Eis wie Feuer - Sara Raasch - E-Book

Eis wie Feuer E-Book

Sara Raasch

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie ist pure Magie

Drei Monate sind seit der großen Schlacht zwischen dem Königreich Winter und Frühling vergangen, bei der König Angra in die Flucht geschlagen wurde. Thronerbin von Winter, Meira, will vor allem eines: Frieden und Sicherheit für ihr Volk. Doch als die verloren geglaubte Quelle der Magie in den Minen der Winterianer gefunden wird, stellt dies das gesamte Machtgefüge in Frage: Prinz Theron brennt darauf, die Magie als Waffe gegen die Feinde von Winter einzusetzen. Meira jedoch fürchtet die Kräfte, die sie damit entfesseln könnte …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 581

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



@ Michelle D. Argyle

Die Autorin

SARA RAASCH wusste schon mit fünf Jahren, dass sie für die Bücherwelt bestimmt ist. Während ihre Freunde Limonade verkauften, brachte sie handgezeichnete Bilderbücher an den Mann. Ihre Begeisterung für das geschriebene Wort verleitet sie immer noch zu tollkühnen Aktionen. Schnee wie Asche, ihr Debütroman, schaffte es sofort auf die New-York-Times-Bestsellerliste.

Von der Autorin ist ebenfalls bei cbt erschienen:

Schnee wie Asche (Band 1)

Ihr findet uns auch auf Instagram @hey_reader

Sara Raasch

Eis wie Feuer

Aus dem Amerikanischen von

Antoinette Gittinger

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text

enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt

der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten.

Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss.

Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Februar 2017

© 2015 by Sara Raasch

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015

unter dem Titel »Ice like Fire« bei Balzer + Bray,

an imprint of HarperCollins Publishers, New York.

© 2017 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Amerikanischen von Antoinette Gittinger

Lekorat: Nele Thiemann

Karte: © 2015 Georg Behringer

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesgin, Bad Oeynhausen,

nach einer Vorlage von Erin Fitzsimmons,

Jacket art © 2015 by Jeff Huang

he · Herstellung: ang

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-19091-0V001

www.cbt-buecher.de

Für Kelson, der die besten Teile von Mather und Theron verkörpert, auch dann, wenn ich die schlechtesten Teile von Meira verkörpere.

Kapitel 1

Meira

Fünf Feinde.

Fünf verbeulte Helme sitzen schief über fünf ebenfalls eingebeulten Brustharnischen, fünf schwarze Sonnen leuchten zerschrammt, aber deutlich auf dem Silbermetall. Es sind mehr Soldaten, als ich je allein in Schach halten könnte. Doch als ich in der Mitte ihres Kreises stehe, die Stiefel in den Schnee eingegraben, hebe ich eine Augenbraue und betrachte den Soldaten, der mir am nächsten steht. Die typische Ruhe vor einem Kampf breitet sich in mir aus.

Ich halte bereits das chakram in der Hand, aber etwas in mir sträubt sich, es jetzt schon zu schleudern; ich genieße das Gefühl, den glatten Griff an meiner Handfläche zu spüren. Dendera hat gedacht, sie hätte es sehr schlau angestellt, als sie es bei den Cordellianern versteckte. Aber ehrlich gesagt, war es fast zu einfach, es zu finden. Wo sonst würde ich nach einer Waffe suchen, wenn nicht im Waffenzelt?

»Tu es«, höre ich ein schrilles Kreischen.

»Pst, sie kann dich hören!«

Als ich den Kopf zu der Reihe von Felsblöcken neben meinen Scheinfeinden drehe, folgt weiteres Gemurmel und die geflüsterte Aufforderung, endlich still zu sein. Ein paar kleine Köpfe ducken sich hinter dem größten Felsblock.

»Sie hat uns gesehen!«

»Du stehst auf meinem Fuß!«

»Sei ruhig!«

Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Als ich mich wieder dem am nächsten stehenden Soldaten zuwende, sackt der Schnee auf dem verbeulten Helm und dem Brustharnisch ein wenig zusammen, aufgewirbelt von demselben eisigen Wind, der an meinem Hemd zerrt. Die Illusion gerät ins Wanken.

Ich trage keine Kampfausrüstung, sondern ein ärmelloses Gewand aus plissiertem elfenbeinfarbenem Stoff. Mein Haar ist zu kunstvollen Zöpfen aufgesteckt. Meine »Feinde« sind Schneehaufen, die ich schnell mit den Füßen zusammengescharrt und mit den kaputten Rüstungen Frühlingianer Soldaten geschmückt hatte, die niemand mehr braucht und die in meinem Königreich achtlos herumliegen. Und mein Publikum besteht nicht aus einer Armee, sondern aus einer Gruppe neugieriger Winterianer Kinder, die mir auf meinem Weg aus der Stadt hinaus gefolgt sind. Doch das chakram und die Art, wie mein Körper darauf reagiert, sind real.

Ich bin ein Soldat. Angras Männer haben mich umzingelt. Und ich werde jeden einzelnen von ihnen töten.

Ich gehe ein wenig in die Knie, lasse die Hüften und die Schultern einmal kreisen und spanne dann sämtliche Muskeln an. Einatmen, ausatmen, drehen, loslassen – die Bewegungen sind mir wie das Gehen in Fleisch und Blut übergegangen, auch wenn es bereits drei Monate her ist, seit ich zum letzten Mal mein chakram geschleudert habe.

Die Klinge löst sich mit einem Zischen, das die kalte Luft durchschneidet, aus meiner Handfläche. Sie fliegt auf den nächststehenden feindlichen Soldaten zu, prallt hinter ihm von einem Felsen ab, trifft dann auf den ersten danebenstehenden Soldaten, dem sie die Kehle durchtrennt, und sirrt zurück in meine Hand.

Jeder einzelne Nerv entspannt sich und ich atme tief aus. Schnee im Himmel, wie gut sich das anfühlt!

Ich schleudere das chakram noch mehrmals, bis alle Soldaten erledigt sind. Hinter mir braust Jubel auf, zarte Stimmen lachen, als Schneeflocken auf die gefallenen Soldaten rieseln. Ich stehe noch immer in Kampfhaltung, die Knie gebeugt und das chakram fest in der Hand. Aber das Lachen hat auch noch das letzte bisschen Illusion zerstört – aber auf die bestmögliche Weise.

Unwillkürlich muss ich grinsen. Ich kann mich nicht erinnern, wann das letzte Mal jemand in Winter gelacht hat. Die vergangenen drei Monate hätten von Freude erfüllt sein sollen, und doch höre ich stets nur die dumpfen Geräusche der Bauarbeiten, die geflüsterten Pläne für Ackerbau und Minen, den leisen Applaus bei öffentlichen Veranstaltungen.

»Darf ich auch mal?«, ruft eines der Mädchen. Ihre Bitte ermutigt die anderen Kinder, dasselbe zu fragen.

»Ihr solltet vielleicht mit etwas beginnen, das weniger gefährlich ist«, lächle ich, beuge mich hinunter und nehme eine Handvoll Schnee. Ich forme ihn zu einem lockeren Ball, den ich aus den Fingern gleiten lasse. »Und weniger tödlich.«

Das Mädchen, das mich als Erste gefragt hat, begreift schneller als die anderen. Sie lässt sich auf die Knie fallen, formt einen Schneeball und wirft ihn auf einen Jungen hinter ihr.

»Getroffen!«, kreischt sie und rennt über das Feld auf der Suche nach Deckung.

Die Übrigen starten eine wilde Schneeballschlacht, zaubern Geschosse aus dem Schnee zu ihren Füßen und bewerfen sich damit gegenseitig, während sie über die Felder tollen.

»Getroffen! Du bist tot!«, ruft ein kleiner Junge.

Mein Lächeln verblasst.

Wir müssen nicht mehr kämpfen. Sie brauchen nie mehr etwas anderes als Schneebälle zu werfen, beruhige ich mich selbst.

»Ist das nicht ein wenig … makaber?«

Ich wirble herum und meine Finger verkrampfen sich um das chakram. Aber ich habe die Klinge noch nicht einmal erhoben, bevor ich erkenne, wer da die kleine Lichtung betritt, die durch die Ausläufer der Klaryns-Berge auf der einen und die hügeligen Schneefelder auf der anderen Seite entstanden ist.

Theron neigt den Kopf, sodass sich sein hinter die Ohren gekämmtes Haar löst und ihm wie ein goldbrauner Vorhang in die Stirn fällt. Sein Blick ist fragend und die kleinen Falten um seine Augen verraten Besorgnis.

»Makaber?«, wiederhole ich mit einem kleinen Lächeln. »Oder befreiend?«

»Die meisten befreienden Dinge sind makaber«, korrigiert er mich. »Heilung durch Melancholie.«

Ich verdrehe die Augen. »Ich überlasse es dir, das Köpfen von Schneemännern poetisch zu finden.«

Er lacht und die Luft wird etwas kälter, ein köstliches Frostgefühl, das mein Herz berührt. Sein farbenprächtiges Aussehen hebt sich krass von Winters ewigem Weiß ab – sein schlanker Körper steckt in der für Cordellianer typischen jagdgrünen Uniform, die seine Muskeln perfekt zur Geltung bringt. Nur der Stoff ist etwas dicker, um Winters Kälte und der Tatsache gerecht zu werden, dass sein Cordellianer Blut ihn nicht vor dem Klima meines Königreichs schützt.

Theron deutet mit dem Kopf Richtung Gaos, von wo er gekommen ist. Wenn die Klaryns-Berge ein Meer wären, dann wäre Gaos Winters größter Hafen – die größte Stadt mit Zugang zu den meisten Minen.

Dort habe ich in den letzten drei Monaten viel zu viel Zeit verbracht.

»Wir sind bereit, die Tadil-Mine zu öffnen.« Ein Schütteln durchläuft seinen Körper wie ein Frösteln, doch vielleicht ist es auch ein Schauder der Vorfreude.

»Wir haben doch erst gestern eine Mine eröffnet. Und letzte Woche sogar zwei«, kontere ich. Ich mag es nicht, wie sich meine Stimme verändert. Theron sollte nicht der Blitzableiter für meine Wut sein.

Er kneift die Lippen zusammen. »Ich weiß.«

»Dein Vater kommt doch am Ende der Woche zu der Zeremonie nach Jannuari, oder?«

Er weiß, worauf ich anspiele. »Auch die Mitglieder der Herbstianer Königsfamilie werden kommen. Du solltest meinen Vater nicht in ihrer Gegenwart zur Rede stellen.«

»Cordell hat im Königreich Herbst ebenso seine Finger im Spiel wie im Königreich Winter. Vermutlich will der König von Herbst Noam genauso loswerden wie ich.«

Theron stöhnt. Zu spät merke ich, wie herzlos meine Worte waren. Noam ist nach wie vor Therons Vater und sein König. Und auch wenn es mir jedes Mal die Brust zuschnürt, wenn Noam einen Befehl erteilt … wir brauchen Cordell. Ohne Noams Hilfe hätten wir keine Armee – die Winterianer erholen sich nur langsam von den langen Strapazen in Frühling und sind erst seit Kurzem wieder gesund genug, um überhaupt zu trainieren. Ohne Cordell hätten wir nichts zu essen, da Winter seine Handelsbeziehungen noch nicht wiederbelebt hat. Und die Feldfrüchte, die wir – dank meiner Magie – in unserem vereisten Königreich anpflanzen können, wurden erst vor Kurzem ausgesät und brauchen noch mehrere Monate bis zur Reife, selbst mit der Unterstützung von Winters Magsignie.

Also bleibt mir nichts anderes übrig, als Noams Befehlen zu gehorchen. Wir stehen so tief in seiner Schuld, dass ich es manchmal gar nicht glauben kann, dass ich noch nicht die Farben von Cordell trage.

»Also gut«, gebe ich nach. »Ich werde diese Mine eröffnen und mit den Rückzahlungen an Noam und Herbst für ihre Hilfe bei Winters Wiederaufbau beginnen, aber in dem Augenblick, in dem die Zeremonie endet …«

Was genau habe ich nach der Zeremonie vor? Denn mehr als das ist sie nicht – eine hübsche Veranstaltung, bei der ich Herbst und Cordell für ihre Hilfe bei der Befreiung Winters von Frühling danken möchte. Wir werden sie mit den Bodenschätzen bezahlen, die wir in den letzten Monaten abgebaut haben, was allerdings nur einen Bruchteil unserer Schuld begleicht. Nach der Zeremonie sind wir in derselben Situation wie jetzt – nämlich Cordells Gnade ausgeliefert.

Deshalb habe ich in den vergangenen drei Monaten so viel Zeit darauf verwandt, Dendera zu überzeugen, dass Königinnen Waffen tragen dürfen. Deshalb habe ich mir mein chakram wiederbesorgt und diesen Augenblick der Normalität zelebriert. Denn auch wenn Winter offiziell befreit ist, empfinde ich noch genauso wie zu der Zeit, als die Winterianer in Frühlings Gefangenschaft waren. Wir sind immer noch unterjocht und vom Wohlwollen eines anderen Königreichs abhängig. Allerdings ohne direkte Bedrohung, was der einzige Grund ist, weshalb ich Noam schon so lange ertragen habe. Mein Volk empfindet Cordells Anwesenheit nicht als so bedrückend wie ich – sie sehen Cordell als ein Land, das uns Hilfe zuteilwerden lässt.

Theron streckt beide Hände nach mir aus, aber ich halte immer noch mit einer Hand mein chakram fest, sodass er nur die andere Hand ergreifen kann und mich so aus meinen Sorgen reißt. Er ist nicht nur ein Abgesandter aus Cordell und auch nicht nur der Sohn seines Vaters. Er ist auch ein junger Mann, der mir sehnsuchtsvolle Blicke zuwirft, genau wie damals in den dunklen Hallen von Angras Palast, bevor er mich küsste. In den letzten drei Monaten hat er mich x-mal mit diesen Blicken angesehen.

Mir stockt der Atem. Doch heute küsst er mich nicht, und ich weiß nicht, ob ich es mir wünsche – und wenn ja, ob ich bloß Trost und Ablenkung oder wirklich ihn will.

»Tut mir leid«, sagt er leise. »Aber wir müssen es weiterhin versuchen – und die Arbeit ist gut für Winter. Auch dein Königreich wird von diesen Ressourcen profitieren. Mir gefällt es auch nicht, dass er recht hat, aber wir brauchen …«

»Noam braucht Winter nicht«, falle ich ihm ins Wort. »Er will Winter – den Zugang zum Magieschlund. Warum meinst du, dass er recht hat?« Ich zögere. »Stimmst du ihm zu?«

Theron tritt einen Schritt näher. Eine Wolke aus der nach Lavendel duftenden Seife, die er verwendet, umgibt ihn. Er hebt die Hände, um meine Arme zu berühren, und seine Ärmel rutschen ein Stückchen hoch, sodass seine Handgelenke mit den schartigen rosafarbenen Narben sichtbar werden. Schuldgefühle wallen in mir hoch und hinterlassen einen bitteren Geschmack in meinem Mund.

Diese Narben hat er sich zugezogen, als er versucht hat, mich vor Angra zu schützen.

Theron folgt meinem Blick zu seinen Handgelenken. Er wendet sich ab und zieht die Ärmel wieder hinunter.

Ich schlucke schwer. Ich sollte ihn darauf ansprechen – auf die Narben und seine Reaktion. Aber er wechselt immer das Thema, bevor ich …

»Ich glaube nicht, dass er in allem recht hat«, stammelt Theron und knüpft an unsere Unterhaltung an. Doch mir entgeht nicht, wie er den Stoff des Ärmels auf sein Handgelenk drückt. »Zumindest nicht mit seinen Forderungen nach sofortiger Entschädigung. Winter benötigt Hilfe, die ihm Cordell bieten kann. Und wenn wir den Magieschlund finden, dann geht es uns allen besser.«

Sein Blick hält mich fest. Ohne Worte bittet er mich, weiterzumachen, als sei alles in Ordnung.

Ich gebe nach. Zumindest für den Augenblick. »Und wie sollte die Entschädigung dann deiner Meinung nach aussehen?«

Aber kaum habe ich die Frage gestellt, kenne ich bereits die Antwort. Eine Woge des Verlangens erfasst mich, sodass ich mich an ihn lehne.

Theron beugt sich vor. »Ich möchte, dass mein Vater unsere Verlobung erneuert.« Seine Worte sind nicht lauter als die Schneeflocken, die vom Himmel wirbeln. »Wenn unsere Königreiche durch uns verbunden wären, dann würde keines das andere beherrschen, keines stände in der Schuld des anderen – wir wären vereint und mächtig.« Er hält kurz inne und sein Atem bildet kleine weiße Wölkchen. »In Sicherheit.«

Ein eisiges Kribbeln durchläuft mich, obwohl mein Verstand genau weiß, dass Theron und ich nicht für das bestimmt sind, wofür wir einst bestimmt waren. Noam hat unsere Verlobung gelöst, da er offenbar der Ansicht war, dass die Schuld, in der Winter Cordell gegenüber steht, als Verbindung ausreichend wäre – und vielleicht auch deswegen, weil er sich von Sir betrogen fühlte, denn schließlich wollte Noam seinen Sohn, den Erben eines Rhythmus-Königreiches, mit einer kleinen Winterianer Spielfigur verheiraten und nicht mit Winters Königin.

Noam will unsere Minen, will Zugang zu dem verloren gegangenen Magieschlund. Er weiß, dass er sie wegen unserer Abhängigkeit von ihm bekommen wird. So kann er Winter als das gebrochene Königreich, das wir derzeit sind, behandeln – nicht als politisch ebenbürtigen Partner. Und ehrlich gesagt, bin ich sogar ein wenig erleichtert, mir keine Gedanken über eine bevorstehende Heirat machen zu müssen.

Aber Theron hat immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er von Noams Entscheidung keineswegs begeistert ist.

Wie zur Bestätigung meiner Überlegungen verändern sich seine Gesichtszüge und er beugt sich sanft zu mir herunter. »Ich werde immer für dich kämpfen. Ich werde immer dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist«, fügt er hinzu.

Die Art, wie er es sagt, ist alles in einem: ein Versprechen, eine Erklärung und eine Bitte. Die Worte erzeugen ein Zittern, das seinen Arm bis zu den Handgelenken durchläuft und von jenen Ängsten zeugt, die er nicht laut auszusprechen wagt.

In Sicherheit.

Auch er hat Angst, dass das, was geschehen ist, wieder passieren könnte – Albträume, die nicht enden.

»Du musst nicht für meine Sicherheit sorgen«, flüstere ich.

»Aber ich kann es und ich werde es.« Therons Feststellung ist so ernst, dass sie sich mir ins Gedächtnis einprägt.

Aber ich will weder ihn noch seinen Vater noch Cordell brauchen. Mein Königreich soll niemanden brauchen. Meistens will ich nicht einmal, dass esmich braucht.

Ich berühre mein Medaillon, die leere Hälfte, die alle für den Träger von Winters Magie halten. Sie glauben, das Medaillon wäre in dem Moment, in dem beide Hälften wieder zusammengefügt wurden, erneut eine der acht Quellen der Magie in dieser Welt – eine königliche Magsignie. Sie glauben, dass jegliche Magie, die ich vorher eingesetzt habe – als ich Sir und den Jungen im Abril-Lager geheilt und den Winterianern Kraft verliehen habe –, ein Zufall war, ein Wunder, da jede andere königliche Magsignie ein Gegenstand ist wie ein Dolch, ein Ring oder ein Schild. Es ist ihnen nie in den Sinn gekommen – und auch mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht –, dass die Magie ihren Wirt in einem Menschen finden könnte.

Sie haben keine Vorstellung, wo die Magie in Wahrheit zu finden ist. Und ehrlich gesagt, ist Cordell meine geringste Sorge, denn was in mir schlummert, könnte bei Weitem gefährlicher sein.

Ich drücke meine freie Hand gegen Therons Brust. Wir sind allein hier, inmitten der Schneeflocken und des eisigen Windes, der uns ins Gesicht weht. Ich spüre Therons rasenden Puls unter meinen Fingern, lasse uns diesen Moment der Zweisamkeit genießen. Es sind Momente wie dieser, in denen wir die Politik, unsere Titel und unsere Vergangenheit vergessen können, die uns davor bewahren, unter der Last unseres Lebens zusammenzubrechen.

Ich schmiege mich an ihn, stelle mich auf die Zehenspitzen und spüre seine Lippen auf meinen. Er stöhnt, schlingt die Arme um mich und erwidert meinen Kuss mit einer Leidenschaft, die mich aus der Fassung bringt.

Theron fährt mit der Hand über meine Schläfe, mein Ohr, über meine Wange, streicht mir die Locken aus dem Gesicht, die sich gelöst haben. Ich lege den Kopf zur Seite, bette ihn in seine Handfläche und lasse meine Finger über sein Handgelenk gleiten.

Seine Narben fühlen sich wulstig und unförmig an. Mein Herz, das unter Therons fordernden Lippen, seinen sanften Berührungen und meinem brennenden Verlangen bereits wie verrückt schlägt, gerät jetzt völlig außer Kontrolle.

Ich löse mich ein wenig von ihm und unser Atem verwandelt sich in Frost. »Theron, was ist dir in Abril zugestoßen?«

Ich bringe die Worte kaum über die Lippen, aber schließlich presse ich sie doch hervor, und sie bleiben in der Luft hängen wie die Schneeflocken um uns herum.

Er zögert, weil meine Worte nicht zu ihm durchdringen. Dann zuckt er zusammen. Sein Gesicht verrät blankes Entsetzen, das er schnell hinter Verwirrung zu verbergen versucht. »Du warst doch dort …«

»Nein, ich meine … vorher.« Ich atme einmal tief durch. »Du warst schon in Abril, bevor ich es wusste. Und ich möchte, dass du weißt … du kannst mir alles erzählen, wenn du je das Bedürfnis verspüren solltest. Ich weiß, es ist schwer, aber ich …« Ich stöhne innerlich, senke den Kopf. »Weißt du, ich bin nicht gut in so etwas.«

Trotz allem kichert Theron. » In was?«

Ich blicke zu ihm hoch und erwidere sein Lächeln, bevor mir bewusst wird, dass er über alles, was ich gesagt habe, hinweggegangen ist. »In … Beziehungsdingen.«

Er verzieht die Lippen zu einem breiten Lächeln, doch alles, was ich sehe, ist das, was er dahinter verbirgt. »Du bist in Beziehungsdingen besser, als du denkst«, flüstert er, befreit seine Hand aus meinem Griff und lässt seine Finger über mein Gesicht, meinen Hals wandern und umfasst meine Schulter.

Ich lächle zaghaft und schüttle den Kopf. »Die Minenarbeiter. Ich sollte zu ihnen gehen.«

Theron nickt. »Ja«, pflichtet er mir bei. Ein Hoffnungsschimmer huscht über sein Gesicht. »Vielleicht ist diese Mine ja die richtige.«

Unwahrscheinlich, hätte ich fast hervorgestoßen. Wir haben bereits mehr als die Hälfte von Winters Minen wieder in Betrieb genommen und keine davon hat etwas anderes als die üblichen Bodenschätze zutage befördert. Und es macht mich wütend, dass Noam tatsächlich glaubt, wir könnten den Ursprungsort der königlichen Magsignien finden. Der Magieschlund ist vor vielen Jahrhunderten unter den Jahreszeiten-Königreichen verloren gegangen, und nur weil jetzt ein Rhythmus-Königreich danach sucht, erwartet er, dass er gefunden wird?

Es sind Winters Minen, und er zwingt mein Volk, seine letzten verbliebenen Kräfte aufzuwenden, um in ihnen nach Edelsteinen zu schürfen. Meine Winterianer haben sechzehn Jahre in Angras Arbeitslagern verbracht; sie sollten sich jetzt erholen, statt einem Mann, der sowieso schon viel zu viel Macht besitzt, noch mehr Macht zu verschaffen.

Meine Wut flammt erneut auf, und ich wende mich ab, lasse die Überreste meiner Schneefeinde hinter mir liegen.

Theron geht schweigsam neben mir her, und als wir ein paar Felsbrocken umrundet haben, taucht plötzlich Gaos vor uns auf, so als hätten die Klaryns-Berge die Stadt bis zu meiner Rückkehr verborgen. Die Stadt sieht aus wie Jannuari, als wir vor einigen Monaten dort ankamen: völlig zerstört. Doch während in Jannuari wenigstens Teile der Stadt seitdem wieder instand gesetzt worden sind, haben sich nur wenige Winterianer entschieden, sich in Gaos niederzulassen, sodass wir hier lediglich das Gebiet um die Minen herum wieder aufbauen konnten. Entlang der Straße sieht man zerfallene Hütten; in den Gassen ist Schutt aufgetürmt. Über alles ist eine Schneedecke gebreitet, verbirgt einen Teil der Zerstörung unter strahlendem Weiß.

Ich zögere einen Moment lang und betrachte die Stadt. Theron nutzt die Gelegenheit, seinen Arm um meine Taille zu legen und mich an sich zu ziehen.

»Die Zeit heilt alle Wunden«, versichert er mir.

Ich blicke zu ihm hoch, mein chakram noch immer umklammert. Er legt die Hand auf meine Hüfte; sie fühlt sich warm an im Vergleich zu Winters Dauerkälte.

»Danke.«

Theron lächelt, doch bevor er etwas erwidern kann, zerschneidet eine andere Stimme die Stille.

»Meine Königin!«

Auf Nessas Ausruf folgt das Geräusch von knirschendem Schnee, wiederum gefolgt von den erstaunten Rufen ihres Bruders. Als ich mich ihr zuwende, hat sie das Schneefeld zwischen Gaos und mir zur Hälfte zurückgelegt. Ihr Gewand flattert um ihre Beine.

Keuchend bleibt sie stehen und lächelt. Die Monate der Freiheit zeigen ihre Wirkung – ihre Arme und ihr Gesicht sind rundlicher geworden und ein weicher Glanz überzieht ihr Gesicht.

»Wir haben Euch überall gesucht. Seid Ihr bereit?«

Meine Miene schwankt zwischen schmerzhaftem Zusammenschrecken und einem Grinsen. »Wie wütend ist Dendera?«

Nessa zuckt die Achseln. »Wenn die Mine erst mal eröffnet ist, ist sie sicher wieder besänftigt.« Sie verbeugt sich ungeschickt vor Theron und greift nach meiner Hand. »Prinz Theron, darf ich sie Euch entführen?«

Er streicht mit dem Daumen über meine Hüfte, sodass es mich heiß durchläuft. »Natürlich …«

Nessa zerrt mich bereits über das Schneefeld.

Conall und Garrigan stoßen auf der ersten Straße der Stadt zu uns. Conall zieht ein finsteres Gesicht, Garrigan grinst amüsiert.

»Ihr hättet uns mitnehmen sollen«, tadelt mich Conall. Dann wird ihm bewusst, wen er da tadelt. Er räuspert sich und sagt: »Meine Königin.«

»Sie ist durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen«, verteidigt mich Garrigan. Aber als er Conalls wütenden Blick sieht, versucht er, sein Grinsen hinter einem heftigen Hustenanfall zu verbergen.

»Darum geht es nicht«, bemerkt Conall. »Henn hat uns schließlich nicht umsonst trainiert.«

Fast lasse ich mich dazu hinreißen, Garrigans Worte zu wiederholen und zur Bekräftigung mein chakram hochzuhalten. Doch als ich die Sorgenfalten um Conalls Augen bemerke, verberge ich mein chakram lieber hinter dem Rücken.

»Tut mir leid, dass ich euch beunruhigt habe«, sage ich. »Ich wollte nicht …«

»Wo habt Ihr gesteckt?«

Dendera kommt die Straße entlanggestürmt und fast hätte ich vor Schreck aufgeschrien.

»Ich habe Euch nur einen Moment lang allein gelassen und Ihr macht Euch aus dem Staub wie …« Sie bleibt ruckartig stehen. Ich versuche, mein chakram noch weiter hinter meinem Rücken zu verbergen, aber es ist zu spät.

Doch sie sieht mich nicht wütend an, wie ich erwartet habe, sondern mit müdem, erschöpftem Blick. Als sie näher kommt, stehen ihr ihre über vierzig Jahre deutlich ins Gesicht geschrieben.

»Meira«, schilt sie mich.

Monatelang habe ich meinen Namen weder aus ihrem noch aus Nessas oder irgendeinem anderen Mund außer dem von Theron gehört. Immer werde ich nur als »meine Königin« oder »Mylady« angesprochen. Ihn jetzt zu hören, wirkt auf mich wie ein kühler Windhauch in einem stickigen Raum.

»Ich habe es Euch doch gesagt –« Dendera nimmt mir das chakram aus der Hand und reicht es Garrigan. »Ihr braucht das nicht mehr. Ihr seid jetzt Königin und schützt uns auf andere Art.«

»Ich weiß.« Ich presse die Zähne aufeinander und bemühe mich, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Aber warum kann ich nicht beides sein?«

Dendera seufzt. Es ist das mitleidige Stöhnen, das ich in den letzten drei Monaten nur allzu oft von ihr gehört habe. »Der Krieg ist vorbei«, erklärt sie mir nicht zum ersten und vermutlich auch nicht zum letzten Mal. »Unser Volk hat zu lange mit diesem Krieg gelebt – es braucht eine ruhige Herrscherin, keine Kriegerkönigin.«

Vom Verstand her weiß ich, dass es richtig wäre, aber mein Herz sagt etwas anderes.

»Herzogin, Ihr habt recht«, lüge ich. Wenn ich sie zu sehr bedränge, wird ihr Gesicht bloß wieder den Ausdruck annehmen, den ich schon Hunderte Male bei ihr gesehen habe – die Angst zu versagen. Genau wie bei Theron und seinen Narben und auch bei Nessa – wenn ich sie in Momenten ertappe, in denen sie sich unbeobachtet fühlt, werden ihre Augen glasig und leer. Und wenn sie im Schlaf von Albträumen heimgesucht wird, weint sie so herzzerreißend, dass es mir fast das Herz bricht.

Solange niemand auf die Vergangenheit oder auf etwas anderes Negatives zu sprechen kommt, können wir so tun, als wäre alles in Ordnung.

»Los.« Dendera klatscht wieder ganz geschäftsmäßig in die Hände. »Wir sind sowieso schon spät dran.«

Kapitel 2

Meira

Dendera führt uns zu einem Platz nur wenige Schritte von der Tadil-Mine entfernt. Die Gebäude hier sind unversehrt und blitzsauber. Die Wege sind frei von Trümmern, die Hütten ausgebessert. Die Familien der Minenarbeiter, die bereits tief in die Mine vorgedrungen sind, haben sich auf dem Platz versammelt, zusammen mit Cordellianer Soldaten, von denen die meisten von einem Fuß auf den anderen treten, um sich warm zu halten. Der Eingang des Platzes wird von einem Zelt überdacht, wo wir als Erstes haltmachen und uns dann zwischen Tischen hindurchschlängeln, auf denen Karten und Berechnungen ausgebreitet sind.

Ein Stückchen entfernt sind Sir und Alysson in ein Gespräch vertieft. Als sie sich mir zuwenden, schenkt Alysson mir ein freundliches Lächeln, Sirs Miene dagegen ist prüfend. Sie sind genauso stilvoll gekleidet wie Nessa und Dendera. In Winter besteht die traditionelle Kleidung für Frauen aus elfenbeinfarbenen, bodenlangen plissierten Gewändern, während die Männer zumeist blaue Tuniken und Hosen unter weißen Stoffbahnen tragen, die x-förmig um ihre Oberkörper gebunden werden. Es wirkt immer noch seltsam auf mich, Sir in etwas anderem als seiner Kampfausrüstung zu sehen. Jetzt hat er nicht einmal einen Dolch um die Taille gebunden. Die Gefahr ist vorbei, unser Feind tot.

»Meine Königin«, sagt Sir und verbeugt sich. Mir sträuben sich jedes Mal die Haare, wenn er mich mit meinem Titel anspricht – noch etwas, woran ich mich gewöhnen muss: Sir, der mich »meine Königin« nennt, Sir, mein General, Sir, Mathers Vater.

Mather.

Seit wir damals Seite an Seite nach Jannuari geritten sind, bevor ich wirklich angefangen habe, meine Rolle als Königin zu übernehmen, und er sich mit dem Gedanken abfinden musste, dass er nicht der war, der er zu sein glaubte, habe ich nicht mehr wirklich mit Mather gesprochen.

Ich hatte gehofft, er brauche einfach nur Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen, aber seit drei Monaten ist das Einzige, was er je zu mir sagt: »Ja, meine Königin.« Ich habe keine Ahnung, wie ich dafür sorgen kann, die Distanz zwischen uns abzubauen, rede mir ein, dass er wieder mit mir reden wird, wenn er so weit ist.

Vielleicht hat es aber auch weniger damit zu tun, dass er nicht länger König ist, sondern mehr mit Theron, der immer noch eine feste Größe in meinem Leben ist, auch wenn unsere Verlobung aufgelöst wurde. Doch im Augenblick ist es leichter, nicht über Mather nachzudenken, sondern die übliche Maske aufzusetzen, sich ein Lächeln abzuringen und alles Schreckliche darunter zu verbergen.

Ich wünschte mir, ich müsste es nicht unterdrücken – wünschte mir, keiner von uns müsste es, und wir wären alle stark genug, uns mit den Dingen, die uns zugestoßen sind, auseinanderzusetzen und mit ihnen fertigzuwerden.

Tief in mir drin spüre ich ein kaltes Prickeln. Sprühend, wild, eisig und lebendig. Ich weiß, was es bedeutet, und unterdrücke ein Seufzen.

Als Angra vor sechzehn Jahren mein Königreich erobert hatte, gelang ihm dies durch die Zerstörung unserer königlichen Magsignie. Und wenn eine Magsignie bei der Verteidigung eines Königreichs zerstört wird, wird der Herrscher dieses Königreichs selbst zur Magsignie. Sein Körper und seine Lebenskraft – alles verschmilzt mit der Magie. Außer mir, Angra und meiner Mutter, der Frau, deren Tod mich zu Winters Magsignie werden ließ, weiß niemand davon.

Du kannst ihnen helfen, mit der Vergangenheit fertigzuwerden, spornt mich Hannah an. Seit die Magie eins mit mir ist, unbegrenzt in meinem Körper fließt, kann sie zu mir sprechen, selbst nach ihrem Tod.

Ich fände es falsch, sie mit Magie zu heilen, antworte ich innerlich und empfinde Unbehagen bei dem Gedanken. Ich weiß, dass meine Magie ihre physischen Wunden heilen könnte – aber die emotionalen? Nein …

Das habe ich nicht gemeint, wendet Hannah ein. Aber du kannst ihnen zeigen, dass sie eine Zukunft haben, dass Winter wieder auferstehen kann.

Meine Anspannung lässt nach. Also gut, presse ich hervor.

Als mich Sir aus dem Zelt herausführt, verstummt die Menge der Umstehenden. Zwanzig Arbeiter sind bereits unter Tage – genau wie bei allen anderen Minenöffnungen, die ich durchführen musste. Ich stehe oben am Eingang und nutze meine Magie, um sie mit übermenschlicher Kraft und Ausdauer zu erfüllen. Die Magie wirkt nur auf kurze Entfernung, sodass ich die Arbeiter von Jannuari aus nicht erreichen könnte. Aber hier befinden sie sich direkt in den Tunneln unter mir.

»Es ist alles vorbereitet, meine Königin«, sagt Sir. Auch wenn er vielleicht spürt, wie sehr ich diese Minenöffnungen hasse, verliert er kein Wort darüber, sondern entfernt sich, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

Ich beiße mir auf die Wange und versuche, alles andere auszublenden – Hannah, Sir, alle auf mich gerichteten Blicke, die schwere Stille, die sich ringsherum ausbreitet.

Noch bis vor Kurzem war ich dankbar für meine Magie. Als Angra uns in Frühling gefangen gehalten hat, hätten wir uns ohne sie niemals befreien können. Als wir nach Winter zurückgekehrt sind und ich nicht wusste, wie ich allen helfen könnte, strömte sie aus mir heraus, ließ es schneien und erfüllte mein Volk mit neuer Lebensenergie, und ich war dankbar, weil die Magie immer wusste, was zu tun war.

Doch allmählich wird mir klar, dass ich die Magie, selbst wenn ich es wollte, nicht hindern könnte, aus mir herauszuströmen, sich ihren Weg durch die Erde zu bahnen, um die Minenarbeiter mit Stärke und Ausdauer zu erfüllen. Das ist es, was mir zurzeit am meisten Angst macht – denn tief im Inneren weiß ich, dass mein Körper, lange bevor die Magie – diese Funken sprühende, wirbelnde Kraft – auch nur ansatzweise nachließe, versagen würde.

Angetrieben durch irgendein unsichtbares Signal, fließen eiskalte Ströme durch meinen Körper und verwandeln jede Ader in kristallisierten Schnee. Ich verspüre das instinktive Bedürfnis, dem Einhalt zu gebieten, es einzudämmen, aber mein Verstand behält die Oberhand, da ich weiß, dass mein Volk genau diese Magie benötigt, die ich zu unterdrücken versuche. Noch vor dem nächsten Atemzug fließt Magie in die Minenarbeiter. Zitternd stehe ich da und blicke in die erwartungsvollen Gesichter der Menge. Sie können die Magie weder sehen noch fühlen, sofern ich sie nicht in sie hineinfließen lasse. Niemand weiß, wie leer ich mich fühle, wie ein Köcher für Pfeile – einzig dazu bestimmt, eine größere Waffe zu beherbergen.

Ich habe versucht, mit Sir darüber zu reden – es dann aber sofort heruntergeschluckt, als plötzlich Noam den Raum betrat. Wenn Noam herausfindet, dass er bloß seine Magsignie von einem feindlichen Soldaten zerstören lassen müsste, um dann selbst zur Magsignie zu werden, bräuchte er den Schlund nicht mehr zu finden, denn er wäre dann allmächtig, seine eigene Magsignie.

Dann müsste er nicht mehr so tun, als liege ihm etwas an Winter.

Ich wende mich ab, sehne mich nach irgendetwas, das meine dunklen Gedanken vertreibt. Die Menge glaubt, ich wolle mich zurückziehen, und klatscht leise.

»Sprecht zu ihnen«, drängt Sir, als ich auf das Zelt zusteuere.

Ich schlinge die Arme um mich. »Ich habe jedes Mal, wenn wir eine Mine geöffnet haben, dieselbe Rede gehalten – über Neuanfang, Fortschritt und Hoffnung. Sie haben das alles bereits gehört.«

»Sie erwarten es«, sagt Sir unnachgiebig. Als ich einen weiteren Schritt auf das Zelt zugehe, fasst er mich am Arm. »Meine Königin. Ihr vergesst, wer Ihr seid.«

Als ob ich das könnte, denke ich, bedauere diesen Gedanken aber sofort. Ich will nicht vergessen, wer ich jetzt bin.

Ich wünschte nur, ich könnte beides sein: Königin und ich selbst.

Alysson und Dendera stehen schweigend hinter Sir; Conall und Garrigan stehen etwas abseits; Theron unterhält sich mit einigen seiner Männer. Vor dieser vermeintlichen Normalität fällt nur umso mehr auf, wie fehl am Platz Nessa plötzlich neben ihren Brüdern wirkt. Ihre Schultern sind vorgebeugt, aber ihre Aufmerksamkeit ist auf eine Gasse links von mir gerichtet.

Ich befreie mich aus Sirs Griff und nicke Nessa zu, während ich auf sie zugehe.

»Sie sind zurück«, flüstert sie mir zu, als ich vor ihr stehe. Ihre Augen schweifen zu der Gasse, und ich sehe Finn und Greer am Rand des Lichts stehen, reglos, bis ich ihnen meine Aufmerksamkeit zuwende.

Finn macht eine schnelle Kopfbewegung, und sie steuern auf das Hauptzelt zu, als wären sie schon die ganze Zeit hier in Gaos gewesen. Sie waren mit uns gemeinsam aus Jannuari aufgebrochen, hatten sich dann aber von uns getrennt und sich davongestohlen, bevor irgendwelche Cordellianer bemerkten, dass das Gefolge der Winterianer Königin von fünf auf drei geschrumpft war.

Sir geleitet mich zu dem Zelt, als befürchte er, ich könne mich auch dagegen sträuben. Aber ich eile ihm voraus und stelle mich neben Alysson und Dendera an den Tisch in der Mitte. Wir geben uns Mühe, uns unsere Anspannung nicht anmerken zu lassen, wollen auf keinen Fall Aufmerksamkeit erregen. Aber meine Angst schnürt mir von Sekunde zu Sekunde mehr die Kehle zu.

»Was habt ihr herausgefunden?«, fragt Sir leise.

Finn und Greer beugen sich über den Tisch, Schweiß läuft ihnen über die schmutzverkrusteten Gesichter hinunter. Ich verschränke die Arme. Eigentlich ist es ja reine Routine, dass die Berater der Königin von einer Mission zurückkehren. Und doch spüre ich ein nagendes Unbehagen in der Brust.

Ich hätte mich auf diese Reise begeben sollen, um Informationen für das Königshaus zu sammeln– anstatt selbst die Königin zu sein.

Finn öffnet seinen Beutel und zieht ein Bündel hervor, während Greer eines von seiner Taille bindet. »Zuerst waren wir in Frühling«, erklärt Finn, seine volle Aufmerksamkeit auf den Tisch gerichtet. Lediglich Conall, Garrigan und Nessa spähen vorsichtig aus dem Zelt, um sicherzugehen, dass nicht plötzlich einer der Cordellianer zu uns herüberkommt. »Es stimmt, was die Cordellianer gehört haben – kein Zeichen von Angra. Frühling hat sich in einen Militärstaat verwandelt, der von ein paar der übrig gebliebenen Generäle geführt wird. Ohne Magie, aber auch ohne Kriegstreiberei.«

Erleichterung möchte sich in mir ausbreiten, aber ich halte sie zurück. Die Tatsache, dass in Frühling alles ruhig ist, bedeutet noch lange nicht, dass alles in Ordnung ist: Falls Angra die Schlacht in Abril überlebt hat und nicht will, dass jemand davon erfährt, wäre er ein Narr, in Frühling zu bleiben.

Und da wir seit dem Kampf nichts mehr von ihm gehört haben, möchte er, sollte er am Leben sein, definitiv nicht, dass jemand es weiß.

»Dann sind wir weitergeritten durch Sommer und Herbst – beide Königreiche sind unverändert«, fährt Finn fort. »Herbst war überaus freundlich, und in Sommer ist unsere Anwesenheit nicht einmal bemerkt worden, was es uns natürlich leichter machte, nach Gerüchten über Angra zu fahnden. In Yakim und Ventralli dagegen …«

Ich rücke noch näher an den Tisch heran. »Wurdet ihr entdeckt?«

Greer nickt. »Es ging das Gerücht, dass sich zwei Winterianer im Königreich aufhielten. Als wir erklärten, wir wären im Auftrag unserer Königin gekommen, schienen sie uns gnädiger gestimmt zu sein – aber sie haben uns nicht aus den Augen gelassen, bis wir wieder über die Grenze waren. Yakim und Ventralli haben Geschenke für Euch mitgegeben.«

Er schiebt mir die beiden Bündel zu. Ich greife nach dem ersten und entferne den verfilzten Stoff: Es ist ein dickes, in Leder gebundenes Buch, auf dessen Umschlag schwarze Buchstaben prangen.

»Die effektive Einführung von Steuergesetzen unter Königin Giselle«, lese ich. Die Königin von Yakim sendet mir ein Buch über Steuergesetze, die sie erlassen hat?

Finn zuckt die Achseln. »Sie wollte uns noch mehr mitgeben, aber wir haben ihr erklärt, dass wir nicht die Möglichkeit hätten, alles zu transportieren. Sie lädt Euch in ihr Königreich ein. Tatsächlich haben beide Euch eingeladen.«

Ich greife nach dem anderen Bündel. Als ich es auseinanderrolle, breitet es sich über den gesamten Tisch aus. Ein Wandteppich. Die bunten, verwobenen Fäden zeigen, wie Winters Schneefelder die grünen, blumenreichen Wiesen und Wälder von Frühling einnehmen. »Die Königin von Ventralli hat dies anfertigen lassen«, erklärt Finn, »um Euch zu Eurem Sieg zu gratulieren.«

Ich streiche mit dem Finger über die Silberfäden, die die Grenze zwischen Winter und Frühling bilden. »Wir waren schon oft in Ventralli und Yakim, um Vorräte und andere Dinge zu besorgen – bevor wir Angra besiegt haben. Aber noch nie hat die königliche Familie sich um uns gekümmert. Warum also jetzt?«

Greers Alter zeigt sich in den zunehmenden Falten und dem immer stärker gebeugten Rücken. »Cordell hat jetzt in zwei Jahreszeiten-Königreichen die Hände im Spiel – in Herbst und in Winter. Und von hier aus wäre es ein Leichtes für Noam, auch Frühling zu erobern, wenn er das wollte. Sommer hat Handelsabkommen mit Yakim, aber kein offizielles Bündnis. Die übrigen Rhythmus-Königreiche wissen, dass Noam den Magieschlund sucht, und sie haben Angst vor seinen ehrgeizigen Plänen. Sie wollen prüfen, wie loyal Winter Cordell gegenüber ist, um herauszufinden, ob sie Noam absetzen können.«

»Beide haben darauf bestanden, dass Ihr sie bald besuchen müsst«, fügt Finn hinzu. »Königin Giselle betonte, Ihr wäret jederzeit willkommen. Und Königin Raelyn sagt dasselbe für Ventralli – zwar hätte offiziell der König die Einladung aussprechen müssen, aber er scheint genauso begierig darauf, Euch kennenzulernen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Habt ihr in einem der Königreiche Anzeichen entdeckt, dass … er … noch lebt?«

Ich kann seinen Namen nicht aussprechen. Kann mich nicht überwinden, ihn in den Mund zu nehmen.

»Nein, meine Königin«, erwidert Greer. »Weit und breit kein Zeichen von Angra. Wir waren jedoch nicht in Paisly – der Ritt durch ihre Berge ist heimtückisch, und nach dem, was wir in Ventralli und Yakim gesehen haben, hielten wir es nicht für nötig.«

»Warum?«

»Weil Paisly ebenfalls ein Rhythmus-Königreich ist – sie würden niemals einem gestürzten Jahreszeiten-König Unterschlupf bieten. Yakim und Ventralli waren ja kaum bereit, uns Gastfreundschaft zu gewähren. Ich glaube nicht, dass …« Greer verstummt. »Meine Königin, ich glaube nicht, dass Angra sich in Primoria aufhält.«

Ich schließe ermattet die Augen. Als ich zum ersten Mal vorgeschlagen habe, nach Angra zu suchen, hielten mich alle für übervorsichtig. Nach der Schlacht in Abril ist er spurlos verschwunden, aber die meisten glauben, die Magie habe ihn aufgelöst – nicht, dass er entkommen ist.

»Er ist tot«, sagt Sir. »Er stellt nicht länger eine Gefahr dar, mit der wir uns beschäftigen sollten.«

Ich sehe ihn erschöpft an. Er und meine übrigen Winterianer Berater glauben nach wie vor, Angra wäre besiegt, selbst nachdem ich ihnen klargemacht habe, dass eine dunkle Magie vor Tausenden von Jahren – lange vor der Erschaffung der königlichen Magsignien – von Angras Magsignie Besitz ergriffen hatte. Damals besaßen alle kleine magische Gegenstände, nicht nur Könige, aber als die Menschen allmählich anfingen, die Magie für düstere Zwecke zu missbrauchen, entstand schließlich das Verderben – eine mächtige dunkle Magie, die jeden mit der Stärke und dem Verlangen erfüllte, seine abgründigsten Wünsche zu befriedigen. Als schließlich die königlichen Magsignien geschaffen wurden und alle kleineren Gegenstände ihre Magie verloren, wurde das Verderben schwächer, aber nicht zerstört – es nährte sich von Angras Macht, bis Mather den Stab von Frühling zerbrach.

Wenn Angra überlebt hatte, könnte er genau wie ich selbst zu einer Magsignie geworden sein. Dann wäre seine Magie nicht länger an einen Gegenstand gebunden und das Verderben wäre … endlos.

Aber falls er noch lebte, warum versteckte er sich dann? Warum preschte er dann nicht durch die Welt und versklavte uns alle? Vielleicht ist Sir sich deswegen so sicher, dass er tot ist.

Alle sehen mich an, sogar Conall, Garrigan und Nessa. Mein Blick gleitet an ihnen vorbei und ich reiße die Augen auf. In dem einen kurzen Moment, in dem niemand die Cordellianer Soldaten im Auge hatte, ist einer von ihnen zu uns herübergekommen …

»Ärger?«

Er schlüpft ins Zelt und drei andere folgen ihm. Kaum erfüllen ihre bewaffneten Gestalten den Raum, sind sämtliche meiner Berater in Alarmbereitschaft, und jeder Anschein von Lockerheit ist dahin.

Als dann auch noch Theron das Zelt betritt, knurre ich innerlich.

»Ich bin sicher, sie beratschlagen, was mit der Ausbeute der Tadil-Mine geschehen soll«, vermutet Theron und stellt sich neben mich. Er bedeutet seinen Männern mit einer Kopfbewegung, zu gehen. »Alles in Ordnung.«

Die Soldaten zögern, eindeutig nicht überzeugt, aber Theron ist ihr Prinz. Als er die Hand um meine Taille legt, ziehen sie sich aus dem Zelt zurück. Das Prickeln von Magie durchströmt mich, doch sie bleibt ruhig – ich sollte nicht jemanden aus einem anderen Land benötigen, um mir zu Hilfe zu eilen. Vor allem nicht, um genau die Männer abzuwehren, die uns eigentlich schützen sollten.

»Danke für Euer Eingreifen, Prinz Theron«, sagt Sir.

Theron schüttelt den Kopf. »Keine Ursache. Es sollte Euer gutes Recht sein, in Eurem eigenen Land ungestört zu sprechen.«

Ich betrachte ihn stirnrunzelnd. »Wenn dich jetzt dein Vater hören könnte!«

Doch Theron verstärkt nur seinen Griff um meine Taille und zieht mich näher zu sich heran. »Mein Vater hört, was er hören möchte«, sagt er. »Worüber habt ihr denn gesprochen?«

Sir kommt einen Schritt näher. Mein Blick schweift zur Seite, und ich sehe, dass Finn und Greer die Straße hinuntergehen und verschwinden. Vermutlich wollen sie sich nach ihrer Reise frisch machen.

»Wir haben lediglich über …«

Doch welche Lüge Sir auch auftischen wollte, sie erweist sich als überflüssig. Theron löst sich von mir und greift nach dem Wandteppich auf dem Tisch.

»Aus Ventralli?«, fragt er. »Was hat es damit auf sich?«

Natürlich weiß er, woher der Wandteppich stammt. Seine Mutter war die Tante des Königs von Ventralli – Therons Gemach in Bithai ist vollgestopft mit Gemälden, Masken und anderen Kostbarkeiten aus der Familie seiner Mutter.

Ich sehe Sir an, der meinem Blick standhält, und auch die anderen sind wie versteinert. Alle warten auf meine Antwort.

Alle erwarten, dass ich lüge.

Finns und Greers Reise sollte geheim sein, ein schwacher Versuch von Winters Aufbegehren angesichts der Cordellianischen Besatzung. Als Beweis, dass wir etwas tun können, selbst etwas darstellen.

Aber Theron anzulügen …

Als ich etwas zu lange schweige, presst Sir die Zähne zusammen. »Die Trümmer von Gaos«, stößt er schließlich hervor. »Wir haben es in den Gebäuden gefunden.«

Erst als Sir diese Worte ausgesprochen hat, wird mir bewusst, dass Theron die Wahrheit höchstwahrscheinlich sowieso herausfinden wird: Wenn Giselle und Raelyn Finn und Greer empfangen haben, wird sich diese Nachricht verbreiten. Früher oder später wird Noam schließlich erfahren, dass seine Rhythmus-Brüder Besucher aus Winter empfangen haben.

Ich schlucke schwer, aber die Lüge ist ausgesprochen. Es jetzt zurückzuziehen, würde alles nur noch schlimmer machen, oder? Ich kann Sir schlecht um seine Meinung fragen – im Übrigen ist er derjenige, der gelogen hat. Vielleicht ist es … in Ordnung.

Nein, ist es nicht. Aber ich weiß nicht, wie eine Königin dies regeln würde.

»Er ist wunderschön.« Theron streicht über das Gewebe.

»Eine Schlacht zwischen Frühling und Winter?«

Er blickt mich erwartungsvoll an.

Mir gelingt tatsächlich ein Kichern. »Das fragst du mich? Du bist derjenige, in dessen Adern Ventrallisches Blut fließt.«

Theron grinst. »Ah, aber ich hatte gehofft, etwas davon hätte inzwischen auf dich abgefärbt.«

Meine Wangen glühen, angefacht durch die Gruppe meiner Berater, die uns immer noch beobachten, die Art, wie Theron sich aufrichtet und mir den Kopf zuneigt. Ich kann nicht beurteilen, ob er Sirs Lüge durchschaut hat. Ich kann nur sehen, was für einen Blick seine Augen annehmen, wann immer er irgendeine Form von Kunst zwischen die Finger bekommt – ein Blick, der ihm eine gewisse Sanftheit verleiht. Es ist schön, ihn so gelöst zu sehen, zu beobachten, dass die Angst und die qualvollen Erinnerungen für einen Moment in den Hintergrund treten. Ich überlege, wo ich das schon mal erlebt habe.

Plötzlich fällt es mir wieder ein. Genauso hat er mich vorhin auf den Feldern vor Gaos angesehen, genauso sieht er mich jedes Mal an, wenn er mich küssen möchte – als sei ich ein Kunstwerk, das er zu deuten versucht.

Mein Herz pocht so laut, dass ich sicher bin, er kann es hören. Wären wir in seinem Gemach, er, der Prinz von Cordell, und ich, eine Soldatin aus Winter, hätte ich mich diesem Blick ohne zu zögern hingegeben.

Doch stattdessen sehe ich mich im Zelt um, blicke auf Sir, Dendera und Alysson. Sogar Conall, Garrigan und Nessa. Sie alle mustern mich mit demselben Blick – als hätten sie mich nie anders als als Königin von Winter gekannt, eine Person, die Ehrerbietung und Verehrung verdient.

Aber ich bin nichts von alledem. Ich bin jemand, der gerade dazu beigetragen hat, einen seiner engsten Freunde zu belügen.

Das ist es, was Winter braucht. So muss ich für Winter sein.

Ich hasse die Person, die ich jetzt bin.

Ein starkes Rumpeln erschüttert die Erde, reißt mich beinahe von den Füßen. Benommenheit erfasst mich, während der Boden in einem heftigen Missklang von Beben und Dröhnen erzittert. Nach wenigen Augenblicken wird es wieder so still, als sei nichts geschehen.

Aber etwas ist geschehen, und die Familien der Minenarbeiter, die immer noch auf dem Platz versammelt sind, schreien auf vor Schreck.

Die Mine ist eingestürzt.

Die Gewissheit erfasst jeden einzelnen Nerv und ich verlasse hastig das Zelt. Mein Rock verfängt sich in meinen Beinen. Ich raffe ihn zusammen und gehe schneller. Als ich gerade über den Platz stürme, greift jemand nach meinem Arm.

»Meine Königin.« Sirs Stimme hat ihren üblichen Befehlston. »Ihr könnt nicht …«

»Da unten sind Minenarbeiter!«, rufe ich. Die Menschen um mich herum eilen zum Eingang der Mine, bedrängen die Cordellianer Soldaten, die sie auf dem Platz zurückzuhalten versuchen, bis Entscheidungen getroffen werden können. »Es sind meine Leute, mein Volk. Ich bin die Einzige, die sie heilen kann, und ich werde sie da unten nicht im Stich lassen.«

Ich wusste, dass wir diese Mine nicht hätten öffnen sollen. Und wenn Noams Beharren auf der Suche nach etwas, das wir sowieso nie finden werden, auch nur einen meiner Winterianer das Leben gekostet hat, werde ich ihn töten.

Sir verstärkt seinen Griff. »Ihr seid die Königin – Ihr werdet nicht in eingestürzte Minen hinuntersteigen!«

Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, doch noch bevor ich einen Ton herausbekomme, kommt einer der Cordellianer Soldaten, die den Eingang der Mine bewachen sollten, herbeigeeilt.

»Ein Minenarbeiter!«, ruft er über das Schreien der Menge nach Details. »Er kommt den Schacht hoch!«

Erleichterung erfasst mich. Die Magie – sie hat ihnen Ausdauer und Kraft verliehen. Vielleicht konnte sogar einer von ihnen entkommen und rennt jetzt verzweifelt den Schacht hoch.

Sir bahnt sich einen Weg durch die Menge. Ich folge ihm auf den Fuß.

Hinter dem Kamm fällt der Hügel auf der anderen Seite ab, nur ein schmaler Weg windet sich um heruntergefallene Felsbrocken. Er führt zu einer Höhle, die sich nicht von anderen unterscheidet – dunkel und unergründlich. Sir und ich rennen darauf zu. Conall, Garrigan, Theron und ein paar Cordellianer Soldaten folgen uns. Ich richte meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Eingang und flehe die dahinterliegende Dunkelheit an, den Minenarbeiter loszulassen, damit er uns berichten kann, dass der Einsturz gar kein Einsturz, sondern irgendetwas anderes war …

Als wir den Eingang schließlich erreichen, torkelt der Minenarbeiter heraus und fällt auf die Knie. Er ist derart mit Schmutz bedeckt, dass seine elfenbeinfarbene Haut und sein Haar ganz grau sind. Ich gehe vor ihm in die Knie und lege ihm die Hände auf die Schultern. Noch bevor ich noch einmal darüber nachdenken kann, sammelt sich die Magie bereits in meiner Brust, eine Woge von Frost, und strömt durch meine Arme in den Körper des Minenarbeiters hinein, befreit seine Lungen und heilt die Prellungen an seinen Gliedern.

Ich ringe nach Atem, keuche wegen des ungeplanten Gebrauchs der Magie, als die Anspannung im Gesicht des Mannes sich löst. Spürt er, dass ich ihn mit Magie erfüllt habe?

»Eine Wand ist eingestürzt, meine Königin«, hustet er. »Völlig unerwartet, zumindest an dieser Stelle, aber …«

Theron lässt sich neben mir zu Boden fallen, die Aufmerksamkeit voll und ganz auf den Minenarbeiter gerichtet. Sein Blick verrät pures, schmerzvolles Verlangen.

»Wir … haben ihn gefunden«, fährt der Minenarbeiter fort, als könne er es selbst nicht glauben. Er blinzelt mir zu, und ich versuche mit aller Kraft, die mir verblieben ist, zu atmen, einfach zu atmen, weiterzuatmen.

»Meine Königin, wir haben ihn gefunden. Den Magieschlund.«

Kapitel 3

Meira

Hannah?, flüstere ich wortlos und meine Magie entfacht einen winzigen Funken Kälte. Sag mir, dass er sich irrt.

Doch das Gefühl, das sie ausstrahlt, ist das Gegenteil von dem, was ich erwartet habe: Erstaunen. Ehrfurcht. Dasselbe atemlose Staunen, das alle anderen erfasst.

Wir waren so nah, keucht sie. Die Tadil-Mine, die ganze Zeit– wir waren so nah…

Ihre Worte verklingen, aber ich weiß, was sie meint.

Bevor Angra Winter an sich riss.

Der Minenarbeiter rappelt sich wieder hoch und führt mich stillschweigend weiter. Sir stolpert hinter mir her, als würde er gegen seinen Willen in die Mine geschleppt. Theron, Garrigan, Conall und eine Handvoll Cordellianer Soldaten kommen hinterher.

Die ersten Meter des Minenschachts sind noch von Sonnenlicht beleuchtet, aber weiter im Innern, dort, wo sich der Boden um gezackte Felswände zu senken beginnt, ist alles in Dunkelheit gehüllt. Der Minenarbeiter greift nach einer brennenden Laterne, vermutlich dieselbe, die er trug, als er den Schacht hinaufrannte. Wir übrigen nehmen uns auch ein paar Laternen von einem Stapel, zünden sie an und folgen ihm.

Nun ist auch das Innere der Höhle zu erkennen, Werkzeug liegt verstreut in einem zwei Armlängen breiten Tunnel, der kaum mannshoch ist. Als wir den Tunnel betreten, umfängt uns Stille. Das einzige Geräusch stammt vom gedämpften Schlurfen unserer Füße, als wir uns mit vorsichtigen Schritten in die Dunkelheit vorwagen.

Finger streifen mein Handgelenk, eine sanfte Berührung, die kühner wird, als ich Theron ein kleines Lächeln schenke. Er sagt nichts, aber an der Art, wie er den Mund öffnet, erkenne ich, dass er gern etwas sagen würde. Doch was gibt es zu sagen, außer ungläubigem Gemurmel?

Ich drücke seine Finger und zerre ihn weiter, hinein in die Dunkelheit.

Vor uns öffnen sich weitere Schächte, aber der Minenarbeiter an der Spitze unserer Gruppe führt uns daran vorbei und taucht in den tiefsten Tunnel der Klaryns-Berge ein. Die Luft riecht nach altem moderigen Schmutz, der sich in dünnen Schichten auf meine Haut legt und sich beinahe wie Schnee anfühlt. Trotzdem wird das flaue Gefühl in meinem Magen immer stärker, als der Tunnel vor uns in einer Öffnung mündet.

Die Laternen der anderen Minenarbeiter beleuchten die zerfurchte Wand. Den zerborstenen Felsbrocken nach zu schließen, die verstreut auf dem Boden herumliegen, gab es wohl einen nicht geplanten Durchbruch. Auch die anderen Minenarbeiter scheinen unverletzt zu sein, was meine Sorgen etwas lindert. Sie alle sind im Tunnel versammelt und starren auf den Riss in der Wand. Sie haben zu große Angst vor dem, was dahinter liegt, um sich hindurch zu wagen, und sind zu überwältigt, um den Rückzug anzutreten.

Als sie uns erblicken, treten sie zur Seite. Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Aber ich bin genauso starr vor Angst und überwältigt. Die Laterne zittert in meiner Hand und das Licht flackert zuckend über die Wände.

Jemand hat diesen Raum hier geschaffen. Hinter der Öffnung schimmert der perfekt geschliffene schwarzgraue Boden wie Marmor. Die Wände bestehen aus denselben gezackten Felsstücken wie der Rest der Mine, aber sogar das scheint gewollt zu sein, denn dadurch wird die volle Aufmerksamkeit auf den hinteren Teil des Raums gelenkt, wo der rohe Stein zu einer glatten Wand gehauen wurde.

In dieser Wand befindet sich etwas, bei dessen Anblick mir der Atem stockt.

Ich trete einen Schritt vor, vorbei an den abgebröckelten Felsstücken, und stelle meine Laterne an der Schwelle des Durchbruchs ab, da die Laternen der Männer hinter mir diesen neuen Raum in ausreichend Licht tauchen. Als ich ihn betrete, prickelt die Luft auf meiner Haut, ähnlich wie bei einem Gewitter, das gleich seine Blitze entladen wird. Ich fröstle, Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen.

Die Luft ist schwer und feucht von der Magie.

Und ich glaube … ich glaube, ich blicke auf das Tor zum Schlund.

Theron greift nach meinem Ellbogen und ich zucke zusammen. Ich habe nicht gemerkt, dass er mir gefolgt ist, doch er scheint der Einzige zu sein, der mutig genug – oder dumm genug? – ist mir nachzugehen. Alle anderen sind an der Öffnung stehen geblieben und starren voller Entsetzen auf die Stelle, die auch meine Aufmerksamkeit gefesselt hat.

In der Wand vor uns ragt ein Tor auf, massiv und gewaltig. Es besteht aus demselben grauen Stein wie der übrige Raum. In die Mitte des Tors sind vier Schnitzereien eingelassen: ein Gewirr von flammenden Weinreben, aufeinander gestapelte Bücher und eine Maske. Die letzte und größte Abbildung befindet sich über den drei kleineren. Sie zeigt eine Bergspitze, auf die ein Lichtstrahl trifft. Darüber ist zu lesen:

DERORDENDERLUSTRATEN.

Ich trete näher, meine Stiefel hallen auf dem Steinfußboden.

Ein Lichtstrahl trifft auf eine Bergspitze. Wo habe ich das schon einmal gesehen?

Und was verbirgt sich hinter dem Orden der Lustraten?

Theron zischt. »Bei allen goldenen Blättern.« Er gleitet einen Schritt vorwärts.

»Sind das … Schlüssellöcher?«

Ich greife nach seinem Arm, möchte verhindern, dass wir noch weiter in diesen Raum vordringen. Er fühlt sich gefährlich an, als ob er auf etwas warte, aber ich will nicht herausfinden, worauf.

Doch Theron hat recht: In der Mitte jeder einzelnen der drei holzgeschnitzten Abbildungen befindet sich ein kleines Schlüsselloch.

»Glaubst du, das ist es?«, flüstere ich so leise wie möglich.

Therons Hand umfasst meine, die seinen Arm festhält, und er nickt wie in Trance.

»Ja«, erwidert er und lächelt, als habe ein Teil von ihm seine innere Angst überwunden. »Wir haben ihn gefunden. Jetzt wird alles gut.« Er sieht mich an, dann schaut er wieder zurück zum Tor. »Jetzt wird alles gut …«

Ich werfe einen Blick zurück zu den anderen, die sich immer noch am Eingang herumdrücken. Sirs Blick begegnet meinem, und ich versuche zu verstehen, was dieser Fund für uns bedeutet.

Als unsere Welt das letzte Mal mehr als nur die acht Königlichen Magsignien besaß, entstand das Verderben. Die Menschen begannen damit, ihre individuellen Magsignien für Dinge einzusetzen, die anderen schadeten, für Mord, Diebstahl und sonstige Verbrechen. Dies erzeugte eine schwarze Magie, die sich in den Köpfen der Menschen einnistete und sie nur noch mehr dazu anspornte, ihre Magie für Böses zu benutzen. Und damit begann ein Teufelskreis.

Und wenn sich hinter diesem Tor der Magieschlund befindet und wir es öffnen …

Wir könnten uns täuschen. Vielleicht ist es nur … eine Halle. In einem Berg?

Was sonst könnte es sein?

Meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt. Dies ist wirklich der Magieschlund, oder? Ich hätte Noam schon vor Langem Einhalt gebieten sollen. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass er meinem Königreich so etwas antut – wie ist es überhaupt möglich, dass wir ihn tatsächlich gefunden haben?

Therons Miene verrät blankes Erstaunen. Er freut sich über diesen Fund, wird das Tor öffnen wollen. Dieser Ausdruck auf seinem Gesicht verunsichert mich nur noch mehr. Ich habe nicht nachgedacht, bin einfach hier hereingestürmt, ohne zu überlegen, wer Theron ist, wer er wirklich ist – nicht nur eine Quelle des Trosts, nicht nur mein Freund, sondern eben immer noch und vor allem ein Cordellianer. Er will den Schlund. Cordell will ihn.

Ich trete den Rückzug an, entferne mich von ihm.

Theron streckt die Hand nach mir aus. »Meira?«

Ein beißendes Kältegefühl durchströmt mich und erfüllt mich mit Magie. Es ist meine Magie, nicht die Funken in der Luft. Ich bleibe ruckartig stehen.

Meira!, höre ich Hannahs Stimme. Sie ist aufgebracht. Hat Angst. Wovor?

Theron reißt nun ebenfalls seinen Blick von dem Tor los und wendet sich zum Gehen. Doch dann bleibt er mit dem Fuß irgendwo hängen, stolpert und fuchtelt wild mit den Armen herum, bevor er gegen mich prallt und wir beide das Gleichgewicht verlieren und auf das geschnitzte Tor zuschlittern.

Meira, du musst hier raus!

So kalt, so kalt …

MEIRA!, ruft Hannah. Mei...

Plötzlich ist alles still. Eine lähmende Stille, als sei eine Tür zugeschlagen und habe alle Geräusche ausgesperrt.

Brennende Hitze verzehrt meinen Körper, quält ihn mit erbarmungslosem Schmerz. Er fühlt sich so heiß an, wie meine Magie kalt ist, stiehlt sich in meine Glieder, meine Brust und meinen Hals, verbrennt meine Kehle, verwandelt sie in einen undurchdringlichen Knoten, wird noch stärker und umhüllt jeden einzelnen Nerv, sodass ich nicht einmal schreien kann.

Therons Körper ist gegen meinen gepresst. Alles, was ich trotz der rasenden Schmerzen in meinem Inneren spüre, ist, dass wir selbst die Ursache für diese Schmerzen sind. Oder vielmehr ich – ich bin die Ursache für dies alles, da Theron keine Schmerzen zu spüren scheint. Er zieht lediglich verwundert die Stirn in Falten.

»Meira, was …?«

Plötzlich erfasst uns eine unsichtbare Kraft, wirbelt uns durch die Luft und befördert uns zum Durchbruch in der Mine zurück. Unsere Körper werden gegen die Steinwand geschleudert, bevor wir in einem Knäuel aus Armen und Beinen auf dem Boden liegen bleiben. Alle, die an der Öffnung stehen geblieben waren, schreien entsetzt auf und stürzen auf uns zu. Doch zumindest hat sich irgendwo in der Luft der Knoten in meiner Kehle gelöst, und der Schmerz dringt als ein Schrei aus meinem Mund, der nichts Menschliches mehr hat. Mein Körper zittert und ich rolle mich zusammen, den Kopf zwischen den Knien, die Hände über den Ohren. Ich wiege mich hin und her, versuche, eine Position zu finden, bei der ich nicht das Gefühl habe, bei lebendigem Leib zu verbrennen.

HANNAH!, rufe ich nach ihr, nach der Magie, nach irgendetwas, das diesem Schmerz Einhalt gebieten könnte …

Schweigen – das ist alles, was ich von ihr bekomme. Furcht erfasst mich. Dann legt sich undurchdringliche Dunkelheit auf meine Lider, dringt in meine Kehle und zwängt mich von Kopf bis Fuß in ein Gefängnis, das ich nur allzu gut kenne.

»Meira!« Theron vergräbt seine Finger in meinem Haar und er schlingt die Arme um mich. »Meira, halt durch …«

Doch im nächsten Moment bin ich allein in der Dunkelheit, dem Feuer und dem Eis.

Die Dunkelheit weicht, schwindet im gelben Schein der Fackeln. Fast bin ich dankbar für das Licht– ich bin wach; habe überlebt, es geht mir gut–, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt haben.

Im flackernden Licht sehe ich eine Zelle, schmutzige schwarze Steine mit bräunlichen Flecken. In der Ecke sitzt Theron, starrt mit blankem Entsetzen zur Tür.

Denn im Türrahmen steht Angra.

»Der Erbe von Cordell«, verkündet Angra, macht einen Schritt vorwärts und hockt sich, auf seinen Stab gestützt, vor Theron. »Ihr verleiht dem Begriff tapfer eine völlig neue Bedeutung. Was hattet Ihr vor? Ihr wolltet Euch wohl in meine Stadt einschleichen und meine neueste Winterianer Sklavin befreien?« Er streckt die Hand aus, umfasst Therons Kinn und lenkt seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. »Oder erwartet Ihr, dass Euer Vater hereinstürmt und Euch beide rettet?«

Therons stoische Haltung bröckelt und er ringt nach Luft, genau wie ich.

Das also ist Theron widerfahren, als er in Abril im Gefängnis saß.

Angra legt den Kopf zur Seite, als lausche er einem Echo. Auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck, den ich niemals für möglich gehalten hätte. Seine Augen blicken entspannt, die Lippen sind leicht geöffnet– ein Ausdruck verblüffter Ehrfurcht.

Angra fängt sich wieder, streicht mit dem Daumen über Therons Wange. »Ihr glaubt also wirklich, dass er kommt?«

Theron zieht die Augenbrauen zusammen, zeigt einen Hauch von Zweifel, dessen er sich vielleicht nicht einmal bewusst ist.

»Ihr und ich, wir sind gar nicht so unterschiedlich«, fährt Angra fort. »Soll ich Euch zeigen, wie ähnlich wir uns tatsächlich sind?« Er legt die Hand auf Therons Kopf.

Theron schreit auf. Es spielt keine Rolle, dass dieser Augenblick in Wirklichkeit schon lange vorbei ist, ich ertrage es nicht, Theron so schreien zu sehen