen mit ihrer älteren Tochter gesprochen, ihr erklärt, wie egoistisch sie sei und dass sie bestimmt sehr einsam wäre, wenn sie als Einzelkind aufwachsen müsste.
Hermione hatte mit trotzigem Gesicht zugehört. Sie glaubte ihrer Mutter kein Wort und hatte die Wahrheit gesagt, als sie gesagt hatte, sie wolle ein Einzelkind sein und mit niemandem etwas teilen.
Nach der Beerdigung des Vaters, bei der Hermione nur durch ihr pompöses Bukett vertreten war, dachte Valeda: »Ich werde meine Schwester wohl nie wiedersehen.«
Eigentlich fühlte sie sich durch Hermiones Gleichgültigkeit nicht einmal so sehr gekränkt, sie hatte vielmehr das Gefühl, auf etwas Wertvolles verzichten zu müssen, etwas, was andere Geschwister, die sich nahestanden, genossen, und was ihr immer vorenthalten bleiben würde.
Doch sie hatte sich daran gewöhnt, sehr oft allein zu sein abgesehen von ein paar Nachbarn, mit denen sie gesellschaftlichen Kontakt pflegte, sah sie niemanden.
Bücher und ihre Arbeit auf dem Gut füllten ihr Leben vollständig aus.
Als sie jetzt im Sonnenschein nach Hause ritt, war ihr, als ob das junge Grün auf dem Kornfeld, die mauvefarbenen Kuckucksblumen auf der Wiese und die goldenen Dotterblumen zu ihr sprächen. Sie gehörten zu ihrem Leben, zu ihrem Bewusstsein.
Wenn nach dem langen Winter die Natur wiedererwachte, hatte sie das Gefühl, dass auch ihr Inneres zu neuem Leben erweckt wurde. Valeda liebte die Natur und spürte, dass sie ein Teil von ihr war. Nach dem langen trostlosen Winter fühlte sie endlich wieder, dass neues Leben in ihr pulsierte.
Skylark, der seinen Stall bereits witterte, galoppierte schneller und wurde erst langsamer, als sie sich dem Kopfsteinpflaster des Stallhofes näherten.
Ein alter Stallknecht, der schon viele Jahre auf dem Gut war, kam ihr entgegen und ergriff die Zügel.
»Hatten Sie einen guten Ritt, Miss Valeda?« fragte er.
»Wunderbar, danke, Abbey«, erwiderte Valeda. »Skylark fegte wie der Wind über die Wiese.«
»Der kann ganz schön schnell sein, wenn er will!«
Er führte Skylark zum Stall, wandte den Kopf und sagte: »Im Haus wartet jemand auf Sie, Miss Valeda. Vor kurzem kam eine Droschke vorgefahren.«
»Wer kann das sein?« fragte Valeda verwundert, doch wenn der alte Abbey die Antwort wissen sollte, behielt er sie für sich und verschwand im Stall.
Sie ging über das Kopfsteinpflaster zu dem ehemaligen überwölbten Torweg, der zum Eingang des Hauses führte.
Als sie dort angelangt war, sah sie eine stattliche Reisekutsche, vor die vier Pferde gespannt waren. Auf dem Kutschbock saß ein Kutscher in Uniform, mit einer Kokarde auf dem Kopf.
Neben der Kutsche stand ein Mann in Livree. Valeda konnte sich nicht vorstellen, dass sie einer ihrer Bekannten mit einer solch vornehmen Kutsche besuchte. Als sie die Stufen zur Eingangstür hinaufeilte, grüßte sie die beiden Bediensteten und überlegte, ob sie sie fragen sollte, wie ihre Herrschaft hieß.
Doch dann entschied sie, dass das unziemlich wäre. Als sie das Haus betrat, fühlte sie sich ein wenig unbehaglich, da sie wusste, dass ihre Aufmachung nicht gerade den Ansprüchen der feinen Gesellschaft entsprach. Da sie nicht damit gerechnet hatte, heute Nachmittag jemandem zu begegnen, trug sie ihren alten Reitanzug, der abgetragen war und über der Brust spannte.
Doch sie konnte nichts daran ändern, wenn sie ihren Besucher - wer immer es auch sein mochte - nicht noch länger warten lassen wollte. Also schob sie ein paar vorwitzige Locken unter die Kappe zurück und lief durch die Halle zum Wohnzimmer, einem geräumigen hübschen Zimmer mit Ausblick auf den Rosengarten.
Als Valeda den Raum betrat, fiel ihr Blick auf eine Frau, die sich in dem Spiegel über dem Kamin betrachtete. Sie trug ein hochelegantes blaues Seidenkostüm und einen Hut, der mit Straußenfedern der gleichen Farbe verziert war. Als sie die Tür hinter sich schloss, wandte sich die Besucherin um, und Valeda gab einen erstaunten Laut von sich.
»Hermione, bist du’s wirklich?«
Valeda hatte das Gefühl, dass ihre Stimme schrill klang. Es entstand eine kurze Pause, bevor ihre Schwester antwortete: »Hallo, Valeda. Ich hätte mir ja denken können, dass du dich auf deinem Morgenritt befindest.«
»Weshalb hast du mir deine Ankunft nicht mitgeteilt?« fragte Valeda. »Was führt dich hierher?«
»Ich habe einen guten Grund, dich zu besuchen«, erwiderte Hermione und schwieg eine Weile. »Ich muss sagen, du hast dich seit unserem letzten Treffen sehr wenig verändert.«
»Das ist schon lange her.«
»Ja, ich weiß, ich weiß«, warf Hermione hastig ein, »doch wir wollen uns nicht mit Klagen über meine Nachlässigkeit, oder wie immer man es nennen mag, aufhalten.«
Beide schwiegen einen Augenblick. Dann sagte Valeda:
»Ich glaube, Papa hätte dich vor seinem Tod gern noch einmal gesehen, doch es kam alles so plötzlich und unerwartet.«
»Wie hätte ich das ahnen können?« verteidigte sich Hermione. »Doch es hat keinen Sinn, Vergangenem nachzuhängen oder Dinge zu bedauern, die man nicht mehr ändern kann. Setz dich, Valeda, ich mochte mit dir reden.«
»Ja, natürlich«, sagte Valeda, »doch zuerst möchte ich dich fragen, ob du Tee oder eine Erfrischung haben möchtest.«
»Ich habe schon etwas bestellt«, erwiderte Hermione. »Der alte Mann ist ja schon seit Urzeiten hier. Wie hieß er noch schnell?«
»Banks.«
»Ja, natürlich. Banks sagte, er würde mir Tee bringen, aber ich glaube, ich werde mich bis Weihnachten gedulden müssen.«
Valeda lachte. »So schlimm ist es nicht; Banks wird allmählich alt.«
»Wie das Haus«, bemerkte Hermione geringschätzig.
Valeda wollte schon entgegnen, dass sie eigentlich zufrieden damit war, doch dann beschloss sie, lieber zu schweigen. Sie nahm ihre Kappe ab und versuchte, ihre widerspenstigen Locken zu bändigen. Dann setzte sie sich aufs Sofa.
Als sie Hermione betrachtete, stellte sie fest, dass es keine schönere Frau als ihre Schwester gab; sie war so elegant, dass man hätte vermuten können, sie sei gerade einem teuren Modemagazin entstiegen.
Es war nicht nur Hermiones elegante Kleidung, die sie faszinierte, sondern auch ihr klarer Teint, die Juwelen, die an ihren Ohren und ihren schlanken Fingern funkelten, und die teure Perlenkette an ihrem hübschen Hals.
Valeda war es gewohnt, ihre Gedanken auszusprechen, und so rief sie spontan:
»Wie schön du bist, Hermione. Alles an dir ist vollkommen!«
»Das soll es auch sein«, erwiderte Hermione geschmeichelt.
»Wie ich sehe, trägst du keine Trauerkleidung mehr«, fuhr Valeda fort. »Mit Bestürzung habe ich vom Tod deines Mannes erfahren.«
»Ja, er starb völlig unerwartet«, erwiderte Hermione, »aber wie du richtig erkannt hast, ist die Trauerzeit vorbei, also brauchen wir uns nicht weiter über die Vergangenheit zu unterhalten, wir sollten uns Gedanken über die Zukunft machen.«
»Die... Zukunft?«
Auch wenn es unwahrscheinlich schien, überlegte Valeda, ob Hermione wohl die Absicht hatte, wieder nach Hause zu kommen? Ihr war unbehaglich zumute, als ihr bewusst wurde, dass Hermione nichts gut genug wäre und Valedas heile Welt zusammenbrechen würde.
Hermione nahm in einem Lehnstuhl gegenüber dem Sofa, auf dem Valeda saß, Platz. Valeda blickte sie erwartungsvoll an. Dann fing Hermione an zu sprechen:
»Ich bin nach Hause gekommen, weil ich deine Hilfe brauche, und ich bin davon überzeugt, dass du sie mir nicht verweigern wirst.« »N...nein, natürlich nicht«, stammelte Valeda, »aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich dir helfen kann.«
»Das will ich dir gern erklären, wenn du mir zuhörst.«
Hermiones Stimme hatte genau den Klang, den Valeda noch von früher kannte, wenn sie nicht das bekam, was sie wollte. Valeda war neugierig, aber gleichzeitig auch besorgt.
»Wie du weißt, bin ich Witwe«, fuhr Hermione fort, und es klang nicht, als ob sie das besonders bekümmerte.
»Das muss... schwierig für dich sein«, murmelte Valeda.
Hermione sprach weiter, ohne Valedas Bemerkung zu beachten:
»Ich habe mich entschieden, wieder zu heiraten, sofern dies für mich von Vorteil ist.«
»Wieder heiraten«, echote Valeda und erkannte gleichzeitig, dass es töricht von ihr war, diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen zu haben.
»Wiederhole doch nicht alles, was ich sage«, fuhr Hermione sie an.
Valeda schwieg und betrachtete das schöne Gesicht ihrer Schwester.
»Wie du dir denken kannst, nehme ich in der Gesellschaft eine hohe Stellung ein«, erklärte Hermione in freundlicherem Ton. »Allerdings wäre sie noch beachtlicher, wenn mein Mann mir einen Sohn hinterlassen hätte.« In ihrer Stimme schwang ein leichter Vorwurf mit, und nach einer Weile fügte Hermione hinzu: »Natürlich gibt es einen neuen Earl of Eltsley, einen Neffen meines verstorbenen Mannes, dem ich keine große Sympathie entgegenbringe. Deshalb wäre es mir ganz lieb, wenn ich meinen Namen ändern könnte, sofern mich der Gentleman, den ich im Auge habe, um meine Hand bittet.«
»Hermione, ich kann mir nicht vorstellen, dass es auch nur einen einzigen Mann auf der Welt gibt, der dich nicht zur Frau begehren könnte.«
»Das glaube ich auch nicht«, lächelte Hermione, »und ich bin davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Valeda, ich will dir gegenüber aufrichtig sein: Vor kurzem war ich am Rande der Verzweiflung, weil ich dachte, dass ich es nie schaffe, ihn so weit zu bringen.« Ihre Stimme hob sich, als sie fortfuhr: »Doch nun hat er mich gebeten, seine Familie in Spanien zu besuchen, und das kann doch wohl nur einen Grund haben.«
»In Spanien!« rief Valeda. »Soll das heißen, dass er Ausländer ist?«
»Er ist Spanier«, erklärte Hermiohe, »und kein gewöhnlicher. Der Marquis de Silvala bekleidet eine gesellschaftliche Stellung, die nur von der der Königlichen Familie übertroffen wird.«
Valeda klatschte in die Hände.
»O Hermione, wie schön für dich! Und liebst du ihn sehr?«