Eiskaltes Erbe - Susanna Nickl - E-Book

Eiskaltes Erbe E-Book

Susanna Nickl

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Beschreibung

Euphrosine Hase hat es sich mit Giovanni im adventlichen Neuenkirchen gerade so richtig gemütlich gemacht, als sich die Ereignisse überschlagen: Leopolds Frau, die Mizzi, wird entführt und kurz darauf findet man Monsignore Römer ermordet auf dem Friedhof. Die Spur führt in das verschneite Wien, wo sich die Häsin durch ihre Neugierde in Lebensgefahr bringt und das Rätsel um die Eiserne Krone lösen muss. Nach ihrem Erstlingsroman "Die Berge der Barmherzigkeit" lässt Susanna Nickl die "Häsin" in einem neuen Fall ermitteln.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Susanna Nickl

Eiskaltes Erbe

Fall zwei der Häsin

Dieses Buch ist ein Roman und erhebt nicht den Anspruch historischer Korrektheit in allen Einzelheiten, gleichwohl versucht wurde, den zeitlichen Kontext zu wahren.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

© 2021 Susanna Nickl 1. Auflage 2021

Autorin: Susanna Nickl Umschlaggestaltung und Layout: Peter Nickl Umschlagmotiv: © Julius Silber auf Pixabay

ISBN: 978-3-347-46776-7      (Softcover)

ISBN: 978-3-347-46778-1      (Hardcover)

ISBN: 978-3-347-46782-8      (e-Book)

ISBN: 978-3-347-46792-7      (Großdruck)

Für Peter

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

PROLOG

Das weiße Haus

Die Mizzi

Madam Molotov

Tante Gundula

Melchior

Der Vachek weiß was

Die Eiserne Krone

Wien

Die Spinnerin am Kreuz

Bei den schweigenden Mönchen

Giovanni

Wo ist Mizzi

Abschied

Nach Hause

Noblesse oblige

Die Hütte im Wald

Zu guter Letzt

Heilige Nacht

EPILOG

Eiskaltes Erbe

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

PROLOG

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PROLOG

Das weiße Haus

Euphrosine schreckte auf. Sie hatte wieder geträumt. Durch das Fenster goss der Vollmond sein milchiges Licht auf das Bett, in dem neben ihr Giovanni tief und ruhig schlief.

Immer wieder derselbe Traum, seit ihrer Kindheit. In unregelmäßigen Abständen, keinem Schema folgend, aber zuverlässig über all die Jahre. Sie konnte einfach nicht herausfinden, was er bedeuten sollte:

Sie träumte, dass sie auf ein weißes Haus zulief, mit flachem Dach und bodentiefen Fenstern, das einem Bungalow glich. Es stand eingebettet in Hügel aus grünem Gras. Kein Baum, kein Strauch, keine einzige Blume. Vor dem Haus auf dem Hügel arbeiteten mit gebeugtem Rücken zwei alte Leute – sie schienen etwas zu suchen. Der Mann hatte ihr den Rücken zugedreht und die Frau sah auf, als sie Euphrosine erblickte.

Sie hatte graues Haar, das sie in einer Art Pagenschnitt trug und eine Brille. Kein Geräusch war zu hören, kein Vogel sang, es herrschte Totenstille. Die Luft roch nach Regen und der Himmel war grau, als hinge ein Gewitter über dem Land. Die alte Frau winkte sie zu sich heran, aber Euphrosine konnte sich nicht bewegen.

An dieser Stelle fuhr sie jedes Mal schweißgebadet aus dem Schlaf hoch, hellwach plötzlich und brauchte lange, um sich zu beruhigen.

Giovanni hatte ihre Angst gespürt und tauchte aus seinem Tiefschlaf nach oben: „Hast du wieder geträumt, Cara mia?“, nuschelte er schlaftrunken und nahm sie in die Arme. „Ich glaube, du träumst unser Haus …“ und war schon wieder eingeschlafen.

Die Häsin kuschelte sich an ihn und als sie endlich wieder in den Schlaf fand, wurde es draußen schon hell.

 

Die Mizzi

Euphrosine hatte sich gerade ein ziemlich großes Stück Apfelstreuselkuchen in den Mund geschoben, als die Tür zu ihrem Wohnzimmer mit einem solchen Schwung aufgestoßen wurde, dass die Klinke an die Wand donnerte. Die Häsin fuhr zusammen. Im Türrahmen stand der Leopold, käsweiß im Gesicht, Schneematsch an den Stiefeln. Am Kopf und den Schultern dick mit Schneeflocken bestäubt wie mit Puderzucker.

Euphrosine Hase bemühte sich, möglichst schnell hinunterzuschlucken („Langsam, Madla, langsam!“, hörte sie Tante Gundula sagen): „Ja um Gotteswillen, Leopold! Wie siehst du denn aus? Was ist denn los?!!“

Der Leopold hatte inzwischen zu schmelzen begonnen und hinterließ nasse Fußspuren auf dem Parkett auf dem Weg zum Sessel. Die Polsterung krachte, als er sich hineinplumpsen ließ.

Er hat schon wieder zugenommen, stellte die Häsin missbilligend fest. Nach einem zweiten Blick in Leopolds Gesicht verkniff sie sich ihre Bemerkung lieber. Leopold fuhr sich mit der Hand über die Stirn:

„Die Mizzi ist weg“, sagte er mit bebender Stimme.

„Wie, weg?“, erwiderte die Häsin misstrauisch, der Leopolds zweite Frau ans Herz gewachsen und durch das Abenteuer mit dem Desideriuskreuz zu einer echten Freundin geworden war. „Was hast du denn wieder gesagt und was hast du gemacht?!!“, funkelte sie ihn an.

Der Leopold winkte erschöpft ab: „Gar nix, überhaupt nix hab ich gesagt oder gemacht … Ich kam heute Mittag aus dem Rathaus heim und die Mizzi war nirgends: nicht im Haus, nicht beim Schneeräumen, nicht im Keller. Das Auto war in der Garage, ihre Handtasche stand auf der Konsole im Flur“, er legte seinen Kopf in die aufgestützte Hand, als wäre er ihm zu schwer geworden, „sie haben sie einfach mitgenommen.“ Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle.

„Wer hat die Mizzi einfach mitgenommen? Herrgott, jetzt red schon Leopold!“ Die Häsin wurde ungeduldig.

„Ich weiß es nicht, Euphrosine, ich weiß es nicht …“

Der Leopold war völlig am Ende, so viel stand fest. Und bevor er sich nicht gefangen hatte, war nichts weiter aus ihm herauszubringen, das stand ebenfalls fest.

Die Häsin ging zum Buffet, öffnete die schön geschwungene Tür aus Nussbaumholz und holte zwei bauchige Schwenker aus Bleikristall heraus, sowie eine Kognakflasche und goss mit Schwung eine respektable Menge in jedes Glas.

„Austrinken!“, befahl sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Der Leopold gehorchte brav. Sie selbst nippte nur an ihrem Kognak.

„Also: Woher weißt du, dass jemand die Mizzi mitgenommen haben soll?“

„Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht mit verzerrter Stimme, die gesagt hat, dass die Mizzi entführt worden ist und wenn ich will, dass ihr nix passiert, darf ich auf keinen Fall die Polizei einschalten. Weitere Anweisungen würden folgen.“

Der Leopold hickste. Zuviel Kognak in zu kurzer Zeit. Aber er tat seine Wirkung: Leopold begann sich zu entspannen, was schon allein daran sichtbar war, dass er begann, seine Schuhe auszuziehen und seinen Gürtel ein Loch weiterzumachen. Die Häsin verdrehte innerlich die Augen.

„Das ist alles? Mehr weißt du nicht?“

„Das ist alles.“ Leopold tapste zum Sofa und legte sich mit einem Seufzen hin.

Euphrosine stand mit einem Ruck auf, ging zur Terrassentür und blickte nachdenklich in den tief verschneiten Garten hinaus. Schneeflocken tanzten in einem dichten Wirrwarr von undurchschaubarem Muster vom Himmel, wie Menschen auf der Straße.

„Leopold, wir müssen die Polizei einschalten. Du weißt ja bestimmt: Solche Entführungen laufen immer nach dem gleichen Schema ab und die haben Spezialisten und wissen, was zu tun ist. Verstehst du, Leopold? Leopold?!“

Leise Schnarchgeräusche vom Sofa verrieten ihr, dass der Leopold vor Erschöpfung eingeschlafen war.

Sie deckte ihn liebevoll mit einer Wolldecke zu, knipste das Licht aus, flüsterte: „Schlaf schön, mein Dicker“ und schlich aus dem Zimmer.

* * *

Eine Stunde später, nachdem Leopold schlaftrunken nach Hause gewankt war, klingelte es an der Haustüre Sturm. Euphrosine angelte mit dem Fuß nach dem zweiten Hausschuh und eilte an die Tür.

Draußen stand Monsignore Römer, knetete seine rotgefrorenen Finger, schoss an Euphrosine vorbei direkt ins Wohnzimmer („Kommen Sie doch herein, Herr Pfarrer …“) und ließ sich auf die Couch plumpsen.

„Ein Kognak wär recht.“ Wenn das so weitergeht, muss ich meine Vorräte aufstocken, dachte Euphrosine.

Während sie die Flasche entkorkte, verkündete Monsignore Römer bedeutungsschwanger: „Ihre Rosen sind erfroren. Leider.“

Euphrosine starrte ihn an, als wäre er vom Himmel direkt in ihr Wohnzimmer gefallen: „Welche Rosen denn, Herr Pfarrer?“

„Na, die auf dem Grab, Sie wissen schon, von der Dings, von der italienischen Toten.“

„Ja, ich weiß, wen Sie meinen: Signora Visconte, die ich letztes Jahr ermordet in ihrem Haus gefunden habe. Aber welche Rosen denn?!“

Der Monsignore hatte mit einem beachtlichen Zug das Kognakglas geleert: „Das Grab wird doch von der Gärtnerei Moser bepflanzt, ein Dauerauftrag, von dem niemand nicht weiß, wer den bezahlt. Und noch nie nicht waren da noch zusätzlich Blumen drauf, schon gar nicht im Winter, wenn Schnee auf dem Grab liegt!“

Der Monsignore hielt der Häsin den leeren Kognakschwenker hin. „Und da hab ich mir gedacht, das können nur Sie gewesen sein, weil Sie ja sozusagen eine Verbindung zur der Toten haben und sich ja sonst auch keiner nicht kümmert.“

„Rosen, im Winter?“ Euphrosine sah den Monsignore zweifelnd an. „Würd ich nie machen!“

Der Monsignore begann sich zu entspannen, was allein schon daran sichtbar wurde, dass er begann, seine Schuhe auszuziehen. Oh nein, dachte die Häsin, DU NICHT!

„Monsignore Römer“, begann sie mit sanfter Stimme, „Herr Pfarrer, haben Sie nicht morgen eine Frühmesse, um sieben Uhr, ist das richtig?“

Der Monsignore zuckte mit dem Kopf: „Ach, das hätte ich beinahe vergessen“, er grinste schief, „zu schade …“

„Jaja, sehr schade“, erwiderte die Häsin und öffnete die Wohnzimmertür und vorsorglich auch gleich die Haustür. „Wunderbar, es hat aufgehört zu schneien, das macht den Heimweg gemütlich, gell.“

Sie hielt dem Monsignore den Mantel hin, half ihm beim Finden der Ärmel und drückte ihm den Hut in die Hand.

An der Tür blieb er nochmal stehen, drehte sich zur Häsin um und sagte sinnierend: „Ich weiß da etwas, es hat mit dem Grab zu tun, das muss ich Ihnen unbedingt noch erzählen …“

„Morgen, Monsignore, morgen.“

„Könnt ich vielleicht noch einen winzigen Schluck von dem Kognak … ich meine, das hält mich warm, bis ich im Pfarrhaus bin … hm?“

Die Häsin zog eine Augenbraue hoch, holte die Flasche, inspizierte den Rest (nur noch 2 Finger), drückte sie dem selig lächelnden Priester in die Hand und schob ihn mit Nachdruck zur Tür hinaus. Hoffentlich bleibt er morgen früh nicht wieder beim Vaterunser stecken …

Aber Monsignore Römer blieb nicht stecken beim Vaterunser, er blieb nie wieder stecken, er kam auch nie mehr zu spät in die Frühmesse, er kam nämlich überhaupt nicht mehr.

Eine völlig verstörte Kramerin fand ihn am nächsten Morgen auf dem Weg zur Kirche auf dem Friedhof: hingestreckt im roten Schnee mit durchtrennter Kehle. Die Finger fest um die leere Kognakflasche gekrallt.

Als die Häsin am nächsten Vormittag ihre Brötchen holte, schoss die Kramerin hinter ihrer Theke vor wie eine Natter aus ihrem Loch.

„Da will ich in die Messe gehen um sieben, um sieben geh ich immer, weil da sind wenig Leut, deswegen geh ich um sieben …“

„Um sieben“, nickte die Häsin geduldig.

„Ja, genau. Und da seh, da seh ich“, die Kramerin schnappte nach Luft, „also ich seh, wie alles rot war um den Monsignore! Blut, der ganze Friedhof, alles voller Blut!!! Und eine leere Flasche hat er in der Hand gehabt, unser guter Monsignore Römer“, sie wischte sich über die Augen, „was macht er denn mitten in der Nacht mit einer Flasche auf dem Friedhof?!!“

„Ja, was hat er denn da wohl gemacht?“, dachte die Häsin.

„Wissens, ich glaub er hat da wen …,“ zischte die Kramerin und schielte Euphrosine bedeutungsschwanger von der Seite an, „da war öfter mal eine junge Frau im Pfarrhaus – sehr elegant gekleidet, da hat er gleich immer den Vorhang vorgezogen, der Monsignore, damit keiner was sieht … Leider sind die Fenster so dicht, dass man nix hören kann, Hemadseitn!“ Die Kramerin begann sich zu echauffieren.

„Das ist im Winter sowieso gefährlich, Frau Zwerger, weil einem da leicht die Ohren an der Scheibe festfrieren können, wenn‘s so kalt ist“, antwortete die Häsin todernst.

„Moanans?“, fragte die Kramerin misstrauisch.

„Das hört man doch immer wieder: Ohren, Nasen, Zungen, alles friert fest. Und dann muss jemand zum Auftauen kommen, wie peinlich ist das denn!“, die Häsin wurschtelte mit gesenktem Kopf tief in ihrer Einkaufstasche herum, damit die Kramerin nicht sehen konnte, dass sie sich das Lachen kaum verbeißen konnte.

Kurz darauf verließ sie den Laden und wählte den Heimweg über den Friedhof. Eine unwirklich strahlende Sonne ließ den Schnee auf den Gräbern glitzern, die unschuldig weiß nebeneinander standen und auf den jüngsten Tag warteten.

Im Schatten der Apsis konnte man noch die Stelle erahnen, wo Monsignore Ritter in seinem Blut gelegen haben musste: Der rote Schnee war vom Friedhofswärter mit Sand zugeschüttet worden und der Bereich mit einem rot-weißen Absperrband versehen worden.

Direkt daneben befand sich das Grab von Signora Visconte, das Euphrosine seit deren grausamen Tod vor einem Jahr immer wieder besuchte. Und tatsächlich lagen auf dem Grab, erfroren im Schnee, drei dunkelrote, langstielige Rosen.

„Wie er es erzählt hat …“, murmelte die Häsin nachdenklich.

Als sie sich bückte, um die Rosenblätter zu berühren, sah sie unter den Blüten etwas glitzern. Die Häsin fischte ein Medaillon aus goldenem Glas aus dem Schnee und als sie die Eiskristalle mit dem Zeigefinger fortwischte, blieb ihr fast das Herz stehen.

In ihrer Hand lag das Zwischengoldglasmedaillon aus dem Desideriuskreuz.

Sie und Giovanni hatten im Auftrag von Euphrosines verstorbener Mutter dieses Vortragekreuz, das im 10. Jahrhundert aus dem Kloster San Salvatore in Brescia entwendet worden war, letztes Jahr wiederentdeckt, waren dabei in Lebensgefahr geraten und konnten das Kleinod schließlich dem Museum im complesso monastico zurückgeben.

 

Madam Molotov

Jiri Vachek schloss die Ladentür seines kleinen Antiquitätengeschäftes ab, drehte das Schild um, sodass »Komme gleich wieder« zu lesen war und zog das Rollo herunter.

Madame Molotov hatte etwas mit ihm zu bereden. Er wusste das, denn sie hatte ihn den ganzen Vormittag aus ihrer Ecke beobachtet und er spürte ihren eisigen Blick im Nacken.

Er hatte es bislang tunlichst vermieden, in ihre Richtung zu schauen und sich allen möglichen Arbeiten gewidmet, um ja nicht unversehens mit ihr Blickkontakt aufzunehmen: Er hatte die Messingklinke gewienert, die Samtauflage auf der Theke hingebungsvoll abgebürstet – mit langen, bedächtigen Bürstenstrichen –, in seiner winzigen Küche, die mit einem dunkelbraunen Vorhang vom Ladeninnenraum abgetrennt war, alle Tassen gespült, die Schrankfächer ausgewischt und die Teebeutel nach dem Alphabet sortiert, er hatte in seiner Kasse die Münzen nach der Jahreszahl chronologisch eingeordnet und den Fußboden gesaugt (dreimal). Er hatte in den Vitrinen Staub gewischt, die Porzellan-Tässchen und die Teddybären neu arrangiert und das antike Silberbesteck geputzt, die Lampenschirme abgestaubt, die Christbaumkugeln gezählt und ihre Schachteln beschriftet.

Aber Madame Molotov konnte warten. Stundenlang. Tagelang. Sie hatte Zeit, unendlich viel Zeit.

Sie saß einfach da und wartete.

Schließlich hatte sie ihn soweit: Er stellte den Staubsauger hinter den Vorhang, wischte sich die Hände verstohlen an der Anzughose ab, atmete tief ein und drehte sich langsam um.

Wie immer ließ ihn ihr Anblick erschauern: Die übergroße Porzellanpuppe im üppig gerüschten schwarzen Seidenkleid, einen Fächer aus schwarzen Federn in den starren weißglänzenden Fingern und einen ausladenden schwarzen Hut auf den kunstvoll aufgetürmten lackschwarzen Locken funkelte ihn mit ihren dunklen Glasaugen böse an.

Jiri Vachek machte einen Diener und verbeugte sich höflich: „Zu Ihren Diensten, Madame Molotov.“ Er hörte ihr aufmerksam zu, ließ sie ausreden. Sie hasste es, wenn man sie unterbrach.

Zwischendurch murmelte er leise: „Ich verstehe, Madame. Sie haben ja so recht, Madame. Natürlich, wenn Sie es wünschen, werde ich erzählen, was wir auf dem Friedhof gesehen haben. Ich wusste nur nicht, ob ich mich einmischen sollte. Ich …“

Hier schien er von Madame unterbrochen worden zu sein, denn er begann zu schwitzen und unruhig von einem Bein auf das andere zu treten.

„Ich sehe ein, es war falsch von mir. Ich mache es wieder gut, ich verspreche es, Madame!“ Die Puppe schien sich beruhigt zu haben, denn Jiri Vachek entspannte sich.

Nach einem prüfenden Blick in ihr Gesicht wusste er, dass er nun ihr Kleid berühren durfte: über die kühle, schwere Seide streicheln und die vielen Rüschen zurechtzupfen. Madame Molotov war versöhnt.

Jiri wagte es sogar, ihr den Fächer aus der Hand zu nehmen, ihn auszuklopfen und wieder zurückzustecken und heimlich ihr schwarzes Haar zu berühren. Sie hatte ihm verziehen. Er war glücklich.

* * *

Die Häsin konnte sich später nicht erinnern, wie sie heimgekommen war, jedenfalls ließ sie sich in der Küche, in der Giovanni gerade Tee in die vorgewärmte Kanne goss, auf einen Stuhl fallen, fixierte ihn und sagte bedeutungsschwanger: „Schau mal, was ich im Schnee auf dem Grab von Signora Visconte gefunden hab …“

Sie hielt ihm das Medaillon auf der Handfläche hin.

Giovanni nahm es und betrachtete es im Licht. „Das medaglione vom Desideriuskreuz! Madonna, wie kommt es dort hin?!“