Einmal Rupert und zurück - Douglas Adams - E-Book

Einmal Rupert und zurück E-Book

Douglas Adams

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Beschreibung

In einem Paralleluniversum wird Tricia McMillan von den grebulonischen Forschern auf den Planeten Rupert entführt. Die Grebulonier haben allesamt ihr Gedächtnis verloren und wissen nicht mehr, warum sie in das Sonnensystem der Erde aufgebrochen sind. Um ein Horoskop zu erstellen, das auch für Rupert gültig ist, schicken sie die intergalaktische Reporterin Trillian los. Gemeinsam mit Arthur Dent und Ford Prefect sausen sie kreuz und quer durchs Universum, wobei Arthur ohne sein Zutun Vater wird, Ford Elvis Presley ein rosafarbenes Raumschiff abkauft und Trillian den Grebuloniern ein Sonnensystem errichtet. Der fünfte Band der intergalaktischen Kult- Serie »Per Anhalter durch die Galaxis«.

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks des Autors

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

DOUGLAS ADAMS, geboren 1952 in Cambridge, war Autor von Romanen, Sachbüchern, Radiosendungen und TV-Serien. Die Idee zu seinem bekanntesten Werk, die Kult-Saga Per Anhalter durch die Galaxis, kam ihm, als er nach einem Kneipenbesuch in Innsbruck angetrunken auf einem Acker lag und in die Sterne schaute. Um die Verfilmung des Anhalters zu unterstützen, zog er 1999 mit seiner Familie nach Kalifornien, wo er 2001 überraschend starb. Zu seinem Gedenken findet jährlich am 25. Mai der sogenannte Handtuchtag statt.

ÜBER DAS BUCH

In einem Paralleluniversum wird Tricia McMillan von den grebulonischen Forschern auf den Planeten Rupert entführt. Die Grebulonier haben allesamt ihr Gedächtnis verloren und wissen nicht mehr, warum sie in das Sonnensystem der Erde aufgebrochen sind. Um ein Horoskop zu erstellen, das auch für Rupert gültig ist, schicken sie die intergalaktische Reporterin Trillian los. Gemeinsam mit Arthur Dent und Ford Prefect sausen sie kreuz und quer durchs Universum, wobei Arthur ohne sein Zutun Vater wird, Ford Elvis Presley ein rosafarbenes Raumschiff abkauft und Trillian den Grebuloniern ein Sonnensystem errichtet. Der fünfte Band der intergalaktischen Kult-Serie Per Anhalter durch die Galaxis.

»Es ist alles völliger Blödsinn, und es ist wunderbar.« New York Times

»Douglas Adams war viel mehr als ein lustiger Schriftsteller. Ein geistreicher Erforscher der Welt, ein Querdenker und ein Pionier der Computer-Ära.« Bayerischer Rundfunk

Für Ron

Mit aufrichtigem Dank anSue Freestone und Michael Bywaterfür ihre Unterstützung, ihre Hilfe undihre konstruktiven Beschimpfungen

Alles, was geschieht, geschieht.

Alles, was sich selbst im Zuge seines Geschehens erneut geschehen lässt, geschieht erneut.

Alles, was während seines Geschehens etwas anderes geschehen lässt, lässt etwas anderes geschehen.

Allerdings tut es das nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge.

1

Die galaktische Geschichte ist ein bisschen durcheinandergeraten, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen, weil diejenigen, die ihr auf der Spur zu bleiben versuchen, ein bisschen durcheinandergeraten sind, zum anderen aber auch, weil sich einiges an Durcheinander ereignet hat.

Eines der Probleme hat mit der Lichtgeschwindigkeit und den Schwierigkeiten zu tun, die sich bei dem Versuch ergeben, sie zu überschreiten. Was man nicht kann. Nichts bewegt sich schneller als das Licht, außer möglicherweise schlechte Nachrichten, die ihren eigenen, besonderen Gesetzen gehorchen. Die Scharniebaumler von Archentzwoofl Minor versuchten zwar, von schlechten Nachrichten angetriebene Raumschiffe zu bauen, aber die funktionierten nicht besonders gut und waren darüber hinaus, wo immer sie landeten, so extrem unwillkommen, dass es im Grunde völlig sinnlos war, sich überhaupt dort aufzuhalten.

So kam es, dass die Bewohner des Universums im Großen und Ganzen dazu neigten, schlaff in ihren regionalen Durcheinandern herumzusiechen, und dass die galaktische Geschichte für geraume Zeit überwiegend kosmologisch verlief.

Was nicht bedeuten soll, dass die Leute sich nicht bemüht hätten. Sie schickten Raumschiffflotten auf die Reise in weit entfernte Teile des Universums, um dort Kriege oder Geschäfte abzuwickeln, nur brauchten diese Flotten meist Jahrtausende, um tatsächlich irgendwo anzukommen. Und wenn sie dann endlich ankamen, waren andere Formen des Reisens entdeckt worden, Formen, die den Hyperraum nutzten, um die Lichtgeschwindigkeit auszutricksen, sodass sich all die Schlachten, in die die langsamer als das Licht fliegenden Flotten geschickt worden waren, bereits Jahrhunderte vor deren Ankunft erledigt hatten.

Was natürlich nichts an der Bereitschaft der jeweiligen Besatzungen änderte, sich in die Schlacht zu stürzen. Sie waren ausgebildet, sie waren willens, sie hatten ein paar Tausend Jahre lang gut geschlafen, sie waren von weit her gekommen, um harte Arbeit zu leisten, und das wollten sie – bei Zarquon – auch tun.

Damit begannen die ersten größeren Durcheinander in der galaktischen Geschichte mit Schlachten, die ständig wieder von vorn ausbrachen, obwohl man die Streitigkeiten, die zu ihrem Ausbruch geführt hatten, schon Jahrhunderte zuvor beigelegt zu haben glaubte. Allerdings waren diese Durcheinander gar nichts im Vergleich zu denen, die die Historiker entwirren mussten, nachdem man das Zeitreisen entdeckt hatte und Schlachten plötzlich schon einige Jahrhunderte vor Entdeckung der sie auslösenden Streitigkeiten ausbrachen. Als schließlich der Unendliche Unwahrscheinlichkeitsdrive in Mode kam und ganze Planeten anfingen, sich plötzlich und unerwartet in Bananenkuchen zu verwandeln, strich die historische Fakultät der Universität von Maximegalon endgültig die Segel, löste sich freiwillig auf und trat ihre Gebäude an die stetig wachsende Gemeinschaftsfakultät für Theologie und Wasserball ab, die schon seit Jahren scharf darauf gewesen war.

Gegen all das ist selbstverständlich nichts einzuwenden, nur bedeutet es, dass höchstwahrscheinlich niemand je herausfinden wird, woher zum Beispiel die Grebulonier kamen oder was genau sie eigentlich wollten. Und das ist schade, weil, hätte irgendjemand etwas über sie gewusst, eine wirklich grauenhafte Katastrophe durchaus hätte vermieden werden können – oder zumindest einen anderen Weg hätte finden müssen, um einzutreten.

Klick, summ.

Das große, graue grebulonische Aufklärungsschiff bewegte sich lautlos durch die schwarze Leere. Trotz seiner unglaublichen, atemberaubenden Reisegeschwindigkeit schien es sich vor dem glitzernden Hintergrund aus Milliarden weit entfernter Sterne überhaupt nicht zu bewegen. Es war bloß ein einzelner dunkler Fleck, wie erstarrt vor der unendlich feinen Körnung einer leuchtenden Nacht.

An Bord des Schiffes war alles, wie seit Jahrtausenden, tiefdunkel und still.

Klick, summ.

Wenigstens fast alles. Klick, klick, summ.

Klick, summ, klick, summ, klick, summ.

Klick, klick, klick, klick, klick, summ.

Hmmm.

Tief im schlummernden Kypernetikhirn des Schiffes weckte ein Überwachungsprogramm der untersten Befehlsebene ein Überwachungsprogramm einer geringfügig höheren Befehlsebene und teilte ihm mit, auf all sein Klicken folge lediglich ein Summen.

Das Überwachungsprogramm der höheren Ebene fragte zurück, was denn normalerweise folgen müsse, worauf das Überwachungsprogramm der untersten Ebene antwortete, es erinnere sich nicht, was genau folgen sollte, meine jedoch, es müsse eher eine Art entferntes, zufriedenes Seufzen sein. Es wisse nicht, was dieses Summen bedeute. Klick, summ, klick, summ. Das sei alles.

Das Überwachungsprogramm der höheren Ebene bedachte dies gründlich und kam zu dem Schluss, dass es ihm nicht gefiel. Es fragte das Überwachungsprogramm der untersten Ebene, was genau es eigentlich überwache, und das Überwachungsprogramm der untersten Ebene antwortete, auch daran könne es sich leider nicht erinnern, bloß daran, dass es etwas sei, das ungefähr alle zehn Jahre klick, seufz mache, was normalerweise auch einwandfrei funktioniere. Es habe versucht, sein Fehlerverzeichnis zu konsultieren, dies jedoch nicht finden können und deshalb das Überwachungsprogramm der höheren Ebene von dem Problem in Kenntnis gesetzt.

Das Überwachungsprogramm der höheren Ebene beschloss, sein eigenes Fehlerverzeichnis zu konsultieren, um herauszufinden, was das Überwachungsprogramm der untersten Ebene eigentlich überwachen sollte.

Es konnte sein Fehlerverzeichnis nicht finden.

Merkwürdig.

Es sah noch einmal nach. Alles, was es als Antwort erhielt, war eine Fehlermeldung. Es versuchte, die Fehlermeldung in seinem Fehlermeldungsverzeichnis nachzuschlagen, und konnte auch das nicht finden. Großzügig ließ es einige Nanosekunden verstreichen, um alles noch einmal zu durchdenken. Dann weckte es die Sektorenfunktionsüberwachung.

Die Sektorenfunktionsüberwachung stieß unverzüglich auf Schwierigkeiten und benachrichtigte ihren Überwachungskoordinator, der ebenfalls unverzüglich auf Schwierigkeiten stieß. Komplette Schaltkreise, die teils seit Jahren, teils seit Jahrzehnten geruht hatten, erwachten binnen weniger Millionstelsekunden überall im Schiff flackernd zum Leben. Irgendetwas war irgendwo fürchterlich schiefgegangen, aber keines der Überwachungsprogramme konnte sagen, worum es sich handelte. Auf jeder Ebene fehlten lebenswichtige Anweisungen, und auch die Anweisungen für den Fall, dass man feststellte, dass lebenswichtige Anweisungen fehlten, fehlten.

Kleine Softwaremodule – Agenten – rauschten angespannt über logische Pfade, gruppierten sich, berieten sich und gruppierten sich neu. Binnen kürzester Zeit wiesen sie nach, dass sämtliche Speichereinheiten des Schiffes bis hinauf zum zentralen Missionsmodul im Eimer waren. Auch mithilfe ausgedehntester Speicherabfragen ließ sich nicht herausfinden, was passiert war. Sogar das zentrale Missionsmodul selbst schien beschädigt.

Damit lag die Lösung des Problems auf der Hand. Das zentrale Missionsmodul musste ausgetauscht werden. Es gab ein weiteres Exemplar, ein Backup, ein exaktes Duplikat des Originals. Der Austausch musste manuell vorgenommen werden, denn aus Sicherheitsgründen bestand nicht die geringste Verbindung zwischen dem Original und seinem Backup. Und sobald das zentrale Missionsmodul erst einmal ausgetauscht war, würde es selbst die detaillierte Rekonstruktion des restlichen Systems überwachen können, und damit wäre dann alles wieder gut.

Roboter wurden angewiesen, das Backup des zentralen Missionsmoduls aus der massiven Stahlkammer, in der sie es bewachten, zur Installation in die Logikkammer des Schiffes zu bringen.

Dies erforderte einen langwierigen Austausch von Notfallcodes und Protokollen, da die Roboter die Agenten verhören mussten, um sich zu vergewissern, dass deren Instruktionen authentisch waren. Nach langem Hin und Her gaben sich die Roboter aber schließlich zufrieden und betrachteten alle Voraussetzungen als erfüllt. Sie entfernten die Lagerumhüllung des zentralen Missionsmoduls, trugen es aus der Lagerkammer, fielen aus dem Schiff und trudelten in den leeren Raum.

Das lieferte den ersten entscheidenden Hinweis darauf, was genau nicht stimmte.

Weitere Untersuchungen brachten zügig zutage, was geschehen war. Ein Meteorit hatte ein großes Loch in das Schiff geschlagen. Was vom Schiff bisher nicht registriert worden war, weil der Meteorit haargenau jenen Teil aus der Prozesssteuerungsvorrichtung des Schiffes herausgeschlagen hatte, der registrieren sollte, ob das Schiff von einem Meteoriten getroffen worden war.

Zuerst musste versucht werden, das Loch wieder abzudichten. Was sich als unmöglich erwies, weil die Sensoren des Schiffes kein Loch feststellen konnten und die Überwachungsprogramme, die hätten feststellen können, dass die Sensoren nicht richtig funktionierten, selbst nicht richtig funktionierten und darauf beharrten, die Sensoren seien in Ordnung. Das Schiff konnte das Vorhandensein des Lochs lediglich aus dem Umstand ableiten, dass die Roboter eindeutig durch es hinausgefallen waren, wobei sie das Ersatzhirn, mit dem das Schiff das Loch hätte feststellen können, mitgenommen hatten.

Das Schiff versuchte, die Sache vernünftig zu durchdenken, scheiterte und schaltete daraufhin erst einmal alles für einige Zeit auf null. Dass es alles auf null geschaltet hatte, bemerkte es natürlich nicht, da es alles auf null geschaltet hatte. Es war bloß ziemlich überrascht, die Sterne um sich herumhüpfen zu sehen. Nachdem die Sterne zum dritten Mal um es herumgehüpft waren, begriff das Schiff endlich, dass es offenbar alles auf null geschaltet hatte und dass die Zeit gekommen war, einige schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Es entspannte sich.

Dann begriff es, dass es die schwerwiegenden Entscheidungen noch nicht getroffen hatte, und wurde panisch. Erneut schaltete es alles für einige Zeit auf null. Als es schließlich wieder zu sich kam, schloss es sämtliche Sicherheitsschotten in jenem Bereich, in dem das nicht erkennbare Loch sein musste.

Es hatte seinen Bestimmungsort ganz eindeutig noch nicht erreicht, dachte es unruhig, aber da es nun nicht einmal mehr den blassesten Schimmer hatte, wo dieser Bestimmungsort überhaupt lag und wie man ihn erreichte, erschien es ihm wenig sinnvoll, die Reise fortzusetzen. Es zog die winzigen Befehlsschnipsel zurate, die es aus den Trümmern seines zentralen Missionsmoduls rekonstruieren konnte.

»Deine !!!!! !!!!! !!!!! Jahresmission ist es, !!!!! !!!!! !!!!!, !!!!!, !!!!! !!!!! !!!!! !!!!!, in sicherer Entfernung !!!!! !!!!! landen !!!!! !!!!! !!!!! zu überwachen. !!!!! !!!!! !!!!! …«

Der Rest war völliger Schrott.

Bevor es endgültig abschaltete, würde das Schiff diese Instruktionen, so weit man sie so nennen konnte, an seine primitiveren Unterstützungssysteme weitergeben müssen. Außerdem musste es seine Besatzung wiederbeleben.

Damit ergab sich ein weiteres Problem. Während des Tiefschlafs war das Bewusstsein der Besatzungsmitglieder, ihre Erinnerung, ihre Identität und ihr Wissen um das, weswegen sie unterwegs waren, zur Sicherheit in das zentrale Missionsmodul des Schiffes übertragen worden. Die Besatzungsmitglieder hätten also nicht den blassesten Schimmer, wer sie waren und weshalb sie waren, wo sie waren. Na toll.

Kurz bevor das Schiff dann tatsächlich endgültig abschaltete, bemerkte es noch, dass auch seine Triebwerke im Begriff waren, den Geist aufzugeben.

Das Schiff und seine wiederbelebte, verwirrte Besatzung trieben weiter, kontrolliert von automatischen Unterstützungssystemen, die lediglich daran interessiert waren, irgendwo zu landen, wo man landen konnte, und zu beobachten, was immer sich zum Beobachten fand.

Was eine Gelegenheit zum Landen betraf, hatten sie kein besonderes Glück. Der Planet, den sie entdeckten, war trostlos kalt und unbewohnt und so schmerzhaft weit von der Sonne entfernt, die ihn hätte wärmen sollen, dass es ihnen nur unter Einsatz sämtlicher mitgeführter Envir-O-Form-Apparaturen und Life-Support-O-Systeme gelang, seine Bewohnbarkeit – oder wenigstens die genügend großer Teile seiner Oberfläche – zu gewährleisten. Näher an der Sonne lagen bessere Planeten, aber da der Strateg-O-Mat des Schiffes offenbar auf Lauer-Modus eingestellt war, hatte er den entferntesten, unauffälligsten Planeten gewählt und hätte sich auch von niemand anderem als dem strategischen Oberbefehlshaber des Schiffes von seiner Moduswahl abbringen lassen. Da jedoch sämtliche Besatzungsmitglieder den Verstand verloren hatten, wusste niemand, wer der strategische Oberbefehlshaber des Schiffes war, oder, selbst wenn man ihn hätte identifizieren können, wie er hätte vorgehen müssen, um den Strateg-O-Mat des Schiffes von irgendetwas abzubringen.

Was das Entdecken von etwas betraf, das man überwachen konnte, stießen sie allerdings auf eine Goldgrube.

2

Was das Leben besonders bemerkenswert macht, sind die Orte, die es mit sich zu erfüllen versteht. Überall findet es irgendeinen Halt, ob in den berauschenden Meeren von Santraginus V, wo es den Fischen grundsätzlich ziemlich schnurz zu sein scheint, in welche Richtung sie gerade schwimmen, ob in den Feuerstürmen von Frastra, wo das Leben angeblich erst mit vierzigtausend Grad anfängt, oder indem es aus nacktem, unverfälschtem Scheiß-egal-Gefühl in den hintersten Eingeweiden einer Ratte wühlt – das Leben findet immer einen Weg, sich irgendwo festzusetzen.

Sogar in New York, obwohl das so gut wie unbegreiflich ist. Im Winter fällt die Temperatur dort deutlich unter das erlaubte Minimum, oder besser würde die Temperatur darunter fallen, hätte irgendwer gesunden Menschenverstand genug, ein solches erlaubtes Minimum festzusetzen. Als zuletzt jemand eine Liste der hervorstechendsten hundert Charaktereigenschaften der New Yorker erstellen ließ, krabbelte der gesunde Menschenverstand auf Platz 79 ins Ziel.

Im Sommer hingegen herrscht eine wahre Bullenhitze. Was schön und gut für eine bei Hitze aufblühende Lebensform ist, die, wie zum Beispiel die Frastraner, eine Temperatur von zwischen 40000 und 40004 Grad als äußerst angenehm empfindet, aber absolut nicht schön oder gut für Lebewesen, die sich an einem Punkt des Planetenumlaufs in die Häute anderer Lebewesen wickeln müssen, um dann, einen halben Umlauf später, festzustellen, dass die eigene Haut Blasen wirft.

Der Frühling wird überbewertet. Etliche New Yorker machen zwar ein Riesengeschrei um die Freuden des Frühlings, aber wenn sie auch nur einen schwachen Dunst von diesen Freuden hätten, wüssten sie mindestens fünftausendneunhundertdreiundachtzig Orte, an denen man den Frühling besser verbringt als in New York, und dabei handelt es sich lediglich um Orte auf dem gleichen Längengrad.

Am schlimmsten ist allerdings der Herbst. Nur wenig ist schlimmer als ein Herbst in New York. Ein paar der Dinge, die in den hintersten Eingeweiden einer Ratte leben, wären da zwar anderer Meinung, aber da die Mehrzahl der Dinge, die in den hintersten Eingeweiden einer Ratte leben, sowieso ausgesprochen widerlich sind, kann und sollte ihre Auffassung unberücksichtigt bleiben. Wenn in New York der Herbst Einzug hält, riecht die Luft, als habe jemand Ziegen darin gebraten, und falls man Wert darauf legt zu atmen, reißt man am besten ein Fenster auf und steckt den Kopf in ein Gebäude.

Tricia McMillan liebte New York. Das sagte sie sich immer und immer wieder. Die Upper West Side. Yeah. Midtown. Hey, tolle Geschäfte. SoHo. Das East Village. Klamotten. Bücher. Sushi. Italiener. Delis. Yo.

Filme. Noch mal yo. Tricia hatte sich gerade Woody Allens neuen Film angesehen, der durchgehend von der Angst handelte, in New York neurotisch zu werden. Er hatte noch zwei, drei andere Filme gedreht, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigten, und Tricia fragte sich, weshalb er nicht einfach umzog, hatte jedoch gehört, dass er sich strikt weigerte, über so etwas auch nur nachzudenken. Also schwanten ihr weitere Filme.

Tricia liebte New York, weil es ein guter Karrierezug war, New York zu lieben. Es war ein guter Einkaufs-Zug, ein guter Cuisine-Zug, kein guter Taxi-Zug oder Gute-Gehwegsqualität-Zug, aber definitiv ein Karrierezug der höchsten und besten Kategorie. Tricia war Nachrichtenmoderatorin beim Fernsehen, und New York war jene Stadt auf der Welt, in der die meisten Fernsehsendungen moderiert wurden. Bisher hatten sich Tricias Moderationen auf das englische Fernsehen beschränkt: Regionalnachrichten, dann Frühstücksfernsehen, Vormittagsnachrichten. Wäre es sprachlich nicht so unschön, hätte man sie durchaus als angesagte Ansagerin bezeichnen können, aber … he, wir reden vom Fernsehen, wen kümmern da sprachliche Feinheiten? Sie war eine schwer angesagte Ansagerin. Sie verfügte über alles Erforderliche: herrliche Haare, profunde Kenntnisse im strategisch geschickten Auftragen von Lipgloss, die zum Verstehen der Welt erforderliche Intelligenz und eine tief und gründlich in ihrem Innersten verborgene Leblosigkeit, was bedeutete, dass ihr letztlich alles egal war. Für jeden Menschen kommt irgendwann im Leben die große Gelegenheit. Verpasst man zufällig gerade die, auf die es einem ankommt, wird anschließend praktisch alles andere schauderhaft simpel.

Tricia hatte bisher nur ein einziges Mal eine Gelegenheit verpasst. Sie dachte immer noch manchmal darüber nach, aber im Gegensatz zu früher ließ sie das in letzter Zeit nicht mal mehr erschaudern. Sie vermutete, dass genau dieser Teil ihrer selbst gestorben war.

NBS suchte eine neue Moderatorin. Mo Minetti kehrte der US/AM-Frühstückssendung den Rücken, weil sie ein Baby bekam. Man hatte ihr einen hirnerweichenden Betrag dafür geboten, das Kind während der Sendung zu bekommen, aber das hatte sie – unerwartet – aus Gründen der Privatsphäre und des guten Geschmacks abgelehnt. Horden von NBS-Anwälten hatten daraufhin ihren Vertrag auseinandergenommen, um festzustellen, ob das berechtigte Gründe waren, sie jedoch schließlich, wenn auch widerstrebend, gehen lassen müssen. Was für die Anwälte vor allem deswegen besonders ärgerlich war, weil die Dinge normalerweise vollkommen anders lagen, wenn man sich der Formulierung »Wir lassen sie/ihn nur widerstrebend gehen« bediente.

Überlegungen wurden laut, dass vielleicht, nur vielleicht, ein britischer Akzent angebracht wäre. Haare, Hautfarbe, Kronen- und Brückenausführung müssten natürlich dem amerikanischen Network-Standard entsprechen, aber man hatte schon eine Menge britischer Akzente bei irgendwelchen Oscarverleihungen ihren Müttern danken hören, eine Menge britischer Akzente sang am Broadway, und ungewöhnlich große Zuschauermengen standen vor dem Masterpiece Theater Schlange und stellten sich auf britische Akzente mit Perücken ein. Britische Akzente erzählten Witze bei David Letterman und Jay Leno. Die Witze selbst verstand zwar niemand, aber der Akzent gefiel allen sehr, also war es vielleicht an der Zeit, nur vielleicht. Ein britischer Akzent bei US/AM. Nicht zu fassen.

Deshalb war Tricia hier. Und deshalb war es ein guter Karrierezug, New York zu lieben.

Aber der offizielle Grund war das natürlich nicht. Der Fernsehsender, der sie auf der anderen Atlantikseite beschäftigte, hätte wohl kaum das Flugticket und die Hotelrechnung berappt, um ihr die Jobsuche in Manhattan zu erleichtern. Da sie hinter dem ungefähr Zehnfachen ihres derzeitigen Gehalts her war, hätten ihre Arbeitgeber der Meinung sein können, sie solle sich ihre Spesen gefälligst selbst erstatten, aber Tricia hatte eine Geschichte gefunden, einen Vorwand, hatte sich über alle Hintergründe in Schweigen gehüllt, und so hatte der Sender bezahlt. Nur ein Business-Class-Ticket, klar, aber mithilfe ihres bekannten Gesichts war es ihr gelungen, sich auf die besseren Plätze hochzulächeln. Weitere geschickte Züge hatten ihr ein nettes Zimmer im Brentwood-Hotel verschafft, und nun überlegte sie, was sie als Nächstes tun sollte.

Das allgemeine Gerede war eine Sache, einen Kontakt herzustellen eine andere. Sie hatte ein paar Nummern, ein paar Namen, aber wenn diese paar sie vertrösteten, stand sie wieder am Anfang. Sie hatte ihre Fühler ausgestreckt, Nachrichten hinterlassen, aber bisher hatte noch niemand zurückgerufen. Die Arbeit, wegen der sie offiziell hergekommen war, war an einem Morgen zu erledigen gewesen, die Arbeit, von der sie träumte, war bisher nur ein verlockendes Schimmern an einem unerreichbaren Horizont.

Scheiße.

Vom Kino zurück zum Brentwood nahm sie sich ein Taxi. Das Taxi konnte nicht bis an den Bordstein fahren, weil eine große Stretch-Limousine allen verfügbaren Platz in Beschlag nahm. Tricia quetschte sich an ihr vorbei und trat aus der stinkenden Ziegenbratluft in die gesegnete Kühle der Empfangshalle. Die Bluse aus feiner Baumwolle klebte ihr auf der Haut wie Ruß. Ihre Haare fühlten sich an, als hätte sie sie auf dem Rummel gekauft, und zwar am Stiel. An der Rezeption fragte sie, ob irgendwelche Mitteilungen für sie da wären, ohne ernsthaft welche zu erwarten. Es war eine da. Oh …

Gut.

Es hatte funktioniert. Sie war extra ins Kino gegangen, um das Telefon zum Klingeln zu bringen. Sie hielt es nicht aus, in einem Hotelzimmer zu sitzen und zu warten.

Sie war unentschlossen. Sollte sie den Umschlag gleich hier unten öffnen? Ihre Sachen juckten, und sie sehnte sich danach, sie auszuziehen und sich auf ihr Bett fallen zu lassen. Sie hatte die Klimaanlage auf die niedrigste Temperatur eingestellt und die Ventilation voll aufgedreht. Was sie sich in diesem Augenblick mehr als alles andere auf der Welt wünschte, war eine Gänsehaut. Dann eine heiße Dusche, dann eine kalte, dann, wieder auf dem Bett, auf einem Handtuch liegen und sich von der Klimaanlage trocknen lassen. Und dann die Nachricht lesen. Vielleicht noch eine Gänsehaut. Vielleicht alles Mögliche.

Nein. Was sie sich mehr als alles andere auf der Welt wünschte, war ein Job beim amerikanischen Fernsehen, für den sie das Zehnfache ihres derzeitigen Gehaltes bekäme. Mehr als alles andere auf der Welt. Auf der Welt. Was sie sich mehr als alles andere überhaupt und überall wünschte, waren keine Live-Berichte mehr.

Sie setzte sich in einen halb von einer Kentiapalme verdeckten Sessel in der Empfangshalle und öffnete den kleinen Umschlag mit dem Klarsichtfenster.

»Bitte rufen Sie mich an«, stand auf dem Zettel. »Nicht glücklich«, und darunter eine Nummer. Der Name lautete Gail Andrews.

Gail Andrews.

Das war keiner der Namen, mit denen sie gerechnet hatte. Das war einer, den sie absolut nicht unterbringen konnte. Sie kannte ihn, wusste aber nicht gleich, woher. War das Andy Martins Sekretärin? Die Assistentin von Hilary Bass? Martin und Bass waren zwei der wichtigsten Kontakte, die sie bei NBS angerufen hatte, oder besser anzurufen versucht hatte. Und was sollte »Nicht glücklich« bedeuten?

»Nicht glücklich?«

Sie war völlig verwirrt. Versuchte etwa dieser Woody Allen unter falschem Namen mit ihr Kontakt aufzunehmen? Die Vorwahl war 212. Also war es jemand aus New York. Na, wenn das die Auswahl nicht einengte …

Sie ging zurück zur Rezeption.

»Ich habe ein kleines Problem mit der Nachricht, die Sie mir gegeben haben«, sagte sie. »Eine Frau, die ich nicht kenne, hat versucht mich anzurufen und lässt mir ausrichten, sie sei nicht glücklich.«

Der Empfangschef starrte mit gerunzelter Stirn den Zettel an.

»Kennen Sie die Dame?«

»Nein«, sagte Tricia.

»Hmmm«, sagte der Empfangschef. »Klingt, als sei sie wegen irgendwas unglücklich.«

»Ja«, sagte Tricia.

»Aber das hier unten scheint doch ein Name zu sein«, sagte der Empfangschef. »Gail Andrews. Kennen Sie jemanden, der so heißt?«

»Nein«, sagte Tricia.

»Irgendeine Idee, weswegen sie unglücklich sein könnte?«

»Nein«, sagte Tricia.

»Haben Sie die Nummer mal angerufen? Da steht eine Nummer drauf.«

»Nein«, sagte Tricia, »Sie haben mir die Nachricht ja eben erst gegeben. Ich will lediglich etwas mehr herauskriegen, bevor ich zurückrufe. Könnte ich vielleicht mit demjenigen sprechen, der den Anruf entgegengenommen hat?«

»Hmmm«, sagte der Empfangschef und musterte die Nachricht sorgfältig. »Soweit ich weiß, arbeitet hier niemand namens Gail Andrews.«

»Nein. Das ist mir schon klar«, sagte Tricia. »Ich wollte nur …«

»Ich bin Gail Andrews.«

Die Stimme kam von hinten. Tricia drehte sich um.

»Wie bitte?«

»Ich bin Gail Andrews. Sie haben mich heute Morgen interviewt.«

»Oh. Oh, lieber Himmel, ja«, sagte Tricia irritiert.

»Die Nachricht habe ich Ihnen schon vor ein paar Stunden hinterlassen. Und da Sie sich nicht gemeldet haben, bin ich persönlich hergekommen. Ich wollte Sie nicht verpassen.«

»Oh. Nein. Natürlich nicht«, sagte Tricia, bemüht, das Ganze möglichst schnell auf die Reihe zu kriegen.

»Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen«, sagte der Empfangschef, für den Schnelligkeit offenbar kein Thema war. »Soll ich die Nummer für Sie anrufen oder nicht?«

»Nein, nicht mehr nötig, danke«, sagte Tricia. »Ich komme schon klar.«

»Ich kann auch die Zimmernummer für Sie anrufen«, sagte der Empfangschef und starrte wieder auf die Nachricht.

»Nein, danke, wirklich. Schon gut«, sagte Tricia. »Das ist meine eigene Nummer. Die Nachricht war für mich. Wir haben das inzwischen geklärt, denke ich.«

»Fein. Dann weiterhin einen angenehmen Tag«, sagte der Empfangschef. Tricia legte keinen besonderen Wert auf einen angenehmen Tag. Sie hatte zu tun.

Genauso wenig Wert legte sie auf ein Gespräch mit Gail Andrews. Auf Verbrüderungen mit Christenmenschen ließ sie sich grundsätzlich nicht ein. Ihre Kollegen bezeichneten Tricias Interviewobjekte als Christenmenschen und bekreuzigten sich ziemlich häufig, wenn sie eines dieser Objekte auf dem Weg zu Tricia unschuldig durchs Studio wandern sahen, bevorzugt, wenn Tricia gütig lächelte und die Zähne zeigte.

Sie drehte sich um, lächelte unterkühlt und suchte angestrengt nach einem Ausweg.

Gail Andrews war eine sehr gepflegte Frau Mitte vierzig. Ihre Kleidungsstücke bewegten sich im Rahmen des guten, kostspieligen Geschmacks, schmiegten sich jedoch eindeutig an dessen flottere Seite. Sie war Astrologin, eine berühmte und, sofern man den kursierenden Gerüchten trauen durfte, einflussreiche Frau, die angeblich etliche Entscheidungen des verstorbenen Präsidenten Hudson beeinflusst hatte, angefangen damit, an welchem Tag der Woche der Präsident welchen Sahnejoghurtgeschmack vorgesetzt bekam, bis hin zur Entscheidung, ob er Damaskus bombardieren lassen sollte oder nicht.

Tricia hatte ihr mehr als übel mitgespielt. Nicht hinsichtlich der Frage, ob die Geschichten über den Präsidenten zutrafen oder nicht; das war mittlerweile Schnee von gestern.

Seinerzeit hatte Miss Andrews ausdrücklich bestritten, Präsident Hudson in anderer als persönlicher, geistiger oder ernährungstechnischer Hinsicht beraten zu haben, was die Bombardierung von Damaskus offenkundig nicht einschloss. (»NICHT PERSÖNLICH GEMEINT, DAMASKUS!«, hatte die Boulevardpresse damals gejohlt.)

Nein, Tricia hatte sich auf einen klar abgegrenzten Gesichtspunkt der Astrologie selbst konzentriert. Etwas, worauf Miss Andrews ganz und gar nicht vorbereitet gewesen war. Ihrerseits war nun aber auch Tricia ganz und gar nicht vorbereitet auf einen Rückkampf in der Hotelhalle. Was tun?

»Ich kann an der Bar auf Sie warten, falls Sie ein paar Minuten brauchen«, sagte Gail Andrews. »Nur würde ich gern noch mit Ihnen reden, bevor ich die Stadt heute Abend verlasse.«

Sie wirkte weniger gekränkt oder gar zornig, sondern eher ein bisschen beunruhigt.

»Gut«, sagte Tricia. »Geben Sie mir zehn Minuten.«

Sie ging hinauf auf ihr Zimmer. Von allem anderen mal abgesehen, hatte sie so wenig Zutrauen in die Fähigkeiten des Burschen an der Rezeption, mit etwas so Kompliziertem wie einer Nachricht fertig zu werden, dass sie sich vergewissern musste, ob nicht vielleicht ein weiterer Umschlag unter ihrer Tür steckte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sich Nachrichten an der Rezeption und Nachrichten unter der Tür hundertprozentig widersprachen.

Es war keine da. Dafür blinkte das Benachrichtigungslämpchen an ihrem Telefon.

Sie drückte auf den entsprechenden Knopf und wurde mit der Hotelvermittlung verbunden.

»Ich habe eine Nachricht für Sie«, sagte die Telefonistin.

»Von Gary Andress.«

»Ja?«, sagte Tricia. Den Namen hatte sie noch nie gehört.

»Und was?«

»Wicht glücklich.«

»Wer ist glücklich?«

»Wicht. Wie’s hier steht. Der Mann sagt, sein Wicht sei glücklich. Wollte anscheinend, dass Sie das wissen. Soll ich Ihnen die Nummer geben?«

Als sie die Nummer zu diktieren begann, begriff Tricia plötzlich, dass es sich bei der Nachricht lediglich um eine entstellte Version jener handelte, die sie bereits erhalten hatte.

»Schon gut«, sagte sie. »Sonst noch irgendwelche Mitteilungen für mich?«

»Zimmernummer?«

Tricia teilte sie der Telefonistin mit, obwohl ihr völlig schleierhaft war, weshalb sie in diesem Stadium des Gesprächs plötzlich danach fragte.

»Name?«

»McMillan, Tricia McMillan«, buchstabierte Tricia geduldig.

»Nicht Mister MacManus?«

»Nein.«

»Sonst nichts mehr für Sie.« Klick.

Tricia seufzte und wählte erneut. Kaltschnäuzig wiederholte sie ihren Namen und ihre Zimmernummer. Der Telefonistin kam offenbar nicht mal der Schatten eines Verdachts, dass sie erst vor Sekunden miteinander gesprochen hatten.

»Ich gehe in die Bar«, erklärte Tricia ihr. »In die Bar. Geben Sie mir bitte Bescheid, falls jemand für mich anruft?«

»Name?«

Sie gingen das Ganze noch ein paar Mal durch, bis Tricia sicher war, dass alles, was eventuell hätte unklar gewesen sein können, so klar wie irgend möglich war.

Sie duschte, zog sich um, frischte ihr Make-up mit professioneller Geschwindigkeit auf, warf ihrem Bett einen letzten Blick zu und verließ seufzend das Zimmer.

Sie spielte kurz mit dem Gedanken, einfach abzuhauen und sich zu verstecken.

Nein. Nicht im Ernst.

Während sie vor den Fahrstühlen wartete, betrachtete sie sich im Spiegel. Sie wirkte kühl und beherrscht, und wenn sie sich selbst etwas vormachen konnte, konnte sie jedem etwas vormachen.

Sie würde die Sache eben mit Gail Andrews ausfechten müssen. Gut, sie hatte ihr das Leben sauer gemacht. Verzeihung, aber so läuft das Spiel nun mal, etwas in der Art. Miss Andrews hatte sich einverstanden erklärt, interviewt zu werden, weil ein neues Buch von ihr erschienen war und dessen Besprechung kostenlose Werbung bedeutete. Aber so was wie kostenlose Starthilfe gibt es nicht. Nein, die Zeile schnitt sie gleich wieder heraus.

Geschehen war Folgendes: Eine Woche zuvor hatten Astronomen bekannt gegeben, es sei ihnen gelungen, jenseits des Pluto einen zehnten Planeten zu entdecken. Sie hatten jahrelang danach gesucht, geleitet von bestimmten Unregelmäßigkeiten in den Umlaufbahnen der äußeren Planeten, und waren nun, da sie ihn gefunden hatten, alle schrecklich glücklich, und alle freuten sich ganz schrecklich mit ihnen und so weiter. Der Planet wurde Persephone getauft, allerdings umgehend mit dem Spitznamen Rupert versehen, weil der Papagei eines der Astronomen so hieß – womit sich eine ermüdend rührende Geschichte verband –, und all das war wirklich ganz wunderbar und reizend.

Tricia hatte die Geschichte aus mehreren Gründen mit beträchtlichem Interesse verfolgt.

Als sie sich dann nach einer guten Ausrede umgesehen hatte, um auf Kosten ihres Fernsehsenders nach New York fliegen zu können, war ihr zufällig eine Pressemitteilung über Gail Andrews und deren neues Buch Du und Deine Planeten in die Hände gefallen.

Gail Andrews war zwar nicht direkt bekannt wie ein bunter Hund, aber sobald man Präsident Hudson, Sahnejoghurt und die Amputation von Damaskus erwähnte (die Welt hatte sich infolge chirurgischer Kriegsführung weiterentwickelt, der exakte, offizielle Begriff lautete allerdings »Damasektomie«, sprich die »Entfernung« von Damaskus), wusste wieder jeder, von wem die Rede war.

Darin sah Tricia einen Aufhänger, den sie umgehend ihrem Produzenten verkaufte.

Immerhin brachte die Tatsache, dass da draußen plötzlich ein neuer, bisher niemandem bekannter Felsklumpen durchs All wirbelte, die Überzeugung all derer gehörig ins Wanken, die fest geglaubt hatten, die anderen im All herumwirbelnden Felsklumpen wüssten etwas über den Tagesverlauf eines Menschen, was dieser selbst nicht wusste.

Musste das nicht einige Berechnungen über den Haufen werfen?

Was war jetzt mit all den Himmelskarten und Planetenbewegungen und dem ganzen Zeug? Anscheinend hatten wir doch alle gewusst, was es bedeutete, wenn Neptun im Zeichen der Jungfrau stand und so weiter. Aber was nun, nachdem Rupert aufgetaucht war? Musste damit nicht die gesamte Astrologie völlig neu durchdacht werden? War es nicht an der Zeit, zuzugeben, dass alles nur leeres Gewäsch war, und sich stattdessen der Schweinezucht zuzuwenden, die ja immerhin auf einigermaßen rationalen Grundlagen fußte? Wäre Rupert schon drei Jahre früher aufgegangen, hätte Präsident Hudson dann vielleicht nicht am Donnerstag, sondern am Freitag Joghurt mit Brombeergeschmack gegessen? Stünde Damaskus dann vielleicht noch? Fragen wie diese.

Gail Andrews hatte alles einigermaßen gut weggesteckt und war gerade auf dem besten Wege gewesen, sich von der Eröffnungsoffensive zu erholen, als sie den eher schwerwiegenden Fehler begangen hatte, Tricia durch gewandtes Referieren über Tagbogen, richtige Aszendentenstellungen und einige der abstruseren Bereiche dreidimensionaler Trigonometrie den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.

Zu ihrem Entsetzen hatte sie feststellen müssen, dass alles, was sie Tricia vorsetzte, umgehend auf sie zurückschlug, und zwar mit einem Drall, dem sie ganz und gar nicht gewachsen war. Niemand hatte Gail gewarnt, dass die Fernsehflittchen-Rolle bereits Tricias zweiter Versuch war, sich ein Standbein im Leben zu verschaffen. Hinter ihrem Lipgloss von Chanel, dem Fransenschnitt und den kristallblauen Kontaktlinsen verbarg sich ein Gehirn, das sich in einer früheren, überwundenen Phase von Tricias Leben eine Auszeichnung in Astrophysik verdient und in Mathematik promoviert hatte.

Als Tricia geistesabwesend in den Fahrstuhl trat, fiel ihr auf, dass sie ihre Handtasche im Zimmer vergessen hatte. Sie überlegte kurz, ob sie wieder hinausschlüpfen und sie holen sollte. Nein. Wahrscheinlich war sie dort, wo sie war, ohnehin sicherer, und außerdem brauchte Tricia momentan nichts von dem, was in der Tasche war. Sie ließ die Tür hinter sich zugleiten.

Im Übrigen, sagte sie sich mit einem tiefen Atemzug, hatte sie das Leben, wenn überhaupt, eines gelehrt:

Kehre nie wegen deiner Handtasche um.

Während der Fahrstuhl abwärtsglitt, blickte sie wie gedankenverloren an die Decke. Jeder, der Tricia McMillan nicht kannte, hätte behauptet, dass sie haargenau an die Decke starrte wie Leute, die versuchen, nicht in Tränen auszubrechen. Sie fixierte die winzige Überwachungskamera, die in einer der oberen Ecken befestigt war.

Einigermaßen energisch marschierte sie eine Minute darauf aus dem Fahrstuhl und trat erneut an die Rezeption.

»Also, ich werde Ihnen das jetzt aufschreiben«, sagte sie, »weil ich nicht möchte, dass irgendwas schiefgeht.«

Sie schrieb ihren Namen in großen Buchstaben auf ein Blatt Papier, setzte ihre Zimmernummer und »IN DER BAR« darunter und gab den Zettel dem Empfangschef, der ihn sich genau ansah.

»Für den Fall, dass mich jemand sprechen möchte. Okay?« Der Empfangschef starrte weiter den Zettel an.

»Soll ich für Sie nachsehen, ob sie auf ihrem Zimmer ist?«, fragte er.

Zwei Minuten später schraubte sich Tricia auf den Barhocker neben Gail Andrews, die vor einem Glas Weißwein saß. »Ich dachte mir, dass sie zu den Menschen gehören, die lieber aufrecht an der Bar sitzen als sittsam an einem Tisch.« Das stimmte und überraschte Tricia ein bisschen.

»Wodka?«, sagte Gail.

»Ja«, sagte Tricia argwöhnisch. Sie konnte die Frage »Woher wussten Sie das?« gerade noch herunterschlucken, aber Gail antwortete trotzdem.

»Ich habe den Barkeeper gefragt«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.

Der Mann schob ihr den bereits vorbereiteten Wodka elegant über das glänzende Mahagoni zu.

»Danke«, sagte Tricia und rührte energisch um.

Sie wusste nicht genau, was sie mit dieser plötzlichen Freundlichkeit anfangen sollte, hatte allerdings den festen Vorsatz gefasst, sich nicht von ihr einlullen zu lassen. In New York waren die Leute nicht grundlos nett zueinander.

»Miss Andrews«, sagte sie mit fester Stimme, »es tut mir leid, dass Sie nicht glücklich sind. Sie haben sicherlich das Gefühl, ich sei heute Morgen ein bisschen rau mit Ihnen umgesprungen, aber Astrologie ist nun mal leider nichts anderes als ein beliebter, weitverbreiteter Zeitvertreib, und dagegen ist sicher nichts einzuwenden. Sie ist ein Bestandteil der Unterhaltungsbranche, ein Bestandteil, mit dem Sie viel angefangen haben und hoffentlich auch weiter viel anfangen werden. Astrologie macht Spaß. Aber Astrologie ist keine Wissenschaft und sollte auch nicht mit einer verwechselt werden. Ich glaube, das haben wir heute Morgen erfolgreich demonstriert, wobei es uns gleichzeitig gelungen ist, die Zuschauer gut zu unterhalten, womit wir beide unsere Brötchen verdienen. Es tut mir leid, wenn Sie damit Schwierigkeiten haben.«

»Ich bin absolut glücklich«, sagte Gail Andrews.

»Oh«, sagte Tricia, ohne zu wissen, was sie davon halten sollte. »Sie haben mir doch mitteilen lassen, Sie seien nicht glücklich.«

»Nein«, sagte Gail Andrews. »Ich habe Ihnen mitteilen lassen, dass ich Sie für nicht glücklich halte. Und ich habe mich gefragt, woran das liegt.«

Tricia fühlte sich, als habe ihr jemand gegen den Hinterkopf getreten. Sie blinzelte.

»Was?«, fragte sie leise.

»Wegen der Sterne. Während unseres Gesprächs hatte ich das Gefühl, Sie seien wegen irgendetwas sehr wütend und unglücklich, das mit den Sternen und Planeten zu tun hat. Das hat mich beunruhigt, also bin ich hergekommen, um nach Ihnen zu sehen.«

Tricia starrte sie an. »Miss Andrews …«, begann sie und bemerkte dann, dass sie, so wütend und unglücklich, wie sie dabei geklungen hatte, den beabsichtigten Widerspruch vollständig untergraben hatte.

»Bitte nennen Sie mich Gail, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Tricia sah sie bloß verstört an.

»Ich weiß, dass die Astrologie keine Wissenschaft ist«, sagte Gail. »Natürlich nicht. Astrologie ist nichts weiter als ein Spiel mit willkürlichen Regeln, genau wie Schach, Tennis oder … wie heißt das noch, was ihr Briten immer spielt?«

»Äh, Kricket? Selbsthass?«

»Parlamentarische Demokratie. Die Regeln sind einfach irgendwie entstanden. Außerhalb ihres eigenen begrifflichen Rahmens ergeben sie überhaupt keinen Sinn. Aber wenn man sie anzuwenden beginnt, geraten allerlei Prozesse in Gang, und man fängt an, alle möglichen Dinge über irgendwelche Leute herauszufinden. Die Regeln der Astrologie beziehen sich zufällig auf Sterne und Planeten, aber es würde letztlich nicht den geringsten Unterschied ergeben, wenn es stattdessen um Enten und Erpel ginge. Es ist nur eine bestimmte Betrachtungsweise, mit der man die Umrisse eines Problems besser zu erkennen versucht. Je zahlreicher, je genauer und je willkürlicher die Regeln sind, desto besser. Man tut das Gleiche, wenn man eine Handvoll Bleistaub auf ein Blatt Papier wirft, um unsichtbare Vertiefungen zu entdecken. So sieht man die Wörter, die auf dem Blatt geschrieben wurden, das darüber lag, aber jetzt nicht mehr da ist. Der Bleistaub selbst ist unwichtig. Der ist nur ein Mittel zum Enthüllen der Vertiefungen. Deshalb hat Astrologie nicht das Geringste mit Astronomie zu tun. Bloß mit Menschen, die sich über andere Menschen Gedanken machen.

Und als ich heute Morgen merkte, wie … ich weiß auch nicht … wie gefühlsmäßig fixiert Sie auf Sterne und Planeten waren, dachte ich, diese Frau ist gar nicht wütend auf die Astrologie, sie ist tatsächlich wütend und unglücklich wegen irgendwelcher echten Sterne und Planeten. So wütend und unglücklich werden Menschen normalerweise nur, wenn sie etwas verloren haben. Das ist mir aufgefallen, und mehr konnte ich mir auch nicht erklären. Also bin ich hergekommen, um nach Ihnen zu sehen.«

Tricia war baff.

Ein Teil ihres Gehirns arbeitete schon seit einiger Zeit auf Hochtouren. Es war im Begriff, alle möglichen Widerlegungen zu konstruieren, die um die Lächerlichkeit von Zeitungshoroskopen kreisten und um die statistischen Tricks, mit denen man die Leute aufs Kreuz zu legen versuchte. Nur stellte die betreffende Gehirnabteilung die Arbeit allmählich wieder ein, als sie merkte, dass das restliche Gehirn gar nicht zuhörte. Tricia war wirklich völlig baff.

Eine völlig Fremde hatte ihr gerade etwas mitgeteilt, das sie seit siebzehn Jahren eisern für sich behalten hatte.

Sie wandte sich Gail zu.

»Ich …«

Sie verstummte.

Eine kleine Überwachungskamera im Regal hinter der Bar war ihrer Bewegung gefolgt. Das brachte sie restlos aus dem Konzept. Die meisten Menschen hätten die Kamera überhaupt nicht bemerkt. Sie war nicht dort angebracht worden, um bemerkt zu werden. Sie war auch nicht dort angebracht worden, um jemanden auf die Idee zu bringen, heutzutage könne man selbst in einem teuren, eleganten New Yorker Hotel nicht mehr sicher sein, dass nicht einer der Gäste plötzlich eine Waffe zog oder keinen Schlips trug. Aber obwohl sie so sorgfältig hinter den Wodkaflaschen versteckt war, konnte sie den fein geschliffenen Instinkten einer Fernsehmoderatorin nicht entgehen, die ständig ganz genau wusste, wann sich eine Kamera bewegte und sie einfing.

»Stimmt was nicht?«, fragte Gail.

»Nein, ich … Ich muss schon sagen, dass Sie mich ziemlich überraschen«, sagte Tricia. Sie entschied sich, die Überwachungskamera zu ignorieren. Es war lediglich ihre Fantasie, die ihr Streiche spielte, weil sie heute einfach zu viel übers Fernsehen nachgedacht hatte. Es war nicht das erste Mal. So war sie überzeugt gewesen, dass eine Verkehrsüberwachungskamera mitschwenkte, als sie an ihr vorbeiging, und auch bei Bloomingdale’s hatte sie eine Kamera hartnäckig beim Ausprobieren von Hüten beobachtet. Offenbar verkalkte sie allmählich. Sie hatte sich sogar eingebildet, im Central Park habe ihr ein Vogel konzentriert hinterhergespäht.

Sie beschloss, sich das alles aus dem Kopf zu schlagen, und nippte an ihrem Wodka. Jemand ging in der Bar herum und fragte die Gäste, ob sie Mr. MacManus seien.

»Na gut«, platzte sie plötzlich heraus, »ich weiß nicht, wie Sie das rausgekriegt haben, aber …«

»Ich habe nichts ›rausgekriegt‹, wie Sie sagen. Ich habe Ihnen nur zugehört.«

»Was ich verloren habe, war, glaube ich, ein ganzes anderes Leben.«

»Das passiert jedem. Jeden Tag, in jedem einzelnen Augenblick. Jede Entscheidung, die wir treffen, jeder Atemzug öffnet Türen und schlägt andere zu. Die meisten nehmen wir gar nicht wahr. Einige schon. Sie scheinen eine wahrgenommen zu haben.«