Elisas Licht - Holger Niederhausen - E-Book

Elisas Licht E-Book

Holger Niederhausen

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Beschreibung

Ein mit jeder Seite tiefer zu Herzen gehendes modernes Märchen... Die tief unschuldige Elisa, die ganz allein mit ihrer alten Großmutter lebt, findet ein Licht - und will es einem Menschen bringen, der es braucht. Völlig schutzlos macht sie sich auf in den nächsten Ort, geradezu blind für das Dunkle in den Seelen. Wird ihre Unschuld ihr Verderben sein - oder ihr Schutz? Und wie kann das Licht, das offenbar niemand sonst sehen kann, überhaupt irgendjemandem helfen? Aber am Ende wird sie zwei Menschen retten, die alle anderen bereits aufgegeben hätten...

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Seitenzahl: 59

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Menschenwesen hat eine tiefe Sehnsucht nach dem Schönen, Wahren und Guten. Diese kann von vielem anderen verschüttet worden sein, aber sie ist da. Und seine andere Sehnsucht ist, auch die eigene Seele zu einer Trägerin dessen zu entwickeln, wonach sich das Menschenwesen so sehnt.

Diese zweifache Sehnsucht wollen meine Bücher berühren, wieder bewusst machen, und dazu beitragen, dass sie stark und lebendig werden kann. Was die Seele empfindet und wirklich erstrebt, das ist ihr Wesen. Der Mensch kann ihr Wesen in etwas unendlich Schönes verwandeln, wenn er beginnt, seiner tiefsten Sehnsucht wahrhaftig zu folgen...

Nichts heilt mehr als die Unschuld eines Mädchens

„Mutter, Mutter...!“

Das Mädchen kam geradezu außer sich angerannt. Es mochte etwa vierzehn Jahre alt sein.

Die alte Frau konnte sie noch nicht hören. Sie saß drinnen in der kleinen Hütte, ganz nah an dem bescheidenen Feuer, weil es kalt war und weil ihr längst die müden Knochen wehtaten, und sie war mit dem Alter etwas schwerhörig geworden.

Auch war sie natürlich nicht die Mutter des Mädchens, aber weil es von kleinauf niemand anderen gehabt hatte als seine Großmutter, hatte es sie nie anders genannt als so.

Jetzt stürzte das Kind in die Hütte.

„Mutter, guck doch, was ich gefunden habe!“

Die alte Frau sah auf. Das Mädchen hielt ihr aufgeregt atmend seine zwei Hände wie eine vorsichtige Schüssel geformt entgegen.

„Was ist denn das?“, fragte die alte Frau höchst verwundert, obwohl auch ihre Augen nicht mehr die besten waren.

„Ein Licht! Ich weiß es nicht... Es ... ich sah es gerade noch, wie es vom Himmel fiel, drüben bei den Tannen! Ich war ganz in der Nähe und lief hin... Ist es ein Stern, Mutter? Ist es ein Stern?“

„Ein Stern kann es doch nicht sein, Kind, was redest du da...“

„Aber es leuchtet doch wie ein Stern! Was soll es denn sonst sein?“

„Zeig doch mal...“

Das Mädchen trat aufgeregt näher, so nah, dass die alte Frau gut sehen konnte. Aufgeregt wartete es, was sie sagen würde.

„Ich weiß nicht, was das ist, Kind. Vielleicht durftest du es gar nicht mitnehmen...“

„Was? Aber wieso denn nicht! Es ist doch ein Stern! Ich hab es doch gesehen – er fiel wirklich vom Himmel, Mutter! Er leuchtet so wunderschön! Was mach ich denn jetzt damit...?“

Mit großen, leuchtenden Augen sah sie das Leuchten in ihren Händen an, näherte ihr schmales, staunendes Gesicht geradezu zärtlich.

„Vielleicht durftest du es wirklich nicht mitnehmen, Elisa.“

„Aber doch, Mutter! Sieh doch, wie gern es bei mir bleibt!“

Die alte Frau lachte etwas, wie alte Menschen bisweilen gütig über die Unschuld lachten.

„Ja, aber das wäre ja auch kein Wunder...“

„Was meinst du, Mutter?“

„Ich meine, dass du dir schnellstens etwas überlegen sollest, was du damit tust – ich glaube nicht, dass wir es behalten können...“

„Nicht?“ Das Gesicht des Mädchen trübte sich etwas vor Traurigkeit. „Aber es fiel direkt bei den Tannen, als ich dort war...“

„Das heißt noch lange nicht, dass es bei dir bleiben will...“

„Nicht?“, wiederholte das Mädchen wieder mit einem Hauch von Traurigkeit.

Dann stand es unschlüssig bei dem kleinen Feuer, und auch ihre Großmutter sagte nichts mehr. Aber sein Herz hatte nie etwas anderes denken können, als dass das, was die alte Frau sagte, letztendlich wahr sein musste.

Mochte es jetzt einmal vor lauter Staunen und Unschuld etwas eingewandt haben, so hatte seine Seele sich dieser Wahrheit längst hingegeben, und sein Gesicht hellte sich von neuem auf.

„Du hast Recht, Mutter! Ganz gewiss wollte es, dass ich es jemandem bringe! Jemandem, der kein Licht hat...“

Die alte Frau hatte mit dem Mädchen so oft über das Licht gesprochen, das Licht der Seele und des Herzens, dass für das Mädchen kein Wort selbstverständlicher gewesen wäre als dieses.

„Aber wem“, erwiderte die alte Frau, „willst du es denn bringen? Hier ist doch weit und breit niemand! Und der alte Körte, der uns in zwei Wochen wieder ein paar Körbe abkaufen wird, wird es weder verdienen noch wollen! Du weißt, wie er uns immer betrügt mit den wenigen Münzen, die er uns nur gibt!“

Das sah das Mädchen ein... Doch dann hellte sich sein Gesicht wiederum auf.

„Ich gehe solange, bis ich jemanden finde! Der nächste Ort ist nicht so weit weg. Wir waren doch schon öfter dort – und dort werde ich es gewiss jemandem geben können!“

„Aber du kannst nicht allein gehen! Außerdem brauche ich dich hier. Wer soll denn das Wasser aus dem Brunnen holen?

Und wer soll auf dich aufpassen?“

„Das Licht passt auf mich auf, Mutter! Und ich bin doch nicht lange weg... Und als ich im letzten Winter krank war, hast du doch auch für mich Wasser geholt...“

„Aber jetzt bin ich schon wieder ein Jahr älter – und auch du bist ein Jahr älter... Das Licht kann nicht auf dich aufpassen, Kind!“

„Aber Mutter – du weißt doch, dass das große Licht sowieso auf jeden aufpasst...“

„Aber das ist etwas anderes...“

„Bitte, Mutter...!“

Die alte Frau wusste, dass das Mädchen schlicht ein viel zu großes Herz für diese Welt hatte, aber sie wusste auch, dass sie es nicht ewig in ihrer Obhut beschützen konnte. Irgendwann würde es die Welt kennenlernen müssen.

„Dann geh morgen früh mit Gott, Kind. Aber komm so früh wie möglich zurück. Gib das Licht dem Richtigen. Und wenn du um Obdach bitten musst – achte darauf, dass du nicht allein mit einem Mann unter einem Dach bist.“

„Ja, Mutter. Aber warum nicht allein?“

„Hast du nicht gesehen, wie der alte Körte immer nach dir schielt, wenn er kommt?“

„Der alte Körte? Du meinst wegen dem Goldkettchen, das er gerne hätte?“

Die alte Frau konnte nur verzweifelt schweigen. Die Unschuld des Mädchens machte sie hilflos. Sie fand die richtigen Worte nicht...

„Achte einfach darauf, Kind...“

„Ja, das werde ich, Mutter.“

*

Das Mädchen legte das Licht, weil ihm kein besserer Platz einfiel, neben das Kissen seines Bettchens, und als es sich am Abend zur gleichen Zeit wie seine Großmutter zum Schlafen legte, blickte es das Licht noch lange glücklich an – glücklich von seiner Nähe und glücklich, es jemandem bringen zu können...

Am nächsten Morgen hatte die Großmutter für das Mädchen einen kleinen Rucksack mit Proviant bereitet. Das Mädchen legte das Licht behutsam dazu, dann stand es mit großen Augen vor seiner Großmutter, und beide standen vor der Tür.

In der Nacht hatte es etwas geschneit. Das ganze Land war von einer zarten Schicht unschuldigen Weißes bedeckt.

„Geh mit Gott, Kind. Und sobald du jenen Menschen gefunden hast, dem du das Licht geben kannst, komm wieder...“

„Ja, Mutter, das tue ich.“

Die alte Frau stand in der Tür, bis sie das Mädchen nicht mehr sehen konnte, und dieses hatte sich noch oft umgedreht und gewunken...

Nun ging es über die karge Heide dem nächsten Ort entgegen. Das Wetter war kalt, aber es hatte gutes Zeug an, und wenn es kräftig ausschritt, so blieb ihm halbwegs warm. Ab und zu setzte es den Rucksack kurz ab und schaute, ob es dem Licht auch gut ging. Dieses aber leuchtete friedlich vor sich hin...