Emotional erschöpft - @psych.gedankengut - E-Book + Hörbuch

Emotional erschöpft Hörbuch

@psych.gedankengut

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Beschreibung

Erdrückende Leere, unendliche Müdigkeit und das Gefühl, nie wieder glücklich zu werden – emotionale Erschöpfung ist für viele Menschen zu einer ständigen Begleiterin geworden, die sich wie ein Schatten auf die Seele legt und Körper und Geist krank macht. Doch wie lässt sich dieser Zustand erkennen, verstehen, überwinden oder gar vermeiden? »Emotional erschöpft« ist ein einfühlsamer und praxisnaher Ratgeber, der Leser*innen zeigt, wie sie mit einfachen, umsetzbaren Strategien wieder mehr Energie und Lebensfreude in ihr Leben holen können. Die angehende Psychologin Sema Abaci war selbst betroffen und bringt ihren persönlichen Erfahrungsschatz ein. Diesen verbindet sie mit fundiertem Wissen zu den Ursachen und Auswirkungen emotionaler Erschöpfung. So klärt sie Begrifflichkeiten wie Problemtrance und Gefühlsgewitter und bietet mit Emotionsregulation, Bewegungsrezepten und Aufmerksamkeitsverlagerung nachhaltige Lösungsansätze. Dabei geht die Autorin auf Themenfelder wie Job, Familie und Beziehung ein und untermalt das Ganze mit kleinen Anekdoten, Erfahrungsberichten und Rückblenden aus ihrem Praxisalltag.

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Zeit:8 Std. 57 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Julia Blankenburg

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Sema Abaci

@psych.gedankengut

EMOTIONALERSCHÖPFT

Wenn eine Pause nicht mehr reicht – dein Weg aus dem Gefühlsgewitter

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und [email protected]

 

Wichtiger HinweisAlle Fallbeispiele sind aus Gründen des Datenschutzes verfremdet. Zeitangaben, Lebensumstände, Berufe, Orte und biografische Details wurden geändert, verdichtet oder aus mehreren Behandlungen zusammengeführt. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig; eine Identifizierung ist nicht möglich.

 

Originalausgabe

2. Auflage 2026

© 2026 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 MünchenTel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

 

Redaktion: Susanne von Ahn

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Azurhino

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

eBook: ePUBoo.com

 

ISBN druck 978-3-7474-0720-2

ISBN ebook (EPUB, Mobi) 978-3-98922-140-6

 

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Dieser Text beschäftigt sich mit emotionaler Erschöpfung, Burn-out, Depression und streift das Thema Suizid. Diese Inhalte könnten bei einigen Menschen unangenehme oder belastende Gefühle hervorrufen. Bitte bedenke dies, bevor du weiterliest.

Inhalt

WENN NICHTS MEHR GEHT – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG

WAS IST EMOTIONALE ERSCHÖPFUNG?

Emotionale Erschöpfung ist mehr als Stress oder Verstimmung

Gefühlsgewitter – Vorbote der totalen emotionalen Erschöpfung

Ursachen – wie kommt es zu emotionaler Erschöpfung?

Der Druck des Individualismus

Folgen: Erschöpfungssyndrome

Überlebensstrategien – wie wir versuchen, uns zu schützen

WIE EMOTIONALE ERSCHÖPFUNG DEIN LEBEN BEEINFLUSST

Gefühle und emotionale Erschöpfung

Beziehungen und emotionale Erschöpfung

Emotionale Erschöpfung und ihre körperlichen Reaktionen und Auswirkungen

EIN INNERER KOMPASS – DEIN PERSÖNLICHER WEGWEISER FÜR EIN KRAFTVOLLES LEBEN JENSEITS DER ERSCHÖPFUNG

Wer bist du – fernab von Leistung?

Was ist dir wirklich wichtig? – Werte als innere Ausrichtung

Wie möchtest du leben und mit wem?

Zwischen Nähe und Abgrenzung – wenn Menschen uns fordern

Was darfst du loslassen – mit Liebe?

Wie kannst du dir selbst mit mehr Mitgefühl begegnen?

Was trägt dich, wenn es still wird? – Sinn und innerer Halt

Ein Anfang, der dich trägt

DEIN NEUER ALLTAG – STRATEGIEN LIEBEVOLL VERANKERN

Dranbleiben ohne Druck – den Tag neu ordnen

Umgang mit Rückschritten – warum Stolpern zum Weg gehört

Das Thema Identität in der Veränderung – wer bist du, wenn du dich veränderst?

Mut zur Leere – der Raum zwischen Alt und Neu

Die Kraft der Verletzlichkeit – warum sie deine Stärke ist

Intuition und Bauchgefühl – warum deine innere Stimme ein Wegweiser sein kann

Die Rolle des Körpers bei emotionaler Erschöpfung

Gesunder Umgang mit sensiblen Menschen – warum dein Feingefühl eine Stärke ist

Warum weniger Tempo mehr Leben bedeutet

Akzeptanz – Frieden schließen mit Unveränderbarem

Brief an das zukünftige Ich

Einige letzte Gedanken

EPILOG – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG

ÜBER DIE AUTORIN

QUELLEN

»Ich muss nicht mehr kämpfen, um meinen Platz im Leben zu finden. Ich darf ihn einnehmen, indem ich mir selbst treu bleibe.«

Wenn nichts mehr geht – persönliche Erfahrung

Ich kann nicht genau sagen, wann es angefangen hat. Vielleicht an dem Tag, als ich mitten im Gespräch den Faden verlor und einfach schwieg, weil mein Kopf leer war. Oder an jenem Morgen, als ich den Wecker zum dritten Mal ausstellte und mich fragte, warum ich überhaupt aufstehen sollte. Vielleicht war es dieser Moment vor dem Spiegel, in dem mir klar wurde, wie fremd ich mir geworden war. Ich sah in ein Gesicht, das ich nicht mehr kannte. Diese tiefen Schatten unter den Augen, die Haut blass und leblos, und vor allem dieser traurige Ausdruck, der mich innerlich frösteln ließ. Als wäre ich zu Gast in meinem eigenen Körper, aber nicht mehr zu Hause. Aber eines weiß ich sicher: Irgendwann war die Erschöpfung nicht mehr nur ein Zustand. Sie wurde mein Alltag. Ein bleiernes Gewicht auf meinen Schultern, ein Summen im Kopf, das niemals verstummte.

Ich funktionierte. Ich ging zur Arbeit, führte Gespräche, hielt Termine ein. Aber es fühlte sich an, als würde ich durch dichten Nebel laufen, langsam, kraftlos, betäubt. Emotionen waren nur noch ein Echo, Freude eine verblasste Erinnerung. Und an manchen Tagen? Da fühlte ich gar nichts mehr.

Ich weiß nicht mehr, wann genau ich aufgehört habe, mich selbst zu fragen, wie es mir geht. Irgendwann hatte ich keine Energie mehr für Ehrlichkeit. Dessen war ich mir aber gar nicht bewusst, denn ich wusste nicht, was mit mir los war. Ich hoffte einfach nur auf bessere Tage.

Aber nichts wurde wieder besser. Die Müdigkeit blieb, egal wie lange ich schlief. Und jedes Mal, wenn jemand fragte, wie es mir gehe, spürte ich dieses dumpfe Pochen in meiner Brust. Als wollte mein Körper sagen: »Sag endlich die Wahrheit. Sag, dass du nicht mehr kannst.« Doch ich lächelte, winkte ab und sagte immer nur: »Alles gut, nur müde.« Die Anspannung ließ nicht nach, egal wie oft ich tief durchatmete. Und irgendwann wurde selbst das, was mir früher Freude bereitet hatte, nur noch eine weitere Aufgabe auf meiner endlosen Liste.

Ich weiß noch, wie ich einmal in einem Café saß, eine halbe Stunde Zeit hatte und mich fragte: »Was würde mir jetzt guttun? Ein Buch lesen? Musik hören? Einfach die Sonne genießen?« Doch nichts davon fühlte sich richtig an. Es war, als hätte mein Kopf verlernt, was mir eigentlich Freude macht. Also scrollte ich mechanisch durch mein Handy, las Nachrichten, die mich nicht interessierten, und wartete darauf, dass die Zeit verging.

Es war kein plötzlicher Zusammenbruch, keine dramatische Szene mit Tränen und Verzweiflung. Nein, emotionale Erschöpfung ist oft leise. Sie schleicht sich ein, nimmt dir nach und nach deine Energie, bis du eines Tages aufwachst und feststellst, dass du nicht mehr weißt, wer du ohne sie bist. Das war der Moment, in dem mir klar wurde: So kann es nicht weitergehen. Aber wie findet man einen Ausweg, wenn selbst der Gedanke daran zu anstrengend ist?

Viele glauben, Erschöpfung komme plötzlich – nach einer stressigen Woche, einem fordernden Projekt oder einer besonders schweren Zeit. Aber so punktuell ist es nicht, sondern oft ein schleichender Prozess. Man merkt es erst, wenn man tief drinsteckt. Vielleicht beginnt es mit Kleinigkeiten: mit dem Gefühl, ständig müde zu sein, obwohl man doch genug schläft. Mit einer wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber Dingen, die man früher geliebt hat. Mit dem Drang, sich zurückzuziehen, weil alles zu viel wird.

Und genau darum geht es in diesem Buch. Ich möchte darüber schreiben, wie sich emotionale Erschöpfung anfühlt, wo sie ihren Ursprung hat und vor allem, wie man wieder herausfindet. Denn ich weiß, wie es ist, sich verloren zu fühlen. Aber ich habe auch gelernt, dass es Wege zurück gibt. Und genau diese Wege möchte ich mit dir teilen.

Schön, dass du dieses Buch in die Hand genommen hast. Ich möchte dir gleich zu Beginn sagen: Du bist nicht allein! Emotionale Erschöpfung ist etwas, das viele von uns erleben, aber oft nicht zuordnen können. Wir sind es gewohnt, zu funktionieren und unsere Gefühle zu ignorieren. Also machen wir weiter, obwohl alle Zeichen auf Dunkelorange oder Rot stehen. Und manchmal haben wir das Gefühl, dass wir mit der tiefen Erschöpfung ein Sonderling sind, und aus Scham versuchen wir unser inneres Chaos zu verstecken und kämpfen im Stillen mit der Überforderung. Ein Kampf, den wir so nicht führen können. Ich behaupte sogar, dass wir diesen Kampf nicht kämpfen müssen.

Dieses Buch soll dir helfen, die Zeichen emotionaler Erschöpfung zu erkennen, zu verstehen und Wege zu finden, damit umzugehen. Es geht darum, sich selbst und seine Grenzen zu akzeptieren, Selbstfürsorge zu praktizieren und Strategien zu entwickeln, um wieder Kraft zu schöpfen. Dafür habe ich verschiedene Tipps und Übungen zusammengetragen, die gezielt in den Bereichen Gefühle, Gedanken, Beziehungen und körperliche Verfassung ansetzen. Das Ziel ist, durch neue Perspektiven und Herangehensweisen die Dauerbelastungen zu meistern, sich selbst besser zu verstehen, mitzuteilen und zu schützen.

In den folgenden Kapiteln werden wir uns daher genauer ansehen, wie emotionale Erschöpfung entsteht und welche Risikofaktoren eine Rolle spielen. Paula, unsere fiktive Protagonistin, begleitet uns dabei, mal leise und still, mal mit eindrucksvollen Beispielen aus ihrem Alltag. Ich möchte nicht nur Informationen liefern, sondern auch Mut machen. Emotionale Erschöpfung ist ein Zustand, den man verstehen und aktiv verändern kann.

Dieses Buch soll dir Wissen und Inspiration zugleich bieten. Mögest du darin Orientierung und praktische Hilfestellungen finden, genauso wie einen Einblick in Paulas innere Welt, die zeigen soll, dass wir mit unseren Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen nicht allein sind.

Was ist emotionale Erschöpfung?

Erschöpfung dürfte uns allen mehr oder weniger bekannt sein. Wir sind nach einer anstrengenden Projekt-, Klausur- oder intensiven Arbeitsphase ausgelaugt oder eine anstrengende Zeit des Eigenheimaufbaus oder die Organisation einer privaten Veranstaltung hat uns mitgenommen und wir bemerken, dass wir wieder auftanken müssen. Diese Müdigkeit kann man auf die körperliche Anstrengung oder den Schlafmangel, der der Erschöpfung zugrunde liegt, beziehen. Gönnen wir uns eine anschließende Ruhephase, ist das auch überhaupt kein Problem. Viele Menschen verwechseln emotionale Erschöpfung mit allgemeiner Müdigkeit oder körperlicher Erschöpfung.

Emotionale Erschöpfung ist mehr als Stress oder Verstimmung

Emotionale Erschöpfung jedoch fühlt sich etwas anders an. Sie ist ein Zustand der psychischen Überforderung, der durch lang anhaltenden Stress und emotionale Belastung verursacht wird. Jetzt fragst du dich vielleicht, worin genau der Unterschied liegt. Emotionale Erschöpfung ist mehr, als sich etwas gestresst zu fühlen und in einem vorübergehenden Tief zu stecken. Es ist das Gefühl, innerlich leerzulaufen, obwohl du weiter funktionierst, und dass dir alles über den Kopf wächst und du einfach nicht mehr kannst. Schlaf hilft nur kurz, Wochenenden fühlen sich zu kurz an, Urlaube verpuffen schneller, als dir lieb ist. Gleichzeitig steigen Reizbarkeit, Empfindlichkeit und das Bedürfnis, dich zurückzuziehen. Du spürst, dass selbst kleinste Anforderungen oder Verantwortlichkeiten zu viel sind und das innere Chaos verschlimmern. Die Gefühle fahren Achterbahn, sodass du keines richtig ausfindig machen kannst. Leider ist das ein Point of no Return, da bei der emotionalen Erschöpfung kleinere Ruhephasen nicht den gewünschten Effekt der Entspannung bringen. Das aufwühlende innere Gefühlschaos wird bei Stille lauter, und so ist es dann auch mit den Gedanken. Sie kreisen unaufhörlich und es gibt keinen Ausweg aus diesem Strudel. Es ist überwältigend und kleine Aufgaben erscheinen unüberwindbar. Der einzige Weg scheint: Weitermachen. Funktionieren.

Emotionale Erschöpfung ist eine nachvollziehbare Reaktion auf dauerhafte Überforderung. Äußerlich (Ansprüche, Termine, Verantwortung) und innerlich (Glaubenssätze, Erwartungen an dich selbst, alte Verletzungen). Sie kann jede und jeden treffen: Menschen mit viel Verantwortung, sensible Menschen, Eltern, Pflegekräfte, Führungskräfte, Studierende. Der gemeinsame Nenner ist nicht Schwäche, sondern Belastung, die zu lange ohne echten Ausgleich blieb.

Stell dir vor: Du bist in einem Raum ohne Fenster, und die Wände kommen immer näher. Du fühlst dich eingesperrt und findest keinen Ausweg. So kannst du dir emotionale Erschöpfung vorstellen. Im Grunde ein Zustand der völligen Unkenntnis über seine eigenen Gedanken und Gefühle, da man sie nicht mehr greifen kann. Sie entgleiten immer wieder und es herrscht eine unaufhörliche innere Bewegung aus Emotionen und Gedanken. Es gibt keinen Ausschalter. Das macht müde, motivationslos und man verliert die Hoffnung. Im Inneren ist so viel los, aber in Worte fassen kann man es nicht. Die meisten Menschen bleiben daher sprachlos und ziehen sich zurück. Leider verschärft genau dies den seelischen Zustand. Dieses Aufgewühltsein ist wie der Strom eines Flusses. Es sieht harmlos aus, kann aber Menschen ertränken.

 

Die Bahntüren schließen sich mit einem dumpfen Knall und die sanfte Vibration des Zuges unter ihren Füßen bietet eine seltsame Art von Trost. Paula lässt sich schwer auf einen der freien Plätze fallen, den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt. Die Lichter der Stadt ziehen in verwischten Streifen an ihr vorbei, als der Zug sich in Bewegung setzt.

»Geschafft!«, denkt sie und lässt einen müden Seufzer entweichen. »Wieder einen Tag überlebt.«

Die Menschen um sie herum scheinen vertieft in ihre eigenen Gedanken und Selbstgespräche. Ein Mann zwei Plätze weiter starrt ins Leere, während eine junge Frau, die schräg gegenüber sitzt, in ihrem Buch blättert. Paula bemerkt ihre müden Augen, die Dunkelheit darunter, ein Spiegelbild ihrer eigenen Erschöpfung. Es ist dieses Gefühl des völligen Ausgebranntseins, das sie ständig begleitet. Ein Gefühl, das sich nicht einfach abschütteln lässt, egal wie oft sie versucht, sich selbst Mut zuzusprechen. Das schleichende Gefühl, dass jeder Tag eine schier unüberwindbare Hürde ist, hat sie fest im Griff.

Sie schließt die Augen für einen Moment, in der Hoffnung, zumindest für die Dauer der Bahnfahrt ein wenig Ruhe zu finden. Doch selbst in der Dunkelheit hinter ihren Lidern flammen die Gedanken auf, an die endlosen Verpflichtungen, die Erwartungen und den ständigen Druck, der auf ihr lastet.

Der Zug rattert weiter, und mit jedem Kilometer, den er hinter sich lässt, scheint auch ein kleiner Teil von Paulas Energie zu verschwinden. Sie weiß, dass sie etwas ändern muss, aber das »Wie« bleibt ein Rätsel, das ihr jede Nacht den Schlaf raubt.

Viele von uns kämpfen täglich gegen genau diese tiefe emotionale Erschöpfung an, die unser Dasein aufzulösen scheint. Emotionale Erschöpfung betrifft uns alle irgendwann im Leben. Sei es durch beruflichen Stress, persönliche Krisen oder den ständigen Druck, Erwartungen erfüllen zu müssen. Das Gefühl kann unheimlich und lähmend sein.

Ich möchte die emotionale Erschöpfung noch etwas genauer erläutern, da es bisher wenig Genaueres an Hintergrundfakten dazu gibt und sie kaum in der Tiefe erklärt ist. In der Literatur wird emotionale Erschöpfung oft als Kernkomponente von Burn-out1 beschrieben. Sie ist nie eigenständig erwähnt, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Belastungen oder Störungen. Sie scheint einen Zwischenzustand oder einen Nebenschauplatz darzustellen, und das möchte ich gerne ändern. Denn emotionale Erschöpfung ist ein wichtiger Anhaltspunkt, um sich selbst und das, was im Leben passiert, genauer zu betrachten, bevor es zu ernsthaften Erkrankungen kommt. Sie ist tiefgreifender und ungleich komplexer Natur.

Emotionale Erschöpfung ist nicht nur eine kurzzeitige Verstimmung, sondern ein Zustand, in dem sich betroffene Personen überwältigt, oft hilflos ausgeliefert fühlen. Bevor die Erschöpfung laut wird, kündigt sie sich an. Oft leise. Du wachst auf und fühlst dich nicht erholt. Du verschiebst Dinge, die dir früher leichtfielen. Du verträgst Lärm, Licht und Small Talk schlechter als sonst. Du merkst, wie du schneller genervt bist, härter mit dir sprichst und dich sozial häufiger abmeldest. Freude wird seltener, Zynismus häufiger. Dein Körper sendet Signale: verspannter Nacken, Druck auf der Brust, flacher Atem, Magen, der »mitredet«. Die Konzentration bricht schneller weg, Entscheidungen fallen schwerer. Und manchmal fühlst du dich gleichzeitig überdreht und erschöpft. Es ist ein seltsamer Mix aus innerer Unruhe und innerer Leere.

Anders als häufig vermutet äußert sich diese Leere nicht unbedingt durch ein andauerndes Weinen oder extreme Sensibilität. Im Gegenteil: Oft fehlt den Menschen schlicht die Kraft, überhaupt noch zu weinen. In fortgeschrittenen Stadien weicht jede Teilnahme am Leben und am Miteinander einer inneren Starre und oft sogar Gefühllosigkeit. Während Weinen zumindest noch eine Form der Kommunikation sein kann, um seinem Umfeld die eigene Gefühlswelt mitzuteilen, macht sich bei emotionaler Erschöpfung eine bedrückende Stille breit. Sie fühlt sich an, als würde etwas im Inneren verstummen und man selbst nur noch weiterfunktionieren.

Dieses Gefühl, keine Verbindung mehr zu sich selbst zu haben, ist für viele irritierend und beängstigend. Man kann weder nach außen treten noch nach innen schauen. Es ist, als wäre ein Vakuum entstanden: von innen keine Impulse, von außen keine Resonanz. Das eigene Selbstgefühl scheint abhandengekommen zu sein, und man weiß oft nicht einmal, was genau gerade passiert. Diese Stille ist nicht etwa erlösend, sondern vielmehr Vorbote einer Art Abwesenheit. Ein essenzieller Teil unseres Daseins, nämlich die Freude am Leben, das Empfinden von Sinn und Zugehörigkeit, zieht sich zurück, ohne dass wir es recht bemerken.

Die eingeschränkte Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse oder Werte wahrzunehmen, führt dazu, dass weder positive noch negative äußere Reize echte Gefühlsregungen auslösen können. Typische Begleiterscheinungen sind emotionale Abgestumpftheit, erhöhte Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme, Schlafveränderungen und der Rückzug aus sozialen Kontakten. Das ist ein alarmierender Zustand, der höchste Aufmerksamkeit erfordert, denn jedes weitere »Funktionieren« ohne innere Regeneration wirkt wie ein Katalysator für diesen schleichenden Verfall. Dramatisch klingt das allemal, aber wenn wir Lebendigkeit und das Spüren des Lebens als Grundpfeiler unserer Existenz begreifen, führt uns die emotionale Erschöpfung tatsächlich ins Gegenteil: in eine Sackgasse.

Wer nicht mehr teilnimmt und teilnahmslos wird oder wer so erschöpft ist, dass er sich selbst nicht mehr fühlen kann, schreit im Grunde stumm nach Hilfe. Es ist ein Signal, dass es so nicht weitergehen kann. Eine Sackgasse ist, wie der Name schon sagt, scheinbar ohne Ausweg – ein »totes Ende«. Und genauso kann sich emotionale Erschöpfung anfühlen: Es geht nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Doch der entscheidende Unterschied zur Einbahnstraße ist, dass man in einer Sackgasse umdrehen oder zumindest versuchen kann, den Weg zurück zu finden. Wie das konkret aussehen kann, werde ich in den folgenden Kapiteln erläutern.

Während sich physische Erschöpfung beispielsweise durch schwere Glieder, Muskelkater oder den Wunsch nach mehr Schlaf äußert, liegt bei der emotionalen Erschöpfung die Ursache oft in den Gedanken und Gefühlen. Man spürt eine bleierne Last auf dem Herzen, die Motivation sinkt.

Paula starrt an die Decke. Der Wecker hat bereits geklingelt, aber sie kann sich nicht aufraffen. Einen Moment lang schließt sie die Augen und versucht zu erspüren, was in ihr vorgeht. Doch statt einer klaren Antwort fühlt sie nur eine zähe Leere, beinahe so, als hätte ihr Inneres, also ihr Gefühl, ihre Freude, längst den Raum verlassen.

Genau dieses Empfinden beschreibt den Kern emotionaler Erschöpfung: einen Zustand, in dem die seelischen Reserven nahezu aufgebraucht sind und jede Art von emotionalem Impuls unglaublich schwerfällt. Es handelt sich nicht einfach um Müdigkeit, wie sie nach einer langen Arbeitswoche auftreten kann. Es ist auch nicht bloß Stress, der sich durch einige ruhigere Tage aufwiegen ließe. Emotionale Erschöpfung ist vielmehr das Gefühl, innerlich »abgeschaltet« zu sein. Dieser Zustand wirkt sich darauf aus, wie wir die Welt wahrnehmen, auf Mitmenschen reagieren und wie wir uns selbst behandeln.

Emotionale Erschöpfung äußert sich in Symptomen wie:

•emotionale Instabilität oder das Gefühl der Leere

•tiefe Erschöpfung

•emotionale Abgestumpftheit beziehungsweise Verringerung der Fähigkeit, Freude oder andere positive Emotionen zu empfinden

•Reizbarkeit und Frustration

•eingeschränkte Konzentration

•sozialer Rückzug

Allzu oft wird leider diese Form der Erschöpfung abgetan (»Stell dich nicht so an!«), weil sie nicht sichtbar ist und keine klaren körperlichen Wunden hinterlässt. Dabei kann sie genauso belastend und gefährlich werden wie ein körperlicher Erschöpfungszustand. Wer weiterhin alle Warnzeichen ignoriert, riskiert, dass sich aus emotionaler Erschöpfung ein chronischer Zustand entwickelt, manchmal mit ernsthaften gesundheitlichen Folgen.

Gerade weil emotionale Erschöpfung oft ein schleichender Prozess ist, ist es wichtig, kleine Veränderungen wahrzunehmen und ehrlich mit sich selbst zu sein: Wann fühle ich mich ausgelaugt? Brauche ich gerade mehr Rückzug, mehr Unterstützung oder vielleicht sogar professionelle Hilfe? Wer frühzeitig reagiert, kann Schlimmeres verhindern und wieder zu einer stabileren, zufriedeneren Lebensweise zurückfinden. Denn emotionale Erschöpfung ist ein bisschen so, als würde man immer wieder an die Tür der Depression klopfen.

Es gibt allerdings einen Abschnitt oder einen Moment, der der tiefen emotionalen Erschöpfung und Taubheit vorangeht und in dem es noch innerlich kracht und tobt. Was es damit auf sich hat, ist Thema des nächsten Abschnitts.

Gefühlsgewitter – Vorbote der totalen emotionalen Erschöpfung

Bevor die emotionale Erschöpfung einsetzt, durchlaufen viele Menschen eine Phase intensiver emotionaler Instabilität, oft beschrieben als eine »emotionale Achterbahnfahrt«. Hier nennen wir sie »das Gefühlsgewitter«. Diese Phase ist geprägt von starken Stimmungsschwankungen, übermäßiger Reizbarkeit, Angstgefühlen und einem überwältigenden Gefühl der Überforderung. Es brauen sich hier eine Menge unangenehme Gefühlszustände zusammen. Die Schwere hängt sicherlich davon ab, wie man diese Flut an Gefühlen verarbeitet beziehungsweise welche Copingstrategien ein Mensch besitzt, um ihnen zu begegnen, denn nicht immer müssen sie in einen Erschöpfungszustand münden.

Copingmechanismen sind bewusste oder unbewusste Verhaltensweisen und Techniken, die Menschen nutzen, um mit belastenden Situationen, Problemen oder schwierigen Gefühlen besser umgehen zu können. Sie helfen dabei, Stress zu reduzieren, Herausforderungen leichter zu bewältigen und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen.

Die Gründe, warum Menschen sich überfordert fühlen, sind vielfältig. Sie reichen von beruflichem Druck über private Sorgen bis hin zu chronischem Stress. (Zu den Ursachen folgt im anschließenden Kapitel eine detaillierte Ausführung.) In dieser Phase erleben Betroffene oft eine verstärkte emotionale Sensibilität, bei der selbst kleine Auslöser starke Reaktionen hervorrufen können. Die konstante Schwankung zwischen Hoch- und Tiefpunkten kann nicht nur die persönliche Lebensqualität beeinträchtigen, sondern auch die Beziehungen belasten und die berufliche Leistung negativ beeinflussen. Das ständige Auf und Ab der Gefühle verbraucht enorme Mengen an mentaler und emotionaler Energie, was schließlich zur völligen Erschöpfung führen kann.

Paula sitzt an ihrem Schreibtisch, die Hände in die Haare vergraben. Die Deadline für das Projekt rückt unaufhaltsam näher, und jeder Blick auf die Uhr lässt ihre Panik steigen. »Wie soll ich das nur schaffen?«, denkt sie verzweifelt. Eine E-Mail nach der anderen prasselt auf sie ein, jeder Betreff eine neue Aufgabe und damit ein weiterer Tropfen im Fass ihrer Belastung.

Gestern hatte sie noch voller Enthusiasmus an der Präsentation gearbeitet, nur um heute in einem Meer der Verzweiflung zu versinken. Die geringste Kritik eines Kollegen lässt sie an die Decke gehen, und kurze Zeit später überkommt sie ein Gefühl der Niedergeschlagenheit. Sie kann nicht fassen, wie schnell ihre Stimmung umschlägt: von euphorischer Hochstimmung zu abgrundtiefer Traurigkeit.

Paulas Nächte sind unruhig. In den Momenten, in denen sie Schlaf findet, sind ihre Träume erfüllt von Szenarien des Versagens. Die Sorgen und Ängste nehmen kein Ende und jagen sie auch durch den Tag. Selbst die kleinsten Aufgaben fühlen sich an wie unüberwindbare Hürden. Jeder Moment des Innehaltens ist durchsetzt von Gedankenkreisen und Grübeln. Sie fühlt sich wie eine Seiltänzerin, die ohne Netz über einem Abgrund balanciert. Wie sie diesem Zustand entkommen kann, bleibt ihr ein Rätsel. Sie hofft insgeheim, dass andere ihr helfen oder dass dieser Zustand hoffentlich von selbst wieder vergehen wird.

Emotionale Instabilität ist in stressigen Zeiten ein oft anzutreffendes Symptom und daher menschlich. Paulas Reaktionen sind besonders intensiv, aber das ist nicht bei jedem Menschen gleichermaßen der Fall. Es gibt auch die Variante der nach innen gerichteten emotionalen Instabilität, sodass sie äußerlich kaum oder gar nicht sichtbar ist. Betroffene schaffen es, ihre Gefühle zu verbergen und nach außen den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung sei. Dies betrifft insbesondere Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen oder in ihrem Umfeld keine Schwäche zeigen wollen. Sie können ihre wahren Gefühle verbergen und eine Fassade der Stärke aufrechterhalten, während sie innerlich von ständigen Stimmungsschwankungen und Unsicherheiten geplagt werden. Die scheinbare »Normalität« ist im Innenverhältnis von intensiven Selbstzweifeln, inneren Konflikten und Ängsten geprägt, die niemandem gezeigt werden. Was die Situation oft verschärft, ist, dass Menschen, die ihre emotionale Instabilität nach innen richten, dazu neigen, sich zurückzuziehen und ihre Probleme allein zu bewältigen. Das Resultat ist oft eine kalte Wut. Kalt deshalb, weil auch diese Emotion nicht konstruktiv genutzt werden kann, um sich emotional besser zu regulieren, sondern alles Negative weiter »heruntergeschluckt« wird. Metaphorisch ist dies die klassische Faust in der Tasche. Ein Teufelskreislauf, denn je mehr Unsicherheiten entstehen, desto größer werden die Wut und das Gefühl, unverstanden zu bleiben.

Die Phase des Gefühlsgewitters ist intensiv und erschöpfend und sie führt schließlich bei Anhalten zu völliger Erschöpfung. Das verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Anzeichen frühzeitig zu erkennen und sich rechtzeitig um seine psychische Gesundheit zu kümmern.

Ursachen – wie kommt es zu emotionaler Erschöpfung?

Gefühlsschwankungen beziehungsweise das Gefühlsgewitter sind also eine Phase intensiver emotionaler Instabilität, die durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst wird. Diese Faktoren können sich gegenseitig verstärken und führen oft dazu, dass Betroffene das Gefühl haben, von ihren Emotionen überwältigt zu werden, was in der Folge zu emotionaler Erschöpfung führen kann. Das sind einige der häufigsten Ursachen:

 

•Lang anhaltender Stress ist oft die Hauptursache für emotionale Instabilität und er entsteht durch beruflichen Druck, finanzielle Sorgen oder persönliche Verpflichtungen. Dauerhafter Stress stört und verhindert ein emotionales Gleichgewicht. Was bleibt, ist das ständige Gefühl, überlastet zu sein, nicht mehr zur Ruhe zu kommen und andauernd angespannt zu sein.

•Ungeklärte Konflikte in Beziehungen, sei es am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis, können uns auslaugen, da sich negative Gefühle aufstauen. Sie verursachen eine emotionale Belastung, die letztlich zu einer Zerreißprobe werden kann.

•Perfektionistische Menschen mit hohen Selbstansprüchen sind besonders anfällig für emotionale Instabilität. Der ständige Druck, den eigenen Erwartungen gerecht werden zu müssen, kann zu inneren Konflikten führen und zu einem Gefühl der Unzulänglichkeit.

•Ein Mangel an Selbstfürsorge zeigt sich in der Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse. Dazu zählen unter anderem wenig Pausen, ungesunde Ernährung, wenig Schlaf. Schon ein Mangel in diesen drei basalen Bedürfnissen kann zu einer Verschlechterung der emotionalen Stabilität führen.

•Hormonschwankungen, wie sie in der Pubertät, der Schwangerschaft oder kurz vor der Periode vorkommen, können ebenfalls zu Stimmungsschwankungen führen und Menschen überfordern. Sie sorgen dafür, Gefühle intensiver zu erleben, und das schnelle Umschlagen der Gefühle kann dann sehr anstrengend werden.

•Soziale Isolation, das Gefühl der Einsamkeit und die Angst, nicht gebraucht zu werden, können ebenfalls emotionale Instabilität hervorrufen. Der Mangel an Unterstützung und positivem Feedback (wie »Ich bin okay«, »Ich werde gemocht«) kann die emotionale Belastbarkeit senken.

Das meiste davon dürfte bekannt sein, jedoch gibt es auch weniger offensichtliche Ursachen, die uns emotional erschöpfen können, dazu zählt Folgendes:

 

•Menschen, die sich verpflichtet fühlen, ständig für andere sorgen zu müssen, übernehmen zu viel Verantwortung. Sie füllen zudem mehrere Rollen gleichzeitig aus und das kann schnell zu einer Überforderung werden. Die ständige Pflicht, alles unter Kontrolle zu haben und alle Erwartungen zu erfüllen, kann schließlich zu emotionaler Erschöpfung führen.

•Wer immer »Ja« sagt und es anderen recht machen will, dem bleibt oft wenig Raum für eigene Bedürfnisse und Erholungsphasen. Diese fehlende Abgrenzung kann dazu führen, dass man sich ausgenutzt fühlt oder es sogar wird. Das führt in der Konsequenz dazu, sich emotional ausgelaugt zu fühlen.

•In einer missbräuchlichen Partnerschaft zu leben, ist eine schwerwiegende Ursache für emotionale Instabilität und Erschöpfung. Missbrauch kann viele Formen annehmen: emotional, psychisch, physisch oder finanziell. Betroffene leiden unter ständiger Angst, niedrigem Selbstwertgefühl und Hilflosigkeit. Ständige Manipulation, Kontrolle, Beleidigungen oder subtile Unterdrückungen hinterlassen tiefe emotionale Narben, die zu erheblichen mentalen und emotionalen Belastungen führen.

•Das Fehlen von Unterstützung und Anerkennung in verschiedenen Lebensbereichen kann ebenfalls zu emotionaler Reaktivität führen. Menschen, die sich nie wertgeschätzt oder gesehen fühlen, erleben häufig ein Empfinden der Einsamkeit und Losgelöstheit. Der Mangel an positiven Bestärkungen und emotionaler Nähe trägt zur emotionalen Belastung bei.

•Menschen, die ständig an sich selbst zweifeln oder nicht zu ihren eigenen Werten, Zielen und Vorstellungen vom Leben stehen, erleben eine erhebliche emotionale Belastung. Diese inneren Kämpfe führen zu anhaltendem Stress und können die emotionale Gesundheit stark beeinträchtigen.

All diese Dinge und noch einige weitere können uns Menschen in unserer Gefühlswelt so stark beeinflussen, dass wir bei unzureichender Lösungsfindung oder ungünstigen Strategien im Umgang mit Situationen und Mitmenschen emotional erschöpfen. Anzumerken ist, dass unsere physische Kraft unterdes auch betroffen ist. Die emotionale Welt und die körperliche sind oft nicht scharf voneinander zu trennen, denn leiden wir emotional, dann wird bald schon unser Körper betroffen sein und umgekehrt. (Die physischen Konsequenzen zeige ich im Kapitel »Emotionale Erschöpfung und ihre körperlichen Reaktionen und Auswirkungen« auf.) Alle oben genannten Ursachen münden in eine Eruption unserer Gefühlswelt. Sie setzen dort an, wo die Kraftquelle unseres Lebens ist. Wo der Antrieb entsteht, aufzustehen und das Leben zu meistern oder sogar Meisterleistungen zu erbringen. Und wenn wir es nicht schaffen, diese Eruption zu beruhigen, dann bleibt »verbrannte Erde« übrig. Die Konsequenzen sind verheerend: Burn-out, Depressionen und andere psychische Störungen können folgen. Umso wichtiger ist es, die Anzeichen so früh wie möglich zu erkennen und gut für sich zu sorgen.

Bei Paula fängt es ganz allmählich an. Ihre To-do-Liste ist lang, doch sie glaubt anfangs, alles problemlos bewältigen zu können. Sie setzt sich hohe Ziele: im Beruf glänzen, für ihre Familie und Freunde da sein, einen schönen Ausgleich in ihrem Alltag finden. Die Arbeitstage werden länger, die sozialen Verpflichtungen auch, und die Zeit für echte Erholung wird kürzer. Zunächst reichen ein paar Tage Urlaub, um sich zu regenerieren. Doch schon kurze Zeit nach der Rückkehr ins normale Leben ist Paula wieder am Limit. Und das immer schneller und stärker.

Es ist mir wichtig, hervorzuheben, dass emotionale Erschöpfung nicht ausschließlich durch individuelle Eigenschaften oder ungünstige persönliche Strategien entsteht. Ebenso bedeutend sind gesellschaftliche und soziale Bedingungen, die uns umgeben. Gerade weil wir uns häufig enorm anstrengen, den Anforderungen standzuhalten und nicht unter der Last zusammenzubrechen, ist es entscheidend, auch unser Umfeld mit einzubeziehen. Unsere inneren Kämpfe sind nämlich nicht isoliert zu betrachten. Wir leben eingebettet in Strukturen, Erwartungen und Rahmenbedingungen, die erheblich dazu beitragen, dass wir an unser Limit geraten.

Zwar mag ein Teil der emotionalen Erschöpfung »hausgemacht« erscheinen und in uns selbst begründet liegen, doch der andere Teil hat seinen Ursprung in genau den Systemen, in denen wir leben und arbeiten. Beides wirkt ineinander und verstärkt sich gegenseitig. Wenn wir die Ursachen emotionaler Erschöpfung umfassend verstehen wollen, dürfen wir also nicht außer Acht lassen, dass auch unsere sozialen und gesellschaftlichen Kontexte wesentlich dazu beitragen.

Im Folgenden stelle ich beispielhaft einige dieser äußeren Ursachen dar, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr geht es mir darum, diesen wichtigen Punkt zu verdeutlichen und sichtbar zu machen, wie vielfältig Einflüsse sein können, die uns erschöpfen.

Der Druck des Individualismus

Individualismus ist in unserer Gesellschaft ein hohes Gut und wird entsprechend gepriesen. Dabei stehen persönliche Freiheit, Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit im Vordergrund. Das sind zweifellos erstrebenswerte Ziele, die viele Vorteile bieten. Immerhin ermöglichen sie jedem Menschen, seine einzigartigen Talente zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen. Doch der starke Fokus auf das Individuum bringt auch Schattenseiten mit sich, die immer deutlicher zutage treten.

So schön es klingen mag, stets nach der besten Version seiner selbst zu streben und immer »mehr« zu verlangen, so groß sind die Gefahren, die auf den ersten Blick kaum erkennbar sind. Individualismus beschränkt sich schon lange nicht mehr auf den engen Rahmen der Familie: Er enthält einen gesellschaftlichen Druck, ein einzigartiges und erfolgreiches Individuum zu sein. Das kann schnell überwältigend wirken. Die ständige Forderung, sich von anderen abzuheben und in jedem Lebensbereich zu glänzen, erzeugt einen unnachgiebigen Leistungsdruck.

Dieser Druck beginnt leider schon kurz nach der Geburt: Wie ist dein Kind auf die Welt gekommen? Schläft es durch? Kann es bereits laufen? Weiter geht es im Kindergarten, wo Kinder möglichst schon vor dem Eintritt das Alphabet beherrschen und Englisch lernen sollen. Stolze Eltern berichten voller Eifer von den Fortschritten ihres Nachwuchses, um zu demonstrieren, was dieser schon alles kann. Natürlich hört jeder gern Lob und Komplimente, und Eltern möchten keine Fehler machen. Doch genau hier zeigt sich ein tiefer liegendes Problem: Der Druck, der auf den Erwachsenen lastet, wird unbewusst an die Jüngsten weitergegeben.

Aktuelle Statistiken verdeutlichen, dass 84 Prozent der Schüler*innen den meisten Schulstress durch Klassenarbeiten und Tests empfinden. Rund 56 Prozent nennen Hausaufgaben als bedeutende Stressquelle, und weitere 56 Prozent beteiligen sich nicht aktiv am Unterricht, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Es wird also deutlich, dass der Druck, »gut« zu performen, sich in den Schulen fortsetzt. Schüler*innen sollen Leistung zeigen, nicht nur im Sinne der Eltern, sondern auch für Lehrkräfte und das direkte Umfeld. Das Ergebnis: Viele leiden schon früh unter Erschöpfungssymptomen.2

Auf gesellschaftlicher wie auch auf individueller Ebene ist dieser Druck allgegenwärtig. Die Erwartung lautet, das eigene Potenzial voll auszuschöpfen und sich selbst zu verwirklichen, als gäbe es kaum eine andere Wahl. Anerkennung bekommen jene, die performen und erfolgreich sind. Alle anderen geraten in Vergessenheit und gelten rasch als »Verlierer«. Genügsamkeit und das Fehlen großer Ambitionen werden längst nicht mehr akzeptiert. Was ist also schiefgelaufen? Es sind die unrealistischen Erwartungen, die an den Einzelnen gestellt und von diversen Einflüssen noch gefördert werden. Ob in den Medien, im Bildungssystem oder im Arbeitsumfeld, überall wird suggeriert, dass man außergewöhnlich sein muss. So packen Kinder beziehungsweise ihre Eltern neben dem Schulalltag schon Musik, Sport und weitere Hobbys in einen durchgetakteten Terminplan, ganz nach dem Motto: Wer glänzt, wird auch gesehen.

Paula fühlte sich als Schülerin von den Erwartungen der Schule und ihrer Eltern überwältigt. Sie sollte herausragende akademische Leistungen erbringen, sich in außerschulischen Aktivitäten engagieren und eine klare Karriereplanung haben. Wenn sie äußerte, nicht studieren zu wollen und auch keine größere Karriere anzustreben, dann konnten ihre Eltern ihre Einstellung nicht akzeptieren. Sie versuchten, ihr einzureden, dass es wichtig sei, erfolgreich zu sein. Das gab ihr wenig Raum für ihre eigene Entfaltung. Niemand fragte nach ihren Wünschen und Bedürfnissen. Der Druck führte zu Angstzuständen und einem Gefühl der Unzulänglichkeit.

Nicht wenige Jugendliche sind nach der Schulzeit zunächst desorientiert und müssen sich erst einmal sammeln. Der enorme Schulstress lässt kaum Raum für tiefer gehende Erkenntnisse und versetzt junge Menschen stattdessen in den sogenannten »Flight-or-Fight-Modus« – einen Zustand, in dem sie innerlich auf Flucht oder Kampf eingestellt sind.

Über die Jahre hinweg führt diese Dauerbelastung zu Erschöpfung, sodass es einer »Pause« bedarf, um wieder zu sich selbst zu finden, Gelassenheit zu kultivieren und dann die eigene Zukunft in den Blick zu nehmen, in der man selbst wieder die Hauptrolle spielt und nicht die Erwartungen der anderen.

In einer zu stark individualistischen Kultur besteht also ein ständiger Druck, sich von anderen abzuheben und in allen Lebensbereichen erfolgreich zu sein. Man fühlt sich verpflichtet, ein makelloses Bild von sich selbst zu präsentieren und hohe Erwartungen zu erfüllen, sei es im Beruf, in der Familie oder im sozialen Umfeld. So fühlen sich beispielsweise berufstätige Eltern gezwungen, sowohl im Beruf als auch zu Hause Bestleistungen zu erbringen. Über den damit einhergehenden Druck wird jedoch kaum gesprochen, was das Gefühl der Isolation und Überforderung noch verstärkt. Es fehlt die Unterstützung, die erst durch eine Gemeinschaft entsteht. Individualismus bringt viele Vorteile, aber auch signifikante Herausforderungen.

Vergleich und Konkurrenz

Ein weiterer aus dem Geist des Individualismus geborener Aspekt, der Menschen emotional ermüdet, ist das ständige Vergleichen mit anderen. Es treibt Menschen dazu an, bei anderen zu schauen, wie sie leben, was sie alles erreichen und schaffen. Soziale Medien verstärken dieses Phänomen, indem sie eine Plattform bieten, auf der vermeintlich perfekte Leben präsentiert werden. Der Vergleich mit diesen idealisierten Bildern und Videos kann Gefühle des Mangels und der Minderwertigkeit hervorrufen. Der Konkurrenzdruck um Anerkennung und Erfolg steigt, was den Stresslevel und die emotionale Belastung in die Höhe treibt. Man freut sich nicht mehr über den Erfolg der anderen, sondern leidet im Stillen daran, selbst nicht fähig zu sein, aus dem Vollen zu schöpfen.

Während der Individualismus persönliche Freiheit in den Vordergrund stellt, kann er gleichzeitig zu einem Verlust von Gemeinschaftsgefühl und Solidarität führen. Menschen sind weniger bereit, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Das bedeutet: In Zeiten der Not fühlt sich jede und jeder Einzelne schnell allein und verlassen. Ein Paradox entsteht: Die Menschen arbeiten an sich, fördern ihre Stärken, um sich besser zu fühlen und leistungsfähiger zu werden, doch angesichts der hohen Erwartungen gehen viele darin unter. Anstatt zusammen an Stärken zu feilen und sich gegenseitig zu unterstützen, entsteht ein Konkurrenzdruck. Man kämpft für sich allein gegen die anderen und setzt sich dabei oft Maßstäbe, ohne die eigenen Grenzen und Fähigkeiten zu berücksichtigen. So geht es nicht mehr um persönliches Wachstum, sondern nur noch ums Gewinnen, genauer gesagt ums »Überleben«. Bei dem Stresslevel, das durch enormen Leistungsdruck entsteht, sind unsere Überlebensmechanismen längst aktiviert. Das Tragische: Man verliert sich selbst und das, was ein Leben wirklich erfüllt. Jeder Schritt nach vorn wird zur Qual, anstatt Stolz oder Freude über die eigenen Leistungen hervorzurufen.

Nie zuvor war es so leicht, in Gesellschaft, Familie oder Bildungssystemen unterzugehen. Dieses Gefühl entsteht nicht nur dann, wenn Menschen verstoßen, gedemütigt oder missbraucht werden, was furchtbar und inakzeptabel ist, sondern auch, wenn niemand im Umfeld echtes Interesse zeigt. Wenn es niemanden gibt, der sich für die Vorhaben und Ideen einer Person begeistert oder nachfragt, was sie denn für wichtig erachtet. Wer nie Bestätigung und Anerkennung für Taten, Leistungen und Gedanken bekommt, wem nie Raum für Gefühle gegeben wird, der wird zu einem »Geist«. Er wird unsichtbar. Es bleibt eine tiefe Hilflosigkeit und emotionale Erschöpfung zurück.