Eine Katze im Wolfspelz - Lydia Adamson - E-Book

Eine Katze im Wolfspelz E-Book

Lydia Adamson

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Beschreibung

Welche Rolle spielt eine Katze in einem alten, dunklen Kult? Alice Nestleton, erfolglose Schauspielerin und gefürchtete Detektivin, bekommt einen neuen, ungewöhnlichen Auftrag: Die New Yorker Polizei bittet um ihre Hilfe. Ein augenscheinlich verrückter Katzenliebhaber hält die ganze Stadt in Atem. Er hat siebzehn Menschen ermordet, um deren Katzen zu stehlen, und hinterläßt jedesmal am Tatort seine groteske Visitenkarte: eine kleine Spielzeugmaus. Mit ihren bewährt skurrilen Methoden macht Alice sich auf die Suche und gerät in ein Abenteuer, das sie in die dunkelsten Gründe New Yorks führt - in seltsame, unentdeckte Höhlen im Central Park

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Über Lydia Adamson

Lydia Adamson ist das Pseudonym einer bekannten Krimiautorin. Bisher im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen: »Eine Katze kommt selten allein«, »Eine Katze macht Theater«, »Eine Katze im Wolfspelz«, »Eine Katze bittet zum Tee«, »Eine Katze hinter den Kulissen«, »Eine Katze sitzt im Glashaus«, »Eine Katze schlägt den Takt«, »Eine Katze tanzt aus der Reihe«, »Eine Katze ist kein Engel«, »Eine Katze lädt zur Weihnachtsgans«, »Eine Katze auf dem Laufsteg«, »Eine Katze kommt selten allein«.

Informationen zum Buch

Welche Rolle spielt eine Katze in einem alten, dunklen Kult?

Alice Nestleton, erfolglose Schauspielerin und gefürchtete Detektivin, bekommt einen neuen, ungewöhnlichen Auftrag: Die New Yorker Polizei bittet um ihre Hilfe. Ein augenscheinlich verrückter Katzenliebhaber hält die ganze Stadt in Atem. Er hat siebzehn Menschen ermordet, um deren Katzen zu stehlen, und hinterläßt jedesmal am Tatort seine groteske Visitenkarte: eine kleine Spielzeugmaus. Mit ihren bewährt skurrilen Methoden macht Alice sich auf die Suche und gerät in ein Abenteuer, das sie in die dunkelsten Gründe New Yorks führt – in seltsame, unentdeckte Höhlen im Central Park

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Lydia Adamson

Eine Katze im Wolfspelz

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Julia Schade

Inhaltsübersicht

Über Lydia Adamson

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Impressum

1

Warum flüsterte die Frau eigentlich?

Ich war schon ungefähr zwanzig Minuten in der Wohnung der Salzmans, als mir endlich auffiel, daß Mrs. Salzman sich seit dem Augenblick, in dem ich ihr Apartment betreten hatte, ausschließlich im Flüsterton mit mir unterhalten hatte. Und ich hatte genauso leise geantwortet. Unser gesamtes Gespräch wurde flüsternd geführt.

Ich war gekommen, um mich als Catsitterin vorzustellen. Mrs. Salzman brauchte jemanden, der sich an drei Vormittagen in der Woche um ihren Kater kümmerte, während sie sich in einem anderen Bundesstaat einer medizinischen Behandlung unterzog. Mit anderen Worten, sie würde nicht zu Hause sein, und der Kater mußte versorgt werden. Um was für eine Art von Behandlung es sich handelte, wurde nicht erwähnt und auch nicht, wo sich Mr. Salzman aufhielt, falls es diesen Herrn überhaupt gab.

Der Kater hieß Abaelard.

Als sie mir den Namen des Tieres nannte, hatte ich plötzlich das Gefühl, daß Mrs. Salzman nicht ganz richtig im Kopf war. Ich stellte mir vor, daß die arme Frau den Kater hatte kastrieren lassen und jetzt die fixe Idee hatte, das sei wegen seiner Liebe zu Héloise geschehen. Vielleicht lebte sie eine romantische mittelalterliche Kastrations-Geschichte aus. Aber diese Gedanken verflogen ebenso schnell, wie sie gekommen waren; das war wieder einmal nur eine meiner theatralischen Phantasievorstellungen – eine Berufskrankheit bei Schauspielern.

Mrs. Salzman fuhr fort, mir im Flüsterton die positiven Eigenschaften ihres Katers zu schildern.

Aber es gab da ein Problem: Wo war das Tier?

Ich konnte es nicht sehen.

»Abaelard ist sehr menschenscheu«, sagte Mrs. Salzman, und das war der erste vernünftige Satz, den sie in der ganzen Flüsterunterhaltung von sich gab.

Mrs. Salzman lebte in einer sehr bemerkenswert eingerichteten Wohnung in der East Thirty-seventh Street in Manhattan. Die Möbel – und das waren nicht wenige – standen an den Wänden aufgereiht wie Zinnsoldaten. Abaelard konnte unter jedem dieser Gegenstände sein.

Wenn ich den Kater schon nicht sehen konnte, vielleicht konnte ich ihn ja hören – das Tapsen seiner Pfoten oder irgendeine andere Bewegung. Vielleicht war das der Grund für Mrs. Salzmans Flüstern; sie sprach so leise, damit man ihn hören konnte.

»Ich bin so glücklich, daß ich Abaelard der Obhut einer professionellen Catsitterin anvertrauen kann«, sagte Mrs. Salzman leise.

Ich brach in ziemlich lautes Gelächter aus. Ich war machtlos dagegen. Mrs. Salzman schreckte zurück und strich sich mechanisch mit der Hand über die Haare. Sie war eine sehr sorgfältig gekleidete Frau, wenn man einmal von ihren grellgrünen Lederschuhen absah.

Ich konnte ihr unmöglich erklären, warum ihre Bemerkung mich derartig belustigte. Aber nur zwei Stunden bevor ich zu Mrs. Salzman in ihre Wohnung gekommen war, hatte ich eine kurze Notiz über mich in der Stadtteilzeitung Our Town gelesen. Der Klatschspaltenschreiber berichtete, daß ich in diesem Viertel wohnte, und fuhr fort: »Die hochgewachsene, langhaarige und immer noch sehr attraktive Alice Nestleton ist von den nahezu unbekannten Schauspielerinnen eine der Besten. Ihre geringe Popularität verdankt sie ihrer Vorliebe für obskure Rollen in noch obskureren Off-Off-Broadway-Stücken.«

Dann fügte der Schreiberling noch hinzu: »Alice Nestleton war lange eine Kultfigur bei Theaterfans.«

Dieser Kommentar war völlig absurd. Wo sollten diese »Theaterfans« denn sein? In dem Supermarkt auf der Third Avenue? Mir war nie auch nur ein einziger über den Weg gelaufen.

Ich erwähne diese lächerliche Beschreibung auch nur, weil diese mich eben nicht belustigte. Aber sie bereitete den Boden für das Kommende vor. Denn als Mrs. Salzman mich zwei Stunden später als »professionelle Catsitterin« bezeichnete, war das Maß voll, und ich lachte aus vollem Halse.

Mrs. Salzman brauchte nicht lange, um mir meinen Ausbruch zu verzeihen. Sie führte mich in ihrer vollgestellten Wohnung herum. Sie zeigte mir, wo sich das Katzenfutter, die Gießkanne, die Liste mit Telefonnummern für den Notfall und einige andere wichtige Dinge befanden.

Und immer noch war von Abaelard nichts zu sehen.

»Was für ein Kater ist Abaelard denn?« fragte ich.

»Ein sehr lieber Kater«, antwortete Mrs. Salzman, die offenbar dachte, ich würde nach seinem Charakter und nicht nach seiner Rasse fragen.

»Was für eine Farbe hat Abaelard«, insistierte ich.

Sie zögerte ein wenig, neigte den Kopf zur Seite und lächelte. »Gemischt.«

»Wie gemischt?« fragte ich ein wenig gereizt.

Sie ignorierte die Frage und führte mich in einen der Flure. »Da sind Ihre drei Umschläge«, sagte sie. Sie lagen auf einem kleinen französischen Kirschholztischchen mit zierlichen Schnitzereien.

»Einer für jeden Tag, an dem Sie sich nächste Woche um meinen Kater kümmern«, erläuterte Mrs. Salzman. Sie nahm einen der Umschläge und öffnete ihn. Er enthielt einen Hundert-Dollar-Schein.

Großer Gott! Drei Umschläge! Drei Hundert-Dollar-Scheine! Für dreimal fünfundvierzig Minuten Betreuung eines Katers, den ich bisher nicht zu Gesicht bekommen hatte und vielleicht niemals sehen würde! War diese Frau noch bei Trost? Das war wirklich ein außergewöhnlich hohes Honorar. Das wäre nur angemessen wenn … ja, wenn es da irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Kater gab, die sie bisher nicht erwähnt hatte.

Ich wollte gerade um eine etwas geringere Summe bitten, als Mrs. Salzman plötzlich mit einer dramatischen Geste den Finger an die Lippen legte und Ruhe forderte.

Hatte sie Abaelard gehört? Würde der mysteriöse Kater jetzt in Erscheinung treten?

Wir warteten. Mrs. Salzman schloß die Augen und schien in eine Art erwartungsvolle Trance zu verfallen. Sie war wirklich eine merkwürdige Frau: graues Haar, dünn, ernstes Gesicht, großgewachsen, mit leicht gebeugten Schultern. Aus ihrem Flüstern hatte ich einen ganz leichten österreichischen Akzent herauszuhören geglaubt, und ihr ganzes Verhalten war irgendwie sonderbar, als ob sie ganz weit weg wäre.

Wir warteten und warteten und warteten. Wo zum Teufel war dieser Abaelard?

»Vielleicht sollten wir ihn rufen«, schlug ich höflich vor.

Mrs. Salzman öffnete die Augen. Sie waren vor Schrecken geweitet. Offensichtlich hatte ich etwas Falsches gesagt.

»Er wird nicht gern gerufen«, sagte sie in mitleidigem Ton, als ob ich – trotz meiner Qualifikation als professionelle Catsitterin – ziemlich begriffsstutzig sei.

»Was hat er denn gern?« gab ich ein wenig ironisch zurück.

Mrs. Salzman schien den spöttischen Unterton nicht zu bemerken. »Er mag Blumen und Obst und frischen Truthahn und Musik und Vögel …« Plötzlich hielt sie in ihrer begeisterten Aufzählung inne, als ob ihr bewußt geworden sei, daß sie Blödsinn redete. Lächelnd führte sie mich zur Tür und sagte, Abaelard brauche mehr als eine Catsitterin – er brauche eine Freundin.

Ich ging schnellen Schrittes nach Hause und dachte dabei an meine Katzen, an Bushy und Pancho.

Gewiß, die beiden sind auch ein bißchen sonderbar. Mein Maine-Coon-Kater Bushy ist zweifellos eines der possierlichsten Tiere, die jemals geschaffen wurden. Und Pancho, der Streuner, den ich aus dem Tierheim gerettet habe, nun ja, er ist schon ein wenig gestört. Er verbringt die meiste Zeit des Tages und die ganze Nacht damit, vor irgendwelchen Feinden zu fliehen, die nur in seiner Phantasie existieren.

Aber meine Katzen sind wenigstens sichtbar! Nicht wie Abaelard. Und meine Katzen sind mir zweifellos sehr zugetan.

Schnell lief ich die Treppen hoch. Wenn ich an Bushy und Pancho dachte, vermißte ich sie immer gleich schmerzlich – obwohl ich jetzt nicht einmal zwei Stunden von zu Hause weggewesen war.

»Alice! Da sind Sie ja endlich!«

Das war Mrs. Oshrin, meine Nachbarin, eine pensionierte Lehrerin.

Sie stand auf dem Treppenabsatz, flankiert von zwei bedrohlich wirkenden Männern.

Entführer? Vergewaltiger? Junkies? Penner?

Ich geriet in Panik. Ich drehte mich ruckartig um und fing an, die Treppen wieder hinunterzurennen, um Hilfe zu holen.

»Alice!« hörte ich sie rufen. »Warten Sie! Es ist alles in Ordnung!«

Ich ging zurück, verwirrt und immer noch ängstlich.

»Das sind Polizisten, Alice! Sie wollen zu Ihnen – nicht zu mir!«

Vorsichtshalber wartete ich ab.

»Das Ganze ist streng vertraulich«, sagte Mrs. Oshrin, als ob das alles erklären würde. Aber da war irgend etwas in der Art, wie sie diesen bürokratischen Ausdruck »streng vertraulich« aussprach, das mich ein ahnungsvolles inneres Prickeln verspüren ließ. Aber es war keine Angst.

2

Während ich mit den Schlüsseln herumhantierte, führte Mrs. Oshrin die Männer zu meiner Tür. Wahrscheinlich hatten sie die falsche Klingel gedrückt, als sie kamen.

Der eine war ein kleiner, dicker Typ mit leuchtendroten Haaren. Er stellte sich als John Arcenaux vor, Detective bei der Staatsanwaltschaft von Manhattan.

Sein Kompagnon war größer, ein drahtiger Mann mit Glatze. Sein Name lautete Harold Rothwax, und er war Detective beim Polizeirevier Manhattan, im Moment aber zu einer Spezialeinheit versetzt.

Nervös betraten sie die Wohnung. Beide trugen bläuliche Anzüge und rötliche Krawatten, die sich allerdings durch die Schnitte und die Intensität der Farbtöne unterschieden.

Als wir alle eingetreten waren, sagte Rothwax: »Detective Hanks hat viel Gutes über Sie erzählt.«

Hanks war mein alter Feind, der schließlich ein Freund geworden war. Während ich an dem schwierigen Fall der betagten russischen Emigranten vom Moskauer Künstler-Theater, die durch Diamantenschmuggel ihren Lebensstandard und den ihrer merkwürdigen weißen Katzen in einem fremden Land entscheidend verbessern konnten, gearbeitet hatte, hatte er mir ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen.

Mrs. Oshrin zog sich zurück, wobei sie mir verschwörerisch zulächelte. Als sie aus der Tür war, wurden die Detectives sehr unruhig. Ich hatte den Eindruck, daß sie nicht wußten, wie sie mit dieser großen, dünnen Schauspielerin mit den langen, grau-goldenen Haaren umgehen sollten, die ein fast bodenlanges Virginia-Woolf-Kleid mit angekräuselter Schulterpartie trug. Aber ich hatte begriffen, daß sie gekommen waren, um mich um Hilfe zu bitten, also konnte ich es mir leisten, freundlich zu sein.

»Möchten Sie sich nicht setzen?« fragte ich höflich.

Sie ließen sich vorsichtig auf dem Sofa nieder und behielten Bushy im Auge, der in königlicher Haltung auf dem Teppich lag und lethargisch seinen Schwanz hin und her bewegte. Es konnte aber auch eine verächtliche Geste sein. Sie saßen da, als ob ich im Begriff sei, ihnen vergifteten Kaffee zu servieren – was ja nun keinesfalls meiner Absicht entsprach.

Arcenaux sah sich aufmerksam im Zimmer um und sagte dann: »Wir brauchen Ihre Hilfe. Haben Sie in der Zeitung von den Morden in der Fourteenth Street gelesen?«

»Die beiden Brüder?«

»Ja.«

In der Tat hatte ich alles über diesen Fall gelesen, was ich finden konnte. Es war eine sehr traurige Geschichte. Zwei unverheiratete Brüder, beide in den Sechzigern, lebten zusammen in einem neuen Hochhaus in der Fourteenth Street. Sie waren beide städtische Angestellte gewesen und vor kurzem in den Ruhestand getreten. Der eine hatte beim Gartenamt und der andere bei der Feuerwehr gearbeitet. Beide waren von einem Einbrecher erschossen worden. Die Polizei hatte bereits einen Verdacht. Die Brüder hatten eine wundervolle Siamkatze gehabt, der kein Haar gekrümmt worden war. Das Foto der Katze war in allen Zeitungen gewesen.

»Ich habe ihre Namen vergessen«, sagte ich.

»Jack und Arthur Tyre. Wir haben einen jungen Typen festgenommen und eingesperrt, der in dem Supermarkt in der Gegend arbeitet. Er heißt Billy Shea. Aber jetzt hat sich herausgestellt, daß die beiden Brüder doch von jemand anderem umgebracht worden sind, und der Junge lediglich hinterher die Wohnung ausgeraubt hat.«

Arcenaux hielt inne und schaute Rothwax an, als ob er ihn um Hilfe dabei bitten wolle, mich um Hilfe zu bitten.

Rothwax stand auf, lief um das Sofa herum und stellte sich hinter seinen Kollegen.

»Darf ich Sie Alice nennen?« fragte er.

»Natürlich«, antwortete ich, obwohl ich fest entschlossen war, ihn auf keinen Fall mit Harold anzusprechen.

Eine sehr erheiternde Vorstellung kam mir in den Sinn. Ich befand mich mitten in einem absurden Theaterstück. Diese Männer waren mit irgendwelchen sonderbaren Ermittlungen beauftragt. Die beiden Detectives warfen einander ununterbrochen kurze Blicke zu. Sie machten den Eindruck, als ob sie gegen ihren Willen gezwungen worden seien, mir diesen Besuch abzustatten. Und jetzt, wo sie bei mir, in der Höhle der Katzenfrau, waren, konnten sie nicht mehr unterscheiden, was Realität war und was Theater. Sie wußten nicht mehr, wer ich war und warum man sie geschickt hatte, um mich um Hilfe zu bitten.

Rothwax fuhr fort: »Lassen Sie mich zur Sache kommen. In den letzten zwölf Jahren – es können auch ein paar mehr gewesen sein – hatten wir eine verdammt hohe Zahl von Mordfällen, die nicht aufgeklärt werden konnten. Aber jetzt glauben wir, daß siebzehn von diesen Morden vom gleichen Täter begangen worden sind, und zwar von dem Mann, der die Tyre-Brüder umgebracht hat.«

»Ein Serienmörder, wie das im Kino so schön heißt, Miss Nestleton«, merkte Arcenaux an, »oder ein Massenmörder. Beide Bezeichnungen passen.«

Rothwax sprach weiter: »Wir haben diese Möglichkeit nie in Erwägung gezogen, weil in jedem dieser Fälle die Todesart eine andere war. Jeder dieser Morde wurde mit einer anderen Waffe begangen. Der Mörder hat siebzehn Menschen umgebracht, aber jeden auf eine andere Weise.«

Das kam mir seltsam vor. »Aber wieso glauben Sie dann, daß es derselbe Täter war?«

»Bei keinem dieser Mordfälle ist der Täter gewaltsam in die Wohnung eingedrungen, und jedes der Opfer besaß mindestens eine Katze, und der Katze wurde nie ein Haar gekrümmt.«

»Viele Menschen haben Katzen«, erwiderte ich skeptisch.

Rothwax beugte sich vor und sagte mit eindringlicher, verschwörerischer Stimme: »Wissen Sie, wir haben an jedem Tatort etwas gefunden, etwas, das immer identisch war. Das ist uns jetzt erst aufgefallen.«

»Etwas?« äffte ich ihn nach.

»Wir würden Ihnen dieses ›Etwas‹ gerne zeigen. Wir möchten Ihre Meinung dazu hören. Detective Hanks sagt, daß Sie sehr gut kombinieren können. Und daß Sie alles über Katzen wissen.«

Pancho flitzte vorbei, und beide Männer zuckten zusammen. Ich mußte laut lachen.

»Er ist schnell«, sagte ich. Sie nickten.

»Sofort«, sagte Rothwax, »können Sie sofort mit uns kommen?«

Zum ersten Mal fiel mir die Dringlichkeit in seiner Stimme auf. Sie überzeugte mich.

»Warum nicht?« gab ich zurück. Die Detectives lächelten. Oder zogen sie Grimassen? Ich schaute Bushy an, der wieder einmal eine seiner Meditationsnummern abzog: Er starrte entweder Millionen Jahre in die Vergangenheit oder Millionen Jahre in die Zukunft. Ich spürte wieder dieses merkwürdige Prickeln – dasselbe, das ich empfunden hatte, als Mrs. Oshrin den Besuch der Detectives als »streng vertraulich« bezeichnet hatte. Es prickelte genauso, wie es immer prickelte, wenn ich eine Rolle gut spielte, wenn es mir gelang, eine schwierige Figur glaubhaft zu verkörpern. Ich hatte bereits diese bei alternden, arbeitslosen Schauspielern weitverbreitete Marotte angenommen, alles und jeden mit einer Rolle zu verwechseln. Das ist die natürliche Folge der Frustration einer Schauspielerin, die ständig kämpfen muß, die ihr Leben dem absurden Theater geweiht hat – einem Theater, das über die Grenzen des Üblichen hinausging und das schlicht und ergreifend nicht mehr existierte.

Aber hier handelte es sich um Ermittlungen in ungeklärten Mordfällen – nicht um eine Rolle! Das durfte ich auf keinen Fall vergessen. Genauso, wie ich mir manchmal klarmachen mußte, daß Bushy kein Catsitter-Kunde war, sondern mein eigener Kater.

3

Die Tyre-Brüder hatten in einer recht großen Wohnung gelebt, die in einem sehr hohen Stockwerk des Gebäudes in der Fourteenth Street, westlich von der Fifth Avenue lag. Die Küche hatte keine Wände und bildete das Zentrum des Apartments. Von einem kurzen Flur, der von der Eingangstür zu dem einzigen großen Raum führte, wiesen zwei kleine Badezimmer ab.

Der Rest der Wohnung war leerer Raum mit Regalen, ein paar unentbehrlichen Möbelstücken und Fenstern – meine Güte, was für riesige Fenster –, die auf drei Seiten die Wände bildeten. In dieser Wohnung zu stehen war wie ein wilder, optischer Ritt über die ganze Stadt. Ich setzte mich in einen Sessel vor die nach Süden weisende Fensterfront. Ich konnte die Twin Towers und ganz Manhattan sehen. Eine sanfte Frühlingsbrise rüttelte an den Jalousien und strich durch das Apartment. Diese Wohnung paßte so gar nicht zu zwei in den Ruhestand getretenen Junggesellen aus der Mittelschicht.

»Da haben wir die Leichen gefunden«, sagte Arcenaux und zeigte auf einen Punkt, nicht weit von meinem Platz entfernt. »Keine Spuren von Kampfhandlungen. Nur zwei Pistolenschüsse, Kaliber 44. Einer für jeden Bruder. Direkt ins Hirn. Eine Hinrichtung.«

»Sauber, sehr sauber«, fügte Detective Rothwax hinzu.

Ich schloß die Augen und konzentrierte mich auf das angenehme Gefühl der leichten Brise in meinem Gesicht. Auf dieser Höhe in diesem Apartment zu sitzen war wie Karussellfahren. Vielleicht gab es hier doch zu viele Fenster.

»Madam … ihre Maus«, sagte eine Stimme.

Ich öffnete schnell die Augen und sah Detective Arcenaux, der einen Kellner imitierte.

Er hielt ein Tablett und beugte sich anmutig vor.

Auf dem Tablett war nichts als eine Maus! Eine Spielzeugmaus!

»Na? Schauen Sie sie genau an!« befahl Rothwax.

Ich nahm die komische kleine Maus von dem Tablett, das Arcenaux mir hinhielt. Es war eine von diesen kleinen Mäusen zum Aufziehen. Der Körper und die Schnurrhaare waren aus irgendeinem Stoff.

Ich zog sie auf und setzte sie wieder auf das Tablett. Eine Zeitlang flitzte sie wild von einer Seite zur anderen und blieb dann plötzlich wie tot liegen. Ihre Bewegungen hatten nichts mit den natürlichen Bewegungen einer lebendigen Maus gemein.

»Zuerst«, erklärte Arcenaux, »haben wir gedacht, einer der Brüder hätte dieses Ding gekauft. Aber keiner von den Zeugen, die wir befragt haben, hat die Maus je in dieser Wohnung gesehen.«

Ich nahm die Maus abermals von dem Tablett. Arme kleine Maus, dachte ich. Sie wirkte irgendwie so traurig.

Arcenaux fuhrt fort: »Und dann hat es jemand einfach so in den Computer eingegeben. Es bestand eigentlich gar kein Grund. Und der Computer hat uns dann gesagt, daß in fünfzehn anderen Mordfällen ebenfalls Spielzeugmäuse am Tatort sichergestellt wurden.«

Rothwax unterbrach ihn mit einer Überlegung. »Nun könnten Sie einwenden, daß es nicht weiter verwunderlich ist, wenn in einem Haushalt, in dem eine Katze lebt, eine Spielzeugmaus vorhanden ist.«

»Genau das habe ich gedacht«, gab ich zu.

»Schön und gut, aber sagen Sie mal, Miss Nestleton – Alice, meine ich – haben Sie eine Spielzeugmaus zu Hause?«

»Nein.«

»Sehen Sie. Es ist nämlich statistisch erwiesen, daß die meisten Katzenbesitzer keine Spielzeugmäuse haben.«

Arcenaux tat die Bemerkung seines Partners mit einer Handbewegung ab.

»Und jetzt haben wir siebzehn Mordfälle, die durch eine am Tatort sichergestellte Spielzeugmaus miteinander verbunden sind – und durch die Katze oder die Katzen der Opfer. Die Spielzeugmäuse sind aber auch nicht alle gleich: manche sind zum Aufziehen, manche aus Plüsch und andere aus Gummi.«

Ich legte die traurige kleine Spielzeugmaus mit den Pfoten nach oben auf des Tablett. Die ganze Sache fing an, mich zu deprimieren.

»Erzähl ihr von Retro«, sagte Rothwax zu Arcenaux.

»Erzähl du’s ihr doch«, gab Arcenaux zurück.

»Wer oder was ist Retro?« fragte ich.

»Nun ja, der volle Name lautet Major Case Retrospectives«, erklärte Rothwax. »Das ist eine neue Spezialeinheit, deren Aufgabe es ist, den wichtigsten ungelösten Kriminalfällen in New York noch einmal nachzugehen. Die Mitglieder treffen sich dreimal wöchentlich am Vormittag. Wir möchten Sie um Ihre Mitarbeit bitten.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Als Beraterin.«

Zunächst wußte ich nicht, was ich antworten sollte. Im Geiste machte ich eine Liste aller mir bekannten Wörter, die mit Retro anfingen: Retrospektive, Retroflexion, Retroversion … das waren nicht besonders viele.

»Wo ist eigentlich die Katze?« fragte ich dann.

»Welche Katze?« sagte Rothwax.

»Die Siamkatze, die den Brüdern gehört hat.«

»Irgendwelche Verwandte haben sie mitgenommen«, antwortete Rothwax.

»Was ist nun? Wollen Sie bei Retro mitarbeiten?« Arcenaux kam wieder zum Kern der Sache.

Warum sollte ein Mörder der Katze seines Opfers eine Spielzeugmaus mitbringen? Das war wirklich merkwürdig. »Natürlich«, antwortete ich den Detectives, »ich werde an so vielen Sitzungen teilnehmen, wie Sie wünschen. Ich möchte Ihnen wirklich gerne helfen. Zumindest will ich es versuchen.«

Ich stand auf und ging in Richtung Wohnungstür. Mein Blick fiel auf ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, der Nordwand des Apartments.

Es war schon komisch: Da hatte ich nun über eine halbe Stunde in dieser Wohnung gesessen, und mir war völlig entgangen, daß auch Dinge an den Wänden hingen. Das lag natürlich daran, daß die riesigen Fenster mit ihrer Aussicht so überwältigend waren – bei all dem Glas fielen die Wandflächen gar nicht mehr auf.

Meine Güte! Das Bild war ein Druck von Van Goghs Gemälde Sonnenblumen. Derselbe Druck hatte in der Küche meiner Großmutter gehangen, auf ihrer Milchfarm in Minnesota.

Ich hatte den großen Raum zur Hälfte durchquert, und plötzlich war mein Kopf voller Kindheitserinnerungen, ausgelöst von Van Goghs wundervollen Gelbtönen. Wie viele Millionen von Bauernkindern hatten wohl im Laufe der Jahre diese Farben gesehen, irgendwo in der Wohnung ihrer Großmutter? Es war alles so furchtbar deprimierend.

Ich trat näher an das Bild heran. Irgendwas stimmte damit nicht: Ja, es hing schief.

Es hing schief an der Wand. Das war alles. Ich trat schnell heran und rückte den Rahmen gerade. Als ich mich umdrehte, um durch den Raum wieder auf die Wohnungstür zuzugehen, bemerkte ich, daß die beiden Detectives mich anstarrten.

Ihre Blicke verunsicherten mich. »Das Bild hing schief«, rechtfertigte ich mich.

Aber sie starrten mich genauso unverwandt an wie vorher. Was hatten die beiden nur? Waren sie scharf auf mich oder eifersüchtig, trauten sie mir nicht, oder waren sie wütend auf mich?

Schwierig zu sagen. Schließlich waren die beiden keine Katzen.

4

Wir befanden uns im Keller des großen Gerichtsgebäudes des Staates New York in der Church Street in Lower Manhattan. Das provisorische Quartier von Retro bestand aus sieben düsteren, trostlosen Zimmern. Alles war alt, massig und erdrückend: dunkle Holztäfelung, fleckiger Marmor, massive Eichenholzmöbel, riesige Türen mit altmodischen Messingklinken.

»Und das hier ist der Computerraum«, sagte Arcenaux und schob mich in ein High-Tech-Paradies. Das Zimmer war mit surrenden, knisternden Terminals, Druckern und Telefonen vollgestopft. Mehrere Leute gingen mit ernsthaften Gesichtern ihrer Arbeit nach und nahmen keinerlei Notiz von uns.

»Was immer Sie an Informationen brauchen, die Kollegen werden es Ihnen ausdrucken«, sagte Rothwax. Er nahm eine kleine leere Karte von einem der Tische und zeigte sie mir.

»Sie müssen nur hier eintragen, was Sie benötigen. Den Namen des Opfers, die Art Information, die Sie suchen, und man wird jede mögliche Computerrecherche ausführen, die Sie wollen. Sie brauchen nur zu unterschreiben und Ihre Nummer einzutragen.«

»Was für eine Nummer?« Ich war verwirrt.

Arcenaux griff in seine Tasche und holte ein kleines Schild zum Anstecken hervor.

»Sie sollten das hier tragen«, sagte er. Ich betrachtete das kleine Kärtchen: »ALICE NESTLETON, RETRO-BERATERIN. # 106.«

Ich heftete das Schild über meine rechte Brust.

Als ich sie ansah, um ihnen zu bedeuten, daß ich bereit war, die Führung fortzusetzen, schauten die beiden Detectives weg. Offenbar fühlten sie sich schon wieder unbehaglich in meiner Gegenwart. Es mochte an meiner Garderobe liegen. Vielleicht dachten sie, daß ich für meinen ersten Auftritt bei Retro nicht passend angezogen sei. Ich trug ein Kleid, das ich schon seit über zehn Jahren besaß. Es war ein langes Kleid aus dünnem Flanell, weiß mit roten Blumen um den Ausschnitt. Es sah wirklich ein bißchen wie ein Nachthemd mit langen Ärmeln aus.

Warum ich gerade dieses Kleid ausgewählt hatte, weiß ich nicht. Das letzte Mal hatte ich es getragen, als ich noch verheiratet war – in den Ferien in Southold an der Nordküste von Long Island, wo ich meine Tage mit verträumten Spaziergängen am Strand von Peconic Bay zubrachte.

Wir begaben uns zum großen Konferenzraum. Bevor wir eintraten, sagte Rothwax: »Ach übrigens, Sie bekommen für Ihre Beratertätigkeit dreihundert Dollar pro Tag, zuzüglich Spesen. Ich zeige Ihnen später, wie Sie die Honoraranträge ausfüllen müssen.«

Ich nickte. Was sollte ich auch sagen? Hundert Dollar jeden Vormittag für Catsitting bei Abaelard und jetzt diese Beratertätigkeit für Retro – mir winkten unermeßliche Reichtümer.

Rothwax öffnete die Tür und betrat den Raum. Ich folgte ihm, Arcenaux ging hinter mir. Es saßen bereits ungefähr acht Leute auf Stühlen herum. Das Ganze wirkte wie ein Büro, das zu einem Klassenraum umgestaltet worden ist. Rothwax zeigte auf einige leere Stühle am Fenster und fing an, sich einen Weg dorthin zu bahnen. Wir folgten ihm. Auf dem halben Weg zu unseren Plätzen hörte ich plötzlich: »Miau.«

Es kam aus der ersten Reihe. Ich erstarrte. Solche kindischen Scherze waren das letzte, was ich erwartet hatte – nicht einmal von einer Gruppe, die vorwiegend aus Polizeibeamten bestand.

Ich ging weiter zu den Stühlen am Fenster. Jetzt war aus allen Ecken des Raumes lautes Miauen zu hören, und jemand sagte sogar in melodramatischem Tonfall: »Die Katzenlady schlägt zu.«

Ich drehte mich wütend um. Arcenaux trat zwischen mich und meine sitzenden Widersacher. »Lassen Sie’s gut sein«, flüsterte er, »bitte, lassen Sie’s diesmal gut sein. Jungs sind eben Jungs.«

»Sie meinen wohl Bullen sind eben Bullen«, gab ich zurück. Er zuckte die Schultern und führte mich zu dem Stuhl am Fenster.

Kaum daß ich saß, fiel mein Blick auf die Wand über der Tafel, und ich vergaß die unverschämte Begrüßung.

Dort hingen siebzehn große Fotos. Siebzehn Gesichter. Sie waren faszinierend. Unter jedem Portrait stand mit großen, Buchstaben in kindlicher Schrift der Name des Betreffenden, sein Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Beruf, Todesart.

Das war der Grund, warum ich hergebeten worden war : siebzehn ermordete Menschen.