Einfach unwiderstehlich - Andy Stanley - E-Book

Einfach unwiderstehlich E-Book

Andy Stanley

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Beschreibung

Wie würde die Welt heute aussehen, wenn Generationen von Christen nicht die Zehn Gebote, sondern die Bergpredigt auswendig gelernt hätten? Was wäre, wenn der "alte Bund", den Gott mit Israel geschlossen hat, tatsächlich nur mit Israel geschlossen wurde und zeitlich begrenzt - also nicht mehr aktuell - ist? Wie würden unsere Gemeinden aussehen, wenn "das neue Gebot", das Jesus gebracht hat, tatsächlich die Grundlage unseres Lebens und Handelns wäre: nämlich "einander zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat"? Andy Stanley führt uns zurück ins erste Jahrhundert, zurück zu einem dynamischen, lebensverändernden und weltbewegenden Glauben und hilft uns dabei, diesen im eigenen Leben kraftvoll zu entfalten.

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Über den Autor

Andy Stanley bezeichnet sich selbst als „bekehrten Pharisäer“ und ist Pastor der North Point Church, Atlanta, einer der größten Gemeinden in den USA. Darüber hinaus ist er Verfasser von über 20 Büchern. Er hat drei Kinder und lebt mit seiner Frau Sandra in Atlanta, Georgia.

Sein Großvater war ein bekannter Prediger in der amerikanischen Heiligungsbewegung. Sein Vater trank noch nicht einmal Kaffee, da die Bibel angeblich verbietet, Aufputschmittel zu nehmen.

„Einfach unwiderstehlich“ ist wie ein Schuss vor den Bug, wie es ihn in einer Generation nur einmal gibt. Prägnant, kraftvoll und überzeugend zeigt uns Andy, wie so viele Christen ihr Christsein missverstanden haben, und hilft uns dabei, das wiederzuerlangen, was das Christsein einmal so unwiderstehlich gemacht hat.

Carey Nieuwhof, Autor und Pastor der Connexus Church

Ich bin seit mehr als dreißig Jahren Christ, und es hat mich kein anderes Buch dazu gebracht, so mit den Grundfesten meines Glaubens zu kämpfen, wie es dieses getan hat. In „Einfach unwiderstehlich“ fordert Andy Stanley uns dazu auf, die Version des Glaubens zurückzugewinnen, die unsere Welt einst verändert hat. Dieses provozierende Buch hat das Potenzial, den Kern Ihrer Theologie zu sprengen. Und wenn das geschieht, wird es wohl für immer die Art und Weise verändern, wie Sie die Bibel lesen und Ihren Glauben leben.

Tony Morgan, Gründer und Leitender Stratege von The Unstuck Group

Andy Stanley nimmt uns mit auf eine historische Reise, um die Leidenschaft der ersten Generation Christen wiederzuentdecken. Dieses Buch wird Sie aufrütteln, Sie aus Ihrer Selbstzufriedenheit herausreißen und einen unerschütterlichen Glauben wecken, der nicht ignoriert werden kann.

Craig Groeschel, Pastor der Life.Church und Autor

Mehr als jedes andere Buch hat „Einfach unwiderstehlich“ meinen Blick auf die Heilige Schrift erweitert. Ich kann keinen Absatz aus dem Alten oder Neuen Testament hören oder lesen, ohne an Andys provozierende Einsichten zu denken. Wenn wir dieses Buch ernst nehmen, werden unser Leben und unsere Gemeinden nie wieder dieselben sein.

Dr. Kara Powell, Geschäftsführerin des Fuller Youth Institute

Andys Buch forderte mich heraus, meine Gedanken über das Alte Testament zu überdenken, seine Thesen mit meinen Freunden zu diskutieren, das Buch noch mal zu lesen. Andy hat mich dazu gebracht, mehr Kontakte zu anderen herzustellen und sie weniger zu korrigieren. Salz und Licht zu sein, um die Welt besser und heller zu machen. Ich liebe es, wie Andy Menschen liebt … ALLE Menschen.

John Maxwell, Autor von The 360 Degree Leader

Andy Stanley ist der Überzeugung, dass das Evangelium der Gnade eine unwiderstehliche Botschaft ist. Warum widersetzen sich ihm dann so viele, weisen Jesus zurück und lehnen die Kirche ab? Vielleicht liegt der Fehler nicht bei Jesus, sondern bei dem lästigen Regelwerk, das der einfachen Ethik hinzugefügt wurde, die Jesus im Doppelgebot lehrte: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten! (Matthäus 22,36-40) Dieses Buch, das in seiner Grundlage biblisch, in einigen Vorschlägen provozierend, in seinen Herausforderungen überzeugend ist, leistet einen wichtigen Beitrag im laufenden Gespräch über Mission und Kirche, jetzt, da sie versucht, eine pluralistische Kultur mit der guten Nachricht des Evangeliums zu erreichen.

Glenn R. Kreider, Theologieprofessor am Dallas Theological Seminary

Für Sandra

Dreißig Jahre später … noch immer die beste Frau, die ich kenne

INHALTSVERZEICHNIS

TEIL 1 EINFACH WIDERSTEHLICH

Einführung

Kapitel 1: Die neue westliche Standardversion

Kapitel 2: Global werden

Kapitel 3: Tempeltrouble

Kapitel 4: Teilung

Kapitel 5: Die Mitte des Universums erhält Konkurrenz

TEIL 2 ALLES NEU

Einführung

Kapitel 6: Eine ganz neue Bewegung

Kapitel 7: Eine ganz neue Vereinbarung

Kapitel 8: Ihr erster Blick auf das Buch der Bücher

Kapitel 9: Die Bibel nach Jesus

Kapitel 10: Stubenhocker

Kapitel 11: Der vom „alten“ Glauben abgefallene Apostel

Kapitel 12: Veralteter als je zuvor

Kapitel 13: Unser alter Freund

TEIL 3 EINE NEUE ETHIK

Einführung

Kapitel 14: Horizontal ausgerichtet

Kapitel 15: Ein neues Gebot

Kapitel 16: Paulus und die unwiderstehliche Ethik

Kapitel 17: Es beruht auf Gegenseitigkeit

Kapitel 18: Denken Sie nicht mal daran

Kapitel 19: Eine bessere Frage

Kapitel 20: Was die Liebe von mir verlangte

TEIL 4 EIN NEUER ANSATZ

Einführung

Kapitel 21: Dorothy hatte recht

Kapitel 22: Umbenenner

Kapitel 23: Das Wichtigste zuerst

Kapitel 24: Die Bibel sagt …

Schlussfolgerung

Dank

Anmerkungen

TEIL 1

EINFÜHRUNG

Im Jahr 2007 begleitete mich mein damals dreizehnjähriger Sohn Andrew auf eine Reise nach China. Während unseres Aufenthalts wurden wir zu einer Besichtigung einer amerikanischen Lederwarenfabrik eingeladen. Der Besitzer war der Freund eines Freundes. Als wir ankamen, bestand er mit Nachdruck darauf, uns durch die Fabrik zu führen. Bevor wir die Besichtigung begannen, stellte er uns eine Chinesin in den Zwanzigern vor, die sich als einfache Arbeiterin bis in die Geschäftsführung hochgearbeitet hat. Er fragte, ob es uns recht wäre, wenn sie uns während der Besichtigung begleiten würde.

Zwei Stunden später waren wir zu einem kurzen zusammenfassenden Gespräch wieder in seinem Büro. Als wir fertig waren, fragte er: „Hat noch jemand Fragen?“ Zu unser aller Überraschung meldete sich unsere charmante Begleitung zu Wort und hob ihre Hand auf Schulterhöhe. „Ich habe noch eine Frage.“ Sie wandte sich an mich und fragte: „Sind Sie ein Pastor?“

Ich hatte keine Ahnung, wohin das noch führen würde, schließlich hatte ich mich nicht als Pastor vorgestellt. Ich war mir nicht einmal sicher, ob es ein Problem sei, dass ich Pastor bin. Wir waren immerhin in China. Soweit ich erfahren hatte, war sie ein Regierungsspitzel und sollte uns den ganzen Nachmittag über begleiten.

„Ja“, sagte ich. „Ich bin ein Pastor.“

Was sie in ihrem hübsch gebrochenen Englisch als Nächstes sagte, ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen.

„Wie gut ist gut genug? Ich erkenne Ihre Stimme wieder.“

Ich war wie gelähmt. Wie gut ist gut genug? ist der Titel eines kleinen Buches, das ich kurz zuvor veröffentlicht hatte. Das Manuskript basierte auf einer Predigt, die ich Jahre zuvor gehalten hatte. Sie sprach weiter.

„Vor zwei Jahren gab mir jemand eine CD mit Ihrer Predigt ‚Wie gut ist gut genug?‘. Ich hörte sie mir immer und immer wieder an. Danach bat ich Jesus, mich zu befreien und in mir zu leben. Vorher war ich leer. Jetzt bin ich voll.“ (Ein passenderes Wort konnte sie nicht finden …)

Wenn Sie meinen, ich hätte mir das ausgedacht, kann ich es Ihnen nicht verübeln.

Ich habe Zeugen dafür.

Sie sprach weiter.

„Ich wollte in eine Gemeinde gehen, aber es gibt keine Gemeinden in meiner Stadt. Ich fing an, eine Bibelstunde in einer Wohnung in meiner Nähe zu besuchen. Manchmal fahre ich mit dem Bus zur Gemeinde, aber das dauert zwei Stunden, und ich bin dann immer zu spät. Die Busfahrkarte ist teuer, und ich kenne niemanden in der Gemeinde.“

Ich fühlte mich geehrt und beschämt zugleich. Aber sie war noch nicht fertig. Mit einem Blick zu ihrem Chef sagte sie: „Kann ich dem Pastor noch eine Frage stellen?“

Er nickte.

„Pastor“, sagte sie, „warum geht in Amerika nicht jeder in die Kirche?“

Ich habe mich bis heute nicht von ihrer Frage erholt.

Ich hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. Ich weiß es noch immer nicht.

Wie erklärt man einer jungen Dame, die zwei Stunden Bus fährt, um einen Gottesdienst in einer anderen Stadt zu besuchen, tausende halb- bis fast leere Gemeinden? Einer jungen Dame, die jedes Mal da wäre, wenn die Tür geöffnet würde, wenn es nur eine Tür gäbe, die geöffnet werden könnte? Die Bibelstunde, die sie besuchte, war Teil eines Netzwerks von Untergrundgemeinden, die von der chinesischen Regierung als nichtregistrierte Kirchen bezeichnet werden. Ihre Teilnahme stellte ein Risiko für sie dar. Der Besitz einer Bibel stellte ein Risiko für sie dar. Vor ihrem Chef über ihren Gemeindebesuch zu sprechen, stellte ein Risiko für sie dar.

Stellen Sie sich ihren Schock vor, wenn sie entdecken würde, dass die meisten amerikanischen Christen nicht nur die Bibel nicht lesen, sondern es dazu noch in den meisten Gemeinden einen Schrank voller Bibeln gibt, die unangetastet gleichsam zurückgelassen werden wie in dem Film Left Behind.

Ich erinnere mich nicht mehr daran, was ich geantwortet habe. Ich sagte etwas völlig Belangloses. Aber ich habe ihre Frage nicht vergessen. Sie treibt mich seither um. Ihre Frage ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe.

Warum also geht in der westlichen Welt nicht jeder in die Kirche?

Warum sind die meisten Gemeinden so gar nicht unwiderstehlich?

Jesus war nicht so.

Und vor langer Zeit war seine Kirche auch nicht so.

KAPITEL 1:

DIE NEUE WESTLICHE

STANDARDVERSION

Vieles von dem, was westliches Christentum für den, der auf Distanz zum Glauben steht, so gar nicht unwiderstehlich macht, sind Dinge, denen wir schon immer hätten widerstehen sollen. Obwohl viele von uns hart daran gearbeitet haben, unsere Gemeinden interessanter zu machen, stellt sich heraus, dass immer weniger Menschen daran interessiert sind. Und während die meisten Menschen außerhalb aller Kirchen und Gemeinden weiterhin eine positive Meinung von Jesus haben, halten sie nicht unbedingt besonders viel von seinem Leib, derKirche.

Das ist ein Problem.

Es wäre so, als würde ich sagen: Ich mag dich, ich möchte nur nicht in deiner Nähe sein.

Der Niedergang des Christentums in vielen Ländern der westlichen Welt, die Popularität der Neuen Atheisten sowie die wachsende Zahl derer, die meinen, besonders betonen zu müssen, was schon seit Generationen galt, aber immer weniger eine Rolle spielt: Die geistlicheAusrichtung des Christentums unserer Zeit ist voller fataler Fehler. Diese Fehler schwächen den christlichen Glauben und machen ihn zu einem Gedankengebäude, das man nicht einmal in der Öffentlichkeit verteidigen kann, weil sich keiner mehr groß für diese Verteidigung interessiert. Die volksnahe Version des kulturellen Christentums, die wir heute haben, ist auf Annahmen gestützt, die eine Strohmann-Version unseres Glaubens erschaffen haben. Leider wird dieser Strohmann in vielen Kirchen und Gemeinden für den tatsächlichen Glauben gehalten.

Diese Version des Christentums ist zu simpel und darum auch leicht in Zweifel zu ziehen. Jahrzehntelang haben Hochschulprofessoren mit Vorurteilen gegen Religion bei christlichen Erstsemester-Studenten dankbare Opfer gefunden. Ich habe mit Dutzenden von Leuten, die den christlichen Glauben verlassen haben, gesprochen, ihnen zugehört und Interviews, Blogs und Bücher von ihnen gelesen. Ich habe bisher noch keine einzige Geschichte von jemandem gehört, der das Christentum aufgegeben hat wegen etwas, das direkt mit dem Christentum zu tun hat – jedenfalls nicht mit seiner Originalversion.

Kürzlich habe ich einen Blog von einer ehemaligen Lobpreisleiterin gelesen, die den Glauben aufgegeben hat, nachdem sie ein Buch gelesen hatte, das Widersprüche in der Bibel „beweist“. Offensichtlich ist sie in dem Glauben aufgewachsen, dass die Grundlage unseres Glaubens ein Buch ohne Widersprüche sei.

Das ist es nicht.

Ein namhafter Neutestamentler hat vor kurzem zugegeben, dass er wegen des Leides in der Welt seinen Glauben verloren habe und nun überzeugter Atheist sei. Aber die Grundlage unseres Glaubens ist nicht eine Welt ohne Leid. Schmerz und Leid widerlegen nicht die Existenz Gottes. Sie widerlegen nur die Existenz eines Gottes, der Schmerz und Leid nicht zulässt.

Was wäre denn, wenn Gott Leid nicht zulassen würde?

Er wäre nicht mehr unser Gott.

Unser Gott hat klar darüber gesprochen.

Oder: Die Menschen hören auf zu glauben, weil sie schlechte Erfahrungen mit religiösen Institutionen gemacht haben.

Das habe ich auch.

Na und?

Die Quantenphysik untergräbt die Ansprüche Jesu nicht. Die Evolution auch nicht. Unbeweisbare alttestamentliche Wunder bringen unser Haus nicht zum Einsturz.

Übrigens, wenn Sie etwas in den vorherigen Abschnitten zusammenzucken ließ, kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass Sie dieses Buch lesen. Lesen Sie weiter, dann werden Sie eine bessere, robustere Version Ihres Glaubens kennenlernen.

In all meinen Dienstjahren hatte ich nur ein einziges Gespräch mit einem Ungläubigen – einem jüdischen Freund von mir –, der einen Einwand gegen das Christentum hatte, der tatsächlich etwas mit den Ansprüchen Jesu zu tun hatte. „Andy“, sagte er, „ich glaube einfach nicht, dass jemand für die Sünden eines anderen bezahlen kann. Ich glaube, jeder von uns ist für seine eigenen Sünden verantwortlich.“ Ich lächelte und sagte: „Na, dann herzlichen Glückwunsch, du stehst gerade an der Schwelle. Genau darum geht es.“

DER WEG ZUM ZIEL

Der Weg zum Ziel ist nicht kompliziert, auch wenn er für manche kontrovers sein mag. Irgendwie war er das nicht, von Anfang an nicht. Er ist in den Evangelien und in den Paulusbriefen für alle sichtbar versteckt. Wir wissen, dass er funktioniert, weil er bereits funktioniert hat. Vor langer Zeit erregten die Mitglieder eines jüdischen Kults, der sich Der Weg nannte, gegen alle Widerstände die Aufmerksamkeit der heidnischen Welt und konnten letztendlich auch viele mit dem „Weg“ vertraut machen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Römischen Reiches. Vielleicht müssen wir also bei vielem, was wir heute tun – was ohnehin nicht so gut funktioniert –, mal auf Pause drücken und bei den Männern und Frauen in die Lehre gehen, die die Welt auf den Kopf gestellt haben.

Was wussten die Christen des ersten Jahrhunderts, was wir nicht wissen?

Was machte ihren Glauben so überzeugend, unverwüstlich und schließlich für unzählige Menschen so unwiderstehlich?

Wie konnte ein religiöser Kult, der in einem Winkel des Römischen Reiches entstanden ist und dessen Anführer von seinem eigenen Volk abgelehnt und von den politischen Machthabern als Möchtegern-König gekreuzigt wurde, trotz des überwältigenden Widerstands überleben? Wie kommt es nur, dass gerade diese plötzlich aufgetauchte Religion schließlich von genau dem Reich angenommen wird, das versucht hat, sie auszulöschen?

Ich bin nicht der Erste, der diese Fragen stellt. Bibelwissenschaftler und Historiker denken seit Generationen über diese Geheimnisse nach. Die meisten davon sind zum selben Ergebnis gekommen. Die britische Autorin Karen Armstrong fasst es so zusammen:

„Aber gegen alle Wahrscheinlichkeiten war das Christentum bis zum 3. Jahrhundert zu einer Kraft geworden, mit der man rechnen musste. Wir wissen bis heute nicht wirklich, wie das zustande kam.“1

Historisch gesehen hat sie recht. Es ist praktisch unmöglich zu erklären. Anthropologen, Historiker und sogar Tagungen kritischer Archäologen sind zu dem gleichen Schluss gekommen: Im ersten Jahrhundert ist etwas geschehen, das dazu führte, dass sich das Christentum wie eine durch Luft übertragbare Krankheit ausbreitete. Der Glaube dieser Gläubigen des ersten und zweiten Jahrhunderts hatte etwas an sich, das ihn attraktiv, überzeugend und für unzählige Menschen unwiderstehlich machte.

Wie bei Ärzten, die eine Krankheit diagnostizieren, besteht die Aufgabe von Wissenschaftlern und Historikern darin, nach natürlichen Ursachen zu suchen. Wir suchen nach rationalen Erklärungen, warum etwas so geschehen ist, wie es geschah. Wenn es also um den scheinbar unerklärlichen kometenhaften Aufstieg der Kirche geht, bin ich davon überzeugt, dass wir die Erklärung derjenigen akzeptieren sollten, die den tatsächlichen Ereignissen am nächsten sind. Die Zeugenaussagen von Petrus, Lukas, Jakobus, Paulus und anderen geben ausführliche Erklärungen dafür ab, warum die Jesus-Bewegung nicht nur das erste Jahrhundert überlebt hat, sondern am Ende gerade auch die politische und religiöse Maschinerie überwunden hat, die darauf abzielte, sie zu zerstören.

Im Spannungsfeld zwischen dem jüdischen Tempel und dem Römischen Reich hätte die Jesus-Bewegung direkt neben ihrem Gründer begraben werden müssen. Doch das wurde sie nicht. Genau jetzt, in diesem Moment, besuchen Christen aus aller Welt die Ruinen des Forum Romanum, während zweieinhalbtausend Kilometer entfernt andere Touristen ihre Erinnerungsfotos vom Tempelberg schießen. Rom ist mit Kreuzen geschmückt. Jerusalem ist voll von christlichen Touristen.

Rom und Jerusalem sind durch die Kirche wie siamesische Zwillinge verbunden. Vor zweitausend Jahren war das Kreuz ein ebenso häufiges wie brutales Hinrichtungsgerät. Ein Symbol für die Macht des Römischen Reiches. Heute ist es ein Symbol für die Macht Gottes.

Wie ist das geschehen?

Was können wir daraus lernen?

Und vor allem, könnte so etwas wieder geschehen?

Ich glaube, schon.

NEU, KEIN UPDATE!

Jesus betrat die Bühne der Geschichte, um etwas Neues vorzustellen.

Er kam nicht nach Jerusalem, um eine neue Version von etwas Altem oder ein Update von etwas bereits Bestehendem anzubieten. Er kam nicht, um etwas besser zu machen. Jesus wurde vom Vater gesandt, um etwas völlig Neues vorzustellen. Menschen versammelten sich zu Tausenden, um das zu hören. Um zu sehen. Um zu erfahren. Lesen Sie das Markusevangelium und streichen Sie das Wort Volk an. In praktisch jedem Kapitel gibt es eine Menschenmenge.

Aber es war nicht einfach nur seine neue Botschaft, mit der Jesus Menschen in Bewegung brachte. Es war Jesus selbst. Menschen, die überhaupt nicht wie er waren, mochten ihn. Und Jesus mochte Menschen, die überhaupt nicht wie er waren. Jesus lud ungläubige, sich schlecht benehmende, Unruhe stiftende Männer und Frauen ein, ihm nachzufolgen und etwas Neues anzunehmen – und sie nahmen seine Einladung an.

Als Nachfolger Jesu sollte man uns als Menschen kennen, die Menschen mögen, die nicht wie wir sind. Wenn wir ungläubige, sich schlecht benehmende Unruhestifter einladen, sich uns anzuschließen, sollten sie daran interessiert – wenn nicht sogar dazu geneigt – sein, unsere Einladung anzunehmen.

„Pastor Stanley, warum geht in Amerika nicht jeder in die Kirche?“

DIE WIDERSTÄNDLER

In den Evangelien finden wir zwei Gruppen, die Jesus als Bedrohung sahen – die Selbstgerechten und diejenigen, deren politisches und finanzielles Wohlergehen durch den zerbrechlichen Frieden zwischen Tempel* und Römerreich gesichert wurde.

In den meisten Fällen zielten die Kritiker Jesu nicht auf seinen Charakter ab. Niemand beschuldigte ihn, unmoralisch, unehrlich oder grausam zu sein. Nein, die meisten fühlten sich von seiner Lehre und seiner Popularität bedroht. Religiöse Führer rund um Jerusalem waren eifersüchtig auf die Gunst, die er beim Volk fand. Wenn man die Abschriften seiner Gerichtsverhandlungen liest, kommt man nicht umhin, Pilatus zuzustimmen, als er den Anklägern Jesu verkündigte:

„Ich sehe keinen Grund, diesen Mann zu verurteilen! Er ist unschuldig.“2

Er sah keinen Grund, weil da keiner war.

Pilatus wusste, warum die Anführer aus dem Tempel darauf bestanden, dass Jesus gekreuzigt wird. Es hatte nichts mit ihrem Gesetz oder ihrer exklusiven Religion zu tun. Sie wollten einfach nur Jesus aus „Eigeninteresse“ loswerden.3

Der entscheidende Punkt für die Gegner von Jesus war kein Skandal. Es war ein Wunder. Ein außergewöhnlicher Akt voller Mitgefühl. Jesus hatte einen bekannten Bürger der Stadt von den Toten auferweckt. Als die Nachricht dieses Wunders in Umlauf kam, beriefen die Hohepriester und Pharisäer eine Sitzung des Sanhedrins ein. Das mag für uns nicht viel bedeuten, aber im Judäa des ersten Jahrhunderts war es ungewöhnlich.

Diese Gruppen waren sich in fast allem uneinig. Aber in Jesus fanden sie eine Gemeinsamkeit. Eine gemeinsame Bedrohung. Einen gemeinsamen Feind.

Nach mehreren Versuchen war es keiner der beiden Gruppen gelungen, Jesu Einfluss auf die Menge zu verringern. In einem Moment der Verzweiflung verbündeten sie sich daher. Alles, was sie brauchten, war ein … wie hat Pilatus es ausgedrückt? Einen Grund für eine Anklage. Der Apostel Johannes kannte oder traf später jemanden, der dort dabei gewesen war. Irgendwann übernahmen die Emotionen von einigen die Kontrolle über deren Mund, und sie platzten damit heraus, was schon jeder im Raum dachte:

„Was sollen wir bloß tun? Dieser Jesus vollbringt viele Wunder, und wenn wir nichts gegen ihn unternehmen, wird bald das ganze Volk an ihn glauben. Dann werden die Römer eingreifen, uns den Tempel wegnehmen und auch das Volk.“4

Vierzig Jahre später geschah genau das.

Mehr dazu in Kürze.

Am Ende konnten die religiösen Anführer einen Grund für eine Anklage fabrizieren. Jesus wurde wegen schlechter Theologie und terroristischer Drohungen gegen den Tempel für schuldig befunden. Pilatus machte bei der Scharade mit, um die Leute bei Laune zu halten, die dann die übrigen Leute bei Laune gehalten haben.

Hierbei ging es nie um Gerechtigkeit.

Es war kein Verbrechen begangen worden.

Wenn wir ein wenig Abstand nehmen von dem Chaos und der rasanten Folge von Ereignissen, die zu seiner Kreuzigung führten, ist völlig klar, dass Jesus verhaftet und gekreuzigt wurde, weil er zu beliebt war. Er wurde gekreuzigt, weil er zu viele Menschen angezogen hatte. Menschen, die überhaupt nicht wie er waren, mochten ihn. Und er mochte sie auch. Es war schwer, ihm zu widerstehen. Das merkten selbst die, welche in Jerusalem das Sagen behalten wollten. Es war fast unmöglich, ihm zuzuhören, zuzusehen und ihn dann noch abzuweisen. Warum? Er bot etwas Neues an. Etwas ganz Neues.

Aber das Neue passt selten denen, deren Wohlstand eng mit dem Alten verknüpft ist. Diejenigen, die vom Status quo am meisten profitieren, sind am wenigsten geneigt, ihn irgendwie infrage zu stellen.

Die unerwartete Wendung dieser Geschichte war, dass Jesu Kreuzigung mehr ein Anfang als ein Ende war. Sein Tod setzte das Neue in Gang, von dem er in seinem öffentlichen Dienst gesprochen hatte – das Neue, das von alttestamentlichen Propheten vorhergesagt und schon im ersten Buch Mose, der Genesis, angedeutet wurde. Was die Feinde Jesu nicht wussten – nicht wissen konnten – war, dass das Ende des Lebens Jesu zwar ein Ende brachte, doch das war nicht das Ende, das sie sich vorgestellt hatten. Sein Tod und seine Auferstehung lösten eine Kette von Ereignissen aus, die schließlich das Ende des antiken Judentums und des Römischen Reiches in seiner damaligen Form nach sich zogen, des Reiches, das unmittelbar für seinen Tod verantwortlich war.

DIE JESUS-BEWEGUNG

Nach der Auferstehung begannen die neu motivierten Nachfolger Jesu zu verstehen, dass er nicht gekommen war, um der Geschichte Israels einfach nur ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Jesus war nicht gekommen, um eine neue Version des Judentums einzuführen. Seine Bewegung war nicht regional beschränkt. Die Jesus-Bewegung war universal. Sie war für alle Nationen. Seine Anhänger behaupteten, Jesus sei das endgültige Opfer für die Sünde, wodurch der jüdische Tempel überflüssig geworden sei. Aber nicht nur der jüdische Tempel. Ungefähr zwanzig Jahre nach Ostern kam Paulus nach Athen und war nicht gerade begeistert, als er die zahllosen Götzenbilder sah. Er diskutierte mit den Leuten auf dem Marktplatz, später dann in ihrem Stadtsaal.5 Ohne direkt den Götzenkult anzuprangern, sprach er sie auf ein „Denkmal“ an, das die Inschrift trug: Dem unbekannten Gott. Das war die Versicherung der Athener, dass im Falle des Falles sie einen der Götter vergessen hätten, dieser nicht vollkommen zornig würde. Jedenfalls hatte Paulus den idealen Anknüpfungspunkt gefunden. Und er wies sie darauf hin, dass der Gott, den er ihnen nahebringen wollte, Verständnis für ihre Unwissenheit hatte.6 Aber nun war es an der Zeit, dass die Athener erwachsen wurden und den lebendigen, sozusagen mobilen Gott für alle Nationen als den einzigen anerkennen sollten.

Man muss nicht eigens erwähnen, dass die Jesus-Bewegung sofort im Widerspruch zur jüdischen und nicht-jüdischen Kultur stand. Das lässt sich leicht nachvollziehen. Jesus beanspruchte, die Erfüllung des Judentums und eine – die! – Alternative für das Heidentum zu sein.

Jesus war der neue Wein, den man nicht in die alten Weinschläuche des Heidentums, ja nicht einmal des alten Judentums einfüllen durfte. Das von Jesus angebotene Neue war im Letzten eine Abkehr von den Traditionen beider „religiöser Welten“, wenn auch in viel erstaunlicherem Maß im Judentum, weil Jesus ja selbst ein Jude war und in der Kultur seines Volkes aufgewachsen ist. Auch deswegen argumentierten seine ersten Anhänger gerne damit, dass im Judentum Propheten schon Jahrhunderte vorher auf einen Tag hindeuteten, an dem Gott etwas Neues in der Welt und für die Welt entfesseln würde. Diejenigen, die Augen haben, um zu sehen, würden es erkennen. Diejenigen, die Ohren haben, um zu hören, würden es hören. Und sie würden diesem Jesus nachfolgen.

Konkret kam Jesus, um einen neuen Bund zu schließen, ein neues Gebot einzuführen und eine neue Bewegung ins Leben zu rufen. Seine neue Bewegung sollte international sein. Der neue Bund würde die am Verhalten orientierten und auf Opfer beruhenden Systeme erfüllen und ersetzen, die sich fast in jeder Religion der Antike finden lassen.

Sein neues Gebot gab ein für alle Mal die Richtung an, in welche sich diejenigen bewegen werden, die ihm auf seinem Weg folgen.

Das von Jesus eingeführte Neue stand in starkem Kontrast zu den Werten und zur Entwicklung von Reich und Tempel. Das Reich ging davon aus: Wer die Macht hat, hat recht. Und während Rom das Recht beanspruchte, die Regeln zu machen, waren diejenigen, die sich um den Tempel kümmerten, darauf aus, ihre Regeln um jeden Preis zu schützen. Obwohl das Römische Reich und der jüdische Tempel tatsächlich durch Welten voneinander getrennt waren, sind doch in jedem von ihnen Werte und Annahmen eingebettet gewesen, die sie miteinander verbanden und so ein gewaltiges Hindernis für das Christentum des ersten Jahrhunderts darstellten. Dass die Kirche beides überlebt hat, ist ein Beleg für die Kraft des Evangeliums und den Mut der Christen des ersten und zweiten Jahrhunderts.

Die Gemeinden des ersten Jahrhunderts hielten dem Druck stand, die vertrauten Strömungen aus dem Reich und dem Tempel zu übernehmen und in ihren neuen Glauben zu integrieren. Das belegt, für wie unvereinbar sie die beiden gehalten haben. Das von Jesus eingeführte Neue stand in starkem, offenkundigem und eindeutigem Kontrast zu den Werten und Vorstellungen von Reich und Tempel. Die Jesus am nächsten waren, erkannten diesen Kontrast. Die Berichte der vier Evangelisten unterstreichen und veranschaulichen die Unterschiede. Der Apostel Paulus richtete seinen erbittertsten Widerstand gegen diejenigen, die versuchten, das Denken von Reich und Tempel in das von Jesus eingeführte Neue einzufügen.

Fast dreihundert Jahre lang wehrte sich die Kirche gegen den Druck und auch die Versuchung, die alten Wege einzubeziehen und einzubinden. Aber mit der Bekehrung Konstantins des Großen und der Unterzeichnung des Mailänder Edikts wandelte sich die Kirche schnell von der verfolgten Minderheit zur mächtigen Mehrheit. Fast unmittelbar danach wurde der Widerstand gegen die alten Wege durch ihre Annahme, Einbeziehung und Einbindung ersetzt.

REFORM

Schneller Vorlauf zum sechzehnten Jahrhundert und den Reformatoren, die ihr Leben dafür einsetzten und gelegentlich dabei verloren, die Kirche von den Werten, der Kultur und dem Charakter des Reichs und des Tempels zu befreien. Für viele bedeutete die Geburt des Protestantismus eine Wiederbelebung des von Jesus eingeführten Neuen. Aber der Kampf kam damals nicht zu seinem Ende. Die Versuchung, den neuen Wein, den Jesus anbietet, in die alten Weinschläuche von Tempel und Reich zu gießen, ist heute noch immer gegenwärtig. Jede Generation braucht unvollkommene Reformatoren – Männer und Frauen, die der Schlag trifft – wie es der Apostel Paulus erlebt hat –, wenn sie eine Spur der alten Wege sehen, die sich in das von Jesus eingeführte Neue eingeschlichen haben und immer noch einschleichen.

Ich bin überzeugt, dass es die Mischung, die Verschmelzung und Integration von Alt und Neu ist, die die moderne Kirche so gar nicht unwiderstehlich macht. Es sind die Mischung, Verschmelzung und Integration des Alten mit dem Neuen, die uns daran hindern, unseren Glauben in diesem Zeitalter der Fehlinformationen verteidigen zu können. Vor zweitausend Jahren warnte Jesus davor, neuen Wein in alte Weinschläuche zu gießen. Am Ende ist der Wein weg und die Weinschläuche unbrauchbar.7 Das Ergebnis ist Chaos.

„Pastor Stanley, warum geht in Amerika nicht jeder in die Kirche?“

Um die Einzigartigkeit von Jesu Botschaft, seiner Bewegung und Ethik zu verstehen, müssen wir zuerst das Alte verstehen, mit dem diese verglichen wurden. Um diesen Kontrast deutlich zu machen, ist es notwendig, dass wir in die Zeit der uns vertrauten biblischen Geschichten zurückreisen.

* Im weiteren Verlauf steht „Tempel“ für die Gesetzlichkeit, die um der eigenen Vorteile willen die Religion (mit ihrem Tempel als Zentrum) als Machtinstrument missbraucht.

KAPITEL 2:

GLOBAL WERDEN

Das Israel der Antike war ein göttliches Mittel zu einem göttlichen Zweck.

Das ist keinesfalls abwertend gemeint.

Ein Mittel zum Zweck zu sein, ist das, was den Dingen Bedeutung gibt. Sinn verleiht. Wenn Sie sich weigern, ein Mittel zum Zweck zu werden, wird Ihr Leben nie eine Bedeutung haben. Das ist der tiefere Sinn von Bedeutung. Leben Sie nur für sich selbst, dann werden Sie nur sich selbst haben, um Ihrem Leben Bedeutung zu geben. Ist Ihr Leben ein göttliches Mittel zu einem göttlichen Zweck, dann wird Ihr Leben Sinn gewinnen. Das lehren uns Beerdigungen. Beerdigungen erinnern uns daran, dass der Wert eines Lebens immer daran gemessen wird, wie viel davon verschenkt wurde; kurz: ob ich zutiefst einverstanden bin, dass ich ein göttliches Mittel zu einem göttlichen Zweck bin.

Aber zurück zu Israel.

Gott schuf das Volk Israel als göttliches Mittel zu einem göttlichen Zweck. Zu einem weltumspannenden Zweck. Gottes globaler Plan für sein Volk wurde erstmals angekündigt, lange bevor es etwas gab, das wie eine größere Menschenmenge aussah. Vor über 4000 Jahren versprach Gott dem neunundneunzigjährigen Abraham einen Sohn, der zu einem Volk werden sollte, das die Welt segnen werde.

Die ganze Welt.

Dies ist der ursprüngliche Wortlaut:

„Und ich will dich zu einem großen Volk machen, und ich will dich segnen, und ich will deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein!“1

Gott versprach Abraham, dass er seinen „Namen groß machen“ werde. Das ist Bibelsprache für: „Ich werde dich berühmt machen.“ Ich schätze, das ist jetzt nicht das erste Mal, dass Sie von Abraham hören …

Na bitte. Das Versprechen wurde gehalten.

Aber jetzt kommt die eigentliche Nachricht:

„Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.“2

Wir können uns gar nicht vorstellen, wie lächerlich das für einen Mann mit überhaupt keinem Volk klang, der gerade mitten im Nirgendwo stand. Aber dieses Versprechen löste eine Kette von Ereignissen aus, die sich im Laufe von etwa zweitausend Jahren ereignen werden. Zusätzlich zu dem unvorstellbaren Umfang dieses Versprechens war daran auch etwas historisch Bemerkenswertes, ja Eigenartiges.

Gott versprach, die Welt durch die Nachkommen Abrahams zu „segnen“.

Das ergab überhaupt keinen Sinn.

Die Völker in der Antike haben einander nicht gesegnet.

Die Stämme in der Antike eroberten, plünderten und versklavten einander. Seien wir ehrlich: Moderne Nationen segnen einander auch nicht. Wir spionieren, verhandeln und verhängen Sanktionen. Noch einmal: Wir können uns nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie lächerlich das für Abraham klang.

Weiter geht’s!

Abraham hatte irgendwann einmal ein paar Leute, die eines Tages nach Ägypten emigrierten, wo sie sich im Laufe der Zeit zu einem großen Volk vermehrten, was ihrer Gastgebernation schrecklich unangenehm war. Anstatt sie rauszuschmeißen, ließ der Pharao sie für seine Pläne arbeiten.

Als Sklaven.

So viel zu diesen ganzen Versprechen. Es ist schwierig, alle Nationen der Erde zu segnen, wenn man Ziegel für einen König herstellt, der sich als Herr des Universums betrachtet. Aber im Gegensatz zu den Göttern Ägyptens war Abrahams Gott mobil. Als Abrahams Gott der Meinung war, jetzt sei es an der Zeit, ließ er sich blicken. Er machte Mose zu seinem Bevollmächtigten und sandte ihn mit diesem unvergesslichen Spruch zu Pharao.

„Lass mein Volk ziehen!“

Nach ein klein wenig Armdrücken tat der Pharao genau das.

Der Grund, warum ich die Freiheit habe, mehr als vierhundert Jahre der Geschichte Israels in kaum mehr als vier Sätzen zusammenzufassen, ist unsere Vertrautheit mit dieser Geschichte. Doch weil viele moderne Leser (und Kinogänger) die Geschichte kennen, müsste es eigentlich fast unmöglich sein, ihre Bedeutung zu übersehen. In der außergewöhnlichsten, langwierigsten, spektakulärsten Art und Weise, die es wert ist, in Hollywood beachtet zu werden, demonstrierte Israels Gott seine Mobilität und Autorität. Ganz offensichtlich war seine Autorität nicht geografisch begrenzt. Die ganze Erde unterstand seiner Zuständigkeit. Seine Botschaft an den Pharao war eindeutig:

„Du hast etwas, das mir gehört, und ohne das gehe ich hier nicht weg!“

Israels unsichtbarer Gottkönig demütigte sämtliche Götter Ägyptens, einen nach dem anderen. Zuletzt ermöglichte er es seinem Volk, die wohl reichste Nation der damaligen Welt zu plündern. All das geschah, ohne jemanden mit einem Schwert zu bedrohen. Als Israel Ägypten gerade noch in der Ferne sehen konnte, war Ägyptens Wirtschaft bereits stark geschwächt. Ganz offensichtlich war Israels einziger Gott mächtiger als alle Götter Ägyptens zusammen. Und das alles ohne Heimvorteil. Israels Gott war die Gastmannschaft. Er war mobil. Mobile Götter waren im Altertum etwas Besonderes.

Schneller Vorlauf um vier Monate, und wir finden das Volk Israel, wie es am Fuß des Berges Sinai lagert und dabei zuschaut, wie Mose mit Gottes Anweisungen für die Nation von dort herabsteigt. Wir nennen sie die Zehn Gebote. Leider bekamen sie in den nachfolgenden Jahrhunderten an die 600 „Kinder“. Die berühmten ersten zehn funktionierten ein wenig wie ein Inhaltsverzeichnis – sozusagen die Kurzfassung. Wenn Sie in einer Gemeinde groß geworden sind, erinnern Sie sich vielleicht daran, wie diese älteste der antiken Verfassungen begann:

„Ich bin der Herr, dein Gott; ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit.“3

Übersetzt: Ich war’s!

Er fuhr fort:

„Du sollst außer mir keine anderen Götter verehren!“4

Dabei dachten sie: Richtig! Das sollen wir nicht. Wir haben gesehen, wozu du fähig bist.5 Und dann die Aussage, die Israel von allen anderen in der Nachbarschaft unterschied:

„Fertige dir keine Götzenstatue an, auch kein Abbild von irgendetwas am Himmel, auf der Erde oder im Meer. Werfe dich nicht vor solchen Götterfiguren nieder, bring ihnen keine Opfer dar!“6

Als Mose damit fertig war, die Zusammenfassung von allem vorzulesen, was Gott von der Nation verlangte, antworteten sie zünftig:

„Wir wollen alles tun, was der Herr befohlen hat!“7

Aber das haben sie natürlich nicht getan.

Und das sollte uns nicht überraschen.

Sie waren im Zeltlager.

Hält auch nur irgendjemand seine Zeltlagerversprechen ein?

Ich habe das nicht getan. Das haben Sie wahrscheinlich auch nicht. Wenn Sie nicht damit aufgewachsen sind, ins Sommerlager der Gemeinde zu gehen … na, vielleicht ist es besser so.

Die Kinofilme und die abendlichen Vorleseversionen dieser Erzählung am Bett der Kleinen spiegeln nicht genau wider, dass Mose mehrere Ausflüge auf den Sinai unternahm, rauf und runter. Jedes Mal kehrte Mose mit noch detaillierteren Anweisungen für die Nation zurück. Eine dieser Klettertouren dauerte vierzig Tage. Während er unterwegs war, wurde das Volk unruhig. Vielleicht erinnern Sie sich noch aus Kindergottesdiensten an diesen Teil:

„Als Mose so lange Zeit nicht vom Berg herabkam, versammelten sich die Israeliten bei Aaron und forderten ihn auf: ‚Los, mach uns Götterfiguren! Sie sollen uns voranziehen und den Weg zeigen. Wer weiß, was diesem Mose zugestoßen ist, der uns aus Ägypten herausgeführt hat!‘“8

Ernsthaft?

Gott diktiert noch immer das Kleingedruckte, und sein Volk gibt bereits das erste und wichtigste Gebot auf. Wie konnte das geschehen? Aaron schlug vor:

„Eure Frauen und Kinder sollen ihre goldenen Ohrringe abziehen und zu mir bringen!“

Da nahmen alle Israeliten ihre Ohrringe ab und brachten sie Aaron. Er nahm den Schmuck entgegen, schmolz ihn ein und goss daraus ein goldenes Kalb. Anschließend gab er ihm mit dem Meißel die endgültige Form. Als es fertig war, schrien die Israeliten:

„Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat!“9

Was? Dieses Kalb, das du aus dem von uns geplünderten ägyptischen Gold gemacht hast, wie wir gerade gesehen haben, dieses Kalb war es, das uns aus Ägypten befreit hat?

An dieser Stelle werden die meisten von uns verwirrt. Warum sollten erst vor kurzem befreite Sklaven den Gott verlassen, der sie erst vor kurzem befreit hatte? Wie konnten sie etwas als Objekt der Anbetung annehmen, das direkt vor ihren Augen geschaffen worden war? Das ist für uns verwirrend, weil wir mit dem Glauben an einen unsichtbaren, überall-zur-selben-Zeit-da-seienden Gott aufgewachsen sind. Aber für das Volk Israel war das Neuland. Kein Objekt zur Anbetung zu haben, war für sie ebenso verwirrend, wie es auch uns, ehrlich eingestanden, in bestimmten Zeiten gehörig abgeht. Sie brauchten etwas Greifbares. Etwas Sichtbares. Etwas Feststehendes. Diese Episode ging nicht gut aus. Am Ende bedeutete es nicht nur, dass Mose eine weitere Tour auf den Berg Sinai unternehmen musste, um noch ein weiteres Paar Tafeln zu besorgen. Zum Glück kam es dabei zu einem für das untreue Volk lebensrettenden Deal, den Mose mit Gott aushandelte.

So begann Israels offizielle Beziehung zum unsichtbaren, mobilen Gott Abrahams. Von ihren ägyptischen Sklaventreibern befreit und mit Regeln fürs Leben ausgestattet, bereiteten sie sich darauf vor, das Lager abzubrechen und ihre Reise nach Norden ins gelobte Land anzutreten. Aber noch bevor sie den Sinai im Rückspiegel sehen konnten, gab Mose den Bau eines tragbaren Zeltes – das als Stiftshütte bezeichnet wird – in Auftrag, um die Tafeln mit dem heiligen Gesetz zu beherbergen. Als der Bau dieses Zeltes abgeschlossen war und die Steintafeln sicher in der dafür gebauten Holzkiste lagen, geschah etwas Außergewöhnliches. Mose beschrieb das so:

„Da kam die Wolke auf das heilige Zelt herab, und der Herr in seiner Herrlichkeiterfüllte das Heiligtum, sodass Mose nicht hineingehen konnte.“10

Gott ließ sich häuslich nieder.

Niemand trug eine tragbare Götzenstatue in die Stiftshütte und stellte sie auf einen Sockel, wie es bei den um sie herum lebenden heidnischen Völkern üblich war. Als Israels Gott davon überzeugt war, dass alles so war, wie es sein sollte, entschied er sich dazu, in der Stiftshütte zu wohnen. Er erfüllte sie mit seiner Herrlichkeit. Seiner Gegenwart. Zu seinen Bedingungen.

Aber selbst mit der Gegenwart Gottes in seiner Mitte war Israel noch nicht in der Lage, alle Völker der Erde zu „segnen“.

Fragen Sie nur mal den Pharao.

Niemand in Ägypten fühlte sich in diesem Moment „gesegnet“.

NUR EINES NOCH

Neben Moses mehrfachen Touren auf den Sinai und wieder runter gibt es noch etwas anderes, das wir modernen Bibelleser vermissen. Der Inhalt, der Wortlaut und die Anordnung der Anweisungen Gottes an Israel haben die Form eines juristischen Vertrags. Gelehrte bezeichnen diese Textart als einen Vertrag zwischen einem Feudalherren und einem abhängigen Untergebenen. Diese Form der Vereinbarung wurde von ungleichen Parteien benutzt, um die Bedingungen ihrer Beziehung festzulegen. In solch einem Vertrag diktiert ausnahmslos derjenige, der am längeren Hebel sitzt, dem Abhängigen seine Bedingungen.

Der Punkt ist, dass die Zehn oder mehr Gebote viel mehr waren als nur Gebote. Sie waren Teil eines umfassenden rechtlichen Vertrages oder Bundes zwischen Gott (dem Gebietenden) und seinem Volk. Die Schrift hat es so ausgedrückt:

„Und der HERR sprach zu Mose: ‚Schreibe dir diese Worte auf! Denn nach diesen Worten schließe ich mit dir und mit Israel einen Bund.‘“11

Die Ereignisse am Berg Sinai signalisierten den feierlichen Beginn einer Bundesbeziehung zwischen Gott und dem Volk Israel. Wie wir feststellen werden, sollte dieser Bund die Beziehung Gottes zu seinem Volk für die nächsten mehr als tausend Jahre definieren und regeln. Die wichtigsten Bedingungen finden sich in 2. Mose 19-24. Sie werden im dritten, vierten und fünften Buch Mose, die man auch Levitikus, Numeri und Deuteronomium nennt, wiederholt, erweitert und in einigen Fällen geklärt. Aber die folgenden drei Verse fassen die Hauptpunkte des Vertrages ziemlich genau zusammen:

„Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr willig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, dann sollt ihr aus allen Völkern mein Eigentum sein; denn mir gehört die ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“12

Das war ein klassischer Ich-werde-solange-ihr-tut-Vertrag. Haltet meine Gebote, und ich werde euch beschützen. Das Abkommen verpflichtete beide Seiten (wenn sie sich an die Bedingungen hielten) – die einen zum Gehorsam, den anderen zum Schutz. Wenn folgerichtig Israel seinen Teil des Abkommens nicht einhielt, war Gott auch nicht verpflichtet, seinen Teil einzuhalten.

Machen wir weiter.

Schneller Vorlauf.

Israel kam schließlich sicher im verheißenen Land an. Doch sie taten nicht gerade viel, um die dort wohnenden Nationen zu segnen. Stattdessen eroberten und plünderten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte.13 Nach mehreren Generationen, während derer Israel in einer Theokratie lebte, locker organisiert und von Richtern und Richterinnen geführt, entschieden die Ältesten des Volkes, dass es Zeit für etwas Neues wäre. Israel sollte und wollte nun erwachsen werden und damit beginnen, sich „wie alle Völker“ in der Nachbarschaft zu verhalten.14 Dazu war ein König nötig. Ein sichtbarer König.15

KÖNIGE UND ANDERE WÜNSCHE

Es war nie Gottes Absicht, dass Israel einen anderen König als ihn selbst haben sollte. Aber all die coolen Völker ringsum hatten Könige. Deshalb bedrängten die Ältesten und die Führer der Nation den Propheten Samuel damit, dass er einen König ernennen solle. Samuel fragte bei Gott nach und erhielt eine deutliche Antwort:

„Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen! Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll.“

Autsch!

„Erfülle ihnen nur ihren Wunsch! Nicht dich lehnen sie ab, sondern mich. Ich soll nicht ihr König sein! Seit ich sie aus Ägypten herausgeführt habe, sind sie mir immer wieder untreu geworden und haben sich anderen Göttern zugewandt. Das ist bis heute so geblieben. Jetzt ergeht es dir ebenso. Tu ihnen den Willen! Aber sage ihnen zuvor in aller Deutlichkeit, was ein König für Rechte hat und was er mit ihnen tun kann.“16

Samuel kehrte zu den Ältesten zurück und tat, was Gott ihm aufgetragen hatte. Er tat sein Bestes, um ihnen den Wunsch nach einem König auszutreiben, aber ohne Erfolg.

„Aber das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören. Und sie sagten: Nein, sondern ein König soll über uns sein …“17

Was sie als Nächstes sagten, bildete die Grundlage für das, was als Nächstes geschah.

„… damit auch wir sind wie alle Nationen, und dass unser König uns richtet und vor uns herauszieht und unsere Kriege führt.“18

Das Problem war natürlich, dass Gott nicht vorhatte, dass Israel wie alle anderen Nationen sein sollte. Gott wollte, dass Israel sich von allen anderen Nationen abhebt, weil er plante, durch Israel etwas für alle anderen Nationen zu tun.

Israel war ein Mittel zu einem globalen göttlichen Zweck.

Am Ende gab Samuel dem Erwartungsdruck nach und die Israeliten bekamen, was sie wollten. Einen König. Mehrere, genau genommen. Jahrzehntelang hatten sie sogar mehr als einen gleichzeitig. Wie vorhergesagt, waren die meisten Könige Israels katastrophal. Das Volk bezahlte diese Entscheidung mit dem, was sie besaßen und mit ihrem Blut. In dieser Hinsicht wurden sie wie alle anderen Nationen. Trotzdem hielt Gott sein Versprechen, das er Abraham gegeben hatte. Er gab seine globalen Ziele für Israel nicht auf. Alle Völker auf der Erde sollten tatsächlich durch ein Volk gesegnet werden. Leider bestand es darauf, wie alle anderen Völker der Erde zu sein.

KAPITEL 3:

TEMPELTROUBLE

Stellen Sie sich nur einen Moment lang vor, was nicht passiert wäre und wen wir nie kennengelernt hätten, wenn Israel auf Samuel gehört und die Idee einer Königsfamilie verworfen hätte.

Es hätte keinen König Saul gegeben. Keinen König David oder König Salomo. Salomos Eltern hätten sich nie getroffen. Nicht nur, dass es keine Psalmen Davids gegeben hätte, es gäbe auch die Sprüche, das Predigerbuch oder das Hohelied nicht. Es gäbe keine Aufzeichnungen über die Aktivitäten der Könige und auch keine, die dokumentieren, was die zahlreichen Propheten als Reaktion auf die Entscheidungen der Könige prophezeit haben. Warum? Weil es überhaupt keine Könige gegeben hätte.

Die Geschichte wäre anders verlaufen. Ganz anders.

Aber jetzt kommt der eigentliche Clou:

Was hat die Entscheidung für einen König mit einem Tempel zu tun, der erst viele Jahrzehnte später in Jerusalem errichtet wurde?

Ganz einfach: Alles begann damit, dass Samuel überstimmt wurde und das Volk sich selbst antat, was Gott ihm ersparen wollte. Möglicherweise war das die entscheidende Weichenstellung. Zuerst einmal wollten sie unbedingt wie alle anderen umliegenden Minireiche einen König haben. Und wenn der dann erst einmal da ist, dann gehört zu seinem Reich auch ein Tempel, klar.

All die coolen Völker mit Königen hatten nämlich Tempel. Deshalb besorgte sich Israel schließlich auch so einen. So wie die Könige Israels alle Probleme mit sich brachten, vor denen Gott das Volk durch Samuel gewarnt hatte, würde auch der Tempel seinen Tribut verlangen. Überspitzt gesagt: Israel brauchte keinen König. Und Israel brauchte auch keinen Tempel. Beides waren Versuche, wie alle anderen Nationen zu sein.

Lassen Sie mich das erklären.

BESTANDSAUFNAHME

Nachdem König David die Macht von König Saul übernommen hatte, verbrachte er Jahre damit, das Territorium Israels zu erweitern, zu sichern und zu stärken.

Schließlich kam es zu einer Unterbrechung. Während einer ruhigeren Phase dämmerte es David, dass, während alle anderen bereits in Häusern wohnten, Gott noch immer „in einem Zelt lebte“.

Wie ein Pfadfinder.

Wie ein Hirte.

Also machte David einen Termin mit dem Propheten, der in Israel etwas galt, Nathan, und sagte Folgendes zu ihm:

„Während ich hier in meinem Palast aus kostbarem Zedernholz wohne, steht die Bundeslade Gottes immer noch in einem dürftigen Zelt. So kann es nicht weitergehen!“1

Nathan lächelte und schlug David vor, etwas dagegen zu unternehmen. Er ging sogar so weit anzunehmen, dass Gott es unterstützen würde, was auch immer David anpacken würde.2 Es stellte sich heraus, dass Nathan sich geirrt hatte. Er überschritt seine Kompetenz. Was als Nächstes passierte, wird oft übersehen.

Am Abend nach Nathans Was-auch-immer-du-vorhast-Gespräch mit David sprach Gott zu Nathan. Er sagte ihm ausdrücklich, er solle zurückgehen und David eine andere Antwort geben:

„Bis heute habe ich noch nie in einem Tempel gewohnt. Seit ich mein Volk Israel aus Ägypten befreit habe, wohnte ich immer nur in einem Zelt und zog von einem Ort zum anderen …“

Jetzt kommt meine Lieblingsstelle.

„… Während dieser ganzen Zeit habe ich von den führenden Männern Israels nur eines verlangt: Sie sollten mein Volk weiden wie ein Hirte seine Herde. Nie habe ich einem von ihnen vorgeworfen: Warum habt ihr mir noch keinen Tempel aus Zedernholz gebaut?“3

Für Gott war es in Ordnung, in einem Zelt zu leben.

Er schien es zu bevorzugen.

Außerdem war er die meiste Zeit sowieso nicht zu Hause.

Aber hier war noch etwas anderes im Spiel. Im Gegensatz zu Davids schönem Haus aus Stein war alles an der Stiftshütte nur vorläufig. Sie war aus Leinenvorhängen, Ziegenhaarvorhängen und Holz gefertigt. Sie musste ständig repariert werden. Aber die mobile und vorläufige Natur unterstrich die Bedeutung der Stiftshütte. Alles an der Stiftshütte und alles, was mit ihr zusammenhing, war nur der Hintergrund für etwas viel Größeres und Bedeutenderes. Die Stiftshütte war ein Mittel zum Zweck. Und am Ende wäre auch die Stiftshütte nicht mehr notwendig.

Um Gott Worte in den Mund zu legen – was wirklich gefährlich ist –, es war, als ob Gott sagen würde: „Ich bin mit meiner momentanen Bude zufrieden. Das ist sowieso alles nur vorübergehend. Es ist sinnlos, mir etwas Schickes zu bauen, das ich eh nicht lange bewohnen werde.“

Von da an nimmt das Gespräch eine harte Wendung. Nachdem er David versichert hatte, dass er kein Problem damit hat, in einem Zelt zu leben, wechselt Gott komplett das Thema. Frei umschrieben sagt Gott zu David:

„Genug davon, mir ein neues Haus zu bauen; lass uns über deine Familie reden, David. Genug von dem, was vorübergehend ist, lass uns über das Endspiel sprechen. Du willst mir ein Haus bauen. Stattdessen werde ich dein Haus etablieren! Ich werde etwas für deine Familie tun, auf dem überall ‚für immer‘ geschrieben steht.“4

Ähnlich wie bei seiner Verheißung an Abraham sagt Gott zu David, dass er seinen Namen groß machen werde, so groß wie die „Namen der Großen, die auf Erden sind“.5

Ich schätze mal, Sie haben auch schon von David gehört.

Gott sagt David, dass er zu viel Blut an seinen Händen hat, um einen Tempel zu bauen. David bestreitet das nicht, doch er gibt seine Idee nicht auf. Er schreitet voran, um sicherzustellen, dass alles für die Errichtung eines bleibenden Baus bereitsteht, wenn einst sein Sohn Salomo König wird. David stellt sich einen Tempel vor, der alle Tempel in den Schatten stellt. Den ultimativen Tempel.

David beschaffte das Geld dafür. Er ließ Pläne zeichnen. Er stellte Steinmetze ein. Er bereitete alles vor, damit nur noch das Band zu durchtrennen und eine Schaufel in den Boden zu stecken war. Und als Salomo den Thron bestieg, begann wie geplant das große Bauvorhaben.

Zwanzig Jahre später war es fertig.

Am Ende dieser zwanzig Jahre lud Salomo Gott ein, sein Zelt zu verlassen und in das Haus einzuziehen. Sozusagen. Das tat Gott schließlich auch. Sozusagen. Aber bevor er es tat, sagte er etwas zu Salomo, das ihm einen Schüttelfrost über den Rücken hätte jagen können. Das tat es nicht. Hätte es aber sollen.

Gott führte mit Salomo das Bevor-ich-dir-die-Autoschlüssel-übergebe-Gespräch. Erinnern Sie sich noch daran? Entweder an das, welches Ihre Eltern mit Ihnen führten, oder an das, was Sie Ihren eigenen Kindern ans Herz zu legen versuchten. Das mit meinen Kindern lief ungefähr so ab:

„Ich bin so glücklich, dass ich dir ein Auto kaufen konnte, mit dem du fahren kannst. Ich hoffe, es gefällt dir. Aber denk daran: Wenn du diese Freiheit missbrauchst, werde ich es wieder verkaufen.“

Gottes Gespräch mit Salomo steht im ersten Buch der Könige. Es lautet ungefähr so:

„Salomo, ich schätze wirklich alles, was in die Entwicklung dieses fabelhaften Bauwerks eingeflossen ist. Ich nehme dein Geschenk an. Ich werde unverzüglich einziehen. Aber, Salomo, wenn ich dich oder mein Volk dabei erwische, wie ihr euch schlecht benehmt, weil ihr denkt, dass ich hier drinnen sicher verwahrt bin, werde ich dieses Gebäude auseinandernehmen!

Dieses Stück Immobilie wird immer meine Macht und meine Herrlichkeit widerspiegeln. Aber ich kann das mit oder ohne Gebäude erreichen. In seiner jetzigen Form spiegelt es meine Gegenwart wider. Aber wenn du mich verlässt, um andere Götter anzubeten, wird dieses Stück Land als Beweis für meine Abwesenheit unbewohnt bleiben.“

Das alles sagte er, bevor er überhaupt eingezogen war! Sie meinen, das habe ich mir ausgedacht? Lesen Sie 1. Könige 9. Hier ist ein Vorgeschmack darauf:

„Und dieses Haus wird eine Trümmerstätte werden; jeder, der an ihm vorübergeht, wird sich entsetzen und höhnen: Warum hat der HERR an diesem Land und an diesem Haus so gehandelt?“6

Gott zog ein, aber er war nicht verpflichtet, unter allen Bedingungen dort zu bleiben. Warum?

Das ist wichtig.

Weil der Tempel verbunden war mit Gottes „Ich-werde-das-tun-solange-du-tust-Bund“ mit seinem Volk. Das ist der Bund, der am Berg Sinai geschlossen wurde.

Gott würde für den Abriss seines eigenen Hauses sorgen, wenn die Menschen ihn für andere Götter verlassen würden. Der Tempel war eine Annehmlichkeit. Aber notwendig war er nicht. Er war nicht Gottes Idee. Der Tempel war mehr schön als wichtig. Und wenn Salomo gedacht haben sollte, dass dieser wie für die Ewigkeit gebaute Tempel irgendwie das vorläufige und an Bedingungen geknüpfte Wesen des Bundes Gottes mit seinem Volk stabilisiert hätte, dann lag er falsch. Gott hatte von der Gründung seines Volkes an deutlich gemacht, dass Israel ein göttliches Mittel zu einem göttlichen Zweck war.

UNÜBERSEHBAR ABWESEND

Salomos Tempel trug Designmerkmale, die in ähnlicher Weise auch allerorten bei antiken heidnischen Tempeln gefunden wurden. Wenn man das Alte Testament ernst nimmt, ist es schwer vorstellbar, dass dies der Fall ist. Die jüdische Überlieferung enthält außergewöhnlich detaillierte Informationen darüber, wie der Tempel auszusehen und zu funktionieren hatte und wer die Erlaubnis hatte, ihn zu betreiben. Aber trotz einiger einzigartiger Merkmale hatte der jüdische Tempel viel mit antiken heidnischen Tempeln gemeinsam, darunter Veranden, Kammern, Höfe, Wohnräume und einen Altar, der für Tieropfer verwendet wurde. Heidnische Tempel aus dieser Epoche hatten stets einen heiligen Raum, der speziell für das Bild des Gottes entworfen wurde, für den der Tempel gebaut und dem der Tempel gewidmet worden war. Ein Göttergewölbe. Es war diese heiligste aller heiligen Kammern, die den jüdischen Tempel von der Konkurrenz abhob. Tatsächlich könnte man sagen, dass diese Kammer, die oft als das Allerheiligste bezeichnet wird, das Einzige war, das den jüdischen Tempel von der Konkurrenz unterschied.

Das Unterscheidungsmerkmal des jüdischen Tempels war nicht etwas, was der Konkurrenz fehlte. Ganz im Gegenteil. Das Unterscheidungsmerkmal des jüdischen Tempels war etwas, das es dort nicht gab, was aber alle anderen Tempel hatten.

Ein Bild.

Das Allerheiligste war wie ein wunderschöner, kunstvoll gestalteter Rahmen ohne Bild. Deshalb brauchte Israel von Anfang an keinen Tempel. Das Unterscheidungsmerkmal des Judentums war nicht die Gestaltung ihres Tempels. Es war das Fehlen eines Bildes, das ihren Gott darstellte. Sich Bilder von Gott zu machen war im Judentum strengstens verboten. Wie wir bereits festgestellt haben, war dieses besondere Verbot eines der „Big Ten“, also der großen Zehn (Gebote).

Die Vorstellung, ein Bild oder einen Götzen anzubeten, ist uns so fremd, dass ein leeres Göttergewölbe uns nicht als seltsam erscheint. Aber in der Antike war das genau umgekehrt. Eine Religion ohne Bild war geradezu absurd. Als der römische General Pompeius 63 v. Chr. Jerusalem betrat, besichtigte er auf eigene Faust den Tempel. Er war neugierig auf diesen jüdischen Gott, von dem er so viel gehört hatte – den, der so leicht beleidigt war und der sich zu gut dafür war, sich einem Pantheon der Götter anzuschließen. Er rempelte die Priester beiseite und stieß mutig in den Bereich vor, in den zuvor nur der Hohepriester einmal im Jahr einzutreten wagte, ins Allerheiligste. Als er den übertrieben sorgfältig gefertigten Vorhang zur Seite zog, der die Gotteskammer vom Vorhof trennte, war er bestürzt, dass dort kein Gott war! Kein Götzenbild. Nur ein goldener Tisch, ein Kerzenständer und etwa zweitausend Talente Gold.7

Das alles ließ er unangetastet.

Vielleicht dachte er: Diese verrückten Juden. Die haben dieses aufwendig gestaltete Gebäude für einen Gott gebaut, den sie nicht einmal darstellen können. Wer hat jemals von einem Gott ohne Bild gehört?

Genau.

Wer würde je von diesem seltsamen Gott hören, der nicht in irgendeinem kunstvoll erschaffenen Bild gegenwärtig war, der sich nicht darauf reduzieren und schon gar nicht identifizieren ließe?

Einfach jeder.

Wie?

Durch das Volk Israel.

Zurück zu Salomo.

Auch wenn der Tempel ursprünglich nicht Gottes Idee war, diente er dennoch einem Zweck. Er hob hervor, betonte und unterstrich den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Gott der Israeliten und den Göttern ihrer Nachbarn. Israel diente einem lebendigen Gott. Im Gegensatz zu den heidnischen Göttern zur Zeit Salomos oder denen, die Jahrhunderte später von Bürgern Roms oder Athens verehrt wurden, musste Israels Gott nicht in seinen Tempel gekarrt und auf einen Sockel gehoben werden. Israels Gott musste an Festtagen nie von Priestern herausgerollt werden. Israels Gott musste nachts nicht eingesperrt werden, damit niemand ihn stehlen oder ein Stück von ihm als Glücksbringer abhacken konnte. Israels Gott brauchte keine Leibwächter. Er musste nicht vor den Elementen geschützt werden. Israels Gott war Geist.

Ein heiliger Geist.

Israels Gott wurde nicht in seinen Tempel gestellt.

Israels Gott bewohnte seinen Tempel.

So wie er all die Jahre zuvor die Stiftshütte bewohnt hatte, bewohnte er den Tempel Salomos zu seinen eigenen Bedingungen. Und das geschah folgendermaßen.

„Und die Priester brachten die Lade des Bundes des HERRN an ihren Platz in den Hinterraum des Hauses, in das Allerheiligste, unter die Flügel der Cherubim …“8

Aber die Gegenwart der Bundeslade war nicht gleichbedeutend mit der Gegenwart Gottes. Die Bundeslade, in der das Gesetz Gottes lag, wurde nicht als Kultobjekt geschaffen. Was dann geschah, gab dem Tempel seine Bedeutung:

„Und es geschah, als die Priester aus dem Heiligen hinausgingen, da erfüllte die Wolke das Haus des HERRN; und die Priester konnten wegen der Wolke nicht hinzutreten, um den Dienst zu verrichten; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus des HERRN.“9