Eine Krone aus Perlen und Asche (Die Feenwelt-Reihe 2) - Leni Wambach - E-Book

Eine Krone aus Perlen und Asche (Die Feenwelt-Reihe 2) E-Book

Leni Wambach

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Beschreibung

**Lass dich vom magischen Sog der Feenwelt erfassen** Für die junge Wasserfee Gelya gibt es nichts Schöneres, als die fernen Meere von Adalien zu bereisen – das Rauschen der Wellen und das Pfeifen des Windes immer um sie herum. Doch als ihr ehemaliger Weggefährte Gardorath von einer mysteriösen Krankheit befallen wird, lässt sie nichts unversucht, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Aber es scheint fast zu spät: Uralte Mächte wissen von der Schwäche ihres Freundes und setzen alles daran, ihn zu vernichten. Wild entschlossen, Gardorath vor der nahenden Katastrophe zu bewahren, macht sich Gelya auf die Suche nach einem Heilmittel. Begleitet wird sie dabei von dem geheimnisvollen Yldur, der für sie ein einziges Rätsel ist und doch seltsame Gefühle in ihr weckt… //Alle Bände der romantischen Feenwelt-Reihe: -- Ein Königreich aus Feuer und Eis (Die Feenwelt-Reihe 1) -- Eine Krone aus Perlen und Asche (Die Feenwelt-Reihe 2) -- Alle Bände der magischen »Feenwelt«-Reihe in einer E-Box! (Die Feenwelt-Reihe )// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Leni Wambach

Eine Krone aus Perlen und Asche (Die Feenwelt-Reihe 2)

**Lass dich vom magischen Sog der Feenwelt erfassen** Für die junge Wasserfee Gelya gibt es nichts Schöneres, als die fernen Meere von Adalien zu bereisen – das Rauschen der Wellen und das Pfeifen des Windes immer um sie herum. Doch als ihr ehemaliger Weggefährte Gardorath von einer mysteriösen Krankheit befallen wird, lässt sie nichts unversucht, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Aber es scheint fast zu spät: Uralte Mächte wissen von der Schwäche ihres Freundes und setzen alles daran, ihn zu vernichten. Wild entschlossen, Gardorath vor der nahenden Katastrophe zu bewahren, macht sich Gelya auf die Suche nach einem Heilmittel. Begleitet wird sie dabei von dem geheimnisvollen Yldur, der für sie ein einziges Rätsel ist und doch seltsame Gefühle in ihr weckt …

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Vita

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© privat

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Für alle, die Fragen stellen und sich nicht mit der einfachen Antwort zufriedengeben.

Für alle, die immer noch ihren Weg suchen.

Lasst euch nicht entmutigen!

1. Kapitel

Mit einem Lächeln auf den Lippen betrachtete Gelya den näher kommenden Hafen von Eiskralle. Nach neun Monaten auf See konnte sie es kaum erwarten, die Stadt endlich wiederzusehen. Es war ihre bisher längste Expedition gewesen und sie bereute keine Sekunde davon, auch wenn sie das eigentliche Ziel, neues Land zu finden, nicht erreicht hatten. Dafür waren sie auf viele neue Tier- und Pflanzenarten gestoßen. Aber als der vertraute Geruch von Eiskrallen und die Geräusche der summenden Stadt vom Wind aufs Meer getrieben wurden, da hatte sie das Gefühl, vor Freude platzen zu müssen.

»Auf was freust du dich am meisten? Endlich was Frisches zu essen? Ein vernünftiges Bett?«, fragte Elinnya, die am Steuerruder neben ihr stand und das Schiff geschickt in den vollen Hafen manövrierte.

Gelya lachte und warf ihrer Freundin einen kurzen Blick zu. »Alles. Am besten gleichzeitig. Aber wahrscheinlich gehen der Kapitän und ich zuerst in den Palast. In der letzten Nachricht, die uns von der Königin erreichte, stand, sie würde bei unserer Ankunft in Eiskralle sein.«

Während die Feen in den letzten Jahren die Zerstörungen beseitigt hatten, die Adalien heimgesucht hatten, waren nicht nur beide Hauptstädte der Regionen wieder aufgebaut worden, sondern auch eine dritte, zentrale Hauptstadt war entstanden. Sie lag unterhalb des ehemaligen Berges der Zusammenkunft, genau auf der Grenze, und war inzwischen von vielen Dörfern und kleineren Städten umgeben. Die meiste Zeit des Jahres hielten sich die Königin und der König dort auf, in der Kronstadt. Aber sie nahmen ihre Pflichten gegenüber ihrem Volk sehr ernst und unternahmen daher einmal im Jahr eine längere Reise durch das Land. Manchmal zusammen, manchmal getrennt. Und sie endete immer in Eiskralle oder Lavabrand.

Am Hafen legte gerade unter dem Kommando des Kapitäns das Hauptschiff ihrer Dreischiffflotte an und auf sein Handzeichen hin wandte Gelya sich wieder ihrer Crew zu. Ihrer Crew. Nachdem die Fee, die eigentlich für dieses Schiff verantwortlich gewesen war, bei einem Sturm über Bord gegangen war, hatte der Kapitän es ihr anvertraut. Eine unglaublich große Ehre für jemanden, der so jung war wie sie.

»Macht euch bereit zum Anlegen. Wir sind die Nächsten!«, rief sie mit dem, was ihre Freunde ein »kräftiges Organ« nannten.

Während der nächsten Minuten arbeiteten sie schweigend und konzentriert. Der Anker wurde ausgeworfen, Feen an Land fingen die geworfenen Leinen auf und vertäuten das Schiff sicher an den Pollern. Zum Schluss verbanden zwei Feen Schiff und Hafen mit dem Steg.

»Kapitänin«, sagte Elinnya, immer noch am Steuerruder, und deutete eine Verbeugung an, während sie frech grinste.

Gelya verdrehte nur die Augen, als sie an ihr vorbeiging und über den hölzernen Steg das Festland betrat. »Hmpf«, machte sie und hatte fast das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren. Nach den vielen Monaten auf See war ihr das Schwanken zum Normalzustand geworden.

»Ich sage ja immer wieder: Daran gewöhnt man sich«, brummte der Kapitän, der von dem anderen Schiff zu ihr hinuntergekommen war. Immer noch hatte er den gleichen knurrigen Tonfall drauf wie vor fünf Jahren, aber sie machte sich schon lange keine Gedanken mehr darüber. Er mochte sie, sonst hätte er ihr kaum angeboten, sie zur Schülerin zu nehmen, nachdem er von ihrem Wunsch, zur See zu fahren, gehört hatte. Er nickte ihr wohlwollend zu. »Gut gemacht. Einwandfreies Kommando in den letzten Wochen.«

»Danke«, sagte Gelya und lächelte stolz. Der Kapitän hatte ihr beigebracht, Komplimente selbstbewusst anzunehmen und sich nicht verlegen abzuwenden.

»Wenn ich es nicht ernst meinen würde«, hatte er am Anfang ihrer Ausbildung zur Seefee brummend gesagt, »würde ich es nicht sagen.«

»Wir werden offensichtlich schon erwartet«, sagte sie und deutete nach vorn. Am Rande des Hafens, dort, wo die größte Straße der Stadt begann, standen eine Handvoll Wachen und betrachteten das Treiben neugierig, aber wachsam. Gelya hatte keine Zweifel, dass man sie schon bemerkt hatte, aber offensichtlich wollte man höflich sein und darauf warten, bis sie von selbst kamen.

»Dann schieben wir es nicht länger vor uns her. Je eher wir mit der Königin sprechen, desto schneller bekommen wir eine ordentliche Mahlzeit«, bestimmte der Kapitän. Er bellte der Crew der drei Schiffe noch einige Befehle zu und ging dann gemeinsam mit Gelya zu den Wachen. Diese salutierten vor ihnen.

»Willkommen zurück in Eiskralle! Die Königin wünscht Euch beide zu sprechen!«

»Wenn du mir das nicht gesagt hättest, Junge, wäre ich nicht selbst drauf gekommen«, antwortete der Kapitän trocken und Gelya musste über den verwirrten Gesichtsausdruck der jungen Wache schmunzeln.

***

Ohne größere Zwischenfälle durchquerten sie die Straßen. Sie sahen nicht großartig anders aus, seitdem Gelya die Stadt das erste Mal betreten hatte. Nichts deutete mehr auf die Zerstörung durch die Feuerwand oder die Rebellen hin. Die Stimmung war wie immer geschäftig, brummend vor Handel und plaudernden Feen. Einige grüßten sie, starrten sie an und tuschelten dann mit ihren Nachbarn, aber das war Gelya gewohnt. Auch wenn es nach neun Monaten, die trotz der anderen Feen auf dem Schiff beinahe einsam gewesen waren, fast unangenehm war. So viele Gerüche und Geräusche! Hinter ihren Schläfen spürte sie, wie sich Kopfschmerzen zu bilden begannen, und sie freute sich auf die Ruhe des Palastes. Dieser tauchte schnell genug auf und für einen Moment blieb sie stehen, was auch den Rest der Gruppe zum Halten zwang.

»Mylady?«, fragte die junge Wache, die vorhin schon gesprochen hatte, ein wenig verwirrt.

Sie verband den Anblick des Palastes mit einer Vielzahl von Erinnerungen und Emotionen. Schmerz, Wut, Trauer, Hilflosigkeit. Aber auch Mut, Hoffnung, Stärke und Freundschaft. Fünf Jahre waren seit dem Kampf um Eiskralle, seit dem Kampf um ganz Adalien, vergangen und sie konnte sich an jeden Moment glasklar erinnern. Diese Ereignisse zu verarbeiten war ein schmerzhafter Prozess gewesen. Sie war zu jung zum Kämpfen gewesen, zu jung für das Sterben und Morden. Aber sie hatte es überstanden und es hatte sie stärker gemacht, als die meisten anderen Feen es je sein würden. Trotzdem war sie froh, dass der Palast die größte Veränderung in der Stadt durchlaufen hatte. Es gab keine Mauern und Tore mehr, die den Park von ihr abgrenzten. Nun konnte ihn jeder betreten. Anstelle von Skulpturen hatte man Blumen und Bäume angepflanzt und kleine Teiche angelegt, die regelmäßig von Feuerfeen von Eis befreit wurden. Zudem verfügte er nun über drei unterschiedlich große Türme, die meisterhaft aus Eis gebaut worden waren. Im höchsten Turm waren die Gemächer der Königin. In dem, der den besten Blick auf das Meer hatte, lebte eine Delegation der Feen der Prophezeiung und der dritte war Freunden und nahestehenden Gästen vorbehalten. Gelya gehörte zu Ersteren und hatte dort drei eigene Zimmer.

Sie riss sich von dem Anblick und der Vergangenheit los. »Wir können weiter«, erklärte sie.

Der Kapitän warf ihr einen wissenden Blick zu, aber er sagte nichts weiter. Er war schließlich dabei gewesen. Er wusste, woran sie dachte.

Bevor sie jedoch den Palast betreten konnten, hörte sie von vorn Stimmen.

»Eure Hoheit, das ist wirklich nicht …«

»Lasst mich durch«, ertönte die vertraute Stimme energisch und die Gruppe der Wachen machte sofort Platz.

Gelyas Kopf war schon herumgeruckt, als sie die Stimme gehört hatte, aber jetzt breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus.

»Ich dachte, ich komme euch entgegen«, erklärte Andira, aber bevor sie noch etwas anderes sagen konnte, hatte Gelya den Abstand zwischen ihnen überwunden und warf sich in Andiras Arme. Das war natürlich weit davon entfernt, schicklich oder angemessen zu sein, aber jeder wusste, dass die Königin und Gelya einander so nahestanden wie Schwestern. Und immerhin war Gelya maßgeblich an der Rettung des Landes beteiligt gewesen.

Andira erwiderte ihre Umarmung herzlich und schob sie dann ein Stück weg, um sie genauer betrachten zu können. »Du siehst gut aus. In einem Stück. Gonya wird sich freuen. Sie wollte gestern schon in der Stadt sein, aber sie wurde aufgehalten«, erklärte sie.

»Aufgehalten? Ist ihr etwas passiert?«, fragte Gelya besorgt.

Andira grinste leicht. »So kann man es nicht nennen. Ich glaube, eine gewisse Wasserfee, die mit seltenen Perlen handelt, hat etwas damit zu tun.«

Gelya schüttelte den Kopf, aber war erleichtert. Nichts hatte sich geändert. Gonya war immer noch auf der Suche nach dem Richtigen und offensichtlich immer noch nicht erfolgreich. Was jedoch die Perlen anging … Sie warf dem Kapitän einen fragenden Blick zu, den dieser ruhig erwiderte.

Andira, der das offensichtlich nicht entgangen war, runzelte leicht die Stirn. »Kommt. Wir müssen reden. Es ist einiges passiert.«

Ihre Stimme stockte bei dem Wort »passiert« und Gelya horchte auf. Sie betrachtete ihre Freundin, ihre Schwester, ihre Königin, und stellte fest, dass sie unter der Wiedersehensfreude alles andere als glücklich wirkte. Ein trauriger, besorgter Ausdruck stand in ihren Augen und sie hielt sich unnatürlich gerade, was sie nur tat, wenn etwas sie beschäftigte.

Sie legten das erste Stück des Weges durch den Palast schweigend zurück. Durch die fast durchsichtigen Wände aus Eis schimmerte das Abendrot und tauchte alles in ein rötliches, goldenes Licht. Ein Anblick, der Gelya auch nach Jahren noch leise seufzen ließ. Es war wunderschön.

»Seid ihr hungrig? Ich hoffe es, die Köche haben nämlich etwas vorbereitet«, erklärte Andira schließlich.

»Du meinst eine echte Mahlzeit? Mit frischen Zutaten?«, fragte Gelya und riss übertrieben die Augen auf, bevor sie grinste.

»Das klingt sehr gut, Eure Hoheit«, sagte der Kapitän, der trotz mehrmaliger Aufforderung von Seiten Andiras niemals auf die Höflichkeitsform verzichtete.

»Wunderbar. Dann hier herein«, erwiderte Andira und deutete nach vorn.

Die Wachen öffneten vor ihnen die Tür zu dem kleinen, privaten Speisesaal auf der zweiten Ebene des Palastes. Die erste war nach dem Umbau für offizielle Anlässe vorgesehen und die zweite für Angelegenheiten im kleineren Rahmen.

Gelyas Müdigkeit war vergessen, als sie das Buffet sah. Es war an der rechten Längsseite aufgebaut. Nicht weit davon entfernt, in der Mitte des Raumes, stand ein Tisch, groß genug für sieben Feen, der von flackernden Kerzen erleuchtet wurde.

»Nur zu«, forderte Andira sie auf. »Kein Grund für höfische Zurückhaltung. Nicht, dass du eine solche besitzt.«

»Ich bin keine Wilde!«, erwiderte Gelya entrüstet, nahm sich aber nur allzu gern eine Auswahl ihrer Lieblingsspeisen, ebenso wie der Kapitän. Andira begnügte sich mit ein wenig Obst und setzte sich dann an das Kopfende des Tisches. Sie schickte die Bediensteten weg und befahl den Wachen, vor der Tür zu bleiben, als sich Gelya und der Kapitän rechts und links neben sie setzten.

»Esst zuerst, dann reden wir«, befahl sie.

Niemals würde Gelya auf die Idee kommen, einem Befehl der Königin nicht zu gehorchen, es sei denn, er gefiel ihr nicht. Daher stürzte sie sich schweigend auf ihr Essen.

Einige Zeit später schob sie ihren Teller endgültig beiseite und lehnte sich zurück.

»Ich habe euren Brief bekommen, aber erst gestern. Eure Andeutungen waren mehr als rätselhaft. Fangt also gerne an. Was genau habt ihr erlebt?«, sagte Andira, obwohl Gelya sehen konnte, dass es die andere Fee drängte zu erzählen. Vor allem das bereitete ihr ein ungutes Gefühl. Was konnte nur passiert sein? In der Stadt hatte sie nichts bemerkt, die Stimmung war nicht angespannter gewesen als sonst.

»Es klingt etwas verrückt«, begann Gelya zögerlich, nachdem sie einen kurzen Blick mit dem Kapitän getauscht hatte.

»Mit verrückt kennen wir uns aus«, erwiderte Andira und seufzte.

»Das stimmt, Eure Majestät. Aber es wird Euch nicht gefallen, was wir zu berichten haben.«

Die Worte des Kapitäns waren beinahe zu laut in der drückenden Stimmung, die plötzlich im Raum herrschte. Gelya fröstelte es, ohne dass sie sagen konnte warum. In den letzten Jahren hatte sich herausgestellt, dass ihre Affinität zum Wasser deutlich größer war als zum Eis. Sie fror schneller als andere Wasserfeen. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, als ob die Kälte, die in den Raum eingezogen war, nichts mit körperlichem Unwohlsein zu tun hatte. Etwas Großes kam auf sie zu. Etwas, das ihre Erzählung mit dem verband, was Andira ihnen berichten wollte.

»Fahrt fort«, forderte diese ihn auf. Ihre Hand, die auf der Tischplatte lag, ballte sich zur Faust, ihre Finger zuckten nervös.

Ohne darüber nachzudenken, legte Gelya ihre Hand auf die ihrer Freundin. Sie zuckte ein wenig zusammen, als der kalte, stechende Schmerz von Andiras Eis durch ihren Körper schoss, aber sie ließ nicht los. Die ältere Fee warf ihr einen dankbaren Blick zu.

»Die ersten zwei Monate sind unspektakulär gewesen, das wisst Ihr aus den Briefen«, begann der Kapitän. »Dann haben die Träume angefangen.«

»Der Kapitän, Elinnya und ich hatten sie zuerst. Frag mich nicht, was ich gesehen habe, ich kann es dir nicht sagen. Es war so viel Feuer«, murmelte Gelya, von den Erinnerungen überwältigt. »Meine Träume waren nur Feuer und Rauch und Hitze. Elinnya hat erzählt, sie würde das Klirren von Schwertern hören und eine Menge Blut sehen.«

»Meine Träume dagegen sind geradezu friedlich«, warf der Kapitän ein. »Ein fernes Singen, eine glitzernde Höhle.«

»Sind?«, wiederholte Andira. »Ihr träumt immer noch?«

»Jede Nacht. Und mit jeder waren mehr Feen betroffen. Nach vier Wochen hat jede einzelne Fee meiner Besatzung geträumt. Und dann haben wir die Perlen gefunden.«

»Perlen? Was haben Perlen mit Träumen zu tun?«, fragte Andira verdutzt.

»Es war verrückt! Absolut verrückt. Die Wasserfeen unter uns sind regelmäßig tauchen gegangen und an einem Tag ist eine Gruppe von uns hochgekommen und hat den Rest von uns gebeten, sie zu begleiten. Ich habe sogar Elinnya mitgenommen. Das Übertragen der Kräfte funktioniert selbst in diesem Bereich, ist das nicht beeindruckend?«, verlor sich Gelya kurz in der Schwärmerei. Nachdem Andira, Gardorath und sie auf der Reise zur Herzregion mehrmals ihre Kräfte verbunden hatten, ganz zu schweigen davon, wie Wasser- und Feuerfeen gemeinsam die Feuerwand besiegt hatten, hatten sie viele Versuche in diese Richtung unternommen.

»Gelya«, sagten Andira und der Kapitän wie aus einem Mund und sie zog verlegen die Schultern hoch.

»Entschuldigung. Jedenfalls, wir haben sie dann auch gesehen. Muscheln. Also, Perlenmuscheln.«

»Was erst einmal nicht ungewöhnlich ist. Im Meer«, bemerkte Andira und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Da habt Ihr recht, Eure Hoheit«, antwortete der Kapitän und kratzte sich den dichten Bart. »Ungewöhnlich ist jedoch, wenn sie alle in dieselbe Richtung schwimmen. Sofern man bei Muscheln von Schwimmen sprechen kann. Sie navigieren schließlich eher mit ihrem Fußfortsatz durch die Strömung und …«

»Kapitän!«, riefen dieses Mal Andira und Gelya gleichzeitig. Die Muschelvorträge der alten Wasserfee waren stadtweit bekannt und gefürchtet. Sie hatten nämlich die Angewohnheit, kein Ende zu nehmen.

»Wie auch immer«, brummte er etwas ungehalten über die Unterbrechung. »Das ist äußerst ungewöhnlich. Die Muscheln schienen einer Spur zu folgen. Wir sind ihnen eine Weile gefolgt, aber dann kam der Sturm und einige von uns sind über Bord gegangen. Zwei konnten wir rausfischen, die anderen sind zurückgeblieben.«

Andira drückte mitfühlend Gelyas Hand, die sie immer noch hielt, und nun war Gelya dankbar für die tröstliche Nähe. Es war schrecklich gewesen. Natürlich musste man mit Stürmen rechnen, wenn man auf die hohe See fuhr. Aber sie würde nie den Ausdruck der Feuerfee vergessen, die das Kommando über ihr Schiff gehabt hatte, als sie den Halt verloren und in das tosende, schäumende schwarze Wasser gefallen war. Sie hatte die Fee nicht sonderlich gemocht, aber wenn es sie gerettet hätte, wäre sie ihr sofort hinterhergesprungen. Elinnya hatte sie jedoch zurückgehalten. In so einem Sturm konnten auch Wasserfeen ertrinken.

»Ich konnte ihm nicht mehr helfen. Er ist einfach ins Meer gefallen«, murmelte sie.

»Das ist das Risiko, wenn man auf See fährt, Gelya«, sagte der Kapitän ernst. »Jeder von uns weiß, worauf er sich einlässt.«

»Das heißt aber nicht, dass wir den Tod einfach akzeptieren!«, gab Gelya heftiger als beabsichtigt zurück.

»Natürlich nicht. Wir haben zwei von unseren Leuten vor dem Tod gerettet, was ein größerer Sieg ist, als ich ihn sonst erleben durfte. Nach dem Sturm sind wir zurück in Richtung Adalien gefahren, Eure Hoheit«, lenkte der Kapitän das Gespräch wieder auf das Thema, bei dem sie stehen geblieben waren. »Die Crew ist, ich kann es nicht anders sagen, verstört. Die wenigsten verstehen etwas von prophetischen Träumen.«

»Ihr glaubt, sie sind prophetisch?«, fragte Andira beunruhigt.

Es war nicht schwer festzustellen, woher ihre Beunruhigung kam. Sie war immerhin selbst mit prophetischen Träumen gesegnet. Oder verflucht. Es hatte auf der Reise in die Herzregion angefangen und sie danach das eine oder andere Mal vor Mordanschlägen gewarnt.

»Einige Feen haben von dem Sturm geträumt«, erklärte Gelya düster. »Und der Kapitän glaubt, dass er die Muscheln in seinen Träumen sieht. Oder zumindest den Ort, zu dem sie wollen.«

Andira sah nachdenklich ins Leere.

Gelya, die nicht mehr stillsitzen konnte, entzog ihr vorsichtig ihre Hand, um sich, nicht zum ersten Mal, die Bilder an den Wänden anzusehen. Vor ihrem Lieblingsbild blieb sie stehen und lächelte, obwohl sie kein Gefühl von Freude empfand. Das Bild zeigte die Hochzeit von Andira und Gardorath vor zwei Jahren. Der beste Künstler des Königreichs hatte es gemalt und sich selbst übertroffen. Jedes kleine Detail an Andiras Kleid, jede Perle, jedes Funkeln, war zu erkennen. Die Gesichter waren wie Spiegelbilder der realen Feen und Gelya schnitt eine Grimasse, als sie sich selbst fand, schräg hinter Andira stehend. Sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass es einige Bilder gab, auf denen auch sie zu sehen war.

»Was wollt ihr? Eine Erlaubnis für eine zweite Mission, um der Sache auf den Grund zu gehen?«, fragte Andira in dem Moment und Gelya drehte sich um.

Expeditionen brauchten eigentlich die Zustimmung des Rates, aber bevor sie den überzeugen konnten, bräuchten sie Andira auf ihrer Seite.

»Mit Verlaub, Eure Majestät, aber das halte ich nicht für klug. Nicht, solange wir nicht wissen, was vor sich geht. Ich würde gerne mit den Feen der Prophezeiung reden«, fügte der Kapitän hinzu. Er und Gelya hatten bereits darüber gesprochen und sich auf diese Vorgehensweise geeinigt. Wenngleich Gelya am liebsten sofort wieder aufgebrochen wäre. Sie hielt nicht viel von ewiger Nachdenkerei und Abwägerei, wenn man genauso gut etwas tun konnte!

»Von mir aus. Im Moment halten sich drei von ihnen in Eiskralle auf. Sie werden sicher ein wenig Zeit für Euch finden, Kapitän«, sagte Andira und lächelte ein wenig erschöpft. Nein, nicht erschöpft. Eher wie jemand, der eine große Last auf den Schultern trug und beinahe von ihr erdrückt wurde.

»Was ist passiert, Andira?«, fragte Gelya sanft. »Nicht, dass ich beleidigt bin, aber ich hätte gedacht, dass Gardorath ebenfalls hier ist, wenn wir zurückkommen.«

Als ihre Freundin zittrig einatmete und offensichtlich gegen Tränen anblinzelte, eilte sie zum Tisch zurück und zog sich einen Stuhl heran, um sich direkt neben Andira zu setzen.

»Was ist passiert?«, wiederholte sie eindringlich.

»Es ist Gardorath«, flüsterte Andira erstickt. »Weißt du noch, dass wir immer dachten, ich würde es sein? Weil ich Wasserlauf getötet habe? Aber wer von uns ist als Erstes mit den Kräften eines Drachen, die gegen uns gerichtet waren, in Berührung gekommen?«

Gelya blieb der Mund für einige Sekunden offen stehen, bis ihr Verstand begriff und sie ihn zuklappte. »Du meinst, in der Herzregion? Gardorath, das Feuer dieses Drachen? Aber … Das kann nicht sein! Das ist über fünf Jahre her!«

»Eure Hoheit, was geht hier vor?«, fragte der Kapitän, der bis dahin aufmerksam zugehört hatte und sich vermutlich kaum einen Reim auf ihre Sätze machen konnte.

»Als Andira und Gardorath in der Herzregion gegen den Drachen gekämpft haben, wurde Gardorath von dessen Feuer eingehüllt. Du weißt doch, dass wir annehmen, dass Lirons Wahnsinn deswegen so schlimm gewesen ist, weil er gegen Funkenflug gekämpft hat. Er hat vermutlich ebenfalls etwas von ihrem Feuer abbekommen, und auch wenn man keine Wunden gesehen hat, waren sie da.«

»Wie eine Krankheit. Eine Infektion«, flüsterte Andira. »Liron hatte Schuppen. Gardorath … auch. Und er hat starke Stimmungsschwankungen. Kurz vor meiner Abreise hat er unsere Gemächer komplett verwüstet, weil er wegen irgendeiner Kleinigkeit wütend geworden ist.«

Sie rieb sich abwesend den Arm und Gelyas Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie mochte Gardorath, wirklich. Aber wenn er Andira auch nur ein Härchen gekrümmt hatte, Krankheit hin oder her, dann würde sie ihm eigenhändig die Faust ins Gesicht schlagen.

Andira, die ihre Gedanken offensichtlich von ihrem Gesicht ablas, warf ihr einen mahnenden Blick zu. »Es ist nichts. Ein Regalsplitter hat mich getroffen. Am nächsten Tag war es wieder verheilt.«

»Nichts!«, wiederholte Gelya und schüttelte aufgebracht den Kopf. »Wo ist er? Ich werde ihn so lange schütteln, bis er nicht mehr geradeaus laufen kann!«

Sie wusste, dass sie mit ihrem Zorn nur versuchte, ihr Entsetzen zu überspielen. Sogar vor sich selbst. Sie wollte nicht glauben, was Andira ihr erzählte. Sie wollte nicht an die Konsequenzen denken, die es haben würde, wenn Andira richtiglag.

»Seid Ihr sicher, Eure Hoheit? Wer weiß davon?«

»Nicht viele. Ich traue euch beiden und ich weiß, dass ihr mich nicht verraten werdet. Aber ich sage es trotzdem: Was ich euch erzähle, darf diesen Raum unter keinen Umständen verlassen.«

»Natürlich«, sagte Gelya sofort. »Wir werden niemandem etwas verraten.«

»All Eure Geheimnisse sind bei uns sicher, Eure Hoheit«, erwiderte der Kapitän. Sein sonst so ausdrucksloses Gesicht zeigte Sorge. »Erzählt von Anfang an, was passiert ist.«

»Es fing vor … Tatsächlich fing es zwei Monate, nachdem ihr zu der Expedition aufgebrochen seid, an. Als eure Träume begannen«, fügte Andira langsam hinzu.

»Zufälle soll es geben, aber in diesem Fall bezweifle ich das«, murmelte Gelya und zog nachdenklich an ihren Fingern. Eine Angewohnheit, die sie sich abzugewöhnen versuchte, weil das leise Knacken ein wirklich unangenehmes Geräusch war.

»Ich habe sie bemerkt. Die Schuppen. Sie haben auf Gardoraths Rücken angefangen zu wachsen, da, wo seine Flügel beginnen. Er hat vorher schon gespürt, dass seine Kräfte stärker geworden sind, oder besser gesagt unkontrollierter, aber er hat es auf Ablenkung und Stress geschoben.«

»Und das hast du geglaubt?«, fragte Gelya argwöhnisch. Das wäre das erste Mal, dass sie hörte, dass eine Fee durch »Stress« zu einem wild gewordenen Feuerspucker wurde. Zumindest stellte sie sich das vor, wenn Andira von stärker werdenden Kräften sprach.

Die andere Fee verdrehte die Augen. »Ja. Nein. Ich bin nicht gerade diejenige, die über unkontrollierte Kräfte urteilen kann«, brummte sie. »Und es gibt Berichte über gekrönte Feen, die durch das Tragen der Krone eine Verstärkung ihrer Kräfte verspürt haben.«

»Ja, das habe ich auch gelesen. Aber das passiert innerhalb des ersten Jahres. Nicht nach fünf«, gab Gelya zurück. »Aber das ist jetzt erst mal egal. Ihr hattet viel um die Ohren und habt nicht darauf geachtet. Warum auch?«

»Danke«, erwiderte Andira etwas spitz. »Wir haben es am Anfang niemandem erzählt. Keinem Berater, keinem unserer Freunde. Niemandem. Ich glaube, wir haben beide gehofft, dass es einfach … verschwindet. Wenn wir es ignorieren.«

»Aber es ist nicht verschwunden«, sagte der Kapitän.

Andira schüttelte mit einem düsteren Gesichtsausdruck den Kopf. »Im Gegenteil. Die Schuppen wachsen stetig. Sogar der Ansatz seiner Flügel wird ledrig. Noch kann er die Veränderungen unter seiner Kleidung verstecken. Aber es gibt bereits einige, denen seine Stimmungsschwankungen auffallen. Die bemerken, dass er immer … explosiver wird. Er hat nach einer außerordentlich anstrengenden Ratssitzung den Saal mit Magma geflutet.«

Gelya, die, um ihre Finger zu beschäftigen, gerade einen Schluck Wasser getrunken hatte, prustete die Flüssigkeit quer über den Tisch. »Er hat was?«

Sie wusste selbst, wie langweilig Ratssitzungen waren. Schließlich hatte sie an einigen teilgenommen, nachdem man den Rat neu aufgestellt hatte. Was früher nur eine Angelegenheit zwischen den Königen und Königinnen und deren Beratern gewesen war, war mittlerweile eine zwischen der Königin, dem König, jeweils zwei Beratern und zehn Vertretern aus dem Volk. Fünf Wasser- und fünf Feuerfeen. Das war der kleine Rat. Über den großen hatte Gelya längst den Überblick verloren. Das neue System sollte für mehr Gerechtigkeit und Demokratie sorgen, allerdings fragte sie sich manchmal, wer es überhaupt noch durchschaute. Sie ganz sicher nicht. Auf jeden Fall konnte sie verstehen, warum man das Bedürfnis haben könnte, den Ratssaal zu fluten. Aber ihn tatsächlich mit Magma zu füllen, kam ihr dann doch ein wenig extrem vor.

Andira lächelte schwach. »O ja. Ich kann es ihm kaum verübeln. Es war eine furchtbare Sitzung, aber seine Reaktion war vielleicht etwas übertrieben.«

»So was Ähnliches dachte ich auch gerade«, murmelte Gelya und rieb sich die Schläfen. Die hilflose Wut in ihr, von der sie nicht einmal wusste, auf wen sie sich richtete, war einem pochenden Gefühl von Sorge gewichen, das sich in stärker werdenden Kopfschmerzen materialisierte. Was ganz oben auf der Liste von Dingen stand, die sie im Moment absolut nicht gebrauchen konnte.

»Danach war jedem, egal wie unaufmerksam er auch sein mag, klar, dass etwas nicht stimmt. Ich weiß nicht, ob bereits irgendjemand, der es nicht sollte, die richtigen Schlüsse gezogen hat.«

»Das glaube ich nicht«, erklärte Gelya entschieden. »Es gibt kaum welche, die überhaupt von der Drachenkrankheit wissen. Und ich habe niemandem erzählt, dass Gardorath mit Drachenfeuer bespuckt wurde.«

Sie, Andira und Gardorath hatten nach den katastrophalen Ereignissen versucht, den Feen schonend beizubringen, dass sie nicht von Vögeln, sondern von Drachen abstammten. Sie hatten ihnen von den Siegeln erzählt und davon, dass Lirons Mord an Funkenflug ihn erst in den Wahnsinn getrieben hatte. Was das Brechen der Siegel und die möglichen Auswirkungen auf das Volk der Feen anging … da waren sie vage geblieben. Gelya hatte sich häufig gefragt, ob das der richtige Weg gewesen war. Aber sie hatten keinerlei Informationen gehabt, sie wussten nicht, ob die Siegel tatsächlich gelöst waren. Ja, Wasserlauf und Funkenflug lebten nicht mehr. Sie hatten dafür gesorgt, dass die Feen nicht wieder zu Drachen wurden. Aber ob ihr Tod diesen Schutz wirklich aufhob, da waren sie sich trotz aller Nachforschungen nicht sicher gewesen.

»Die Siegel sind also beide gelöst«, sagte Gelya leise. »Oder nicht? Das bedeutet es doch? Sonst hätte das Drachenfeuer auf Gardorath keine Wirkung gehabt?«

Andira zögerte mit der Antwort. Dann hob sie etwas ratlos die Schultern. »Vielleicht. Vielleicht hätte es aber auch keinen Unterschied gemacht, wenn Wasserlauf nicht gestorben wäre. Vielleicht wäre das mit Gardorath so oder so passiert. Vielleicht war er verdammt, seit ihn das Feuer getroffen hat.«

Sie presste sich die Hand auf den Mund. Tränen schimmerten in ihren Augen und sie schien nur mit Müh und Not ein Schluchzen zurückzuhalten. Der Anblick ihrer besten Freundin, so traurig und hilflos, trieb auch Gelya die Tränen in die Augen. Und die Sorge um Gardorath tat ihr Übriges. Er musste furchtbare Angst haben. Niemals könnte er Andira auch nur ein Haar krümmen und nun hatte er sie unabsichtlich verletzt. Und würde es vielleicht wieder tun. Würde die Kontrolle verlieren und vermutlich so enden wie Liron. Oder er würde ganz zum Drachen werden. Die Erkenntnis, dass sie nichts, aber auch gar nichts tun konnte, weil sie in ihren Nachforschungen zur Drachenkrankheit absolut nicht weitergekommen war, traf sie wie ein Faustschlag in die Magengegend.

»Gelya hat es als Krankheit bezeichnet. Ist sie ansteckend?«, durchbrach die Stimme des Kapitäns ihre Verzweiflung.

Andira atmete tief durch, um sich wieder zu sammeln, und Gelya wischte sich über die Augen.

»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Andira leise an den Kapitän gewandt. »Wenn sie es ist, bin ich immun. Und wenn andere etwas bemerkt haben, haben sie uns nichts davon gesagt.«

»Ihr habt auch nichts gesagt. Warum sollten sie, wenn sie noch viel weniger verstehen, was vor sich geht?«, gab die ältere Fee zurück.

Unter seinen Worten zuckte Andira ein wenig zusammen. »Ihr findet, wir sollten es allen sagen?«

Der Kapitän hob die breiten Schultern und ließ sie ratlos wieder sinken. »Das kann ich Euch nicht sagen. Vielleicht wäre es sicherer für Euer Volk. Vielleicht würde es aber auch nur zu unnötiger Panik führen. Ich nehme an, dass sich die politische Situation nicht grundlegend geändert hat?«

Nun verzog Andira das Gesicht und auch Gelya rümpfte die Nase. Sie wusste, worauf der Kapitän anspielte. Auf die Asche-Fraktion. Eine politische Gruppierung, die sogar einen ihrer Leute in den kleinen Rat bekommen hatte. Sie war kurz nach dem Chaos aufgetaucht. »Aus der Asche«, wie sie zu sagen pflegten. Von Anfang an hatte Gelya vermutet, dass sich viele der Rebellen unter deren Schutz begeben hatten. Unter den Schutz der Adligen, die seit fast fünf Jahren gegen jede Entscheidung kämpften, die vom Königshaus oder dessen Anhängern ausging. Was sie als »volksnah« zu tarnen versuchten, war reine Gier nach Macht. Sie wollten eine neue Monarchie an die Stelle der alten setzen, um ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen.

»Hoch lebe die Demokratie«, grummelte Gelya. »Wenn sie wüssten, dass Gardorath …«

»Sie würden versuchen ihn zu töten«, beendete Andira ihren Satz. »Ohne zu zögern. Sie würden es schaffen, das Volk gegen ihn aufzuwiegeln.«

»Sind sie so mächtig geworden?«, fragte der Kapitän und runzelte die Stirn.

»Ja, aber darüber können wir morgen sprechen«, antwortete Andira mit plötzlicher Entschlossenheit. »Ihr beide verdient ein weiches Bett und einen erholsamen Schlaf. Die Probleme dieses Landes werden sich nicht an einem Abend und unter sechs Augen lösen lassen.«

Gelya erhob sich nur widerstrebend. Sie wollte etwas tun. Irgendetwas. Nur gab es nichts. Die Erkenntnis ließ sie beinahe wieder in den Stuhl zurückfallen. Wenn sie in den letzten fünf Jahren neben ihrer Ausbildung und ihren Expeditionen Zeit gehabt hatte, hatte sie gelesen und geforscht und Feen befragt. Auf der Suche nach Hinweisen, wie sie die Drachenkrankheit bekämpfen könnten, wenn sie ausbrach. Sie waren natürlich davon ausgegangen, dass sie, wenn sie ausbrach, es bei Andira tat. Nicht dass das einen Unterschied machte. Sie hatten nichts gefunden. Und wenn die Feen der Prophezeiung etwas wussten, so hatten sie nichts gesagt.

»Ich weiß«, flüsterte Andira leise, die mittlerweile neben ihr stand. »An manchen Tagen überwältigt mich die Hilflosigkeit und ich kann kaum aufstehen. Aber ich muss. Ich mache weiter, jeden Tag. Für Gardorath. Und in der Hoffnung, doch noch ein Heilmittel zu finden. Ich brauche dich dabei.«

»Natürlich«, erwiderte Gelya leise, während der Kapitän an der Tür stand und so tat, als wäre er nicht im Raum. Sie drückte die Hand der anderen Fee kurz, dann verließen sie zu dritt den kleinen Speisesaal. Sie redeten nicht viel, bis Andira an einem Gang stehen blieb, der zu ihrem Turm führte, und der Kapitän sich aufmachte, in Richtung Palastausgang zu gehen.

»Ruht euch aus. Wir reden morgen weiter«, sagte sie leise. »Ich bin froh, dass ihr wieder zurück seid.«

Gelya lächelte schwach und nickte nur. Zu den wild kreisenden Gedanken in ihrem Kopf kam nun eine bleierne Müdigkeit. Sie wollte einfach nur schlafen, für ein paar Stunden im Reich der Träume versinken.

Sie folgte der sich eng windenden Treppe des Turmes, in dem sie ihre Gemächer hatte und von der immer wieder Türen ausgingen, bis ganz nach oben. Dort, hoch über der Stadt, lag ihr kleines Reich. Hier fühlte sie sich wohler als in Zusammenkunft, der Hauptstadt an der Grenze.

Der würzige Geruch der See erfüllte ihre Gemächer. Sie wusste nicht genau, woran es lag, aber irgendwie schien immer ein Wind zu gehen, der ihr den vertrauten, beruhigenden Duft ins Zimmer wehte. Diener hatten ihr Gepäck bereits nach oben gebracht und das Bett frisch bezogen.

Müde betrat sie den kleinen Balkon, der sich an ihr Schlafzimmer anschloss. Unter ihr breitete sich die Stadt aus mit ihren kleinen, hellen Lichtern. Wie Sterne. Ein Spiegelbild des Himmels über ihr, der an diesem Tag klar war. In Richtung Hafen war das Meer ein schwarzer Fleck, am Rand zwar noch von den auf und ab tanzenden Lichtern der Schiffe beleuchtet, weiter draußen jedoch stockdunkel.

Obwohl sie gerade erst von einer monatelangen Reise zurückgekommen war, spürte sie bereits den Ruf der See. Es war wie ein Singen in ihren Ohren. Sie meinte sogar, das Rauschen der Wellen zu hören. Vielleicht sollte sie einfach das nächste Schiff besteigen und nicht mehr wiederkommen. Für immer die Welt erkunden.

Beinahe sofort schalt sie sich für den Gedanken. Sie konnte Andira und Gardorath nicht im Stich lassen. Sie konnte das Land nicht im Stich lassen.

2. Kapitel

Mit einem zufriedenen Seufzen zog sich Gelya die Decke bis über die Nasenspitze und sah an den Baldachin des großen Bettes. Sie war schon seit einer ganzen Weile wach, aber noch hatte sie die Gemütlichkeit ihrer Decken und Kissen nicht verlassen wollen. Sie wusste, dass sie das Aufstehen nicht mehr lange vor sich herschieben konnte. Außerdem würde Gonya heute in die Stadt kommen, sie war vielleicht sogar schon da, und auch wenn sie das niemals offen zugeben würde, vermisste sie ihre ältere Schwester schmerzlich.

Wie immer, wenn sie an Gonya dachte, wanderten ihre Gedanken zu Griya weiter. Auch sie vermisste sie jeden Tag. Nur war dies eine Art von Schmerz, der sie nicht verlassen würde. Damit hatte sie sich mittlerweile abgefunden. Sie war unendlich froh darüber, von Feen umgeben zu sein, die ihre Trauer nachvollziehen konnten. Auch wenn sie sich gar nicht vorstellen wollte, was Andira in den Monaten nach dem Kampf durchgemacht hatte. Sie hatte nicht nur ihre Eltern verloren, sondern auch ihren Bruder. Zum zweiten Mal. Und dieses Mal hatte sie ihn mit ihren eigenen Händen getötet. Aber Andira sprach kaum darüber und deswegen fragte Gelya nicht. Sie hoffte nur, dass die ältere Fee wenigstens mit Gardorath darüber redete … Und wenn sie schon bei Gardorath war: Wie ging es ihm wohl? Hatte er sich unter Kontrolle? Was konnten sie tun, um ihm zu helfen?

Mit einem genervten Stöhnen schlug sie die Decke zurück. Ihre Gedanken hatten es mal wieder geschafft, die friedliche und ruhige Stimmung einer langen, erholsamen Nacht fortzuwischen.

***

Eine Stunde später schlenderte sie langsam durch die Stadt. Sie hatte gebadet und sich frische Kleidung angezogen. Vor allem Ersteres hatte sie in die Länge gezogen. Ein Bad war ein Luxus, den es auf einem Schiff nicht gab, und sie hatte ihn sehr genossen. Nun war sie auf dem Weg zu dem kleinen Laden, der Gonya gehörte. Sie stellte selbst keinen Schmuck her, verkaufte ihn aber und handelte mit Materialien. Über dem gut laufenden Geschäft hatte sie großzügige Räumlichkeiten, in denen sie wohnen konnte, wenn sie in der Stadt war.

»Gelya!«, hörte sie plötzlich hinter sich eine sehr vertraute Stimme und drehte sich um.

»Und da habe ich gehofft, ich würde dich ein paar Wochen nicht sehen«, gab Gelya zurück und zwinkerte Elinnya zu, welche die Augen verdrehte.

Auf den ersten Blick war die Feuerfee beinahe ein wenig furchteinflößend. Sie kam ganz aus dem Osten der Feuerregion und hatte rotbraune Haut und Haare, die aussahen, als wären sie aus Magma. Ihre Augen leuchteten wie glimmende Holzscheite. Für die meisten Wasserfeen in der Hauptstadt, die Gelya manchmal als beinahe farblos beschrieb, war ihr Anblick nicht selten eine Reizüberflutung. Sehr zu ihrer beider Erheiterung. Obwohl auch Gelya sie bei ihrer ersten Begegnung vor vier Jahren länger angestarrt hatte, als es höflich gewesen wäre. Aber nachdem sie in ihrer gemeinsamen Ausbildung viel Zeit miteinander verbracht hatten, erschien ihr der Anblick so normal wie ihr eigenes Spiegelbild.

»Ich habe mich eben nach dir gesehnt.« Elinnya lachte ihr trillerndes Lachen und hakte sich bei ihr unter. »Wohin gehst du? Doch nicht zu einer romantischen Verabredung, von der ich nichts wusste?«

»Wohl kaum«, schnaubte Gelya. »Ich wollte nachsehen, ob Gonya wieder da ist.«

»Meinst du, sie hat neue Ketten?«

Gelya lächelte über Elinnyas Begeisterung. Jetzt, da sie nicht mehr auf dem Schiff waren, wo es vor allem auf praktische Kleidung ankam, trug sie wieder ihren extravaganten Schmuck, unter dessen Last Gelya vermutlich zusammengebrochen wäre. Sogar die Tradition, sich Bänder und Perlen in die Haare zu flechten, hatte sie wie viele andere junge Feuerfeen von den Wasserfeen übernommen. Für die Gelya nicht unbedingt ein Beispiel war. Sie trug ihre blauen Haare nur gerade lang genug, um sich einen Zopf zu machen.

»Wie machst du das nur? Ich übe schon mein ganzes Leben und meine Haare sehen nicht annähernd so gut aus«, brummte sie und nahm eine von Elinnyas Strähnen in die Hand, die sie kunstvoll geflochten und mit feinen goldenen Bändern geschmückt hatte.

»Talent vermutlich«, gab sie unschuldig zurück und entwand Gelya rasch ihren Arm, um einem freundschaftlichen Schlag auszuweichen.

»Ich nehme dich nur mit, wenn du etwas netter bist!«, drohte Gelya, aber Elinnya nahm sie kein Stück ernst, sondern lachte nur.

Mittlerweile waren viele Feenaugen auf sie gerichtet, aber mit einem schnellen Blick in die Runde stellte Gelya erleichtert fest, dass nur wenige missbilligend aussahen. Die Feen, die immer noch dem alten Misstrauen nachhingen und die immer stärkere Vermischung der Völker verabscheuten, hatten sich aus den Städten zurückgezogen und lebten auf dem Land in kleinen Dörfern. Weit weg von dem Trubel und dem Zusammenhalt, wie Gelya manchmal ironisch dachte. Die Drachenkriege mochten sie davor bewahren, einmal Spaß zu haben!

Sie setzten den Weg fort, den Gelya begonnen hatte. Was nicht mehr ganz so einfach war, denn Elinnya blieb vor jedem zweiten Laden stehen und betrachtete interessiert die Auslagen.

»Du hast wirklich genug Bücher über die Abenteuer von Adra!«, sagte Gelya irgendwann energisch, nachdem sie fünf Minuten einen Buchhändler beschäftigt hatte.

»Sie war eine bedeutende Königin!«, protestierte Elinnya, ließ sich aber weiterziehen. »Sie konnte …«

»Ihren Körper verflüssigen, ich weiß. Stell dir vor, in der Schule lernen Wasserfeen etwas über ihre Könige und Königinnen«, beendete Gelya den Satz für ihre Freundin, die etwas beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte.

Wenn sie mehr Zeit miteinander verbringen könnten, würden sich Andira und die Feuerfee vermutlich gut verstehen. Beide waren verrückt nach Büchern und Geschichten der Vergangenheit. Ein Interesse, das Gelya nur bedingt verstand. Die Gegenwart war doch viel zu spannend, um sie aus den Augen zu verlieren!

Glücklicherweise erreichten sie kurz darauf Gonyas Laden. Gelya begann zu strahlen, als sie sah, dass er geöffnet war. Ohne zu zögern, stürmte sie durch die Tür und in den vollgestellten Verkaufsraum, in dem alles funkelte und glitzerte. Das Licht brach sich in Dutzenden Edelsteinen, ließ das Gold noch mehr schimmern und die Perlen erstrahlen.

»Gonya!«, rief sie und sah sich um.

Aus dem Lager im hinteren Bereich ertönten ein Rumpeln und ein Fluch, dann eilige Schritte. Im nächsten Moment stürzte Gonya in den Raum, eilte auf sie zu und schloss sie in eine knochenbrechende Umarmung.

»O Gelya! Es tut mir so leid, dass ich mich verspätet habe! Ich bin ganz früh heute Morgen angekommen und … Oh, ich bin so froh, dich zu sehen! Wie geht es dir?«, brach Gonyas Redeschwall über sie herein. Obwohl neun Monate vergangen waren, hatte sie sich kaum verändert. Sie roch sogar immer noch gleich.

Ihre ältere Schwester schob sie ein Stück von sich und betrachtete sie skeptisch. »Du siehst gut aus. Ein bisschen mager. Gab es nicht genug zu essen auf dem Schiff?«, fragte sie streng und Gelya seufzte leise, ehe sie Elinnya einen Hilfe suchenden Blick zuwarf. Die schmunzelte jedoch nur, ehe sie weiter die Auslagen betrachtete.

»Elinnya, richtig?«, fragte Gonya und Gelya war etwas überrascht, dass sie sich den Namen der anderen Fee gemerkt hatte. Sie hatten sich nur einige Male vor der Abreise des Schiffes gesehen und seitdem war eine lange Zeit vergangen.

»Genau. Das sind wunderschöne Schmuckstücke«, erklärte Elinnya beinahe sofort, während sie den Blick immer noch nicht von den Auslagen abwandte.

Gonya nickte. »Ja. Einige sind aus deiner Heimat. Ihr habt begabte Juweliere. Und wunderschöne Materialien!«

»Da bin ich neun Monate weg und zur Begrüßung redest du nur über Steine. So sehr kannst du mich ja gar nicht vermisst haben«, beschwerte sich Gelya spaßeshalber.

Gonya zwinkerte ihr zu, wollte lächelnd zu einer Antwort ansetzen, als weitere Geräusche aus dem Lager kamen und ein junger Mann im Türbogen auftauchte.

»Ich bin fertig mit dem Einräumen der Perlen … Oh, du hast Besuch«, fügte er hinzu, als er Gelya und Elinnya bemerkte. Sein Blick huschte von der Feuerfee zu Gelya und in dem Moment, in dem er sie ansah, weiteten sich seine Augen ein klein wenig. Sie bemerkte das deswegen so genau, weil sie ihn überrascht anstarrte. Irgendetwas an ihm kam ihr bekannt vor. Und außerdem sah er so aus, als wäre er in einen Berg aus Staub gefallen.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Gonya verdutzt und schien nicht überrascht über den Fremden in ihrem Lagerraum.

»Ich habe eine Kiste aus einem Regal gezogen«, erklärte er und schnaubte. Was den Staub auf seiner Kleidung und Haut aufwirbelte und ihn husten ließ.

»Willst du damit etwa sagen, dass mein Lagerraum nicht sauber ist?«, fragte Gonya empört.

»Wenn dein Lagerraum nur halb so chaotisch ist wie dein früheres Zimmer in unserem Haus, bin ich nicht überrascht«, murmelte Gelya. Sie merkte, dass sie den Fremden immer noch anstarrte. Nun gab sie sich einen Ruck und überwand die Meter zwischen ihnen, um ihm die Hand zu reichen. »Ich bin Gelya, die …«

»Schwester von Gonya, ja, ich weiß. Sie hatte schon erwähnt, dass du bald von einer Expedition zurückkommen wirst«, sagte er und nahm beinahe zögernd ihre Hand. Dann, als er seine Unhöflichkeit eine Sekunde später bemerkte, schlich sich eine leichte Röte auf seine Wangen. Seltsam für jemanden, der offensichtlich eine Wasserfee war. Oder nicht? »Ich bin Yldur. Der Lehrling eines Perlensammlers.«

»Ah, Andira hat erwähnt, dass Gonya einen Zwischenstopp bei jemandem gemacht hat, der mit Perlen handelt«, dämmerte es Gelya. Auch wenn sie sich dann fragte, was er in Eiskralle machte.

»Andira? Die Königin?«, wiederholte er und in seiner Stimme schwang ein Hauch von Bewunderung mit. Oder Respekt, sie konnte es nicht genau sagen.

»Ich sagte ja, Gelya geht bei ihr ein und aus«, rief Gonya von der anderen Seite des Ladens, wo sie Elinnya inzwischen eine Kette zeigte.

»Du hast auch mehrmals mit ihr zu Abend gegessen, während ich weg war. Das stand zumindest in ihrem Brief«, gab Gelya zurück und verdrehte die Augen. Manchmal hatte sie das Gefühl, als wollte Gonya mit ihr angeben. Ihrer »berühmten kleinen Schwester, die immerhin das ganze Land gerettet hat!«. Immer wenn sie Gonya diesen Satz sagen hörte, hatte sie das Bedürfnis, im Erdboden zu verschwinden. Meterhohe Feuersbrünste oder ein Vulkanausbruch kamen ihr dann nicht mehr wie die größten Katastrophen vor.

»Die Feuerfee ist übrigens Elinnya. Eine Freundin von mir, die auch mit auf der Expedition war«, erklärte sie, als das Schweigen zwischen ihr und Yldur länger wurde. Es war ihr beinahe unangenehm, wie er sie mit seinen merkwürdig gelb-braunen Augen musterte, ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken schien. Andererseits konnte sie ihn dann ja auch ungestraft anstarren! Immer noch versuchte sie zu ergründen, woher das merkwürdige Gefühl kam, das sie bei seinem Anblick beschlich. Eine Mischung aus Vertrautheit und Fremdartigkeit, die sie so nicht kannte. Das Fremde kam vor allem durch sein Aussehen. Natürlich, er war über und über mit Staub bedeckt, aber sie konnte erkennen, dass seine Haare darunter ebenfalls einen weißlich-grauen Farbton hatten. Dabei sah er kaum älter aus als sie. Seine Haut war wie von der Sonne ein wenig gebräunt, was für Wasserfeen auch selten war. Er war nur wenig größer als sie und eher schmal. Außerdem konnte sie seine Flügel nicht sehen. Er trug einen schweren Mantel um die Schultern, unter denen er sie offensichtlich verbarg, was ihre Neugierde weckte. Häufig hatten die Kleidungsstücke der Feen Schlitze am Rücken, um die Flügel immer benutzen zu können. Und die meisten Feen zeigten ihre Flügel ohnehin gerne.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, lächelte er schmal. »Meine Flügel sind vor sechs Jahren während eines Feuers so stark beschädigt worden, dass sie nutzlos sind. Und kein schöner Anblick«, fügte er hinzu und Gelya sah betroffen zu Boden.

»Das tut mir leid«, murmelte sie und blinzelte zu ihm auf. »Ich wollte nicht neugierig erscheinen.«

»Das ist nicht schlimm. Du bist nicht die Erste und wirst nicht die Letzte sein, die sich wundert. Ich bin froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Der Verlust meiner Flügel war schmerzhaft, aber ein geringerer Preis, als andere ihn zahlen mussten.«

Da musste sie ihm recht geben. Es gab Feuerfeen, denen Körperteile fehlten, wo der Frost zugeschlagen hatte. Und Wasserfeen, die über und über mit Brandnarben bedeckt waren. Ganz zu schweigen von all denen, die grausam ums Leben gekommen waren.

»War die Expedition erfolgreich?«, riss Yldur sie aus ihren Gedanken.

»Das kommt drauf an, was man unter erfolgreich versteht«, gab sie zurück und musste schmunzeln. »Wenn du fragen willst, ob wir ein anderes, bewohnbares Land gefunden haben, dann nein. Wenn du aber fragen willst, ob wir neue Tierarten entdeckt haben, ob wir neue Erfahrungen gesammelt haben, dann ja. Wir waren sehr erfolgreich.«

Die Worte waren aus ihr herausgesprudelt, bevor sie darüber hatte nachdenken können. Na gut, das war nichts Neues. Sie redete häufig, bevor sie darüber nachdachte. Doch meistens machte sie sich danach keine Gedanken darüber, was ihr Gegenüber von ihr dachte. Bei Yldur war das irgendwie anders und sie schimpfte sich für ihre Albernheit.

»Neun Monate sind eine sehr lange Zeit. Ich denke mir, dass man an so einer Reise wächst«, sagte er jedoch ganz ernsthaft und als würde er über ihre Worte nachdenken. »Wie ist das so, nur das Meer zu sehen, wohin man auch blickt?«

»Wunderschön! Aber an manchen Tagen auch beängstigend. Weil es so weit ist, es nimmt kein Ende. Man fragt sich dann wirklich, ob es noch irgendwo Land gibt. Besonders, wenn es stürmt. Wenn Meer und Himmel ineinander übergehen.«

Ein Schauder überlief sie, als sie sich erneut an den furchtbaren Sturm erinnerte. Manchmal hatte sie nicht mehr gewusst, wo oben und unten war. Wasser war von allen Seiten gekommen, der Wind war so heftig gewesen, dass er beinahe die Segel zerrissen hätte, bevor sie diese hatten einholen können.

»Bereust du es?«, fragte Yldur, dem ihre Reaktion nicht verborgen geblieben war. Ein sanfter Ausdruck lag in seinen Augen, der sie verlegen machte. Sie kannten sich erst seit ein paar Minuten!

»Nein«, sagte sie dennoch nachdenklich. »Ich …«

»Gelya, sieh dir das an!«, rief Elinnya in diesem Moment und hielt eine Kette in die Höhe.

Gelya warf der anderen Fee einen entschuldigenden Blick zu und ging zu ihrer Freundin hinüber.

»Ist das eine Feuerschuppe?«, fragte Elinnya und wog den rot glühenden Stein in der Hand.

Sogar Gelya, die Schmuck nicht allzu viel abgewinnen konnte, sog scharf die Luft ein. Es war ein wunderschönes Exemplar, von einem gesättigten, tiefen Rot. Die beiden Drachen, die sie bis jetzt in ihrem Leben gesehen hatte, und eigentlich wollte sie es auch bei diesen belassen, waren nicht rot gewesen, aber sie konnte sich vorstellen, dass die Feuerdrachen von einst eine solche Farbe gehabt hatten.

»Ja«, antwortete Gonya nicht ohne Stolz und fuhr mit den Fingerspitzen über die feinen goldenen Kettenglieder. »Einer der letzten, der aus dem Vulkan geborgen wurde, bevor er ausgebrochen ist. Es hat einige Jahre gedauert, bis er seinen Weg zu mir gefunden hat, aber hier ist er.«

Yldur war ebenfalls herangetreten und betrachtete das Schmuckstück über Gelyas Schulter hinweg. Sie spürte ihn hinter sich stehen, nahm ihn beinahe überdeutlich war. Das durfte doch nicht sein! Sie würde sich ganz sicher nicht den Kopf von irgendeiner gut aussehenden Fee verdrehen lassen, die sie kaum kannte! Solche oberflächlichen Schwärmereien waren ihr zuwider!

»Einer der letzten seiner Art also«, sagte Yldur mit einem Hauch von Trauer in der Stimme.

»So kann man es sagen. Sie waren immer schon selten.«

Elinnya bestätigte Gonyas Worte mit einem Nicken. »Das Königshaus besitzt … oder vielmehr besaß einige. In der Krone der Feuerregion waren eine Menge von ihnen. Aber viele wurden beim Vulkanausbruch zerstört und es gibt nur einige wenige alte Familien, die entkommen sind und geistesgegenwärtig genug waren, ihren Schmuck mitzunehmen. Ich glaube, in König Gardoraths Gürtelschnalle ist auch ein Stein eingelassen«, fügte sie hinzu.

Gelya zog beide Augenbrauen hoch. »Möchte ich wissen, warum du dich so gut mit Gardoraths Gürtelschnalle auskennst?«

Elinnya verdrehte die Augen, während Gonya sich lachend die Hand vor den Mund schlug. »So etwas haben wir in der Schule gelernt!«

»Das macht es jetzt nicht wirklich besser«, murmelte Gelya und grinste. »Aber dann stimmt es ja doch. Wir Wasserfeen sind wirklich cleverer als ihr. Wir haben nämlich so was Sinnvolles wie Schreiben und Rechnen im Unterricht.«

»Wie schade, dass bei dir nichts davon hängen geblieben ist«, gab Elinnya sofort zurück.

»Habt ihr euch auf dem Schiff auch immer gekabbelt? Und der Kapitän hat euch nicht über Bord geworfen?«

»Oh, wir waren noch harmlos! Zwei Wasserfeen haben sich gegenseitig niedergestochen«, erzählte Elinnya seelenruhig.

»Das war ein Unfall«, fügte Gelya hastig hinzu, bevor ihre Schwester zu einer Predigt ansetzen konnte. Leider war es dafür bereits zu spät.

»Wie bitte? Ich dachte, ich müsste mir Sorgen machen, dass du über Bord gehst und nicht mehr rechtzeitig gefunden wirst! Jetzt höre ich, dass ich mir besser um die anderen Feen hätte Sorgen machen sollen? Also, ich habe es ja immer gesagt: Schiffsreisen sind einfach zu gefährlich!«

Gelya warf Elinnya einen wütenden Blick zu, die unschuldig mit den Schultern zuckte. »Gonya, du übertreibst. Das Niederstechen war wirklich nur ein Unfall. Sie wollten üben und dann hat eine Welle das Schiff getroffen und sie sind abgerutscht«, versuchte sie ihre Schwester zu beruhigen. »Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Und meine nächste Expedition wird nicht innerhalb der nächsten Wochen stattfinden und auf jeden Fall nicht so lange dauern.«

Das war nicht ganz die Wahrheit, denn eigentlich hoffte sie, dass Andira ihnen erlauben würde, dem Geheimnis der Perlen auf die Spur zu kommen, aber das musste sie Gonya ja nicht auf die Nase binden.

Die warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Na meinetwegen«, sagte sie schließlich und drückte kurz ihre Hand. »Aber pass bitte auf dich auf.«

»Immer. Ich komme später noch einmal vorbei, in Ordnung?«

»Ich bleibe noch ein wenig«, warf Elinnya ein. Sie hatte die Kette mittlerweile wieder an ihren Platz gelegt, denn sie würde sie auf keinen Fall bezahlen können, und sah sich bereits wieder um.

»Ist gut.«

Gelya drehte sich zu Yldur um, der mit geschickten Fingern damit begonnen hatte, einige Ringe, die verrutscht waren, wieder in die Polsterung zu stecken. Als ob er ihren Blick gespürt hätte, richtete er sich auf und sah sie an.

»Es war schön, dich kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns ja noch einmal wieder?«, sagte sie, halb fragend.

Ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Es hat mich auch sehr gefreut. Und ich gehe davon aus, ich werde einige Tage in der Stadt bleiben. Deine Schwester war so freundlich, mir Unterkunft zu gewähren.«

»Ah, ja. Das ist … nett. Und schön, dann sehen wir uns ja noch mal«, stotterte sie und floh danach nahezu aus dem Laden.

***

Erst einige Zeit später kehrte sie in den Palast zurück, um sich ein wenig auszuruhen. Sie war seit wenigen Minuten in ihrem Zimmer, als es leise an der Tür klopfte und sie damit aus den Erinnerungen des Tages gerissen wurde.

»Ja?«

»Ich bin es. Andira.«

»Komm rein«, rief sie. Sie hatte sich vor Müdigkeit rücklings auf ihr Bett geworfen.

Andira trat in ihr Zimmer und lächelte über ihre zusammengesunkene Position. »Einen Tag in der Stadt und du bist schon so erschöpft?«

»Ich bin viel gelaufen!«, protestierte Gelya und klopfte neben sich auf die Matratze. »Ich weiß, mit jemandem vom einfachen Volk auf einem Bett herumzulungern, ziemt sich nicht für eine Königin, aber vielleicht kannst du ja für mich eine Ausnahme machen.«

Andira schnaubte wenig königlich und ließ sich neben sie fallen. Nun lagen sie Seite an Seite und sahen an die Decke.

»Ich kehre in einigen Tage nach Zusammenkunft zurück«, erklärte Andira schließlich.

Gelya schwieg. Sie hatte damit gerechnet, immerhin war bald die jährliche große Versammlung und da durfte die Königin nicht fehlen.

»Und ich würde dich gerne dabeihaben. Wirst du mich in die Hauptstadt begleiten?«

Gelya drehte den Kopf, um ihre Freundin anzusehen, die ihren Blick erwiderte. Sie musste über die Antwort nicht lange nachdenken. Sie hätte vermutlich sogar von sich aus gefragt. Der traurige, erschöpfte Ausdruck in Andiras Gesicht hätte sie aber in jedem Fall überzeugt.

»Natürlich. Soll ich dich nur begleiten oder …?«

»Nun ja, ich denke, dass Gardorath dich gerne sehen würde. Und wir freuen uns beide immer, wenn du an der Versammlung teilnimmst.«

»Ja, die Versammlung kann ich gar nicht erwarten«, murmelte sie sarkastisch.

Andira lächelte schmal und sah wieder zur Decke. »Sie ist jedes Mal eine Quelle der guten Laune, ich weiß.«

»Wir müssen ein ernstes Wort über die Bedeutung von guter Laune führen.«

Nun lachte Andira. »Ah, ich habe dich vermisst.«

Gelya lächelte zufrieden. »Ich dich auch. Auf den Schiffen wusste kaum jemand meine Genialität zu schätzen.«

»Ein Jammer. Woher kommt eigentlich dein Sarkasmus? Gonya hat ihn ja offensichtlich nicht geerbt.«

Das Verhältnis zwischen ihrer älteren Schwester und Andira hatte sich deutlich verbessert. Aber wirklich eng befreundet waren sie nicht.

»Der ist mir, glaube ich, gewachsen. Irgendwann zwischen dem Bekämpfen wilder Tiere und dem Retten einer Stadt«, gab sie zurück. Es hatte ihr oft geholfen, so scherzhaft über die zum Teil furchtbaren Ereignisse zu sprechen. Die Herzregion war beides gewesen, wunderschön und furchterregend. Alles, was danach passiert war, glich eher einer Aneinanderreihung von Albträumen.

»Dir geht es gut, oder?«, fragte Andira sanft.

Gelya zupfte mit einem unwohlen Gefühl an der Bettdecke, auf der sie lag. »Es gibt solche und solche Tage. Aber das muss ich dir nicht sagen, oder?«

»Nein.« Andira seufzte. »Erst letzte Nacht habe ich von Liron geträumt. Am liebsten wäre ich noch in der Dunkelheit nach Zusammenkunft geflogen, um bei Gardorath zu sein.«

Mitfühlend nahm Gelya ihre Hand. Eine komische Art von Neid durchzuckte sie. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte auch jemanden, in dessen Arme sie sich flüchten konnte. Jemanden, dem sie ihre Sorgen anvertrauen konnte, ohne sich albern vorzukommen. Andira war immer für sie da, keine Frage. Genauso wie Gardorath. Aber die beiden waren häufig sehr beschäftigt und außerdem … Seine Freunde zu lieben war etwas anderes, als … verliebt zu sein. Zumindest stellte sie sich das so vor.

»Ihr seid ja bald wieder vereint«, versuchte Gelya sie zu trösten. »Er vermisst dich doch sowieso meistens mehr als du ihn.«

Sie sah Andira aus den Augenwinkeln schmunzeln. »Du wirst ihn für immer damit aufziehen, dass er schon viele Jahre Gefühle für mich hatte, oder?«

»Worauf du dich verlassen kannst«, kicherte sie. »Wann brechen wir auf?«

»In drei Tagen, wenn du nichts anderes geplant hast?«

»Ich habe nichts vor. Ich darf nur nicht vergessen, mich von Gonya zu verabschieden.«

»Das solltest du auf jeden Fall tun. Wahrscheinlich wird sie mir den Kopf abreißen, weil du schon wieder so schnell verschwindest.«

»Das bezweifle ich. Ich verlasse das Land ja nicht und besteige kein Schiff, also wird sie nichts dagegen haben. Außerdem gibt sie mir bestimmt eine Liste mit Dingen mit, die ich ihr besorgen soll.«

Zusammenkunft war von einer Vielzahl von Dörfern umgeben, aus denen tagtäglich Hunderte von Feen auf den Markt strömten, der vor der Stadt aufgebaut wurde. Nirgendwo sonst in Adalien konnte man eine derartige Vielzahl an Lebensmitteln, Materialien, Handwerken und dergleichen mehr kaufen. Man bräuchte mehrere Tage, um jeden Stand zu besichtigen – nur leider kamen immer wieder neue dazu, alte verschwanden oder wechselten ihren Platz. Es war das reinste Chaos und Gelya liebte es.

»Dann bin ich ja beruhigt«, sagte Andira trocken.

»Natürlich. Als hättest du Schwierigkeiten, dich gegen sie zu wehren.«

»Ich würde meine Kräfte doch niemals gegen Angehörige meines Volks einsetzen«, protestierte Andira.

»Natürlich nicht. Ich habe auch ganz sicher nicht mitbekommen, wie du einem Mitglied der Asche-Fraktion die Füße am Boden festgefroren hast«, spottete Gelya und seufzte dann. »Das war eine herrliche Ratssitzung.«

»Sie hätten mich danach am liebsten am nächsten Baum aufgeknüpft«, brummte Andira. »Es war ein riesiger Tumult!«

»Ja. Mein Reden. Die beste Ratssitzung, an der ich je teilgenommen habe.«

Sie war vorher schon außer Kontrolle geraten, Gelya konnte sich gar nicht mehr erinnern, woran es gelegen hatte. Irgendeine Wasserfee war so unverschämt geworden, dass Andira den Boden um sie herum hatte gefrieren lassen. Danach war es beinahe zu Handgreiflichkeiten gekommen.

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du einen merkwürdigen Geschmack hast?«

»Ständig. Vor allem du.« Gelya lachte und streckte sich dann, was ihre Knochen leise knacken ließ. »Isst du heute mit mir zu Abend oder musst du Gäste bespaßen?«

Andira stöhnte und setzte sich ruckartig auf. »Gut, dass du mich erinnerst. Oder eher, nicht gut, aber danke. Ich muss mich umziehen. Gleich kommt eine Delegation von den westlichen Häfen der Feuerregion. Sie sind heute mit dem Schiff angekommen.«

Gelya riss die Augen auf und setzte sich ebenfalls hin. »Von den westlichen Häfen?«

Sie war vor zwei Jahren dort gewesen. Es war eine beeindruckende Welt, die sich dort, am entferntesten Punkt Adaliens, auftat. Die Hafenstadt bestand gänzlich aus einem weißen Stein, von dem sie keine Ahnung hatte, wie er dorthin gekommen war. Es sah prachtvoll aus. Die Region um die Stadt herum wurde beständig von Sandstürmen heimgesucht, daher kam der Großteil des Kontakts über das Meer zustande. Ein eigenes, winziges Land innerhalb Adaliens.

»Ja. Ich sollte nicht so schlecht darüber reden. Es sind höfliche, freundliche Feen und normalerweise genieße ich den Kontakt mit ihnen. Aber im Moment geht mir so viel im Kopf herum …«

»Ich weiß. Ich würde ja Königin für dich spielen, aber wir sehen uns leider nicht sonderlich ähnlich.« Sie meinte ihre Worte sogar fast ernst.

Andira lächelte. »Danke, aber ich fürchte, das muss ich selbst tun. Ruf einfach eine Dienerin und sag ihr, was du gerne essen möchtest. Oder geh selbst in die Küche, das machst du ja sowieso lieber.«

»Du kennst mich zu gut«, sagte sie nur, während sich Andira erhob und mit einem abschließenden Winken den Raum verließ. »Vielleicht sollte ich wirklich in die Küche gehen«, murmelte sie zu sich selbst. »Wenn es heute Abend ein offizielles Essen gibt, gibt es bestimmt auch Kuchen.«

Andiras Lieblingsspeise – die ältere Fee mochte sie sehr gut kennen, aber das galt immerhin auch andersherum.

3. Kapitel

»Du willst sofort wieder abreisen?«, fragte Gonya, nachdem Gelya am nächsten Tag erneut den Laden betreten und ihrer Schwester von ihren Plänen berichtet hatte. Inzwischen hatte sie sich einen Stuhl herangezogen, der hinter der Verkaufstheke stand, und rutschte ein wenig nervös auf ihm herum.

»Ja. Andira hat gefragt und außerdem ist die Versammlung und ich habe Gardorath ja hier nicht begrüßen können und … ja«, unterbrach sie ihren eigenen Redeschwall. Irgendwie hatte sie das von Gardorath übernommen, dieses Plappern, wenn sie nervös war.

Gonya, die gegen die Theke gelehnt stand, betrachtete sie sehr lange und sehr eindringlich, als versuche sie ihre Gedanken zu lesen. Gelya gab sich größte Mühe, dem Blick standzuhalten.

»Etwas ist geschehen, oder? Etwas, was du mir nicht erzählst.«

Ertappt senkte sie den Kopf und starrte auf ihre Fußspitzen in den dunkelblauen Stiefeln.

»Ist es etwas, das du mir nicht erzählen darfst, oder etwas, das du mir nicht erzählen willst, weil du mich nicht beunruhigen möchtest?«

»Eine Mischung aus beidem. Es sind … mehrere Dinge passiert. Und vor allem wegen dessen, was ich dir nicht erzählen darf, muss ich in die Hauptstadt. Das andere … Da weiß ich selbst noch nicht, was vor sich geht. Deswegen habe ich dir noch nichts erzählt.«