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Wie läuft das eigentlich genau mit dem Storch und den Babies? Emma hat da was im Kindergarten aufgeschnappt und fragt nach. Zum Glück weiß Oma die Antwort und erklärt es dem Kind – vielleicht ein wenig zu detailliert. Jedenfalls bekommt Emmas Mutter am Abend des darauffolgenden Tages gehörig Ärger mit der prüden Kindergärtnerin. Ärger kennt auch die junge Frau aus der Titelgeschichte: Mit ihrem Ex-Mann, der sie täglich anruft, weil er im Haus etwas sucht. Und sie rätselt: Warum genau haben sie sich eigentlich scheiden lassen? Was ist schief gegangen? Ob Frank sich das auch gelegentlich fragt? Irgendeine Frage treibt fast alle Protagonisten aus „Endlich allein“ um. Es sind Menschen wie wir, durchschnittlich und nicht besonders heldenhaft. Mit ganz normalen Problemen – Problemen, die jeder von uns kennt.
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2024
Bérénice Schneider
Endlich allein
Wie läuft das eigentlich genau mit dem Storch und den Babies? Emma hat da was im Kindergarten aufgeschnappt und fragt nach. Zum Glück weiß Oma die Antwort und erklärt es dem Kind – vielleicht ein wenig zu detailliert. Jedenfalls bekommt Emmas Mutter am Abend des darauffolgenden Tages gehörig Ärger mit der prüden Kindergärtnerin. Ärger kennt auch die junge Frau aus der Titelgeschichte: Mit ihrem Ex-Mann, der sie täglich anruft, weil er im Haus etwas sucht. Und sie rätselt: Warum genau haben sie sich eigentlich scheiden lassen? Was ist schief gegangen? Ob Frank sich das auch gelegentlich fragt?
Irgendeine Frage treibt fast alle Protagonisten aus „Endlich allein“ um. Es sind Menschen wie wir, durchschnittlich und nicht besonders heldenhaft. Mit ganz normalen Problemen –Problemen, die jeder von uns kennt.
Bérénice Schneider beobachtet in ihren Geschichten die alltäglichen Situationen alltäglicher Menschen. Es sind Momentaufnahmen, herausgerissen und fragmentarisch, wie ein Blick ins fremde, hell erleuchtete Wohnzimmer beim abendlichen Spaziergang.
Bérénice Schneider
Endlich allein
Kurzgeschichten und Miniaturen
2. Auflage 2024
Bérénice Schneider
Alle Rechte vorbehalten.
© 2023 Bérénice Schneider
Umschlaggestaltung: Marcus Peters, Stuttgart
Lektorat und Korrektorat: Alf Cremers, Nersingen
Druck und Verarbeitung:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN 978-3-384-26663-7
www.bereniceschneider.de
www.tredition.com
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Für Marcus und Alf.
Aber vor allem für dich, der du dies liest.
In diesen Liedern suche du
Nach keinem ernsten Ziel!
Ein wenig Schmerz, ein wenig Lust,
Und alles war ein Spiel.
Besonders forsche nicht danach,
Welch Antlitz mir gefiel,
Wohl leuchten Augen viele drin,
Doch alles war ein Spiel.
Und ob verstohlen auf ein Blatt
Auch eine Träne fiel,
Getrocknet ist die Träne längst,
Und alles war ein Spiel.
Conrad Ferdinand Meyer„Alles war ein Spiel“
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
ABBA
Schlangenleder
Eine vertraute Route
Heimatlos
Die Sache mit dem Storch
Freibrief
Sommer auf dem Land
Im Wald
Der Geruch von Leder
Eheleben
Kirchlicher Beistand
Regenschirm
Ein Wochenende im Dezember
Geburtstage
Die Diva tobt
Auswahl
Ihr Haus am Waldrand
Kriegslist
Iwans Zauberpferd
Das Meer
Endlich allein
Ja, gleich
Vergessen
Margarete
Der alte Minigolfplatz
Dankeschön…
Über die Autorin
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
ABBA
Über die Autorin
Cover
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ABBA
„Was die Technik heute alles kann, einfach geil. ABBA auf der Bühne, über 40 Jahre nach ihrer Trennung – und so jung wie damals, als die Band sich auflöste. Wir verlosen gleich Tickets zu ihrer Avatar-Show in München. Jetzt hört ihr aber erst ‚I Still have Faith in You!’ Die Single zu ihrer, ja, wie sagt man denn, wenn die Musiker gar nicht auf der Bühne stehen? Ist das noch immer eine Tour? Was meint ihr? Schreibt es uns bei Instagram. Und nun: ABBA ‚I Still have Faith in You!’“
Das Radio quäkt aus der Küche der kleinen Kneipe, in der er für ein schnelles Essen halt gemacht hat. Es ist nichts los: Wer zu Mittag hier war, ist längst gegangen; ihn wundert überhaupt, dass noch geöffnet ist. Der Wirt poliert am Tresen Biergläser.
Gerade eben wollte er sich wieder auf den Weg machen.
Aber dann hörte er die Ankündigung des Radiosprechers und die Weiterfahrt erscheint plötzlich nicht mehr ganz so dringend – ihn interessiert das neue Stück der alten Schweden viel mehr als die endlose, einsame Fahrt.
Er lauscht gespannt, weiß nicht recht, was er erwartet.
Kitsch, vielleicht? Ja, das sind die ABBA-Stücke doch meistens gewesen. Aber eingängiger, gut gemachter Kitsch, das muss man ihnen lassen, überlegt er. Nach den Beatles ist die Band sicher eine der wichtigsten der Pop-Geschichte.
Streicher, denkt er angewidert, natürlich. Und gleich kommt der Gesang, schätzungsweise der Refrain in reduzierter Instrumentierung…
Bitte, da ist er schon. Wie berechenbar, unterfüttert von Klavier. Immer wieder der gleiche Schmus.
Schon hört er nur noch mit halbem Interesse hin, nimmt trotzdem jede Klangänderung, jeden Akkordwechsel wahr. Sein Kopf seziert Musik bis ins kleinste Detail.
Immer, es lässt sich nicht abstellen.
Und so registriert er auch jedes zusätzliche Instrument im Hintergrund, das die Aufmerksamkeit des Zuhörers bei der Stange halten soll. Spätestens alle vier Takte muss merklich etwas passieren in einem Song, muss sich etwas ändern, sonst wird es kein Hit, das ist die Goldene Regel der Popmusik, die kennt jeder Komponist.
Er fühlt Trauer. Resignation. Verzweiflung.
Und schlicht Neid: Selbst nach 40 Jahren Bühnenabstinenz kriegen die beiden ABBA-Rentner noch solche Stücke hin.
Die Leute werden es lieben, egal wie schmierig und vorhersehbar die Ballade auch sein mag.
Nein, nein, korrigiert er sich sofort. Je schmieriger und vorhersehbarer, desto besser. Das beweist ja die allgemeine Begeisterung für Schlager. Dann muss er die Augen schließen; das Gefühl wegdrücken, das nach ihm greift. Es ist zu stark. Es kommt vom aufbrandenden Applaus, den haben sie unter den Refrain gelegt. Als wäre es eine Live-Aufnahme.
Ihm stockt der Atem, als die Wellen des Jubels und Johlens über ihn hinwegdriften und sich mit der Band mischen.
Live. Bühne. Applaus.
Er fühlt, wie sich die Härchen an seinen Unterarmen aufrichten, wie es ihn fröstelt, wie er unwillkürlich seine Hände ballt. Sein Herz pocht, sein Körper zuckt. Das Einswerden mit dem Rhythmus hat er als Musiker tief verinnerlicht.
Ein Automatismus ohne Stopp-Knopf.
Er sieht hochgereckte Hände, aufgerissene Münder, eine wogende Menge; sie verschwinden immer wieder kurz im zuckenden Gegenlicht, wenn die Scheinwerfer seinen Blick treffen. Im grellen, fluoreszierenden Licht tanzen Flusen.
Die Luft hier oben ist knapp und trocken und riecht eigenartig süßlich. Fast wie auf dem Rummel, nur samtiger. Dazu das Tosen der Bühnenmonitore, ein einziger Klang-Schwall aus knalligem Schlagzeug, dröhnendem Bass und schneidendem Gesang. Mittendrin seine Gitarre. Obwohl alles fast unerträglich laut aufgedreht ist, hört er sie kaum heraus.
Aber er spürt sie, ihren Druck, ihre Entschlossenheit.
Doch nichts ist wie der Applaus, diese Welle, die durch den Körper pulst. Deren Energie treibt ihn an und peitscht ihn auf.
„Du bist wohl auf der Durchreise?“
Die Stimme des Wirts bringt ihn zurück in den Gastraum der Kneipe.
Er blickt zum Tresen: Der Wirt hat aufgehört, die Gläser zu polieren und lehnt nun mit beiden Armen auf der Holzfläche vor ihm, blickt zum einsamen Gast am Stammtisch.
Zu ihm.
Wackelt fragend mit den Augenbrauen.
„Hrm-hrm…“ Er räuspert sich. Atmet zittrig ein, greift sich ans Herz.
Seinen Hals versperrt ein Klumpen, hinter seinen Lidern brennt es. Er schluckt schwer. In seinem Kopf wabert nur noch Nebel. Er ist sich nicht mal sicher, was der Wirt gerade gefragt hat. Aber sein Körper weiß, was er zu tun hat. Er hat es schon immer gewusst und so spult er auch jetzt von allein ein Programm ab, tut, was von ihm erwartet wird. Einfach immer weitermachen, als sei nichts passiert.
Und das heißt zunächst einmal: antworten.
„Ich bin ein gescheiterter Musiker. Ich hab anscheinend mein Leben lang einen Traum gejagt. Ich hatte Bands, vielversprechende. Aber es hat nie gereicht und es ist nie was draus geworden. Weil… hrm… Du glaubst gar nicht, wie schwer es ist, Leute zu finden, die den gleichen Biss haben wie du. – … – Auf diesem semi-professionellen Niveau hast du meistens Typen, die nach Feierabend ein paar Bierchen zischen und dabei auf ihren Instrumenten rumdreschen wollen. Ohne Ambitionen. Wenn du was reißen willst, überforderst du sie. Und wenn du doch mal jemanden hast, der es ernst nimmt, entpuppt er sich als Riesenarschloch.“
Er schweigt, verblüfft über die Wut in seiner Brust. Hinter seinen Augäpfeln fühlt er es prickeln. Er zwingt die Tränen zurück.
Der Ausbruch von gerade eben ist ihm jetzt unangenehm, vor allem, als er ins verwirrte Gesicht des Wirts blickt. Vermutlich hatte er etwas ganz anderes gefragt. Und nun weiß der Mann offenbar nicht, was er antworten soll.
„Ach, vergiss es einfach. Sorry, dass ich dich damit belästigt hab, weiß selbst nicht, warum.“
Was soll er auch sagen.
Seit Tagen schon ist er unterwegs. Lässt sich treiben, solange das Benzin im Tank und das Geld in seiner Tasche noch reichen.
Und dann? Er weiß auch das nicht.
Seine Aufmerksamkeit, durch den Zwischenfall kurz vom Song abgelenkt, kehrt zu ABBA zurück. Gerade ist die Instrumentierung besonders zurückhaltend, sticht die Botschaft besonders hervor.
Was singen die Frauen eigentlich genau?
Er, der Gitarrist, der selten auf Lyrics hört, für den die Stimme bloß ein weiteres Instrument darstellt, hört genauer hin. Achtet zum ersten Mal seit langem auf den Text.
„Do I have it in me
I believe it is in there
For I know I hear a bittersweet song
In the memories we share…“
Er schluckt. Und schnaubt. Ekelhaft. Welch rührselige Scheiße. Widerlicher, sentimentaler Bockmist. Das ist genau dieses herzzerreißende Gewimmer, das der Mob liebt. Er sieht sie förmlich in der ersten Reihe ihre Feuerzeuge zücken und mit ihren Flämmchen gegen den Rhythmus schunkeln. Mit tränenverhangenem Blick und dummem Gegrinse. Er hört sie seufzen und inbrünstig mitsingen.
Bah!
Die Band setzt zum großen Finale ein, unterbricht seine gedankliche Tirade. Der Part des Zweifelns ist vorüber. Nun folgt die Selbstbestätigung und der Aktionismus. Die beiden Frauen singen wieder im Chor. Ach was, sogar die Männer schalten sich mit ein. Im Hintergrund kann er sie vielstimmig hören.
Mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen versucht er, die einzelnen Nuancen zu erlauschen. Verflucht das scheppernde Radio mit seinem miserablen Sound.
Er vermisst seine Kopfhörer, die Abhöre im Studio.
Das Studio. Die Bühne. Die Musik. Alles vermisst er gerade.
Seine Gedanken driften wieder ab.
Der Komponist in ihm hat bereits das Ende des Songs analysiert, erkannt, dass sich hier in den letzten zwanzig, dreißig Sekunden nichts wesentliches mehr tun wird. Alles Bedeutende ist gesagt.
Er seufzt.
Nur bei ihm, da ist nichts gesagt. Er hat noch Musik in sich, Melodien in seinem Kopf, die entwickelt werden wollen.
Bis letzten Sonntag hatte er das zumindest geglaubt. Sonntagmorgen. Bevor er bei Instagram sah, dass sein Bandkollege und bester Freund über Nacht nach Los Angeles verschwunden war. Mit einem ganz neuen Projekt.
Und ohne offenbar auch nur einen Gedanken an ihn, das Label und ihr halb fertiges Album.
In seiner Wut hatte er zunächst allein an den Songs weitergearbeitet. Aber es kam nur Müll dabei heraus. Sein Geist schien nur noch aus brodelndem, undefinierbarem Brei zu bestehen, nicht eine sinnvolle Note war da. Er war einfach leer.
Sein Herz hämmert.
Es ist ein ganz anderes Klopfen als das Adrenalin-Pochen auf der Bühne. Das abgehakte Atemholen. Es brennt in den Lungen, obwohl die Luft in der Kneipe viel reiner ist. Vor seinen Augen flimmert es und hinter seinen Schläfen wummert es.
Seine letzte Band hätte sein Durchbruch werden sollen.
Er war sich so sicher gewesen. Endlich hatte er sich mit seiner Musik nach dem Massengeschmack gerichtet und er fühlte sich sogar wohl damit. Er musste sich nicht verbiegen, er hatte einfach seinen Geschmack weiterentwickelt. War Richtungen gefolgt, die er bislang ignoriert hatte. Die Stücke waren catchy – genau die richtige Mischung aus Electro-Pop und Schlager. Erfolgversprechend.
Aber vielleicht machte er sich auch nur was vor. Vielleicht hatte der andere es längst gewusst.
Dass er eine musikalische Totgeburt war. Nicht einmal gescheitert. Denn schließlich hatte er nie den ganz großen Erfolg gehabt. Und würde es auch nie mehr haben, nicht mit 46 Jahren.
Durch seinen Körper rauscht Benommenheit. Die Energie ist raus - er fühlt sich leer. Wie nach einem Gig, nur ohne Glücksgefühle. Ohne Endorphine. Ohne Euphorie. Und ohne Vorfreude auf das nächste Mal.
Bei diesem Gedanken rafft er sich endlich auf. Stößt den Stuhl zurück und wirft einen zwanzig Euro Schein auf den Tisch. Im Radio in der Küche ist der letzte Geigenton von ABBA längst verklungen.
„Passt so. Danke.“
„Geht’s weiter?“
Der Wirt poliert wieder Biergläser. Er scheint nie etwas anderes gemacht zu haben.
Er nickt bloß, packt seine Sachen, geht wortlos hinaus zum Wagen.
Sprit ist noch im Tank.
Schlangenleder
Dass der Blick auf eine Schlange tatsächlich versteinert – jetzt glaubt er es sofort.
Hier steht er, gleich am ersten Verkaufstisch des Flohmarkts und kann sich nicht mehr rühren. Er starrt einfach auf das paar grellgrüner Pumps vor sich auf dem Tisch.
Dann nimmt er einen der Schuhe auf und dreht ihn zwischen den Fingern.
Keine Größe, keine sonstige Beschriftung.
Ein handgefertigtes Einzelstück.
„Das ist echtes Pythonleder“, hört er eine Frau sagen. Sie klingt ein wenig aufsässig, ein wenig entschuldigend. Vermutlich empören sich viele über das echte Leder.
Er hört sich selbst zerstreut antworten: „Jaja, grüner Baumpython. Ein adultes Tier. Sie sehen die verschiedenen Färbungen. Das weiße Schuppenband hier, das von der Spitze zur Ferse läuft, finden Sie in dieser Ausprägung nur am Rücken von erwachsenen Tieren. Für den Absatz wurde Leder von der Schwanzspitze verwendet. Darum ist es so tiefbraun. Jungtiere –“ , er unterbricht seinen Vortrag, das alles kann doch die Frau schwerlich interessieren.
Stattdessen hebt er den zweiten Schuh auf, betrachtet ihn.
Dann blickt er zur Verkäuferin, sie sieht noch sehr jung aus. „Was möchten Sie dafür?“
Sie zuckt mit den Schultern. „Geben Sie mir 20 Euro. Sie kennen sich mit den Schlangen aus und ich werd‘ sie ja doch nicht los wegen dem Leder.“
Er blinzelt. Will sagen, der Preis sei viel zu niedrig. Dann denkt er an seine Frau, die jeden Moment neben ihm stehen könnte und greift nach seinem Geldbeutel.
Eben zieht die Verkäuferin eine durchsichtige Plastiktüte unter ihrem Tisch hervor und legt die Pumps hinein, da fragt er, und seine Stimme zittert leicht: „Hören Sie, haben Sie nicht vielleicht eine Papiertasche oder so? Die Pythons sind eine Überraschung. Meine Frau soll sie nicht sehen.“
„Klar“, trällert sie, „Ich wickel sie noch in Zeitungspapier, dann sieht sie sie echt nicht.“
„Was sehe ich nicht?“, erklingt da die Stimme seiner Ehefrau. Sie hakt sich bei ihm ein. „Hast du was gekauft?“
Hektisch sucht er nach einer harmlosen Erklärung, flucht gedanklich – über die Schuhe, seine Frau, die junge Verkäuferin.
Doch die ist schneller und versichert seiner Frau gerade strahlend: „Oh, eine ganz tolle Überraschung für Sie. Sie freuen sich bestimmt!“
Er wirft ihr einen grimmigen Blick zu, den sie nicht sieht und denkt wild: Dumme Pute, die Pumps sind doch gar nicht für meine FRAU.
Eine vertraute Route
„Vergiss nicht, Herbert nach dem Verkauf seiner Firma zu fragen.“ Silke schweigt kurz, überlegt. Sie seufzt leicht. „Man weiß nie, worüber man mit Svens Eltern reden soll.“
Wieder Stille.
Alexander wirft einen Blick in den Rückspiegel, auf den samstäglichen Verkehr der A8; setzt den Blinker, zupft am Lenkrad des SEC: Hier müssen sie abfahren.
Noch ein Blick. Dieses Mal auf die kleine Uhr im Drehzahlmesser – sie sind ein bisschen zu früh. Aber das wird weder ihre Tochter stören, noch den Schwiegersohn. Dessen Eltern sind längst da.
Angetrieben von einer notorisch pünktlichen Ehefrau.
Er sieht schon Herberts Grinsen, hört ihn sagen: „Katinka hatte wieder Angst, dass wir zu spät kommen.“
Silke seufzt erneut.
Dann: „Bloß nicht über Politik. Ihr liegt Welten auseinander und Emma ist es immer so peinlich, wenn ihr streitet.“
Typisch Frau, denkt er, dass eine engagierte politische Diskussion sofort als Streit empfunden wird. Er wird das nie begreifen.
Wie so vieles in der Ehe.
Wieder seufzt Silke. Sie seufzt viel in letzter Zeit. Das ist ihm aufgefallen.
Dabei heißt es immer, Männern würde nie etwas auffallen.
Nur: Warum seufzt sie so oft?
„Warum mussten die beiden unbedingt aufs Land ziehen?“ Sie sieht ihn anklagend an.
Er hat Erfahrung im Anklagend-angesehen-werden, erkennt den Blick aus den Augenwinkeln – daran, wie seine Frau den Kopf leicht zur Seite neigt, ihre großen Augen noch ein wenig weiter aufschlägt und die Lippen etwas schürzt. Sie hat schöne Lippen. Voll und weich.
Weil sie offenbar eine Antwort erwartet, zuckt er mit den Schultern. „Weiß ich nicht. Frag sie mal.“
Seufzen.
„Emma und ich haben damals darüber geredet, als sie das Haus kaufen wollten. Ich hab es dir erzählt. Sie findet, es sei so friedlich auf dem Land und Sven habe schon immer davon geträumt, Landarzt zu werden. Und die Praxis sei perfekt. Und die Natur. Und und und. Ach, du weißt doch, wie deine Tochter ist!“
Klar, jetzt ist Emma wieder seine Tochter.