Eiskaltes Verlangen - Simon Rhys Beck - E-Book

Eiskaltes Verlangen E-Book

Simon Rhys Beck

5,0

Beschreibung

René Winter, Privatermittler der Detektei "Cute & Winter", wird von dem jungen Dennis Siebenlist engagiert, um den Mord an seinem Vater zu klären. Unglücklicherweise ist er nämlich einer der Hauptverdächtigen. Doch da sind noch Dennis' Stiefmutter, die Mitglied einer Sekte ist, der sadistische Apotheker Siegfried Herdecke und der Stricher Til Maurer, die allesamt Motive gehabt hätten, Siebenlist um die Ecke zu bringen. Zwischen Dennis und René entwickelt sich bald mehr als eine geschäftliche Beziehung, obwohl René erstens nicht auf Jungs wie Dennis steht und zweitens sein Herz für immer und ewig an seinen verheirateten Geschäftspartner Patrick Cute vergeben hat (zumindest dachte er das), den er schon aus Schultagen kennt. Dazu kommt, dass Dennis ihm wichtige Details verheimlicht und als René dann noch den "Babysitter" für seinen kleinen Bruder Kilian machen darf, ist das Chaos perfekt. Plötzlich schlägt der Mörder erneut zu und René und Dennis befinden sich in Lebensgefahr. Doch statt Dennis, entführt der Mörder Kilian! Und so müssen sich Kommissar Tom Rilke, ein ganz spezieller Freund Renés, Dennis, Patrick und René auf die Suche nach dem Entführer machen.

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Simon Rhys Beck

Kira Malten

Eiskaltes Verlangen

Himmelstürmer Verlag, part of Production House GmbH

Kirchenweg 12, 20099 Hamburg

E-mail: [email protected]

www.himmelstuermer.de

Foto: Mark-Andreas Schwieder, www.statua.de

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer, AGD, Hamburg.

www.olafwelling.de

Originalausgabe, April 2007

Digitale Fassung: Juni 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

ISBN print: 978-3-934825-77-2

ISBN E-pub:978-3-86361-231-3

ISBN pdf: 978-3-86361-232-0

PROLOG

Dennis betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Sein Kiefer tat weh, und er sah total übernächtigt aus. Eben auf der Toilette hatte er festgestellt, dass er heute nicht mehrarbeitenkonnte. Wenigstenshatte es ordentlich Geld gebracht, sich so durchnudeln zu lassen, dachte er zynisch.

Sein Magen knurrte laut. Er musste unbedingt was essen.

Er stützte sich mit beiden Händen auf der kühlen Keramik des Waschbeckens ab. Scheißtag.

Die Tür öffnete sich und aus den Augenwinkeln erkannte er zwei seinerKollegen. Er dachte sich nichts dabei, als sie zielsicher auf ihn zusteuerten. Er war noch nicht lange im Geschäft und kannte die beiden Typen nicht besonders gut.

„He du“, begann der Größere der beiden, Thyron nannte er sich. Er hatte das Gesicht eines Models und einen durchtrainierten Körper. Dennis’ Blick verweilte kurz auf den eindrucksvollen Oberarmmuskeln. Heute – wie auch sonst – trug Thyron eine abgeschnittene Armyhose und Springer.

„Du bist doch eben aus der Luxuskarosse gestiegen ...“

Dennis nickte eingeschüchtert. Sein letzter Freier hatte ihn zwar mit nach Hause genommen, aber er hatte nicht einmal dort das Bad benutzen dürfen. So ein Arsch!

„Hast wohl viel verdient, was? Warst den ganzen Nachmittag wie vom Erdboden verschluckt!“, sagte der Kleinere. David hieß er.

Dennis ahnte schon, dass es Ärger geben würde.

„Nein, ist kaum was bei rausgesprungen“, log er also. Das konnte er ganz gut.

Aber die zwei glaubten ihm nicht. Stumm hielt David ihm die Hand entgegen.

„Denke, du solltestbrüderlichmit uns teilen ...“

Dennis schüttelte trotzig den Kopf. Dafür hatte er nicht den Arsch hingehalten!

Thyron trat noch einen Schritt näher. Er grinste boshaft. „Kohle her, Junge! Sonst war’s das mit unserer Freundschaft!“

Freundschaft?, dachte Dennis irritiert. Aber er kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Eine Faust landete in seinem Gesicht und ein Tritt in die Weichteile beförderte ihn für einige Augenblicke in eine andere Welt.

Als er wieder zu sich kam, waren die beiden Typen weg. Er lag auf den kalten, schmuddeligen Fliesen. Stöhnend richtete er sich auf. Er schmeckte Blut. Scheiße, dachte er. Scheißtag.

Die Tür öffnete sich wieder, und Dennis zuckte zusammen. Hatten die etwa noch was vergessen?

Zögernde Schritte.

„Alles klar?“, fragte jemand.

Dennis versuchte, sich am Waschbecken festhaltend, auf die Beine zu ziehen. Er hätte heulen können, vor Wut, vor Schmerz.

Kräftige Arme fassten ihn.

Als er wieder auf den Füßen stand, wollte er wissen, wer sein Helfer war. Er drehte sich um. Ein Typ, groß, schlank, dunkelhaarig, schwarze Kleidung und mit den kältesten grauen Augen, die Dennis jemals gesehen hatte.

„Geht’s wieder?“

Dennis nickte. Er wollte nur weg. Weg von der Klappe und weg von diesem Typen, der ihn so eisig anstarrte. Aber er konnte so nicht raus – so wie er aussah! Er würde im Park sicher sofort von einer Streife aufgegriffen. Und dann ...

Dennis schloss kurz die Augen. Wenn er nicht so einen Kohldampf hätte ... der brachte ihn fast um. Und jetzt hatte er kein Geld mehr.

Noch immer musterte ihn dieser Typ wortlos. Dennis rechnete mit allem – es hätte ihn auch nicht gewundert, wenn er noch einmal verprügelt worden wäre.

„Kollegen oder ein Freier?“, fragte der Dunkelhaarige jetzt.

Scheiße, konnte man ihm etwa schon ansehen, womit er sich über Wasser hielt?, fragte sich Dennis. Aber er war zu erschöpft, um sich darüber weiter Gedanken zu machen.

„Ich hab Hunger!“, sagte er unvermittelt und schämte sich sofort dafür.

Der Mann lachte. „Klar.“

Er fischte eine Packung Taschentücher aus seiner Jacke und begann, Dennis’ Gesicht ein wenig zu säubern. Dennis ließ es geschehen.

Vielleicht findet er mich sonst unappetitlich mit dem ganzen Blut im Gesicht?, dachte er.

„So, jetzt geht’s wohl wieder. – Lass uns gehen!“

Müde ließ Dennis sich mitziehen. Er wusste nicht, was auf ihn zukam, aber die Aussicht auf etwas Essbares ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Schlimmer konnte es ja gar nicht mehr werden ...

Der Mann brachte ihn zu seinem Wagen, einem schwarzen Audi A4, und drückte ihn mit leichter Gewalt auf den Beifahrersitz.

Dennis staunte nicht schlecht, was alles an technischem Zeugs in die Armaturen des Wagens eingebaut war. Aber er sagte nichts dazu.

„Schnall dich an!“

Sie fuhren schweigend durch die Straßen, bis der Mann vor einem großen Altbau in der City parkte. Mittlerweile hatte Dennis ein mulmiges Gefühl im Magen, was nicht von seinem immensen Hunger herrührte. Trotzdem stieg er aus und trottete hinter seinem neuen Kunden her. Denn nichts anderes war der Typ, oder?

Bei dem Gedanken an Sex verzog Dennis das Gesicht. Es wäre wohl besser gewesen, nicht mit dem Kerl mitzufahren. Er konnte ihn auch nicht linken, in dem er sich erst den Magen vollschlug und dann einfach abhaute. Nicht zum ersten Mal dachte Dennis, dass dieser Job einfach nichts für ihn war.

Seufzend betrat er den Aufzug und fuhr zusammen mit dem Typen nach oben.

Dennis hatte auf das Türschild achten wollen, aber der Mann mit den eisgrauen Augen stellte sich – absichtlich? – genau davor, als sie eintraten.

„Bekomme ...“, er musste sich räuspern, „bekomme ich etwas zu essen?“

Er war schrecklich nervös.

„Zieh dich aus und dusch’. Du siehst aus, als hättest du das nötig. Danach bekommst du was zwischen die Zähne, Dennis!“

Dennis stutzte. Der Mann kannte seinen Namen! Aber – er hatte ihn dem Fremden nicht genannt! Er setzte zu einer Frage an, wurde allerdings unterbrochen.

„Dort ist das Badezimmer!“

Resignierend zuckte Dennis mit den Schultern und betrat das Bad. Die forsche Art des Mannes brachte ihn aus dem Konzept, aber gegen Duschen hatte er nichts einzuwenden. Er ließ die Tür offen und zog sich aus. Sein Körper schmerzte an unterschiedlichen Stellen und Dennis wurde klar, dass er eine Dusche wirklich dringend nötig hatte.

Als er hinter sich ein Geräusch vernahm, drehte er sich nicht um. Er wusste, dass der Fremde ihm ins Bad gefolgt war.

„Na, Dennis Siebenlist, gefällt dir dein Job?“

Jetzt hätte Dennis sich wirklich gern umgesehen. Aber das verbot er sich. Mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit kletterte er in die Duschkabine und begann, sich zu reinigen. Aber in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Woher wusste der Fremde seinen Namen? Woher kannte er ihn?

„Zieh das über, wenn du fertig bist“, mit diesen Worten warf der Mann einen schwarzen Bademantel über den Rand der Badewanne.

Dennis ließ sich absichtlich viel Zeit. Er musste nachdenken. Er war sich sicher, diesen Typen noch nie in seinem Leben gesehen zu haben!

Mit einem unguten Gefühl, aber sauber, stieg er schließlich aus der Dusche, trocknete sich nachlässig ab und warf sich den angenehm duftenden schwarzen Bademantel über die Schultern. Auf dem Weg in die Küche fiel sein Blick in ein Zimmer, das unschwer als Büro zu erkennen war. Ebenso wie das Auto war dieses Zimmer mit allerlei High-Tech-Ausrüstung ausgestattet.

Dennis konnte sich keinen Reim darauf machen. Alles, woran er denken konnte, war etwas zu essen!

Schon im Flur strömte ihm das Aroma frisch aufgebrühten Kaffees entgegen. Dennis beschleunigte seine Schritte.

„Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte er den Fremden, als er die Küche betrat.

Der drehte sich amüsiert um. „René.“

Seine eisgrauen Augen musterten Dennis mit unverhohlenem Interesse. Doch dieser sah nur noch den gedeckten Tisch, mit Ciabatta, Butter, Aufschnitt, Käse und Tomaten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Wenn er das alles erst mal gegessen hatte, konnte René seinetwegen mit ihm machen, was er wollte.

Trotz seines Hungers bemühte sich Dennis einigermaßen zivilisiert zu essen. René setzte sich mit einer Tasse Kaffee zu ihm an den Tisch. Mit einer Hand, ganz nebenbei, löste er den Knoten, mit dem Dennis’ Bademantel zusammengehalten wurde. Das Kleidungsstück klaffte vorn auseinander.

Dennis hielt für eine Sekunde inne, doch da René nichts weiter sagte oder tat, widmete er sich schließlich wieder der Nahrungsaufnahme. Es störte ihn nicht, dass er so gut wie nackt war.

„Möchtest du einen Kaffee?“

Dennis nickte und sah zu, wie René seine Tasse füllte. Noch immer fühlte er sich unwohl in der Nähe dieses gutaussehenden Mannes. Er überlegte, warum René ihm Angst machte.

Schweigend tranken sie ihren Kaffee. Dennis hatte keine Lust auf ein Gespräch, und seinem Gegenüber schien es zu reichen, ihn mit neugierigen Blicken zu taxieren.

„Hast du ... besondere Vorlieben?“, fragte er schließlich doch. Irgendwann mussten sie ja mal zum Geschäftlichen kommen.

„Was meinst du?“ René tat unwissend.

Dennis atmete einmal tief durch und schob seinen Stuhl so weit zurück, dass René ihn in voller Pracht bewundern konnte. Langsam stand er auf. Er war bereit, es mit René umsonst zu treiben, da dieser ihm das Essen spendiert hatte. Das wollte er ihm aber nicht gleich auf die Nase binden.

Den Bademantel ließ er von seinen Schultern gleiten, während er auf René zuging. Dieser streckte entspannt die Beine aus. Aber als Dennis direkt vor ihm stand, sprang er plötzlich auf, packte sich den viel kleineren und schmächtigeren Jungen und knallte ihn mit dem Oberkörper auf die breite Arbeitsplatte. Dennis wusste gar nicht wie ihm geschah!

„Dein Vater hätte dir öfter mal eine Tracht Prügel verpassen sollen!“

„Mein Vater?“, keuchte Dennis überrascht.

Aber René ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Er schleifte ihn mühelos in sein Schlafzimmer und stieß ihn auf sein Bett.

Stand René auf solche Rollenspiele?, fragte sich Dennis. Sollte er jetzt vielleicht einen aufkleiner Jungemachen? Darauf, dass sein geschundener Arsch jetzt auch noch Schläge einstecken sollte, war er allerdings nicht scharf.

„Also, Dennis Siebenlist, ich wiederhole noch einmal meine Frage: Gefällt dir dein Job?“

Dennis versuchte, sich wieder ein wenig zu sammeln. Doch als er sich aufsetzen wollte, hielt René ihn auf dem Bett. Er fasste ihm grob in die Haare. „Ich erwarte eine Antwort.“

„Nein“, jaulte Dennis, „mein Job gefällt mir nicht!“

Sofort ließ René seine Haare wieder los.

„Geht doch!“

Er langte nach etwas, das auf dem Nachtschrank gelegen hatte.

Gleitcreme, schoss es Dennis sofort durch den Kopf. Nein, jetzt würde es richtig dicke kommen! Scheißtag.

Aber zu seiner Überraschung hatte das Zeug, das René in seiner Arschritze verteilte, eine andere Konsistenz.

„Was ...?“

René lachte. „Keine Bange, ich fick dich nicht! – Aber dein Vater wollte dichheilzurückbekommen ... Und ich denke, das gehört dazu, oder?“

„Mein Vater?“ Dennis verstand noch immer nichts.

„Dein Vater hat mich engagiert, damit ich nach dir suche.“

Dennis schüttelte ungläubig den Kopf. „Er hat mich rausgeworfen, als er hörte, dass ich schwul bin! – Und er hätte ... auch nie einen schwulen Detektiv beauftragt!“

René grinste noch immer. „Er sagt, es tut ihm leid. Er hat mittlerweile eingesehen, dass er total überreagiert hat. Und weil er dachte, dass sein Sohnemann sicher in die Schwulenszene abgetaucht ist, hat er jemanden gesucht, der sich in der Szene auskennt. Ich denke, er ist nicht davon ausgegangen, dass du die Stadt verlässt.“

„Und du hast mich ... verfolgt?“

„Verfolgt ist nicht das richtige Wort“, sagte René und ließ noch einmal vorsichtig seinen Finger zwischen Dennis’ Arschbacken entlanggleiten. Dennis erschauderte kurz.

„Ich habe dich aufgespürt. Tut mir übrigens leid, dass ich nicht rechtzeitig bei dir war. Die Begegnung mit den beiden Typen auf der Klappe hätte ich dir gern erspart.“

„Ach das ...“ Dennis winkte ab. Er konnte noch immer nicht glauben, was René ihm gerade offenbart hatte. Aber das wäre natürlich eine Erklärung dafür, dass der Fremde seinen Namen gewusst hatte.

„Und du willst mich jetzt zurückbringen?“, fragte er, auf einmal todmüde.

„Das habe ich vor. Dann kassiere ich mein Geld und bin weg.“

René sah ihn nachdenklich an. „Willst du heute hier bleiben? Dann fahren wir morgen zu deinen Eltern.“

Dennis sah ihn dankbar an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Und er wusste noch weniger, was er seinen Eltern sagen sollte. Als er spürte, dass René aufstehen wollte, hielt er ihn fest.

„Warte!“

Der Detektiv sah ihn fragend an.

„Hast du meinen Eltern schon gesagt, dass ich ... ich meine, womit ich mein Geld verdiene?“

Mit einer überraschend sanften Geste strich René ihm die Haare aus dem Gesicht. „Meinst du, deine Eltern sind von vorgestern? – Aber sie haben ihren Fehler eingesehen, Dennis. Sie wollen das wirklich wieder gutmachen.“Zumindest behaupten sie das.

Dennis nickte. „Wenn du mich morgen ablieferst, kannst du ... kannst du dann vielleicht noch etwas da bleiben?“, fragte er schüchtern.

René grinste. „Wenn du willst ... Ich bin zwar kein Psychologe, aber wenn du so einen Schiss hast, bleib ich lieber. Sonst muss ich dich gleich wieder einfangen!“

Dennis lächelte ihn an und wirkte erleichtert. „Danke!“

„Schlaf jetzt. Du hast es sicher nötig und willst doch morgen ausgeschlafen sein.“

Dennis nickte und gähnte. „Willst...kommst du auch gleich ins Bett, oder wo möchtest du schlafen?“

„Ich bearbeite noch ein wenig Papierkram und komm dann ins Bett. Ist ja groß genug für uns beide. Und keine Angst, ich werd nicht über dich herfallen!“

Der nächste Morgen begann für Dennis recht angenehm, auch wenn er einen Augenblick brauchte, um sich zu orientieren. Er fühlte sich wohl in dem gemütlichen Bett und wäre am liebsten gar nicht aufgestanden. Doch er hörte René schon im Bad und der Duft von frischen Brötchen und Kaffee zog bis in das Schlafzimmer.

Dennis streckte sich ausgiebig und stand auf. Er seufzte. Heute würde er zu seinen Eltern fahren und auch wenn René ihm versichert hatte, dass sie ihm nichts nachtrugen, war er doch unsicher. Er kannte seinen Vater schließlich schon etwas länger.

Er rieb sich die müden Augen und verließ das Schlafzimmer. Die Tür zum Bad stand ein wenig offen und neugierig trat er näher. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, leckte er sich unwillkürlich über die Lippen. René stand am Waschbecken und rasierte sich.

Dennis’ Augen glitten genießerisch über gut definierte Rückenmuskeln und blieben schließlich an dem knackigen Hintern hängen.

Er starrte ihn an und bemerkte zunächst nicht, dass René ihn im Spiegel beobachtete.

„Offensichtlich gefällt dir, was du siehst“, grinste er. Ertappt zuckte Dennis zusammen.

„Ähm... ja!“

René rasierte sich ruhig zu Ende, wusch sich kurz und drehte sich dann zu Dennis um, ohne sich ein Handtuch umzubinden.

Der staunte nicht schlecht. Ein schöner, nicht erigierter Schwanz präsentierte sich ihm.

René lachte, schob Dennis zur Seite und kniff ihm in den strammen Po. „Deine Bewunderung ehrt mich, aber ich steh nicht auf kleine Jungs! Sei nicht sauer.“

Er machte sich auf ins Schlafzimmer. „Mach dich fertig, ich zieh mir nur rasch was an, dann können wir noch frühstücken. Ich hab schon alles vorbereitet!“

Dennis rieb sich seine Kehrseite. „Sadist...“, brummte er und lauter, „... ich bin kein kleiner Junge, kapiert!“ Dann ging er, um sich schnellstens abzukühlen.

Nach dem Frühstück drängte René darauf, loszufahren. Er hatte bemerkt, dass Dennis versuchte, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Doch je eher er den Jungen ablieferte, desto besser.

Die Fahrt wurde eine Katastrophe! Dennis war schrecklich nervös, wibbelte auf dem Autositz herum und stellte immer wieder dieselben Fragen. Irgendwann gab René es auf, ihn beruhigen zu wollen.

Als sie endlich bei Dennis’ Elternhaus ankamen, war René erleichtert. Noch eine halbe Stunde länger neben dem Nervenbündel – und er wäre explodiert.

Kurz vorher hatte er die Eltern per Handy verständigt, und so wartete das Ehepaar schon vor der Haustür, als der Wagen in der Auffahrt zum Stehen kam.

Langsam stieg Dennis aus.

Seine Stiefmutter, eine gutaussehende Blondine, warf dem Detektiv einen berechnenden Blick zu, bevor sie dramatisch schluchzend zu Dennis stürzte und ihn übertrieben in den Arm nahm.

„Meine Güte, Kind! Wo bist du nur gewesen?! Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, nicht wahr, Alfons?! Und wie du aussiehst... !“

Alfons Siebenlist dagegen war weitaus gefasster. Seine Miene war kühl und distanziert wie immer. „Gute Arbeit, Herr Winter!“ Er schüttelte René die Hand und wandte sich zu seinem Sohn.

„Dennis!“, begrüßte er ihn mit einem knappen Nicken. „Es ist gut, dass du wieder zu Hause bist. Wir sollten reden!“ Er drehte sich um und ging ins Haus, während seine Frau sich bei Dennis und René einhakte und belangloses Zeug daher redete. René fragte sich, für wen sie diese Show abzog.

Nachdem sich alle gesetzt hatten, ergriff Herr Siebenlist das Wort.

„Nun Dennis, da bist du also wieder! Du hast uns mit deinem Verschwinden einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Was hast du dir nur dabei gedacht?! Gut, wir waren gelinde gesagt, geschockt, über deine...Neigung.“ Leicht angeekelt verzog er das Gesicht.

„Aber dass du so überreagierst, konnten wir ja nicht wissen. Also, um es gleich klarzustellen, du bist mein Sohn, und ich werde dir keine Vorhaltung wegen deiner... Andersartigkeit machen. Aber ich werde auch nicht dulden, dass du irgendwelche Männer mit nach Hause bringst, um dich mit ihnen zu verlustieren. Ist das klar?! Was sollen denn die Nachbarn denken? Wir haben einen Ruf zu wahren, das wirst du ja wohl hoffentlich einsehen.“

Dennis und René tauschten einen Blick. „Ja Vater, ich verstehe“, murmelte er schließlich.

Herr Siebenlist wirkte zufrieden. „Gut, gut!“ Er stand auf, ging zu einem Sekretär und stellte einen Scheck aus. „Das ist für Sie, Herr Winter. Ich werde Ihre Agentur gerne weiter empfehlen!“

René bedankte sich.

„Es ist Zeit, sich zu verabschieden“, wandte er sich an Dennis und erhob sich. Gemeinsam gingen sie zur Haustür. René war sehr überrascht, als Dennis sich ihm plötzlich an den Hals warf. Mit soviel Emotionalität hatte er nicht gerechnet. „Hey, hey! Wird schon werden. Halt die Ohren steif!“

„Geh nicht ...“, erklang es erstickt.

„Es wird Zeit, Dennis. Ich muss jetzt los. Es sind keine Bilderbucheltern, aber gib ihnen eine Chance. Kopf hoch, hm?“

Er löste sich mit sanfter Gewalt und trat ein Stück zurück. Für einen Augenblick sahen sie sich nur an, dann grinste René aufmunternd, wenn auch ein wenig abwesend. „Mach’s gut!“

1

Das lästige Klingeln des Telefons riss René aus dem Schlaf. Er hatte Kopfschmerzen und war alles andere als gut gelaunt. Ein kurzer Blick auf seinen Radiowecker verriet ihm, dass er gerade drei Stunden geschlafen hatte, es war kurz vor sieben.

Er angelte nach dem Telefon, denn der Anrufer war hartnäckig.

„Winter“, meldete er sich schläfrig.

„René? René – bist du das?“Eine junge, hysterische Stimme.

René war schlagartig wach. „Ja, wer sollte sonst ...?“

„René?! Ich bin’s, Dennis!“

„Dennis?“, fragte René etwas ratlos nach. Wer zur Hölle war Dennis?

„Dennis Siebenlist.“

Auch jetzt dauerte es noch einen Moment, ehe es bei René „klick“ machte. „Oh, Dennis, schön wieder was von dir zu hören ...“ Er setzte sich in seinem Bett auf. Wie lange hatte er nichts mehr von Dennis gehört? Drei Monate? Vier? Er hätte in den Akten nachsehen müssen. – Und jetzt rief der Bursche mitten in der Nacht an und war völlig aufgelöst?! Der hatte vielleicht Nerven ... René atmete einmal tief durch.

„René, ich brauche deine Hilfe!“, schluchzte Dennis.

„Beruhig dich doch erstmal“, brummte René und rieb sich die Augen. „Was ist denn passiert?“

„Mein Vater – er ist tot! Ermordet! Ich wurde festgenommen! Ich sitze hier bei der Polizei, sie glauben, ich hätte ... es ist schrecklich!“, sprudelte es aus Dennis hervor.

René hatte Mühe, diese Informationen zu verarbeiten. Wahrscheinlich hatte er noch einige Promille im Blut.

„Was?“, fragte er daher nicht besonders helle.

„Hol mich hier raus, René!“, heulte Dennis. Er schien völlig am Ende zu sein.

René sammelte sich ein wenig. „Okay, Dennis, keine Panik. Wo bist du?“

„Hauptwache ... bitte, hol mich ab!“

„Äh ...“

„Bitte, René, du musst mir helfen!“

„Hm, ja, okay“, ließ René sich breitschlagen, obwohl er nicht genau wusste, warum er Dennis helfenmusste. Er legte auf und quälte sich aus dem Bett. Das musste er erst mal verdauen – Alfons Siebenlist tot!

René hatte Dennis’ Vater nicht besonders gemocht, aber der alte Mann hatte sich ihm gegenüber korrekt verhalten. Und ihn gut bezahlt. – Es schien, als hätte er sich mit seinem Sohn ausgesöhnt. Moment – hatte er wirklich auch nur einen Augenblick geglaubt, dass Dennis seinen Vater ermordet haben könnte?! Ausgeschlossen! Oder?

Nein, Dennis war es mit Sicherheit nicht gewesen, dachte René, als er sich ein T-Shirt und eine saubere Hose aus dem Schrank holte. Er putzte sich nur schnell die Zähne, denn der pelzige Belag auf seiner Zunge war alles andere als erbaulich. Seine Frisur war okay, er hatte sehr kurze Haare, die er auch strubbelig tragen konnte. René grinste sein Spiegelbild ironisch an – andere Leute standen ewig vor dem Spiegel, um diesen Look hinzukriegen. Rasieren konnte er sich später noch.

Mit energischen Schritten betrat René Winter die Hauptwache und meldete sich an. Die Sicherheitsschleuse wurde für ihn geöffnet. Er erklomm die Treppe in den ersten Stock. Und noch bevor er zu den diensthabenden Beamten „Guten Morgen“ sagen konnte, flog eine schmächtige Gestalt auf ihn zu und in seine Arme.

„Hallo Dennis“, murmelte René überrumpelt.

„René, gut, dass du da bist ...“

René nahm den Jungen an den Schultern und schob ihn mit sanfter Gewalt ein Stück von sich weg. Schließlich hatten alle Büros Glasfronten, jeder konnte jeden sehen.

Verlegen wischte Dennis sich die Tränen aus dem Gesicht, seine Augen waren gerötet und angeschwollen. Er wirkte erschöpft und völlig übernächtigt.

„Darfst du die Wache jetzt verlassen? Bist du durch mit deiner Aussage?“

Dennis nickte unglücklich. Wahrscheinlich war er schon seit Stunden hier.

René bemerkte, dass sie kritisch beobachtet wurden. Er mochte es nicht, so aufzufallen – und Dennis’ Auftritt war wirklich bühnenreif gewesen. „Geh dir dein Gesicht waschen. Dann fahren wir.“

Kaum war Dennis verschwunden, trat Kommisar Tom Rilke, ein alter Bekannter Renés, auf den Gang.

Rilke zog die Augenbrauen hoch. „René“, begrüßte er ihn grinsend. „Du kleine, geile ...“ Sein Blick fiel auf Dennis, der gerade wieder hinter René erschien. Er verstummte augenblicklich.

„Seit wann stehst du auf Küken?“, fragte er überrascht.

René seufzte. „Job.“

Ihm entging Dennis’ gekränkter Blick.

„Du hast etwas mit dem Siebenlist-Fall zu tun?“

René zog eine Grimasse. „Scheint so ... Ist das dein Fall?“

Tom Rilke schüttelte den Kopf. „Bisher noch nicht.“ Er warf einen weiteren, schrägen Blick auf Dennis. „Vielleicht können wir uns mal wieder treffen?“

René nickte leicht, während Dennis sie beide misstrauisch musterte.

Tom bemerkte die missmutigen Blicke von Dennis und die gerunzelte Stirn. Irgendetwas stimmte da nicht! War es wirklich nur der Job, wie René behauptete, oder war da doch mehr? Zumindest der junge Siebenlist schien mehr hinein zu interpretieren.

Der Kommissar richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf René. „Gut. Du weißt ja, wo du mich findest. Ich würd mich freuen, wenn du kommst.“ Dabei zwinkerte er René zu, der grinste. „Okay, dann sehen wir uns bald.“

René wandte sich an Dennis. „Komm, lass uns zu mir fahren. Wir haben eine Menge zu bereden.“

Dennis folgte ihm widerspruchslos.

Er war einfach nur müde, am Ende seiner Kräfte. Wenn es ihm schon vorher schlecht gegangen war, so hatte ihm die Nacht auf der Wache den Rest gegeben.

Dennis drückte sich während der Fahrt ganz tief in die Polster des Sitzes. René fuhr noch denselben Wagen. Wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Seitdem war eine Menge passiert.

Er horchte in sich hinein, ob da irgendwo Trauer war. Immerhin war sein Vater nun tot! Aber da war nichts, nur Leere und – Schmerz, der eine andere Ursache hatte.

René sprach nicht, er ließ ihn in Ruhe. Und Dennis hatte Zeit, sich über René Gedanken zu machen, ihn ab und zu von der Seite zu mustern. Er betrachtete Renés scharf geschnittenes Gesicht, die gerade Nase, den etwas zu breiten Mund mit den interessant geschwungenen Lippen. René Winter war nicht im eigentlichen Sinn hübsch, er war kein Modeltyp, aber er übte noch die gleiche Anziehungskraft auf ihn aus wie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Eine Mischung aus „wow“ und etwas mehr als Respekt. Er wollte es nicht Angst nennen, René strahlte etwas Souveränes aus. Er war ein Mann, an den man sich anlehnen konnte. Wenn man warm angezogen war, fügte Dennis in Gedanken hinzu. Denn noch immer ließ ihn ein Blick in Renés nebelgraue Augen erschaudern.

René parkte auf einem Stellplatz vor dem Haus, der offensichtlich sein eigener war. Ein Nummernschild auf einem halbhohen Holzpflock wies darauf hin.

„Na, dann komm mal mit rein.“

Außer René wohnten noch drei andere Mietparteien in dem aufwändig restaurierten Altbau. Dennis schleppte sich abgeschlafft die Treppe in den ersten Stock hinauf. Der Aufzug war wegen Reparaturarbeiten gesperrt. Dennis fühlte sich ähnlich außer Betrieb.

René ließ ihn an sich vorbei in den Flur treten.

Die Wohnung war gemütlich eingerichtet. Warme Farben herrschten vor, seine Füße versanken in weichen Teppichen, die Beleuchtung war angenehm. René hatte einen Blick für stilvolle Einrichtung, er bevorzugte ganz offensichtlich alte, restaurierte Möbel.

Nur die Küche, in die Dennis einen kurzen Blick warf, war sehr modern. Die weißen Schränke wirkten fast steril. Das alles hatte er damals gar nicht richtig wahrgenommen. Aber bei seinem Drogenkonsum war das auch nicht weiter verwunderlich.

„Möchtest du duschen?“

Dennis nickte eingeschüchtert.

„Ich gebe dir erstmal Sachen von mir.“ René ging um frische Kleidung für Dennis aus seinem Schlafzimmer zu holen.

„Ich mach in der Zwischenzeit Frühstück, okay?“

„Ja, danke“, sagte Dennis leise und verschwand im Badezimmer. Er war ganz durcheinander. War das wirklich passiert? Sein Vater ermordet und er unter Mordverdacht?

Langsam zog er sich aus. Was hatte Miriam nur dazu bewogen, den letzten Streit zwischen ihm und seinem Vater zu erwähnen? Damit hatte sie ihn zum Hauptverdächtigen gemacht! Was kam jetzt wohl noch? Erst dieser Horror mit Herdecke und jetzt ... Dennis betrachtete die blauen Flecken, die leichten Verbrennungen auf seiner glatten Brust, die Abschürfungen an seinen Handgelenken, die von den Handschellen herrührten. Er schloss kurz die Augen. Was für ein Albtraum!

Es war ein unverzeihlicher Fehler gewesen, Herdecke zu begleiten! Okay, dann wusste er eben von seinem Stricher-Job! Ja, und? Hätte er sich in den Arsch schieben können, der Wichser! Er hätte sich nie erpressen lassen dürfen ...

Wütend pfefferte Dennis seine Klamotten in eine Ecke des Badezimmers. Er fühlte sich krank.

Zu allem Überfluss bemerkte er, dass sich zwischen ihm und René nichts geändert hatte: in Renés Augen war er noch immer der kleine Junge, bestenfalls ein potentieller Klient. René war so kalt, dass Dennis fröstelte, wenn sie sich berührten. Und er fragte sich mal wieder, warum René ihn überhaupt hatte nackt sehen wollen. Damals. Aber das war Schnee von gestern. Daran brauchte er wohl keinen Gedanken mehr verschwenden.

Er stieg in die Dusche und ließ das heiße Wasser auf sich hinunterprasseln.

War es ein Fehler gewesen, René anzurufen?

Er überlegte. Gab es eine Möglichkeit, René zu beeinflussen? Ob er versuchen sollte, ihn zu verführen? Vielleicht würde das ihre Beziehung auf eine andere Ebene bringen? Vielleicht hätte er es damals versuchen sollen? Er hasste es, dass René ihn so herablassend behandelte. Typen wie René waren umgänglicher, wenn sie scharf waren, überlegte Dennis. Das hatte er schon oft genug erlebt. Und er hatte doch ein paar Tricks auf Lager, die René sicher nicht kalt lassen würden. Das Problem war, dass allein der Gedanke an Sex eine allumfassende Übelkeit in ihm verursachte. Im Moment. Die Nachwehen des Übergriffs von Herdecke, stellte er bitter fest. Er drehte das Wasser ab und hüllte sich in eines von Renés großen Handtüchern. Warum war sein Leben derart außer Kontrolle geraten?

In der Küche bereitete René das Frühstück vor. Er brauchte jetzt unbedingt einen starken Kaffee! Und vermutlich brauchte Dennis den auch.

Er deckte den Tisch und war schon in Gedanken bei dem Fall. Als er das bemerkte, stoppte er sich energisch. Es stand ja nicht einmal fest, ob Dennis ihn bezahlen konnte!

Der betrat in diesem Moment die Küche. Das T-Shirt, das René ihm gegeben hatte, war ihm deutlich zu groß. Er lächelte schüchtern.

„Setz dich.“

Dennis nahm am Tisch Platz und goss sich einen Kaffee ein.

„Und jetzt erzähl mir mal, was genau passiert ist“, forderte René ihn auf und setzte sich dazu.

Dennis setzte die Tasse heftig auf den Tisch zurück, so dass etwas Kaffee über den Rand schwappte. Er bemerkte es gar nicht.

„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, begann er leise. „Gestern abend wurde ich festgenommen, als ich nach Hause kam. Ich wusste gar nicht, was los war! Miriam – meine Stiefmutter, du hast sie ja kennengelernt – war in Tränen aufgelöst. Sie hatte meinen Vater tot aufgefunden. Er lag in unserer Kühlzelle im Keller, auf dem Boden, wahrscheinlich wurde er vergiftet. Das wird die Obduktion zeigen. Mein Vater – er wurde ermordet! Ich kann das echt nicht glauben! Und ich bin der Hauptverdächtige!“ Dennis trank noch einen Schluck Kaffee. „Ich wurde die ganze Nacht über verhört.“

„Wann wurde dein Vater umgebracht?“

„Genau kann man das wohl erst nach der Obduktion sagen – aber er war schon länger tot als Miriam ihn fand, vielleicht einen Tag. Dadurch, dass er in der Kühlzelle lag, konnte man den Todeszeitpunkt noch nicht genau eingrenzen.“

„Was hast du gemacht in der Zeit?“ René holte den Toast und bemerkte daher nicht, dass Dennis blass wurde.

„Ich ... ich war unterwegs.“

„Wo unterwegs?“

Dennis griff nach einer Toastscheibe. „Weiß nicht mehr so genau, in der Stadt halt ...“

„Tolles Alibi“, bemerkte René ironisch. „Du warst auf jeden Fall den gesamten Freitag und in der Nacht von Freitag auf Samstag nicht zu Hause?“

„Richtig.“

René sah ihn durchdringend an. Warum verschwieg Dennis ihm, wo er gewesen war? Erst jetzt fielen ihm die Abschürfungen an Dennis’ Handgelenken auf. Die Haut war rosig, die Verletzungen ganz frisch.

Er deutete mit einer kleinen Bewegung darauf. Er glaubte nicht daran, dass die Beamten ihn so rau angefasst hatten, trotzdem: „Das ist doch nicht die letzte Nacht passiert?“

Dennis verschluckte sich vor Schreck. Er hustete und lief dunkelrot an. Schweigend starrte er auf seinen Teller und schüttelte den Kopf.

„Hat’s dann wenigstens Spaß gemacht?“

Dennis schwieg

René fragte sich, ob Dennis wieder als Stricher unterwegs gewesen war und ihm das nicht sagen wollte. Oder stand er einfach auf S/M? Verdammt, das ging ihn doch gar nichts an! Der Junge konnte schließlich machen, was er wollte! Und wenn er seinen Arsch verkaufte, musste er das eben tun. Der einzige, den das gestört hatte, war jetzt tot.

„Du glaubst doch nicht, dassichmeinen Vater umgebracht habe?“

„Nein. Aber für dich wäre es definitiv besser, wenn du ein Alibi hättest“, erklärte René.

Natürlich. Das wusste Dennis selber. Aber er konnte René nicht davon erzählen. René nicht und der Polizei auch nicht. Denn dann würde Herdecke ihn fertigmachen! Der alte Wichser erpresste ihn!

„Hilfst du mir, den Mord aufzuklären?“, fragte er vorsichtig.

René betrachtete ihn ernst. „Meinst du als Freund oder als Auftrag?“

„Als Auftrag natürlich“, sagte Dennis sofort.

„Hm, ich denke darüber nach.“

Dennis sah auf. „Ich kann dich bezahlen! Ich erbe schließlich was von meinem Vater! Zumindest den Pflichtteil ...“

René goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein. „So sehr traurig bist du nicht über das Ableben deines Erzeugers, was?“

„Nein“, gestand Dennis. „Ich will dir nichts vorspielen. Du hast ihn ja auch kennengelernt. Wir hatten nie eine gute Beziehung. Ich bin nicht froh darüber, dass mein Vater tot ist. Aber in Tränen werde ich sicher auch nicht ausbrechen bei der Beerdigung.“

René nickte stumm. „Hast du einen Verdacht?“, fragte er schließlich.

Dennis zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt glaube ich, dass eine Menge Leute in Frage kommen könnten. Mein Vater hat sich mehr als einmal unbeliebt gemacht.“ Er erinnerte sich an die Schlammschlacht, die seine Eltern sich bei ihrer Scheidung geliefert hatten. Seine Mutter war vor drei Jahren gestorben. Es wäre besser gewesen, wenn – aber darüber wollte er nicht weiter nachdenken.

„Hatte dein Vater eine Lebensversicherung?“

„Denke schon“, brummte Dennis. „Sicher wird Miriam jetzt genug Geld bekommen.“

„Die Frau deines Vaters – wie alt ist sie?“

Dennis überlegte. „34 oder so“, sagte er dann. „Meinst du, sie ist verdächtig?“

René sah ihn lange an. Der Blick aus diesen eisgrauen Augen ging ihm durch und durch. „Was meinst du?“

Dennis zögerte. „Wir hatten kein besonders inniges Verhältnis“, wich er aus.

„Erzähl mir einfach, was dir so im Kopf herumspukt, Dennis“, ermunterte René ihn mit sanftem Nachdruck, und Dennis begann zu erzählen.

Er war seinem Vater in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen, immer wieder hatten sie sich wegen Nichtigkeiten in die Haare gekriegt. Alles lief darauf hinaus, dass Dennis ausziehen wollte. Aber zunächst musste er seinen Schulabschluss nachholen, um sein Studium im nächsten Jahr beginnen zu können. Alfons Siebenlist hatte ihn gedrängt, mehr noch – fast gezwungen, sich auf das Abitur vorzubereiten. Außerdem hatte er gefordert, dass Dennis sich einen Job suchte, neben der Schule, aber der hatte sich geweigert.

„Du weißt ja nicht, was für Jobs mein Vater mir angeboten hat!“, beschwerte sich Dennis.

„Aber ist nicht jeder Job besser als ...“

Dennis wurde rot, und René verzichtete auf weitere Ausführungen.

„Den letzten heftigen Streit hatten wir, als Til da war. Das heißt, eigentlich haben sich nur mein Vater und Til gestritten. Und Miriam, die war natürlich immer sofort dabei! Ich hatte manchmal den Eindruck, als würde sie nur auf eine Gelegenheit warten, sich einzumischen.“

„Hattet ihr oft Streit?“

„Miriam und ich? Ja, ziemlich oft! Sie ist eine richtige Giftspritze ... Und jetzt verdächtigt sie mich auch noch, meinen Vater umgebracht zu haben. Das sieht ihr echt ähnlich!“

„Glaubst du, dein Vater hatte richtige Feinde? Leute, die tatsächlich mit Mordgedanken spielten?“

Dennis zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Du hast ihn ja nicht erlebt, wenn er mies drauf war. Es hatte schon seinen Grund, dass ich vor ein paar Monaten abgehauen bin.“

„Hat er dich geschlagen?“

Dennis straffte sich ein wenig. „Als ich klein war. Später nicht mehr ... Seine Methoden waren subtiler.“

„Warum hat er überhaupt gewollt, dass ich dich finde und zurückbringe?“, wollte René wissen. „Er hätte doch froh sein müssen, dass sein missratener Sohn von der Bildfläche verschwunden ist ...“

Dennis starrte René an. Der konnte diesen Blick nicht deuten. „Er wollte nicht, dass ich ihn blamiere. Er wollte diese Heile-Familie-Fassade aufrecht erhalten. Also musste ich zurückkommen, durfte aber nicht weiter auffallen. Du weißt ja, die Nachbarn ... und nicht nur die! Wegen der ganzen Streitigkeiten bin ich kurz vor meinem Abi abgehauen. Zu blöd, jetzt muss ich im nächsten Jahr die Prüfungen nachholen ... Aber ich habe den Druck einfach nicht mehr ausgehalten.“

„Für mich macht das alles noch keinen Sinn“, murmelte René nach einer Weile nachdenklich. „Hat Miriam deinen Vater geliebt? Was ist eigentlich mit deiner richtigen Mutter?“

„Ich weiß nicht, was für eine Beziehung Miriam und mein Vater hatten. Das war mir egal. Meine Eltern haben sich getrennt, meine Mutter ist zwei Jahre später gestorben. Krebs.“ Dennis stockte kurz. Nur einen winzigen Augenblick, aber René hatte es bemerkt. „Sie war nach der Trennung ins Ausland gegangen, nach Frankreich. Deswegen bin ich bei meinem Vater geblieben. – Ich glaube, meine Eltern haben sich damals wegen Miriam getrennt. Mein Vater hatte eine Affäre mit ihr. Davon bin ich zumindest überzeugt.“

Als er geendet hatte, nickte René. „Deine Stiefmutter hätte ein Motiv, wenn es eine Lebensversicherung gibt! Ich werde sie etwas genauer unter die Lupe nehmen. Du bleibst fürs erste hier bei mir, ist vielleicht am besten so. Du kannst im Büro schlafen. Ich nutze es nicht so oft und dort ist eine kleine Couch, die man ausziehen kann.“

Dennis war erleichtert und nahm Renés Angebot gerne an. Er hätte auch nicht gewusst, wo er sonst hin sollte.

„Bist du sauer, wenn ich mich jetzt direkt hinlege? Ich kann nicht mehr...“

René schien verständnisvoll und wuschelte ihm mit einer seltsam vertrauten Geste durch die Haare.

„Na klar, kein Problem. Leg dich ruhig hin, wir können auch später noch reden.“

Während Dennis noch einmal kurz im Bad war, richtete René das Bett im Büro her und stellte seinem Gast noch eine Flasche Wasser hin. „Falls du Durst hast“, erklärte er, als Dennis wieder kam.

„Danke!“

„Ich lass dich dann jetzt alleine. Wenn du etwas brauchst, ich bin noch eine Weile im Wohnzimmer.“

„Ist okay.“

„Schlaf gut.“

Da Dennis ihm ja nun einen Auftrag erteilt hatte, rief René beim Polizeipräsidium an und ließ sich zu Gregor Kowalski, dem ermittelnden Beamten, durchstellen. Er kannte Kowalski vom Sehen, hatte aber noch nichts mit ihm zu tun gehabt. Dementsprechend karg waren dessen Auskünfte. René hatte wohl noch nie ein Telefonat geführt, in dem so häufig „dazu kann ich noch keine Auskunft geben“ vorgekommen war. Immerhin wusste Kowalski nun, dass auch ein privater Ermittler eingeschaltet war. Wie immer er das finden mochte.

Im Grunde arbeitete René gern mit der Polizei zusammen, zumindest wenn die einigermaßen entgegenkommend war. Denn immerhin verfolgte sie doch meist das gleiche Ziel.

Frustriert legte er schließlich auf. Es wäre definitiv besser gewesen, wenn Rilke den Fall bekommen hätte. Seufzend widmete er sich dem Papierkram auf seinem Schreibtisch, denn es war noch eine Menge vom letzten Fall liegen geblieben.

René hatte eine ganze Zeitlang vor dem Laptop gesessen, um die letzten Berichte fertig zu schreiben, eine Arbeit, die er nicht besonders schätzte. Er sah auf seine Armbanduhr, es war bereits Nachmittag und jetzt meldete sich auch sein Magen. Und seine Blase. Er hatte von Dennis die ganze Zeit nichts gehört oder gesehen. Wahrscheinlich war der Junge völlig erschöpft eingeschlafen.

Gedankenverloren öffnete René die Badezimmertür und lief fast in Dennis hinein, der vor dem Spiegel stand.

„Oh, entschuldige.“

Dennis griff verlegen nach seinem T-Shirt, das er auf dem Rand des Waschbeckens abgelegt hatte. Aber es war zu spät. Natürlich hatte René die Brandwunden auf seinem Oberkörper gesehen. Sein Blick war durchdringend.

„Ich wusste gar nicht, dass du auf so eine harte Tour stehst.“

„Lass uns nicht darüber reden, okay?“

René runzelte die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Woher hatte der Junge so heftige Verletzungen? Er glaubte nicht wirklich, dass Dennis derart masochistisch veranlagt war. Und sein flehender Blick sprach ebenfalls dagegen. Diese Verletzungen hatten Dennis keine Lust bereitet. Und René hätte zu gern erfahren, wer dafür verantwortlich war. Doch Dennis schwieg.

„Hör mal, Dennis“, sagte er, als dieser sich an ihm vorbei schlängeln wollte, um das Badezimmer zu verlassen. Er fasste ihn bei den Schultern und bemühte sich, nicht allzu fest zuzudrücken. „Im Prinzip ist es mir egal, was du treibst und womit du dein Taschengeld verdienst, aber wenn das da“ – er deutete auf die Verletzungen – „etwas mit dem Fall zu tun hat, dann solltest du vielleicht doch ein, zwei Worte dazu sagen.“

Dennis zuckte zusammen. Er spürte Renés harten Griff und die Wärme seiner Finger. „Das ... das hat nichts damit zu tun!“, stieß er stockend hervor. Aber er konnte René nicht in die Augen sehen.

Der ließ ihn los, griff dafür an sein Kinn und zwang Dennis, den Kopf zu heben. „Dennis ... du hast mir doch damals schon gesagt, dass du den Stricherjob nicht magst ... Oder wardasetwa ein Lover?“ Seine Stimme hatte nun einen ganz anderen, fast einschmeichelnden Klang.

Dennis schüttelte den Kopf, und René wurde klar, dass er nichts mehr aus ihm herausbekommen würde. Warum auch immer, der Junge war wieder anschaffen gewesen.

René konnte das nicht begreifen, denn es war ganz offensichtlich, dass Dennis darunter litt. Außerdem hatten die Siebenlists wohl keine Geldsorgen!

„Ich möchte gern diesen Til Maurer kennenlernen“, wechselte er das Thema, während er eine Wundheilsalbe aus dem Apothekenschränkchen kramte und Dennis reichte. „Weißt du, wo er wohnt?“

Dennis nickte. „Ich kann dir auch seine Telefonnummer geben.“

„Meinst du, ich sollte vorher anrufen?“

„Nein,ichrufe ihn an“, entschied Dennis. Dann verließ er fast fluchtartig das Badezimmer.

Nachdenklich sah René ihm nach, wie er in das Gästezimmer verschwand. Aus dem Burschen sollte mal einer schlau werden!

In seiner neuen Unterkunft angekommen, musste Dennis erst einmal tief durchatmen. Sein Herz raste. Warum zum Teufel hatte er nicht abgeschlossen? Und wieso musste René ausgerechnet in dem Moment reinspazieren? So etwas Dummes konnte aber auch nur ihm passieren ... Er setzte sich auf sein Bett und stützte den Kopf in die Hände. René war ein guter Schnüffler – er würde etwas herausfinden. Zu viel wahrscheinlich.

Langsam hob er den Kopf, ließ seinen Blick über die schlichte weiße Tapete gleiten und überlegte. Wie viel durfte er erzählen? Wievielwollteer sagen? Was passierte, wenn René den Mörder nicht fand und er schließlich verknackt wurde?

Er stand wieder auf und holte sein Handy aus dem Rucksack. Erst mal musste er jetzt ein Treffen mit Til Maurer arrangieren. Das war eine unangenehme Aufgabe, aber besser, als wenn René gleich mit der Tür ins Haus fiel.

„Der Termin mit Til steht“, erklärte Dennis und sah zu, wie René ein paar Zettel mit Notizen vernichtete. Was immer René den ganzen Tag über gemacht hatte, offensichtlich war es Arbeit gewesen.

René hob den Kopf und sah ihn so lange an, bis Dennis den Blick abwandte. Zwischen ihnen lag eine merkwürdige Spannung. René, der geübt war, andere Menschen zu beobachten und einzuschätzen, hatte das sofort gespürt. Das Gefühl gefiel ihm nicht, denn es hatte nichts mit dem Gefühl zu tun, das bei ihm „Klient“ und „Fall“ bedeutete. Es war eher eine vage Ahnung von Komplikationen und der Tatsache, dass Dennis ihm nicht die Wahrheit sagte.

Erneut betrachtete er den Jungen, der vor ihm stand und sich langsam, aufgrund von Renés langer Musterung, sichtlich unwohl fühlte.

Dennis hatte sich nicht verändert. Er war noch immer ein magerer, recht hübscher Halbwüchsiger, in dessen Augen etwas schimmerte, das René mit milder Belustigung als Interesse an seiner Person erkannte. Er seufzte innerlich. Er war kein Kostverächter, und er war nicht an Beziehungen interessiert, aber Sex mit Dennis? Diesen Gedanken schob er beiseite, noch ehe er sich richtig entfalten konnte. Dennis war nicht sein Typ. Und überhaupt war es verwunderlich, dass René dieses unterschwellige Verlangen in Dennis wahrnahm. Vielleicht ist das die Stricherausstrahlung, kommentierte er seine Beobachtung still und grinste.