Elvis' Tod - Michael Schulte - E-Book

Elvis' Tod E-Book

Michael Schulte

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Beschreibung

Michael Schultes Geschichten produzieren Sinn und Unsinn, beides dicht nebeneinander. Wer das eine im anderen sucht, wer gerne die »Vermischten Nachrichten« unserer Zeitungen studiert, im Guinness-Buch der Weltrekorde schmökert, wer Elvis liebt, der kommt auch bei Michael Schulte auf seine vergnüglich-ernsthaften Lesekosten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 166

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Elvis’ Tod

Szenen aus meinem Leben

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Inhalt

I Episoden EinsII Episoden ZweiIII Elvis' TodIV Episoden DreiV Die HauptwörterVI Amerika

I

Bitte beachten Sie unsere Sonderangebote in der Lebensmittelabteilung: leicht angedotzte Eier, unser Fisch vom Freitag, in vielen Farben schillernde Schnitzel, Hackfleisch zum sofortigen Verzehr bestimmt.

Es war ein strahlend schöner Sommertag, die Kaufhäuser öffneten pünktlich wie immer, und gutgelaunte Verkäuferinnen und Verkäufer boten die Waren feil. Die Obsthändler türmten knackrote Äpfel zu lustigen Pyramiden, in den Kasernen sind frische Soldaten eingetroffen, die Friseure wetzen ihre Rasiermesser lebensgefährlich scharf.

Der BayWA Hobbymarkt kann mit Stolz den hunderttausendsten Kunden vorstellen und hat aus diesem Anlaß ein kurzes Gespräch mit dem glücklichen Gewinner eines 1000-DM-Einkaufsgutscheines geführt:

FRAGE: Herr H., wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Gutschein über 1000DM, den Sie als hunderttausendster Besucher des BayWA Hobbymarktes überreicht bekommen haben. Waren Sie zum erstenmal im BayWa Hobbymarkt?

ANTWORT: Zuerst freue ich mich natürlich über dieses überraschende Geschenk und möchte mich dafür bedanken. Ich war schon öfter im BayWa Hobbymarkt, wenn ich Werkzeug und Zubehör oder etwas zur Verschönerung der Wohnung gesucht habe.

FRAGE: Basteln und handwerken Sie gerne selbst?

ANTWORT: Ja, das macht mir Spaß, und außerdem kann ich damit Geld sparen. Reparaturen und Verschönerungsarbeiten in der Wohnung mache ich soweit wie möglich selbst.

FRAGE: Sind Sie mit dem BayWA Hobbymarkt zufrieden?

ANTWORT: Ja, hier bekomme ich alles, was ich zum Selbermachen brauche. Außerdem hole ich mir beim Durchgehen immer wieder Anregungen, was ich noch machen könnte.

FRAGE: Dann können Sie sich mit dem Warengutschein einige Wünsche erfüllen?

ANTWORT: Damit kann ich mir einiges anschaffen, was mir an Werkzeug noch gefehlt hat. In der Wohnung ist immer wieder etwas zu machen. Da kann ich den Gutschein gut gebrauchen.

Herr H., wir wünschen Ihnen alles Gute!

 

Manchmal müssen wir einen Blick über die Grenzen werfen, um uns klarzumachen, wie gut es uns geht. Dieses vielfältige, farbenprächtige Warenangebot, dieses fröhliche Zugreifen in den Supermärkten, dieses Treiben vor und hinter den Verkaufstheken, das alles verdanken wir Ludwig Erhard, dem Schöpfer der freien Marktwirtschaft. Wer tüchtig ist, wer zupackt, wer hinlangt, der bringt es auch zu was. Ein bißchen Ellenbogen gehört schon dazu, aber das macht nichts, in Rußland war es noch viel kälter.

Ich will reich werden, möge es kosten, was es wolle.

In Finnland bezahlt die Regierung, habe ich gehört, für jeden erlegten Wolf eine Prämie von umgerechnet 500DM. Das wäre etwas – nach Finnland ziehen und heimlich eine Wolfszucht betreiben. Klein anfangen, an jedem Ersten im Monat seinen Wolf schießen und bei der entsprechenden Behörde abliefern. An Ideen mangelt es nicht, aber man tuts ja doch nie.

Herr H. ist von Beruf hunderttausendster Besucher. Er ist Ende zwanzig, gepflegt, hat einen sympathischen Haarschnitt und flößt Vertrauen ein. Eine Firma, deren hunderttausendster Besucher Herr H. ist, kann nicht völlig daneben sein. Herr H. ist viel unterwegs, manchmal ist er auch fünfhunderttausendster oder zehntausendster Besucher, oder er ist der einmillionste Benutzer der neuen Autobahnteilstrecke oder einfach ein zufriedener Besucher der Bundesgartenschau. Ist es ein böses Omen, wenn alle Blumen, die mir mein Verlobter schenkt, schon nach zwei Tagen die Köpfchen hängen lassen und verwelken?, schreibt Fräulein K. aus F. Namhafte Botaniker haben in letzter Zeit wiederholt die Vermutung geäußert, daß Pflanzen ein Gefühlsleben haben, das sich gewaschen hat. Steht die Pflanze zum Beispiel in einem Raum, in dem ständig gestritten wird, wirkt sich das sichtlich negativ auf ihren Gesamtzustand aus. Gibt man dann aber die Pflanze einer friedliebenden und freundlichen Nachbarin, blüht und wächst und duftet die Pflanze, daß es schon fast unheimlich ist. Wie gesagt, das sind nur Vermutungen, an letzten handfesten Beweisen fehlt es noch, aber man wird in dieser Richtung weiterforschen.

Die Bundesgartenschau steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Der Bundespräsident hat zwar wenig Macht, sollte aber dennoch ein Mann sein, der Autorität und Würde ausstrahlt. Nur Philatelisten haben nichts von den Bundespräsidenten, denn Briefmarken mit deren Köpfen sind nicht der Rede wert. Bei den Terminen für die Bundesgartenschau haben die Meteorologen ein Wort mitzureden. Im August könne man es wagen, meinen sie beispielsweise, es müsse schon mit dem Teufel zugehen, wenn es da regnet, aber hundertprozentig ist nichts. Zwar ist die Meteorologie eine echte Wissenschaft, nicht so ein Gefummel wie die Graphologie oder gar die Astrologie, das nimmt sowieso kein Mensch ernst, vor allem die bekannt skeptischen Skorpione und Widder nicht, aber die Meteorologie kann eben erst seit der Entwicklung der Wettersatelliten so richtig in die vollen greifen, und bei den Wettersatelliten liegt noch vieles im argen. Aber angenommen, die Meteorologen wären in der Lage, langfristige und zuverlässige Vorhersagen zu machen, hätte das fatale Folgen für unsere Wirtschaft. Denn angenommen, im Januar käme die Vorhersage, in den beliebtesten Ferienländern sei im nächsten Sommer nur während dreier aufeinanderfolgender Wochen sonniges Wetter, würden sämtliche Arbeitnehmer während dieser drei Wochen Urlaub machen wollen, was entweder einen zeitweiligen totalen Zusammenbruch zahlloser Betriebe oder, bei hartherziger Firmenleitung, eine bedenkliche Verschlechterung des Betriebsklimas zur Folge hätte.

Man unterscheidet heute zwischen Erholungsurlaub, Aktivurlaub, Abenteuerurlaub und Bildungsurlaub. Der Erholungsurlaub ist zwar nach wie vor der beliebteste, doch gewann der Abenteuerurlaub in den letzten Jahren immer mehr Freunde. In jeder Saison warten die Reiseveranstalter mit immer waghalsigeren Abenteuern auf. Sogar eine richtige Flugzeugentführung durch Palästinenser mit anschließender Geiselnahme der Touristen war einmal ins Auge gefaßt. Luxusexpeditionen in Urwälder, aus denen noch kein Weißer lebendig wiedergekehrt ist, sind an der Tagesordnung. Mit prall gefüllten Sparstrümpfen betritt man ein Reisebüro und läßt sich von geschulten Kräften die Welt in ihrer Vielfalt schildern. Manche Pseudokunden täuschen die Absicht, eine längere Reise zu planen, nur vor, um in den Genuß der Schilderungen des Fachpersonals zu gelangen. Alles hinschmeißen, oder besser, verkaufen und irgendwo auf einer der letzten unberührten Inseln ein neues Leben anfangen. Die ersten Monate gehen natürlich mit dem Bau einer Hütte und der Suche nach einer Eingeborenen drauf. Man wird Vegetarier, das ist praktischer, und pflückt und ißt, was an den Bäumen wächst. Die Eingeborene zeigt einem die Früchte, vor denen man sich zu hüten hat, erst durch Kopfschütteln, ein paar Wochen später schon durch Worte, die man sie gelehrt oder von ihr gelernt hat. Die Kinder wachsen zweisprachig auf. Der Alltag ist langweilig, aber beschaulich, die drei Lieblingsbücher, die man auf die Insel mitgenommen hat, hängen einem schon längst zum Hals raus, aber man hat nun endlich Zeit zu meditieren, ja, vor lauter Langeweile bleibt einem gar nichts anderes übrig als Gott zu suchen und Gott zu finden, man wird weißhaarig und abgeklärt, und wenn zu guter Letzt das Schicksal doch noch grauenvoll zuschlägt, stehen die Chancen für eine Heiligsprechung nicht schlecht. Fein ausgedacht, aber da wird nichts draus. Dem Papst, der allein über die Heiligsprechung zu befinden hat, bleibt es selbstverständlich nicht verborgen, daß dieser Typ mit einer Eingeborenen zusammengelebt hat, nicht einmal verheiratet und ein hofflungsloser Lustmolch war. Ein Platz in der Hölle ist so einem sicher. Traute sagt: In der Hölle kann man himmlisch saufen.

Hat man die siebte Stufe der Weisheit erreicht, was nur wenigen gegeben ist, ist man fähig, sich liegend aus eigener Kraft bis zu einer Höhe von zehn Zentimetern frei schwebend über den Boden zu erheben. Diese Übung, die ein Höchstmaß an Konzentration und innerem Frieden erfordert, gelingt allerdings nicht in Anwesenheit von Ungläubigen. Am besten gelingt sie, wenn man ganz allein ist. Insgesamt gibt es neun Stufen der Weisheit, aber man hat schon lange nicht mehr gehört, daß jemand eine der letzten beiden Stufen erreicht hat.

Der Bundespräsident sollte nicht rauchen und darf auf gar keinen Fall Alkoholiker sein. Auch die Kulturschaffenden sind aufgerufen, sich am Kampf gegen den Alkohol zu beteiligen. Aber daraus wird nichts, solange die Künstler selbst noch jeden Abend betrunken in der Kneipe hängen. Um vier Uhr wird ins Bett gegangen, mittags wird aufgestanden. Bei vielen Künstlern wird diese Schlafgewohnheit falsch interpretiert. Richtig, sie waren einmal Spätaufsteher, die erst um zwölf Uhr mittags den Weg ins Badezimmer fanden, doch dann beschlossen sie, ein knappes Jahr lang jede Woche eine halbe Stunde früher aufzustehen. Nach vierzehn Tagen standen sie also bereits um elf Uhr vormittags auf, nach vierundzwanzig Wochen um Mitternacht und nach achtundvierzig Wochen wieder um zwölf Uhr mittags. So gibt es zwei Gruppen von Mittagsaufstehern, die tatsächlichen Spätaufsteher und die fanatischen Frühaufsteher, die ihrer Zeit immer einen Tag voraus sind, die, wenn sie am Montag aufstehen, den Dienstag leben. In Wohngemeinschaften kommt es deswegen oft zu Konflikten, die tatsächlichen Spätaufsteher sagen, man könne es mit dem Frühaufstehen auch übertreiben, während die fanatischen Frühaufsteher nicht gewillt sind, sich das Luderleben der Spätaufsteher noch länger anzusehen. Es gibt Wohngemeinschaften, die keinerlei ideologische Basis haben, die aus rein praktischen Erwägungen entstanden sind. Da leben Männer, die in der Bundeswehr gedient haben, mit vaterlandslosen Gesellen zusammen, da wohnen christdemokratische Ehepaare mit polygamen Kommunisten unter einem Dach, und offenherzige Amerikaner kommen mit undurchsichtigen Asiaten prächtig aus. Es klappt, weil die Organisation klappt. In der Küche hängt ein Wochenplan, auf dem genau festgelegt ist, wer was an welchem Tag zu tun hat. Nur bei den Frühaufstehern und den Spätaufstehern in einer Wohnung geht alles drunter und drüber, versagt jeder Plan, denn wenn der Plan beispielsweise vorsieht, daß am Dienstag ein Frühaufsteher die Treppe zu reinigen hat, behauptet der Frühaufsteher, für ihn sei es ja schon Mittwoch, weswegen ihn die Treppe nichts anginge. Aber auch in gut organisierten Wohngemeinschaften läuft nicht immer alles so, wie es laufen sollte. Man teilt die Kosten für Miete, Strom, Gas, Wasser, Tageszeitung, Fernsehzeitschrift, ein Kraftfahrzeug, Grundgebühr fürs Telefon und so weiter. Die Folge ist, man hat überraschend viel Geld zur Verfügung, man erliegt leichter als früher seiner angeborenen Konsumlust, man erinnert sich der Tagesschau, der Bundeskanzler hatte fröhlich lachend zu weniger Sparsamkeit aufgefordert, man redet sich ein, regierungsfreundlich zu handeln, wenn man ein paar Flaschen Champagner kauft, ein paar Zeitschriften unausgewogenen und anarchistischen Inhalts abonniert, um die Meinung seiner übelsten Feinde kennenzulernen, schon haben sich Alkohol und zersetzende Thesen in die Gemeinschaft eingeschlichen, wie lange wird das noch gutgehen? Ja, und diese Zeitschriften und Bücher, die die Zerschlagung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung propagieren, die unserem Rechtsstaat ins Gesicht spucken, das ist so eine Sache mit diesen Druckerzeugnissen, je mehr sie gekauft werden, desto kräftiger wird die lebenswichtige Konjunktur angeheizt, aber andrerseits, die Gegenargumente liegen auf der Hand, wann wird die Regierung also endlich handeln und ein Gesetz auf den Tisch des Hauses legen, wonach man diese Druckerzeugnisse zwar kaufen, aber nicht lesen darf?

Herr Ditsch, unser Deutsch-, Geschichts- und Erdkundelehrer, strömte einen ekelerregenden Mundgeruch aus, weswegen in seinen Stunden die vordersten Bänke immer leer waren. Aber nach spätestens zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten war sein Mundgeruch bis in die hintersten Winkel des Klassenzimmers gedrungen, die Beschreibung der schönsten und fruchtbarsten Länder unserer Erde, der glanzvollsten Epochen deutscher Geschichte, die Interpretation der erbaulichsten Werke deutscher Literatur, alles gepaart mit diesem Mundgeruch, da war es wirklich schwer, sich für deutsche Geschichte und Literatur zu begeistern, aber am schlimmsten war es, wenn Herr Ditsch nach der Stunde oder in der Pause das persönliche Gespräch mit dem Schüler suchte, vermutlich hatte Herr Ditsch seine mündlichen Examen in Minutenfrist bestanden, es ist unvorstellbar, daß ein einziger Mensch derart intensiv aus dem Mund riechen kann.

Die deutschen Städte und ihre bedeutenden Söhne aus Kunst und Geschichte. Dabei sind die kleinen Städte ungünstig dran, die nur einen einzigen epochalen Mann hervorgebracht haben, dessen sie sich aber schämen. Man hat verstohlen irgendeine Gasse nach ihm benannt, ansonsten spricht man nicht von ihm, wie man in einer Familie nicht vom schwarzen Schaf der Familie spricht, von Onkel Hugo, der vor zwanzig Jahren mit einer Tänzerin nach Amerika durchgebrannt ist; ein Skandal ist kaum noch zu vermeiden, man hat entdeckt, daß der Bürgermeister von Trier zusammen mit Kommunisten im Telefonbuch steht. Aber in den Großstädten muß fast jeden Monat eine neue Gedenktafel gemeißelt oder gegossen werden, der Bürgermeister hält eine kulturell wertvolle Ansprache. Der Bürgermeister ernährt sich vernünftig, er ist gegen Nachtblindheit gefeit, er kann auch in der Dämmerung, er kann noch lange nach Sonnenuntergang sein Manuskript ablesen, er kann nachts, wenn alles friedlich ist, Gedenktafeln einweihen, wenn die Leute aufgeschlossen sind für erhabene Gedanken und Gesten. Doch dann unversehens, nur wenige politische Beobachter haben es geahnt, kommt die Zeitenwende, es pfeift ein anderer Wind, die Gedenktafeln werden als Schandflecke entlarvt, sie werden zertrümmert, sie werden zerbröselt, eine neue Epoche ist eingeläutet.

Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad mit Dusche. Unser Portier trägt eine maßgeschneiderte Uniform und spricht die gängigen Weltsprachen fließend. Unsere Küche hat internationalen Rang, hier brüllt der Löwe selbst. Das Personal ist angewiesen, keine Trinkgelder entgegenzunehmen. Die Gäste sind angewiesen, ruhestörenden Lärm zu vermeiden, zeitig zu Bett zu gehen und innerhalb des Hotels und in den zum Hotel gehörenden Parkanlagen Gespräche über Politik und Glaubensfragen zu unterlassen. Alle Zimmer haben Blick auf die Landschaft und sind mit Teppichboden ausgestattet. Der geschmackvoll eingerichtete Clubraum dient dem persönlichen Kennenlernen und der Entspannung. Ein Farbfernsehgerät steht kostenlos zur Verfügung, das Programm sucht unser Portier für Sie aus. Man liegt auf seinem Ferienbalkon und träumt zurück zu seinem polizeilich gemeldeten Wohnsitz, man denkt an seinen treuesten Freund, seinen Hund, den man einem Tierheim anvertraut hat, an seine Frau, die auf der Säuglingsstation einer Entbindung entgegensieht, an seinen Bruder, der noch immer auf der Intensivstation liegt, an seine Tante, die der liebe Gott einfach nicht erlösen will. Vom See her weht ein lauer Wind, der Himmel ist wolkenlos, und die Sterne ziehen ihre ewigen Bahnen. Wir haben volles Verständnis dafür, daß selbst harmlos aussehende Urlaubsgrüße von Staatsschützern einer kritischen Prüfung unterzogen werden, hinter der Mitteilung, daß es in Ruhpolding regnet, kann ein infamer Befehl stecken, den es rechtzeitig zu dechiffrieren gilt, doch die Terroristen sind dazu übergegangen, sich ihre Befehle und Pläne ganz offen und unchiffriert zuzuschicken, denn die Staatsschützer, in ihrem Eifer, alles zu dechiffrieren, legen einem Satz wie: Am Wochenende Alfred Dregger entführen, einen völlig anderen Sinn zugrunde, vielleicht etwa den: In Ruhpolding regnet es.

Inzwischen fallen die Kartenhäuser wie Kartenhäuser zusammen. Die Propheten lassen sich ihre Bärte abrasieren, die Fliegen sterben wie die Fliegen, auf den Campingplätzen wird das Aufschlagen von Zelten verboten. In den Irrenhäusern geht es wie in Irrenhäusern zu, und wir haben den Salat. Keine Hand wäscht mehr die andere, mit den Urlaubsorten in den Alpen geht es bergab. Die Könige freuen sich wie die Könige, man kennt das schon, man möchte gar nicht wissen, wie es weitergeht. Darf man erfahren, was hier gespielt wird? Halten Sie besser den Mund. Das Leben könnte so schön sein, aber Streit gibt es in der ärmsten Hütte. Die Tage vergehen. Der Mond ist still und rund, in Hinterzimmern platzen historische Konferenzen, niemand lacht sich mehr ins Fäustchen. Eine Fahrt ins Grüne oder Blaue, die Ausflügler kommen um Jahre gealtert zurück, die Studienräte vermeiden die Frage nach dem schönsten Ferienerlebnis. Wie man sich bettet, so schallt es zurück, die Stunden wissen, was es geschlagen hat.

Der Hund ist ein treues Tier und im Grunde gutmütig, während die Katze hinterlistig und unberechenbar ist. Wie ist es aber zu erklären, daß Hunde so oft Briefträger anfallen, sie beißen und ihre Uniform zerfetzen? Lange hat man geglaubt, Hunde seien allergisch gegen Uniformen, eine haltlose Theorie, die allein durch den Umstand, daß Polizeihunde Polizisten gottlob nicht anfallen, entkräftet ist. Die Verhaltensforschung, eine Disziplin, die erst in unserem Jahrhundert so recht erblüht ist, hat eine plausible Deutung gefunden: Der Hund, von der Schöpfung als Herdentier konzipiert, erkennt sein Herrchen als Leittier und die Familie des Herrchens als Rudel an. Freundlich begrüßte und im Familienkreis bewirtete Besucher sind in der Logik des Hundes Mitglieder des Rudels – der Briefträger jedoch ist, wieder in der Logik des Hundes, ein Subjekt, das unermüdlich Mitglied des Rudels werden möchte, aber bereits am Gartentor oder spätestens an der Haustür regelmäßig abgewiesen wird, weswegen der Hund, dieser wachsame und tapfere Geselle, dem unerwünschten Eindringling die Zähne zeigt. – Was passiert wohl, wie weit lassen sich Tierschutzvereine und Politiker erpressen, wenn ein Terrorist die beiden Schäferhunde von Erich Mende entführt? Oder was passiert wohl, wie weit lassen sich Zeitungsverleger erpressen, wenn Terroristen den Kulturphilosophen Maxl Schleich-Schlammski entführen und zwei Mark fünfzig Lösegeld verlangen?

Drei Wochen nach dem Tod der Sängerin Maria Callas hatte ich einen seltsamen Traum: Ich sitze auf einer Parkbank, und plötzlich setzt sich die Callas neben mich, redet auf mich ein und beginnt einen ziemlich erotischen, um nicht zu sagen schlüpfrigen Flirt. Die Callas hatte mich immer als Sängerin, doch nie als Frau interessiert, nun war es umgekehrt, doch noch erstaunlicher schien mir ihre Anwesenheit auf der Parkbank, denn ich erinnerte mich deutlich, vor einiger Zeit glaubwürdige Berichte über ihr Ableben gelesen zu haben. Und während die Callas auf der Parkbank immer weitersprach und immer zudringlicher wurde, überlegte ich, wie der Widerspruch zwischen der temperamentvollen und der verstorbenen Callas zu erklären sei. Und kurz bevor das Anliegen der Callas keine Frage mehr offenließ, fand ich eine Antwort: Was auch die schlechteste Uhr der Welt nicht vermag, die Callas brachte es fertig – sie ging ein volles Jahr nach. Richtig, sie war im September 1977 gestorben, aber sie und ihre Lebensuhr waren der festen Meinung, es sei erst September 1976, weswegen die Callas noch ein Jahr zu leben hatte.

Wir hatten im Gymnasium einen Lehrer, mit Nachnamen hieß er Benedikt, seinen Vornamen habe ich vergessen, falls ich ihn je wußte, ein winziger alter Mann, der siebzehn Jahre seines Lebens als Farmer in Brasilien verbracht hatte, jedenfalls, dieser Benedikt war der Ansicht, kein Sänger und keine Sängerin, auch die Callas nicht, habe das Recht, sich nach der Vorstellung zu verbeugen und Applaus entgegenzunehmen. Denn diese schönen Stimmen seien kein persönliches Verdienst, sondern ein Geschenk Gottes.