Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Emily Torres ist Anfang dreißig, attraktiv und unglücklich verliebt in Logan Harper. Um ihrem Gefühlschaos zu entfliehen, verlässt sie Long Island und zieht nach Ibiza zu ihrer Tante, deren kleine Boutique sie später einmal übernehmen soll. Ausgerechnet am Tag ihrer Ankunft trifft sie auf ihren Herzensbrecher, der die erneute Zurückweisung nicht akzeptieren will. Obwohl er mit Roxy liiert ist, setzt Logan alles daran, Emilys Aufmerksamkeit zu erhalten. Dass er genau zu diesem Zeitpunkt zurück in die Hamptons muss, weil Roxys ehemaliger Verlobungsring eine wahre Hysterie unter seinen Fans sowie den Medien ausgelöst hat, kann man Ironie des Schicksals nennen. Schneller als erwartet klopfen die alten Dämonen wieder an seine Tür. Ist er stark genug, für sich und die Liebe zu kämpfen? Und welche Entscheidung trifft Emily für ihre Zukunft?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 335
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Shelia Fisher ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Fischer, die 1967 das Licht in dieser verrückten Welt erblickte und viele Jahre später Betriebswirtschaft studierte.
Heute ist sie mit ihrer Familie und Hund ansässig am schönen Niederrhein.
2017 erfüllte sie sich ihren lang gehegten Jugendtraum und veröffentlichte ihr erstes Buch. Seitdem schreibt sie Liebesromane sowie romantische Thriller, die meistens mit einer Portion Humor gespickt sind.
Besuchen Sie die Autorin im Internet:
www.sheliafisher.de
Bereits in dieser Reihe erschienen:
Eine Hochzeit in den Hamptons
Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.
Oscar Wilde
Chapter 1
Chapter 2
Chapter 3
Chapter 4
Chapter 5
Chapter 6
Chapter 7
Chapter 8
Chapter 9
Chapter 10
Chapter 11
Chapter 12
Chapter 13
Chapter 14
Chapter 15
Chapter 16
Chapter 17
Chapter 18
Chapter 20
Chapter 21
Chapter 22
Chapter 23
Chapter 24
Chapter 25
Emily
San Carlos. Ibiza. Diese für mich magischen Buchstaben auf dem Ortseingangsschild bescheren mir ein leichtes Kribbeln in der Magengrube. „I’m back”, rufe ich und singe laut – und falsch – den Refrain von einem meiner Lieblingssongs von Teddy Swims.
Nach der vierten Wiederholung bin ich bereits heiser, weil ich die letzten Worte nicht nur gesungen, sondern geschrien habe. Das verbessert nicht mein Gefühlschaos, welches sich hoffentlich mit meiner Ankunft auf Ibiza wieder auf ein normales Level einpendelt.
Mit dieser Zuversicht biege ich in die kaum befahrene Hauptstraße der kleinen Ortschaft ein. Mein Ziel ist die Boutique meiner Tante Sofia. Das kleine Eckladengeschäft befindet sich in der Nähe des traditionellen Dorfkerns mit der inseltypischen weißen Kirche.
Bereits wenige Augenblicke später sind es die knallbunten Kleidungsstücke, welche vor ihrer Boutique an der Hauswand hängen, die mir symbolisieren, dass genau hier ein neuer Lebensabschnitt für mich beginnt. Nicht, weil ich von der Kleidung so fasziniert bin, sondern weil Ibiza mein neues Zuhause sein wird. Von Long Island – wo ich viele Jahre gelebt habe – verabschiedete ich mich gestern. Ob es für immer ist, das werde ich in der nächsten Zeit herausfinden. Ein Grund für meine Flucht ist – wie sollte es auch anders sein – eine unerfüllte Liebe.
Direkt vor der Boutique parke ich mein geliehenes Auto, welches mir ein guter Freund meiner Tante zur Verfügung gestellt hat. Beim Aussteigen höre ich aus der gegenüberliegenden kleinen Bar laute Musik. Es ist Ende Oktober und die Party-Saison auf der Insel ist doch längst vorbei. Vielleicht sind es ein paar Einheimische, die etwas zu feiern haben.
„Bist du hierher geschwommen oder warum kommst du so spät?“ Diese rauchige Stimme mit dem spanischen Akzent würde ich unter Tausenden immer wieder erkennen.
„Es freut mich auch, dich zu sehen, Tante Sofia.“
„Ich mag es nicht, wenn du dieses furchtbare Wort vor meinen Vornamen setzt!“
„Das ist mir bekannt“, antworte ich.
Der Anblick ihres leuchtend pinkfarbenen, weiten Kleides nötigt mich, meine Augen zusammenzukneifen, weil die Farbe so grell ist. Trotzdem entgeht mir nicht, dass sie in ihre grau melierten Haare ein paar dünne Zöpfe und pinkfarbene Bänder geflochten hat. Diese Frau ist der Hippie-Ära definitiv nicht entwachsen.
„Willst du vor der Boutique Wurzeln schlagen?“ Sofia schielt mich über den Rand ihrer rosa getönten Nickelbrille an.
„Nein! Ich muss noch ein paar Sachen ausladen.“
„Das kann warten. Jetzt komm erst mal rein. Ich koche uns zur Feier des Tages eine Kanne Rum.“
„Es ist früher Nachmittag“, entgegne ich. Mit den Trinkgewohnheiten meiner Tante werde ich mich nie anfreunden können. Ich bin schon nach zwei Gläsern Alkohol betrunken. Sturzbetrunken.
„Du musst noch viel lernen, wenn du hier auf der Insel überleben willst“, murmelt Sofia und schickt sich an zu gehen.
Das wird ein Abenteuer.
Die plötzlich lauter werdenden Stimmen von der Bar gegenüber fordern nicht nur meine Aufmerksamkeit. Neugierig, wie ich nun einmal bin, sehe ich hinüber und entdecke zwei Männer, die in unsere Richtung wild fuchtelnd winken.
Die meinen bestimmt nicht uns.
„Was hat Manuel ihnen zu trinken gegeben?“ Sofia schüttelt den Kopf und scheint genauso irritiert zu sein wie ich.
„Kennst du diese Typen?“ Bei ihrer Frage stellt sich meine Tante neben mich. Im Gegensatz zu ihr wirke ich wie ein zierliches blondes Püppchen, was beschützt werden muss.
„Ich habe keine Ahnung. Hast du heimliche Verehrer?“
„Eine Menge. Nur tragen die keine Sonnenbrillen oder diese fürchterlich aussehenden Basecaps.“
Ich lache. „Diese Art von Kopfbedeckung hast du noch nie gemocht. Aber vielleicht sind es Bekannte von früher?“ Immerhin habe ich meine gesamte Kindheit sowie Jugend in den Sommermonaten hier auf der Insel verbracht. Da lebte meine Mutter noch. Diese schöne und zugleich traurige Erinnerung schiebe ich schnell zur Seite, denn plötzlich stehen beide Männer auf und kommen geradewegs auf uns zu.
„Jetzt bin ich aber gespannt“, raunt mir Sofia ins Ohr.
Nicht nur sie.
„Vielleicht wollen sie bei dir einkaufen?“ Dabei betrachte ich abwechselnd die beiden Männer und plötzlich spüre ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Das kann nicht sein!
„Wolltest du nicht eine Kanne Rum kochen?“, erinnere ich Sofia. Ich versuche, so normal wie möglich zu klingen. Meinen immer schneller werdenden Puls ignoriere ich.
„Gleich. Erst nehme ich mir diese Don Juans vor.“
Solange kann ich nicht warten.
„Jetzt komm schon!“, dränge ich.
Sofia schenkt mir einen prüfenden Blick. „Du weißt, wer sie sind, oder?“
Lügen ist jetzt zwecklos.
Bevor ich ihr eine Antwort geben kann, hat man mich bereits enttarnt. „Emily? Bist du es wirklich?“
Nein!
Ich bin die nicht existierende Zwillingsschwester.
„Wer will das wissen?“, bölkt meine Tante.
Es dauert nur ein paar Sekunden und das Unglück steht vor mir. Es präsentiert sich in großer stattlicher Figur mit Namen Logan Harper, ein erfolgreicher Architekt und Rockmusiker. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich hinter der dunklen Sonnenbrille eisblaue Augen verbergen, die mich nicht nur einmal frech angefunkelt haben.
Ich bin sowas von erledigt.
„Du bist es tatsächlich“, ruft Logan. Zeitgleich reißt er sich sein Basecap vom Kopf und startet einen Versuch, mich zu umarmen.
Im letzten Moment kann ich noch ausweichen, indem ich vortäusche, dass mich gerade ein Insekt gestochen hat.
„Ihr kleinen Viecher. Lasst mich in Ruhe!“ Während ich mich noch mit meinem angeblichen Stich beschäftige, begutachte ich verstohlen Logans hellere Haare. Diese lösten beim Auftauchen des ersten Fotos auf Instagram eine wahre Hysterie aus. Viele Fans erinnerte dies wohl an die alten Zeiten. Zu meinem Leidwesen musste ich mir ebenfalls eingestehen, dass es seiner Attraktivität keinen Abbruch getan hat. Im Gegenteil.
Logans Freund Damian, der gleichzeitig auch meiner ist, lallt mir unterdessen schon zum dritten Mal die gleiche Frage zu: „Was machst du hier?“
Leicht schwankend betrachtet er mich und greift nach Logans Arm, damit er nicht umfällt. Sein Alkoholpegel scheint recht hoch zu sein.
„Ich wohne ab jetzt hier“, antworte ich auf seine Frage.
Plötzliches Schweigen. Weder Damian noch Logan äußern sich zu meiner Offenbarung. Vielleicht haben sie es auch nicht richtig verstanden. Das wäre kein Wunder in ihrem Zustand.
Stattdessen empört sich Sofia. „Ihr riecht, als hättet ihr das gesamte Lager von Manuel leergetrunken.“
Das ist nicht gelogen – zumindest, was den Geruch betrifft.
„Wir haben auch etwas zu feiern“, berichtet Damian stolz und scheint meine Offenbarung vergessen zu haben.
„Ich tippe auf einen Junggesellenabschied“, brummt Sofia.
Oh nein. Bitte nicht!
Das ist ein Grund, warum ich hierher geflüchtet bin, damit ich nicht miterleben muss, wie Logan seine große Liebe Roxy heiratet.
Schicksal, ich hasse dich!
Während Damian beginnt, Sofia seltsame Fragen zu stellen, verhält sich Logan auffallend ruhig. Zu meinem Selbstschutz vermeide ich – trotz seiner dunklen Sonnenbrille – jeden Blickkontakt zu ihm. Ungeachtet dessen beschleicht mich das Gefühl, dass er mich ununterbrochen beobachtet.
„Emily!“, sagt er plötzlich.
Ich habe mich nicht getäuscht.
„Warum hast du meine Anrufe, E-Mails und Einladungen ignoriert?“ Logan klingt alles andere als alkoholisiert.
„Da hat sich aber jemand Mühe gegeben.“ Auch wenn Sofia ihre bissige Bemerkung sehr leise von sich gibt, höre ich sie.
„Bitte keine weiteren Kommentare“, sage ich leise.
„Das kann ich dir nicht versprechen. Dieser gutaussehende Mann wartet auf eine Antwort.“
Genau in diesem Moment bin ich richtig sauer auf sie.
Sie weiß, wie sehr ich das letzte Jahr mit meinen Gefühlen für Logan gehadert habe und anstatt mir zu helfen, bringt sie mich in diese verzwickte Situation.
Ich kann Logan nicht gestehen, dass ich ihn schon sehr lange mag und toll finde. Jedes Mal, wenn wir in Montauk beim Surfen zufällig aufeinandertrafen, erhöhte sich mein Puls schlagartig. Zu dieser Zeit war ich noch mit David liiert und deshalb hielt ich meine heimliche Schwärmerei geheim. Nach der Trennung von meinem Freund vor über einem Jahr gab mir das Schicksal plötzlich die Chance, Logan näher kennenzulernen. Nach einem stürmischen Ritt auf den Wellen traf ich in der Strandbar auf ihn und drückte ihm – ohne nachzudenken – eine Flasche Bier in die Hand. Ich wundere mich heute noch über meinen Mut.
Das war tatsächlich der Anfang unserer platonischen Beziehung, die mit dem Auftauchen seiner großen Liebe Roxy für mich endete. Ich fühlte damals, dass ich keine Chance hatte und log ihm vor, dass ich es mit David noch einmal versuchen wollte, weil er mir einen Heiratsantrag gemacht hat. Tatsächlich war mir mein Ex-Freund noch einen Gefallen schuldig und deshalb musste er mich zur Hochzeit von Logans Cousine Miranda begleiten, die, wie sich unglücklicherweise herausstellte, gar nicht seine Verwandte war. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel.
Welche Antwort auf seine Frage soll ich Logan geben? Keine!
Stattdessen schenke ich ihm ein erzwungenes Lächeln und frage ihn tatsächlich, wann seine Hochzeit stattfindet. Dabei gebe ich mir besonders viel Mühe, dass meine Stimme nicht so gebrochen klingt, wie mein Herz es ist.
Damian fängt plötzlich an, hysterisch zu lachen. „Emily! Nicht er heiratet, sondern ich. Das weißt du doch.“ Dabei haut er sich mit der flachen Hand mehrmals hintereinander auf die Brust, wohl um seine Aussage zu bekräftigen. Dadurch gerät er erneut ins Schwanken und Logan hat alle Mühe, ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Ich kann meine Gefühle nach seiner Aussage nicht definieren. Es stimmt, dass Damian mir von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählt hat. Ich habe sogar eine Einladung erhalten, die ich kurz darauf weggeschmissen habe, weil ich schon wegen Logan nicht zu dieser Feier gegangen wäre.
„Das ist ja gerade nochmal gut gegangen“, raunt mir Sofia ins Ohr.
„Untersteh dich, irgendetwas zu sagen“, schnarre ich ihr so leise wie möglich zu.
„Warum flüstert ihr denn immer miteinander?“, beschwert sich Damian.
„Tante Sofia wollte nur wissen, wer die glückliche Braut ist.“ Dass meine Aussage bezüglich des Verwandtschaftsgrades von Sofia ironisch gemeint ist, bemerkt mein Gegenüber nicht. Die betroffene Person schon, denn plötzlich spüre ich einen leichten Puff mit dem Ellenbogen im Rücken.
Dessen ungeachtet torpediert uns der glückliche Bräutigam mit unzähligen Worten, die keinen Zweifel daran lassen, wie fasziniert er von seiner zukünftigen Ehefrau ist, was zu erwarten war. Ich höre dieses Loblied heute nicht zum ersten Mal.
Logan scheint mein amüsiertes Verhalten zu bemerken, denn plötzlich unterbricht er Damian und sagt zu mir: „Du weißt, wer sie ist?“
„Natürlich!“, antworte ich. „Du hast sie die männerhassende Anwältin genannt.“
Madison Jenkins ist eine renommierte New Yorker Scheidungsanwältin, die hauptsächlich Frauen in dieser Angelegenheit beisteht. Deshalb bekam sie von Logan diesen befremdlichen Beinamen. Dass sie jetzt für seine Familie arbeitet und ausgerechnet mit Damian, der eher den feurigen italienischen Liebhaber verkörpert, vor den Traualtar tritt, war für mich eine echte Überraschung. Außerdem war sie die Anwältin seiner Ex-Frau.
„Madison, deine Traumfrau“, sage ich. „Und wann findet die Hochzeit statt? Wolltet ihr nicht ursprünglich an Weihnachten auf Hawaii heiraten?“
„Das war meine Idee. Aber Madison liebt Ibiza so sehr und deshalb sind wir hier. Jetzt hast du keine Ausrede mehr, nicht zu kommen. Die Hochzeit ist übermorgen!“ Damian klingt plötzlich nüchtern.
Das ist keine Option!
„Nein, nein!“, wehre ich sofort ab.
„Du kommst! Das bist du mir schuldig! Schon wegen unserer langen Freundschaft. Hast du vergessen, wie wir uns kennengelernt haben?“
Natürlich nicht! Es war Damian, der mich nach meinem Umzug – von meinem Wohnort in Kalifornien nach New York – der kleinen Gruppe von Surfern vorgestellt hat. Daraus hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt, die ich sehr zu schätzen weiß. Außerdem konnte ich nur durch seine Geschäftsbeziehungen zu Immobilienmaklern die Boutique in East Hampton mieten.
Ich bin ihm tatsächlich etwas schuldig.
Doch der Preis ist hoch. Zu hoch. Das hat sich auch nicht geändert, weil die Hochzeit jetzt hier stattfindet, denn höchstwahrscheinlich werde ich Logan mit seiner Freundin auf der Feier treffen und das schafft mein ramponiertes Herz nicht.
Ich brauche eine neue glaubhafte Ausrede.
Gedanklich wäge ich jede Möglichkeit ab, die von einem erfundenen Date mit einem imaginären Traummann bis zu einer im Sterben liegenden, nicht existierenden Großmutter reicht. Doch wenn ich ehrlich zu mir bin, dann eignet sich nur Sofia als sicheres Alibi und ich habe auch schon eine Idee.
„Damian, es tut mir wirklich leid, aber samstags findet immer im Nachbarort Las Dalias der legendäre Hippiemarkt statt und wir haben dort einen Stand. Das ist doch so, Tante Sofia?“ Die letzten zwei Worte betone ich besonders scharf und hoffe, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen.
Das leise Grunzen, welches die Frau, die neben mir steht, von sich gibt, verwirrt mich. Hilfesuchend sehe ich sie an, doch Sofia ignoriert meinen Blick.
Stattdessen wendet sie sich an Logan und sagt: „Ich vertraue dir für diesen einen Tag meine Nichte an. Vermassele es nicht!“
Nein! Das hat sie jetzt nicht gesagt? Warum tut sie mir das an?
***
Enttäuscht und wütend zugleich wende ich mich abrupt ab und stürme zu meinem Auto, das nur wenige Meter entfernt steht. Ungehalten öffne ich die Kofferraumklappe und greife nach dem erstbesten Koffer. Ich muss irgendetwas tun, um mich abzulenken.
„Emily!“ Logans Stimme klingt besorgt und verdammt nah.
Bitte lass mich in Ruhe.
„Sag mir, was passiert ist! Dein Umzug hierher ist ein Scherz, oder?“
Ist er nicht!
Unwirsch drehe ich mich zu ihm um und blicke direkt in seine eisblauen Augen. Zu meiner Verwunderung leuchten diese nicht so, wie ich sie in Erinnerung habe. Vielleicht ist es wegen dem Alkohol oder der Sehnsucht nach seiner großen Liebe Roxy. Ob sie schon hier auf der Insel ist und mit der Braut den Junggesellinnenabschied feiert?
Wieso mache ich mir darüber Gedanken?
„Meine Tante braucht mich hier“, antworte ich schroff.
Um weitere Erklärungen zu vermeiden, zerre ich den sperrigen Koffer hinten aus dem Auto und will ihn wegtragen, doch Logan stellt sich mir in den Weg. „Was habe ich dir getan, dass du mich so konsequent ignorierst?“
Nichts! Gar nichts! Überhaupt nichts!
Ich weiß, dass mein Verhalten ihm gegenüber nicht fair ist. Doch bis jetzt war es die beste Methode, meine Gefühle zu bekämpfen.
„Es hat nichts mit dir zu tun“, sage ich leise. Ich vermeide es, ihn dabei anzusehen.
„Was ist das für eine beschissene Antwort? Ich glaube dir nicht!“
Ist auch eine glatte Lüge.
„Anscheinend willst du mir nicht erzählen, warum du mir aus dem Weg gehst und deshalb werde ich dich auch nicht mehr belästigen. Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht, aber das ist anscheinend nicht mehr nötig. Pass auf dich auf und alles Gute für dich.“ Mit diesen Worten setzt er seine Sonnenbrille wieder auf, dreht sich um und geht weg.
Gut gemacht!, giftet meine innere Stimme.
Ich bin nicht stolz auf mich und muss nicht lange warten, bis mich eine Welle voller Schmerz überrollt. Aber das kenne ich schon und weiß nur zu gut damit umzugehen.
Nachdem ich Logan erfolgreich in die Flucht geschlagen habe, widme ich mich mit übertriebenem Eifer meinen zwei Koffern, um sie in die Boutique von Sofia zu schleppen. Darin sind Restbestände aus meinem Geschäft in East Hampton, die ich hier auf dem Hippiemarkt verkaufen möchte. Ich befürchte zwar, dass die doch eher edleren Sachen hier keine Abnehmer finden werden, aber Sofia ist anderer Meinung. Vielleicht hat sie recht, denn die Erlöse aus dem Verkauf würden meinen tiefen Kontostand erheblich nach oben katapultieren.
Während ich mich im Lager der Boutique zu schaffen mache, taucht Sofia auf. Lässig lehnt sie sich an den Türrahmen und ich bin mir sicher, dass sie mir gleich eine bissige Bemerkung verpasst.
„Ich glaube nicht, dass einer von seinen unzähligen silbernen Ringen der Verlobungsring ist …“
Wie jetzt?
Irritiert über ihre Aussage sehe ich hoch und Sofia wirkt plötzlich warmherzig auf mich. Sie hat selbst keine Kinder, aber seit dem Tod meiner Mutter vor zwanzig Jahren ist sie mein Anker, an dem ich mich bei Bedarf festklammern darf.
„Er ist noch mit Roxy zusammen. Sie haben erst letzte Woche ein gemeinsames Foto gepostet. Ich stalke ihn bei Instagram“, gebe ich kleinlaut zu.
„Das mag sein, aber du bist ihm alles andere als egal. Das konnte ich spüren. Und aus Erfahrung weiß ich, dass eine aufgewärmte Liebe nur am Anfang heiß ist. Irgendwann schleichen sich wieder die alten Gewohnheiten ein, weswegen man sich getrennt hat. Bist du dir sicher, dass da nicht mehr zwischen euch war?“
„Keine Ahnung. Vielleicht habe ich mir unseren damaligen kleinen Flirt auch nur schöngeredet.“
„Es gab doch eine gemeinsame Nacht, oder?“ Sofias rauchige Stimme hat einen fordernden Unterton.
„Ja, schon …“, murmle ich.
„Und da ist nichts passiert?“
„Nope!“
„Du bist nicht meine Nichte.“
„Ich war betrunken!“, wende ich energisch ein.
„Das lass ich gelten.“
Logan
Damian davon zu überzeugen, dass eine Pause von den vielen alkoholischen Getränken ratsam wäre, die besonders er in den letzten Stunden zu sich genommen hat, erwies sich nicht nur für mich schwerer als gedacht. Unsere mitgereisten Freunde bettelten ihn förmlich um eine Trinkpause an und nur widerwillig bestieg der Bräutigam den grünen und nicht mehr ganz neuen VW-Bus, der uns zu der gemieteten Finca ins Hinterland von San Carlos brachte.
Mein Alkoholpegel war – aufgrund meiner bewegten Vergangenheit, die exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum beinhaltete – sehr niedrig und ist jetzt nach der unerwarteten Begegnung mit Emily fast auf dem Nullpunkt. Sobald ich realisierte, dass die anziehende junge Frau, die vor mir stand, tatsächlich Emily ist, war ich schlagartig nüchtern. Doch gibt mir ihre eindeutige Zurückweisung Rätsel auf und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Allerdings ist Aufgeben keine Option für mich, auch wenn ich ihr das gesagt habe.
Mit diesem Gedanken lasse ich mich rücklings auf das Doppelbett in dem geräumigen Gästezimmer der landestypisch eingerichteten Finca fallen. Ein wenig Schlaf nachholen kann nicht schaden, denn die letzten zwei Nächte waren verdammt kurz.
Dass mein iPhone ausgerechnet zu dem Zeitpunkt klingelt, als ich meine Augen schließen will, nenne ich eine böse Vorsehung. Beim Blick auf das Display verfluche ich den Erfinder des Gerätes. Ständig erreichbar und somit verfügbar zu sein, empfinde ich mittlerweile als sehr anstrengend. Von der Social-Media-Präsenz ganz zu schweigen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Missmutig nehme ich das Gespräch an und stelle es auf laut. „Mum! Was ist los?“
„Du wurdest mit einer blonden Frau gesehen.“
Nicht schon wieder!
„Hier gibt es eine Menge davon.“
„Aber die heißen nicht alle Emily Torres!“
„Verflucht! Ist man denn vor diesen Scheißpaparazzi nirgendwo sicher?“ Vor Wut schlage ich mit der Faust aufs Bett und setze mich auf.
„Ich habe die Fotos von euch vor mir liegen“, sagt meine Mutter.
„Die können nicht älter als eine Stunde sein …“
„Was soll ich damit machen?“ Dass ihre Frage rein rhetorisch ist, höre ich schon an ihrer Tonlage.
„Deine Bluthunde sollen sie sofort vernichten! Ich möchte nicht, dass Emily erneut in die Schusslinie gerät!“
„Madison kümmert sich schon darum.“
„Wieso sie? Sie arbeitet hauptsächlich für mich und ich habe ihr Urlaub gewährt, weil sie übermorgen heiratet.“
„Auch wenn du ihre Honorarrechnung zahlst, heißt das noch lange nicht, dass du über sie bestimmst. So langsam müsstest du gemerkt haben, dass sie eine eigenständige Frau ist.“
Mittlerweile ist das Verhältnis zwischen der einst männerhassenden Anwältin und mir recht entspannt geworden. Seit sie dem Scheidungsrecht abgeschworen hat, steht sie mir und meiner Mutter treu zur Seite und gehört nun zu dem Rudel der Bluthunde, die – getarnt als Anwälte – alles vernichten, was sich ihren Mandanten in den Weg stellt. Obwohl ich nicht um deren Gunst geworben habe, bin ich momentan derjenige, der ihre Unterstützung am meisten braucht. Nicht, weil ich andauernd Blödsinn verzapfe, sondern weil ich nach über zwanzig Jahren – zusätzlich zu meinem Architektendasein – wieder in die Musikbranche eingestiegen bin. Auf der Höhe unseres damaligen Erfolgs als Rockband stürzte ich so tief ab, dass ich einen Freifahrtschein in die Hölle buchte. Es waren meine Eltern, die mir das Rückfahrticket ermöglichten und deren engagierte Bluthunde übernahmen den Rest.
Noch bis vor über einem Jahr habe ich jeden Gedanken an die Band vehement verdrängt, weil mir dabei das Herz blutete. Meine damalige große Liebe Roxy ist ein Grund dafür. In der letzten Zeit hat sich so viel verändert und mein Umfeld ist sich wohl nicht sicher, ob ich wieder in der Hölle lande. Deshalb stalkt mich Madison regelrecht. An manchen Tagen bin ich sogar ein bisschen froh darüber. Heute zum Beispiel ist so einer.
„Vernichte die Fotos!“, sage ich schroff.
„Nichts anderes habe ich angenommen.“
„Wusstest du, dass Emily nach Ibiza zieht?“
„Höre ich da einen versteckten Vorwurf?“
„Dir entgeht auch nichts.“ Meine Ironie paart sich gerade mit meiner Enttäuschung.
„Ja, ich wusste es und Emily wollte nicht, dass ich es dir sage.“
Das tut weh!
„Verflucht! Was habe ich ihr angetan? Ich verstehe ihr Verhalten nicht.“
„Wie auch? Du bist ein Mann. Ihr begreift immer erst alles, wenn es vorbei ist“, zetert meine Mutter.
Wie jetzt?
„Mum, rede nicht in Rätseln. Was weißt du?“, frage ich und werde ungehalten.
„Wie wichtig ist dir Emily wirklich?“
„Sehr!“
„Dann solltest du anfangen, nachzudenken. Wie war euer Verhältnis, bevor du mit Roxy wieder zusammengekommen bist?“
„Wir haben miteinander geflirtet und wer weiß, was daraus entstanden wäre, wenn Emily keinen Heiratsantrag erhalten und ich Roxy wiedergetroffen hätte. Jedenfalls ist sie mir nicht egal. Jetzt mach daraus kein Ratespiel.“ Ich hasse es, wenn meine Mutter diese Art von Konversation mit mir führt.
„Es gab keinen Antrag.“ In der Stimme meiner Mutter schwingt ein mitleidiger Ton mit.
„Wie jetzt? Emily hat es mir selbst erzählt.“
„Das war eine Lüge. Ich finde, das solltest du wissen.“
„Und warum erzählst du mir das erst jetzt?“
„Weil du mich in der letzten Zeit nicht nach ihr gefragt hast. Wie du weißt, mische ich mich nicht in dein Privatleben und schon gar nicht in deine Frauengeschichten ein. Würde ich es tun, dann bräuchte ich einen Psychologen, der mich für den Rest meines Lebens betreut.“
„Ich liebe dich auch“, brumme ich.
„Dann haben wir auch das geklärt. Dein Vater und ich werden morgen Abend erst spät auf Ibiza landen …“
„Das weiß ich doch. Du stehst am OP-Tisch in der Kinderklinik und Dad streitet sich mit New Yorks Baudezernenten wegen eines geheimnisvollen Großprojekts.“
„Du hast mir tatsächlich zugehört.“
„Darauf erhältst du keine Antwort!“
„Wahrscheinlich nicht, aber ob deine Verlobte morgen mit uns fliegt, lässt du mich noch wissen …“
„Sie ist nicht meine Verlobte!“, grolle ich.
„Verzeihung. Dann deine Ex-Verlobte.“
„Mum! Lass es! Ich weiß es nicht und mittlerweile ist es mir auch egal.“
„Auch gut. Dann musst du auf Madisons Hochzeit mit mir tanzen, sofern sich dein Vater wieder weigert. Außer, du kommst doch in Begleitung …“ Dass sie das letzte Wort besonders betont, ignoriere ich. Ich kenne ihre dezenten Anspielungen, denn ich bin seit sechsundvierzig Jahren ihr Sohn.
***
Nach dem Gespräch mit meiner Mutter fühle ich mich nüchterner als zuvor. Allerdings regt mich der Vorfall mit den Paparazzi zunehmend auf. Emily ist durch mein Verschulden schon einmal auf deren Fotos gelandet. Das war zu der Zeit, als die Medien verrücktspielten, weil meine Identität als ehemaliger Rockstar an die Öffentlichkeit geriet. Damals renovierten wir gerade ihre Boutique und hatten unheimlich viel Spaß. Ich war so fasziniert von ihrer unkomplizierten Art, dass ich mich sehr zu ihr hingezogen fühlte. Sobald ich in ihrer Nähe war, hatte ich das Gefühl, dass uns nicht nur die Leidenschaft für das Surfen verband. In ihre dunkelblauen Augen zu sehen, erinnerte mich immer an die Tiefe des Meeres und ihre blonden langen Haare untermalten ihr bezauberndes Aussehen.
Natürlich habe ich auch nicht unsere einzige gemeinsame Nacht vergessen. Der Anblick ihres halbnackten Körpers in den schwarzen Dessous verfolgt mich noch immer. Mein damaliges selbst auferlegtes Zölibat war zwar gentlemanlike, aber nur mit großer Mühe durchzustehen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich tatsächlich so schnell wieder auf Roxy eingelassen hätte, wenn Emily noch im Spiel gewesen wäre. Sie heute zu treffen und zu erfahren, dass sie zukünftig auf dieser Insel leben wird, fühlt sich wie ein Schlag in die Magengrube an.
Warum eigentlich?
Meine Beziehung mit Roxy gestaltet sich anders, als ich gedacht habe; womöglich, weil wir mittlerweile zwanzig Jahre älter sind. Doch das kann nicht der Grund sein, wieso mir die Begegnung mit Emily so zusetzt.
Ich muss unbedingt mit ihr reden!
Vorher benötige ich eine Dusche, um einen klaren Verstand zu bekommen. Hastiger als nötig ziehe ich meine verschwitze Kleidung aus und werfe sie auf den schon vorhandenen Wäscheberg neben dem Doppelbett. Auf dem Weg zur Dusche ignoriere ich den Vibrationston meines iPhones. Ich bin für den Rest des Tages für niemanden mehr zu erreichen.
***
Eine Stunde später lasse ich mich von Sancho – der sich neben der Vermietung der Finca um unser Wohlbefinden kümmert – zu der Boutique bringen, wo ich Emily heute getroffen habe. Natürlich hätte ich einen weiteren Versuch wagen können, sie anzurufen, doch ich habe keine Lust, erneut ignoriert zu werden.
„Willst du bei Sofia einkaufen?“ Mit seiner Frage reißt mich Sancho aus meinen Gedanken.
„Eher weniger. Eigentlich möchte ich ihre Nichte treffen …“
„Emily! Kennst du sie? Endlich ist sie für immer hier bei uns auf der Insel.“ Die Freude in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
Leider kann ich sie mit ihm nicht teilen und schweige deshalb.
„Die Ärmste hat so viel durchgemacht“, spricht er weiter. Dabei starrt er mit trauriger Miene geradeaus. „Jetzt kehrt endlich Ruhe in ihr Leben ein.“ Seine letzten Worte klingen melancholisch und machen mich stutzig.
Schlagartig wird mir klar, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, was Emily für eine Person ist.
Es wird Zeit, das herauszufinden. Schnell.
Emily
Mit zittrigen Händen zerre ich die Kleidungsstücke aus den zwei mitgebrachten Koffern und schmeiße sie auf einen alten Holzstuhl. Die unerwartete Begegnung mit Logan hat mich so aufgewühlt, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe. Wenn ich nicht aufpasse, dann werde ich Dinge tun, die ich später bestimmt bereue.
„Die Kanne Rum ist fertig.“ Sofias rauchige Stimme klingt verdammt nah.
„Die wird nicht reichen“, antworte ich.
„Weißt du, was ich nicht verstehe …“, beginnt Sofia und baut sich direkt vor mir auf, „warum du … ohne um ihn gekämpft zu haben, einfach aufgibst. Du bist eine geborene Torres und die ergeben sich nicht kampflos.“
„Ganz einfach … er passt nicht zu mir, weil er zu reich, zu attraktiv und obendrauf auch noch ein Rockmusiker ist, der ständig unterwegs sein wird. Ich will irgendwann eine Familie und …“ Weiter komme ich nicht, denn plötzlich kämpfe ich gegen einen sich anbahnenden Monsun aus Tränen an. Zu sehr leide ich darunter, dass meine eigene Familie mit dem Tod meiner Mutter zerrüttet wurde. Mein Vater hat damals seinen Kummer in Alkohol ertränkt und ist bis heute nicht mehr davon losgekommen. Alle meine Bemühungen, ihn zu retten, ignorierte er und mittlerweile beschränkt sich unser Kontakt auf jeweils einen Anruf zum Geburtstag.
„Ja, so ein reicher, attraktiver Rockstar ist wirklich nichts für dich. Aber für mich schon …“
Bevor ich mein Entsetzen über Sofias ironische Bemerkung kundtun kann, überfällt sie mich mit einer festen Umarmung, die ich in diesem Moment wirklich gebrauchen kann. „Du hast mir gefehlt“, schluchze ich.
Sofia drückt mich noch fester an sich, verpasst mir einen Kuss auf die Stirn und sagt: „Jetzt bist du Zuhause und alle deine Probleme werden sich auf die eine oder andere Weise lösen lassen. Wenn die passende Zeit gekommen ist, dann wirst du auch deine eigene Familie haben. Zwar nicht mit dem Rockstar, denn der ist nun für mich. Allerdings bin ich mir sicher, dass ich so einen Langweiler für dich finde, der dir jeden Wunsch erfüllt, bevor du ihn überhaupt gedacht hast und der natürlich immer an deiner Seite sein wird.“
„Du bist so gemein!“ In der nächsten Sekunde muss ich lachen, denn Sofia hat genau den Typ Mann beschrieben, der für mich nie in Frage kommen würde. Ich erwarte von einem Mann Respekt, aber keine Unterwürfigkeit. Das würde mich tatsächlich langweilen.
„Der Rockstar gehört mir. Du kannst Sancho weiterhin den Kopf verdrehen. Er steht schon so lange auf dich und du lässt ihn in seiner unendlichen Leidenschaft für dich einfach schmoren.“
„Pah, Sancho! Du hast wohl vergessen, dass er mich für eine andere verlassen hat?“, giftet Sofia.
„Ernsthaft? Da warst du sieben Jahre alt. Wie lange willst du ihm das noch nachtragen?“
„So lange, bis er reumütig vor meiner Tür steht.“ Ihr trotziger Unterton ist nicht zu überhören.
„Du bist unglaublich. Mehr sage ich dazu nicht!“
„Das ist gut, denn nicht ich bin das Hauptthema, sondern du. Also? Wie geht es weiter?“
Eine gute Frage, auf die ich absolut keine Antwort habe.
„Ich trinke die Kanne Rum leer und hoffe, dass der Rausch solange anhält, bis Logan wieder abgereist ist“, verkünde ich und ziehe eine dümmliche Grimasse.
„Was für ein beschissener Plan“, regt sich Sofia auf. „Da mache ich nicht mit!“
Verständlich.
„Das war …“, beginne ich.
Doch Sofia mahnt mich mit einer harschen Handbewegung zu schweigen. „Du bleibst hier und machst dich unsichtbar“, sagt sie schroff. Dann verlässt sie mit ernstem Gesichtsausdruck das kleine Lager.
Was hat sie denn plötzlich?
Völlig perplex von ihrer Sinneswandlung sehe ich ihr nach und erst jetzt vernehme ich das dröhnende Geräusch von einem Sportwagen, welcher anscheinend vor der Boutique hält.
Hat sie einen neuen Verehrer, den ich nicht sehen soll?
Mich an die Anweisung meiner Tante zu halten, widerstrebt mir – zumal mich die Neugierde gepackt hat. Deshalb verstecke ich mich so, dass ich den Verkaufsraum sowie die Straße einsehen kann.
Auf den Anblick des arroganten, glatt gegelten jungen Schnösels, der jetzt aus dem Auto steigt und zielstrebig die Boutique betritt, hätte ich verzichten können. Außerdem wird mir schlagartig klar, dass er kein neuer Verehrer ist.
Wer ist es dann?
Gebannt beobachte ich, wie herablassend der Jüngling in seinem teuren Maßanzug durch den Verkaufsraum stolziert und abwertend die Kleidungsstücke betrachtet.
Was soll das?
Sofias Boutique ist kein Luxusmodengeschäft. Das erkennt man schon von außen. Also, was will er hier und dann noch mit diesem unmöglichen Auftreten?
Leider kann ich meine Tante nicht sehen und habe deshalb keine Ahnung, was sie gegen ihn unternimmt. Dass er im nächsten Moment ein paar Kleidungsstücke vom Haken reißt und sie mit Abscheu fallen lässt, treibt mir ein paar Zornesfalten auf die Stirn. Eigentlich müsste ich jetzt nach vorn stürmen und Sofia unterstützen, doch halte ich mich erst einmal zurück. Sie hat mir nicht umsonst untersagt, dass ich mich zeigen soll.
Als plötzlich Sofias raue Stimme lautstark durch den Raum hallt, zucke ich automatisch zusammen. Dem Schnösel ist es egal. Er lacht hysterisch und droht ihr: „In drei Tagen komme ich wieder! Du solltest vorbereitet sein.“
Sofia reagiert darauf mit einem lautstarken Rausschmiss und tatsächlich dreht sich der Jüngling um und schlendert zu seinem überteuerten Sportwagen.
Ich warte so lange, bis er weggefahren ist und stürme dann nach vorn in den Verkaufsraum. Meine Tante steht neben dem Kassentisch und ist kreidebleich.
„Wer war das?“, frage ich.
„Niemand!“, antwortet Sofia.
„Wirst du erpresst?“
„Emily! Das war niemand und wir schließen jetzt die Boutique. Und keine weiteren Fragen!“
***
Auf der zehnminütigen Fahrt zu Sofias Anwesen, welches sich in den Hügeln rund um San Carlos befindet, ist es erneut Teddy Swims, der mich mit seinem Song daran erinnert, warum ich die Hamptons verlassen habe.
Ich verfluche noch heute meine Torheit, Logan in der Strandbar angesprochen zu haben. Mein Leben wäre unkomplizierter ohne ihn. Anderseits ist es gelogen, dass ich nur wegen meiner unglücklichen Liebe zu ihm die Flucht ergriff.
Die hohen Mieten für die Boutique in East Hampton sowie die darüberliegende Wohnung konnte ich nach dem Auszug von David kaum noch stemmen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass mich nach dem Bekanntwerden von Logans früherer Identität jemand beschattete. Vielleicht lag es auch an meiner wilden Fantasie und ich bildete mir nur etwas ein. Trotzdem weiß ich bis heute nicht, wer mir die schwarz gefärbten Rosen hinter den Scheibenwischer meines Autos klemmte. Beim ersten Mal hielt ich es für ein Versehen, beim zweiten Mal wurde ich bereits stutzig und danach warnte mich mein Bauchgefühl. Ich vertraute mich damals Logans Mutter an, die meine zahlungskräftigste Kundin war und sie schaffte es – wohl durch ihre weitreichenden Beziehungen –, dass der Spuk eine Zeit lang aufhörte.
Doch in den letzten drei Wochen vor meinem Umzug nach Ibiza zeigte mir mein Rosenkavalier, zu was er imstande war und plötzlich fand ich wöchentlich eine schwarze Blume vor. Bei dem Gedanken daran schaudert es mich. Zusätzlich findet mein Magen die kurvenreiche Auffahrt zu Sofias Villa sehr anstrengend.
Mit Erleichterung passiere ich die Toreinfahrt und parke neben dem Auto meiner Tante. Schon beim Aussteigen empfängt mich eine warme Brise, die den herben Pinienduft und die Frische des Meeres mit sich trägt.
Wie wohltuend.
Um meinen Magen wieder milde zu stimmen, gehe ich ein paar Schritte und genieße dabei die überwältigende Aussicht auf das vor mir liegende Tal und das entfernte Meer. Bei gutem Wetter kann man von hier aus sogar die Nachbarinsel Formentera sehen.
Hier ist mein kleines Paradies.
Mit diesem Gedanken schlendere ich zum Eingang der großen Villa. Wenn ich den Erzählungen meiner verstorbenen Großmutter glauben darf, zog diese Ende der Sechzigerjahre von Madrid nach Ibiza, wo sich in San Carlos die meisten Aussteiger ansiedelten. Die Lebenseinstellung der Hippies war ein Dasein ohne jeglichen Komfort, ohne Arbeit und demzufolge auch ohne Geld. Hier auf der Insel lernte sie meinen Großvater kennen, der aus einer Bauunternehmer-Dynastie stammte. Er kaufte für wenig Geld Land, baute darauf ein kleines Haus und lud meine Großmutter ein, mit ihm zu leben. Angeblich weigerte sie sich anfangs und gab der Bitte erst nach, als sie mit meiner Mutter schwanger war. Kurz darauf folgte die Geburt von Sofia und das Haus wurde um ein Stockwerk erweitert.
Heute beherbergt die weiße Villa mehrere Wohn-, Schlaf- sowie Badezimmer, einen Außenpool und noch viele andere Annehmlichkeiten. Als Kind brachte der kleine Turm meine Fantasie zum Überlaufen, weil ich mir ausdachte, wie ich als Prinzessin darin leben und gerettet werden würde. Ein Prinz ist bis heute nicht vorbeigekommen, sondern es war meine Familie, die mich aufforderte, mein Domizil zu verlassen, um mich im Haushalt nützlich zu machen. Ich habe hier eine wunderbare Kindheit verbracht. Dieser Ort ist oft mein Zufluchtspunkt gewesen. Dass ich jetzt vielleicht für immer hier wohnen werde, fällt mir noch schwer zu glauben.
Doch wo ist eigentlich meine Tante abgeblieben?
Mit dieser Frage im Kopf gehe ich vorbei an den großen Terrakottatöpfen – in denen hochgewachsene Strelitzien wunderschön blühen – und betrete den Eingangsbereich der Villa. Sofort erregt der nicht zu überhörende Krach, der wohl aus der Küche kommt, meine Aufmerksamkeit.
Eigentlich ist Sofia kein lauter Mensch und deshalb nehme ich an, dass ihr etwas gehörig zusetzt. Um nicht aufdringlich zu wirken, bewege ich mich im Zeitlupentempo durch das große Wohnzimmer und kann dabei in die angrenzende offene Küche sehen.
Meine Tante steht mit den Rücken zu mir und schimpft unaufhörlich vor sich hin. Dabei schlägt sie die Türen des Hängeschranks lautstark zu, die sie zuvor erst geöffnet hat. Zu meinem Verdruss verstehe ich nur Bruchstücke und diese ergeben für mich keinen Sinn. Ob ihr Unmut mit dem Auftauchen des arroganten Schnösels in der Boutique zu tun hat?
Anscheinend hat sie mich noch nicht bemerkt und um sie nicht zu erschrecken, räuspere ich mich kurz.
Sofort fährt sie herum, funkelt mich böse an und droht mir zusätzlich mit einem scharfen Küchenmesser.
Völlig perplex weiche ich zurück und hebe abwehrend die Hände. „Ich bin es nur!“
„Warum schleichst du dich so an?“ Aufgebracht legt sie das Messer zur Seite und sagt: „Es tut mir leid. Ich dachte, du bist jemand anderes.“ Dann greift sie nach einer schwarz gefärbten Rose, die sie mit Abscheu in den Mülleimer schmeißt.
„Du hast auch eine erhalten?“, rufe ich.
„Auch?“ Sofia sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Bei mir klemmten sie alle hinter dem Scheibenwischer.“
„Moment!“ Meine Tante wirkt unbeherrscht und kommt ein paar Schritte auf mich zu. „Von was reden wir hier?“
„Von der schwarzen Rose …“, sage ich. Gleichzeitig zeige ich in die Richtung des Mülleimers, in der die Blume verschwunden ist.
„Du hast bis gestern noch in den versnobten Hamptons gewohnt …“
„Das ist mir durchaus bewusst. Trotzdem beschenkte mich mein Rosenkavalier viele Male damit.“
„Und warum hast du mir das nicht erzählt?“ Sofia brüllt mich an, als wäre ich ein kleines Mädchen, was zu spät nach Hause gekommen ist.
Bevor ich antworten kann, vernehme ich eine mir bekannte, dunkle, männliche Stimme. „Kommen wir ungelegen?“
Blitzartig drehe ich mich um und nur ein paar Schritte entfernt von uns stehen zwei Männer.
Oh my goodness.
Für einen Moment habe ich tatsächlich gedacht, dass es der Rosenkavalier sein könnte. Deshalb freue ich mich, dass es Logan mit Sancho ist, wobei ich mir bei dem Ersteren gewünscht hätte, ihn nicht gleich wiederzusehen.
„Emily, meine Kleine“, ruft Sancho. Ich liebe seinen spanischen Akzent.
Einen Atemzug später umschlingen mich seine starken Arme und er drückt mich fest an sich. „Ich freue mich so sehr, dass du nun für immer hier bist.“
„Bist du dir sicher?“, nuschle ich. Die Luftzufuhr ist recht gering durch seine Umarmung.
Sancho ist einer der herzlichsten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Wenn er sich nicht unter fadenscheinigen Umständen um Sofia kümmert, dann findet man ihn in seinem Atelier. Er wohnt nur unweit von hier in einer Finca und bei ihm herrscht – laut seiner Aussage – ein künstlerisches Chaos. Sofia dagegen bezeichnet es gerne als Tohuwabohu der höchsten Klasse und weigert sich strikt, dieses Haus zu betreten. Mich hat schon als Kind dieser besondere Spirit, den man dort spüren kann, in seinen Bann gezogen. Damals lebte Sanchos Frau noch, die genauso liebenswürdig und chaotisch war. Sie ist im gleichen Jahr gestorben wie meine Mutter. Für mich ist das bis heute unfassbar, dass ich in so kurzer Zeit so wichtige Menschen verloren habe.
„Emily?“, flüstert Sancho. Gleichzeitig lockert er seine Umarmung. „Gibt es Probleme? Ich habe euren Streit unfreiwillig mit angehört.“
Das war zu befürchten!
„Ich glaube …“, sage ich leise. Ich bin mir nicht sicher, ob er von dem Rosenkavalier weiß. „Aber deshalb bist du nicht hier. Und wieso befindest du dich in Begleitung von Logan Harper?“
„Er hat die Finca von Carlos gemietet …“
„Dein Nachbar?“, rufe ich.
„Ja. Er ist zu seiner Tochter nach Madrid gezogen und vermietet das Haus. Ich fungiere als Verwalter.“ Dabei zwinkert er mir verschwörerisch zu. „Du lenkst vom Thema ab.“
„Seid ihr bald fertig mit eurer Tuschelei?“ Sofias Unmut ist nicht zu überhören.
„So leise waren wir nicht und vielleicht hättet ihr die Güte, mir zu erzählen, warum ihr streitet?“ Sancho tritt einen Schritt zur Seite und sieht erst mich und dann meine Tante an.
Ich schweige.
Sofia ebenfalls.
Missmutig nimmt das Sancho zur Kenntnis und fährt fort: „Ich war bei deiner Boutique und überraschenderweise ist diese schon geschlossen. Hattest du etwa wieder Besuch von diesem fragwürdigen Kerl?“
„Das geht dich nichts an!“
Verdammt! Warum verschweigt sie es?
„Ja! Hatte sie!“, antworte ich. „Was will er von ihr?“
„Sofia!“, mahnt Sancho. „Emily muss es wissen. Es betrifft auch sie!“
„Das weiß ich!“, ruft sie. Dabei schlägt sie mit der Faust auf die Arbeitsplatte. „Ich wollte sie schützen! Doch das hat nicht funktioniert.“
Von was redet sie? Ich verstehe gerade gar nichts.
Logan
Eigentlich habe ich mir das Wiedersehen mit Emily anders vorgestellt. Ich war darauf vorbereitet, von ihr abgewiesen oder ignoriert zu werden. Stattdessen gerate ich in eine für mich undurchschaubare Situation, in der es wohl um grundlegende Probleme geht.