Eine Katze macht Theater - Lydia Adamson - E-Book

Eine Katze macht Theater E-Book

Lydia Adamson

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Beschreibung

Wie kommt eine Katze zu der Hauptrolle in einem wahren Gaunerstück? Alice Nestleton, ihres Zeichens besonders erfolglose Schauspielerin, hat nichts gegen Katzen. Im Gegenteil, sie liebt ihre Schützlinge Bushy und Pancho heiß und innig und betätigt sich sogar als professioneller Catsitter. Aber als ein Schauspielschüler, der unglücklich in sie verliebt ist, ihr eine weiße abessinische Katze schenkt, gerät sie in ernste Schwierigkeiten. Denn erstens wird die Katze sofort gestohlen, und zweitens ist der Student wenig später tot - in einer Bar erschossen. Ein wahres Katzendrama beginnt. Alice läßt nichts unversucht, das Tier wiederzufinden - auch wenn sie ganz Manhattan auf den Kopf stellen muß.

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Über Lydia Adamson

Lydia Adamson ist das Pseudonym einer bekannten Krimiautorin. Bisher im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen: »Eine Katze kommt selten allein«, »Eine Katze macht Theater«, »Eine Katze im Wolfspelz«, »Eine Katze bittet zum Tee«, »Eine Katze hinter den Kulissen«, »Eine Katze sitzt im Glashaus«, »Eine Katze schlägt den Takt«, »Eine Katze tanzt aus der Reihe«, »Eine Katze ist kein Engel«, »Eine Katze lädt zur Weihnachtsgans«, »Eine Katze auf dem Laufsteg«, »Eine Katze kommt selten allein«.

Informationen zum Buch

Wie kommt eine Katze zu der Hauptrolle in einem wahren Gaunerstück?

Alice Nestleton, ihres Zeichens besonders erfolglose Schauspielerin, hat nichts gegen Katzen. Im Gegenteil, sie liebt ihre Schützlinge Bushy und Pancho heiß und innig und betätigt sich sogar als professioneller Catsitter. Aber als ein Schauspielschüler, der unglücklich in sie verliebt ist, ihr eine weiße abessinische Katze schenkt, gerät sie in ernste Schwierigkeiten. Denn erstens wird die Katze sofort gestohlen, und zweitens ist der Student wenig später tot – in einer Bar erschossen.

Ein wahres Katzendrama beginnt. Alice läßt nichts unversucht, das Tier wiederzufinden – auch wenn sie ganz Manhattan auf den Kopf stellen muß.

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Lydia Adamson

Eine Katze macht Theater

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Julia Schade

Inhaltsübersicht

Über Lydia Adamson

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Impressum

1

Die Besitzerin – sie hieß Francesca Tosques und hatte irgendwas mit der italienischen Botschaft zu tun – hatte mir, bevor ich den Catsitter-Job übernahm, gesagt, daß Geronimo im Grunde eine liebenswerte Katze sei, aber ein paar kleine Eigenarten hätte.

»Gehen Sie nicht in die Nähe des Kamins«, sagte sie geheimnisvoll. »Kein Problem«, erwiderte ich. Francesca würde drei Tage weg sein: Sonntag, Montag und Dienstag. Mein Job war einfach: Ich brauchte nur in ihre große Altbauwohnung an der Ecke West End Avenue und Ninety-Seventh Street in Manhattan zu gehen und Geronimo zu füttern, ein bißchen mit ihm zu plaudern – kurz, etwas Zeit totzuschlagen. Das war alles. Für einen Catsitter-Job eine wirklich prima Sache.

Ich kam am Sonntag um drei Uhr nachmittags. Ich war den ganzen Weg von meiner Wohnung in der East Twenty-Sixth Street bis hierher durch den Central Park gelaufen. Draußen war es heiß, aber in der Wohnung herrschte eine angenehme Kühle, obwohl es keine Klimaanlage gab, sondern nur einen großen Ventilator, der sich langsam an der Decke drehte. Die Aussicht von hier war wirklich einmalig: über den Hudson bis nach Jersey, nach Norden den Hudson hinauf oder hinunter auf New York. Jedes Fenster bot ein anderes Panorama. Francesca hatte mir dreiundzwanzig Ein-Dollar-Noten auf dem Tisch im Eßzimmer liegenlassen. Sie schaffte es immer, auch die einfachsten Dinge kompliziert zu machen. Aber daran war ich gewöhnt.

Was Geronimo betrifft, so hatte ich eine Bali-Katze oder eine Cornish Rex oder irgendeine andere exotische Rasse erwartet, doch als ich ihn schließlich sah – er lag auf dem Küchentisch –, war Geronimo nichts anderes als ein altmodischer schwarzer Streuner. Man konnte ihn beim besten Willen nicht anders bezeichnen. Er war groß, kräftig und häßlich mit seinen narbenbedeckten Flanken, und wenn er ging, hatte er den typischen Gang streunender Kater, die immer ein bißchen so laufen, als hätten sie etwas an den Hoden, um es freundlich auszudrücken.

An diesem ersten Tag blieb ich ungefähr eine Stunde in der Wohnung und redete mit Geronimo, der mir eigentlich gar nicht zuhörte. Nachdem er gefressen hatte, war er wieder auf den Küchentisch zurückgekehrt, und ich mußte fast schreien, damit er mich hören konnte. Ich machte ihm weis, ich sei eine berühmte Schauspielerin und eine bekannte Detektivin, aber vor allem sei ich eine Catsitterin mit den besten Referenzen, und daß ich ihn schon aus seiner Reserve herauslocken würde. Ich würde sein arrogantes Verhalten einfach nicht hinnehmen.

Am dritten Tag war unser Verhältnis noch immer nicht wesentlich herzlicher geworden. Trotzdem begann Geronimo mir an diesem letzten Tag meines Jobs unheimlich zu werden. Und mein Stolz war verletzt. Alle sagten immer, ich hätte ein echtes Händchen für Katzen. Sie können meine eigenen Katzen fragen – Bushy und Pancho. Die werden Ihnen das jederzeit gern bestätigen. Und so begann ich, mir Gedanken über das zu machen, was seine Besitzerin mir erzählt hatte – daß ich auf keinen Fall in die Nähe des Kamins gehen solle. Das war schon sehr merkwürdig. Es war einer dieser alten, großen Kamine, und er war in die Nordwand der Wohnung eingebaut. Allem Anschein nach war es ein funktionierender Kamin, aber es war genauso offensichtlich, daß er schon lange Zeit nicht mehr benutzt worden war. Ich hatte mich von ihm ferngehalten, einerseits, weil sie es mir gesagt hatte, und andererseits, weil er sich in der allerhintersten Ecke der Wohnung befand. Man mußte schon wirklich dort hingehen wollen. Ich saß also da am Wohnzimmertisch, schmorte vor mich hin und betrachtete Geronimo, der mich seinerseits vom Küchentisch aus fixierte. Meine Gedanken waren die einer Zwölfjährigen, nicht die einer einundvierzigjährigen Frau. Man hatte mir etwas verboten. Die Autorität hatte gesprochen. Autoritäten mußte man unbedingt zuwiderhandeln. Es war zweifelsohne ein pubertärer Impuls.

Ich stand langsam auf und schlenderte elegant wie auf der Bühne hinüber zum Kamin. Dort angelangt, legte ich eine Hand leicht auf den Kaminsims und lächelte.

Sekunden später schien auf der anderen Seite des Raumes etwas zu explodieren. Und dann spürte ich einen kurzen, stechenden Schmerz am Daumen der Hand, die auf dem Kaminsims ruhte.

Verblüfft schaute ich nach unten. Dort stand Geronimo. Er war quer durch das Zimmer geflogen und hatte mich gebissen. Können Sie sich das vorstellen?

Dann drehte der Kater sich um und schritt langsam zum Küchentisch zurück, ganz der machohafte Streuner.

Nach dieser Attacke stand ich unter einer Art Schock, und so taumelte ich ins Badezimmer und ließ kaltes Wasser über die kleine Wunde laufen, um sie zu reinigen. Geronimo beobachtete mich von seinem Küchentisch aus mit gelangweiltem Blick, als ob er sagen wollte: »Sie hatte dich gewarnt. Da du ganz offensichtlich mit dem Feuer spielen mußtest, geschieht es dir nur recht, daß du dich verbrannt hast.«

Nachdem ich die Wunde ausgewaschen und verbunden hatte, fühlte ich mich erschöpft. Ich ging in Francesca Tosques’ Schlafzimmer und legte mich aufs Bett. Ich schaltete das Radio ein und schloß die Augen. 1010 WINS war eingestellt – Nachrichten rund um die Uhr.

Ich lag da und dachte darüber nach, warum Geronimo wohl Leute angriff, die vor dem Kamin standen. Es war wirklich merkwürdig. Dann muß ich wohl eingedöst sein. Plötzlich war ich wieder wach. Mein Mund fühlte sich trocken an. Ein böser Traum? Nein. Im Radio wurde ein Name wiederholt, ein Name, den ich kannte. Der Sprecher sagte, daß einer der letzten berühmten Bohemiens von Greenwich Village tot sei. Arkavy Reynolds war auf der Jane Street erschossen worden. Reynolds, so sagte der Sprecher, war ein bekanntes Mitglied der Theaterszene von Lower Manhattan. Er war Produzent und Herausgeber eines Theater-Skandalblatts, das er selbst vertrieb, indem er von Coffee-Shop zu Coffee-Shop lief, und eines jener ungeheuerlichen Individuen, ohne die die Künstlerszene von New York früher nicht denkbar gewesen wäre. Der Sprecher schloß mit der Mitteilung, daß die Polizei die Ermittlungen in dem Mordfall aufgenommen habe, aber bisher weder Hinweise noch Zeugen habe finden können.

Der arme Arkavy! Ich hatte ihn in der letzten Jahren häufig zufällig getroffen, und wir hatten immer ein wenig geplaudert, oder besser gesagt, ich hatte seinen Monologen zugehört. Er war ein hünenhafter, fetter Mann, der die Straße entlangzurollen schien. Er trug zu allen Jahrenszeiten das gleiche: eine Taxifahrermütze, ein weißes Hemd und eine farbenprächtige Krawatte, eine Weste, einen Farmeroverall mit Schulterklappen und dazu Bauarbeiterschuhe. Natürlich war er ziemlich verrückt. Gerüchten zufolge sollte er aus einer reichen Familie stammen. Er suchte immer nach geeigneten Orten, um irgendwelche Off-Off-Broadway-Stücke aufzuführen. Er redete ständig über irgendeinen anderen brillanten neuen Bühnenautor, von dem kein Mensch je etwas gehört hatte. Und in seiner Zeitung standen oft Artikel über Leute, die es überhaupt nicht gab. Jede Ausgabe dieser Zeitschrift enthielt auch von ihm verfaßte Rezensionen, die vor exzentrischer Zeichensetzung nur so strotzten – er liebte Sternchen und Ausrufezeichen und Doppelpunkte und Bindestriche.

Ich stand vom Bett auf und ging in die Küche. Da war Geronimo. Er interessierte mich überhaupt nicht mehr. Ich ignorierte ihn. Völlig in Gedanken versunken öffnete ich mehrmals den Kühlschrank und schloß ihn wieder und dachte dabei an Arkavy. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Es könnte an der Ecke East Fourth Street und First Avenue gewesen sein, an einem Abend im Herbst 1989. Ich war auf dem Weg zu einer Lesung einer Schriftstellerin aus Ostdeutschland. Ja, es könnte damals gewesen sein.

Ich ging aus der Küche wieder ins Wohnzimmer und ließ mich ermattet in einen Sessel fallen. Meine Wunde begann zu pochen. Geronimo beobachtete mich noch immer. Da kam mir in den Sinn, daß wenn Arkavy und Geronimo sich zufällig kennengelernt hätten, sie wahrscheinlich gute Freunde geworden wären. Denn schließlich war Arkavy ein Mann, der sein ganzes Leben damit verbracht hatte, darauf zu warten, daß er gebissen wurde.

2

Es war zehn Uhr morgens. Ich stand vor der Schule an der Ecke Eighty-First Street und Madison Avenue und blickte über die Straße auf das Beerdigungsinstitut Frank E. Campbell, wo man die Leiche des armen Arkavy im Sarg sehen konnte, bevor das Begräbnis stattfand. Die Öffentlichkeit war eingeladen worden, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Nun, und genau das hatte ich vor. Er war immer die verrückte frische Brise in der Theaterwelt von New York gewesen. Die Zeit war an ihm vorübergegangen … das New Yorker Theater war jetzt Showbusiness oder Hochfinanz – in jeder Hinsicht –, und ich war es ihm schuldig, seinen Leichnam zu betrachten.

Die Times hatte einen kleinen Artikel über ihn gebracht – im Theaterteil, nicht bei den Nachrufen. Der Reporter nannte seinen Tod eine dieser sinnlosen New Yorker Tragödien. Arkavy hatte anscheinend am Morgen seines Todestages mit einem Bettler am Sheridan Square Streit gehabt. Die Polizei mutmaßte, daß der Bettler sich eine Waffe besorgt, nach Arkavy gesucht habe und in der Jane Street auf ihn getroffen sei. Dort schoß er ihm fünfmal in die Brust. Der Reporter schrieb, Arkavy Reynolds letzter bekannter Wohnsitz sei ein Seemannsheim in der Nähe der South Street gewesen. Und dann gab der Artikel einige der farbigeren Arkavy-Anekdoten wieder – zum Beispiel seine Vorliebe dafür, ein Taxi zu nehmen und den Fahrpreis dann mit Karten für Off-Off-Broadway-Stücke zu bezahlen, die schon seit Jahren nicht mehr aufgeführt wurden.

Warum ging ich eigentlich nicht einfach über die Straße in dieses Bestattungsinstitut? Warum zögerte ich? Ich weiß es nicht, aber ich hing noch eine ganze Weile dort herum. Der Morgen war schön und warm, aber die Luft war nicht feucht, und eine sanfte Augustbrise wehte die Madison Avenue herauf.

Ich wartete, bis ich sah, wie eine Gruppe von Leuten, die aussahen, als hätten sie mit dem Theater zu tun, in das Institut hineinging, und dann überquerte ich die Staße schnell bei Rot und betrat das Gebäude hinter ihnen. Ich hatte meine langen, grau-goldenen Haare zu einem Knoten aufgesteckt und trug Ledersandalen und ein lockeres, weißes Kleid mit Ringelblumenmuster.

Drinnen war alles Marmor und Gediegenheit. Ein gutgekleideter Mann mit einer Nelke im Knopfloch fragte nach dem Namen des Verblichenen und zeigte, nachdem ich diesen genannt hatte, auf die Treppe. Ich ging schnell nach oben und fand den Raum.

Arkavy Reynolds lag in einem Messingsarg. Es waren nur acht oder neun Leute im Raum, die sich verlegen von Wand zu Wand bewegten. Es gab mehrere große Blumensträuße, noch in Zellophan eingewickelt.

Ich ging nah an den Sarg heran und blickte hinein. Da lag Arkavy, in irgendeinem komischen Gewand. Er war im Tod dünner geworden. Er hatte nur wenig Haare auf dem Kopf, was mich überraschte, aber andererseits hatte ich ihn ja niemals ohne seine Kappe gesehen. Als ich ihn so betrachtete, wurde mir klar, wie dumm und sentimental es von mir gewesen war, hierher zu kommen. Arkavy hätte es unsagbar komisch gefunden.

»Ein netter Mann«, sagte jemand neben mir.

Ich drehte mich um. Eine alte Frau mit einem rosa Strohhut stand auf einen Stock gestützt da und schaute an die Wand hinter dem Sarg.

»Ein sehr netter Mann«, sagte sie nochmal und fügte dann hinzu: »Und er war so gut zu seiner Mutter, bevor sie starb. Kannten Sie seine Mutter?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Wußten Sie, daß seine Familie aus Albany stammt?« fragte sie.

»Nein.«

»Ja, aus Albany«, bestätigte sie, lächelte und humpelte davon. Ich schaute wieder auf den Sarg. Es war alles zu traurig. Wer weiß, was für Träume Arkavy hatte, als er vor all diesen Jahren aus Albany nach New York kam … hungrig nach der Theaterszene, dem Leben der Bohème … nach der Schönheit und der Wahrheit in der Kunst … épater la bourgeoisie, das wollte er: die bürgerliche Gesellschaft schockieren. Hatte er wirklich geglaubt, New York würde wie das Paris von Baudelaire sein? Der Dummkopf. Ich drehte mich um und ging schnell aus dem Raum, die Treppe hinunter.

Ich hatte noch keine drei Stufen genommen, als ein junger Mann, der die Treppe heraufkam, vor mir auftauchte und den Weg versperrte.

Er hatte dichtes, lockiges schwarzes Haar und ebenso dichte Brauen über strahlend blauen Augen. Er trug das scheußlichste Hawaiihemd, das ich je gesehen hatte. Es hing locker über seiner Hose. Mein erster Gedanke war: Wie konnten sie den hier reinlassen?

Er grinste mich an und trat nicht zur Seite. Er sagte: »Unter diesem Fels liegt all die Schönheit, die jemals sterben konnte.«

Ich starrte ihn sprachlos an. Irgendwie kam er mir bekannt vor.

»Ben Jonson«, nannte er die Quelle des Zitats.

Und dann entfuhr mir ein langes, aufgebrachtes Stöhnen. Natürlich kannte ich ihn. Was für ein verdammter Zufall! Ich hatte vor kurzer Zeit begonnen, einen Sommerkurs an der New School zu leiten. Der Unterricht hatte bisher erst einmal stattgefunden. Aber dieser junge Mann war bereits zu einer Nervensäge geworden. Eine wahrhaftige Geduldprobe. Es war die erste Unterrichtsstunde, und so hatte ich der Klasse eine alberne Frage gestellt. »Woran denken Sie, wenn Sie das Wort ›Theater‹ hören?« Und genau dieser junge Mann, der mir jetzt den Weg versperrte, hatte sich gemeldet und eine lange, bösartige Tirade auf das amerikanische Theater gehalten. Er zitierte Brechts Aussage, daß der Broadway lediglich ein Segment des internationalen Drogenhandels sei, befürwortete diese These und führte sie breit aus. All die anderen Studenten wandten sich sofort gegen ihn und begannen ihn anzubrüllen … und meine schöne, nette Einführungsstunde endete in einem Desaster.

»Was machen Sie hier?« fragte ich ihn.

»Ich erweise einem Verrückten die letzte Ehre, Frau Lehrerin, genau wie Sie.«

»Kann ich bitte vorbei?« fragte ich, und meine Stimme bekam langsam einen wütenden Unterton.

Er trat zur Seite, verbeugte sich tief auf eine altmodische Weise. Dabei schob sich sein groteskes Hemd nach oben, und ich konnte den flachen, muskulösen Bauch darunter sehen.

»Darf ich mich vorstellen?« fragte er und grinste.

»Kein Bedarf«, gab ich zurück, ging schnell die Treppe hinunter und verließ das Gebäude.

Draußen auf der Madison Avenue holte ich erst einmal tief Luft. Was für ein Fiasko! Ich sehnte mich zurück in meine Wohnung, zu Bushy und Pancho. Ich spürte das Bedürfnis, möglichst viel räumlichen Abstand zwischen mich, diesen traurigen toten Mann und diesen abscheulichen Jüngling zu bringen. Also nahm ich ein Taxi nach Hause.

3

Man hat keine Kontrolle über seine Schüler. Jedenfalls habe ich nie welche gehabt. Im Gegenteil, irgendwie gelingt es mir immer, sie auf dumme Gedanken zu bringen.

»Stimmt es, daß die meisten Schauspieler lausige Liebhaber sind?«

Ich blickte ungläubig auf das dicke Mädchen in der zweiten Reihe, das diese Frage gestellt hatte. Wollte sie das wirklich wissen? War das eine ernstgemeinte Frage?

Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber die Frage mißfiel mir im höchsten Maße. Dies war ein Sommerkurs an einer New Yorker Schule für Sozialwissenschaften, die einen sehr guten Ruf hatte – ein Elite-Institut. Und dies war ein ernstzunehmender Kurs über das Theater und die gesellschaftliche Stellung der Schauspielerin in New York City … über Zusammenhänge … gegenseitige Einflüsse, Lähmung und Veränderung.

Aber alles, was die ersten drei Sitzungen gebracht hatten, war eine Ansammlung blöder Fragen. Und es waren nur noch sechs weitere Unterrichtseinheiten geplant. Wann würde ich diesen Kurs endlich unter Kontrolle bekommen? Wann würde es mir möglich sein, das Niveau der Studenten zu erhöhen? Ich hatte in der Vergangenheit schon häufiger unterrichtet … in Schauspielschulen … und manchmal am City-College. Einige meiner Kurse waren sehr erfolgreich gewesen. Ein Professor am City-College hatte mir einmal gesagt, daß meine Vorlesung über Warten auf Godot die beste und aufregendste Beckett-Analyse gewesen sei, die er je gehört habe. Ich hatte eine Pennerin mit in den Unterricht gebracht, um den Studenten zu zeigen, daß Becketts Auffassung von Obdachlosen nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte … daß die Obdachlosen in Becketts Stücken lediglich verkleidet waren. Und dann began ich, unter Mitwirkung der Klasse, ihnen diese Verkleidung langsam auszuziehen … um herauszufinden, wer diese Obdachlosen wirklich waren. Wo hatten sie gearbeitet? Was für Gesundheitsprobleme hatten sie? Aus welchem Land kamen sie? Die Klasse war in Aufruhr. Es war die bemerkenswerteste Manifestation positiver Gruppendynamik, die ich je erlebt hatte. Aber das war früher gewesen. Und die Zeiten hatten sich geändert. Und das Milieu war auch nicht mehr dasselbe. Und wahrscheinlich hatte auch ich mich verändert. In dem Kurs an der New School konnte bisher jedenfalls von Gruppendynamik nicht die Rede sein.

Vielleicht war es aussichtslos, dachte ich, während ich mir das Hirn nach einer guten Antwort auf die Frage nach den lausigen Liebhabern zermarterte. Ich hatte diesen Lehrerjob ja eigentlich nur aufgrund eines dämlichen Artikels über mich bekommen, der in dem Theaterteil der Sonntagsausgabe der New York Times versteckt gewesen war. Daher konnte es natürlich sein, daß man von mir die Fähigkeit erwartete, auf blöde Fragen zu antworten. Egal, der erste Absatz des Artikels hatte jedenfalls gelautet:

Mit einundvierzig Jahren ist Alice Nestleton dem breiten Publikum zwar immer noch unbekannt, aber bei Insidern der New Yorker Theaterszene gilt ihre kürzlich gelieferte Interpretation der Amme in einer Portobello-Produktion von »Romeo und Julia« als brillante Darstellung. Darüber hinaus führt Miss Nestleton ein höchst interessantes Doppelleben – sie befaßt sich mit Verbrechen. Erst kürzlich erhielt sie eine Anerkennung vom Nassau County Police Department für ihre Verdienste bei der Aufklärung mehrerer schauerlicher Mordfälle an der Nordküste von Long Island, die sie in das vornehme Milieu der Vollblutpferdezucht führte.

Der Artikel fuhr mit kurzen Abrissen der verschiedenen Rollen fort, die ich in der Vergangenheit gespielt hatte, und widmete sich dann meiner Interpretation der Amme.

Um ehrlich zu sein, ich hatte diesen Job nur wegen des verdammten Artikels bekommen, und Sie können mir glauben, mit dem Honorar von der New School kann man eine ganze Menge Katzenfutter kaufen.

»Ich hatte nicht allzu viele Liebhaber, die Schauspieler waren«, sagte ich zu der Klasse, »daher kann ich mich zu dieser Frage nicht kompetent äußern. Die, die ich hatte, waren mittelprächtig.«

Gelächter in der Klasse. Die Klimaanlage war schon wieder kaputt. Einer der Studenten hatte das Fenster in der Rückwand des Raumes geöffnet. Stickige, heiße, feuchte Augustluft schien uns einzuhüllen. Es war ein Abendkurs. Die Schüler arbeiteten tagsüber. Sie gaben ihr sauer verdientes Geld aus, um Einblick in das Leben einer Schauspielerin in New York zu bekommen, aber bisher hatten sie mir keine Chance gegeben, es mit ihnen gemeinsam zu erkunden. Sie waren auf merkwürdige Fragen fixiert: Mit wem war ich im Bett gewesen? Wo kaufte ich meine Klamotten? Wie hielt ich mich zwischen den Engagements über Wasser? Keine dieser Fragen hatte etwas mit dem eigentlichen Thema des Kurses zu tun. Denn das war die Struktur des Theaters an sich und wie es die Schauspielerin zerstört – wie ein Fleischwolf.

Ich riskierte einen Blick in die hintere rechte Ecke des Klassenzimmers. Dort saß mein spezieller Freund – der junge Mann in dem Hawaiihemd, der mich im Treppenhaus des Bestattungsinstituts angesprochen hatte. Sein Benehmen im Unterricht war nach wie vor unglaublich. Ich schien ihn ernsthaft zu verwirren. Anscheinend schenkte ich ihm für seine Begriffe nicht genügend Aufmerksamkeit. Offenbar war ich für ihn das Obermonster eines dekadenten Theaterkurses. Er forderte mich heraus. Er täuschte Gefühlsausbrüche vor. Er schrie. Er weinte. Er war anstrengend. Aber manchmal sah er mich mit einem so komischen, glutvollen Blick an, daß ich das Gefühl hatte, er sei der einzige in der Klasse, der wußte, daß ich eigentlich eine sehr gute Lehrerin war, wenn die Zeit und der Ort stimmten. Und den ganzen Unterricht über, von dem Augenblick, in dem er den Klassenraum betrat, spürte ich, daß er mich beobachtete, jede meiner Gesten genau studierte und darauf lauerte, sich auf mich zu stürzen, und daß er sehr darauf erpicht war, meine Worte und meine Bewegungen vorauszusehen.

Sein Platz war leer! Gott sei Dank! Vielleicht hatte er den Kurs geschmissen. Das war ein aufbauender Gedanke.

Ich sah auf meine Uhr. Acht Uhr zweiunddreißig. Der Kurs ging bis neun.

Wie schickt man eine Klasse nach Hause? Würden die Studenten sich freuen? Oder würden sie sich betrogen fühlen?

Eine Frau mittleren Alters mit erschreckend grauem Haar hob die Hand. Ich nickte ihr zu.

»Ich möchte, daß Sie etwas zu Portobellos Shakespeare-Auffassung sagen.«

Der Himmel segne dich, Mädchen, dachte ich. Ich wollte gerade damit anfangen, doch plötzlich fühlte ich mich schwach … sehr schwach. Ich wollte nach Hause. Ich wollte meine Katzen füttern.

Ich lächelte sie an. »Warum machen wir heute nicht ein bißchen früher Schluß und ich fange nächstes Mal gleich mit Portobello an?« Es klang wie ein Vorschlag, aber im Grunde bettelte ich.

Sie packten die Gelegenheit beim Schopf. Ohne ein weiteres Wort räumten sie ihre Sachen zusammen, halbgegessene Sandwiches, Rucksäcke und Papiertüten. Sie waren genauso froh, nach Hause zu kommen, wie ich.

Ein Mädchen blieb zurück, während die anderen nach draußen strömten. Sie war Schaupielerin. Das hatte ich einfach im Gefühl. Und ich konnte ihren bewundernden Blick nicht ertragen, als ob ich es wirklich »geschafft hätte». Ich hatte es nicht geschafft. Mein Einkommen setzte sich immer noch vorwiegend aus den Honoraren für das Catsitten zusammen, Geld, das ich bekam, damit ich mit oft ziemlich gestörten, fast psychotischen Katzen wie dem liebenswerten Geronimo spielte.

»Na, wenigstens ist dieser Idiot nicht gekommen«, sagte sie.

Sie trug ein Trägerhemd. Sie hatte kurze braune Haare, und das Grün ihrer Augen war unglaublich intensiv.

»Allerdings«, gab ich lächelnd zurück und dachte an die dankenswerte Abwesenheit dieses jungen Mannes, der mich während der ersten Unterrichtsstunden so gereizt hatte. Das Mädchen wurde schüchtern und sagte nichts mehr. Eine peinliche Minute verstrich. Zwei Minuten. Dann ging sie endlich.

Ich wartete sechzig Sekunden und war gerade dabei zu gehen, als zwei Männer zum Klassenraum kamen. Sie traten nicht ein, sondern blieben an der Tür stehen und lächelten mich an. Sie stellten sich vor. Bullen. Die Detectives Felix und Proctor. Sie gehörten zu einer Einheit mit einem unglaublich komischen, bürokratischen Namen. Junge Männer, ordentlich frisiert, mit offenem Blick.

»Sie sind Alice Nestleton?« fragte der eine, der Proctor hieß.

»Ja.« Ich hatte keinen blassen Schimmer, was sie von mir wollten.

Sie breiteten ungefähr zwanzig Fotos ohne besondere Ordnung auf meinem Tisch aus. Ich betrachtete die Bilder. Die meisten zeigten im Hintergrund das Innere des Beerdigungsinstituts Frank E. Campbell, wo Arkavy Reynolds aufgebahrt gewesen war.

»Sie haben Fotos im Bestattungsinstitut gemacht? Warum?« Ich war erstaunt.

»Arkavy Reynolds war ein guter Spitzel. Ein Informant. Er hat mit uns zusammengearbeitet. Wir haben es nicht gern, wenn einer von uns am hellichten Tag mit einer halbautomatischen Fünfundzwanzig-Kaliber-Beretta umgelegt wird.«

Arkavy ein Polizeispitzel? Mein Gott. Das war unglaublich. Was für Informationen gab er denn weiter? Garderobensex im Public Theater?

Der, der Felix hieß, trug ein altmodisches Hemd mit offenen Kragen. Er bat mich, die Fotos durchzugehen. Ich identifizierte mich selbst. Ich identifizierte den gräßlichen Studenten. Ich identifizierte noch ein paar andere Leute – Leute aus der Theaterszene –, die ich selbst im Beerdigungsinstitut nicht getroffen hatte, weil sie früher oder später gekommen waren. Die Beamten notierten die Namen der Leute, die ich identifiziert hatte, auf den Rückseiten der betreffenden Fotos.

»Um welche Zeit wurde er umgebracht?« fragte ich.

»Am späten Vormittag«, antwortete Proctor.

»Gibt es Zeugen? Haben Sie irgendeinen Verdacht?«

»Wir arbeiten daran, gute Frau«, antwortete Felix gereizt.

»Haben Sie sein Zimmer durchsucht? Ich glaube, er wohnte in einem Seemannsheim unten in der Stadt.«

»Wir wissen, wo er gewohnt hat.«

»Waren Sie in seinen Coffee-Shops? Er ging immer in einen in der Fifth Street, östlich der Second Avenue, und in den polnischen Coffee-Shop am Tompkins Square Park.«

»Wir wissen, wo er rumgehangen hat«, gab Proctor zurück.

Ich wollte gerade eine weitere Frage stellen, als Felix explodierte: »Was zum Teufel geht hier eigentlich vor? Sind Sie ein Bulle? Wer befragt hier eigentlich wen?«

»Hier befragt niemand irgend jemanden«, gab ich freundlich zurück, um die Wogen zu glätten, bevor ich eine weitere, völlig plausible Frage stellte.

»Warum sollte der Mörder zur Aufbahrung kommen?« fragte ich.

»Das weiß man nie«, sagte Felix, dann sammelten sie die Fotos ein, bedankten sich und gingen. Auf mich machten diese beiden Männer irgendwie einen ausländischen Eindruck … als ob sie aus Belgien oder so einem Land wären.

Einer von ihnen steckte noch einmal seinen Kopf durch die Tür. »Übrigens, wir haben Sie gefunden, weil einer der Angestellten des Bestattungsunternehmens Sie einmal in einem Off-Broadway-Stück gesehen hat. Er hat gesagt, Sie wären sehr gut, aber er konnte sich nicht mehr an den Titel des Stücks erinnern.«

Es war fast zehn Uhr, als ich endlich begann, die fünf Stockwerke bis zu meiner Wohnung hinaufzusteigen. Ich hatte eine große Tüte mit Lebensmitteln im Arm, in der auch diverse Leckerbissen für meinen Maine-Coon-Kater, Bushy, und für Pancho, meinen schwanzlosen Beitrag zum Tierschutz, steckten.

Die Luft im Treppenhaus war stickig, aber ich hatte nur noch ein Stockwerk zu erklimmen. Die Treppen waren mir so vertraut, daß ich gar nicht mehr wahrnahm, wie ich sie hochstieg, und ich dachte nur an meine Katzen, die auf mich warteten – in der Dunkelheit warteten … jede mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Bushy lag wahrscheinlich auf dem Sofa ausgestreckt, ein Auge geöffnet, und sein Magen knurrte leise bei dem Gedanken an das bevorstehende Futter. Pancho war vermutlich gerade dabei, einen seiner verrückten Sprints von Zimmer zu Zimmer und in die Küche zu beenden. Er lief ständig vor unsichtbaren Feinden davon.