Eine Balinesin in Deutschland und Ein Deutscher in Bali - Horst H. Geerken - E-Book

Eine Balinesin in Deutschland und Ein Deutscher in Bali E-Book

Horst H. Geerken

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Beschreibung

In diesem Buch erzählt Horst H. Geerken Episoden aus dem Leben von zwei balinesischen Frauen zwischen Tradition und Moderne. Frauen haben es auf Bali generell nicht leicht. Viele von ihnen wollen heute ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben führen. Sie wollen endlich ein besseres Leben haben als ihre Mütter und Großmütter, und nicht mehr Steine und Sand auf Baustellen schleppen. Und sie wollen es nicht länger hinnehmen, von Männern ausgenutzt zu werden. Über Jahrhunderte wurde die indonesische Tradition von Toleranz und der Anerkennung Andersgläubiger geprägt. Viele Balinesen leben bis heute in Harmonie mit Menschen, Göttern und Natur. Aber wie lange noch ist ihnen diese Freiheit gegönnt? Unter der Oberfläche brodeln auf Bali schwere Konflikte. Kann Bali, angesichts der starken westlichen Einflüsse und der zunehmenden Islamisierung Indonesiens, seine hinduistische Seele behalten?

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Dieses Buch ist allen lieben Frauen gewidmet, denen ich das große Glück hatte, in meinem Leben zu begegnen, und Ayu, einer liebenswerten Balinesin mit samtener bronzefarbener Haut und großen Mandelaugen, die mich eineinhalb Jahre nach dem Tod meiner geliebten Annette nochmals jung machte und meinen Schmerz über Annettes Verlust teilweise vergessen ließ.

Von lieben Frauen umgeben zu sein, die immer freundlich sind und lächeln, ist sehr wohltuend! Und in Indonesien – besonders auf Bali – gibt es viele lächelnde Gesichter, die einem in Erinnerung bleiben.

Inhaltsverzeichnis

Dank

1.0 Eine Balinesin in Deutschland

1.1 Ni Mang

1.2 Das Leben einer balinesischen Frau

1.3 Die Reisevorbereitung

1.4 Die Reise

1.5 In Deutschland

1.6 Rückreise

1.7 Wieder in Bali

1.8 Januar/Februar 2018

2.0 Ein Deutscher in Bali

2.1 Wie ich Ayu kennenlernte

2.2 Die Balinesin Ayu

2.3 Religion und Alltag auf Bali

2.4 Ayu bei mir in der Villa

2.5 Sexualität auf Bali

2.6 Sommer 2018

2.7 Frühjahr 2019

3.0 Ausklang

Dank

Mein ganz besonderer Dank gilt Ni Mang1, einer liebenswerten und ehrlichen Balinesin. Seit nun gut 23 Jahren bin ich mit ihr eng befreundet. In unendlich vielen Gesprächen hat sie mir die balinesische Mentalität, den balinesischen Hinduismus und das harte Leben der balinesischen Frauen nähergebracht. Ohne ihre offene Art hätte ich nicht in die Intimsphäre balinesischer Ehen und Familien eindringen können, und viele Informationen, die nun in diesem Buch ihren Niederschlag fanden, hätte ich nicht erhalten.

Des Weiteren danke ich ganz herzlich meiner Freundin Ayu, die mich im Alter nochmals jung machte. Auch mit ihr hatte ich unzählige Gespräche über balinesische Sexualität. Durch sie erhielt ich einen anderen tiefen Einblick in das balinesische Familienleben außerhalb der großen Städte. Informationen von Ni Mang habe ich mit Ayus Angaben verglichen, und zum weitaus größten Teil gab es genaue Übereinstimmungen.

Ganz besonders danke ich meiner Tochter Regina, dass sie meine Freundschaft mit Ayu akzeptiert, obwohl diese zehn Jahre jünger ist als sie selbst. Das ist nicht selbstverständlich.

Ohne die Informationen der beiden Frauen Ni Mang und Ayu – die sich aus noch zu nennenden Gründen nicht persönlich kennengelernt haben – hätte ich nie so tief ins Innerste einer gänzlich fremden Kultur eindringen können. Beide haben mir ihre intimsten Lebenserinnerungen anvertraut.

Des Weiteren danke ich Michaela Mattern für ein Lektorat und Barbara Bode für ein weiteres Lektorat und die Erstellung des Buchblocks. Mit beiden arbeite ich seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammen und beide berieten mich fruchtbar bei der Wortwahl sensibler Kapitel. Beide haben so manche Unebenheit geglättet.

Im Frühling 2019

1 Ni Mang ist ihr Rufname. Ihr richtiger Name wird hier aus Gründen der Diskretion nicht genannt.

1.0 Eine Balinesin in Deutschland

Vor über 55 Jahren kam ich das erste Mal nach Bali. Präsident Sukarno wünschte für Bali einen internationalen Flughafen, und ich sollte die dazu erforderliche drahtlose Telekommunikation, das Precision Approach Radar, die Empfangsanlagen etc. planen. Von Anfang an war mir Bali mit seinen liebenswerten Menschen und der zauberhaften tropischen Landschaft ans Herz gewachsen. Damals gab es noch keine Elektrizitätsversorgung. Man musste sich mit Petroleumfunzeln begnügen. In Kuta und in Ubud gab es noch keine Hotels. Die heute so belebte Monkey Forest Road in Ubud war damals ein matschiger Feldweg durch grüne Reisfelder. Auf beiden Seiten des Weges gab es noch kein einziges Haus. Nur Ibu Wayan, die heute das Restaurant Wayan betreibt, hatte an dieser Stelle einen kleinen Kiosk, an dem sie Nasi Bunkus2 und Tee für die Bauern auf den Reisfeldern verkaufte.

Wie rasant hat sich Bali in der Zwischenzeit verändert! Aber in diesem Büchlein will ich vor allem über die balinesischen Frauen reden, nicht über Politik oder Religion, obwohl es auf diesen Gebieten auch viele dramatische Veränderungen gab.

War es bis vor etwa 25 Jahren kaum möglich, mit einer Balinesin ein Verhältnis zu beginnen, so haben viele Frauen in Bali heute die Sitten des Westens angenommen und vieles ist wesentlich lockerer geworden. Meiner Ansicht nach sind die guten Sitten von damals außer Rand und Band geraten. Immer öfter hört man nun von Balinesinnen, dass sie sich einen reichen Mann aus dem Westen angeln möchten. Sie denken, sie könnten sich dann alle Wünsche erfüllen und bis zum Lebensende ein gemütliches und faules Leben führen. Wie wir noch sehen werden, haben es die Frauen auf Bali nicht leicht, aber nun fallen sie in das andere Extrem. Sie wollen es einfach besser haben als ihre Mütter und Großmütter und nicht mehr Steine und Sand auf Baustellen schleppen. Sie wollen es nicht länger hinnehmen, von ihren balinesischen Männern ausgenutzt zu werden. Wollten die Balinesinnen früher nicht einmal für kurze Zeit ihre geliebte Insel verlassen, sind viele jetzt sogar bereit, mit einem Buleh3 ins Ausland, in den Westen zu gehen. Nach balinesischer Auffassung liegt dort nämlich das Geld auf der Straße. Dass dies nicht so ist, birgt manche Enttäuschung.

Ich beschreibe hier das Leben von zwei balinesischen Frauen, die nicht zu denjenigen gehören, die einen Buleh heiraten oder mit ihm ins Ausland ziehen wollen, und die – glaube ich – immer noch zur Majorität in Bali gehören. Aber unter der Oberfläche brodelt auf Bali ein Konflikt. Die westlichen Wertvorstellungen treffen auf jahrhundertealte Traditionen. Und viele balinesische Frauen wollen heute ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben führen.

2 In ein Bananenblatt eingepackter Reis mit ein paar kleinen Beilagen

3 Einem weißen Mann aus dem Westen

1.1 Ni Mang

Meine langjährige Lebensgefährtin Annette und ich lernten die Balinesin Ni Mang vor nun 23 Jahren in Ubud auf der Insel Bali kennen. Ni Mang ist in Mengwi aufgewachsen, einem Ort, der eine gute Autostunde westlich von Ubud liegt. Ihre Eltern hatten fünf Kinder, vier Mädchen und einen Jungen, der als letzter geboren wurde. Ni Mang ist das dritte Kind, wie schon ihr Name sagt.

Der oder die Erstgeborene auf Bali erhält immer Wayan oder Putuh als Vornamen. Je nach Kaste kann dieser Vorname auch Luh für weibliche oder Gede für männliche Kinder sein. Der oder die Zweitgeborene erhält Made als Vornamen, je nach Kaste kann es aber auch Kadek oder Nengah sein. Der oder die Drittgeborene heißen Nyoman oder Komang4, der oder die Viertgeborene Ketut. Nach dem vierten Kind fängt es wieder von vorne mit Wayan an.

Meine Lebensgefährtin Annette und ich wohnten damals im Hotel Ubud Inn in der Monkey Forest Road in Ubud. Ubud liegt eine Autostunde nördlich des Flughafens von Bali in den Bergen. Annette plagten, wie so oft, Rückenschmerzen. Vermutlich hatte sie sich bei der Anreise mit ihrem schweren Koffer zu viel zugemutet. Annette hatte bereits zwei Behandlungen von sogenannten Masseurinnen in Ubud hinter sich, leider ohne Erfolg. Dies erzählten wir unserem alten balinesischen Freund Dewa, der uns dann eine junge Balinesin empfahl, die gerade auf der Massageschule in Denpasar eine professionelle Ausbildung als Masseurin abgeschlossen hatte. Sie hatte ihm selbst bei seinen Rückenproblemen sehr helfen können. Dewa telefonierte mit der Dame und verabredete für uns noch am selben Tag einen Termin. Sie kam am Nachmittag zu uns ins Hotel, und so lernten wir Ni Mang kennen. Damals war sie gerade 20 Jahre jung und frisch – und damals noch glücklich – verheiratet.

Vom ersten Tag an waren Annette und ich von Ni Mangs balinesischer Massagetechnik und ihren ‚heilenden Händen‘ begeistert. Annette spürte bereits nach der ersten Massage eine Besserung ihrer chronischen Rückenschmerzen. Ni Mang beherrscht viele Massagetechniken, von der Reflexzonenmassage über die Thai Massage, die polynesische Lomi-Lomi Massage, eine Schwedische Massagetechnik bis zur Shiatsu-Massage. Sie macht auch Aroma-Therapie, also das volle Programm! Damals gab es nur wenige Masseurinnen in Ubud. Heute ist die Konkurrenz groß. An jeder Ecke befindet sich ein Massagesalon.

Annette und ich hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten unzählige Massagen bei ihr. Wir probierten fast alles aus, aber immer wieder kamen wir zurück zur traditionellen balinesischen Massage. Sie gefiel uns am besten und tat uns auch besonders gut. Ich entspanne bei dieser Massagetechnik so sehr, dass ich während der Massage – bis heute – regelmäßig in einen Tiefschlaf verfalle. Im Laufe der vielen Jahre wurde Ni Mang eine gute Freundin von Annette und mir.

Im April 2015 ist meine liebe Annette verstorben,5 und ich reiste im Januar 2016 zum ersten Mal wieder nach Bali. Nun leider alleine. Im Gepäck hatte ich Annettes Asche, die ich auf Bali, entsprechend ihrem Wunsch, beisetzte.6 Bei der Organisation und den Vorbereitungen der traditionellen hinduistischen Beisetzung, auf Bali Upacara Ngaben genannt, waren mir unsere Freunde Ni Mang und Dewa eine unersetzliche Hilfe. Viele alte Vorschriften und Regeln mussten beachtet werden.

Natürlich hatte ich weiterhin meine geliebten balinesischen Massagen bei Ni Mang. Auf Wunsch meiner Tochter Regina sollte Ni Mang täglich nach mir schauen, da ich gerade eine unangenehme Operation überstanden hatte und noch rekonvaleszent war. So bekam ich fast täglich eine Massage oder eine andere Behandlung wie Pediküre, Maniküre oder Gesichtspflege von ihr. Dabei wurde natürlich – wenn ich nicht gerade eingeschlafen war – immer viel geredet.

Ni Mang schaute früher oft zu, wenn Annette und ich neue Schritte und neue Figuren der lateinamerikanischen Tänze einübten. Tanzen war unsere Leidenschaft, und so ging ich nun auch alleine in das luxuriöse Restaurant INDUS in Ubud, wo ich früher mit Annette zwei Mal pro Woche tanzte. Salsa, Bachata und Cha Cha Cha waren unsere Lieblingstänze.

Nachdem ich einige Male alleine dort war, fragte mich Ni Mang: ‚Hast du gestern Abend im INDUS getanzt?‘ Ich erwiderte, ich hätte nur ein paar Mal getanzt, die andere Zeit hätte ich zugeschaut und der tollen Musik gelauscht. Das würde mir auch Spaß machen.

Bei der nächsten Massage erwähnte Ni Mang: ‚Wenn du willst, kannst du mir Salsa und andere lateinamerikanische Tänze beibringen. Ich könnte dann deine Tanzpartnerin sein, denn ich weiß ja, dass du gerne tanzt.‘ Ich war von so viel Zuneigung und Warmherzigkeit gerührt. Sie wollte mir helfen, den Verlust von Annette besser zu verschmerzen. In Bali hat man noch eine vom Kindesalter an gelernte große Achtung vor dem Alter, eine Tugend, die leider in der westlichen Welt fast verloren gegangen ist. Die Menschen auf Bali haben ein angeborenes natürliches Taktgefühl. Von Jugend an werden sie zu Höflichkeit, Anstand und gutem Benehmen erzogen. Aber leider ändert es sich auch auf Bali zum Schlechteren. Kürzlich haben Schüler einen Lehrer verprügelt, weil er die Benutzung von Smartphones während des Unterrichts verboten hat.

Abb. 1.1-1: Ni Mang bei ihren Eltern zu Hause in Mengwi

Abb. 1.1-2: Ni Mang bei der Massage

Natürlich hatte ich zunächst große Bedenken. Eine Balinesin und lateinamerikanische Rhythmen? Eigentlich undenkbar! Das passt doch nicht zusammen! Ni Mang tanzte bisher nur traditionelle balinesische Tänze zu Gamelanmusik. Lateinamerikanische Musik, Rhythmen und Tanzschritte sind für traditionelle Balinesen eine ganz andere, für sie völlig unbekannte und neue Welt. Ob dies wohl klappen würde? Ich hatte zunächst große Zweifel! Andererseits wurde ich ermutigt, da es hier neben vielen europäischen Damen mittlerweile auch eine ganze Anzahl Salsa-tanzende Damen von den Inseln Bali und Java gibt. Dann muss es doch auch Ni Mang erlernen können!

Gesagt getan! Ich wollte es mit ihr versuchen. Schon nach den ersten Stunden, in denen wir nur die Grundschritte einübten, spürte ich, dass sie außergewöhnlich begabt ist und sich auch schwierige Schrittkombinationen schnell merken konnte. Nachdem wir täglich eine Übungsstunde eingelegt hatten, war Ni Mang bereits so weit, dass sie mich schon nach drei Wochen ins INDUS begleiten konnte.

Sie hatte natürlich zunächst große Hemmungen, mit mir öffentlich auszugehen. In Ubud kennt jeder jeden, und wenn eine Balinesin mit einem Ausländer, dazu noch mit einem viel älteren Mann, ausgeht, wird viel und schnell Schlechtes über sie geredet. In Thailand ist so ein Verhältnis normal. Dort stört sich niemand daran. Aber in Bali und besonders in Ubud achtet man als Frau – wenigstens nach außen hin – auf die Moral und auf seinen Ruf. Aber nur, wenn es sich um ein Verhältnis mit einem Ausländer handelt!

Seit über 16 Jahren waren Annette und ich Stammgäste im Restaurant INDUS, und ich kenne alle weiblichen und männlichen Beschäftigten dort, auch einen großen Teil der Gäste, die regelmäßig zum Tanzen kommen. Ni Mang wollte ja zunächst aus den zuvor erwähnten Gründen mit mir nicht in der Öffentlichkeit auftreten. In der Zwischenzeit hatte ich all meine Bekannten dort aufgeklärt, dass ich Ni Mang als meine Tochter betrachte und wir ein Vater-Tochter-Verhältnis hätten. Damit war alles klar. Ni Mang war nun bereit, mit mir mitzukommen und wurde auch freudig in unsere Tanzgruppe aufgenommen. Nur uns unbekannte Balinesen, wie manchmal ein Taxifahrer, machten noch bissige und zweideutige Bemerkungen, die Ni Mang jedoch auf Balinesisch entkräften konnte.

Abb. 1.1-3: Tanzübungen mit Ni Mang zu Hause

Da Ni Mang anfangs die Tanzschritte noch nicht perfekt beherrschte, hatte sie – wenn dort nur wenige Paare tanzten – Hemmungen, auf die Tanzfläche zu gehen. Sie fühlte sich dann beobachtet. Aber auch ich selbst war noch nicht wieder perfekt in Form. Annette und ich waren ein eingespieltes Team, aber nun hatte auch ich zwei Jahre lang nicht mehr getanzt. Ich war also auch aus der Übung und hatte die meisten Figuren vergessen. Nun, nach einigen Wochen, gab es keine Probleme mehr, nun ließen Ni Mang und ich im INDUS keinen Tanz aus. Für mich ist Tanz, und besonders Salsa, ein toller Sport für Körper und Geist!

Abb. 1.1-4: Salsa mit Ni Mang im Restaurant INDUS

Was mich aber störte war, dass ihr Freund immer wieder während des Tanzabends anrief und auch oft stundenlang vor dem Tanzlokal auf Ni Mang wartete. Anscheinend war er sehr eifersüchtig. Ni Mang war daher immer unter Stress und fühlte sich von ihm unter Druck gesetzt. Ich bat Ni Mang, ihrem Freund zu verbieten, während des Tanzabends bei ihr anzurufen und zusätzlich ihr Handy und Tablet auszuschalten. Aber dass ihr Freund vor dem Lokal auf seinem Motorrad auf sie wartete, konnte ich ihr natürlich nicht verwehren. Es wunderte mich jedoch, dass immer wieder verschiedene Männer auf sie warteten. Es seien Männer aus ihrer Verwandtschaft, sagte sie. Komisch kam mir das doch vor!

4 Kurz Ni Mang

5 Horst H. Geerken, Erinnerung an Annette, 2015, ISBN 978-3-7347-8947-2

6 Horst H. Geerken, Annettes letzte Reise, 2016, ISBN 978-3-8370-8119-0

1.2 Das Leben einer balinesischen Frau

Ni Mang hat ihr ganzes Leben immer hart gearbeitet, sieben Tage die Woche. Von ihrem Mann, einem Spieler und Frauenhelden, der nicht arbeiten will, hat sie sich schon lange getrennt. Oder er von ihr? Man weiß es hier nie so genau. Sie würde sich einerseits gerne scheiden lassen, aber ohne Einverständnis des Mannes geht das auf Bali nicht. Andererseits will sie die Scheidung auch wieder nicht, da selbst die Kinder ihr Einverständnis dazu geben müssten. Und bei einer Scheidung würden auf Bali ihre beiden Kinder auch automatisch dem Mann zugesprochen und dann von den Schwiegereltern erzogen werden. Ni Mang müsste das Haus verlassen. Daher ziehen die Frauen auf Bali die Trennung einer Scheidung vor. Ihr Mann verweigert außerdem eine Scheidung, weil Ni Mang immer noch seine Eltern finanziell und im Haushalt unterstützt und auch die Schul- und weitergehende Ausbildung der beiden gemeinsamen Kinder übernommen hat. Sie war zu der Zeit die Einzige, die für das tägliche Leben der Familie sorgte, und das wollte er auch weiterhin so gehandhabt wissen.

Ni Mang ist eine starke Frau, nicht nur psychisch, auch physisch. Sie ist mit ihrer geringen Körpergröße von nur gut 1,45 Metern ein kleines Kraftpaket, das nicht stillsitzen kann. Sie sucht immer eine Betätigung. Neben ihrem Beruf als Masseurin machte sie ab und zu den Kampfsport Karate. Annette und ich hatten sie vor einigen Jahren einmal bei einem Wettstreit beobachtet, bei dem sie fünf übereinanderliegende Lagen von Stangeneis mit der Handkante und einem einzigen Schlag zerbrach. Man muss es sich also zweimal überlegen, ob man sich mit ihr anlegen will.

Auf Bali leben die Männer im Paradies, auf Kosten ihrer Frauen! Die Frauen sind die Arbeitstiere, die von morgens bis abends schuften. Auf den Dörfern sieht man bis heute, wie der Mann auf dem Weg zum Markt voranschreitet und seine Frau hinter ihm geht, mit der schweren Last auf ihrem Kopf.

Die Frauen haben auf Bali generell kein einfaches Leben. Sie arbeiten hart und die Männer gehen meist aus dem Haus um Karten zu spielen oder ihre Kampfhähne zu streicheln, damit sie bei der Arbeit den Frauen nicht im Weg herumstehen! Was ja auch sehr aufmerksam ist! Viele Balinesen der jüngeren Generation leben nach dem Motto: ‚Hauptsache meine Frau hat Arbeit und ich habe ein gutes Leben!‘ Das Glücksspiel ist auf Bali – wie in ganz Asien – ein echtes Laster! Die Männer verpulvern das schwerverdiente Geld ihrer Frauen. Viele verspielten schon Haus und Hof. Dagegen müssen die Frauen kochen, das Haus versorgen, sie müssen ihren Männern zu Diensten sein, die Kinder gebären und großziehen. Nebenbei müssen sie oft noch arbeiten, damit sie ihren Mann, und meist noch dessen Familie, unterhalten können. Ni Mangs getrenntlebender Ehemann hat erst kürzlich ihren alten Familienschmuck gestohlen und verkauft, um Spielschulden bezahlen zu können.

Es gibt aber auch Ausnahmen. Ich kenne Balinesen, die wirklich hart arbeiten und es auch zu einem großen Vermögen gebracht haben. Auch die Reisbauern auf dem Lande müssen hart arbeiten, um die Familie ernähren zu können. Aber der weitaus größere Teil der Männer in den Städten ist faul und arbeitsscheu. Ni Mangs Mann sagt: ‚Wofür soll ich arbeiten? Für was? Tida ada guna – das hat ja doch keinen Zweck. Davon wird man auch nicht reich!‘ Er macht lieber Schulden, liegt auf der faulen Haut und trinkt Bier auf Kosten seiner von ihm getrenntlebenden Ehefrau.

Als ich noch jung war, wurde mir von meinen Eltern immer wieder gesagt: ‚Wenn dir eine Aufgabe gestellt wird, erledige sie so schnell wie möglich und so gut wie möglich‘. Einen Aufschub auf den nächsten Tag gab es nicht. Das Sprichwort ‚Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute‘ wurde mir von meiner Mutter schon in die Wiege gelegt. Auch wenn wir Kinder jemanden sahen, der zum Beispiel etwas Schweres trug, mussten wir sofort unsere Hilfe anbieten. Das war für uns Kinder ganz selbstverständlich und diese Gewohnheiten haben wir auch im Erwachsenenalter bis heute beibehalten. Bei balinesischen Männern sehe ich aber meist das Gegenteil. Sie lassen die Arbeit so lange liegen, bis sie ein anderer – meist ihre Ehefrau oder ein anderer Dummer - macht. Dabei schauen sie ihr noch zu, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Bei so einer Mentalität ist es kein Wunder, dass viele Familien am Existenzminimum leben. Ohne Kredite, und ohne die fleißigen balinesischen Frauen, wäre die paradiesische Insel schon längst pleite.

Schulden zu machen ist auf Bali kein Problem, da die Banken gerne an den Krediten verdienen und kaum nach Sicherheiten fragen. Mit einer Anzahlung von fünf Prozent und weniger kann man alles kaufen: Ein Motorrad, ein Auto, selbst ein Grundstück oder ein Haus. Ich glaube, es gibt keine balinesische Familie, die keine Schulden hat. Die vielen hinduistischen Zeremonien kosten Unsummen, und man kauft immer das neueste Modell eines Motorrads oder iPhones. Um die Rückzahlung der Kredite müssen die Balinesen sich meist ein ganzes Leben lang kümmern. Bekommt man von der Bank wegen zu großer Verschuldung keinen weiteren Kredit zu ‚günstigen‘ zwei Prozent pro Monat, wohlgemerkt pro Monat, geht man zu einem sogenannten ‚Rentenir‘, da bekommt man immer Geld, für 10 Prozent Zins pro Monat! Und der Zins muss monatlich bezahlt werden, oft durch einen weiteren und noch teureren Kredit.

Abb. 1.2-1: Balinesische Frauen auf einer Baustelle

So ist das mit dem Paradies, von innen betrachtet ist es doch oft ein zweischneidiges Schwert. Uns kommt es auf Bali paradiesisch und sehr billig vor. Wenn man aber die Löhne der Einheimischen betrachtet, dann sieht es schon wieder ganz anders aus. Für uns Außenstehende sind die balinesischen Menschen ein friedliches und freundliches Völkchen. Aber Eifersucht, Streit, Lügen, Fremdgehen, zerrüttete Familienverhältnisse, Erbstreitigkeiten, Zerwürfnisse der Familien oder Geldprobleme gibt es hier genauso wie bei uns im Westen.

Wenn ich Ni Mang befrage, warum sie immer noch ihren faulen Mann und dessen Eltern unterstützt, antwortet sie, ihre alten und gebrechlichen Schwiegereltern würden ihr leidtun! Auf der anderen Seite hat Ni Mang auch Existenzängste. Wenn sie die Unterstützung einstellen würde, müsste sie das Haus verlassen und der Ehemann könnte ihr die Kinder wegnehmen. Mit einem Alter von 17 und 19 Jahren sind ihre Kinder jedoch keine Kinder mehr und leben schon ziemlich selbstständig. Sie können machen, was sie wollen. Für eine Mutter besteht jedoch eine emotionale Bindung zu ihren Kindern, in jedem Alter.

Aufgrund einer anderen, freizügigeren Auffassung bezüglich der Moral sind Familiendramen an der Tagesordnung. Besonders die Männer nehmen es mit der ehelichen Treue nicht so genau. Da viele die Arbeit scheuen, haben sie auch genügend Zeit, sich diesem Vergnügen hinzugeben. Andererseits sind die Balinesinnen sehr, sehr eifersüchtig und rächen sich an ihren Männern, indem sie sich dann ihrerseits einen Freund zulegen. Daher herrscht in balinesischen Familien oft ein großes undurchschaubares Durcheinander. Dazu kommt noch, dass im hinduistischen Bali – wenn man genügend Geld hat – auch die Ehe mit mehreren Frauen erlaubt ist, was aber nicht oft geschieht.

Schon im Kindesalter wird den Frauen eingeimpft: ‚Du musst heiraten. Du musst viele Kinder bekommen. Wenn du ledig bleibst, ist das eine Schande für die ganze Familie.‘ Wer in Bali eine Frau heiratet, heiratet gleich die ganze Familie mit, und mit der Heirat werden die Frauen unmündig. Im Haus des Ehemannes werden sie Besitz des Mannes, und oft – wie ich vielfach hörte – von der Schwiegermutter terrorisiert. Von den Frauen wird erwartet, dass sie passiv und bescheiden sind, und dass sie sich der Familie des Mannes unterordnen. Was für ein rückständiges Frauenbild! Und trotzdem stehen die Balinesinnen dem Leben irgendwie sorglos gegenüber, lachen viel und scheinen immer fröhlich zu sein.

Schon seit Jahrhunderten gibt es bei dem Stamme der Minangkabau im Westen Sumatras genau das Gegenteil, ein Matriarchat. Hier muss sich der Mann der Frau unterwerfen. Der Bräutigam muss nach der Hochzeit ins Haus der Braut einziehen, hier erben nur die Frauen und alle wichtigen Entscheidungen werden nur von den Frauen getroffen. Mit über drei Millionen Menschen ist dies heute die größte matrilineare Bevölkerungsgruppe der Welt. Indonesien ist vielfältig!

Bei einer Scheidung oder Trennung sind die balinesischen Frauen alleine und müssen für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen. Die verlassenen Frauen sind nicht müßig, suchen sich ein neues Betätigungsfeld und brechen oft – falls sie noch jung genug sind oder die Chance dazu haben – in andere bestehende Ehen ein. Aber auch viele verheiratete Frauen sind für einen Seitensprung bereit, allerdings kaum mit Ausländern.

Seit vielen Jahren kenne ich eine balinesische Familie mit mehreren Kindern. Als ich mich mit der Ehefrau einmal alleine unterhielt, sprach ich dieses Thema an. Sie gestand mir freimütig, dass sie neben ihrem Ehemann noch zwei Liebhaber habe: ‚Einen etwas älteren Freund, der verheiratet ist und selbst Kinder hat, für die Liebe, und einen um 17 Jahre jüngeren ledigen Mann für das Vergnügen.‘ Familiendramen sind somit vorprogrammiert. Touristen, die nur zwei oder drei Wochen auf Bali Urlaub machen und keinen langjährigen, intensiven Kontakt zu balinesischen Familien haben, nehmen davon nichts wahr, zumal sich Balinesinnen bisher kaum mit ausländischen Männern eingelassen haben. Wie mir die zuvor erwähnte verheiratete Mutter erzählte, hat dieses ausschweifende Leben erst begonnen, als günstige mobile Telefone auf den Markt kamen. Da wurde es sehr viel leichter, Kontakte zu knüpfen und ein Rendezvous über Facebook und andere Medien zu vereinbaren.

Als ich mich mit Ni Mang über die Probleme in den Familien unterhielt, sagte sie, die Menschen aus dem Westen betrachten Bali nur aus der Ferne und idealisierten das Leben der Balinesen. Es sei wie mit den Bergen da drüben – und damit zeigte sie auf die Berge im Nordwesten der Insel –, sie sehen aus der Ferne ganz glatt und makellos aus. Betrachtet man sie aber aus der Nähe, dann sieht man auch die krummen und kranken Bäume. Genau so wäre es mit indonesischen Familienverhältnissen. Betrachtet man sie aus der Nähe, dann würde die Illusion vom Paradies auch schnell schwinden.

Die balinesischen Frauen haben meist eine große Last zu tragen. Bei einer Scheidung gehen sie vollkommen leer aus. Auch von den eigenen Eltern erben die Töchter nichts, nur die Söhne. Die Frauen müssen dann für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen, und meist auch noch für den ihrer Kinder. Trotzdem strahlen alle eine Fröhlichkeit und Zufriedenheit aus, die einfach umwerfend und ansteckend ist, eine Freundlichkeit, wie man sie auf der ganzen Welt nicht mehr findet.

Aber ist das Lächeln, ist die Heiterkeit und das freundliche Gesicht der Balinesinnen nur eine Maske, die all diese Probleme überdeckt? Ist es eine Maske mit einem ewigen Lächeln wie in China oder Japan? Ich glaube nicht! Trotz aller Probleme im täglichen Leben kommt das balinesische Lächeln von Herzen. Das spürt man! Sie nehmen das Leben einfach so, wie es kommt. Sie sind tief verwurzelt in ihrer Religion, dem balinesischen Hinduismus. Da ist alles vorbestimmt!

Ni Mang hatte mit ihren jetzt 41 Jahren noch nicht einen einzigen Tag Urlaub gehabt, lediglich die freien Tage bei religiösen Festen. Das sind zum Glück nicht wenige. Nach meiner Ansicht sogar viel zu viele. Wenn sie arbeitet, arbeitet sie sieben Tage in der Woche. Sie hat keine höhere Schule besucht, aber durch Fleiß, Mut und Ausdauer hat sie sich erfolgreich durch das Leben geschlagen. Als sie mit 19 Jahren heiratete, musste sie – wie in Bali üblich – in das Haus ihrer Schwiegereltern einziehen. Hier gab es nicht einmal eine Toilette. Man ging zur Verrichtung seines Geschäftes mit einem Eimer Wasser aufs Feld. Da Ni Mang in ihrem Elternhaus in Mengwi zwei Toiletten hatte, wollte sie diesen für sie unerträglichen Zustand im Hause ihres Mannes verändern. Sie besorgte sich eine Schaufel und Bauholz, und schon bald war die mit ihren eigenen Händen anfertigte Toilette in einem kleinen Holzhäuschen im Garten fertig. Ihr Ehemann war auch damals schon ziemlich faul und lethargisch. Ni Mang musste in ihrer freien Zeit auf Baustellen Sand und Steine schleppen, um mit ihrem Einkommen ihren Mann und dessen Familie versorgen zu können.

Ni Mang hat schon in verschiedenen Berufen gearbeitet. Aber dass sie nach ihrer Hochzeit zum Überleben auf verschiedenen Baustellen schwere Lasten schleppen musste, ging ihrem Vater doch zu weit. Er hatte Mitleid mit ihr und schenkte ihr 50 frisch geschlüpfte kleine Entchen, damit sie mit einer kleinen Entenzucht beginnen könne. Ni Mang baute neben dem Haus einen Stall, den sie mit Holzbalken gegen den Regen abdeckte. Ihr Mann saß, Zigaretten rauchend, mit einer Flasche Bier in der Hand, daneben und schaute ihr bei der schweren Arbeit zu. Die Enten gediehen prächtig, bis bei einem starken tropischen Regenguss das Dach zusammenbrach und die schweren Balken alle Enten erschlugen. Nun musste Ni Mang wieder Sand auf den Baustellen schleppen. Am Abend schmirgelte und polierte sie Holzschnitzereien von einem Künstler in der Nachbarschaft für ein kleines zusätzliches Taschengeld.

Nebenbei erlernte sie die japanische Kampfkunst Karate. Diese Kenntnisse brachten ihr eine Arbeit als Bodyguard und Begleiterin einer superreichen Balinesin ein. Hier verdiente sie bei einfacher Arbeit gutes Geld und konnte sich eine Ausbildung zur Masseurin und Schönheitstherapeutin leisten. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie zunächst in den Schönheitssalons verschiedener Hotels, sieben Tage die Woche, bis sie ihren ersten eigenen kleinen Salon eröffnen konnte. Diesen erweiterte sie ständig. Heute besitzt sie in Ubud einen kleinen Schönheits- und Massagesalon mit fünf Angestellten, der sieben Tage die Woche von 10:00 bis 22:00 Uhr geöffnet hat. Die westlichen Touristen wollen auch an Sonntagen eine Schönheitsbehandlung haben. Ihren beiden Kindern ermöglichte sie damit eine gute Schul- und weitergehende Bildung.

Ni Mang beklagte schon immer, dass man in Indonesien für die Bildung hohe Gebühren bezahlen muss, von der Grundschule bis zur Universität. Bildung sei doch der wertvollste Schatz eines Landes, und der müsste doch auch den Armen offenstehen. Unter denen gäbe es viele hochbegabte Kinder, betonte sie mit Nachdruck.

Die sechsjährige Grundschulzeit7 vom 6. bis zum 11. oder 12. Lebensjahr ist meist frei. Aber die Kosten für die obligatorische Schuluniform und die Lernmaterialien können von den ärmeren Bevölkerungsschichten nur schwer aufgebracht werden. Bei der nachfolgenden Mittelschule8 und der Oberschule9 fallen zusätzliche Gebühren von umgerechnet rund 250,- € pro Jahr an. Bei einem Monatseinkommen von nur 100,- € bis 150,- € ist das eine Menge Geld, das nur von der gehobenen Mittelschicht aufgebracht werden kann.

Ich bin immer wieder überrascht über die nicht geweckten Fähigkeiten, die in vielen Balinesinnen schlummern. Als Beispiel soll hier Ni Mangs schnelle Auffassungsgabe für lateinamerikanische Tänze dienen, einen Tanzstil, der in Bali wie ‚die Faust aufs Auge‘ passt. Ein größerer Kontrast als der zwischen lateinamerikanischen und balinesischen Tänzen ist kaum vorstellbar. Viele weitere Fähigkeiten von Ni Mang konnte ich später bei ihrem Besuch in Deutschland entdecken, über den ich noch berichten werde.

Die kleinsten Kinder sprechen auf Bali bereits mehrere Sprachen: Balinesisch hat drei Sprachebenen, dazu kommt noch Bahasa Indonesia. Infolge des Kastenwesens wird Balinesisch unterteilt in Hochbalinesisch, genannt Singgih, das auf der alten javanischen Hofsprache basiert, und Niederbalinesisch, genannt Sor, es wird von den Sudras gesprochen, der niedersten Kaste. Ungefähr 95 Prozent der balinesischen Bevölkerung gehört der Kaste der Sudras an. Da vielen Sudras die Gelegenheit fehlte, die Hoch- oder Hofsprache zu erlernen, entwickelte sich für den täglichen Verkehr untereinander ein Mittelbalinesisch, genannt Lumrah, ein Gemisch aus dem Hoch- und dem Niederbalinesisch, vermischt mit Worten aus der Bahasa Indonesia. Es ist eine sehr komplizierte Sprache. Im Gegensatz zu Indien führt das Kastenwesen nicht zu einer Trennung der Bevölkerungsgruppen. Ohne Problem sind heute sogar Hochzeiten von Paaren unterschiedlicher Kasten üblich.

Abb. 1.2-2: Buch über die Bahasa Bali (von 1977)

Wie ich immer wieder mit Verblüffung feststelle, wechseln die Kinder sofort die Sprache, je nachdem, von wem sie angesprochen werden. Es ist wissenschaftlich längst bewiesen, dass diejenigen, die zwei oder mehr Sprachen sprechen, gegenüber mono-lingualen Menschen einen großen geistigen Vorsprung haben, und zwar ein Leben lang! Man ist mono-lingualen Menschen immer einen Schritt voraus. Laut Studien der University of California und von kanadischen Wissenschaftlern tritt bei mehrsprachigen Menschen die Krankheit Alzheimer im Durchschnitt fünf Jahre später auf als bei einsprachigen. Bei diesen Fähigkeiten ist es ein Jammer, dass durch das Schulgeld die weitergehende Ausbildung von Kindern aus ärmeren Schichten Balis gebremst wird.

Bali ist ein Frauenland, obwohl die Gesetze für Männer gemacht wurden. Die Frauen sind stärker und intellektuell freier als die balinesischen Männer. Sie regeln nicht nur die Geldgeschäfte, meist verwalten sie auch das Geld, sie sind die besseren Geschäftsfrauen, sie arbeiten auch in Bereichen, in denen im Westen fast ausschließlich Männer beschäftigt sind. Überall sieht man Frauen im Hoch- und Tiefbau, die schwere Lasten schleppen, man sieht sie in der Fischerei, in der Fortwirtschaft und in der Landwirtschaft. Sie arbeiten – im Gegensatz zu vielen Männern – schwer und hart, und trotzdem gelingen ihnen auch die feinsten filigranen Körbchen aus Palmblättern, die für die täglichen Opfergaben an die Götter zu flechten sind. Die Balinesinnen sind jedoch zu klug, um ihre Macht zu demonstrieren. Sie zeigen ihr Selbstbewusstsein auf andere Weise. Sie legen großen Wert auf Körperpflege und kleiden sich sorgfältig und geschmackvoll. Sie haben einfach Stil, die große Dame wie die Verkäuferin. Es ist die Erfahrung, die sie aus einer uralten Tradition und Kultur schöpfen.

Ich will sogar behaupten, dass die balinesischen Frauen sicherer und selbstbewusster sind als viele unserer Frauen im Westen, die oft in der Sorge leben, dass man sie trotz ihrer Reize sitzen lässt. In Bali ist das schon fast vorprogrammiert, weshalb es die Balinesinnen perfekt beherrschen, sich in Szene zu setzen und den Männern zu gefallen. Aber nach außen hin lässt die Balinesin ihrem Mann den Vortritt, sie bedient ihn und gibt sich ihm willig hin. Dennoch ist die balinesische Frau stärker als der Mann. Vielleicht deshalb!

7 Primary School SD, Sekolah Dasar

8 Junior High School SMP, Sekolah Mengenah Pertama

9 High School SMA, Sekolah Mengenah Atas

1.3 Die Reisevorbereitung

2016 war ich dreieinhalb Monate auf Bali. Ni Mang hörte schon seit über 20 Jahren Erzählungen von Annette und mir über Deutschland. Mit großen Augen lauschte sie gespannt unseren Worten. Eisenbahn, Autobahn, Untergrundbahn, eine Geschirrspülmaschine, ein Backofen, Hochhäuser oder ein Heißluftballon waren ihr vollkommen unbekannt.

‚Was, in Deutschland gibt es keine Warungs?‘, wunderte sie sich. Warungs sind in Indonesien kleine Kioske, die von Reis bis zu Zigaretten das Allernötigste, das man für das einfache Leben in Bali benötigt, vorrätig haben. Dass es in Deutschland keine Warungs gibt, konnte sie kaum glauben! Überall in Indonesien findet man sie an jeder Straßenecke. Ein Warung ist nie weit. Sie haben von früh bis spät in der Nacht geöffnet. ‚Was,‘ fragte sie, ‚in Deutschland kann man bei Nacht nicht einkaufen?‘ Viele Supermärkte und Mini-Markets auf Bali – und davon gibt es unzählige – haben sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet.