Ein Traum aus Sternenstaub - Kim Leopold - E-Book

Ein Traum aus Sternenstaub E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Azalea bekommt nach den unfassbaren Geschehnissen der letzten Stunden unerwartet Unterstützung aus der Welt der Magie. Ihre neuen Freunde begleiten sie zu dem einzigen Ort, an dem man ihr helfen kann. Währenddessen trainieren Alex und Louisa, um ihr die Angst vor der Zukunft zu nehmen, aber ihre Albträume lassen nicht nach. Alex könnte ihr helfen, zumal die Anziehung zwischen ihnen immer größer wird. Doch damit würde er gegen eine der obersten Regeln des Rates verstoßen ... Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Ein Traum aus Sternenstaub - Der 3. Band der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 03

Ein Traum aus Sternenstaub

 

 

Kim Leopold

 

Für all jene, die in unsere Welt zu träumen wagen.

 

 

Man sagt, was du mehr als einmal träumst, wird wahr.

 

 

 

 

 

 

[was bisher geschah]

 

1768 - Mikael nimmt die blinde Hexe Freya mit an den königlichen Hof, wo sie den König mit ihrer Magie heilen soll. Da sie jedoch nicht weiß, wie sie auf ihre magischen Fähigkeiten zurückgreifen soll, verschafft ihnen der König Zeit, in dem er eine Hochzeit vorschlägt.

 

2018 - Nach ihrer haarsträubenden Flucht vom Winterball gewöhnt sich die Hexe Louisa allmählich an ihr neues Leben und bekommt von Wächter Alex alles erklärt. Während sie am Flughafen auf zwei weitere Wächter warten, taucht ein weiterer Gestaltwandler auf und greift sie an. Der Kampf sorgt dafür, dass Louisa mit weiteren Halluzinationen zu kämpfen hat.

 

In Lille wacht Azalea nach einer durchfeierten Nacht im Zimmer des Medizinstudenten Melvin auf. Das Medaillon, das sie von ihrer verschollenen Mutter hat, ist verschwunden und sie machen sich gemeinsam auf Spurensuche im alten Prison de Loos, wo sie von einem Gestaltwandler überrascht werden. Durch die Magie in Azaleas Medaillon kann sie knapp dem Gestaltwandler entgehen, doch Melvin stirbt durch dessen Magie.

 

[1]

 

Alex

Düsseldorf, 2018

 

Ich schließe die Lese-App auf meinem Handy, weil mir sonst jeden Moment die Augen zufallen. So spannend Harry Potter auch ist, von meiner Müdigkeit kann mich das Buch nicht abhalten. Mein Blick gleitet zu Louisa, die seelenruhig im Bett liegt und vor sich hinschlummert. Ich könnte mich einfach neben sie legen und auch schlafen. So erledigt, wie sie ist, würde es sie vermutlich nicht einmal besonders stören. Aber sie zählt darauf, dass ich aufmerksam bin und sie beschütze, sollte sie Schutz brauchen.

Ihr nützt niemandem etwas, wenn ihr müde seid, gehen mir Tyros’ Worte durch den Kopf. Die Ausbildung scheint schon eine Ewigkeit her zu sein, aber manche Sachen vergisst man nicht so schnell. Vor allem nicht die, die schon einmal Leben verändert haben.

Ich lege mein Handy auf den Tisch und hole mein Tagebuch und einen Stift aus meiner Tasche, um die Geschehnisse des Tages aufzuschreiben. Um festzustellen, dass ich unaufmerksam gewesen bin, brauche ich mein Tagebuch allerdings nicht. Wenn meine Augen nicht ständig auf Louisa kleben würden, hätte ich den Gestaltwandler am Flughafen sicher schneller bemerkt, und es wäre gar nicht erst soweit gekommen. So hätte der Mistkerl mich beinahe erwischt.

Was dann mit Louisa geschehen wäre, will ich mir gar nicht ausmalen.

Bevor ich meine Gedanken dazu niederschreiben kann, klappe ich das Buch wieder zu. Was in meinem Kopf herumschwirrt, sollte besser dort bleiben, sonst entdeckt es noch jemand, der die falschen Schlüsse daraus zieht.

Stattdessen schnappe ich mir mein Handy und tippe eine SMS an meinen Bruder.

 

Hey Ivan, bist du noch wach?

 

Es dauert keine zwei Minuten, da kommt seine Antwort zurück.

 

Was gibt’s?

 

Ich könnte mal deinen Rat gebrauchen.

 

Ich kann die Belustigung in seinen Worten lesen.

 

Du? Meinen? Ich bin gespannt.

 

Ich habe keine Ahnung, wie ich meine Frage formulieren soll, ohne dass er Verdacht schöpft, ich könnte für Louisa mehr Gefühle haben als für eine andere Schülerin. Mein Handy piepst dreimal.

 

Ich warte ...

Und warte ...

Und warte ...

 

Sorry! Also, hast du eine Idee, wie man ein Trauma überwindet?

 

Reden wir hier von dir oder von deiner Hexe?

 

Von Louisa natürlich ... Sie hat so viel durchgemacht, dass sie beim kleinsten Geräusch zusammenzuckt. Aber dann gerät ihre Magie außer Kontrolle und sie bringt uns nachher noch alle um. Sie muss nicht nur ihre Magie beherrschen lernen, sie muss vor allem ihre Angst überwinden.

 

Ein paar Augenblicke später klingelt mein Handy. »Ivan.«

»Hey, Bruder«, begrüßt er mich. »Ich dachte, es geht schneller, wenn wir telefonieren. Ist doch okay, oder?«

»Klar.« Ich schaue zu Louisa, die immer noch tief und fest schläft. Auf ihrer Stirn hat sich eine konzentrierte Falte gebildet, also behalte ich sie lieber im Auge. Noch mehr Albträume kann sie wirklich nicht gebrauchen.

Ich erzähle Ivan kurz von den Gestaltwandlern an der Schule und dem Überfall am Flughafen, dabei lasse ich jedoch außen vor, wie knapp es wirklich gewesen ist. Einen Moment lang hadere ich mit mir, ob ich ihm von Louisas Zusammenbruch im Bad berichten soll, aber schließlich tue ich es. Es ist ja nichts Verwerfliches dabei, sich um eine durchdrehende Hexe zu kümmern, auch wenn mir die Minuten unter der Dusche immer noch nachhängen.

Es ist, als hätte sich ihr Duft in meiner Nase festgesetzt.

»Hm«, macht er, als ich geendet habe. »Ich glaube, das braucht in erster Linie Zeit. Sie muss sich erst mal an die neuen Grenzen ihrer Welt gewöhnen. Das Beste, was du jetzt tun kannst, ist, mit ihr zu reden und ihr zu zeigen, dass die Magie nichts Schlimmes ist.«

»Also keine Abkürzung, damit sie sich morgen wieder besser fühlt?«

»Leider nicht.« Ivan lacht leise auf. »Aber du weißt, dass du ihr zumindest die Albträume nehmen könntest.«

Ich atme scharf ein. Was er da vorschlägt, ist alles andere als in Ordnung.

»Sag bloß, du hast noch nicht darüber nachgedacht.«

»Natürlich nicht«, stoße ich entrüstet hervor. »Sie ist eine Schülerin. Diese Verbindung einzugehen, wäre nicht richtig.«

»Und doch würde es ihr helfen.«

»Damit würde ich ihr die Möglichkeit nehmen, mit einem Wächter ihres Alters zusammenzuwachsen«, widerspreche ich. Wie kommt er überhaupt auf eine so absurde Idee? Er ist doch auch ein Lehrer, er muss wissen, wie sehr dieser Gedanke unserem Kodex widerspricht.

»So viel älter bist du nun auch wieder nicht. Außerdem bist du wieder frei.«

Würde er wirklich gegen unseren Kodex handeln, um einer Hexe zu helfen, die er kaum kennt? Ratlos seufze ich.

»Nach der Sache mit Corinne bin ich auch nicht wirklich scharf drauf, mich nochmal zu verbinden«, erinnere ich ihn missmutig.

»Ich mein ja nur. Du kannst ihr helfen. Du musst es nur wollen«, erwidert Ivan, bevor er das Thema wechselt und wir uns kurz darauf voneinander verabschieden. Ich hänge das Handy ans Ladekabel und betrachte Louisa, deren Stirnfalte sich vertieft hat. Eine Faust hat sie um den Stoff der Decke geballt, mit der anderen Hand rauft sie sich die Haare.

Ich wünschte, es gäbe eine einfachere Lösung, ihre Albträume fortzujagen.

 

 

Das neue Apartment befindet sich in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses in einem Vorort von Düsseldorf, hat zwei Schlafzimmer und einen Wohnbereich, in dem Moose seine Gerätschaften ausbreitet. Bei der Menge an Technik, die er aus seiner Tasche holt, frage ich mich, ob er überhaupt Wechselkleidung oder Waffen dabeihat. Louisa bringt ihren Koffer in eins der Schlafzimmer, während Tyros die Formalitäten mit dem Vermieter klärt.

Ich widme mich in der Zwischenzeit der Wohnung und laufe die Räume ab, um mir die neue Umgebung vertraut zu machen. Zwar glaube ich nicht, dass die Gestaltwandler uns hier finden – vor allem jetzt, da Louisa ihr Amulett trägt – aber man kann nie sicher genug sein. Ich öffne ein Fenster und schaue hinunter, um die Höhe abzuschätzen. Einen kontrollierten Sprung aus dem Fenster würde auch Louisa ohne Probleme überleben. Höhenangst wird sie bei ihrer großen Liebe zum Fliegen wohl kaum haben.

Ich schließe das Fenster wieder und gehe ins erste Schlafzimmer. Die Jalousie ist runtergezogen, aber da das Zimmer gleich neben dem Wohnraum liegt, liegt das Fenster zur gleichen Seite hinaus. Also gehe ich einfach weiter zu Louisas Zimmer und klopfe an die Tür.

»Ja?« Sie klingt etwas atemlos.

Irritiert betrete ich den Raum und sehe, wieso. Sie kämpft damit, die tonnenschwere, uralte Kommode zu verschieben. Mit aller Kraft lehnt sie sich dagegen, bis das Möbelstück ein paar Zentimeter vorrückt.

»Was machst du da?«, frage ich und unterdrücke ein Lachen. »Bist du nicht zufrieden mit der Innenausstattung?«

Sie hält inne, seufzt und wischt sich die Haare aus dem Gesicht. »Das ist es nicht.«

»Was ist es dann?« Ich schließe die Tür hinter mir, damit Moose und Tyros nichts mitbekommen. »Brauchst du Hilfe?«

»Kannst du nicht einfach wieder rübergehen?«, presst sie elend hervor. In ihren Augen schimmert eine Verzweiflung, die meine gute Laune vertreibt. Ich denke an das Gespräch mit meinem Bruder, daran, wie reden ihr helfen könnte. »Oder mir einen verdammten Zauberspruch verraten, mit dem die Kommode leichter wird?«

»Was hast du denn damit vor?«

Sie seufzt noch einmal auf. »Ich will sie vor die Balkontür schieben«, erwidert sie schließlich schnippisch. »Damit da niemand reinkommen kann.«

Ich fühle mich wie ein Idiot, weil ich darauf nicht selber gekommen bin und gehe zur Balkontür, um das Schloss zu überprüfen. Die Tür ist abgeschlossen und nicht so leicht aufzubrechen, wie sie vielleicht denkt. Die Dreifachverglasung macht es einem Gestaltwandler auch nicht gerade leicht, das Glas zu durchbrechen. Sie beobachtet mich mit verschränkten Armen.

»Ich kann dich ja verstehen, aber wenn du die Kommode vor die Tür stellst, versperrst du dir einen Fluchtweg«, erkläre ich ihr. »Die Tür ist von innen abgesperrt. So leicht kommt da niemand rein.«

Louisa verzieht das Gesicht. »Und wenn doch?«

»Dann hast du drei Wächter in der Wohnung, die auf dich achtgeben«, erwidere ich fest. »Und abgesehen davon kann ich dir gerne ein paar Dinge beibringen, damit du dich selbst verteidigen kannst.«

»Das hilft mir auch nicht, wenn sie mich im Schlaf überraschen.« Sie lässt sich erschöpft aufs Bett sinken. »Nicht, dass ich besonders gut schlafen könnte.«

Ich lehne mich gegen die Kommode und mustere sie besorgt. Die Worte meines Bruders gehen mir nicht aus dem Kopf. Aber es wäre nicht richtig, und die Zeit außerhalb der Akademie können wir auch ohne einen Regelverstoß überbrücken. Sie wird schon bald ihren eigenen Wächter haben, der sie vor Albträumen bewahren kann.

»Wenn du möchtest, kannst du auch im anderen Schlafzimmer schlafen. Das hat nur ein Fenster, keinen Balkon«, schlage ich vor, auch wenn ich es eigentlich gut finde, dass sie zwei Fluchtmöglichkeiten hat. Aber wenn sie deshalb nicht schlafen kann, hilft ihr das auch nicht weiter.

Dankbar nickt sie und steht auf, um ihren Koffer ins andere Zimmer zu zerren. Ich gehe auf sie zu und strecke eine Hand aus, um ihr die Arbeit abzunehmen. »Komm, ich nehme den für dich.«

»Es geht schon«, erwidert sie leise. Ich lasse die Hand wieder sinken und bin überrascht, dass sich auf ihren Lippen ein Lächeln bildet. »Emanzipation und so, du weißt schon.«

Ich schmunzle. Sie ist so erfrischend anders als die anderen Frauen im Palast. Das ist einerseits schön, andererseits aber auch gefährlich.

Sie wird alles durcheinanderbringen.

 

 

»Louisa ist eine Hexe, kein Wächter.« Tyros wirft Louisas neuen Stundenplan aufs Bett und schaut mich finster an. »Hast du ihr nicht gesagt, dass die Fachbereiche der Wächter für sie nicht relevant sind?«

Ich nehme den Bogen in die Hand, um mir anzusehen, was sie gewählt hat. Neben den üblichen Verdächtigen für das Abitur hat sie nicht nur jede Menge Hexenunterricht gewählt, sondern auch sämtliche Fächer für Wächter angekreuzt.

»Selbst wenn wir es zulassen würden, dass sie Wächterunterricht bekommt, was hat sie davon? Sie wird diese Fähigkeiten sowieso nie anwenden«, fährt Tyros fort. »Abgesehen davon kann ich unmöglich eine Ausnahme für sie machen. Du kennst die Regeln.«

»Sie hat Angst«, erwidere ich. »Es ist nur natürlich, dass sie sich verteidigen können will.«

Ich lehne mich gegen den Schrank, während Tyros nachdenklich im Schlafzimmer herumtigert. Moose sitzt mit Louisa in der Küche und nimmt ihre Aussage zu den Visionen auf, um sie an den Rat weiterzuleiten.

»Ich kann den Wunsch ja nachvollziehen, aber sie wird genug mit ihrem Abitur und den anderen Fächern zu tun haben. Da kann sie es nicht auch noch gebrauchen, sich in einem Kurs behaupten zu müssen, in dem ihre Mitschüler viel größer und stärker als sie sind.« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Stell dir nur mal vor, was passieren würde, wenn sie sich im Unterricht einen Arm bricht.«

»Das wird sie nicht.« Ich habe mich auf seinen Widerspruch vorbereitet und bringe meine Argumente vor. »Hör mal, ich kann verstehen, dass dir das Sorge bereitet, aber vielleicht ist es an der Zeit, dass auch unsere Hexen lernen, sich zu verteidigen. Du siehst doch selbst, dass hier etwas vor sich geht, was wir nicht begreifen können. Die Gestaltwandler werden immer mehr. So schnell kommen wir gar nicht mehr damit hinterher, neue Wächter zu rekrutieren.«

Tyros schnaubt verächtlich auf. »Also willst du Hexen zu Wächtern machen?«

Ich seufze. Normalerweise schätze ich ihn dafür, dass er neuen Ideen gegenüber offen ist, aber heute ist er alles andere als bereit, etwas zu wagen. Damit treibt er mich noch in den Wahnsinn. Was ist so schlimm daran, einer Hexe einen Wunsch zu erfüllen?

»Sie wird von allein merken, dass sie in diesem Unterricht nicht gut aufgehoben ist«, werfe ich ein. »Aber so lässt du ihr wenigstens das Gefühl, sie hätte noch über irgendetwas die Kontrolle.«

Er bleibt vor dem Fenster stehen und schaut hinaus. Es hat zu schneien begonnen. Die dicken weißen Flocken schweben lautlos zu Boden. Nervös warte ich darauf, dass er sein Urteil spricht. Letztendlich hat immer noch er das Sagen, da kann ich Louisa so viel erzählen, wie ich will. Aber ich weiß genau, dass sie enttäuscht wäre, wenn ich mein Versprechen nicht halten würde, und ich will nicht derjenige sein, der sie enttäuscht.

»Also gut.« Tyros dreht sich um. »Ihr beginnt heute mit dem Training, und du behandelst sie wie einen Wächter. Keine Schonfrist, keine Extrapausen, kein Mitleid, weil sie eine Frau ist. Dann hat sich ihr Wunsch vielleicht schon erledigt, bis wir zurück im Palast sind.«

 

[2]

Freya

Christiania, 1768

 

Am liebsten würde ich davonlaufen. Mich irgendwo verstecken, wo mich niemand mehr finden kann. Nicht Mikael, nicht diese nette Schneiderin, die schon viel zu lang an mir herumfuchtelt.

Nicht der König.

Wenn ich einfach vom Schemel herunterspringen würde, hinauslaufe und verschwinde ... vielleicht finde ich jemanden, der mir aus der Stadt raushilft. Jemanden, der mich zurück in mein Dorf bringt. Auch wenn ich nicht weiß, was ich dort noch soll.

Ich habe alles verloren, was mir jemals wichtig war. Meine Mutter, mein Zuhause ... und nun verliere ich in einer Nacht auch noch meinen freien Willen und die Möglichkeit, einen Mann zu heiraten, den ich wirklich liebe.

»Kindchen, du wirst zauberhaft aussehen«, zwitschert die Schneiderin, während sie den Stoff in dicken Bahnen um mich wickelt. »Und Mikael ist ein Prachtkerl. Willst du mir nicht erzählen, wie ihr euch getroffen habt?«

Ich schnaube leise, beschließe dann aber, dass es niemandem von uns guttun würde, wenn ich der Schneiderin die Wahrheit erzähle. »Er kam in unser Dorf«, erkläre ich also. »Und kaum hatte er mich getroffen, schon ist er nicht mehr von meiner Seite gewichen.«

Die Frau seufzt theatralisch. »Das erinnert mich daran, wie ich damals meinen lieben Mann kennengelernt habe. Gott habe ihn selig. Er ist an einer Lungenentzündung gestorben.«

»Das tut mir sehr leid«, erwidere ich leise. Sie erzählt mir davon, wie es früher war, doch ich höre ihr nur mit halbem Ohr zu. Zu sehr bin ich in der Erinnerung an unseren Moment in der Besenkammer gefangen.

Verdammen sollte man mich dafür, dass ich Mikael auch noch anziehend genug finde, um einen Kuss zu erhoffen. Nach allem, was geschehen ist, sollte das meine geringste Sorge sein.

Ich werde dich beschützen, hat er mir versprochen, doch wie viel sind seine Versprechen wirklich wert? Kann ich ihm vertrauen? Was wird geschehen, wenn wir dem König nicht helfen können?

Ich erschaudere beim Gedanken daran.

»Vor meiner Hochzeit war ich auch ganz aufgeregt«, erklärt mir die Schneiderin. Dieses Mal höre ich ihr zu, weil sie mich wenigstens von der aufkeimenden Panik ablenkt. »Wir haben schon Wochen vorher mit den Vorbereitungen angefangen. Allein den passenden Ort für die Trauung zu finden war eine Herausforderung. Meine Mutter hat der Familie meines Mannes ordentlich Feuer unterm Hintern gemacht.« Sie lacht glockenhell auf. »Ich hätte mich am liebsten die ganze Zeit über im Bett versteckt und wäre erst nach der Hochzeit wieder aufgestanden. Aber am Ende war es eine wundervolle Trauung, und ich konnte mich sehr glücklich schätzen, dass ich meinen Mann schon vorher geliebt habe.«

»Das hört sich wirklich schön an.« Ich balle die Hände zu Fäusten und entspanne sie wieder. »Ich fürchte nur, dass es bei uns nicht ganz so romantisch sein wird.«

»Wenn du dich da mal nicht vertust. So wie Mikael dich ansieht, wird er dir den Himmel zu Füßen legen.«

[3]

 

Hayet

Lille, 2018

 

Die Armbänder und Fußkettchen klimpern bei jedem meiner Schritte. Ich wiege die Hüften im Takt und spüre die Blicke der Männer auf meinem Körper. Wenn sie wüssten, wie kalt es in diesem Kostüm ist, würden sie mir vielleicht eher ihren Wintermantel anbieten, als nur zu gucken.

Vor Mamans Zelt halte ich an. Der Cirque de la Sorcellerie ist in Lille besonders beliebt – auch heute haben wir wieder zahlreiche Gäste, die sich von unserer Magie verzaubern lassen möchten. In freudiger Erwartung auf die Show am Abend schlendern sie durch die Gassen, um an den Ständen Gimmicks zu kaufen, die sie ein paar Tage später in den Müll schmeißen werden. Vor Mamans Zelt bleiben sie oft zögernd stehen, neugierig, aber dann trauen sie sich doch nicht so recht. Wer glaubt schon an Wahrsagerei?

An der Stelle kommt Yanis ins Spiel.

Wie aus dem Nichts springt er plötzlich mit viel Krach auf eine Kiste vor dem Zelteingang. Das Pärchen, das ihm am nächsten steht, zuckt erschrocken zusammen.

»Mesdames et Messieurs!”, ruft er. Seine braunen Augen gleiten über den Platz und bleiben an mir hängen. Ich zwinkere ihm zu, bevor ich beobachte, wie sich der Platz vor dem Zelt mit Menschen füllt, die gespannt darauf warten, dass etwas Aufregendes passiert. »Glauben Sie an Magie?«, spricht Yanis weiter. »An Wahrsagerei? An das Schicksal? Nein?«

Er springt von der Kiste hinunter und bewegt sich durch die Menge – genau wie ich. Nur, dass er nun potenzielle Kunden für Mamans Zelt anspricht, während ich sie mit spitzen Fingern bestehle.

---ENDE DER LESEPROBE---