Einflussreiche Frauen - Armin Strohmeyr - E-Book

Einflussreiche Frauen E-Book

Armin Strohmeyr

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Beschreibung

Der Wille zur Macht galt lange als männliches Attribut – obwohl die Geschichte immer auch mächtige und Einflussreiche Frauen hervorgebracht hat. Offen oder verdeckt ersannen sie Intrigen, entledigten sich ihrer Widersacher und führten militärische und diplomatische Feldzüge. Mit fesselnden Biografien einflussreicher Strateginnen wie Madame de Pompadour, Lucrezia Borgia, Clara Zetkin, Margaret Thatcher oder Angela Merkel. 

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für Esther und Hildegard

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

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ISBN 978-3-492-96299-5

© 2014 Piper Verlag GmbH, München

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Bettmann/CORBIS, ullstein bild

Datenkonvertierung: Kösel, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

1 Adelheid (931–999)

Königin, Kaiserin, Heilige

Im Jahre 951 erregt das Schicksal einer außergewöhnlichen Frau die Gemüter im Abendland. Zwar verfügt die damalige Welt noch nicht über eine schnelle Nachrichtenübermittlung wie heute, aber die Ereignisse dieses Jahres beschäftigen die Chronisten noch lange.

Markgraf Berengar von Ivrea hat die neunzehnjährige Adelheid, die junge und überaus schöne und gebildete, verwitwete Königin der Lombardei, gefangen genommen und sie zusammen mit einer Zofe und einem Kaplan in einer Burg oberhalb des Gardasees in einen verliesartigen Raum gesperrt. Damit will er die widerspenstige Königin brechen und sich selbst und seine Frau Willa zu König und Königin des lombardischen Italien machen. Die Berichte der damaligen Chronisten schmücken diese Geschichte zum Teil parteiisch und phantasievoll aus, doch sind sich alle über die Schändlichkeit des an Adelheid begangenen Unrechts einig. Abt Odilo von Cluny etwa, der Adelheid persönlich gut kennt und nach ihrem Tod eine kurze Lebensbeschreibung über sie verfassen wird, berichtet: »Sie wurde durch vielfache Quälereien geängstigt, an den Haaren ihres Hauptes gerissen, oft mit Faustschlägen und Fußtritten misshandelt und am Ende in einen dunklen Kerker mit einer einzigen Dienerin eingeschlossen.«

Vier Monate lang, vom 20. April bis zum 20. August 951, wird das Martyrium der schönen, jungen Witwe, der rechtmäßigen Königin Italiens, dauern. Die Mauern der Burg sind feucht und kalt. Das Essen, das den drei Gefangenen vorgesetzt wird, ist ausreichend, aber kann allenfalls als Fraß bezeichnet werden. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt bleibt unterbunden. Und selbst wenn die tiefgläubige Adelheid zum Beten in die Burgkapelle gehen will, darf sie das nur unter strenger Bewachung tun. Die Wärter sind angewiesen, kein Wort mit der Gefangenen zu wechseln, um zu verhindern, dass irgendwelche Nachrichten von draußen zu ihr dringen.

Doch Berengar hat die Schläue und Zähigkeit der Königin unterschätzt. Sie erhält – so wird erzählt – durch einen Boten, der als Maurer auf der Burg eingeschleust worden ist, einen Hinweis. In der Zeichensprache, wie sie Mönche in Schweigezeiten verwenden, bedeutet dieser der Gefangenen, sie solle den Boden ihrer Zelle aufgraben. Ein absurdes Unterfangen, so mag jeder vernünftige Mensch denken. Doch Adelheid versucht das Unmögliche, das Widersinnige, vielleicht aus purer Verzweiflung, vielleicht aber auch in Gottvertrauen. Sie und ihre beiden Mitgefangenen lösen nachts leise die Bodenplatten ihrer Zelle. Darunter entdecken sie lockeres Schuttgestein, das offensichtlich nur eingefüllt wurde. Sie räumen den Schutt weg und stoßen bald auf Löcher und Kavernen, die sich offensichtlich unter der ganzen Burg, ja, dem ganzen Gelände hinziehen. Nacht für Nacht graben sie und füllen mit dem Schutt, den sie mit bloßen Händen wegräumen, andere Kavernen zu. Langsam stoßen sie immer tiefer in das unterirdische Höhlensystem vor. Schließlich, nach etlichen Nächten schwerer Arbeit, können sie den Ausbruch wagen: Sie verlassen unterirdisch ihre Zelle und das Burggelände und folgen einem langen Gang, auf den sie gestoßen sind. Schließlich gelangen sie ins Freie und erkennen freudig: Sie sind außerhalb der Burgmauern. Im Schutze der Dunkelheit ergreifen sie die Flucht, schlagen sich durch Gestrüpp und hohe Getreidefelder. Als am Morgen des 20. August die Wachen die Flucht bemerken, sind Adelheid und ihre Begleiter noch nicht sehr weit gekommen. Noch immer sind sie in Sichtweite der Burg. Doch das ist ihr Glück. Denn der Burgherr vermutet die Flüchtige schon weiter und lässt die fernere Umgebung nach ihnen durchforsten. Die Ausreißer verbringen den Tag in einem dichten Gestrüpp. In der folgenden Nacht machen sie sich erneut auf den Weg. Im Schutze der Dunkelheit fliehen sie Richtung Süden.

Doch Berengars Schergen haben einen Hinweis erhalten. Einmal verstecken sich Adelheid und eine ihrer Begleiterinnen in einem Getreidefeld, da tauchen überraschend Reiter auf. Mit Lanzen durchkämmen sie das Gelände. Die Flüchtigen werfen sich auf die Erde, zitternd vor Angst. Doch wie durch ein Wunder gehen die Lanzenstöße knapp an ihnen vorbei, die Reiter verschwinden, ohne sie zu entdecken. Schließlich erreichen die Flüchtigen Reggio, den Sitz Bischof Adalhards. Er steht auf Seiten Adelheids. Als sich die Kunde vom Auftauchen der rechtmäßigen Königin verbreitet, eilt er ihr entgegen. Mit allen Ehren empfängt er die Königin vor der Stadt und geleitet sie in seinen Bischofspalast. Doch auch in Reggio sind sie nicht sicher. Schon rüstet Berengar seine Truppen, um Reggio zu belagern. Adelheid muss weiter. Der Bischof empfiehlt ihr die Burg Canossa. Auf Pferden geht die Flucht weiter. Nach zwei Tagen erreichen sie Canossa und werden vom Burgherrn Atto und seiner Frau Ildegarda empfangen. Die Burg gilt als uneinnehmbar. Endlich kann Adelheid aufatmen. Sie hat ihr nacktes Leben gerettet. Aber ihr politisches Schicksal ist nach wie vor offen. Berengar hält sich mit Gewalt an der Macht. Er scheint in Italien unanfechtbar zu sein …

»Ein strahlendes Bild wahrhaft königlicher Schönheit«

Adelheid wird am 27. Juni 931 als Tochter des burgundischen Königs Rudolf II. und Bertas, die wiederum dem schwäbischen Herzoghaus entstammt, geboren. Ihren Namen, der so viel wie »von vornehmem Geschlecht« bedeutet, trägt sie also ganz zu Recht. Bereits als Kind wird Adelheid Lothar, dem Sohn des Königs Hugo von Italien, als Ehefrau versprochen. Hugo war, bevor er mit List und Tücke die Macht in Oberitalien an sich riss, Graf der Provence. Adelheids Vater Rudolf will mit diesem dynastischen Feldzug eine persönliche Schlappe wettmachen: Denn drei Jahre lang hielt er sich als Herrscher über die Lombardei. In einer Schlacht am 17. Juli 923 besiegte er Kaiser Berengar I. von Italien und ließ sich daraufhin in der Hauptstadt der Lombardei, Pavia, durch Akklamation von den Adligen zum König erheben. Berengar entkam in der Schlacht und verschanzte sich in Verona. Doch sein Schicksal war besiegelt: Am 7. April 924 wurde Berengar I. von Verschwörern in seinem Haus überfallen, nach draußen gezerrt und auf den Stufen einer Kirche mit Messerstichen umgebracht. Doch auch Rudolf konnte sich seiner Herrschaft in Italien nicht lange erfreuen: Am 6. Juli 926 wählten die Adligen Hugo, den Grafen der Provence, zu ihrem Herrscher. Rudolf musste sich nach Burgund zurückziehen und sann auf Vergeltung.

Die Geburt Adelheids fünf Jahre später kommt ihm da gerade recht. Was durch Krieg nicht erobert werden kann, soll im Ehebett eingenommen werden. Adelheid, so Rudolfs Wunsch, soll durch Heirat Burgund und Italien aneinanderbinden. Doch der ehrgeizige Rudolf erlebt die Verwirklichung seiner Planspiele nicht. Er stirbt am 13. Juli 937. Adelheid ist zu diesem Zeitpunkt erst sechs Jahre alt.

Überraschend ergreift nun der nicht minder ehrgeizige Hugo die Initiative. Er stattet der jungen Witwe Berta an ihrem burgundischen Hof einen Besuch ab. Berta trägt noch Trauerkleidung, da wirbt Hugo im Herbst 937 um ihre Hand und zugleich für seinen Sohn Lothar um die Hand Adelheids. Eine Doppelhochzeit soll Frieden bringen und die Dynastien aneinanderbinden und mächtig werden lassen. Rasch sind die Konditionen der Heiratskontrakte ausgehandelt. Hugo zeigt sich spendabel: Einundzwanzig Herrenhöfe, vier Abteien und 6640 Bauernhöfe schenkt er seiner zukünftigen Frau und der Schwiegertochter. Am 12. Dezember desselben Jahres heiraten Berta und Hugo in Colombiers am Genfer See. Zugleich wird die Verlobung der sechsjährigen Adelheid mit Lothar gefeiert.

Doch Berta ist klug genug, den amtierenden König von Burgund, ihren noch minderjährigen Sohn Konrad, nicht in den Händen des machtgierigen Hugo zu lassen. Sie veranlasst, dass Konrad nach Deutschland geschickt wird, an den Hof König Ottos. Der hat im Jahr zuvor, 936, die Herrschaft über das damals noch Ostfranken genannte deutsche Königreich übernommen. Der großgewachsene, schöne Mann ist ebenfalls von einem hohen Machtanspruch durchdrungen. Er sieht sich in der Tradition Karls des Großen. Die Vorgänge in Italien und Burgund betrachtet er mit Argwohn und ist gewillt, den Intrigen und Ränken um Berengar und Hugo irgendwann ein Ende zu bereiten, notfalls mit Gewalt.

Der ostfränkische Hof besitzt damals und noch lange Zeit keine Hauptstadt, kein Residenzschloss. Überall im Land befinden sich Pfalzburgen, die im Besitz des Königs sind. Zumindest in der schönen Jahreszeit ist der Hofstaat mit Tross, Kind und Kegel auf Reisen, von einer Pfalzburg zur nächsten, um die einzelnen Länder und Regionen zu besuchen. Vor Ort muss der König präsent sein, um Gericht zu halten, nach dem Rechten zu sehen, Streit zu schlichten, kleinere und größere Aufstände niederzuschlagen, den Bau von Befestigungen, Städten und Straßen zu beaufsichtigen, weltliche und geistliche Herrscher einzusetzen, die Verwaltung und den Handel durch Dekrete auf den Weg zu bringen.

Anders als in Italien, wo die hochstehende Kultur seit der Römerzeit zumindest in adligen und geistlichen Kreisen nahezu ungebrochen fortlebt, gibt sich der ostfränkische Königshof recht schlicht, auch hinsichtlich der Bildung: Otto I. kann lange Zeit nicht schreiben und versteht kein Latein. Bei Verhandlungen mit Äbten und Bischöfen benötigt er daher einen Dolmetscher. In Dokumenten zieht er durch die vom Schreiber vorgefertigte Unterschrift nur den »Schlussstrich«, der später sprichwörtlich wird.

Aus dieser Schar feudaler Analphabeten sticht Adelheid heraus: Früh erhält sie eine umfassende schulische Erziehung und gilt bei den Zeitgenossen nicht nur als eine der schönsten und gesittetsten Frauen des Reiches, sondern auch als eine der klügsten. Mehrere Chronisten, die sie zum Teil persönlich kannten, haben dies bezeugt. Liudprand von Cremona etwa schwärmt: »Adelheid hieß sie, welche durch Schönheit ebenso ausgezeichnet wie um der Reinheit ihres Wandels willen überall beliebt war.« Und Hrosvith von Gandersheim rühmt: »Als Tochter des mächtigen Königs Rudolf war sie einem alten Geschlechte großer Könige entsprossen. Mit Recht gaben die Eltern ihr um ihres erlauchten Adels willen den Namen Adelheid. Ein strahlendes Bild wahrhaft königlicher Schönheit, nahm sie die der Würde ihrer Person entsprechenden Pflichten wahr und bewährte in Taten den Adel ihres Königtums. So hervorragend waren die Kräfte ihres Geistes, dass sie das verwaiste Reich wohl zu regieren imstande gewesen wäre, wenn ihr Volk ihr nicht bittere Ränke bereitet hätte.«

Ein Schurke und ein strahlender Held

Das Unglück, auf das die dichtende Klosterfrau hier dunkel verweist, nimmt seinen Anfang im Jahre 937, mit dem Tod Rudolfs und der Doppelverbindung von Hugo und Berta, Lothar und Adelheid. Liudprand verurteilt später diese zweifache Liaison – im Nachhinein kann man freilich immer klüger sein: »Das gilt überall bei den Griechen für unstatthaft: Wenn nämlich der Vater die Mutter ehelicht, so dass beide ein Fleisch werden, dann soll es ein schweres Vergehen sein, dass sein Sohn mit ihrer Tochter sich ehelich verbindet.«

Das Leben am Hof zu Pavia, im noblen Königspalast, in der wohlhabenden Handels- und Residenzstadt, könnte eigentlich ganz angenehm sein – viel angenehmer jedenfalls als im kalten Norden, wo König Otto und sein Hofstaat von einer Pfalz zur nächsten ziehen –, wären da nicht die andauernden Zwistigkeiten mit dem aufsässigen Grafen Berengar von Ivrea, der nach der Macht in der Lombardei greifen will und vor Intrige und Verrat nicht zurückschreckt. König Hugo droht ihm, er werde ihn blenden lassen, wenn er ihn ergreife. Jeder in Pavia weiß, dass das keine leeren Worte sind. Berengar besitzt sogar die Frechheit, nach Norden zu fliehen, um König Otto um Schutz vor dem jähzornigen Hugo zu ersuchen.

Berengar ruft damit den mächtigen König der Ostfranken auf den Plan, der nur einen Vorwand sucht, um wieder – wie schon vor ihm Karl der Große – jenseits des Brenners Fuß zu fassen und sich als Schutzherr in Italien zu geben. Tatsächlich erweist sich Otto gnädig (und voller Kalkül), indem er Berengar aufnimmt und ihm Unterstützung zusichert. Als ein Bote nach Pavia kommt, bringt dessen Nachricht König Hugo in Rage.

Die Stimmung am lombardischen Hof hat sich verdüstert. Hugo benimmt sich gegen seine Frau Berta kalt und abweisend. Das lässt Adelheid für sich selbst Schlimmes befürchten. Immerhin kommen sie und ihr Verlobter Lothar (er ist fünf Jahre älter als sie) sich persönlich näher – keine Selbstverständlichkeit im dynastischen Planspiel.

Doch die Hoffnungen auf ein trautes Glück als zukünftige Herrscher über Italien zerschlagen sich: Otto hat seinen Schützling Berengar mit Truppen ausgestattet, mit denen der Markgraf im Jahre 945 über den Brenner nach Italien zieht. König Hugo muss im Jahr darauf fliehen. Er stirbt am 10. April 947 im Exil in Arles in der Provence. Zwei Monate später, am 27. Juni 947, heiraten die sechzehnjährige Adelheid und der einundzwanzigjährige Lothar in der Basilika San Michele in Pavia. Zwei Jahre darauf wird die Tochter Emma geboren. Berengar macht unterdessen die Lombardei unsicher und entreißt immer mehr Städte und Landstriche der Herrschaft des legitimen Königspaars.

Dann die Katastrophe: Am 22. November stirbt völlig unerwartet, ohne vorherige Krankheit, König Lothar. Ein Giftanschlag von Berengars Leuten, so wird gemunkelt. Adelheid steht alleine da, schutzlos, ohne Macht, ohne Truppen, ohne Land. Nur noch wenige Adlige bei Hofe stehen zu ihr. Die meisten haben den Palast klammheimlich verlassen, um nicht Berengars Zorn auf sich zu ziehen.

Der hat bald das ganze Königreich unter seiner Gewalt. Er und sein Sohn Adalbert lassen sich von den Adligen in Pavia zu Königen Italiens ausrufen. Adelheid setzt sich zur Wehr – mit Verachtung und Spott gegenüber dem Usurpator. Der behandelt die Neunzehnjährige zunächst herablassend, sie ist ja nur eine Frau. Doch insgeheim fürchtet er sich vor ihrer aufrechten Haltung, ihrem Mut, ihrer Verachtung. Und er fürchtet Verschwörer, Anhänger Adelheids, die ihm ein ähnliches Ende bereiten könnten, wie er es mit seinem Widersacher Lothar getan hat. Er beschließt daher, Adelheid auszuschalten.

Adelheid flieht aus dem Königspalast und versucht nach Norden zu entkommen. Sie will sich nach Deutschland durchschlagen, zu Otto – ein Hilferuf ihrer Parteigänger ist durch Boten bereits unterwegs. Doch die aufsehenerregende Flucht hat bald ein Ende: Adelheid wird am 20. April 951 in Como von Berengars Schergen gestellt und nach Garda in ein Burgverlies gebracht. Dort soll ihr Wille gebrochen werden. Später, so plant der Graf, wird er sie in einem Kloster wegsperren.

Dann geschieht das Unglaubliche: Nach vier Monaten der Gefangenschaft können Adelheid, ihre Zofe und ihr Kaplan aus der schwer bewachten Burg fliehen und sich nach Süden durchschlagen, zur Burg von Canossa. Berengar schäumt vor Wut.

Auch König Otto ist erzürnt. Das gewalttätige Handeln Berengars, noch dazu gegenüber einer Dame von hoher Geburt, ist nicht entschuldbar. Rasch rüstet er ein Heer und überschreitet im Jahre 951 den Brenner. Freilich spielen auch politische Gründe eine Rolle. Es ist für Otto der willkommene Anlass, seine Macht auf Italien auszuweiten. Der Mönch Widukind von Corvey, mit dem sächsischen Königshaus verwandt, ist kein unparteiischer Chronist, wenn er in seiner Sachsengeschichte schreibt:

»Zu dieser Zeit herrschte im Langobardischen mit angemaßter Gewalt ein wilder und habgieriger Mann, der alles Recht für Geld verkaufte: Berengar. Weil er aber die Tugend der ausnehmend klugen Königin, die König Lothar hinterlassen hatte, fürchtete, bedrängte er sie vielfach, um die Zierde eines solchen Glanzes entweder auszulöschen oder wenigstens zu trüben. […] Da Otto die Vorzüge der oben erwähnten Königin nicht verborgen blieben, beschloss er, sich unter dem Vorwand einer Romreise aufzumachen. Und als man in die Lombardei gelangt war, versuchte er, mit Geschenken aus Gold die Liebe der Königin zu ihm als vorteilhaft erscheinen zu lassen.«

König Otto überschreitet den Brenner, folgt dem Flusslauf von Eisack und Etsch. Die Städte ergeben sich ihm größtenteils kampflos. Man ist froh, der Fron des verhassten Berengar zu entkommen. Der verschanzt sich unterdessen in Pavia, ohne den Versuch zu unternehmen, Ottos Heer in einer Schlacht entgegenzutreten. Als die ostfränkischen Truppen sich der lombardischen Hauptstadt nähern, flieht Berengar am 22. September mit wenigen Getreuen. Noch am selben Tag zieht Otto in die offene Stadt ein.

Sogleich macht er sich daran, für Recht und Ordnung zu sorgen. An Adelheid, die immer noch auf Burg Canossa ausharrt, sendet er Geschenke, mit der Aufforderung, nach Pavia zurückzukehren. Bereits kurze Zeit später zieht die rechtmäßige Königin in ihre Hauptstadt ein und wird von den Bewohnern mit Jubel empfangen.

Reichstag in Augsburg und Schlacht auf dem Lechfeld

Adelheid steht einem großgewachsenen, gutaussehenden neununddreißigjährigen Mann gegenüber. Otto ist Witwer, seine erste Frau Edgitha ist im Jahre 946 gestorben. Rasch ist Adelheid und Otto klar: Eine Heirat ist zum Besten der eigenen Interessen, aber auch der Familie und der Länder. Bereits am 9. Oktober 951 läuten die Hochzeitsglocken, erneut in der Basilika San Michele.

Nach der Hochzeit will Otto eigentlich nach Rom ziehen, um sich von Papst Agapet zum Kaiser krönen zu lassen. Doch die Machtverhältnisse in Rom sind unklar und wechseln oft: Die großen Familien stellen traditionell die Päpste und üben die Macht aus. Oft genug liegen sie miteinander in Fehde, verbünden sich mit- und gegeneinander, haben aber immer Angst, die römische Autonomie zu verlieren. Ottos Bestreben, sein Reich nach Süden auszudehnen, nehmen Roms Granden mit Besorgnis zur Kenntnis. Bereits durch seine Heirat mit Adelheid weitet sich sein Einflussbereich bis in die Toskana aus.

Otto ist ein König, der sich nimmt, was er will, notfalls mit Gewalt und ohne moralische Bedenken. Den Feldzug nach Rom schiebt er einstweilen auf, wegen des einsetzenden Winters, aber auch, weil er aus Deutschland schlechte Nachrichten erhält: Seine Gegner um Herzog Liudolf von Schwaben haben sich in Saalfeld versammelt, so heißt es. Das deutet auf eine Verschwörung hin. Eilends zieht Otto mit seinem Heer über die bereits verschneiten Alpenpässe nach Deutschland. Adelheid zieht mit ihm und wird ihren Mann in den nächsten Jahren meist begleiten – auf den jährlichen Rundreisen von einer Pfalz zur nächsten, aber auch auf den strapaziösen und bisweilen gefährlichen Feldzügen in Italien und zu den Kriegsschauplätzen im Osten.

Unterdessen hat sich der noch immer aufsässige Berengar in der Burg von San Marino verschanzt und wartet auf eine günstige Gelegenheit, zurückzuschlagen. Otto betraut Herzog Konrad von Lothringen damit, Berengar mit einem kleineren Truppenkontingent in Schach zu halten.

Für Adelheid beginnt die schwierige Phase, sich in das Leben als Königin Ostfrankens einzufinden, in das unruhige Wanderleben des Hofes, in das unwirtliche Klima, die fremde Sprache und Kultur, die vergleichsweise rauen Sitten und Gebräuche. Zudem muss sie lernen, eigene Gefühle und Bedürfnisse der Staatsräson zu unterwerfen, wie sie bereits ein halbes Jahr später feststellen wird: Anfang August 952 findet auf dem Lechfeld vor den Toren Augsburgs ein Reichstag statt. Über Unterhändler hat Otto mit Berengar und dessen Sohn Adalbert Kontakt aufgenommen und den Aufsässigen Frieden in Aussicht gestellt. Auf dem Reichstag unter offenem Himmel empfängt Otto am 7. August den einstigen Gegner, der Adelheid erst im Jahr zuvor so schmählich misshandelt und gedemütigt hat. Berengar und Adalbert schwören dem König Treue. Otto revanchiert sich großzügig, indem er Berengar mit Italien belehnt (allerdings um die Marken Verona und Aquileia verkleinert, die bekommt Ottos Bruder, der baierische Herzog Heinrich). Damit folgt Otto ganz seinem Kalkül: Er hofft, den gefährlichen Berengar an sich zu binden und dessen Machthunger zu stillen. Und er will einen starken Mann in Italien, da er selbst nicht überall rasch vor Ort sein kann.

Für Adelheid bedeutet das einen Affront: Sie hat ihrem Peiniger im Innersten nicht verziehen. Und der König, ihr Mann, macht ihr damit deutlich, dass sie ihre Herrschaft in Italien als Frau nicht allein ausüben kann, sondern an seiner Seite bleiben muss. In seiner Sachsengeschichte freilich geht der Hofchronist Widukind von Corvey, dem viel an einem geschönten Bild für die Nachwelt liegt, auf die Gefühle der Königin nicht ein. Er hat lediglich die dürren Worte übrig: »Unterdessen sprach der König den König, wurde er von König und Königin in Gnade aufgenommen, gelobte Unterwerfung und bestimmte für das freiwillige Bündnis Tag und Ort in Augsburg.« Doch Ottos vermeintlich genialer Schachzug zeitigt weitere Risse in der Familie: Nicht nur Adelheid ist zutiefst verletzt. Auch Liudolf, Ottos erwachsener Sohn aus erster Ehe, der im Jahr zuvor auf eigene Faust mit einem Heer gegen Berengar gezogen ist, sieht sich in seinen Hoffnungen auf eine Lehensherrschaft betrogen.

Da droht bereits wieder Gefahr, diesmal von außen: Die Ungarn fallen 955 erneut in Deutschland ein und brandschatzen Dörfer und Städte. Schließlich berennen sie Augsburg, die mächtige Bischofs- und Bürgerstadt. Fällt sie, fallen damit auch weite Regionen des Voralpenlands an das ungarische Reitervolk. Verzweifelt wehren sich die Bürger, halten sich hinter ihren Wällen und Mauern verschanzt. Der tatkräftige und mutige Bischof Ulrich, ein enger Freund des Königs, leitet die Verteidigung. Doch lange können sich die Augsburger gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Horden der Ungarn – angeblich sind es an die hunderttausend Mann – nicht mehr halten.

Boten überbringen die Hiobsnachricht an Otto. Der hat gerade wieder einmal mit den aufständischen Slawen zu schaffen. Überstürzt sammelt der König Truppen aus Sachsen, Franken, Baiern und Schwaben und wendet sich in Eilmärschen nach Süden – der Tross, darunter auch Adelheid, hinterher. Die Königin ist in der Pfalz Ulm, als Eilboten die Nachricht bringen, auf dem Lechfeld, dort, wo vor drei Jahren der Reichstag unter freiem Himmel abgehalten wurde, sei eine blutige Schlacht im Gange. Der Ausgang sei ungewiss. Einer der ungarischen Befehlshaber, Horka Bulcsu, habe das deutsche Heer umgangen und greife von hinten an. Der Hof ist entsetzt. Doch Adelheid gibt den Befehl, sofort nach Augsburg aufzubrechen. Statt sich in Sicherheit zu begeben, will sie an der Seite der notleidenden Bevölkerung stehen und Näheres über die Schlacht erfahren, auch, ob ihr Mann noch lebt oder gefallen ist.

So rasch wie möglich reiten Adelheid und ihre bewaffneten Begleiter nach Augsburg. Unterwegs sind vereinzelt in der Ferne fliehende Reiter zu sehen, vermutlich marodierende Ungarn. Schließlich tauchen, es ist der Abend des 10. August, in der Dämmerung die Türme von Augsburg auf. Durch die Abendstille hören sie die Glocken. Adelheid und ihre Begleiter begreifen: Es ist ein Freudengeläut. Die Schlacht ist gewonnen, die Ungarn sind besiegt.

Durch eines der Tore betreten sie Augsburg. Adelheid sieht mit Entsetzen die Toten und Verwundeten. Einzelne Häuser sind abgebrannt, manche Gebäude stehen noch in Flammen. Von Otto fehlt jede Nachricht. Bischof Ulrich, der Verteidiger der Stadt, empfängt die Königin. Dann die erlösende Botschaft: Der König lebt! Endlich kehrt Otto in die Stadt zurück und kann seine überglückliche Frau begrüßen. Der König befiehlt, die nach Osten fliehenden Ungarn zu verfolgen und gnadenlos niederzustrecken. Auf dem Lechfeld sind viele Gefangene gemacht worden. Den ungarischen Anführern werden die Augen ausgestochen und die Zungen herausgerissen, bevor man sie tötet. Aber auch die einfachen Krieger werden nicht verschont: Auf Ottos Befehl hin werden siebenhundert Gefangene geköpft. Die Scharfrichter haben einen Tag lang zu tun, bis endlich Totenstille über dem Lechfeld liegt, dessen Grasnarbe von Blut rot gefärbt ist.

Wie Adelheids Empfindungen angesichts solcher Gewaltexzesse waren, wissen wir nicht. Vermutlich hat sie sich instinktiv und voller Ekel vor solch einem Anblick abgewandt. Ob sie es moralisch verurteilt hat, ist fraglich. In jener Zeit, in der der Existenzkampf tagtäglich auszufechten war, dachte und empfand man in anderen Kategorien. Gewalt war noch nicht durch die Zivilisation kanalisiert und verpönt, sondern ein gängiges und probates Mittel, um selbst zu überleben und die für richtig und gut befundenen Ziele (und von ihren Zielen waren Otto und Adelheid sicherlich überzeugt) zu realisieren. Die Reichsidee, die Verbreitung des Christentums und nicht zuletzt die Festigung der Macht für den eigenen Clan standen im Mittelpunkt von Ottos und Adelheids Bestrebungen.

Kaiserin und »Mutter der Königreiche«

Noch ein weiteres einschneidendes Ereignis beschert das Jahr 955: Im Dezember kommt Adelheids Sohn Otto zur Welt. Noch gilt Liudolf, Ottos Sohn aus der Ehe mit Edgitha, als Thronfolger. Der aber stirbt überraschend im September 957 an einem Fieber, nachdem er zuvor noch Berengar und Adalbert in einer Schlacht besiegt und so Ottos Macht in Italien wieder gefestigt hat. Der noch nicht zweijährige Otto, Adelheids Sohn, ist nun der rechtmäßige Thronfolger. Adelheids Position innerhalb der Herrscherfamilie ist dadurch gestärkt: Sie ist nicht mehr nur »Unsere geliebteste Gattin« – die »dilectissima coniux nostra« –, wie Urkunden sie bezeichnen, sondern auch die Mutter des künftigen Monarchen und damit die »Mutter der Königreiche«.

Otto I. geht bereits auf die fünfzig zu – für damalige Verhältnisse ist er ein Mann auf der Schwelle zum Alter. Er muss sich beeilen, will er für sich und seinen Sohn die Macht festigen und sich – wie sein Vorbild Karl – die Kaiserwürde verschaffen. Dazu muss er nach Rom ziehen, aber nicht als Bittsteller, sondern als allgewaltiger Herrscher, der einfordern kann, was ihm beliebt. Doch wiederum geben sich die Mächtigen und Möchtegern-Mächtigen Italiens abspenstig: Berengar rebelliert nach Liudolfs Tod erneut. Mit seinen Söhnen zieht er südwärts und bedrängt die Markgrafschaft Spoleto und den Kirchenstaat. Das ist nicht nur eine Bedrohung für Ottos Pläne, sondern auch eine Gefahr für Adelheids Familie, denn in Spoleto herrscht ihr Vetter Theobald. Immer öfter dringen Klagen über Berengar und seine Söhne bis nach Sachsen, nach Magdeburg. Otto muss handeln, auch Adelheid drängt ihn dazu.

Schließlich treffen zwei Boten aus Rom ein, die die dringende Bitte des Papstes um königliches Eingreifen vorbringen. Oberhaupt der römischen Kirche ist damals der römische Bürgersohn Octavian, ein erst dreiundzwanzigjähriger Jüngling. Er nennt sich Johannes XII. und geht als ein Schandfleck in die Kirchengeschichte ein. Man sagt ihm Amtsmissbrauch nach und munkelt über Prasserei und Hurerei. Voller Abscheu schreibt der Chronist Liudprand über die amourösen Abenteuer des jungen Pontifex maximus: »Und wenn alles schweigen würde, der Lateranpalast, einst die Herberge der Heiligen, jetzt ein Tummelplatz für Dirnen, wird laut reden von der Mätresse seines Vaters, die auch ihm gehörte, der Schwester einer seiner Mätressen, einer andern Stephania. Wir berufen uns auf das Ausbleiben aller anderen Frauen – außer den römischen –, welche, um zu beten, die Schwelle der heiligen Apostel zu betreten sich scheuen; denn erst vor wenigen Tagen haben wir hören müssen, dass jener [der Papst] eine Anzahl Ehefrauen, Witwen und Mädchen vergewaltigt hat.«

Tatsächlich herrschen an der Spitze der Kirche schlimme Verhältnisse. In nur hundert Jahren haben sich achtundzwanzig Päpste auf dem Stuhl Petri abgewechselt. Etliche wurden von den streitenden römischen Patrizierfamilien oder von Gegenpäpsten erdolcht oder vergiftet. Ein Papst namens Formosus hatte zwar das Glück, eines natürlichen Todes im Bett zu sterben, aber neun Monate später zerrte man seinen Leichnam aus dem Grab, setzte ihn auf einen Marmorstuhl und machte ihm feierlich den Prozess. Das makabre Ereignis hat den Namen »Leichensynode« erhalten.

Auch Otto hört von den Machenschaften des jugendlichen Papstes Johannes XII. Aber er benötigt ihn als Steigbügelhalter zur Erreichung der Kaiserwürde. Ottos Bruder Brun, der Erzbischof von Köln, bestärkt den König in seinem Vorhaben. Doch zunächst sorgt Otto, der seit einigen Jahren krank ist, für die rechtmäßige Thronnachfolge: Für den Fall, dass er nicht aus Italien zurückkehren sollte, lässt er in der Aachener Pfalzkapelle seinen und Adelheids Sohn Otto zum Mitkönig krönen.

Mitte August 961 ist es endlich so weit: Otto versammelt auf dem Lechfeld, wo er sechs Jahre zuvor den grandiosen Sieg über die Ungarn errungen hat, sein Heer und gibt das Zeichen zum Aufbruch nach Italien. Mit dabei ist Adelheid. Denn seiner »geliebtesten Gattin« will er ebenfalls die kaiserliche Würde schenken. Über den Brenner ziehen sie nach Oberitalien. Berengar verschanzt sich in der Festung San Leo bei Ravenna, das Heer Adalberts löst sich auf die Nachricht von Ottos Ankunft hin auf. Kampflos zieht das ostfränkische Heer durch die Poebene und erreicht Pavia. Als Adelheid die Stadt ihrer Jugend betritt, ist sie entsetzt: Die Usurpatoren haben aus Wut über das Herannahen der Deutschen den Palast geplündert und verwüstet. Rasch lässt das Herrscherpaar die Räume wiederherstellen. Das Weihnachtsfest verbringen sie in der Residenz. Sobald die Wege wieder passierbar sind, ziehen sie im Januar 962 weiter nach Rom.

Papst Johannes XII. empfängt das Königspaar mit allen Ehren. Der auf seinen Vorteil bedachte Pontifex maximus fürchtet Otto. Am 2. Februar 962, dem Fest Mariae Lichtmess, findet in der alten Kirche von St. Peter in Rom die feierliche Krönung Ottos und Adelheids zu Kaiser und Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches statt. Nach der Krönung kniet der Papst vor Otto und Adelheid nieder und leistet einen Treueeid. Adelheid wird künftig in Urkunden auch als »consors imperii« genannt, als »Teilhaberin der Kaiserwürde«. Damit besitzt sie eine in der langen Reihe der deutschen Königinnen einzigartige Machtfülle (wenn man einmal von ihrer späteren Schwiegertochter Theophanu absieht). Vor ihrer Salbung wird ein Weihegebet gesprochen: »So gewähre Du, Gott, gnädig, dass sie zum würdigen und erhabenen Bunde mit unserem Herrscher und zur Teilnahme an seiner Herrschaft schreite.« Der Aufenthalt in Rom verläuft konfliktfrei. Als die Deutschen am 14. Februar wieder nach Norden abziehen, sind in der alten Stadt am Tiber alle erleichtert, denn man fürchtet dort stets um die eigene Autonomie.

Adelheid wird in den kommenden Jahren eine kluge und gütige Beraterin ihres kaiserlichen Gatten. So tragen von Otto unterzeichnete Urkunden den Vermerk: »Auf den Rat und durch die Vermittlung Adelheids, unserer teuersten Gemahlin und der Teilhaberin unserer Kaiserwürde.« Unter Adelheids Einfluss lernt Otto schreiben, ebenso das Lateinische. Adelheid fördert Künste und Wissenschaften und lädt Gelehrte an den Königshof. Die spätere Geschichtsschreibung bezeichnet diese geistige und kulturelle Öffnung als »Ottonische Renaissance«, genauso gut könnte man von einer »Adelheidischen Renaissance« sprechen.

Die Zeitgenossen hingegen wissen, was sie an ihrer Königin und Kaiserin besitzen. Gerbert von Aurillac, der berühmteste Gelehrte seiner Zeit, Bischof von Reims und Ravenna und später Papst mit dem Namen Silvester II., preist Adelheid: »Es ist offenkundig, dass Ihr bisher die ruhmvollste Frau und die Mutter der Königreiche gewesen seid.« Und die Annalen des Klosters Quedlinburg, wo Adelheids Tochter Mathilde als Äbtissin wirkt, vermerken: »Adelheid, welche den Bestand des ihr und ihrem Gemahl, dem erhabenen, großen, friedenstiftenden Otto zu Lande und zur See unterworfenen Reiches durch ihre Verdienste und trefflichen Tugenden nicht weniger geziert, als dieser es durch seine Kraft und herrlichen Siege befestigt hatte.«

Krieg an allen Fronten

Tatsächlich ist es so, dass Adelheid ihren Mann in vielen Belangen, auch in politischen, berät. Vor allem auf ihren reichen Erfahrungsschatz, was die Verhältnisse in Italien anbelangt, kann der Herrscher, der seine Macht südlich der Alpen festigen will, nicht verzichten. Doch trotz aller Umsicht kommt Italien nicht zur Ruhe. Erneut muss Otto gegen Berengar vorgehen, dessen Festung San Leo er aber nicht erstürmen kann. Berengars Sohn Adalbert schlägt sich unterdessen nach Rom zu Papst Johannes XII. durch, der sich mit ihm verbündet – ein offener Verrat des Pontifex, der erst wenige Monate zuvor Otto zum Kaiser gekrönt hat! Otto bricht die Belagerung San Leos ab und marschiert mit seinem Heer nach Rom. Er will, das hat er sich geschworen, ein grausames Exempel statuieren. Der Papst flieht mit dem Rebellen Adalbert in die Campagna, nicht ohne zuvor etliche Kirchenschätze zusammenzuraffen. Otto nimmt die Stadt kampflos. Die adligen Familien schwören ihm und Adelheid den Treueeid. Auf einer Synode setzt der Kaiser am 4. Dezember 963 Johannes XII. ab und erhebt Leo VIII. zum neuen Papst. Zugleich erfährt er, Berengar habe sich endlich ergeben. Otto befiehlt, ihn und dessen Frau Willa nach Bamberg zu bringen und dort festzusetzen.

Doch so sicher, wie Otto und Adelheid glauben, ist die Lage in Rom nicht. Bereits vier Wochen später bricht ein Aufstand der Römer gegen die Ostfranken los, den Otto jedoch mit seinen erfahrenen Soldaten niederschlagen kann. In Rom herrscht indes immer noch Unruhe: Bereits im Mai stirbt der von Otto eingesetzte Papst Leo. Sein Nachfolger ist Papst Benedikt V. Auch er ist nur kurze Zeit auf dem Papstthron. Schließlich stirbt im Mai 964 auch der abgesetzte Papst Johannes XII. Süffisant weiß der Chronist Liudprand von Cremona zu berichten, den Weiberhelden habe ein gerechtes Schicksal ereilt, das nicht der Komik entbehrt. Ein Schlaganfall – so wäre wohl die Diagnose aus heutiger Sicht – raffte ihn in pikanter Situation hin: »Als er nämlich eines Nachts außerhalb Roms mit einer verheirateten Frau die Freuden des Bettes genoss, traf ihn der Teufel so schwer an den Schläfen, dass er noch vor Ablauf von acht Tagen an der Wunde starb.«

Otto und Adelheid wenden sich wieder nach Norden. In Deutschland muss die Machtstellung der eigenen Familie gefestigt werden. Am 14. Mai 965 findet in Köln ein Hoftag statt. Adelheids Tochter aus erster Ehe, die sechzehnjährige Emma, wird dabei mit dem vierundzwanzigjährigen französischen König Lothar verlobt. Die beiden heiraten im Jahr darauf, und Emma wird damit Königin von Frankreich. Ost- und Westfranken, so das Kalkül des Kaiserpaars, sollen durch diese familiären Bande ausgesöhnt und einander angenähert werden.

Zudem will Otto seinen Sohn zum Kaiser krönen lassen. Aber noch immer sind die Machtstrukturen im Lateran nicht gefestigt. Neuer Papst wird im Oktober 965 ein Parteigänger Ottos, Johannes XIII. Er wird von den Römern jedoch bald vertrieben und sendet einen Hilferuf an den Kaiser. Otto entschließt sich, erneut nach Italien aufzubrechen. Adelheid soll ihn begleiten. Sie trägt Trauer, denn im Januar ist ihre Mutter Berta, Königin von Burgund, gestorben. Dennoch will sie mit nach Rom. Das Wohl des Reichs geht vor persönliche Belange.

Kampflos öffnet Rom dem kaiserlichen Heer die Tore. Die Ostfranken setzen den Anführer und einige Hauptleute der Aufständischen gefangen. Otto und Adelheid feiern Weihnachten 966 in der altehrwürdigen Stadt. Dann spricht Otto seine Urteile: Dreizehn Hauptverantwortliche werden gehängt, die Leichname bereits getöteter Rebellen ausgegraben und vor die Stadtmauer geworfen, Hunden und Ratten zum Fraße. Andere werden mit glühenden Schwertern geblendet oder in die Verbannung nach Sachsen geschickt. Johannes XIII. kehrt zurück auf den Papstthron. Er lässt den Anführer der Rebellen zuerst an den Haaren aufhängen, dann federn, geißeln und nackt auf einem Esel sitzend durch die Stadt führen. Ein Mönch vom Monte Soracte klagt: »Weh dir, Rom, deine Völker wurden erschlagen, deine Stärke vernichtet, dein Gold und Silber ruhen in den Geldsäcken fremder Männer. Einst Mutter, jetzt Tochter, hast du all deinen Besitz verloren. Einst hast du hoch über Völker triumphiert, größtes Ansehen war dir nah, jetzt bist du vom Sachsenkönig ausgeplündert und gar arg verstümmelt.« Erst jetzt scheint der Wille der Aufsässigen gebrochen. Der mittlerweile zwölfjährige Otto II. wird im Dezember 967 nach Rom beordert und dort am Weihnachtstag von Johannes XIII. im Beisein seiner Eltern zum Mitkaiser gekrönt.

Um die ottonische Dynastie endgültig zu sichern, fehlt nur noch eine Frau für den Thronfolger. Emmas Ehe mit dem westfränkischen König Lothar soll den Frieden nach Westen sichern. Nun sucht Otto eine dynastische Verbindung zum mächtigen Byzantinischen Reich. Diplomaten verhandeln mit dem Kaiser in Konstantinopel: Otto hat die Tochter des verstorbenen Kaisers Romanos II. als Schwiegertochter ins Auge gefasst. Ihr Name lautet Anna.

Der Handel scheint perfekt, nachdem Otto mit einem Feldzug nach Süditalien, das in byzantinischer Hand ist, seinem Wunsch kriegerischen Nachdruck verliehen hat (wiederum wurde er von Adelheid begleitet, die das Leben in Feldlagern nur allzu gewohnt ist). Otto scheut auch jetzt vor dem Äußersten nicht zurück. Sein Heer verwüstet Apulien und Kalabrien, Dörfer brennen, Ernten werden vernichtet. Schließlich willigt der neue byzantinische Kaiser Nikephoros Phokas in den Handel ein. Anna soll per Schiff nach Italien geschickt werden. Wie Adelheid über all das dachte, auch über die sprichwörtlichen Verheerungszüge ihres Mannes, bleibt im Dunkeln. Auffällig ist, dass sie in jenen Jahren etliche Klöster gründet und mit Ländereien und Geld ausstattet, alles aus ihrem privaten Besitz. Sicherlich war der Antrieb zu dieser Stifterrolle eine tiefe Religiosität. Doch nicht nur das fromme Leben sollte gefördert werden. Vielmehr wollte Adelheid auch das geistig-kulturelle Leben, das von den Klöstern ausstrahlte, protegieren und deren karitatives Wirken unterstützen. Besonders die Klöster Peterlingen, Erstein und Selz im Elsass werden von ihr bedacht. Im Elsass besitzt Adelheid aus alter Erbmasse, aber auch durch Schenkungen des Kaisers, Ländereien, Dörfer und Höfe. Bei Parma gründet sie die durch Kriege zerstörte Abtei San Salvatore nach dem Vorbild des Reformgeistes von Cluny neu.

Die beiden Kaiserinnen

Unterdessen wird am fernen Bosporus Kaiser Nikephoros Phokas von seinem Vetter Johannes Tzimiskes ermordet, der sich zum neuen Kaiser erklärt. Er willigt – scheinbar – in den Brauthandel ein. Im Jahre 972 – Ottos Hofstaat befindet sich bereits wieder in Rom – landet die byzantinische Prinzessin in Apulien. Doch kaiserliche Boten bringen die Nachricht rasch an den Tiber: Die Byzantiner haben die Ostfranken getäuscht! Nicht Anna ist nach Italien gesandt worden, sondern ein zwölfjähriges Mädchen namens Theophanu. Der ottonische Hof ist wütend. Sie sei außerordentlich schön, so die Boten. Doch das interessiert nur in zweiter Linie. Das größte Manko: Theophanu ist nur die Tochter eines Schwagers von Kaiser Tzimiskes, stammt also nicht aus der engen kaiserlichen Dynastie. Allein deren Kindern ist das Privileg vorbehalten, im roten Porphyrsaal des Palastes am Bosporus zur Welt zu kommen. Solch eine »Purpurgeborene« jedenfalls ist Theophanu nicht.

Man berät sich. Die einen fühlen sich von Byzanz düpiert und gedemütigt, die anderen raten zu einer Annahme der Braut, um endlich die dynastische Verbindung zu Konstantinopel zu knüpfen und dem Reich Frieden zu bringen. Schließlich entscheidet sich Otto I. für die Prinzessin, und auch sein Sohn ist durch die Berichte, Theophanu sei überaus schön, überzeugt. Am 14. April 972 heiraten Otto II. und Theophanu in St. Peter in Rom.

Adelheid kommt von Beginn an mit der Schwiegertochter nicht sonderlich zurecht. Der Altersunterschied ist zu groß, auch Sozialisation und Kultur klaffen zu weit auseinander. Die Frauen begegnen sich höflich und mit gebotenem Respekt – Vertrauen und Herzlichkeit erwachsen jedoch nicht.

Endlich zieht der Hof wieder nach Norden, nach Sachsen. Der Empfang von altem und jungem Kaiserpaar in Magdeburg ist prunkvoll und festlich. In Quedlinburg, wo Adelheids Tochter Mathilde Äbtissin des Servatiusstifts ist, fühlt sich Adelheid heimisch und unangefochten. Der Hof zieht weiter, über Merseburg nach Memleben in Thüringen. In dieser Pfalz ist Ottos Vater Heinrich gestorben. Otto und Adelheid wollen hier einige Tage verbringen. Gemeinsam besuchen sie die Abendmesse. Der Kaiser fühlt sich unwohl, beginnt zu fiebern. Alle ahnen: Es ist das Ende. Er erhält die Sterbesakramente. Am 7. Mai 973 stirbt Otto, den bereits die Zeitgenossen den Großen nennen, in Memleben. Der Körper wird geöffnet, die Eingeweide werden herausgenommen und in Memleben bestattet, der Leichnam findet im Magdeburger Dom seine letzte Ruhestätte.

Adelheid ist zum zweiten Mal Witwe. Otto II. ist erst siebzehn, aber bereits mündig. Die Großen des Reichs huldigen ihm und der jungen, fremdländischen Kaiserin. Doch nach einiger Zeit brechen erneut Streitigkeiten aus. Einzelne Fürsten erheben sich gegen den jungen Kaiser und die ottonische Dynastie. Wie schon sein Vater muss auch Otto II. mit Waffengewalt seine Ansprüche erstreiten. In Rom folgen kurz nacheinander drei Päpste – auch dort sind die Ansprüche des Reichs in steter Gefahr.

Immerhin bestätigt Otto seiner Mutter deren Besitztümer, sodass sie sich weiterhin ihren frommen Stiftungen widmen kann. So oft es geht, hält sie sich in ihrer alten Residenz in Pavia auf, aber auch im Elsass, besonders in Kloster Selz. Dort, so ihr Wunsch, will sie einmal begraben sein. Es kommt indes zu Spannungen zwischen Mutter und Sohn, weil Otto den Karolinger Karl zum Herzog von Niederlothringen macht, obwohl der zuvor seine Schwägerin Emma, Königin von Frankreich und Tochter Adelheids aus deren erster Ehe mit Lothar, zu Unrecht des Ehebruchs bezichtigt hat. Wieder einmal steckt politisches Kalkül dahinter. Zudem kann Adelheid sich nicht mit den Rechtsvorstellungen abfinden, die ihr Sohn Otto nach alter fränkischer Tradition pflegt: Bei Streitangelegenheiten ordnet der König zumeist einen Zweikampf der Kontrahenten an – ein sogenanntes »Gottesurteil«, so die althergebrachte Vorstellung, solle entscheiden. Diese Denkweise ist Adelheid fremd. Die Zivilisation Italiens und das alte römische Rechtssystem sind tief in ihrem Denken verwurzelt. Als einmal in einem von Otto angeordneten Zweikampf einer der Kontrahenten unterliegt, aber am Leben bleibt, ordnet der König an, den Mann zu enthaupten. Das entspricht seinen Rechtsvorstellungen, die tief auf das germanische Stammes- und Sippendenken zurückreichen.

Adelheid zieht sich gekränkt nach Pavia zurück. Erst 980 kommt es zur Aussöhnung zwischen Adelheid und Otto II. Das hält den jungen Kaiser jedoch nicht davon ab, weiterhin eine riskante Politik zu betreiben, ohne auf die Bedenken seiner Mutter zu hören. So wagt er im Jahre 982 einen Feldzug in Unteritalien gegen die sarazenischen Städte, der mit einer vernichtenden Niederlage des ostfränkischen Heeres endet. Um ein Haar wird Otto gefangen genommen. Er kann sich jedoch schwimmend auf ein vor der Küste bei Capo Colonna dümpelndes Schiff retten. Auch die vor Ort anwesende Kaiserin Theophanu und der ebenfalls im Tross befindliche Reichsschatz können im allerletzten Moment vor den Feinden in Sicherheit gebracht werden.

Das Reich ist in Bedrängnis. Im Norden und Osten rebellieren die Dänen und Slawen. Auch in Rom gibt es Unfrieden. Benedikt VII. stirbt, ein neuer kaiserfreundlicher Papst, er nennt sich Johannes XIV., wird eingesetzt. Im Jahr darauf ziehen Otto und Theophanu erneut nach Rom, trotz der Warnung des seherisch begabten Abts von Cluny, Majolus. Dieser hatte prophezeit, der Kaiser werde, wenn er die Stadt betrete, seine Heimat nicht wiedersehen. Adelheid befindet sich in Pavia, als sie die Nachricht erreicht, ihr Sohn sei am 7. Dezember 983 in Rom mit nur achtundzwanzig Jahren an der Malaria gestorben und in einem Porphyrsarg in St. Peter beigesetzt worden. Dort ruhen die Gebeine noch heute.

Wieder steht das Reich vor einer Zerreißprobe. Theophanus Sohn Otto ist ein Knabe von gerade drei Jahren. Rasch reagieren Adelheid und Theophanu, die nun, in der Krisenzeit, versuchen, ihre persönlichen Animositäten zu vergessen und im Sinne der Dynastie zusammenzustehen. Die beiden Kaiserinnen übernehmen die Regentschaft, bis Otto mündig ist. Doch zunächst muss der Knabe von den Großen des Reichs als König anerkannt werden. Bereits zu Weihnachten, keine drei Wochen nach dem Tod Ottos II., wird der Knabe in Aachen als Otto III. zum König gekrönt. Adel und Klerus schwören dem Kind die Treue. Doch Heinrich von Baiern, der als der »Zänker« in die Geschichte eingeht, bringt das Kind als Geisel an sich. Dann lässt er sich selbst zum König ausrufen. Schwierige Verhandlungen sind nötig. In Rom wird unterdessen Johannes XIV. vom Gegenpapst Bonifaz ermordet. Als auch der stirbt, kommt Johannes XV. auf den Thron. Das Reich wird gleichermaßen an den Grenzen und im Innern auf die Zerreißprobe gestellt. Es ist nicht zuletzt Adelheids taktischem Geschick, ihrer Beharrlichkeit und ihrer Reputation zu verdanken, dass Heinrich endlich einlenkt und am 29. Juni 984 den kleinen König an Mutter und Großmutter übergibt.

Damit steht Adelheid zum zweiten Mal in ihrem Leben an der Spitze der Macht in einem Reich, das von der Nordsee bis Apulien und von Verdun bis zur Oder reicht. Sie wird von Zeitgenossen als »Mutter der Königreiche« gepriesen. Nach 986 jedoch tritt sie die Regentschaft an ihre Schwiegertochter ab und zieht sich in ihr Königreich Italien zurück. Hier, in der Hauptstadt Pavia, sorgt sie mit Umsicht und Fleiß, vom Volk geachtet und geliebt, für das Wohl ihres Landes. Dasselbe tut Theophanu im Norden. Trotzdem sie als Frau von vielen Adligen und Bischöfen beargwöhnt wird, gelingt es der Griechin, dem ottonischen Herrscherhaus die Macht zu wahren und Frieden im Reich zu halten. Sie reist im Land umher, spricht Recht, gründet eine eigene Kanzlei für Italien und verbessert die Verwaltung nach byzantinischem Vorbild. Die Spannungen zwischen ihr und Adelheid nehmen indes wieder zu. Theophanus Politik zielt darauf, Adelheids Einfluss zu schmälern. Doch Theophanu stirbt unerwartet am 15. Juni 991 in Nimwegen.

»Dann bin ich Elende allein noch übrig«

Otto III. ist zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt. Ein drittes Mal muss die bereits sechzigjährige Adelheid – für damalige Verhältnisse ein Greisenalter – der Staatsräson gehorchen und die Regentschaft übernehmen. Doch ist sie dieser Aufgabe nicht mehr recht gewachsen. Hielt Theophanu die Fäden der Politik und Macht geschickt in der Hand, entgleiten sie der alten Adelheid zunehmend. Drei Jahre lang verwaltet sie das Kaiserreich. Dann wird im September 994 der vierzehnjährige Otto für mündig erklärt, sodass sie sich endgültig zurückziehen kann. Zudem kommt es zum Zerwürfnis zwischen Großmutter und Enkel, was der Chronist Thietmar nur dunkel andeutet: »Adelheid blieb so lange mütterlich für ihn sorgend bei ihm, bis er selbst, verleitet durch die Eingebungen zügelloser Jünglinge, sie zu ihrer großen Betrübnis von sich wies.«

Wohl eher kopfschüttelnd mag Adelheid die Politik ihres Enkels verfolgt haben: Er lässt sich 996 von Papst Gregor V., einem Vetter, zum Kaiser krönen. Als der Pontifex maximus im Jahre 998 vom römischen Adel aus der Stadt vertrieben wird, zieht Otto nach Rom und wütet gnadenlos unter der Bevölkerung. 999 erhebt Otto den Gelehrten Gerbert von Aurillac, einen alten Vertrauten Adelheids, zum Papst. Davon erfährt die alte Kaiserin mit Genugtuung. Den frühen Tod des erst zweiundzwanzigjährigen Kaisers und Enkels im Jahre 1002 muss sie, die so viele hat sterben sehen, nicht mehr erleben. Gleichwohl, so Abt Odilo von Cluny, habe Adelheid, die die Kraft der Weissagung besessen habe, das frühe Ende Ottos III. in Italien prophezeit. Sie habe ausgerufen: »O Gott, was soll ich tun? Was soll ich sagen von unserm Herrn, meinem Enkel? Ich glaube, noch viele seines Gefolges werden in Italien umkommen, und nach ihnen, fürchte ich, auch der hochgesinnte Otto; dann bin ich Elende allein noch übrig, allen menschlichen Trostes beraubt; lass doch, o Herr, Du König in Ewigkeit, mich nicht einen so furchtbaren Verlust erleben!« Wenige Monate vor ihrem eigenen Tod verliert Adelheid am 6. Februar 999 noch ihre geliebte Tochter Mathilde, Äbtissin in Quedlinburg. Damit hat sie nicht nur ihren Mann überlebt, sondern auch ihre fünf Kinder.

Odilo von Cluny erinnert sich an seine letzte Begegnung mit der Kaiserin kurz vor ihrem Tod. Zu ihrem engen Vertrauten sagt sie: »O Sohn, gedenke meiner in deinen Betrachtungen und wisse, dass ich mit leiblichen Augen dich nicht mehr schauen werde!« Adelheid stirbt in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 999 in dem von ihr gegründeten Kloster Selz im Elsass, das drei Jahre zuvor eingeweiht worden ist.

Bereits zu Lebzeiten stand Adelheid im Rufe der Heiligkeit. Das lag nicht nur daran, dass sie Klöster und Kirchen gründete und förderte, reichlich Almosen verteilte und seherisch begabt war. Sie wandte sich in den letzten Lebensjahren auch gegen die gewaltsame Missionierung der Slawen. Das widerstrebte ihrem offenen, toleranten Geist. Vielmehr sollte die christliche Kultur vorbildhaft wirken, sodass heidnische Völker sich freiwillig zur Lehre Jesu Christi bekehrten. Eine geradezu revolutionäre Einstellung in einer Zeit, in der der Kampf mit dem Schwert als Gottesgericht betrachtet wurde.

Adelheid wurde in der Kirche des Klosters Selz bestattet. Ihr Grab entwickelte sich zur Wallfahrtsstätte. Bald war von Wunderheilungen die Rede. Bereits 1097, keine hundert Jahre nach Adelheids Tod, sprach eine Lateransynode die Kaiserin heilig. Im Jahre 1307 trat der Rhein über die Ufer und überschwemmte Selz. Die Mönche bauten das Kloster in der Nähe wieder auf. Es ist anzunehmen, dass sie die Gebeine Adelheids retteten und umbetteten. Die Grabstelle ist allerdings nicht bekannt. Das Elsass wurde im Laufe der Jahrhunderte zum kriegerischen Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland. Dass Adelheid, die »Mutter der Königreiche«, direkt an der Schnittstelle der lange verfeindeten und doch so nah verwandten Nationen begraben liegt, kann geradezu als Symbol gewertet werden. Die Erinnerung an sie und ihr Wirken mag auch heute noch als Mahnung gelten, Toleranz und Humanität zu üben.

2 Adele von Blois (um 1065–1138)

Die Frau hinter dem Ersten Kreuzzug

Clermont in der Auvergne, am 27. November 1095: Die Stadt ist in heller Aufregung. Papst Urban II. hat sich auf den beschwerlichen Weg von Mittelitalien nach Frankreich gemacht, um hier ein Konzil abzuhalten. Urban ist in tiefer Sorge. Ein Hilferuf aus Konstantinopel hat ihn erreicht. Der byzantinische Kaiser Alexios bittet um die Entsendung von Söldnern. Seit Jahrzehnten dringen die türkischen Seldschuken aus dem Inneren Asiens nach Westen vor. Sie stehen nur noch wenige Meilen vom Bosporus entfernt. Fällt aber Byzanz, so geht nicht nur die christliche Bastion im Osten verloren. Den muslimischen Eindringlingen stünde der Weg nach Mitteleuropa offen!

Der Papst hält eine Messe unter freiem Himmel, vor den Toren der Stadt. Zahlreiche Bürger und Adlige aus ganz Frankreich haben sich versammelt, darunter auch Graf Stephan von Blois und seine Frau Adele. Der Papst tritt an den Ambo und hält mit lauter Stimme eine flammende Predigt: »Die Türken haben mehr und mehr vom Land der Christen besetzt, diese besiegt und sie getötet und gefangen genommen. Sie haben Kirchen zerstört und Gottes Königreich verwüstet. Diese Angelegenheit betreffend, ermahne ich mit demütiger Bitte euch, die Herolde Christi, alle, von welcher Klasse auch immer, beide, Ritter und Fußvolk, danach zu streben, diese gottlose Rasse aus den christlichen Ländern zu verjagen, bevor es zu spät ist.«

Ein Raunen geht durch die Menge, das zu einem Geschrei anschwillt. Die Menschenmasse skandiert: »Deus vult! Deus vult!« Gott will es! Das wird die Losung des Ersten Kreuzzugs, der sich in allen christlichen Regionen des Abendlandes in den nächsten Wochen und Monaten formiert. Aus England und Frankreich, Spanien und Italien, Deutschland und Skandinavien finden sich adlige Ritter und einfache Fußsoldaten zusammen, Bürger und Bauern, Männer und Frauen, Alte und Junge, um an einem der größten Heereszüge der Menschheitsgeschichte teilzunehmen. Es gibt kaum eine Planung, kaum eine Logistik. Der religiöse Eifer reißt die Menschen mit sich.

Fünf Ritterheere machen sich noch im Winter auf den Weg nach Osten und Süden, die auch von Trossen aus einfachem Fußvolk, darunter viele unbewaffnete Bauern, ja selbst Frauen, begleitet werden. Eines dieser fünf Ritterheere, das nordfranzösische, wird von Graf Stephan von Blois angeführt. Vor allem seine Frau Adele hat ihn zu dieser Mission gedrängt. Sie gilt nicht nur als eine der schönsten Frauen Europas, sondern auch als machtbewusste Person. Adele hat ihren Ehrgeiz wohl von ihrem Vater geerbt: Der ist kein Geringerer als Wilhelm von der Normandie, »der Eroberer« genannt. Er hat im Jahre 1066 in der Schlacht bei Hastings die Engländer besiegt und sich selbst zum König ausgerufen.

Wilhelms Tochter Adele wird um 1065 geboren. Die Zeitgenossen sind von ihrer Schönheit und ihrer Bildung hingerissen. Hugo von Fleury, Autor einer Kirchengeschichte, widmet sein Werk der Gräfin: »Ich halte es für angemessen, hocherhabene Herrin, das Geschenk des hier vorliegenden Werkes Euer Gnaden in Ergebenheit zu widmen, da Ihr vielen hochgestellten Menschen unseres Zeitalters voranzustellen seid, sowohl was Euer allgemein bekanntes edles Wesen als auch Eure hervorragend untadelige Gesinnung betrifft; sodann weil Ihr literarisch gebildet seid, was einen besonderen Vorzug und hohen Grad an höfischer Bildung bedeutet.«

Deutlicher, aber auch zweideutig ist der Chronist Wilhelm von Malmesbury. Er schreibt über die Tochter Wilhelms des Eroberers: »Sie ist ein mannhaftes Weib von weltweit berühmter Kraft.« Im lateinischen Urtext steht an dieser Stelle das Wort »virago«. Übersetzt bedeutet es so viel wie »Mannweib«. Keine sehr schmeichelhafte Bewertung zu einer Zeit, da von Frauen Fügsamkeit erwartet wurde, genährt von einer Idealvorstellung, wie sie in der Jungfrau Maria verkörpert schien. Aber aus den Worten des Chronisten spricht eher Respekt denn Ablehnung. Adele lehrt mit ihrem eisernen Willen und ihrem Selbstbewusstsein bereits in jungen Jahren die Männerwelt das Fürchten. Sie ist als Tochter des englischen Königs ein begehrtes Objekt auf dem europäischen Heiratsmarkt. Doch sie hat eigene Vorstellungen von Ehe und Politik. Zunächst wirbt Simon Crispin, der Sohn des Grafen von Amiens, um sie. Die Verlobung wird jedoch sehr bald vom Bräutigam gelöst, der sich in ein Kloster zurückzieht. Was der Auslöser war, wissen wir nicht. Immerhin bleibt Simon Crispin ein grausames Schicksal auf dem Kreuzzug erspart.

Der zweite Anwärter ist Stephan, Graf von Blois, einer der reichsten und mächtigsten Männer Frankreichs. Der Heiratskontrakt wird rasch ausgehandelt. Die Ehe wird um das Jahr 1081 geschlossen, da ist Adele etwa sechzehn Jahre alt. Sie gebiert dem Grafen in den kommenden Jahren vier Söhne und eine Tochter.

Halbherziger Ritter und treuer Korrespondent

Dreißig Jahre ist Adele alt, als Papst Urban in Clermont zum Kreuzzug aufruft. Ihr Mann bricht erst recht spät und auf ihr Drängen hin, im Oktober 1096, mit seinen Kriegern auf. Er scheint es nicht eilig zu haben, ins Heilige Land zu kommen. Während andere Heerführer wie Balduin von Bouillon und der Normanne Tankred sogar behaupten, Jesus Christus sei ihnen erschienen und habe ihre Teilnahme befohlen, sind solch vollmundige Aussagen von Stephan nicht bekannt. Er bangt um sein Leben und macht vor seiner Abreise einer Abtei in seiner Heimat eine großzügige Schenkung, verbunden mit dem Wunsch: »Gott führe mich heil und gesund zurück. Und er möge über meine Frau Adele und unsere Kinder wachen.«

Die Kreuzritter ziehen gen Osten. Sie stimmen fromme Kampflieder an, ähnlich dem, das Walther von der Vogelweide später gedichtet hat: »Nun erst lebe ich mir würdig,/seit mein sündiges Auge/das hehre Land und auch die Erde sieht,/die man so vieler Ehren rühmt./Nun ist geschehen, worum ich immer bat:/ich bin an den Ort gekommen,/den Gott als Mensch betrat. […]«

Stephans Sorge um Adeles Wohl ist unberechtigt. In seiner Abwesenheit ergreift sie selbstbewusst die Zügel der Herrschaft. Ihrem Mann hat sie das Versprechen abgenommen, ihr regelmäßig brieflich über den Fortgang der Militärexpedition zu berichten. Während die Darstellungen der Chronisten recht gefärbt sind, besitzen wir in Stephans Briefen an Adele – zwei haben die Wirren der Jahrhunderte überstanden – ganz persönliche, unverstellte und einzigartige Dokumente.

Der Heereszug steht unter keinem guten Stern. Im italienischen Brindisi überwintern die Kreuzfahrer bis zum April 1097. Angeblich ist das Wetter zu schlecht für eine Überfahrt. Als sie am 5. April endlich die Anker lichten, bricht ein vollbeladenes Schiff unter der Last auseinander. Vierhundert Männer und Frauen ertrinken. Stephans Heer setzt dennoch über die Adria. Sie segeln nach Albanien, marschieren durch Makedonien und Bulgarien. Mitte Mai 1097 langen Stephan und seine Truppen als Letzte in der bedrohten Stadt Konstantinopel an. Die Heerführer leisten dem byzantinischen Kaiser Alexios den Eid, alle Städte und Länder, die sie den Muslimen entreißen, an Byzanz zurückzugeben. Ein Schwur, der später von den Kreuzfahrern nicht sonderlich ernst genommen wird.

Die vereinten Heere ziehen nun auf türkisches Gebiet. Sie belagern die befestigte Stadt Nicaea. Die seldschukische Garnison kapituliert schließlich. Stephan schreibt treu Briefe an die in Chartres wartende Adele. Aus der Anrede klingt tiefe Liebe und höfische Hochachtung: »Graf Stephan sendet an Gräfin Adele, seine allerliebste Freundin, seine Gemahlin, das Beste und Liebste, was sein Geist sich ausdenken kann!«

In der Euphorie des schnellen Sieges behauptet Stephan leichtfertig: »Ich versichere Dir, meine Liebe, dass wir von dem öfters erwähnten Nicaea nach Jerusalem in fünf Wochen gelangen werden, wenn uns Antiochia nicht aufhalten wird. Bleib gesund!«

Ein Spaziergang ins Heilige Land? Keineswegs. Bis zur Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter werden noch über zwei Jahre vergehen. Aber das wird ohne Stephan von Blois geschehen.

Der nämlich hat bald genug von dem militärischen Abenteuer. Der Heereszug mit Tross und Pilgeranhang schleppt sich quer durch Anatolien. Seldschukische Reiter und Bogenschützen greifen immer wieder aus dem Hinterhalt an und zermürben den Kampfgeist der Ritter. Hunger und Durst sind ständige Begleiter. In ihrer Verzweiflung essen die Kreuzfahrer Blätter, kochen Leder und trinken ihren eigenen Urin. Die Truppen sind demoralisiert. Türkische Zivilisten werden ohne Anlass gefoltert und niedergemetzelt, vereinzelt kommt es sogar zu Kannibalismus. Von solchen Auswüchsen freilich ist in Stephans Briefen an Adele nicht die Rede, auch nicht in den »offiziellen« Berichten der christlichen Chronisten.

Adele liest Stephans Briefe, die von berittenen Boten Tausende von Kilometern zugestellt werden, mit Neugier und Stolz. Sie ist von der Kreuzzugsidee begeistert und erhofft sich für Stephan und sich nicht nur eine himmlische Belohnung, sondern auch irdischen Reichtum, Macht und Ansehen. Darin ist die Gräfin unersättlich.

Ende der Leseprobe