Eine eigensinnige Lady - Laura Kinsale - E-Book
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Eine eigensinnige Lady E-Book

Laura Kinsale

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Beschreibung

Eine englische Rose, die in der Wüste erblüht: Der historische Liebesroman »Eine eigensinnige Lady« von Laura Kinsale jetzt als eBook bei dotbooks. Das glanzvolle Syrien im Jahre 1839. Ihre Mutter, eine exzentrische englische Lady, war als Königin der Wüste bekannt – doch nach ihrem Tod ist die junge Zenia Stanhope ganz auf sich allein gestellt. Es gibt nur eine Möglichkeit für sie, in die Heimat ihrer Familie zurückzukehren: Sie muss sich als syrischer Junge verkleiden, um die gefahrvolle Reise riskieren zu können. So begegnet Zenia dem wagemutigen Abenteurer Arden Mansfield. Er bietet dem vermeintlichen Jungen seinen Schutz, wenn dieser ihn durch die Wüste führt. Obwohl sie auf keinen Fall enttarnt werden darf, kann Zenia ihre Gefühle für den attraktiven Viscount schon bald kaum noch verbergen. Auch Arden kann nicht fassen, wie sehr er sich zu dem seltsam schönen Jungen hingezogen fühlt. Aber kann Zenia es wagen, ihm ihr Geheimnis zu verraten? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die historische Romanze »Eine eigensinnige Lady« von Laura Kinsale wird alle Fans von Regency-Romantik und der Serie »Bridgerton« begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 558

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Über dieses Buch:

Das glanzvolle Syrien im Jahre 1839. Ihre Mutter, eine exzentrische englische Lady, war als Königin der Wüste bekannt – doch nach ihrem Tod ist die junge Zenia Stanhope ganz auf sich allein gestellt. Es gibt nur eine Möglichkeit für sie, in die Heimat ihrer Familie zurückzukehren: Sie muss sich als syrischer Junge verkleiden, um die gefahrvolle Reise riskieren zu können. So begegnet Zenia dem wagemutigen Abenteurer Arden Mansfield. Er bietet dem vermeintlichen Jungen seinen Schutz, wenn dieser ihn durch die Wüste führt. Obwohl sie auf keinen Fall enttarnt werden darf, kann Zenia ihre Gefühle für den attraktiven Viscount schon bald kaum noch verbergen. Auch Arden kann nicht fassen, wie sehr er sich zu dem seltsam schönen Jungen hingezogen fühlt. Aber kann Zenia es wagen, ihm ihr Geheimnis zu verraten?

Über die Autorin:

Nach ihrem Masterabschluss an der University of Texas war Laura Kinsale als Geologin tätig, bis sie begann, Romane zu schreiben. Ihre Bücher standen mehrfach auf der Auswahlliste für den besten amerikanischen Liebesroman des Jahres und stürmten immer wieder die Bestsellerlisten der New York Times. Die Autorin lebt mit ihrem Mann David abwechselnd in Santa Fé/New Mexico und Texas.

Laura Kinsale veröffentlichte bei dotbooks bereits »Victorian Hearts – Der Kuss des Marquess«, »Victorian Hearts – Ein Gentleman zum Verlieben«, »Die Liebe des Dukes« und »In den Fängen des Piraten«.

Die Website der Autorin: laurakinsale.com

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eBook-Neuausgabe August 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1994 unter dem Originaltitel »The Dream Hunter« bei Berkley, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Traumpfade der Sehnsucht« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1994 by Amanda Moor Jay

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1996 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © period images, © shutterstock / Kiev.Victor / Dudarev Mikhail / Potapov Alexander / Mendeed sowie © pixabay / Buntysmum

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-674-3

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Laura Kinsale

Eine eigensinnige Lady

Roman

Aus dem Amerikanischen von Jutta Lang-Limbrunner

dotbooks.

Prolog

London, 1838

»Was glauben Sie, was sie mit dem armen Kerl gemacht haben?«

»Ich nehme an, man hat ihn enthauptet«, antwortete Viscount Winter kühl. »Wenn er nicht vom Mob zu Tode gesteinigt wurde.«

»Mein Gott!« In blankem Entsetzen starrte Sir John Cottle den Viscount an, der mit behaglich ausgestreckten Beinen und einer Flasche Sherry vor einer imposanten, bis zur Decke reichenden Fensterfront saß. Lord Winters Gesicht hatte, soweit das bei der schwachen Lesebeleuchtung an diesem tristen, nebelverhangenen Dezembernachmittag zu erkennen war, etwas vornehm Strenges an sich. Sein Blick war fest und undurchdringlich, wie es für Männer charakteristisch ist, denen Sonne und ferne Länder wohlvertraute Gefährten sind. Der herbe, verschlossene Eindruck wurde durch seine schwarzen, diabolisch wirkenden Augenbrauen, die hohen Wangenknochen und einen herrischen Zug um Mund und Kinn noch verstärkt. Einige Bände der hervorragend ausgestatteten Clubbibliothek stapelten sich vor ihm auf dem Tisch und auf dem Boden.

Sir John sah geistesabwesend auf die Bücher: ›Bericht über eine Expedition der H.M.S. Terror in der Antarktis‹, ›Reisen in Südamerika‹ und ›Rund um Kap Horn: Schauplätze, Zwischenfälle und Abenteuer während der Umsegelung. Aus dem Schiffstagebuch des Kapitäns W. M. Alexander‹. Sir John war mit seinen Gedanken nicht in der Clubbibliothek oder bei Büchern, sondern im Orient, wo sich barbarische, grausame Szenen abspielten. Bekümmert wandte er sich seinem Sportsfreund Lord Gresham zu. »Ich fühle mich verantwortlich. Er war Christ, auch wenn er aus Neapel stammte. Vielleicht sollten wir die Sache aufgeben, Gresham.«

»Unsinn.« Lord Greshams Wangen glühten. »Der Italiener hat behauptet, er gäbe einen perfekten Mohammedaner ab. Wir haben ihm ein Vermögen bezahlt … Wenn er unfähig war, bitte schön. Wir haben unser Geld verloren und er sein Leben.«

»Enthauptet, du lieber Himmel! Ich weiß nicht, ob …«

»Du willst das Pferd doch, oder?« Lord Gresham sah Sir John herausfordernd an.

»Ja, weiß Gott, ja.« Sir John kaute gedankenverloren an seinem Schnurrbart. Seine wäßrigen blauen Augen blickten betrübt. »Aber noch einen Mann in den Tod schicken …« Er sah den Viscount an, der wieder mit seinen Büchern beschäftigt war und sich Notizen machte, die ihn offensichtlich mehr interessierten als das Gespräch. »Was meinen Sie, Winter?«

»Wenn er nicht wußte, wie hoch das Risiko ist, war Ihr Italiener ein Narr«, sagte der Viscount, ohne von seinen Aufzeichnungen aufzublicken.

»Aber hat das ganze Unternehmen überhaupt eine Chance?« fragte Sir John hartnäckig weiter. »Der Bursche hat immerhin jahrelang im Orient gelebt.«

»Er sprach Arabisch wie ein Einheimischer«, setzte Lord Gresham hinzu, »und, Teufel auch, er sah aus wie einer von ihnen.«

Lord Winter hob die Augen. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Woher wissen Sie das?«

Die beiden Männer blickten ihn erstaunt an. »Nun«, antwortete Sir John, »er hat die Tracht eines Beduinen angezogen, um es uns zu beweisen. Einen Turban und so weiter.«

»Einen Turban!« Viscount Winter hob eine Augenbraue, schüttelte den Kopf und beugte sich wieder über seine Lektüre.

Sir John bedachte Lord Gresham mit einem wütenden Blick. »Ich habe dir ja gesagt, wir hätten zuerst Winter um Rat fragen sollen!« polterte er los, wobei sein Zornesausbruch so gar nicht zu seinem runden, freundlichen Gesicht paßte. »Wie wollen wir beurteilen, ob der Mann wirklich wußte, wovon er sprach?«

»Ziehen wir Winter doch jetzt zu Rate«, erwiderte Lord Gresham bestimmt. »Genau da liegt der Hund begraben, Winter. Wir brauchen bessere Unterstützung. Jemanden in Kairo oder Damaskus, der den geeigneten Mann aufstöbert. Einen Mann, der für uns in die Wüste geht und das Tier zu fassen kriegt. Die Konsuln legen uns allerdings alle möglichen Steine in den Weg. Wir hofften, Sie könnten uns jemanden empfehlen.«

Lord Winter sah ihn an. Die kobaltblauen Augen bildeten einen starken Kontrast zu den schwarzen Wimpern und dem sonnengebräunten Teint. »Sie vergeuden Ihre Zeit und Ihr Geld, meine Herren. Ich bezweifle sehr, daß dieses Pferd existiert.«

»Wir haben ein Schreiben …«, begann Sir John.

»Von Ihrem unglückseligen Italiener? Einen Stammbaum womöglich? Einen, der zurückreicht bis zu den Ställen Salomons und dessen Richtigkeit altehrwürdige Scheiks bestätigt haben, oder etwas in der Art?«

»Ja, genauso ist es.«

»Wie wär’s mit einem fliegenden Teppich?« fragte Lord Winter höflich.

Sir John brummte mißmutig.

Lord Gresham sagte: »Wenn Sie das Dokument lesen würden …«

»Oh, gewiß ist es ein hübsches Märchen. Zwar würde kein Beduine jemals lügen, was die Herkunft eines Pferdes anlangt, denn er kennt jedes Pferd so gut wie seine eigene Mutter. Doch sobald etwas schriftlich festgehalten wird, schreckt er vor lauter Lust am Fabulieren auch vor einem Meineid nicht zurück: unterzeichnet, besiegelt und mit Allahs dreifachem Segen. Wieviel haben Sie dem Italiener bezahlt?«

»Tausend Pfund«, gab Lord Gresham freimütig zu. »Ja, ja, ich weiß, Sie halten uns für Trottel, Winter. Aber das Schreiben kam gar nicht von dem Italiener. Mein Schwager«, fuhr er leiser fort, »vom Außenministerium hat es mir geschickt. Es wurde in Dschidda abgefangen. Dort kam es in einem Päckchen mit Geheimdokumenten oder ähnlichem an.« Der Lord machte eine bedeutsame Handbewegung. »Es muß etwas mit den Türken und Ägyptern zu tun haben, von Truppenbewegungen ist die Rede. Von höchstem Interesse für Palmerston. Gott sei dem armen Teufel gnädig. Pferde kümmern ihn nicht, und nachdem man den Brief übersetzt hatte und zu dem Schluß gekommen war, daß es sich nicht um einen verschlüsselten Code handelt, hat er Harry gesagt, er könne den Wisch verbrennen, wenn er wolle.«

Der gleichgültige Ausdruck in Lord Winters Augen verschwand. Interessiert sah er die beiden passionierten Jagdfreunde an. »Wo ist der Brief?«

Lord Gresham zog ein zerknittertes Dokument, das mit einer dicken Kordel umwickelt war, aus der Tasche. Wortlos reichte er es dem Viscount.

Aufmerksam las Lord Winter die fließende arabische Schrift. In der Bibliothek wurde es still. Sir John und Lord Gresham beugten sich nach vorn und warteten. Als Lord Winter das Schriftstück gelesen hatte, rollte er es mit ausdruckslosem Gesicht zusammen und gab es zurück. »Ich bin immer noch der Meinung, Sie sollten Ihr Geld und Ihre Zeit nicht dafür verschwenden.«

»Halten Sie es für eine Fälschung?« fragte Lord Gresham.

»Nein, das Dokument ist echt.« Der Viscount preßte die Lippen zusammen. »Es handelt sich um eine Botschaft an einen Mann namens Abbas Pascha, Neffe des Vizekönigs von Ägypten. Wüstenpferde sind seine Leidenschaft. Er ist ein junger Prinz, dem es gefällt, sich wie Dschingis Khan zu gebärden. Jedem, der es wagt, ihn zu täuschen, wenn es um Pferde geht, drückt er glühende Eisen auf die Fußsohlen.«

»Dann gibt es die Stute String of Pearls also doch! Irgendwo auf der arabischen Halbinsel muß sie sein. Es muß jemanden geben, der sich aufmachen kann, sie zu suchen. Wenn Sie uns nur sagen könnten, welche Art von Mann dazu in der Lage wäre und wo wir ihn finden.«

»In dem Brief heißt es, daß ein schnelleres Pferd niemals existiert hat, Winter!« schwärmte Sir John. »Wie Sie wissen, haben Gresh und ich letztes Jahr Nightwind erworben. Er ist schnell wie der Blitz! Bei Jupiter, er hat bisher jedes andere Pferd vernichtend geschlagen – und er ist heißblütig. Nur drei Generationen vom selben orientalischen Stammbaum entfernt. In ganz England gibt es keine reinrassige Stute, die für ihn angemessen wäre. Aber wenn wir String of Pearls hätten, dann könnten wir ein Rassepferd heranzüchten, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.«

»Wir scheuen keine Ausgaben, damit String of Pearls in unseren Besitz kommt«, erklärte Lord Gresham.

»Es besteht nicht die geringste Hoffnung, das Pferd zu finden«, sagte der Viscount trocken, lehnte sich zurück und schlug sein Buch wieder auf. »Glauben Sie mir.«

»Aber wenn Sie sagen, der Inhalt des Briefes entspreche der Wahrheit …«

Sir John blickte auf und verstummte, als ein eleganter Herr neben Lord Winters Stuhl stehenblieb. »Ich dachte mir, daß ich dich hier finde«, sagte der Mann kalt.

Viscount Winters Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber er legte das Buch zur Seite und erhob sich. Auch ohne sich umzuwenden wußte er, daß es sein Vater war. »Das hier ist nur der Travellers’ Club«, erwiderte er und hielt ihm die Hand hin. »Kein Bordell.«

Der Earl ignorierte die Begrüßungsgeste und nickte Lord Winters Begleitern kurz zu. Bis auf die edle Blässe und den schwächeren Körperbau – der Earl legte weniger Wert auf körperliche Ertüchtigung – war die Ähnlichkeit mit dem Sohn bemerkenswert. Er verzog den Mund in spöttischer Verachtung, als er die herumliegenden Bücher sah.

»Hättest du die Güte, mit mir unter vier Augen zu sprechen?«

»Ich stehe zu deiner Verfügung.«

»Ein widerlicher Ort«, sagte der Earl und führte seinen Sohn in eine Ecke der Bibliothek.

»Setz dich zur Ruhe«, schlug Lord Winter höflich vor.

»Damit ich überhaupt keine Möglichkeit mehr habe, meinen hochgeschätzten Erben zu einem Gespräch zu bewegen? Vielleicht sollte ich dich ganz vergessen. Ich glaube, deine Mutter hat es bereits getan.«

»Leider nicht«, entgegnete Earl Belmaines Erbe. »Letzte Woche hat sie mich in der Piccadilly Street mit einer ihrer einzigartig langweiligen Debütantinnen im Schlepptau abgefangen.«

»Dem entnehme ich, daß sie sich damit begnügen muß, dich auf der Straße anzutreffen«, schnaubte der Earl. »Denn du hältst es nicht für nötig, ihr wenigstens einen kurzen Besuch abzustatten!«

»Dazu fehlt mir der Mut.« Lord Winter sah seinen Vater unbewegt an. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Es ist mir gleichgültig, was sie bei ihrer letzten Abendgesellschaft zum Dinner serviert oder welches Mädchen sie für mich auserwählt hat. Und sie interessiert sich sowieso nur für meine Schwächen. Und das ist ein Thema, das wir zur Genüge diskutiert haben.«

»Man sollte meinen, daß die natürliche Zuneigung eines Sohnes zu seiner Mutter …«

»Wir sind doch schon vor langem darin übereingekommen, daß ich ein gänzlich unnatürlicher Sohn bin«, unterbrach der Viscount seinen Vater gereizt. »Ich werde einen Scherenschnitt von meinem Profil anfertigen lassen. Den kann sie dann in ihrem Salon aufhängen und ihren Bekannten als Beweis meiner Existenz zeigen.«

»Sehr aufmerksam von dir«, erwiderte der Earl ironisch. »Ich bin jedoch nicht hierhergekommen, um dir Komplimente zu machen für die großartigen Nettigkeiten deiner Mutter gegenüber. Ich komme gerade von einer Sitzung der Royal Geographical Society.« Er griff in die Innenseite seines Fracks. »Du wirst erfreut sein zu erfahren, daß du der erste bist, der die Namensliste für Kapitän Ross’ Expedition in die Antarktis sieht.«

Kaum merklich änderte sich Viscount Winters Gesichtsausdruck. Schweigend sah er seinen Vater an. Der Earl warf zwei gefaltete Blätter auf den Tisch zwischen ihnen.

Halb offen lagen sie da. H.M.S. Terror war auf dem einen zu lesen, H.M.S. Erebus auf dem anderen. Darunter waren jeweils Namen aufgelistet. Lord Winter mußte die Listen nicht durchsehen um zu wissen, daß sein Name nicht dabei war.

»Wenn ich mich nicht irre, hast du heute Geburtstag«, sagte der Earl. »Das ist mein Geschenk.«

Lord Winter schwieg noch immer. Seine Miene war jetzt unnahbar und leblos, doch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit.

Sein Vater fühlte sich indessen zu weiteren Vorwürfen veranlaßt. »Wenn ich mich nicht irre, ist es dein einunddreißigster Geburtstag. Ich könnte bereits einen zehnjährigen Enkel haben.«

Lord Winter preßte die Lippen zusammen und senkte den Blick.

»Wenn ich einen Enkelsohn hätte«, fuhr der Earl scheinbar sanft fort, »dann könntest du dir mit meinem Segen im Eis der Antarktis dein Grab schaufeln. Oder im Sand deiner heiß geliebten arabischen Wüste oder in irgendeinem grauenhaften Urwald – es stünde dir frei, an welchem barbarischen Ort du dich umbringen willst.«

Aufreizend gelassen nahm Viscount Winter die Blätter vom Tisch. Fast behutsam hielt er sie in der Hand. Einige andere Clubmitglieder hoben die Köpfe, beugten sich jedoch sogleich wieder eifrig über ihre Lektüre. Sir John und Lord Gresham unterhielten sich angeregt über die Qualität des Club-Sherrys.

»So wie die Dinge liegen«, fuhr der Earl bissig fort, »bin ich gezwungen, mich um dein Wohlergehen zu kümmern und deine abenteuerlichen Pläne zu durchkreuzen, solange du mein einziger Erbe bist, unverheiratet und kinderlos.«

»Deine väterliche Fürsorge ist wie immer geradezu heldenhaft«, sagte Viscount Winter leise und gab seinem Vater die Blätter zurück. »Ich hoffe, du mußtest nicht allzu viele Stimmen der Lords kaufen, um dein Ziel zu erreichen. Daß ich von der Liste gestrichen wurde, hat der Gesellschaft wohl ein stolzes Sümmchen eingebracht?«

»Weihnachten verbringen wir in Swanmere«, wechselte der Earl das Thema.

»Du brauchst die Dienstmädchen wegen meines Zimmers nicht bemühen, ich werde im Ausland sein.«

Earl Belmaine biß die Zähne zusammen und sah seinen Sohn mit einem kalten Lächeln an. »Keine Angst, deinetwegen würde ich nicht einmal einen Stallburschen bemühen.«

Lord Winter machte eine knappe Verbeugung. »Darf ich mich jetzt empfehlen?«

»Leb wohl.« Der Earl wandte sich ab und ging. Am Türpfeiler blieb er stehen und drehte sich um. »Ich wünsche dir noch viel Vergnügen an deinem Geburtstag.«

Viscount Winter reagierte nicht. Wie versteinert stand er da.

Anstatt nach dieser bissigen Bemerkung sofort zu gehen, wie es zunächst seine Absicht gewesen war, betrachtete Earl Belmaine seinen hochgewachsenen Sohn. Das kalte, markante Gesicht zeigte nicht die leiseste Spur einer Gemütsregung. So einfach konnte der Earl nicht alle Brücken hinter sich abbrechen. Aber noch während er die Frage aussprach, ärgerte er sich über seine eigene Schwäche. »Willst du mir gütigerweise sagen, wohin du gehst?«

»Damit du mich auch daran hindern kannst?« entgegnete der Viscount kalt.

Der Earl hielt seine Zunge im Zaum, wohl wissend, daß er seinen Sohn schon mehr als genug provoziert hatte und daher mit allen möglichen Konsequenzen rechnen mußte. Er traute dem Viscount nämlich durchaus zu, daß er irgendein Weibsstück aus einem Harem anschleppen und es seinen Eltern als seine Braut präsentieren würde. Er verstand seinen Sohn nicht mehr, weder dessen Sinn für Humor noch sein unbezähmbares Fernweh. Mittlerweile wußte er jedoch, daß es klüger war, sich damit abzufinden. »Dann also frohe Weihnachten«, sagte er resigniert.

»Wünsche ich auch, Sir.«

Nachdem Earl Belmaine gegangen war, herrschte einen Moment lang völlige Stille. Nicht einmal das Umblättern einer Buchseite war zu hören. Gefaßt sah der Viscount seinem Vater nach. Dann ging er zu seinem Platz am Fenster zurück, wo Sir John und Lord Gresham neben den Bücherstapeln und dem Wirrwarr von Blättern auf ihn warteten.

Lord Winter setzte sich und goß sich ein Glas Sherry ein. Nachdenklich starrte er in das Glas, nahm einen Schluck und stellte es dann zur Seite.

»Meine Herren«, begann er gedehnt, »ich habe mich entschlossen, Ihnen bei der Suche nach dem arabischen Pferd meine Unterstützung anzubieten.« Ein leicht zynisches Lächeln ließ seine sonderbaren Augen aufblitzen. »Genau gesagt, werde ich mich selbst auf die Suche machen.«

In der Clubbibliothek blieb es still, nachdem sich Sir John und Lord Gresham mit überschwenglichen Dankesbezeigungen verabschiedet hatten. Den ganzen Nachmittag über war nur noch das Zischen und Knacken des Kaminfeuers zu hören, das Herumblättern in Büchern und das leise Schnarchen des französischen Diplomaten, der, die Wiener Tageszeitung über dem Gesicht, ausgestreckt auf einem Sofa lag. Schließlich, als das Gemurmel der Dinnergesellschaft vom Speisesaal nach unten drang, klang dies wie Musik in Lord Winters Ohren. Er stand auf, reckte sich und klemmte sich ein Buch unter den Arm.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er, vorbei an anderen Clubmitgliedern, die Treppe nach oben. Drei Männer standen neben dem Eingang zum Speisesaal. Sie lehnten lässig an der Wand und lachten, während einer von ihnen seine Pfeife ausklopfte.

»Da ist er ja!« rief einer dem Viscount zu. »Unser edler Lord der Wüste!«

Lord Winter blieb stehen und blickte von einem zum andern. »Ja, hier bin ich«, sagte er und wollte sich gleich wieder empfehlen. »Guten Abend.«

»Dieser Winter ist vielleicht ein ungeselliger Bursche.« Die drei grinsten ihn an.

Sie meinten es nicht böse, aber Lord Winter spürte Unbehagen in sich aufsteigen und lächelte steif. »Ich bin eben ein unruhiger Geist.«

»Na, dann gönn dir mal eine Pause und iß mit uns zu Abend.«

Lord Winter zögerte. Dann zuckte er entschuldigend mit den Achseln.

»Besten Dank, aber ich bin ein verdammt schlechter Gesellschafter.«

Er hob kurz die Hand zum Gruß und ging an ihnen vorbei.

Der Tisch, den er für gewöhnlich wählte, ein Einzeltisch nahe der Tür, war frei. Als er Platz nahm, drangen trotz des allgemeinen Stimmengewirrs die Worte der drei Männer klar und deutlich an sein Ohr:

»Ein arroganter Einzelgänger.«

»Kennst du ihn näher? Ich habe ihn noch nie in Begleitung gesehen.«

»Er ist auch zu selten im Land, als daß man ihn überhaupt zu Gesicht bekäme. Hat sich lange in der syrischen Wüste herumgetrieben, und jetzt will er zum Südpol.«

»Zum Südpol, du meine Güte. Wenn das keine Herausforderung für euch Jungs vom Travellers’ Club ist. Welches College hat er besucht?«

»College? Der hat wahrscheinlich Gouvernanten und Privatlehrer gehabt. Er ist Belmaines Erbe, hast du das nicht gewußt?«

»Ach!« Interesse und Erstaunen taten sich in diesem einen Wörtchen kund.

»Belmaine!«

»Der einzige Sohn. Sonst keine Kinder. Haben unverschämt viel Vermögen – und dann natürlich noch den Adelstitel. Der Kerl hat verdammt viel Glück.«

»Muß angenehm sein, allein auf einem so hohen Podest zu stehen.«

»Dem Fatzke scheint’s jedenfalls zu gefallen. Hab’ ich ihn gefragt, ob er mit uns essen will, oder nicht?« Die Stimmen verstummten. Der Viscount sah das Achselzucken förmlich vor sich. »Mieser Gesellschafter, hat er doch selbst gesagt.«

Lord Winter blätterte in seinem Buch und begann zu lesen.

Kapitel 1

Syrien, 25. Juni, 1839

Reverend Mr. Thompson war begreiflicherweise von Schauder erfaßt. Angesichts der menschlichen Gebeine, die vor dem Grabschacht auf einem Haufen lagen, dauerte es eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte. Der Totenschädel lag obenauf. Beleuchtet war die gespenstische Szenerie lediglich von zwei Wachsstöcken, die in den Augenhöhlen des grinsenden Dinges stickten. Seltsame Schatten tanzten auf dem Holzsarg, und ringsum reihten sich die finsteren Gesichter der wild aussehenden mohammedanischen Diener.

Der Reverend hatte sich im Irrgarten der Festung Dar Joon verlaufen. Es war bereits zwei Stunden nach Mitternacht gewesen, als die Diener, alle mit Turban und langen, herunterhängenden Schnurrbärten, den Sarg anhoben, um Lady Hester Stanhope zu ihrer letzten Ruhestätte zu tragen. Nur wenige Augenblicke war Mr. Thompson zurückgeblieben. Er wollte sich die Bestattungsriten der Church of England noch einmal vergegenwärtigen, damit die Zeremonie ohne unschickliche Verzögerung und lästiges Nachschlagen in seinen Unterlagen vonstatten gehen konnte.

Das war jedoch höchst unklug gewesen. Sobald sich nämlich der Trauerzug mit den Fackeln und Laternen vom Hof aus in Bewegung gesetzt hatte und in Lady Hesters dschungelähnlichem Garten verschwunden war, blies ein heftiger, heißer Windstoß die Fackel des amerikanischen Missionars aus und ließ ihn in tiefster Dunkelheit zurück. Er mußte sich durch ein Labyrinth verschlungener Pfade tasten. Das Stimmengemurmel hob an und verebbte, und der schwache Schein einer Fackel verschwand immer wieder hinter einem Mauerabschnitt oder einer Wegbiegung. Er war geraume Zeit umhergeirrt, über Wurzelwerk gestolpert und hatte sich durch wuchernde Jasminranken gekämpft, bis er endlich zum Grabtempel kam.

Der makabre Anblick, der sich ihm bot, versetzte ihm einen gehörigen Schrecken. Aber Mr. Moore, der englische Konsul, trat an seine Seite und sagte mit beschwichtigender Geste und Blick auf die Gebeine: »Beachten Sie ihn einfach nicht. Es ist nur ein Franzose.«

»Ach so.« Mr. Thompson rollte die Augen und blickte den Konsul wie ein unruhiges Pferd an.

»Es ist Kapitän Loustenau«, flüsterte Mr. Moore. »Ich habe ihn herausgelegt, um für sie Platz zu machen. Der Ärmste war hier zu Besuch, bekam Bauchschmerzen und wurde ganz plötzlich dahingerafft. Liegt Jahre zurück. Sie wollte seine sterblichen Überreste unbedingt hierbehalten.« Er zuckte mit den Achseln. »War ein fauler Schmarotzer, sagt man. Aber genau nach ihrem Geschmack, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Mr. Thompson gab einen verneinenden Laut von sich.

»Er war jung und sah gut aus«, erklärte Mr. Moore.

»Ach so«, erwiderte Mr. Thompson unsicher.

»Zu ihrer Zeit war der alte Barker Konsul«, fügte Mr. Moore in vertraulichem Ton hinzu, »und der pflegte zu sagen, Michael Bruce sei das bestaussehende Mannsbild, das je auf Gottes Erdboden gewandelt sei.«

»Tatsächlich?«

Mr. Moore sah ihn amüsiert an. »Er war ihr Geliebter, wissen Sie?«

Mr. Thompson schürzte die Lippen.

»Hat ihn doch glatt in ihr Bett gelockt, da war er dreiundzwanzig. Und sie muß wohl vierunddreißig, fünfunddreißig gewesen sein, mindestens. War damals schon eine eingefleischte Junggesellin. Haben gemeinsam die ganze Türkei und Syrien bereist. Und stolz war sie, wie ein Lord. Hat sich einen Dreck um die Meinung anderer geschert. Lief ständig in Hosen herum und saß so breitbeinig im Sattel wie ein türkischer Pascha. Heiraten wollte sie Bruce nie, obwohl er sie angefleht haben soll. Sie zog es vor, allein hier zu leben. Der alte Barker sagte, sie hätte damit ganz schön geprahlt. Sie tat so, als sei es eine edle Tat, ihn wegzuschicken. Er sollte nach Hause zurückkehren und zu Ehren kommen.« Mr. Moore schüttelte den Kopf. »Um so bedauerlicher, daß er es nie zu etwas gebracht hat.«

»Ich verstehe«, sagte Mr. Thompson, »wie außergewöhnlich.«

Die zwei Männer blickten starr auf den Sarg. Beide dachten sie an den nackten weißen Körper. Nach einem scharfen Tagesritt von Beirut hatten sie den Leichnam entdeckt, der in der schwülen Hitze schon zu verfaulen begann. Mr. Thompson hatte das Gefühl, er müsse irgend etwas über den Lohn der Sünde sagen, aber dann fand er, daß dieses dramatische Ende Strafe genug sei. Mutterseelenallein unter fremden Nichtchristen zu sterben, inmitten all des Plunders und der Trümmer dieser Wüstenfestung, das schien ihm Strafe genug für eine Übertretung, die vor mehr als fünfundzwanzig Jahren geschehen sein mußte. Mr. Moore konnte kaum glauben, daß die schrullige alte Hester Stanhope, die verrückte Königin der Wüste, einmal die Macht besessen hatte, einen Weiberhelden wie Bruce zu ihrem Sklaven zu machen. Obgleich Mr. Moore Lady Hester zu ihren Lebzeiten nie persönlich kennengelernt hatte, wußte er sehr viel über sie, bedingt durch ihren Ruf und die erbarmungslosen Fehden mit den englischen Konsuln, ihn selbst eingeschlossen – mit dem Effekt, daß er hierher, in ihren Einflußbereich, versetzt worden war. Dennoch konnte sich Mr. Moore Lady Hester nur als eine in die Jahre gekommene Einsiedlerin vorstellen, die Prophezeiungen machte, sich in die Angelegenheiten der Konsuln einmischte und von ihrem ›Allerheiligsten‹ aus, ihrer unbezwingbaren Feste, gehässige Briefe verschickte, worin sie wegen ihrer Schulden Gift und Galle spie.

»Sie war schon höllisch verschroben, sage ich Ihnen, und Haare hatte sie auf den Zähnen …«

»Gott sei ihrer armen Seele gnädig«, meinte darauf der Missionar sanft.

»Amen«, sagte Mr. Moore. »Besser, wir bringen es bei der Hitze rasch hinter uns.«

Mr. Thompson hatte sich inzwischen gesammelt, nahm das Gebetbuch und begann zu lesen. Während die lauten, eindringlichen Worte im Grabtempel widerhallten, näherte sich im flackernden Lichtschein ein weiterer Engländer.

Der Konsul warf ihm einen höflichen Blick zu, dann sah er wieder andächtig zu Boden. In der Annahme, es handle sich um einen Trauernden, der mit der Verblichenen eng verbunden war, hielt Reverend Thompson im Gebet inne und erwartete, daß der Zuspätgekommene näher an den Sarg herantreten würde. Doch der Mann kam nicht nach vorn, sondern blieb statt dessen ein wenig abseits stehen.

Er war von großem, stattlichem Wuchs, trug Stiefel und einen englischen Jagdrock, und am Gürtel, quer über der Brust, hing eine Pulverflasche. Sein Haar war so schwarz wie das offene Grab. Im schwachen Licht waren die Augen rabenschwarz, und seine Ausstrahlung erschien Mr. Thompson, der ohnehin schon schwache Nerven hatte, auf äußerst beunruhigende Art und Weise satanisch.

»Lord Winter«, flüsterte ihm Mr. Moore zu.

Da der Name dem amerikanischen Missionar nichts sagte und Lord Winter Mr. Thompsons freundliches Kopfnicken nur mit einem starren Blick erwiderte, fuhr der Geistliche mit der Bestattungszeremonie fort. Dem Reverend saß noch immer der Schreck in den Gliedern, doch er tröstete sich damit, daß dieses bizarre Begräbnis – zusammen mit einigen anderen Erlebnissen bei den Unwissenden im Orient, die er in seinem Tagebuch festgehalten hatte – wenigstens einen ansehnlichen Band mit Reiseerinnerungen abgeben würde, wenn die Zeit reif dafür war.

Was Lord Winter betraf, so war an ihm trotz der ungewöhnlichen Szene nicht die geringste Spur von Überraschung oder Abscheu zu entdecken. Der Leichnam wurde in würdiger Stille beigesetzt. Nur das unterdrückte Schluchzen einer schwarzen Dienerin war zu hören. Neben ihr stand schweigsam und aufrecht ein junger Beduine. Die verfilzten Haare fielen ihm bis auf die Schultern, und seine schmutzigen Füße waren nackt. Mit dem Krummdolch an der Seite und der altertümlichen Muskete über der Schulter wirkte er wie ein junger Panther, der geradewegs aus der Wüste kam. Lord Winters suchender Blick verweilte einen Moment lang auf dem Beduinen, seinen mädchenhaften, kajalgeschminkten Augen, den vollen Lippen und dem aparten Kinn, das den jungen arabischen Nomaden eigen ist. Lord Winter kannte die Beduinen und zweifelte deshalb nicht daran, daß diese äußerliche Zartheit eine Täuschung und der Junge ein zäher Bursche war, in dem das Zeug zum kaltblütigsten Banditen steckte. Doch er war nicht der Mann, nach dem Lord Winter Ausschau hielt.

Offenbar zog es diese bestimmte Person vor, der Bestattung nicht beizuwohnen. Viscount Winter dachte jedoch nicht länger darüber nach, da er wußte, daß sich solch ein Individuum hütete, sich in die Festung Dar Joon vorzuwagen, wenn Fremde aus dem Okzident anwesend waren.

Höhnisch grinsend verfolgte Lord Winter, wie der Konsul den Union Jack auseinanderfaltete und über Lady Hesters Sarg legte. Von all ihren Feinden waren ihr die Missionare und englischen Konsuln am verhaßtesten gewesen. Schon der Gedanke, mit der britischen Nationalflagge ins Grab gelegt und von einem christlichen Geistlichen beerdigt zu werden, hätte sie rasend gemacht.

War es auch purer Zufall, daß der Viscount bei Lady Hesters Begräbnis zugegen war – er hatte auf ihrer Bergfestung eine private Angelegenheit zu erledigen -, so bedauerte er doch, sie vor ihrem Tod nicht mehr besucht zu haben. Ein melancholisches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Nein. Wenn er gewußt hätte, daß es mit ihr zu Ende ging, hätte er mit den wildesten Beduinen Dar Joon gestürmt, und Lady Hester wäre im Kampf gefallen. Das hatte sie sich immer gewünscht. Sie hatte es ihm selbst gesagt.

So hätte er es machen sollen.

Kaum war die Bestattung vollzogen, die Gebeine des Franzosen neben Lady Hesters Sarg gelegt und das Grabportal geschlossen, da trat Mr. Moore zu Lord Winter und reichte ihm die Hand. »Guten Abend, Mylord. Oder besser gesagt, guten Morgen. Ein undankbares Geschäft, so eine Beerdigung. Aufmerksam von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«

»Ich war sowieso in der Gegend«, erwiderte Lord Winter kurz angebunden.

»Waren Sie ein Freund der Verstorbenen?« fragte Mr. Thompson erwartungsvoll.

»Ja.« Dann, nach einer kurzen Pause, fügte Lord Winter hinzu: »Ich hatte die Ehre.«

»Sie war gewiß eine bemerkenswerte Lady«, sagte der Reverend feierlich.

»In der Tat«, beeilte sich der Konsul zu sagen. »Ihr Leben war außergewöhnlich. Wollen Sie uns bei einem Nachtmahl unten im Dorf Gesellschaft leisten, Mylord? Wir können dort auch übernachten.«

»Ihr Angebot klingt verlockend, aber ich ziehe es vor, die Nacht hier zu verbringen, wenn Sie gestatten.«

Mr. Moore sah ihn erstaunt an. »Hier? Ich muß alle Räume versiegeln. Auch die Dienerschaft kann nicht bleiben.«

»Vielleicht«, warf der Missionar in sanftem Ton ein, »möchte Lord Winter in seiner Trauer noch eine Weile allein sein.«

»Oh, ja, natürlich.« Mr. Moore bedachte den angeblich Trauernden mit einem skeptischen Blick. Bisher hatte er den ehrenwerten Arden Mansfield, Viscount Winter, nicht für einen sehr gefühlvollen Menschen gehalten. »Nun gut, wenn das so ist, machen wir selbstverständlich eine Ausnahme.«

»Danke für Ihr Verständnis.« Lord Winter neigte den Kopf. »Ich bin Ihnen sehr verbunden.«

Mr. Moore schien noch etwas sagen zu wollen, doch er hielt sich zurück. Statt dessen lächelte er wissend und machte seinerseits eine knappe Verbeugung.

Es hätte den Konsul sehr überrascht, wenn Lord Winter tatsächlich von tiefer Trauer ergriffen wäre. Nachdem die ganze Dienerschaft zusammengetrieben und aus Dar Joon mit lohenden Fackeln verscheucht worden war – die Fackeln dienten nur vordergründig dazu, den steilen, zerfurchten Pfad für den Missionar und Mr. Moore zu beleuchten, in Wirklichkeit sollten sie die Dämonen und Hyänen fernhalten -, verriegelte Lord Winter das Tor und ging durch den dunklen Garten zurück zum Grab. Er brach eine Rose von einem Busch und starrte verdrossen auf den zertrampelten Boden und die verdreckten Steinplatten vor dem Grabschacht. Der verwahrloste Zustand der Grabstätte rührte von jahrzehntelanger Vernachlässigung her. Dennoch war Dar Joon, von dem nicht mehr als eine Ruine übrig war, für Lord Winter der sagenumwobene Palast der Königin der Wüste.

Die Wüste und Lady Hester. Das war Zunder für die Träume seiner Kindheit gewesen, der Funke und die Flamme im Mannesalter. Der englische Nebel, die angelegten Gärten von Swanmere mit den zurechtgestutzten Hecken, nichts war Arden jemals so lebendig erschienen wie die rauhe Wildnis. Und keine Frau hatte ihn je so gefesselt wie Lady Hester Stanhope.

Schon als kleines Kind hatte er von ihr gehört. Als er fünf Jahre alt war, trotzte sie räuberischen Beduinen, durchquerte die Wüste und fand als erste Engländerin Einlaß in Palmyra. Während Arden noch in den Kinderschuhen steckte und mit Angelstecken die Forellen seines Vaters aufscheuchte, ging sie in den Trümmern von Askalon auf Schatzsuche. Er konnte mit seinem Pony gerade die ersten Hindernisse überspringen, als sie die Truppen eines Paschas anführte, um für die Ermordung eines Freundes blutige Rache zu üben und einen ganzen Landstrich in Schutt und Asche zu legen. Noch bevor er ein Mann war, hatte sie einem Emir die Stirn geboten, es gewagt, den Prinzen des Morgenlandes herauszufordern, und ihm gedroht, seinen Sohn eigenhändig zu töten, wenn er nicht auf ihre Forderungen einginge. Sie kleidete sich wie die Stammesangehörigen der Wüste und wie die Türken, bot verwundeten Drusen, aufständischen Albanern, Waisenkindern und besiegten Mameluken Unterschlupf. Und als der alles bezwingende und allmächtige Ibrahim Pascha sie zur Übergabe seiner Feinde nötigen wollte, hatte sie ihm geantwortet: »Komm und hol sie dir!« Aber das hatte er nicht gewagt.

Nie war Arden von ihr enttäuscht worden, wenngleich sie sich im Alter den absonderlichsten Theorien hingab und in die Astrologie und Magie flüchtete. In ihren späten Jahren war sie majestätischer als jede andere Frau, der Arden jemals begegnet war. Man sagte von ihr, sie habe sich für die Braut des künftigen Messias gehalten, aber Arden hatte das nie selbst von ihr gehört. Nur, daß sie einmal an seiner Seite in Jerusalem einreiten würde. Sie hatte ein übersteigertes Selbstbewußtsein und ein gefährliches Mundwerk, und ihr Verstand war von absurden Zukunftsvisionen verwirrt. Aber mit dem Mut einer Löwin hatte sie den Berg verteidigt; ihren Berg, auf dem, den grausamen Tyranneien des Orients zum Trotz, nur ihre eigenen Gesetze galten.

Arden warf die weiße Rose neben den Grabschacht. Er war zu spät geboren. Hester Stanhope war tot. Niemals würde er eine Frau finden, die sich mit ihr messen konnte. Und jetzt, in dieser Nacht, spürte er den Stachel der Einsamkeit und Rastlosigkeit, der ihn umtrieb – ihn schon immer in die verlassenen, rauhen Winkel dieser Erde getrieben hatte, als könnte er nur dort seinen Seelenfrieden finden – so schmerzhaft wie seit langem nicht mehr.

Leise fluchend löschte er seine Lampe und verließ die Grabstätte. Ziellos ging er unter dem sternenklaren Himmel umher, suchte dann auf den geschlängelten Pfaden seinen Weg zu den Gästehäusern, wo er sich ein Nachtlager zurechtmachen wollte. Zweimal verlief er sich im Gewirr der Mauern und Wege, bevor er endlich unerwartet in einen mit Gras bewachsenen Hof gelangte.

Er blieb stehen. In der Stille vernahm er ein Schluchzen – es war kein gewöhnliches Weinen, sondern das erschütternde, herzzerreißende Schluchzen einer abgrundtief verzweifelten Seele.

Lord Winter sah den schwachen Lichtstrahl, der aus einer offenen Tür in den Hof fiel. Daß er hier jemanden antraf, in einem Raum, der wie die anderen eigentlich versiegelt sein sollte, machte ihn stutzig. Absichtlich geräuschvoll ging er durch das Gras. Er blickte in das Zimmer, aus dem die jämmerlichen Klagelaute kamen, und sah eine Gestalt in einer schmuddeligen, gestreiften Aba, die in ihrem Elend zwischen geöffneten Truhen und Kisten voller Schriftstücke auf dem Boden kauerte.

Lord Winter dachte nicht daran, sich zu verbergen, sondern blieb in der Tür stehen. Dennoch sprang der Junge vor lauter Schreck zurück, als er ihn ansprach. Blätter wirbelten auf, und ein Hocker kippte um. Das krachende Geräusch hallte wie ein Schuß von den Steinwänden wider.

»Friede sei mit dir«, grüßte Lord Winter auf arabisch. Er erkannte den Beduinen mit dem langen, verfilzten Haar und der alten Muskete wieder. Der Junge erwiderte nichts, sondern starrte Lord Winter an, stoßweise atmend und mit angstgeweiteten Augen.

Der Beduine hatte allen Grund, entsetzt zu sein, war es doch die Absicht des Konsuls gewesen, alle Diener aus Dar Joon auszusperren. Niemand, der die Beduinen auch nur ein bißchen kannte, würde daran zweifeln, daß dieser räuberische Wüstensohn in diebischer Absicht zurückgeblieben war, mochte er nun weinen oder nicht. Der Halbwüchsige stand wie zum Sprung bereit, als rechnete er damit, jeden Moment attackiert zu werden.

»Ma’aleyk, dir wird nichts Böses geschehen, junger Wolf. Komm und trinke Kaffee mit mir«, sagte Lord Winter beschwichtigend.

Wenn er erwartet hatte, durch dieses gastfreundliche Angebot irgendein Zeichen von Freundlichkeit oder Dankbarkeit bei seinem Gegenüber zu bewirken, so hatte sich Lord Winter getäuscht. Der Bursche schien eine besonders mißtrauische Natur zu sein. Hartnäckig schwieg er weiterhin und rührte sich nicht von der Stelle.

»Yallah!« Arden wandte sich zum Gehen. »Dann mach schnell und pack dein Diebesgut ein. Gott ist groß!«

»Lord Winter«, rief der Junge mit heiserer Stimme und perfektem englischem Akzent aus. »Ich bin kein Dieb!«

Seinen Namen und seine Muttersprache aus dem Mund dieses schäbigen Wüstenstrolchs zu hören, verblüffte Arden mehr, als er zugeben wollte. Er drehte sich um, eine Augenbraue gehoben.

»Mylord, werden Sie mich dem Konsul ausliefern?« fragte der Beduine verzweifelt.

»Meinetwegen kannst du soviel von dem Kram stehlen, wie du schleppen kannst«, entgegnete Lord Winter auf englisch. »Allerdings sieht es so aus, als hätten Lady Hesters ergebene Untertanen nicht mehr viel übriggelassen.«

»Ich stehle nicht!« verteidigte sich der Junge mit Nachdruck.

Lord Winter lehnte sich an den Türpfosten und nickte skeptisch. »Wenn du es sagst.«

»Der Konsul …«

»Mein liebes Kind, du verkennst mich, wenn du glaubst, daß ich nichts Besseres zu tun hätte, als alles Mr. Moore auszuplaudern, um ihm zu Gefallen zu sein. Ich möchte sogar behaupten, daß er sich darüber selbst wundern würde. Hat dich Lady Hester Englisch gelehrt?«

Der Junge zögerte und antwortete dann auf arabisch: »Ja, ma’alem. Möge es Allah gefallen.«

»Sie scheint damit außergewöhnlich erfolgreich gewesen zu sein. Wie lange standest du in ihren Diensten?«

Die Fragen schienen den Beduinen einzuschüchtern. Er blickte zu Boden und murmelte: »Viele Sommer lang, ma’alem.«

Der Stimme nach und dem glatten, bartlosen Gesicht zufolge schätzte ihn Arden auf höchstens fünfzehn Jahre. Er war groß für einen Beduinenknaben – aber er hatte das reine, asketische Aussehen, das einem nur die Wüste verleiht. Alles an ihm war beduinisch. Die kleinen, graziösen Hände unter den ausgefransten Ärmelaufschlägen und die schulterlangen Zöpfe neben den Wangen, Kennzeichen der jungen Nomaden im heiratsfähigen Alter, und der riesige Krummdolch an seiner Hüfte. Er war gertenschlank, und sein trauriges, verweintes Gesicht hatte einen zarten, sonnengebräunten Teint.

Arden empfand Sympathie für ihn, allein deshalb, weil er Beduine war, ein Angehöriger der freiesten Rasse der Welt. »Komm, kleiner Wolf, trinke Kaffee mit mir, und der Herr möge dich beschützen.«

Der Junge blickte unter den langen, feuchten Wimpern hervor. Er schien die Einladung nicht annehmen zu wollen. In seinen dunklen Augen, die ängstlich und groß wie die einer Gazelle waren, schimmerten Tränen. Lord Winter stand dem Weinenden einigermaßen hilflos gegenüber. Denn mit Kindern hatte er normalerweise nichts zu schaffen, und Frauen suchte er nur aus einem einzigen Grund auf, da er für das weibliche Geschlecht im allgemeinen nur kühle Verachtung empfand. Seine heftige Abneigung galt allerdings den langweiligen, nach Blümchen duftenden englischen jungen Ladys, von denen man ihm schon so viele vorgestellt hatte, in der Hoffnung, er möge seinen aristokratischen Pflichten nachkommen und eine von ihnen zur Frau nehmen.

Aber beim Anblick der zitternden Lippen und tränennassen Augen fürchtete Lord Winter schwach zu werden. »Sohn des Wolfes, weine nicht, du bist ein Araber!« herrschte er ihn an, um die drohende Tränenflut aufzuhalten.

Der scharfe Tadel hatte jedoch den gegenteiligen Effekt. Der Junge brach augenblicklich in Tränen aus und schlug die Hände vors Gesicht.

Lord Winters Blick verweilte einen Moment lang auf der schmalen Gestalt. Dann schulterte er sein Gewehr und stieß die Tür auf. »Ganz wie du willst.« Er ging hinaus in den Hof und überließ den Jungen seinem Schicksal.

Kapitel 2

Das erbarmungswürdige Individuum, das er tränenüberströmt zurückließ, sank zu Boden. Ringsum verstreut lagen die nutzlosen Papiere. Zenobia zitterte immer noch vor Angst, weil sie entdeckt worden war. Auch von Weinkrämpfen, die Lord Winter so abstoßend fand, wurde sie erneut geschüttelt.

Ausgerechnet Lord Winter! Wenn es doch bloß der getreue Dr. Meryon gewesen wäre, der nette Monsieur Guys vom französischen Konsulat oder wenigstens einer der deutschen Reisenden! Jeder wäre ihr lieber gewesen als Lord Winter mit seiner kalten Gleichgültigkeit und dem bissigen Humor, der auch ihrer Mutter eigen gewesen war.

Zunächst war sie davon überzeugt, daß er sie wegen Diebstahls beim Konsul anzeigen würde. Unweigerlich wäre sie Emir Bechir ausgeliefert worden, der ihr, im Glauben, einen Beduinen vor sich zu haben, die Hand hätte abhacken lassen. Oder der Konsul hätte Tausende von Pfund gefordert, die Lady Hester ihren Gläubigern schuldete, wenn er wüßte, wer sie wirklich war. Die Engländer hatten die Pension ihrer Mutter einbehalten, um deren Schulden zu tilgen. Daraufhin hatte Lady Hester, rasend vor Wut, an die englische Königin höchstpersönlich geschrieben und ihre englische Staatsbürgerschaft aufgegeben. Denn, so ihre Begründung, einer Nation voller Sklaven könne sie nicht länger angehören. Was aber, wenn der Konsul nun dahinterkam, daß Lady Hester eine Tochter hatte? Würde er dann nicht alles daransetzen, daß die Gläubiger an ihr Geld kämen? Er würde es den jüdischen Geldverleihern, den türkischen Händlern und der englischen Königin mitteilen. Zenia sah sich bereits als Sklavin verkauft. Unter der schäbigen Kleidung war sie weißhäutig und somit sehr wertvoll. Sie war das einzige von Wert, was Lady Hester hinterlassen hatte. Zenia hätte nicht die geringste Chance zu entkommen, um nach England zu gelangen und dort ihren Vater zu finden. Nie würde sie das Land sehen, das ein einziger Garten war; nie bei ihrem eigenen Volk leben oder ein Kleid besitzen, wie es englische Ladys trugen.

Der Gedanke an ein Kleid trieb ihr erneut Tränen in die Augen. Sie war fünfundzwanzig und ging barfuß. Zenia überraschte es nicht, daß Lord Winter sie für einen Beduinenjüngling hielt. Als Kind hatte sie die Tracht türkischer Männer tragen müssen. Nur Lady Hesters Zofe, Miß Williams, die von ihrer despotischen Herrin zu den Ungläubigen gezählt wurde, hatte für Zenia heimlich englische Kleider genäht. Und wenn Lady Hester schlief, brachte sie ihr bei, wie man einen Knicks macht, und lehrte sie noch einige andere englische Umgangsformen. Als Miß Williams starb, wurde Zenia zu den Beduinen in die Wüste geschickt. Und seitdem hatte sie weder ein Kleid noch Schuhe oder Strümpfe besessen. Die Beduinen gaben Zenia eine Muskete, ein Kamel und einen arabischen Namen und zogen sie in Fragen der Magie zu Rate, weil sie die Tochter der Königin der Wüste war.

Zenia schlang die Arme um ihre Knie und vergrub die Hände und die rauhen Füße tief in den weiten Falten ihres Umhangs. O ja, sie war eine echte Prinzessin. Eine Prinzessin im Land der Gesetzlosen und des Hungers. Was für eine jämmerliche Herrscherin!

Als sie von Lady Hester nach Dar Joon zurückbefohlen worden war, hatte Zenia einige hoffnungsvolle Tage lang geglaubt, dies geschehe aus Zuneigung oder weil ihre Mutter sich einsam fühle. Sie bildete sich sogar ein, ihre Mutter wolle sie nach England schicken. Doch ihre Hoffnungen wurden bald enttäuscht. Es war ihr nicht erlaubt, die Beduinenkleidung abzulegen; sie konnte sie nicht einmal wechseln, weil sie kein Geld hatten, um neue zu kaufen. In den letzten fünf Jahren war sie den verrückten Launen ihrer Mutter ausgeliefert gewesen. Sie verbarg sich hinter Paravents, wenn Lady Hester ihre seltenen englischen Besucher empfing. Einmal hörte sie, wie sie Lord Winter sagte, sie würde eher mit Mauleseln als mit Frauen schlafen. Lord Winter hatte gelacht und gemeint, sie sei wohl zu streng, denn schlafen sei das einzig Erträgliche, was er mit Frauen machen könne.

Warum mußte ausgerechnet Lord Winter hier auftauchen?

Zenia nahm die Miniatur, die sie unter der gestreiften, abgetragenen Aba um den Hals trug, fest in die Hand. Die Miniatur war das einzige, was sie besaß, der seidene Faden, an dem alles hing: der einzige Gegenstand, der ihr allen Erfahrungen zum Trotz die Gewißheit gab, daß sie nicht der in Lumpen gekleidete Beduinenjunge war. Vor Jahren, in einem Anfall von Hysterie, hatte Lady Hester all ihre Erinnerungsstücke aus dem Fenster geworfen. Miß Williams hatte sie jedoch von Hanah Massad wieder auflesen lassen. Die sanftmütige Gefährtin ihrer Mutter hatte, ängstlich um sich blickend, Zenia das winzige Porträt in die Hand gedrückt und geflüstert: »Das ist dein Vater. Vergiß das nicht! Sie darf nicht wissen, daß du es weißt.«

Die Angst in den Augen ihrer einzigen Freundin hatte einen tiefen Eindruck in dem Kind hinterlassen, das Zenia damals noch war. Alle fürchteten Lady Hesters Wutausbrüche und orientalischen Strafen. Sie zögerte zum Beispiel nicht, einem Diener, nur weil er etwas falsch gemacht hatte, mit einem Stock die Fußsohlen zu malträtieren, so daß er sein Leben lang ein Krüppel blieb. Sie brüstete sich der Wucht, mit der sie einer ungehorsamen Dienerin eine Ohrfeige geben konnte. Zenia hatte es sich angewöhnt, ängstlich um ihre Mutter herumzuschleichen, immer darauf bedacht, ihre Wünsche sofort zu erfüllen. Als Dank dafür wurde sie von ihr verlacht und als geistlose, biedere Miß beschimpft.

Vorgewarnt, wie sie war, hielt Zenia das Miniaturporträt vor ihrer Mutter versteckt. Nur ganz im geheimen holte sie das Bildnis unter ihren Gewändern hervor und prägte sich die Gesichtszüge des gutaussehenden jungen Mannes mit den schönen Augen ein. Sein zärtliches Lächeln schien jemandem in der Ferne zu gelten, den er liebte. In Zenias Träumen war sie es, die er vor sich sah. Die Miniatur enthielt eine Haarlocke und eine winzige Papierrolle, auf der in unregelmäßigen Schriftzügen folgendes geschrieben stand: ›Meiner Geliebten, der wunderbarsten Frau der Welt, in Liebe dein Mic. Bruce‹.

Seine Geliebte war natürlich ihre Mutter. Die wunderbarste Frau der Welt. Aber sein Lächeln – Zenia drückte die Miniatur an ihren Busen – sollte ihr gehören.

Das Andenken fest umklammernd, wischte sie sich mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht und erhob sich. Dann legte sie sämtliche Schriftstücke wieder in die Truhen, löschte die Lampe und kauerte sich mit der kaputten Muskete in eine Ecke. Ihre Mutter hatte es nie geduldet, daß in ihrer Gegenwart von England, geschweige denn von Zenias Wunsch, dorthin zu reisen, gesprochen wurde. Einmal jedoch – Lady Hester erging sich gerade in Erinnerungen an ihre Mädchenzeit, als sie von berühmten britischen Staatsmännern umgeben gewesen war – wähnte sich Zenia der Erfüllung ihres innigsten Wunsches nah. Lady Hester rauchte ihre Duftwogen verbreitende Nargile und erzählte Dr. Meryon eindrucksvolle Geschichten über ihren Onkel Mr. Pitt und ihren Großvater Lord Chatham, beide Premierminister. Sie imitierte Lord Byrons Lispeln und machte sich darüber lustig, wie Lamartine seinen Pudel küßte. In dieser sentimentalen, ausgelassenen Stimmung rief sie in den frühen Morgenstunden Zenia zu sich und versicherte ihr, sie habe Geld gespart, damit sie einmal nach Hause fahren könne.

Jetzt kam sich Zenia wie eine Närrin vor, weil sie ihrer Mutter Glauben geschenkt hatte. Lady Hester hatte es immer verstanden, die Menschen mit ihren Geschichten, die sie nächtelang erzählte, in ihren Bann zu ziehen. Zenia war zu leichtgläubig gewesen. Nun aber war sie sich sicher, daß Lady Hester nie Geld für sie zurückgelegt hatte. Oder wenn doch, so hatte sie es wahrscheinlich längst für Duellpistolen ausgegeben oder für goldbeschlagenes Kamelgurtzeug, mit dem sie irgendeinen glattzüngigen, verlogenen Pascha um den Finger gewickelt hatte. Vielleicht war das Geld aber auch von Lady Hesters habgierigen Dienern gestohlen worden.

Sie würde es auch allein schaffen. Auch wenn sie keinen Penny besaß, barfuß war und nicht wußte, wo oder ob ihr Vater lebte – Zenias Entschluß stand fest. Sie haßte die Wüste und Dar Joon. Sie würde den Weg nach Hause finden, in ihre Heimat, die sie nie betreten hatte. Sie würde ihren Vater in England finden und wie eine Engländerin, die sie schließlich war, leben.

Zenia lehnte sich mit dem Rücken bequem an die Wand. Die letzten vier Nächte hatte sie nicht geschlafen, sondern nur am Bett ihrer Mutter gewacht. In ihre fließenden weißen Gewänder gehüllt, lag Lady Hester darnieder, von Hustenanfällen und Atemnot geplagt, während die Diener in Dar Joon herumschlichen und alles stahlen, was ihnen zwischen die Finger kam. Lady Hester krächzte, jammerte und befahl Zenia, die Bastarde daran zu hindern. Sobald sie sich jedoch auch nur einen Schritt entfernte, flehte sie sie an, sie nicht allein zu lassen.

So behaglich in die Ecke gekuschelt, fürchtete Zenia einzuschlafen. Dar Joon hatte mehrere Geheimzugänge, und manchmal drangen Wölfe über die Mauern in die Festung ein. Sie fühlte sich einsam wie nie zuvor und bereute es, nicht mit den anderen hinunter ins Dorf gegangen zu sein. In der Dunkelheit voller Dämonen wagte sie es nicht, sich von der Stelle zu rühren. Sobald sie die Augen schloß, klang ihr das grausige Wehklagen ihrer Mutter in den Ohren. Wirklichkeitsnahe Träume entspannen sich daraus, und Zenia erschauderte. Sie hatte Angst, Lady Hesters Geist könne ihr erscheinen und nach ihr rufen. Sie vermeinte Stimmen zu hören, deren Echo in den leeren Räumen widerhallte. Gestalten in weißen Gewändern streckten bleiche Hände nach ihr aus und wollten sie packen.

Da krachte ein Schuß, und Zenia fuhr zusammen. Die Stimmen waren auf einmal echt. Sie hörte Schreie und hastige Schritte, drückte sich in die Ecke und starrte zur Tür. Licht schien auf, zuckte hin und her und warf draußen im Garten fantastische Schatten.

Eine Gestalt in orientalischen Kleidern stahl sich zur Tür herein. Zenia stockte der Atem. Es war ihre Mutter. Zenia preßte sich gegen die Wand. Atemlos blickte sie auf die Erscheinung. Starr vor Schreck saß sie da, sah, wie der Geist im dunklen Schatten neben dem Eingang verschwand. Für den Bruchteil einer Sekunde gewahrte sie blitzendes Metall. Dann wurde auch dies vom Schatten verschluckt. Das Klicken eines Gewehrspanners durchbrach die Stille.

»Kleiner Wolf!« flüsterte eine Männerstimme.

Die englischen Worte versetzten sie in panische Angst. Leise keuchend verharrte sie reglos. Sie wollte nicht antworten oder entdeckt werden.

»Kennst du einen Fluchtweg?« fragte er leise. »Sie belagern das Haupttor und den Tunnel, der vom Stall aus nach draußen führt.«

Zenia fürchtete sich zu sehr, um antworten zu könne. Zornige Stimmen kamen näher, eine Tür wurde krachend eingetreten.

»Zum Teufel mit dir! Wo bist du?«

»Hier«, antwortete sie leise.

»Dann hilf mir, verdammt noch mal!«

»Beim Springbrunnen.« Ihre Stimme zitterte. »Verdeckt von Weinranken.«

Er stieß einen englischen Fluch aus. »Nichts, was näher liegt?«

»Nein, Mylord!«

»Zeig mir den Weg!«

Sie saß immer noch furchtsam in der Ecke.

»Kommst du?« fragte er sanft. »Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen, mein Kleiner. Das sind Deserteure.«

Deserteure! Sie ergriff die Muskete und sprang auf, am ganzen Körper zitternd. Sie konnten nicht mehr weit weg sein. Plötzlich wurde es heller, sie stürmten in den Hof.

Wieder blitzte Metall auf, als Lord Winter vom Türpfosten aus abdrückte. Die Erschütterung ging Zenia durch Mark und Bein. Ein gelber Blitz tauchte sein Gesicht und den Raum in gleißende Helligkeit, brannte sich ein in ihre Augen. Dann war alles schwarz und erfüllt von wütendem Gebrüll.

»Los!« befahl Lord Winter, und Zenia stolperte zur Tür. Er tastete nach ihr, ergriff ihren Arm und schob sie hinaus.

Jemand rannte sie fast um. Sie unterdrückte einen Schrei und klammerte sich an Lord Winter. Er machte eine abrupte Bewegung, als derbe Hände sie packten. Ein entsetzlicher Schlag, ein dumpfer Schrei, und die Hände ließen von ihr ab. Zenia stieß hart gegen den Gewehrschaft, als Lord Winter aus dem Gleichgewicht kam. Sie bekam einen heftigen Stoß gegen das Schlüsselbein, die Gewehrläufe schlugen aneinander, und Zenia taumelte gegen die Hofmauer.

Lord Winter war im nächsten Augenblick dicht hinter ihr. Tief sanken ihre Füße in den schlammigen Boden, als sie um die Ecke lief. Zenia verließ sich ganz auf ihr Gedächtnis und ihren Tastsinn, denn es war stockfinster. Lord Winter faßte sie an der Schulter.

Ein Schuß knallte hinter ihnen und hallte von den Mauern wider. Zenia stolperte und verstauchte sich den Knöchel. Ihr Fuß steckte unter einer Wurzel fest. Ein brennender Schmerz schoß ihr ins Bein, als sie in einen Rosenstrauch fiel. Dornen zerstachen ihr Hände und Gesicht.

Lord Winter zog sie hoch, aber da stürzte sich plötzlich ein Mann auf ihn. Im Chaos des Kampfes konnte Zenia nicht unterscheiden, ob ein Messer oder die Dornen ihre Kleider zerfetzten. Sie rollte zur Seite und kam wankend auf die Knie. Sie schaffte es gerade noch, sich auf die Muskete zu stützen, als wieder ein ohrenbetäubender Schuß durch die Nacht peitschte. Wie gemeißelt sah sie die Szene vor sich: Lord Winter kniete sich nieder, setzte das Gewehr an, und der grelle Feuerball aus der Mündung traf einen bärtigen Mann mitten in die Brust. Schwer schlug sein Körper im Rosenbusch auf.

Zenia wollte weglaufen, knickte jedoch wieder um und fiel auf die Knie. Lord Winter half ihr hoch. Die Muskete als Krücke benutzend, tastete sie sich mit der freien Hand hinkend vorwärts.

Unversehens stieß sie sich an der marmornen Ecke des Springbrunnens. Vorsichtig ging sie um ihn herum, wühlte sich, auf der Suche nach der Geheimtür, durch wucherndes Geißblatt.

Licht warf einen Schatten an die Mauer. »Runter!« befahl Lord Winter in scharfem Ton. Zenia ließ sich fallen. Fahrig tastete sie die Mauer ab, voller Angst, er könnte keine Munition mehr haben. Vorhin, während sie rannten, konnte er unmöglich nachgeladen haben, und Pistolen hatte sie keine an ihm gesehen.

Noch während sie sich darüber Gedanken machte, feuerte er zweimal in rascher Folge. Das Licht erlosch.

Endlich spürte sie unter ihrer Hand den hölzernen Riegel. Sie drückte die Geheimtür auf. »Hier«, flüsterte sie.

Er folgte ihr durch das raschelnde Rankengewirr und kroch in das schräg abfallende Loch. Zenia rutschte auf dem Bauch weiter, die Muskete neben sich. Beim Ausgang angelangt, schob sie mit dem unverletzten Fuß das Tarngestrüpp beiseite und rutschte ins Freie. Weiß und still lagen das sternenbeleuchtete Kalksteingebirge und das Dorf vor ihnen. Die Felswand fiel an der Mauerbasis steil ab und verlor sich in der Dunkelheit in einem Meer von Felsbrocken.

Zenias Knöchel pochte, der stechende Schmerz raubte ihr fast den Atem. Lord Winter schlich an ihr vorbei, das arabische Kopftuch flatterte um seine Schultern, sein Gesicht eingetaucht in den Schatten der Nacht.

Zenia versuchte, aufzustehen und stöhnte leise auf. Sie wußte, daß in der Wüste diejenigen, die zurückblieben, nur allzu leicht vergessen wurden. Verzweifelt humpelte sie Lord Winter hinterher, bemüht, seine Fußspuren auf dem harten Boden nicht aus den Augen zu verlieren. Sie verließen den Weg, der zum Haupttor des Dorfes führte, und gingen auf einem kaum erkennbaren Ziegenpfad weiter. Nur mit Mühe konnte Zenia, die sich mit Händen und Füßen an den Felsen festkrallte, den Abhang bezwingen.

So gut sie konnte, folgte sie Lord Winters raschen Schritten. Immer wieder stürzte sie, und schließlich war sie so weit zurückgefallen, daß sie die Umrisse seiner Gestalt aus den Augen verlor.

Sie war allein in der Dunkelheit. Von Panik erfaßt, humpelte sie weiter. Auch als sie unten in der Ebene ankam, machte sie keine Rast und wagte es nicht, sich auch nur einmal umzublicken. Überall lauerten nachts schaurige Wesen – gerade in dieser Nacht, in der ihre Mutter zu Grabe getragen worden war. Lady Hester war böse. Zenia spürte es. Ihre Mutter wußte, daß sie sie verlassen würde. Ganz bewußt hatte Lady Hester das abseits gelegene Dar Joon gewählt. Sie wollte verhindern, daß ihre Diener weiter weglaufen konnten als bis in das kleine Dorf am Fuße des Berges, wo sie leicht wieder eingefangen werden konnten. Der Weg nach England führte über gebirgiges Land, in dem es kein Wasser gab, dafür aber Schakale, Wölfe und Bürgerkrieg. Sie besaß nichts außer den Kleidern am Leib und einer unbrauchbaren Muskete. Und sie hatte Angst davor, die von Dämonen bevölkerten Gebirgspässe alleine zu überqueren.

Ein gellender Schrei drang vom Felsplateau zu ihr herunter. Zenia zuckte zusammen und strauchelte. Keuchend kam sie wieder auf die Beine und lauschte angestrengt. Zuerst war kein Laut zu hören, aber als sie sich auf ihre Muskete stützte, lachte ein Schakal. Sie blickte zurück nach Dar Joon. Der Mond ging gerade auf und warf kalte Schatten, lebendigen Wesen gleich, die auf sie zukrochen. Zenia schloß die Augen und schluckte die Tränen hinunter.

Auf einmal erschallte Hufgetrampel, das von den Felswänden widerhallte, so daß sie nicht wußte, aus welcher Richtung es kam. Dann war das Tier über ihr, ein riesiges schwarzes Ungeheuer, ein Dschinn, ein der Nacht entstiegener Teufel, dessen Glutatem sie streifte. Und auf ihm saß in wehenden weißen Gewändern ihre Mutter. Zenia wurde von den Hufen beinahe zu Boden getrampelt. Sand und Steine wirbelten auf, als die Bestie zum Stehen kam. Zenia schrie auf und warf sich zur Seite. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckte ihr Bein, nahm ihr den Atem, dann wurde es schwarz um sie.

Als sie wieder zu sich kam, spürte sie Felsgestein an der schmerzenden Wange. Ihre Muskete lag merkwürdig verbogen unter ihr. Lord Winters kühle Stimme sagte, sie solle kein Dummkopf sein.

»Ein Dschinn«, wimmerte sie und hielt sich an seinem Umhang fest. »Da war ein Dschinn!«

»Unsinn.« Er legte den Arm fest unter ihre Schulter. »Komm, steh auf!«

Zenia zitterte so sehr, daß sie ihn nicht loslassen konnte. Mit aller Kraft versuchte sie, auf die Füße zu kommen, aber ihr Knöchel knickte unter der Last ihres Körpers wieder um. In ihrem Schmerz erschienen ihr die Dinge verschwommen und seltsam. »Ein Dämon …«

»Es ist alles gut, kleiner Wolf. Ich bin bei dir.« Als sie im Mondlicht seine harten Gesichtszüge sah, die große, kräftige Statur und die breiten Schultern, ging in Zenia eine Verwandlung vor, die so unerwartet wie grundlegend war. Viscount Winter erschien ihr nicht mehr als der vor Häme und abgrundtiefer Verachtung triefende Mann. Er war nicht länger einer der undurchsichtigen Freunde ihrer Mutter, und er war nicht mehr der Mann, dessen düsteres Gemüt sie sogar hinter den Paravents hatte erschaudern lassen.

Er war ihr Erretter.

Lord Winter war nach Dar Joon gekommen, und gleichgültig, was und wie er sonst war: Er fürchtete nicht die Dämonen.

Kapitel 3

»Wir sind aber in den Bergen!« schrie der magere Bursche. Nur mit Mühe konnte er sich im Sattel aufrecht halten. Der Viscount preßte den schmächtigen Körper an seine Brust. Der Junge zitterte wie Espenlaub. Schon als er ihn in der Dunkelheit zu sich aufs Pferd gehoben hatte, war Arden das aufgefallen.

»Du bist mir vielleicht ein Klappergestell«, sagte er. »Von jetzt an werde ich dafür sorgen, daß du anständig ißt. Sonst bläst dich noch der Wind um.«

»Wir sind in den Bergen!« keuchte der Beduine.

»Das hast du bereits gesagt.« Lord Winters Blick schweifte über die hoch aufragenden Gipfel und Kämme, die sich im kalten Morgenlicht allmählich gegen den Himmel abzeichneten. Er behielt die Gegend jedoch nicht nur wegen der atemberaubenden Kulisse wachsam im Auge. Das Maultier schleppte sich einen schmalen Pfad bergauf, vorbei an der Ruine eines niedergebrannten Fellachenhofes. Der Packesel, der an einem Strick hinterhertrottete, mußte immer wieder zum Weiterlaufen angetrieben werden. Das störrische Tier blieb nämlich nur allzu gerne stehen, um die spärlichen Büschel zu fressen, die zwischen den Trümmern hervorlugten.

»Was hast du gegen die Berge?«

»Wir müssen umkehren!« Die Stimme des Jungen klang hysterisch. »Diesen Weg können wir nicht nehmen!«

»Das ist aber genau der Weg, den ich mir ausgesucht habe«, entgegnete Lord Winter ruhig.

»Sie sind verrückt!« Sein Mitreisender zog unvermittelt und heftig am Zügel. »Das werden wir nicht überleben!«

Das Maultier scheute und sprang zur Seite. Lord Winter entriß dem Jungen die Zügel und hielt seine Hände fest. Gesteinsbrocken kollerten den steilen Abhang hinunter. Der Viscount hatte Mühe, das verstörte Tier wieder zu beruhigen.

»Machen Sie kehrt!« schrie der Beduine und versuchte, sich aus Lord Winters Armen zu befreien. »Sie können es nicht wissen; Sie verstehen nicht – in dieser Gegend lauert der Tod!«

»Dir geht es heute morgen nicht gut, hab’ ich recht?« Arden ließ seinen Gefangenen los, brachte das Maultier zum Stehen und stieg an einer Stelle mit verkohlter Gerste ab. »Wahrscheinlich hast du Hunger, und dein Knöchel plagt dich, obwohl er nicht ernstlich verletzt zu sein scheint.«

Der Beduine ergriff die Zügel. Der Wind wehte ihm das lange, wirre Haar ins Gesicht, als er dem Maultier heftig in die Seiten stieg, um das Tier zum Wenden zu bewegen.

»Du hast Pech.« Lord Winter trat einen Schritt zurück. »Falls du beabsichtigst zu fliehen, möchte ich dich daran erinnern, daß du einen vollbepackten, störrischen Esel im Schlepptau hast.«

Der Junge sah über die Schulter zu dem Biest, das, offensichtlich entschlossen, sich nicht von der Stelle zu rühren, von einem Strauch fraß.

»Sehr weit kämst du ohnehin nicht«, fügte der Viscount hinzu und versetzte dem Maultier einen liebevollen Klaps.