Ein unerwarteter Besuch - Reinhard Kocznar - E-Book

Ein unerwarteter Besuch E-Book

Reinhard Kocznar

4,8

Beschreibung

Ein unerwarteter Besuch ist in die Wohnung des Versicherungsdirektors Robert Prokop eingedrungen und hat seine Unterlagen durchwühlt. Wonach hat er gesucht? Haben die undurchsichtigen Finanzgeschäfte, denen Prokop in seinem Unternehmen auf die Spur gekommen ist, damit zu tun? Auf der Suche nach Antworten gerät Prokop in ein Netz von Lügen und Betrug, von Gier und Gewalt. Reinhard Kocznar gelingt in seinem Roman­Erstling ein packender Versicherungskrimi, der tief in ein verschlungenes Netz von Lügen und Betrug, von rücksichtsloser Gier und skrupelloser Gewalt führt.

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Reinhard Kocznar

Ein unerwarteter Besuch

Ungekürzte E-Book-AusgabeHAYMON Verlag, Innsbruck-Wien 2014www.haymonverlag.at

© 2007 by Skarabæus Verlag Innsbruck-Bozen-Wien in der Studienverlag Ges.m.b.H.Erlerstraße 10, A-6020 Innsbrucke-mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7099-3579-8

Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt HöretzederCover: Skarabæus Verlag/Karin BernerSatz: Skrabaeus Verlag/Vanessa SonnewendLektorat: Christine Riccabona

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.skarabaeus.at.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1

Langsam rollte die Limousine an die Straßenkreuzung heran, bog ab und hielt vor der Bankfiliale am Eck. Bei näherem Hinsehen hätte man die dunkelrote Farbe des Modells, eines Mercedes neueren Baujahres, feststellen können, mittlerweile war das Auto aber mit einer soliden Schicht dunkelgrauen Straßenstaubes überzogen. Ein hochgewachsener, gut gekleideter Mann stieg aus, warf die Türe zu und schlug den Kragen seines Mantels hoch, bevor er sich in Bewegung setzte.

Er stieg über die Schneehügel am Straßenrand und steuerte den Geldautomaten an. Dort steckte er die Karte und tippte den höchsten Betrag ein, den er beheben konnte. Er entnahm die Scheine und wiederholte den Vorgang mit seiner zweiten Karte.

Es war ein kalter Apriltag, kurz vor acht Uhr morgens. An den Rändern der Straße lagen noch die Reste des verspäteten Schneefalls, der gelegentlich um diese Jahreszeit auftrat. Über der Stadt hing ein grauer Wolkenvorhang, in der Nacht hatte eine dünne Schicht Eis die Fahrbahn überzogen.

Die grimmige Kälte machte seine Finger klamm. Als er die Karte aus dem Automaten nahm, fiel sie zu Boden. Er bückte sich, um sie aufzuheben, als eine Frau an ihm vorbeiging. Er sah nur ihre Beine unter dem Mantel. Was ihm nicht behagte, war, dass sie sich im selben Augenblick umdrehte.

„Robert?“

„Anita?“ fragte er überrascht, dann bemerkte er, dass er noch immer in der Hocke war, und erhob sich wieder. Wozu war der Weg in diesen entfernten Stadtteil notwendig gewesen, wenn er da auf der Stelle gesehen und erkannt wurde?

„Was für eine Freude“, sagte sie.

Nach einem kurzen Zögern nahm sie ihn in die Arme. Sie schwankte, ob sie ihn auf den Mund küssen sollte, küsste ihn dann aber nur auf beide Wangen.

„Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?“

Das war lange her.

„Fünfzehn Jahre?“

„Mindestens“, sagte sie, „hast du Lust auf einen Kaffee? Du kannst gleich mitkommen, ich arbeite hier in dieser Bank.“

Er zögerte, sie ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. „Es wäre schön, wenn du mich einmal anrufst. Vergiss dein Geld nicht.“

Mechanisch nahm er es aus dem Automaten und legte die Scheine zu den anderen in seiner Brieftasche. Das war nun ziemlich viel.

„Ich bin in Eile“, sagte er und steckte die Brieftasche ein, „aber ich melde mich nachmittags bei dir, wenn dir das recht ist.“

„Du musst nicht …“

„Ich freue mich auch“, unterbrach er, „ich melde mich wirklich.“

Sie deutete mit dem Kopf zum Firmenschild. „Du weißt, wo du mich erreichst. Wenn es wieder fünfzehn Jahre braucht, kann ich nicht garantieren, dass ich noch da bin.“

Die spontane Freudenkundgebung von vorhin war ihr nicht mehr recht. Sie wandte sich zum Gehen.

„Ich weiß deinen Nachnamen nicht mehr …“, sagte sie.

Falls du wirklich anrufst, sollte das heißen. Diesmal zögerte er nicht. „Prokop“, entgegnete er, „nach wie vor.“

Sie lächelte. Prokop fragte nicht nach ihrem Nachnamen, an den erinnerte er sich auch nicht mehr, aber das spielte keine Rolle. Sie war eine attraktive Frau geworden.

Prokop sah ihr nach und wartete, ob sie sich noch einmal umdrehte. Sie tat es, an der Ecke. Er winkte, ging wieder zu seinem Auto und fuhr los.

Da sah er sie nach über fünfzehn Jahren wieder und sie arbeitete ausgerechnet in einer Bank. Das war zum Verrücktwerden. Nach den Ereignissen der letzten Nacht war es ohne Weiteres möglich, dass er im Lauf des Tages, zum ersten Mal in seinem Leben, keine funktionierende Bankverbindung mehr besaß. Prokop war müde. Kein Wunder, er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte fast halb neun. Er brauchte fünf Minuten, um zu dem Kopierladen im neuen Universitätsgebäude zu fahren. Danach sollte sich, vor Dienstbeginn, noch ein Frühstück in seinem Stammcafé ausgehen.

„Einhundertachtundfünfzig Blatt“, sagte er und legte einen Stapel Computerausdrucke auf die Theke, „ich brauche zwei Sätze saubere Kopien. Es ist aber nicht so eilig, ich werde sie erst am Montag oder vielleicht am Dienstag abholen.“

„Kein Problem“, meinte der Inhaber und legte einen Vordruck bereit, „auf welche Firma geht das?“

„Albert Glaser, Consulting.“

„Wo erreiche ich Sie telefonisch?“

„Ich gebe Ihnen die Nummer meines Handys“, sagte Prokop, „ich bin bis Montag verreist.“

Während der Inhaber Namen und Telefonnummer notierte, überlegte Prokop, dass Anita auf ihn gewirkt hatte, als ob sie allein lebte. Einer Einladung würde sie folgen. Er selbst lebte auch allein, wieder einmal, und auch das war so überraschend gekommen wie immer. An die trostlosen Wochenenden, die am Freitag schon unendlich lange erschienen, hatte er sich noch immer nicht gewöhnt.

Er ging zu seinem Auto zurück. Wenigstens waren die Ausdrucke vorerst in Sicherheit und er selbst würde für ein paar Tage weit weg sein. Auf dem Weg zu seinem Stammcafé blieb er noch zweimal stehen, um die Zeitung und einen Nassrasierer zu besorgen. Er rasierte sich im Auto, und zwar trocken, dann setzte er sich ins Café.

„Leidest du neuerdings unter Schlafstörungen?“ fragte die Kellnerin und stellte Croissant und Espresso auf den Tisch, „du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht über das Bett nicht gesehen.“

Wortlos machte er sich über das Croissant her. Man hatte ihn gleich um acht Uhr morgens gesehen, wie er am Geldautomaten unüblich hohe Beträge abhob, und man erkannte ihn jetzt als übernächtig. Eigentlich sollte er Ruhe bewahren, aber das war leichter gesagt als getan.

An diesem Vormittag wurde der Jour fixe in der Generaldirektion der Bonia Versicherungs-Aktiengesellschaft erst um eine halbe Stunde verschoben, dann ganz abgesagt. Hornbach, Sprecher des Vorstandes der Bonia, hasste die modisch gewordenen angelsächsischen Ausdrücke, niemals hätte er ein Meeting abgehalten. Im Augenblick saß er allein im Besprechungsraum und studierte eine Auswertung. Seine Miene war finster, was durch den schwarzen Bart eine bedrohliche Dimension erhielt. „Wir mit den schwarzen Bärten“, pflegte er seinem Untergebenen, dem Direktor Prokop, gelegentlich zu sagen, „wir müssen uns vorsehen. Die Leute fürchten sich zu schnell, wenn wir finster dreinschauen.“

Vermutlich war er fünfundfünfzig, schätzte seine Umgebung. Genau wusste es keiner. Unter seiner beginnenden Stirnglatze lächelten zwei hellblaue Augen, die ihm aber kein wirklich freundliches Aussehen gaben. Er war mittelgroß und mochte wohl einmal gewichtig gewesen sein, bevor er begonnen hatte, Sport zu betreiben und vor allem Tennis zu lernen. Vor Beginn der jährlichen Clubreise und auch vor dem Firmenturnier war er in der Regel eine Woche auf Tauchstation, dem Vernehmen nach beschäftigte er dann einen eigenen Trainer, um sich in Bestform zu bringen.

Die Türe öffnete sich und Rosenberger trat ein, in seinem Kielwasser folgte Dvorak, der Leiter der EDV-Abteilung. Rosenberger, in der Erscheinung seinem Herrn ähnlich, aber ein wenig dicklich, war der direkte Vorgesetzte der Filialen. Den Bart trug er als geringfügig verlängerten Dreitagebart. Dvorak, der blässlich wirkende Informatiker, hatte in diesem Kreis normalerweise keinen Sitz.

Demonstrativ hob Hornbach die Auswertung hoch und legte sie beiseite.

„Was wissen wir nun?“

Hornbachs Aufforderung galt Dvorak. Der begann unverzüglich.

„Heute Nacht fand ein offensichtlich nicht autorisierter Zugriff auf die Datenbank statt. Die Aktivitäten begannen um 00.48 Uhr und dauerten bis 05.51 Uhr. Der Zugriff wurde vom Arbeitsplatz Iris Marbach aus der Filiale 3 unternommen. In dieser Zeit fanden Zugriffe statt, die sich wie folgt …“ Rosenberger winkte ab.

„Keine Einzelheiten. Worum ging es, was war das Ziel?“

„Es war definitiv keine Schädigungsabsicht dahinter“, begann Dvorak wieder, aber Rosenberger unterbrach ihn erneut.

„Zu nachtschlafender Zeit und unter offensichtlich missbräuchlicher Verwendung eines fremden Passwortes“, warf er erregt ein, „die Marbach war es nämlich nicht, das habe ich überprüft.“

Hornbachs Blick sagte, dass das Zeitverschwendung gewesen war, denn Iris Marbach, Prokops Sekretärin, schied als Verdächtige aus. Sie war bereits viel länger im Unternehmen und eine der Stützen der Firma.

„Die unbekannte Person hat sich Mühe gegeben, das Ziel zu verschleiern“, setzte Dvorak fort, „die eingeholten Auskünfte verstreuten sich über das ganze Bundesgebiet, zeigen aber eine Häufung in der Sparte A336.“

Die Sparte A336 hatte eine signifikante Steigerung der Schäden zu verzeichnen. Die Zahlungen hatten sich innerhalb eines Jahres vervielfacht. Das Ergebnis der Sparte war vorher schon tiefrot gewesen, nun musste es eine Katastrophe sein. Die Auswertung dieser Sparte lag vor Hornbach am Tisch. Darin lag das Problem, und jemand anderer hatte das augenscheinlich vor allen hier Versammelten erkannt. Das war ein weiteres Problem.

„Sprechen Sie den Namen ruhig aus“, Rosenberger gab nicht klein bei, „wer außer Prokop kommt denn noch in Frage?“

„Was wir hier besprechen, ist absolut vertraulich“, fuhr Hornbach jetzt Dvorak an, „nichts, ich betone, gar nichts darf nach außen dringen.“

Dvorak nickte.

„Wenn das zutrifft“, übernahm Hornbach und wiederholte wie immer, wenn er es dramatisch machen wollte, die Einleitung, „wenn das zutrifft, was wir drei hier vermuten, dann räumt jemand kräftig und unverschämt ab. Es muss ein hochgestellter Mitarbeiter sein, der in die eigene Tasche wirtschaftet. Um bezahlen zu können braucht er aber mindestens noch einen, denn allein kann er ja keine Zahlung auslösen. Das ist aber noch nicht alles. Es muss außer Haus einen weiteren geben, der die Schäden fingiert und das Geld kassiert. Es sind also mindestens drei.“

Rosenberger zündete sich eine Zigarette an, Hornbach ließ ihn ausnahmsweise gewähren.

„Wir müssen das Problem alleine lösen“, fuhr Hornbach fort, „sonst haben wir nicht nur die Polizei hier, womit auch alles prompt an die Öffentlichkeit dringt, wir haben dann auch noch die Revisoren von KSR in den entlegensten Winkeln der Bonia drin.“

Die Revisoren von KSR Financial Services, einer bedeutenden Firma mit Sitz in Luxemburg, waren seit Wochen im Haus und prüften die Bücher, denn KSR wickelte den Verkauf der Bonia ab. Wenn die vorzeitig Wind von der Sache bekamen, dann blieb kein Stein auf dem anderen, und überdies würden sie binnen Kürze mehr darüber wissen als das Management. Was er nicht erwähnte, war die Aufsichtsbehörde, die bereits im Vorjahr eine Empfehlung an die Eigentümer der Bonia gerichtet hatte, die Firma zu verkaufen.

„Sie unternehmen vorerst nichts“, sagte Hornbach nun zu Dvorak, „Sie überlegen sich bis zum Montag, wie Sie mehr darüber herausbekommen können, ohne dass jemand, im Besonderen der Täter, davon erfährt. Ohne das grüne Licht von Rosenberger geschieht nichts, ist das klar?“

Hornbach war sonst nicht der Mann, der wichtige Dinge von Untergebenen erledigen ließ. Hier war aber eine auffallende Arbeitsteilung festzustellen. Hornbach wetterte über die unbekannten Mitarbeiter, die sich am Firmenvermögen bedienten, aber Rosenberger hatte sich von Anfang an auf Prokop eingeschossen. Ohne Hornbachs Einverständnis tat er normalerweise überhaupt nichts.

In Dvorak begann Zorn aufzusteigen. Das lief ganz offen auf eine Vertuschung hinaus, und der Entdecker dieser Sache wurde als Staatsfeind behandelt.

„Und mit Direktor Prokop kann ich natürlich auch nicht sprechen“, wagte er den letzten Versuch, „obwohl der offensichtlich auf unserer Seite steht.“

Obwohl er nur euren Job gemacht hat, konstatierte Dvorak für sich. Rosenberger schnitt das brüsk ab.

„Wie ich schon gesagt habe, schleicht er nachts in die Filiale und missbraucht einen fremden Zugang. Er verfügte selbst über einen eigenen mit mehr Zugriffsrechten, den verwendet er nicht. D’accord?“

Dvorak nickte widerstrebend.

„Sie selbst geben uns zu verstehen, dass er zielgerichtet gesucht hat?“

Wieder Nicken. Hornbach schaltete sich jetzt ein.

„An Rosenbergers Meinung ist schon etwas dran. Prokop weiß offensichtlich etwas Konkretes. Von wem weiß er es, und wie lange weiß er schon davon? Er hält also Informationen zurück, die für die Firma lebenswichtig sind. Was hat er damit vor? Oder ist er nur ein Narr, der von jemand ganz anderem missbraucht wird, um uns zu schaden? Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, das ist eine sehr gefährliche Situation.“

Dvorak hatte genug, er entschuldigte sich und verließ den Raum. Hornbach steuerte unverzüglich auf das zu, das ihm nun nahe lag.

„Wir müssen uns vorbereiten, falls die Lage außer Kontrolle gerät.“

Damit war die Entlassung und Neutralisierung Prokops gemeint, aber das verstand der routinierte Rosenberger von selbst. Eine Kündigung hatte immer mit Neutralisierung zu tun, man nahm ja viel Wissen mit. Diesmal hatte es aber eine viel größere Dimension, die energische Schritte erforderte. Die Sitzung war beendet, und Rosenberger ging ebenfalls. Er wusste, dass Hornbach nun Delpeche anrufen musste, den CEO von KSR Financial Services. Um diese Aufgabe beneidete er ihn nicht.

Louis Delpeche war im Begriff gewesen, zu einem Mittagessen mit einem Regierungsbeamten aufzubrechen, als er den Anruf Hornbachs erhielt. Das Gespräch dauerte nicht lange, aber im Anschluss daran stornierte Delpeche das Mittagessen und ließ seinen Assistenten Straaten rufen.

Louis Delpeche war ein freundlicher Herr mit sonorer Stimme und väterlichem Auftreten. Er entsprach dem Prototyp des Mannes, der vom Private Banking als seriös eingestuft wurde. Die Kriterien für diesen Status waren die großzügig angelegte Villa, die fünf Autos davor und seine beiden gut erzogenen Söhne. Der persönliche Relation Manager von der Abteilung Private Banking schätzte das ansehnliche Portfolio, das er für ihn verwalten durfte. Das war allerdings nur die Spitze des Eisberges, denn Louis Delpeche bedurfte für den weitaus größeren Teil seines Vermögens nicht der Dienste des Private Banking.

„Ich brauche Informationen über den Mann“, hatte Delpeche zu Hornbach gesagt, „wir können uns so kurz vor dem Abschluss kein Risiko mehr leisten.“

Der Verkauf der Bonia stand am Gleis, der Ertrag aus dem Geschäft war substanziell. Wenn nun die Aufsichtsbehörde einschritt, fiel der Wert der Bonia in den Keller. Delpeche brauchte ungefilterte Nachrichten aus absolut zuverlässiger Quelle.

Die Türe öffnete sich, Delpeche blickte nicht auf. Straaten, ein sportlich aussehender Mann in den Dreißigern, kam herein und nahm wortlos an Delpeches Schreibtisch Platz.

„Es sieht danach aus, als ob wir bei der Bonia ein schlimmes Problem bekommen“, begann Delpeche, „einer oder mehrere haben da eine Goldader gefunden. Scheint schon eine Weile so zu gehen. Hornbach hält das Problem jedenfalls für so groß, dass er mich eben darüber informiert hat.“ Straaten verstand sofort.

„Dann haben wir Feuer am Dach. Wenn das durchsickert, dann kann Tiefenbrunner auch nichts mehr retten.“ Dr. Tiefenbrunner, ein bekannter Rechtsanwalt mit einer großen Kanzlei und ehemaliger Minister, nahm Delpeches Interessen in Österreich wahr. Im letzten Jahr war es ihm gelungen, die Sache mit der Aufsichtsbehörde zu planieren. KSR hatte dafür viel Geld zur Verfügung gestellt, die Hälfte davon war zweifellos in seinen Taschen verblieben. Allerdings, Landschaftspflege ist eine aufwändige Angelegenheit. Viele Münder sind zu füttern, viele kostspielige Geschenke zu präsentieren, Einladungen auszusprechen und Empfänge zu geben oder zu besuchen. Einen gepflegten Garten erhält man nicht umsonst.

„Da liegen Sie nicht falsch“, bestätigte Delpeche.

Straaten war aufgestanden und spazierte sinnend umher.

„Unser Problem ist nicht der Goldgräber.“

Das war eine Feststellung, aber Straaten wollte die Bestätigung hören.

„So ist es. Es gibt da einen Neuen, der sich nach Dienstschluss noch an den Computer setzt. Zu den unzähligen Statistiken Hornbachs macht er noch seine eigenen.“

Straaten schien auf dem Revers seines Sakkos etwas entdeckt zu haben, er wischte es unwillig weg.

„Dieser Neugierige, ist das der Einzige, der sonst noch davon weiß?“

„Ich weiß es bei Gott nicht“, knurrte Delpeche unwillig, „finden Sie es heraus.“

Straaten setzte sich wieder.

„Da ist doch noch etwas, Hornbach erwähnte, dass dieser Direktor die Datenbank von einem fremden Arbeitsplatz aus angefahren hat. Das kann bedeutungslos sein, aber wir wissen es nicht.“

„Interessant“, sagte Straaten. „Hat Hornbach noch mehr darüber erzählt?“

„Hornbach? Hornbach wusste bis gestern nicht einmal, dass die Sache existiert.“

„Dennoch, dann haben wir zwei“, stellte Straaten fest, „möglicherweise.“

„Möglicherweise.“

Delpeche sah Straaten nicht mehr an. Beide dachten dasselbe. In der Zentrale saßen die Revisoren von KSR Financial Services, denen würde die Spur nicht mehr entgehen. Draußen in den Filialen sah das anders aus.

„Wie groß das Loch auch ist“, sagte Delpeche bestimmt, „die Sache hat nie stattgefunden. Sie existiert nicht, basta.“

Straaten stand auf und kehrte in sein Büro zurück. Dort führte er ein sehr kurzes Telefongespräch mit Hornbach, danach rief er bei Dupont Securities an, verlangte, Braize zu sprechen, und verabredete sich mit ihm für den Nachmittag. Bald darauf kam ein Fax für Straaten. Es war die Kopie einer Seite der Bonia-Firmenzeitschrift, in der einige neue Filialdirektoren vorgestellt wurden. Straaten nahm sie an sich und legte sie zusammen mit Notizen in einen Aktenumschlag.

Braize kam um sechzehn Uhr in Straatens Büro. Er war pünktlich wie immer. Neben sprichwörtlicher Pünktlichkeit zählten zu seinen Merkmalen auch eine aufrechte, straffe Haltung und unauffälliges Auftreten. Der dunkelblaue Anzug machte aus ihm aber nicht den Finanzberater, als den ihn seine Visitenkarte darstellte. Sein erlernter Beruf war ein ganz anderer, es war die Kunst des lautlosen Tötens.

Straaten schob ihm die vorbereitete Akte über den Tisch zu. Braize nahm sie an sich und begann zu lesen. Keiner sprach ein Wort, von Zeit zu Zeit machte er sich Notizen, dann behielt er die Kopie einer Firmenzeitschrift, in der einige neue Filialdirektoren vorgestellt wurden, und schob die Akte zurück.

„Wie ist der Zeitplan?“ fragte er routinemäßig.

„Das ist das Problem. Sofort.“

Braize sah ihn unwillig an. Der Begriff ‚sofort‘ kam in seinem Wortschatz nicht vor, Operationen dieser Art wollten sorgfältig geplant und präzise umgesetzt sein. ‚Sofort‘ bedeutete unweigerlich Planungsfehler und Unachtsamkeit, also Dinge, die man sich in seiner Branche nicht leisten konnte.

„Will er das?“

Delpeches Name fiel, auch unter Vertrauten, niemals bei derartigen Gesprächen.

„Es ist von höchster Priorität“, sagte Straaten kalt, „es kam völlig unerwartet.“

Braize schüttelte den Kopf und nahm seine Notizen wieder zur Hand. Eine Zielperson wie diese fiel aus seinem Rahmen. Keine Bodyguards waren zu beachten, keine Alarmanlagen auszuschalten, keine der üblichen Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, es handelte sich um einen Niemand. Das war kein Entscheidungsträger, der etwas Bedeutendes zu bestimmen hatte oder es verhindern konnte. Dass dafür ein hochqualifizierter Spezialist vom Rang Braizes notwendig war und auch noch eine Operation über das Knie gebrochen werden sollte, war eigenartig.

Er wiederholte nun laut, was ihm aufgetragen worden war, als ob sich dadurch etwas ändern würde.

„Ich steige also abends in das Flugzeug, finde ihn und lege ihn um. Natürlich habe ich keine Zeit, mir vorher anzusehen, wie er lebt und was er täglich macht, wie seine Gewohnheiten sind und wie er die Zeit verbringt. Eine Kleinigkeit geht schief und ich werde gesucht, meine Deckung fliegt auf. Das alles für eine untergeordnete Führungskraft aus dem dritten Glied. Jetzt sehen Sie mich an und bestätigen, dass das Ihr Ernst ist.“

Braize warf mit einer verächtlichen Geste die Kopie auf den Tisch. Er konnte den affektierten Straaten nicht leiden. Straaten ging darauf nicht ein.

„Ich erinnere Sie daran, dass das ein Befehl von höchster Stelle ist“, sagte er und nahm seine Brille ab. Dann zwinkerte er Braize zu, bevor er fortfuhr: „Messen Sie auch dem Material die entsprechende Bedeutung bei, finden und vernichten Sie es. Treffen Sie keine endgültigen Maßnahmen, bevor nicht die Unterlagen in Ihrem Besitz sind. Vermutlich ist es das einzige Beweisstück. Bisher war die Zielperson nicht sehr vorsichtig, aber das kann sich in jedem Augenblick ändern.“

„Ist das alles?“ fragte Braize und stand auf.

„Möglicherweise“, sagte Straaten, „vielleicht auch nicht. Das entscheidet sich in diesen Stunden. Sie erfahren es zeitgerecht.“

Braize sah ihn wütend an, aber das half nicht weiter. Ein Befehl war etwas, was nicht hinterfragt, sondern auszuführen war. So hatte er es gelernt und so entsprach es seiner Berufsauffassung.

Kurz nach neun Uhr betrat Prokop das Vorzimmer zu seinem Büro. Er war wortkarg wie immer zu dieser Tageszeit. Die beiden Damen, Iris Marbach und Erika Schindler, sahen auf und lächelten. An der Theke stand Franz Bauer, der Verkaufsleiter. Bauer studierte mit sorgenvoller Miene eine Übersicht, die Kaffeetasse in der Hand, der Löffel ragte daraus hervor. So trank man keinen Espresso, aber Bauer war eben so. Prokop konnte nicht alles haben, immerhin hatte er einen sehr guten Verkaufsleiter in ihm. Er war vor einem halben Jahr zur Bonia gestoßen, als er sich als Verkäufer beworben hatte. Das war offensichtlich nicht sein Metier gewesen. Dafür war er viel zu distinguiert. Prokop hatte einige Zeit aufgewendet, um der Zentrale einzureden, dass er der Verkaufsleiter wäre, der ihm fehlte. Nach einigem Hin und Her war das Einverständnis gekommen, und inzwischen war jeder mit dem Experiment zufrieden.

Auf die überwiegend jungen Verkäufer wirkte Bauer mit seiner hochgewachsenen und vornehmen Erscheinung genau so, wie sie sich einen englischen Lord vorstellten. Gelegentlich hänselten sie ihn wegen seines leichten Sprachfehlers, aber sie nahmen seine Unterstützung an und respektierten ihn. Die Größe des Vorzimmers war nicht Ausdruck der Bedeutung Prokops, im Gegenteil. Filialen waren in der Bonia karg ausgestattet. Die beiden Damen erledigten auch einen großen Teil der Verwaltungsarbeit. Die lange Theke, die durch den ganzen Raum lief und bis zu Prokops Türe reichte, war Anlaufstelle der Verkäufer, wenn sie ihre Datenblätter, Statistiken und Anträge einreichten.

Iris Marbach nahm den vorbereiteten Stapel Akten von ihrem Schreibtisch und folgte Prokop in sein Büro. Sie ist die Beste, pflegte Hornbach unermüdlich zu betonen. Daran gab es keinen Zweifel, aber sie war auch schon viel länger in der Firma als Prokop und hatte einige seiner Vorgänger überlebt. „Sie schwebt wie eine Königin über den Flur“, hatte Prokops ehemalige Freundin irgendwann sarkastisch angemerkt. Die Unnahbarkeit nahm ihr Prokop nicht ganz ab, und die Lobeshymnen Hornbachs förderten eher Argwohn, als dass sie Vertrauen erweckten. Marbach war Hornbachs Geschöpf.

Es gab am Freitag nicht viel zu besprechen. Unwägbarkeiten waren im Konzept Hornbachs nicht vorgesehen, nur die Einhaltung des Regelwerks zählte, und die Höhepunkte waren auch abgezählt und festgelegt.

In Marbachs Verhalten war nichts Ungewöhnliches festzustellen, niemand schien angerufen zu haben. Prokops Suche konnte aber nicht unbemerkt geblieben sein, dafür hatte sie zu lange gedauert. Wenn man nachts vier Stunden an einem Firmencomputer herumhackt, dann muss das auffallen. Warum rührte sich niemand?

Das Telefon läutete, Marbach langte nach dem Hörer von Prokops Telefon und nahm an.

„Bauer fragt nach Ihnen.“

„Er soll selbst beginnen“, sagte Prokop, „ich stoße später dazu.“

Sie gab die Anweisung weiter. Die Telefonie am Morgen wurde normalerweise vom Direktor persönlich geleitet. Dabei vereinbarten die Verkäufer ihre Termine. Die statistische Auswertung dieses Vorgangs wurde in die Zentrale geschickt. Ohne Termine gab es kein Verkaufsgespräch, und die Auswertungsmethoden für die Qualität der Vorbereitung standen den Vorschriften für die Verkaufsgespräche in nichts nach. Federl, der oberste Ausbildungsleiter und einer der Einflüsterer Hornbachs, hatte sie entworfen.

„War es das?“ fragte Prokop jetzt unvermittelt.

Marbach nickte und ging, Prokop setzte sich an seinen Schreibtisch. Die Telefonie dauerte eine Stunde, in dieser Zeit rief ihn niemand aus der Zentrale an. Diese Zeit galt es zu nützen.

Es gab noch etwas Wichtiges zu tun: Er musste sein Geld von der Hausbank fortschaffen. Zweifellos braute sich in diesen Augenblicken in Wien Schlimmes zusammen. In der Zentrale sollten sie nun über den Logdateien sitzen und grübeln. Wer den nächtlichen Raubzug durch die Datenbank gemacht hatte, würden sie bald herausgefunden haben. Danach würden sie sich die Frage stellen, wozu jemand Hunderte von Schadenfällen aus der Vermögensschadenhaftpflicht durchsucht.

Natürlich hatte er falsche Fährten gelegt, aber mehr als ein oder zwei Stunden Vorsprung verschaffte ihm das nicht. Noch vor Mittag konnten sie es herausgefunden haben. Die Sache war anfangs so fantastisch erschienen, dass er sie nicht hatte glauben wollen, bis letzte Nacht kein Weg mehr daran vorbeigeführt hatte. Da war er aber schon mittendrin gewesen. Der Betrug, dem er auf die Spur gekommen war, hatte zu große Dimensionen und lief bereits zu lange, als dass es ohne Beteiligung wichtiger Leute denkbar war. Er konnte keinem trauen.

Auf dem Bildschirm von Prokops Notebook erschienen die Konten, die er bei der Bank führte. Knapp dreißigtausend Euro waren drauf. Ein halbes Jahr mochte er damit über die Runden kommen, mit äußerster Sparsamkeit, aber genauso gut konnte es mit einem einzigen Anruf blockiert sein.

Es war zwar noch nie etwas und schon gar nicht in der Form eingetreten, was oder wie er es befürchtet hatte. Unheil war immer aus einer völlig unerwarteten Richtung gekommen. Darüber war sich Prokop im Klaren, als er sein Manöver des letzten Augenblicks entwarf. Immerhin war es besser, wenigstens einen Plan zu haben.

Er rief nun Anita an. Wen er melden dürfe und worum es ginge, fragte eine männliche Stimme, bei der Chefin sei gerade ein Kunde drin. Anita war aufgestiegen.

„Prokop“, sagte er, „es ist ein Rückruf.“

Das mit dem Rückruf funktionierte immer. Man erhielt keine weiteren Fragen mehr und wurde überall durchgestellt. Sie meldete sich sofort.

„Ich hole dich am Abend ab und wir fahren über das Wochenende weg“, begann Prokop ohne jede Einleitung, „Schweiz, Lombardei oder Savoyen, irgendwohin, wo es schön ist. Einverstanden?“

Sie schluckte hörbar.

„Fein, wenn es dich auch freut. Ich lasse dich jetzt besser weitermachen. Ciao.“

„Ciao“, sagte sie und legte auf. Natürlich freute es sie, auch wenn er sie überrumpelte. Es war eine von Prokops Beziehungen gewesen, die nicht zerbrochen, sondern einfach erloschen waren. An ihr hatte das aber nicht gelegen.

Prokop ging in die Bank hinunter, die im selben Haus war und die seine Konten führte. Am Schalter spürte er ein mulmiges Gefühl, als er seine gesamten Reserven abhob, aber es musste sein. Er steckte das Kuvert mit den Scheinen in sein Sakko und kehrte ins Büro zurück, um Bauer bei der Leitung der Telefonie abzulösen.

Dr. Antoniacomi benötigte für den Weg von der Generaldirektion der Bonia bis zum Grünen Baum nur wenige Minuten, deshalb legte er ihn meistens zu Fuß zurück. Dr. Antoniacomi leitete seit vielen Jahren die Schadenabteilung der Bonia.

An jedem Donnerstag traf er sich im Grünen Baum mit dem bekannten Rechtsanwalt Dr. Brigo zum Mittagessen, heute hatten sie aber spontan ein Treffen vereinbart. Beide verband eine langjährige Freundschaft. Einmal im Jahr verbrachten sie eine Woche auf dem Boot von Dr. Brigo bei einem Segeltörn miteinander, gelegentlich lud Dr. Brigo zu einer Party in sein komfortables Haus am Stadtrand.

Dr. Brigo war schon da und unterhielt sich mit dem Kellner, aber sie waren sich bereits einig geworden. Dr. Antoniacomi schloss sich an, ohne zu fragen. Als der Kellner wieder fort war, kam Dr. Brigo zur Sache.

„Weißt du schon mehr über den Sherlock Holmes?“

„Es ist einer der Neuen, die Hornbach im Jahresrhythmus feuert und anstellt“, sagte Dr. Antoniacomi beiläufig.

„Er ist vom Fach“, stellte Dr. Brigo fest.

Neuerdings stellte Hornbach vermehrt Branchenfremde an. Nach dem dritten Kahlschlag auf allen Ebenen des Verkaufs hatte die Attraktivität der Bonia als Arbeitgeber gelitten. Notgedrungen nahm man, was zu bekommen war. Beim Verkauf von Lebensversicherungen kommt man ohnehin mit einem Minimum an Fachkenntnissen durch, folglich beschränkte sich die Ausbildung darauf, wie man an den Kunden herankam. Das klappt auch mit dürftig ausgebildetem Personal, obwohl nach außen das Gegenteil verkündet wird.

Dr. Antoniacomi wirkte belustigt. Leute aus Fachabteilungen blickten in jeder Versicherung zu allen Zeiten mit Verachtung auf den Außendienst herab, während der Außendienst die Angehörigen von Fachabteilungen als Erbsenzähler wahrnahm. Mit der Kommunikation stand es überall schlecht. Wie Prokop inzwischen gesehen hatte, brachte das auch seine Vorteile.

„Hornbach wird ihm das abstellen, und zwar ehe er es sich versieht.“

Trotz der brisanten Enthüllung verspürte keiner der beiden Nervosität. Dr. Brigos Frage klang beiläufig.

„Hast du ihn gesprochen?“

„Vor einer Stunde hat er mich zu sich bestellt. Er war ziemlich wütend.“

„Was wird er unternehmen?“ wollte Dr. Brigo wissen.

„In der Sache selbst? Gar nichts. Nicht mehr in der kurzen Zeit. Was er seit zwei Jahren tut, ist sowieso nichts anderes als das Umstellen der Liegestühle auf der Titanic.“

Dr. Brigo nickte, aber er sah ein wenig weiter als Dr. Antoniacomi.

„Was jetzt nötig ist, das erledigen andere für ihn. Die würden ein paar hundert Millionen verlieren, und das werden sie nicht zulassen.“

Dr. Antoniacomi fühlte sich plötzlich elend.

„In ein paar Wochen ist ohnehin alles vorbei“, tröstete ihn Dr. Brigo, „schade um das schöne Geschäft.“

Kurz vor drei Uhr nachmittags hielt Prokop wieder vor der Zweigstelle, bei der er am Morgen seinen Notgroschen behoben hatte. Seit einigen Stunden versuchte er, Ulrich zu erreichen, doch er war unauffindbar. Bei ihm, einem Freund aus alten Tagen, wollte Prokop das Geld deponieren, das er seit Vormittag bei sich trug. Sie hatten sich seit längerer Zeit nicht mehr gesehen. Es gab also praktisch keine Verbindung, die man nachvollziehen konnte. Wenn Ulrich aber unerreichbar blieb, dann hatte Prokop am Freitagnachmittag seine gesamten Reserven in bar behoben und keinen geeigneten Platz für das Geld.

Zu Hause unter dem Kopfpolster war es nicht sicher und auf einem legitimierten Konto möglicherweise zu sicher. Für keines dieser Gespräche hatte Prokop das Handy verwendet, gegen Abend würde er es abschalten. Zu leicht ließ sich damit ein Tag rekonstruieren.

Prokop betrat die Zweigstelle.

Anita sah ihn durch die Glaswand und kam ihm entgegen. Sie setzten sich an ihren Schreibtisch und sahen einander eine Weile an. Ihre dunkle Lockenpracht war noch die von damals, das geschäftlich wirkende Kostüm war ungewohnt. Sie musste jetzt vierzig sein, aber geschiedene Vierzigjährige sind oft attraktiver als verheiratete Dreißigjährige.

„Und jetzt sag mir bitte, was du dir dabei gedacht hast“, begann Anita, „wie kommst du auf den Gedanken, dass ich mich in einem Augenblick dafür entscheide, mit dir ins Wochenende zu fahren?“

Ihre Augen bekamen etwas von dem verträumten Ausdruck wieder, den sie früher immer gehabt hatten.

„Keine Ahnung“, sagte Prokop wahrheitsgemäß, „ich wusste ja nicht, dass wir uns so plötzlich wiedersehen. Aber – nichts ist es jetzt auch schon, was verliere ich mit der Frage?“

„Unkompliziert bist du ja immer noch.“

Unkompliziert warst du auch immer, dachte Prokop und sagte nichts darauf. Sie hatte nicht abgelehnt, das war ein gutes Zeichen, und den obligaten Kaffee hatte sie auch vergessen. Die störende Kleinigkeit, dass sie Zeit zu haben schien, fiel ihm in diesem Moment nicht auf. Allein lebende Frauen haben einen dichteren Terminplan als Pensionisten, obwohl sie fast alle auf der Suche nach dem Richtigen sind. Dass sie sich damit selber ziemlich behindern, scheinen sie nicht zu bemerken.

„Wir sollten nicht zu spät aufbrechen“, sagte Prokop, „wie wäre es, wenn ich dich gegen sieben Uhr abhole?“

Sie schrieb ihre Adresse auf die Rückseite einer Visitenkarte und schob sie ihm über den Tisch zu.

„Ruf mich abends an.“

Prokop stand auf und verabschiedete sich.

Es war nun fast drei Uhr nachmittags. Vor der Abreise waren noch zwei Telefongespräche zu führen. Er hielt wieder an einer Telefonzelle.

Zuerst rief er Gernot an, einen siebzehnjährigen Burschen, der zwar sehr intelligent, aber nicht sehr lernwillig war. Gernot verfügte über bestimmte, aber seltene Qualitäten, die Prokop früher gehasst hatte, die er jetzt aber brauchte.

Eine von Prokops Leidenschaften war das Internet, er betrieb zu Hause einen Server. Widerstrebend hatte er vor einem Jahr den Burschen auf Bitten einer Bekannten unter seine Fittiche genommen, was wider Erwarten Früchte getragen hatte. Nach einem Jahr war Gernot teilweise aus der Hackerszene gelöst und für konstruktivere Dinge begeistert. Gernot staunte daher, als Prokop ihn nun genau über das ausfragte, was er bislang bekämpft hatte. Das Gespräch dauerte ziemlich lange. Prokop wollte wissen, wie er sich unerkannt im Internet aufhalten konnte, sodass keine Spuren zu ihm zurück führten. Was er fürs Erste brauchte, konnte ihm Gernot erklären, denn es war leicht umzusetzen.

„Gibst du auf meinen Server Acht? Ich verreise über das Wochenende.“

„Kein Problem“, sagte Gernot spöttisch, „entwickelst du jetzt auch schon Paranoia?“

„Lass die Scherze. Wenn du dich drauf verbindest, sieh zu, dass keine Spur zu dir zurück führt.“

„Klar“, antwortete Gernot in einem Ton, der Irritation wegen dieser Selbstverständlichkeit erkennen ließ. Das war immerhin sein Metier.

„Noch etwas, ich brauche ein wirklich anonymes E-Mail-Konto, eines, das ich unterwegs von jedem Computer aus abfragen kann. Schickst du mir die Zugangsdaten verschlüsselt nach Hause? Möglicherweise greift jemand meine Kiste an, dann muss ich das gleich erfahren. Ich schalte mein Handy nämlich aus, sonst wird es kein Urlaub.“

„Geht in Ordnung“, bestätigte Gernot, „dauert nur ein paar Minuten. Ich sagte ja schon immer, dass du da …“

Prokop brach Gernots Erklärung ab, die würde kein Ende mehr nehmen. Er wählte Ulrichs Nummer, irgendwann musste er ja abheben.

„Ich höre“, sagte Ulrichs Stimme.

Da war er endlich, Prokop atmete auf.

„Robert hier, können wir uns heute noch kurz sehen?“

„Hallo, alter Junge, gibt es dich auch noch? Ist aber verdammt ungünstig heute, ich bin ziemlich unter Druck. Ein Alibi kannst du auch telefonisch haben.“

Das war eine Anspielung auf alte Zeiten, Ulrich vermutete ein amouröses Abenteuer. Da hatten sie sich gegenseitig oft ausgeholfen, ihre Frauen zu täuschen.

„Nein, wir sind nicht mehr zusammen“, erklärte Prokop.

„Das tut mir leid“, sagte Ulrich, „ich dachte, ihr wäret das perfekte Paar. Wie ist es dazu gekommen?“

„Das ist eine lange Geschichte, und ich habe eine brandneue. Ist leider ziemlich kompliziert.“

Dieses Thema verfing bei Ulrich sofort.

„Also gut, auf eine Viertelstunde. Mehr geht heute nicht, wie wäre es um sechs Uhr im Café unter deinem Büro?“

„Alles klar, ciao.“

Geschafft, in letzter Minute. Prokop spürte das Glucksen im Bauch, die Erleichterung kam durch. Immerhin, über das Wochenende war er gerettet. Am Montag stand Hornbachs routinemäßiger Besuch an, dann würde das Thema wohl zur Sprache kommen müssen. Davor lag aber das Wochenende mit Anita. Das sollte kein Gedanke an die Bonia stören.

Prokop fuhr nach Hause, um zu packen. Er musste noch einmal nach seinem Server sehen und Franziska verständigen. Franziska war die Tochter der Nachbarn, ein sechzehnjähriges Mädchen. Sie war die einzige, die Prokops herrischer Kater Franz als Babysitterin akzeptierte.

Kurz vor sechs Uhr traf Prokop an der Autobahnraststätte ein, die an der Osteinfahrt der Stadt lag. Er tankte den Wagen auf und setzte sich dann im Tankstellencafé an die Bar. Es dauerte nicht lange, bis Ulrich in der Tür erschien und sich umsah. Prokop winkte ihm zu.

Ulrichs Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen, er setzte seine hagere Gestalt in Bewegung. Sein Kopf, der bereits eine breite Stirnglatze aufwies, war immer weit nach vorne gereckt, was den Eindruck einer gebückten Haltung hervorrief. Ulrich hatte sich vor einiger Zeit als Finanzberater etabliert und verdiente gut, was man seiner Kleidung aber nicht ansah.

Sie hatten sich lange nicht mehr gesehen. Früher waren sie einige Jahre gemeinsam auf die Jagd gegangen, allerdings nicht im grünen Jägerrock. Das war eine gute Zeit gewesen. An den wenigen Abenden, an denen es nicht gelungen war, weibliche Bekanntschaften an Land zu ziehen, waren sie äußerst verärgert zusammengesessen und hatten Pläne geschmiedet, um das nie wieder vorkommen zu lassen. Ulrich war der schlagende Beweis, dass ein Mann weder Waschbrettbauch noch Designerkleidung oder sonst was brauchte, um ausreichend Frauen ins Bett zu bekommen.

„Hallo, alter Junge“, sagte Ulrich und setzte sich, „was liegt an? Ich habe heute nicht viel Zeit, aber vielleicht heben wir nächste Woche ein paar Gläser.“

„Gute Idee, aber ich bin in einer Stunde aus der Stadt, und vorher muss ich noch etwas loswerden.“

Ulrich sah ihn fragend an.

„Ich bin gespannt.“

„Es geht um mich“, begann Prokop, „es kann sein, dass ich bald in ernste Schwierigkeiten komme. Ich will eine Bargeldreserve parken. Stehst du mir zur Verfügung?“

„Hast du etwas ausgefressen?“

„Keine Rede, und das Geld ist legal verdient und versteuert.“

„Wenn ich etwas wissen soll, wirst du es mir ja sagen“, meinte Ulrich lakonisch, „dann gib her.“

Ulrich grinste und nahm die Tasche an sich. Prokop hatte keine Bedenken. Das Geld und die CDs, die er als Sicherung seiner wichtigsten Unterlagen noch gebrannt hatte, waren in guten Händen. Ulrich würde sich nie daran vergreifen.

„Woran arbeitest du gerade?“ fragte Ulrich.

„Ich habe ein interessantes Projekt.“

„Wie ist sie?“

„Morgen weiß ich mehr darüber, ich rufe dich in der nächsten Woche an.“

Es war noch dunkel, aber der Tagesanbruch konnte nicht mehr weit sein. Prokop tastete nach der Armbanduhr. Der Stundenzeiger stand auf fünf. Er hörte Anitas ruhige Atemzüge, durch das Fenster drang ein wenig Licht.

Gestern waren sie gegen neun Uhr abends in St. Moritz angekommen. Anita hatte die Wahl der Route ihm überlassen. Für zwei Stunden Fahrzeit war ihm kein besseres Ziel eingefallen, und außerhalb der Saison ist St. Moritz ein angenehmer Ort. Von da aus war es nur ein Katzensprung hinunter zum Comer See.

Prokop wusste, dass er nicht mehr einschlafen würde. Er stand leise auf und zog den vom Hotel bereitgestellten Morgenmantel an. Dann schenkte er sich einen Single Malt aus dem eigenen Vorrat ein und nahm eine Brasil aus der Kiste. Bei der Einreise in die Schweiz kaufte er am Grenzkiosk immer eine Kiste Brasilzigarren. Mit Whisky und Zigarre ausgestattet trat er auf den Balkon und schloss die Türe hinter sich.

Unter einem prachtvollen Sternenhimmel lag die dunkle Fläche des Silser Sees. An manchen Stellen kräuselte sich das Wasser, darauf glitzerte Mondlicht. Linker Hand begann der Wald und rahmte die Wasserfläche schwarz ein. Am rechten Ufer glitten die Schweinwerfer eines Autos dahin.

Prokop zündete die Zigarre an. Gerade der erste Zug schmeckte wie Schokolade. Prokop genehmigte sich dann den Whisky. Was auch immer Prokop den Schlaf geraubt hatte, vergaß er wieder. Dieser Anblick war Ewigkeit.

Bald öffnete sich die Türe. Anita kam heraus und trat zu ihm an das Geländer.

„Wunderschön“, flüsterte sie, nahm einen Schluck Whisky und stellte das Glas ab. Die Zigarre legte sie daneben und zog Prokop zurück ins Zimmer. Im Bett schmiegte sie sich eng an ihn und schlief auf der Stelle ein. Prokop hörte noch eine Weile ihren Atem und fiel dann selbst in tiefen Schlaf.

Er erwachte, als der Kellner das Frühstück anrichtete. Anita kam aus dem Bad, entlohnte den Kellner, winkte Prokop zu und verschwand wieder. Prokop stand nun auch auf. Er zog Jeans und ein T-Shirt an. Das Bad war besetzt, und die Unruhe kam wieder auf.

„Bin gleich wieder da“, rief er und ging zur Rezeption hinunter. Dort bat er, am Hotelcomputer eine E-Mail abrufen zu dürfen.

Prokop legte den Notizzettel vor sich auf den Tisch und rief das anonyme E-Mail-Konto auf, das ihm Gernot gestern angelegt hatte. Am Bildschirm erschien eine Nachricht, die aussah wie ein Statusbericht. Gernot hatte sich einiges angetan, um den Text technisch und uninteressant wirken zu lassen.

Mit einem Blick überflog Prokop den Inhalt. Plötzlich wurde ihm ziemlich flau im Magen. Das geschah sonst nur, wenn er zu viel gefrühstückt hatte, und daran lag es im Augenblick definitiv nicht. Gernot teilte ihm mit, dass innerhalb von zwei Tagen der zweite Albtraum wahr geworden war, man hatte in seine Wohnung eingebrochen.

So stand es zwar nicht in der Nachricht, aber es ging zweifelsfrei daraus hervor. Der Server bei ihm zu Hause war kurz vor fünf Uhr morgens neu gestartet worden, und die Logdateien waren leer. Prokop las die Meldung noch einmal, aber es änderte nichts mehr daran. Er rief eine andere Homepage auf und löschte den Verlauf, um seine Spur zu verwischen.

„Ich möchte telefonieren“, sagte er zur Rezeptionistin.

Franziska hob sofort ab. Sie klang aufgeregt, der Kater war nicht da. Prokop beruhigte sie, er sei in den letzten Tagen öfters erst später gekommen. Das war natürlich Unsinn, denn Katzen sind wohl die einzigen Tiere, die ein Zeitgefühl haben. Sie kommen immer pünktlich zu den Mahlzeiten. Wenn sie ausbleiben, dann stimmt etwas nicht. Sehr langsam ging Prokop zurück aufs Zimmer.

Prokop hatte unerwarteten Besuch erhalten, und zwar in Gestalt eines Einbrechers. Wenn der Computer neu gestartet worden war und die Logdateien fehlten, dann hatte jemand etwas auf seiner Festplatte gesucht. Über das Internet war der Einbruch nicht möglich, dafür war der Computer zu gut abgesichert. Es war also ein Unbekannter in seiner Wohnung gewesen. Dafür sprach auch, dass der Kater nicht da war. Schon die Anwesenheit eines Handwerkers reichte aus, dass er stundenlang die Wohnung mied.

Der Einbruch war kein Zufall. War Hornbach bereit, so weit zu gehen? Prokop schüttelte den Kopf. Eine Entlassung, begleitet von einer Hausdurchsuchung auf Grund vorgetäuschter Verfehlungen, das wäre die erwartete Reaktion gewesen, aber ein Einbruch? Niemals.

Anita saß bereits beim Frühstück. Sie hatte zwar den verträumten Ausdruck in ihren Augen, wirkte aber auch ein wenig irritiert. Es hatte wohl zu lange gedauert.

Der Einbruch. Niemand hatte von seiner Abreise gewusst. Das war fast so, als hätte man in Kauf genommen, ihn zu Hause zu überraschen.

Prokop wischte den Gedanken weg und wandte sich Anita zu. Sie musste unter dem Morgenmantel nackt sein, aber es regte ihn nicht an.

„Was ist los?“ fragte er, „stimmt etwas nicht?“

Anita griff nach der Kaffeetasse, die leer war. Sie stellte sie weg und sah ihn an. Dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm. Das war zu viel Beschwichtigung, er schüttelte unwillig den Kopf.

„Gehe ich dir auf die Nerven?“

Der verträumte Ausdruck war weg, sie wirkte gequält. Ihre Augen glänzten etwas mehr, weil sie feucht wurden.

„Wir werden uns nicht mehr wiedersehen. Ich kann das nicht wie ein Mann.“

Sie schluckte, Prokop sagte nichts darauf.

„Verstehe mich nicht falsch, es war schön“, setzte sie fort, „ich will auch das restliche Wochenende mit dir verbringen, wenn du es unter diesen Umständen noch willst. Aber ich habe einen Freund. Es geht ganz gut. Ich will ihn nicht verletzen, und ich werde eine Woche brauchen, um wieder mit mir zurechtzukommen.“

Na fein, dachte Prokop, das ist gründlich. Da geht ja alles zugleich daneben. Andererseits war es wohl auch gut so, denn er brauchte nicht mehr zu warten, bis er in Gefahr geriet. Das war ja nun in viel gröberem Ausmaß eingetreten, als er befürchtet hatte. Da war es wohl besser, er blieb alleine, sonst würde er nur andere mit hineinziehen.

„Du bist in Schwierigkeiten.“

Das war eine Feststellung. Zu seinem Missvergnügen schien man ihm das auch anzumerken.

„Nichts Besonderes“, sagte er, „in irgendwelchen Schwierigkeiten ist man immer. Wenn die beseitigt sind, dann kommen neue. Manchmal sind sie größer, manchmal kleiner. Mach dir keine Sorgen.“

„Bist du mir böse?“

„Überhaupt nicht, ich kann dich verstehen.“

„Dann fahren wir nicht gleich nach Hause?“

„Von mir aus nicht.“

Sie ließ seinen Arm los und wischte sich etwas aus dem Augenwinkel, dann fasste sie seine Hand.

„Gehen wir wieder ins Bett? Wir haben das Zimmer noch bis Mittag.“

2

„Bitte um Ruhe, meine Herren“, Franz Bauer, der Verkaufsleiter, klatschte in die Hände, „es geht los.“

Die Telefonie begann, jetzt wurden die Verkaufsgespräche für die nächsten Tage vereinbart. Davor stand die Vorbereitung der Telefonlisten, die vom Leiter der Telefonie kontrolliert wurden. Heute hatte Bauer diese Aufgabe übernehmen dürfen. Man merkte ihm die Freude darüber an.

Die Verkäufer nahmen ihre Plätze ein und griffen zu den Hörern. Jeder hatte eine Liste mit Namen und Telefonnummern vor sich liegen, die er abzuarbeiten begann.

Ein perfekt eingespieltes Ritual lief nun ab. Wie schnell zu sprechen war, wann die Stimme zu heben oder zu senken, wann eine Pause einzulegen war und wann der Kunde ja sagen durfte, war getestet, festgelegt und trainiert. Sobald ein Verkäufer die zweite Absage zu verzeichnen hatte, nahm ihn Bauer auf die Seite und hielt ein Schwätzchen mit ihm, um ihn wieder aufzubauen. „Dreimal hintereinander versagt und der Vormittag ist für ihn gelaufen“, sagte Federl, „an drei Tagen nichts verkauft und er ist tot.“

Nach dem Gespräch wurde der Name durchgestrichen und der Termin auf eine andere Liste übertragen. Dieser Name war verbraucht und musste nachmittags bei den Besuchen durch neu zu erfragende ersetzt werden. Der Verkaufsleiter überprüfte die Listen penibel an jedem Vormittag. Den Bestand an Empfehlungen trug er in eine eigene Liste ein.

Prokop blieb bis zehn Uhr. Als der Erfolg des Vormittages feststand, verabschiedete er sich und überließ Bauer den Rest. Der kam später zu ihm, um die Statistik durchzugehen. Die Erfolgsquote der Telefonie lag auch an diesem Tag wieder über neunzig Prozent. Später kamen dann die Verkäufer in Prokops Vorzimmer wieder zusammen, um die Anforderungen für die Angebote einzureichen, die am Vortag erzielt worden waren. Dafür gab es ein anderes Checklistensortiment.