Eine wundervolle Begegnung - Michaela Dornberg - E-Book

Eine wundervolle Begegnung E-Book

Michaela Dornberg

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Beschreibung

Sie ist jung, sie ist schön, und sie ist stolz – ihr Vater, der alte Graf und Patriarch Benno von Waldenburg, weiß genau, warum er seine Lieblingstochter dazu auserkoren hat, die Herrin auf Schloss Waldenburg zu werden. Es ist die große Überraschung, die er auf der herrlichen Feier anlässlich seines 60. Geburtstags verkündet. Sie führt zum Eklat – denn sein maßloser, ungeratener Stiefsohn Ingo denkt gar nicht daran, auf seine Ansprüche zu verzichten. Er will vor Gericht klagen. Die gräfliche Familie wird unruhige Zeiten erleben. Die junge Gräfin ist eine Familiensaga, die ihresgleichen sucht. Die junge Gräfin ist eine weit herausragende Figur, ein überzeugender, zum Leben erwachender Charakter – einfach liebenswert. Alexandra von Waldenburg stellte die kleine Reisetasche ihrer Mutter in den Kofferraum, dann setze sie sich ins Auto, in die Limousine ihrer Eltern, mit der sie ihre Mutter zum Bahnhof bringen wollte. Sie selbst fuhr zwar lieber ihren großen Jeep, weil der so praktisch war und in dem man so vieles verstauen konnte, aber in den hätte Elisabeth von Waldenburg sich nur mit Widerwillen hineingesetzt, weil es ihr einfach zu beschwerlich war, da mühsam hineinzuklettern. Sie war eben aus dem Alter heraus, in dem man es cool fand, solche Autos zu fahren. Für sie zählten Komfort und Bequemlichkeit, und das hatte sie in dem Fahrzeug, das sie und ihr Ehemann Benno benutzten. »So, Mama, wir können starten«, sagte Alexandra und warf ihrer Mutter einen liebevollen Blick zu. Die Ärmste, wie zusammengekauert sie auf dem Beifahrersitz saß, wie ein Häufchen Elend, wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Aber das, was vor ihrer Mutter lag, war ja auch wirklich nicht einfach. Sie wollte in der Haut ihrer Mutter nicht stecken. »Alexandra, mich zum Bahnhof zu bringen, das wäre wirklich nicht nötig gewesen …, du hast so viel zu tun … Fritz hätte mich auch fahren können.« »Ich weiß, meine liebe Mama. Aber ich will dich bringen, und ich mache es von Herzen gern.« Der Anflug eines Lächelns huschte über Elisabeths feines, jetzt so bekümmert aussehendes Gesicht. »Daran habe auch ich nicht den geringsten Zweifel, mein Liebes, nur … Fritz ist dafür zuständig, dich aber kostet es Zeit.« »So darfst du es wirklich nicht sehen, Mama. Dich zu bringen, verschafft mir auch die Gelegenheit, noch etwas länger mit dir zusammen zu sein.« Sie sagte nicht, dass sie insgeheim hoffte, ihre Mutter könnte endlich anfangen zu sprechen, über das, was jahrzehntelang wohlgehütetes Familiengeheimnis gewesen war. Ein Geheimnis, von dem sie eigentlich nur zufällig, durch eine unbedachte Bemerkung ihres Vaters, erfahren hatte, und über das, kaum ausgesprochen, sofort wieder der Mantel des Schweigens gedeckt worden war. Ja, es war schon ein wenig merkwürdig bei den von Waldenburgs, diesem alten Adelsgeschlecht, in dem es Kardinäle und Generäle gegeben hatte und die, bis heute, für ihre Großzügigkeit bekannt waren. Auf der einen Seite waren sie aufgeschlossen, liberal und weltoffen, auf der anderen Seite wurde nicht viel darüber gesprochen, was innerhalb der Familie wirklich von Belang war.

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Die junge Gräfin – 2–

Eine wundervolle Begegnung

Glaubst du ans Schicksal, schöne Lady?

Michaela Dornberg

Alexandra von Waldenburg stellte die kleine Reisetasche ihrer Mutter in den Kofferraum, dann setze sie sich ins Auto, in die Limousine ihrer Eltern, mit der sie ihre Mutter zum Bahnhof bringen wollte.

Sie selbst fuhr zwar lieber ihren großen Jeep, weil der so praktisch war und in dem man so vieles verstauen konnte, aber in den hätte Elisabeth von Waldenburg sich nur mit Widerwillen hineingesetzt, weil es ihr einfach zu beschwerlich war, da mühsam hineinzuklettern. Sie war eben aus dem Alter heraus, in dem man es cool fand, solche Autos zu fahren. Für sie zählten Komfort und Bequemlichkeit, und das hatte sie in dem Fahrzeug, das sie und ihr Ehemann Benno benutzten.

»So, Mama, wir können starten«, sagte Alexandra und warf ihrer Mutter einen liebevollen Blick zu.

Die Ärmste, wie zusammengekauert sie auf dem Beifahrersitz saß, wie ein Häufchen Elend, wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Aber das, was vor ihrer Mutter lag, war ja auch wirklich nicht einfach. Sie wollte in der Haut ihrer Mutter nicht stecken.

»Alexandra, mich zum Bahnhof zu bringen, das wäre wirklich nicht nötig gewesen …, du hast so viel zu tun … Fritz hätte mich auch fahren können.«

»Ich weiß, meine liebe Mama. Aber ich will dich bringen, und ich mache es von Herzen gern.«

Der Anflug eines Lächelns huschte über Elisabeths feines, jetzt so bekümmert aussehendes Gesicht.

»Daran habe auch ich nicht den geringsten Zweifel, mein Liebes, nur … Fritz ist dafür zuständig, dich aber kostet es Zeit.«

»So darfst du es wirklich nicht sehen, Mama. Dich zu bringen, verschafft mir auch die Gelegenheit, noch etwas länger mit dir zusammen zu sein.«

Sie sagte nicht, dass sie insgeheim hoffte, ihre Mutter könnte endlich anfangen zu sprechen, über das, was jahrzehntelang wohlgehütetes Familiengeheimnis gewesen war. Ein Geheimnis, von dem sie eigentlich nur zufällig, durch eine unbedachte Bemerkung ihres Vaters, erfahren hatte, und über das, kaum ausgesprochen, sofort wieder der Mantel des Schweigens gedeckt worden war.

Ja, es war schon ein wenig merkwürdig bei den von Waldenburgs, diesem alten Adelsgeschlecht, in dem es Kardinäle und Generäle gegeben hatte und die, bis heute, für ihre Großzügigkeit bekannt waren.

Auf der einen Seite waren sie aufgeschlossen, liberal und weltoffen, auf der anderen Seite wurde nicht viel darüber gesprochen, was innerhalb der Familie wirklich von Belang war. Dass ihr geliebter Bruder Ingo in Wirklichkeit nur ihr Halbbruder war, konnte man nicht nur eine Sache von Belang nennen.

Nein, es war eine Bombe, etwas von so elementarer Bedeutung, dass man sich schon fragen durfte, wie es möglich gewesen war, es dreißig Jahre lang geheim zu halten. Das passte so überhaupt nicht zu ihren Eltern. Alexandra hatte Mühe, sich da hineinzuversetzen.

Unabhängig von ihr und ihrer Schwester Sabrina hatte in erster Linie Ingo ein Recht darauf zu erfahren, dass er nicht Bennos leibliches Kind war, dass Elisabeth, seine Mutter, mit ihm schwanger gewesen war, als Benno sich in sie verliebt hatte.

Zum Glück, musste man sagen, denn sonst wäre es mehr als traurig um Elisabeth bestellt gewesen, die jung, von ihrem Verlobten Knall auf Fall verlassen, vollkommen mittellos dagestanden hätte, weil sie von ihren sittenstrengen Eltern niemals als ledige Mutter mit Kind aufgenommen oder anerkannt worden wäre.

Ingo war in die Welt der von Waldenburg hineingeboren worden, und bislang hatte es auch nicht den geringsten Zweifel daran gegeben, dass er der Kronprinz, der Erstgeborene der Familie war. War er auch, nur mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass Benno von Waldenburg nicht sein leiblicher Vater war. Und wenn man es recht betrachtete, so hatten die Beiden auch nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander, weder äußerlich noch vom Charakter her. Aber auf so etwas wurde man erst aufmerksam, wenn klar war, dass beide nicht zusammen gehörten, wenigstens nicht vom Blut her.

Alexandra schaltete einen Gang herunter, bremste ein wenig ab, dann begann sie langsamer zu fahren. Obschon ihre Mutter sich noch nicht beschwert hatte, wusste sie, dass sie es nicht mochte, wenn ihre Tochter in ziemlichem Tempo die schnurgerade Landstraße entlangheizte.

Wie schnell sie unterwegs war, hatte Alexandra zunächst selbst nicht bemerkt, weil sie so sehr in ihre Gedanken verstrickt gewesen war.

Normalerweise war sie nämlich eine gesittete Autofahrerin.

Die Erinnerungen an den sechzigsten Geburtstag ihres Vaters hatten sie unaufmerksam werden lassen für das, was sich auf der Straße ereignete, sie war unbewusst immer mehr auf das Gaspedal getreten.

Doch Schluss damit …

Nun war ihre Mutter unterwegs zu Ingo, um ihm endlich die Wahrheit zu sagen. Es lag wirklich ein schweres Stück Arbeit vor der Ärms­ten. Hoffentlich würde Ingo seine Mutter überhaupt empfangen. Er war wütend auf die gesamte Familie, am meisten aber wohl auf Benno, weil der nicht ihn, wie erwartet, zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, sondern ausgerechnet sie, Alexandra, das Nesthäkchen der Familie.

Es hatte ihr schon den Boden unter den Füßen weggezogen, als ihr Vater das während seiner Geburtstagsfeier vor allen Gästen verkündet hatte.

Alexandra liebte Waldenburg mehr als alles andere auf der Welt, und sie hatte sich große Sorgen gemacht, es verlassen zu müssen, wenn Ingo erst einmal der Herr von Waldenburg sein würde. Davon waren alle ausgegangen, am meisten Ingo.

Dass ihr Vater sich letztendlich anders entschieden hatte, hatte nichts damit zu tun, dass Ingo nicht sein leiblicher Sohn war. Benno von Waldenburg hatte ihn immer als solchen behandelt und sich redliche Mühe gegeben, Ingo als seinen Nachfolger aufzubauen. Mit sehr wenig, eigentlich ganz ohne Erfolg. Ingo hatte sich niemals ernsthaft dafür interessiert.

Als schließlich Makler, Architekten und Grundstücksspekulanten auf dem Gut aufgetaucht waren, um schon mal alles auszumessen, weil Ingo konkrete Zusagen für den Verkauf gegeben hatte, da hatte Benno keine andere Wahl gehabt.

Schloss Waldenburg, seit so vielen Generationen im Familienbesitz, durfte nicht verkauft werden, niemals.

Da Sabrina verheiratet war und lange schon nicht mehr auf Waldenburg lebte, hatte Benno gar keine andere Wahl gehabt, als Alexandra zu seiner Nachfolgerin, zur neuen Herrin von Waldenburg zu bestimmen.

Nun wurde also sie nicht ausgezahlt wie seinerzeit auch Sabrina, sondern Ingo.

Da Benno großzügig war und die Waldenburgs reich, würde viel Geld fließen, genug, um bis ans Lebens­ende sorgenfrei leben zu können.

Aber ein ganzer herrschaftlicher Besitz war natürlich mehr als ein Batzen Geld, und so war es nicht verwunderlich, dass Ingo sofort nach dieser Verkündung wütend abgereist war. Schrecklich war nur, dass er keine Zeit verloren und sofort Rechtsanwälte eingeschaltet hatte, ohne vorher mit jemandem aus der Familie zu reden.

Es war ein gruseliger Gedanke, dass die von Waldenburgs in einen Rechtsstreit verwickelt werden sollten, bei dem es hieß – Waldenburg gegen Waldenburg.

So etwas hatte es noch niemals zuvor in der langen, langen Familiengeschichte gegeben.

Arme, arme Mama …

Die musste ihrem Sohn nicht nur das Geheimnis seiner Herkunft erklären, sondern sie musste ebenfalls versuchen, ihn dazu zu bewegen, mit diesem Streit aufzuhören, ihn bitten, seine Anwälte zurückzupfeifen.

Alexandra warf ihrer Mutter, die die ganze Zeit über nicht ein einziges Wort gesagt hatte, einen vorsichtigen Blick zu und erschrak – die kleine, zierliche Elisabeth war vollkommen in sich zusammengesunken, sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Alexandra fuhr rechts an den Straßenrand und bremste. Vielleicht ein wenig zu abrupt, denn Elisabeth schreckte hoch und erkundigte sich ganz erschrocken: »Was ist denn los, Alexandra?«

Diese drehte entschlossen den Zündschlüssel herum, der Motor erstarb. Dann wandte sie sich ihrer Mutter zu.

»Mama, so geht das nicht. In dieser Verfassung lasse ich dich nicht zu Ingo fahren. Das stehst du im Leben nicht durch.«

Elisabeth seufzte bekümmert.

»Ich habe aber keine andere Wahl. Wie du weißt, geht Ingo nicht ans Telefon, hat sein Handy ausgeschaltet, und er beantwortet keine Briefe.«

»Mama, natürlich sollst du zu Ingo fahren, dagegen habe ich nichts. Ich möchte nur nicht, dass du allein zu ihm fährst. Ich werde dich begleiten, und deswegen kehren wir jetzt um und fahren wieder nach Hause. Ich packe dort ein paar Sachen ein, und wir sagen Papa Bescheid …« Als sie den unschlüssigen Blick ihrer Mutter bemerkte, fügte sie rasch hinzu: »Mama, ich will mich da in überhaupt nichts hineinhängen …, ich möchte dich nur vor dem Treffen mit Ingo aufbauen und dich hinterher auffangen.«

Nach diesen Worten war es still, und Alexandra war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war, die eigentlichen Pläne ihrer Mutter zu durchkreuzen. Sie kannte sie, Elisabeth war zwar klein und zierlich, aber in ihr steckte eine unglaubliche Energie, was man hinter dieser zarten Person niemals vermutete.

Vermutlich würde es jetzt ein Donnerwetter geben, ihre Mutter würde sich das Einmischen verbieten.

Doch zunächst geschah nichts.

Dann entgegnete Elisabeth, entgegen ihrer sonstigen Art, ganz zaghaft: »Das willst du wirklich für mich tun, mein Kind?«

Alexandra musste erst einmal ganz tief Luft holen, denn mit einer solchen Antwort hätte sie niemals gerechnet.

»Ja, Mama, das will ich … von Herzen gern, weil ich dich lieb habe und weil ich mir deinetwegen große Sorgen mache. Das, was ansteht, ist einfach zu viel für einen allein. Lass mich dir also helfen.«

»Aber Ingo wird nicht …«

Alexandra ließ ihre Mutter nicht aussprechen.

»Mama, wenn er mich nicht dabei haben will, dann ziehe ich mich ganz diskret zurück. Aber wer weiß, vielleicht stört es ihn ja nicht. Ingo war immer mein über alles geliebter, von mir sehr bewunderter Bruder … Mein großer Bruder ist er noch immer, ich hab ihn auch noch immer lieb, aber mit der Bewunderung, nun, damit ist es leider seit einer Weile vorbei. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Ingo hat sich sehr verändert. Ich glaub, es fing an, als er sich von Marion getrennt hat. Diese wunderbare, warmherzige, intelligente Frau gegen all diese hohlen, dunkelhaarigen, langbeinigen Models einzutauschen, das war ein großer, nein, ein sehr großer Fehler.«

Wieder seufzte Elisabeth, diesmal, weil sie das Verhalten ihres heißgeliebten Sohnes mehr als bekümmerte.

»Wer weiß, vielleicht wäre ja alles anders gekommen, wenn Marion ihm bei der Trennung gesagt hätte, dass sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trägt.«

Klar versuchte Elisabeth das Fehlverhalten ihres Sohnes zu entschuldigen, aber das ließ Alexandra diesmal nicht mehr so einfach im Raum stehen. Sie hatte sich fest vorgenommen, alles auszusprechen und es nicht mehr aus lauter Rücksichtnahme unter den Teppich zu kehren.

»Mama, da muss ich dir aber ganz heftig widersprechen. Ich hätte es ihm unter den gegebenen Umständen auch nicht gesagt, und wenn du ehrlich bist, dann musst du zugeben, dass auch du geschwiegen hättest … Ingo hat Marion eiskalt vor den Kopf geknallt, dass er sie nicht mehr liebt, dass es mit ihnen vorbei ist. Was hätte sie tun sollen? Vor ihm auf die Knie fallen? Ihn anflehen, sie nicht zu verlassen? Nein, dazu ist Marion zu stolz. Und sie meistert ihr Leben auch als alleinerziehende Mutter, sie kümmert sich ganz wunderbar um die Kleine, die wirklich nicht den Eindruck macht, als mangele es ihr an etwas, vor allem nicht an Liebe.«

Wieder erfolgte ein Seufzen.

»Ja, es stimmt schon. Marion macht es wirklich ganz wunderbar. Ich denke nur, dass mit Ingo alles anders gelaufen wäre, hätte er diese patente Frau an seiner Seite gehabt. Dann wäre er vielleicht sesshaft geworden auf Waldenburg. Ist ja klar, dass ihm seine … Gespielinnen anraten, alles zu verkaufen. Die sind nur an einem schönen, aufwendigen Leben an den interessantesten Plätzen der Welt, wo sich der Jet-Set tummelt, interessiert. Keine von denen passt zu uns, schon gar nicht nach Waldenburg.«

Nein, so einfach konnte es sich ihre Mutter nicht machen, sie versuchte schon wieder Entschuldigungen zu finden und Ingo in Schutz zu nehmen.

»Sorry, Mama, aber so einfach ist es nicht. Ingo ist niemand, der sich etwas ein- oder ausreden lässt, von einer Frau schon gar nicht. Er ist eben anders, und das zeigt sich immer mehr, je älter er wird. Waldenburg hat ihm, zu unser aller Kummer, nie wirklich etwas bedeutet, sonst wäre er nicht immer nach seinen sporadischen Besuchen spätes­tens nach drei Tagen wieder weggefahren …, vielleicht«, Alexandra zögerte, aber dann sprach sie es doch aus. »Vielleicht liegt es ja wirklich daran, dass er kein echter Waldenburg ist. Das meine ich nicht abwertend, er ist und bleibt mein Bruder, und an meinen Gefühlen hat sich, wie bereits gesagt, dadurch auch nichts verändert.«

Wieder antwortete Elisabeth nicht sofort, aber auf die Weise, wie sie ihre Finger ineinander verknotete, war unschwer zu erkennen, wie angespannt sie innerlich war, vielleicht auch peinlich berührt, weil bekannt geworden war, dass sie so viele Jahre geschwiegen hatte.

Alexandra bekam ein schlechtes Gewissen.

War sie jetzt zu weit gegangen?

Hätte sie das alles nicht ansprechen dürfen?

Sie hatte bisher weder mit ihrer Mutter noch mit ihrem Vater über private Dinge so klar gesprochen.

Schon wollte sie sich bei ihrer Mutter entschuldigen, als Elisabeth von Waldenburg mit sehr leiser, aber doch klarer Stimme zu sprechen begann.

»Du hast ja so recht, mein Kind. Ingo ist kein Waldenburg, obschon Papa und ich uns alle Mühe gegeben haben, ihm die Werte zu vermitteln, die in einer so traditionsreichen und auch traditionsbewussten Familie selbstverständlich sind. Werte wie hohe Moral, Zuverlässigkeit, Integrität, Traditionsbewusstsein, Liebe zur Heimat …, es hat alles nichts gefruchtet. Leider hat Ingo auch nicht viel von mir. Er kommt ganz auf seinen leiblichen Vater, was man ihm nicht zum Vorwurf machen kann. Er ist wie Hubertus, sein Vater, ein zwar charmanter, liebenswerter, aber höchst unzuverlässiger Mann.«

»Hast du noch Kontakt zum Kindesvater, Mama, etwas von ihm gehört? Weißt du, wo er lebt, was er macht?«

»Nein.«

Jetzt klang Elisabeths Stimme schneidend, vergleichbar mit einem scharfen Messer.

»Ich hatte alle Gedanken an ihn verdrängt und wurde erst wieder an ihn erinnert, als die Schatten der Vergangenheit mich …, uns einholten.«

Sie machte eine kleine Pause, starrte auf ihre Hände, verknotete sie wieder miteinander, um sie sofort darauf zu lösen. Das nur, um sofort darauf mit diesem Spiel aufs Neue zu beginnen.

Am liebsten hätte Alexandra ihre Mutter jetzt in die Arme genommen, doch das war nicht der rechte Augenblick. Ihre Mutter wollte reden, und daran durfte sie sie jetzt nicht hindern.

»Ich weiß heute, dass es nicht richtig war, Ingo, aber auch Sabrina und dir, die Wahrheit vorzuenthalten. Aber es schien alles so einfach, Ingo wurde in das Leben der Waldenburgs hineingeboren, galt von seinem ersten Atemzug an als Bennos Sohn, und der hat ihn ja auch immer als solchen behandelt und ihn nicht weniger geliebt als Sabrina und dich … Es hätte alles so bleiben können, wenn nicht immer offenkundiger geworden wäre, dass Ingo sich nicht für Waldenburg interessiert … Als er dann anfing, ohne der Herr auf Waldenburg zu sein, im Vorfeld Verkaufsverhandlungen zu führen, hatte Papa überhaupt keine andere Wahl als dich als seine Nachfolgerin einzusetzen.«

Elisabeth warf ihrer jüngsten Tochter einen sehr liebevollen Blick zu.