Endlich Richtfest - Jürgen Seibold - E-Book

Endlich Richtfest E-Book

Jürgen Seibold

4,6

  • Herausgeber: Silberburg
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

In einem Schorndorfer Neubaugebiet wird ein Aushubunternehmer tot unter der Schaufel seines Baggers gefunden. An der Hydraulik wurde manipuliert und am Fundort gab es offenbar einen Kampf. Unglück oder Mord? Die Kommissare Schneider und Ernst ermitteln wieder - und stechen in ein Wespennest: Schaufensterpuppen werden detailgetreu als Arbeiter ausstaffiert und anschließend in Rohbauten rituell "hingerichtet", nachts fahren aufgebrachte Bauarbeiter Streife, um einen unbekannten Saboteur zu erwischen. Die Spuren, auf die Schneiders Soko stößt, weisen in ganz unterschiedliche Richtungen. War der Tote so verhasst, dass ihn ein Kunde umbrachte? Weisen die "ermordeten" Schaufensterfiguren in die Kunstszene oder ist das Mordmotiv in der Rivalität konkurrierender Baufirmen zu finden? Ein fulminanter Krimi und zugleich eine abgründige Milieustudie aus der Welt der Häuslesbauer.

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Seitenzahl: 379

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Jürgen SeiboldEndlich Richtfest

Jürgen Seibold

Endlich Richtfest

Ein Remstal-Krimi

Jürgen Seibold, 1960 geboren und mit Frau und Kindern im Rems-Murr-Kreis zu Hause, ist gelernter Journalist und arbeitet als Buchautor. Beim Silberburg-Verlag hat er bisher Kriminal- und Unterhaltungsromane sowie Sachbücher und einen historischen Roman veröffentlicht.

 

3. Auflage 2011

© 2008/2016 by Silberburg-Verlag GmbH, Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen. Alle Rechte vorbehalten. Lektorat: Michael Raffel, Tübingen. Umschlaggestaltung: Wager ! Kommunikation, Altenriet.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1696-0 E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1697-7 Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-87407-799-6

Besuchen Sie uns im Internet und entdecken Sie die Vielfalt unseres Verlagsprogramms:www.silberburg.de

Inhalt

Über den Autor

Prolog

Die erste Woche im Mai

Mittwoch, 18.30 Uhr

Mittwoch, 21.30 Uhr

Mittwoch, 21.45 Uhr

Mittwoch, 22.30 Uhr

Mittwoch, 22.30 Uhr

Donnerstag, 8.30 Uhr

Die zweite Woche im Mai

Montag, 12.00 Uhr

Mittwoch, 2.30 Uhr

Mittwoch, 2.40 Uhr

Mittwoch, 2.45 Uhr

Mittwoch, 11.00 Uhr

Mittwoch, 11.30 Uhr

Mittwoch, 12.00 Uhr

Mittwoch, 12.30 Uhr

Mittwoch, 13.00 Uhr

Mittwoch, 13.15 Uhr

Mittwoch, 14.15 Uhr

Mittwoch, 15.00 Uhr

Mittwoch, 16.00 Uhr

Mittwoch, 16.15 Uhr

Mittwoch, 16.30 Uhr

Mittwoch, 16.45 Uhr

Mittwoch, 17.00 Uhr

Mittwoch, 17.45 Uhr

Mittwoch, 20.00 Uhr

Donnerstag, 9.00 Uhr

Donnerstag, 10.00 Uhr

Donnerstag, 10.45 Uhr

Donnerstag, 11.00 Uhr

Donnerstag, 11.45 Uhr

Donnerstag, 12.00 Uhr

Donnerstag, 12.30 Uhr

Donnerstag, 14.00 Uhr

Donnerstag, 15.00 Uhr

Donnerstag, 19.00 Uhr

Freitag, 11.00 Uhr

Freitag, 14.00 Uhr

Freitag, 15.45 Uhr

Freitag, 17.30 Uhr

Freitag, 21.00 Uhr

Freitag, 21.45 Uhr

Freitag, 22.00 Uhr

Freitag, 22.05 Uhr

Samstag, 10.00 Uhr

Samstag, 23.00 Uhr

Sonntag, 9.00 Uhr

Sonntag, 13.00 Uhr

Sonntag, 14.00 Uhr

Sonntag, 19.30 Uhr

Die dritte Woche im Mai

Montag, 7.00 Uhr

Montag, 11.00 Uhr

Montag, 15.00 Uhr

Montag, 15.40 Uhr

Montag, 15.45 Uhr

Montag, 16.30 Uhr

Montag, 17.00 Uhr

Montag, 17.30 Uhr

Dienstag, 10.00 Uhr

Dienstag, 17.30 Uhr

Mittwoch, 10.50 Uhr

Mittwoch, 11.00 Uhr

Mittwoch, 11.15 Uhr

Mittwoch, 23.00 Uhr

Mittwoch, 23.30 Uhr

Mittwoch, 23.45 Uhr

Donnerstag, 0.00 Uhr

Donnerstag, 0.20 Uhr

Donnerstag, 1.00 Uhr

Donnerstag, 1.20 Uhr

Donnerstag, 1.25 Uhr

Donnerstag, 1.50 Uhr

Donnerstag, 2.00 Uhr

Donnerstag, 2.10 Uhr

Donnerstag, 2.15 Uhr

Donnerstag, 2.45 Uhr

Donnerstag, 3.00 Uhr

Donnerstag, 4.15 Uhr

Donnerstag, 8.30 Uhr

Donnerstag, 10.00 Uhr

Donnerstag, 10.30 Uhr

Donnerstag, 11.30 Uhr

Donnerstag, 12.30 Uhr

Donnerstag, 12.45 Uhr

Donnerstag, 13.30 Uhr

Freitag, 10.00 Uhr

Sonntag, 12.00 Uhr

Die vierte Woche im Mai

Montag, 8.30 Uhr

Montag, 10.00 Uhr

Montag, 11.00 Uhr

Montag, 12.00 Uhr

Montag, 13.00 Uhr

Montag, 17.00 Uhr

Dienstag, 10.00 Uhr

Mittwoch, 18.00 Uhr

Donnerstag, 11.00 Uhr

Dank

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Prolog

Mittwoch, 17.30 Uhr

Herbert Meier, die Bank im Nacken und den Einzugstermin fest im Blick, war zunächst zufrieden mit dem, was er sah. Er lugte durch die Fenster, an denen noch die Etiketten des Herstellers klebten. Und alles zusammengenommen konnte er sagen: Der Estrich war sauber gegossen, es waren keine Fußabdrücke zu sehen und auch die Isolierung zu den Mauern hin schien tadellos ausgeführt zu sein.

Das Küchenfenster, die raumhohen Glaselemente im Wohnzimmer – überall boten sich ihm Einblicke in den Rohbau, die seinen Optimismus nährten. Herbert Meier war zufrieden. Es war nun die dritte Woche im April, und der mit den Käufern seiner Eigentumswohnung vereinbarte Umzugstermin Mitte August stellte ganz offenbar kein Problem mehr dar.

Als er durch das Schlafzimmerfenster ins Innere des Hauses schaute, sah alles wieder ganz anders und viel weniger gut aus. Auf dem Boden lag eine leblose Gestalt. Zu sehen war nur der locker sitzende Overall, in der rechten Hand hielt die Person eine Kelle, wie man sie zum Abziehen einer glatten Bodenfläche benutzt. Das Gesicht war allerdings nicht zu sehen: Knapp oberhalb der Schultern begann die glatte Fläche des Estrichs, aus der nur der Hinterkopf ragte.

Bleich und mit zitternden Fingern wählte Herbert Meier auf seinem Handy die Nummer des Notrufs.

Mittwoch, 18.00 Uhr

Kriminalhauptkommissar Rainer Ernst hatte seinen Dienstwagen noch nicht abgestellt, da fiel ihm schon Frieder Rau auf, der Chef der Spurensicherung. Ungewohnt beschwingt kam ihm Rau entgegen, wippte locker über die Holzbohlen, die als Zugang zur Baustelle dienten, und grinste breit.

»Du scheinst dich ja heute prächtig zu amüsieren«, meinte Ernst leicht genervt.

Sein wöchentlicher Abend mit den Freizeitvolleyballern von Althütte würde wegen der Leiche auf dieser Baustelle platzen – und dabei hatte er in den vergangenen beiden Wochen mit seinem platzierten Aufschlag und zwei, drei gelungenen Aktionen in der Feldabwehr durchaus einen guten Eindruck bei seiner neuen Mannschaft hinterlassen.

Rau stutzte kurz, dann erhellte ein versöhnliches Lächeln sein Gesicht, als würde ihm eben erst etwas Nettes einfallen. »Komm einfach mit«, sagte er zu Ernst, drehte um und ging dem Kollegen voraus auf die Baustelle.

Zwei Beamte vom zuständigen Revier markierten mit Absperrbändern ein weites Areal rund um den Rohbau, Raus Kollegen waren in den üblichen weißen Overalls und mit allerlei Gerät dabei, Spuren zu sichern. Zielstrebig balancierte Rau über einige Schalbretter, die auf dem noch nicht ganz ausgehärteten Estrich einen Weg bildeten, und Ernst folgte ihm gespannt.

Auf der Fläche, die mit Schotter bedeckt war und vermutlich später als Terrasse dienen sollte, stand ein Mann mittleren Alters, der jeden ihrer Schritte sorgenvoll beobachtete und sich immer wieder nervös durchs Haar fuhr.

Schließlich standen Rau und Ernst in dem Raum, der später einmal das Schlafzimmer des Neubaus werden sollte. Vor ihnen lag die … Leiche.

»Ich würde mir wünschen, du wärst etwas später losgefahren«, meinte Rau leichthin und lachte heiser auf. »Dann hätte ich dich noch rechtzeitig angerufen und du hättest dir den Weg sparen können.«

Ernst taxierte die leblose Gestalt und wusste, was Rau meinte. Der »Tote« war aus Kunststoff. Eine Schaufensterpuppe, gekleidet wie ein Bauarbeiter, und der Kopf der Figur steckte im Estrich. Drum herum war der Boden geradezu liebevoll geglättet worden.

Die erste Woche im Mai

Mittwoch, 18.30 Uhr

»Nein, aber jetzt mal im Ernst …« Kriminalhauptkommissar Schneider stutzte kurz, schaute ein wenig entschuldigend zu seinem Kollegen hinüber und kicherte leise. Ernst seufzte, wenn auch lächelnd: Seit dem »Mordfall« in dem Neubaugebiet in Haubersbronn schüttete sich die Kripo nicht nur in Schorndorf aus vor Lachen, wann immer die Rede auf die Schaufensterpuppe kam und darauf, dass Ernst aus dem Feierabend zum – na ja – »Tatort« gehetzt war. Und Ernst, der meist besonders herzlich mitlachte, freute sich fast, auf diese Weise zum festen Bestandteil eines neuen Flurfunk-Klassikers geworden zu sein. Eben gerade war er gemeinsam mit seinem Vorgesetzten in der Neuen Straße unterwegs, nachdem sie sich auf dem Marktplatz ein Eis geholt hatten.

»Nein, aber wirklich …«, fuhr Schneider schließlich fort und leckte an seinem Eis. »Wer kommt in einer schwäbischen Stadt wie Schorndorf darauf, seine Wirtschaft nach einem afrikanischen Tier zu benennen?«

»Keine Ahnung«, murmelte Ernst, biss ein Stück von seiner Waffel ab und zuckte mit den Schultern. »Aber das hieß auf jeden Fall schon so, als noch eine typisch schwäbische Wirtschaft drin war.«

»Töröö!«, alberte Schneider, winkelte den linken Arm an und versuchte, den rechten Arm durch die Lücke zwischen Arm und Kinn durchzuschieben. Das ging schief, und das Schokoladeneis hinterließ einen dunklen Fleck auf dem hellen Jackett-Ärmel. »Scheiße!«

Ernst grinste und schaute noch einmal zu dem Gasthausschild zurück. Die Schriftzüge »Gasthaus« und »Elefanten« waren verwittert, aber das Wappentier selbst leuchtete golden und wie blank poliert in der Abendsonne. Ernst stolperte, schaute kurz ärgerlich auf den unebenen Straßenbelag vor sich und deutete dann zu einer Seitengasse hinüber. »Dort müssen wir runter.«

Schneider nickte und rieb an seinem Ärmel herum.

»Ich verspreche Ihnen: Sie haben noch nie zuvor so gute Kutteln gegessen, ehrlich!«

Schneider schaute Ernst an, und es schien ein leidender Zug um seinen Mund zu spielen.

»Was ist?«, fragte Ernst. »Mögen Sie keine Kutteln? Wissen Sie überhaupt, was …«

Mit einer knappen Geste brachte Schneider den Kollegen zum Schweigen.

»Doch, doch, ich weiß schon, was das ist. Und meine Großmutter hat das immer gerne für mich gemacht.« Er machte eine kurze Pause, während sie um die Straßenecke bogen. »Sie schnitt das Zeug in eine Art größere Karos, kochte es dann weich, und dazu gab es eine etwas tomatige Soße. Na ja, gemocht habe ich das nie so richtig – aber sie war halt meine Großmutter, und die Erinnerung hübscht das dann mit den Jahren schon ein wenig auf.«

»Oh«, sagte Ernst und schaute auf den Boden vor sich. »Mit solchen Kutteln kann Ihnen hier, glaube ich, niemand dienen.«

»Nicht? Warum?«

»Na ja, bei uns werden die Kutteln in dünne Streifen geschnitten, stark angebraten und schließlich in einer Bratensoße weichgekocht, die je nach Vorliebe des Kochs auch mal säuerlich ausfallen kann.«

»Ach?«, fragte Schneider interessiert nach. »Und was gibt es dazu?«

»Bei mir daheim immer breite Nudeln«, meinte Ernst. »Aber im Gasthaus bekommen Sie in der Regel Bratkartoffeln als Beilage.«

»Das klingt doch nicht schlecht«, antwortete Schneider, und er schien fast ein wenig aufzuatmen. »Ist es da vorne?« Er deutete auf eine kleine Gastwirtschaft, vor der auf einem ebenfalls nicht großen Platz einige noch zusammengeklappte Holzstühle für die wärmeren Abende bereitgestellt waren.

»Ja«, bestätigte Ernst und nickte zu dem Gebäude hin, das mit seinen Butzenscheiben im Erdgeschoss und den kleinen Fenstern und hölzernen Klappläden in den Etagen darüber fast vollkommen hinter wucherndem Wein verschwand. »Mal sehen, ob wir noch einen Platz bekommen. Da ist meistens nicht mehr viel frei.«

Mittwoch, 21.30 Uhr

Mit ausgeschalteten Scheinwerfern rollte der silbergraue Wagen langsam über den Feldweg und kam auf der Wiese hinter einem Rohbau zum Stehen. Eine schlanke Gestalt stieg aus, sah sich nach allen Richtungen um, steckte sich etwas Werkzeug in die Jacke und zerrte einen länglichen Gegenstand vom Rücksitz.

Der Himmel war bewölkt und das Licht der Straßenlaternen reichte nicht bis zu dem Wagen, aber was die Gestalt nun durchs Dunkel schleppte, erinnerte an den Unterkörper und die Beine eines Menschen. Allerdings standen die Beine starr ab und bewegten sich nicht: Es war die untere Hälfte einer Schaufensterpuppe.

Das Klirren von Glas schnitt durch den Abend. Die Gestalt blieb still an der eingeschlagenen Türscheibe hocken und horchte.

Nach einer kleinen Weile erhob sie sich und trug die halbe Puppe in den Rohbau. Bald darauf kam sie wieder zum Wagen zurück, zog den armlosen Oberkörper von der Rückbank, begutachtete kurz das Loch im Bereich der Brust, klemmte sich die beiden Arme der Puppe und ein Stück Holz unter und schlüpfte wieder durch die Tür.

Mittwoch, 21.45 Uhr

Ernst reichte der Bedienung gerade seinen leeren Teller, als er bemerkte, dass sein Chef wieder in die Gaststube zurückkam und ratlos an den Tisch trat.

»Was ist denn?«

»Tja, sieht so aus, als müssten wir doch noch einmal kurz ins Revier – und es wäre dann auch eher dringend.«

»Was …?«, stutzte Ernst nur kurz, dann fiel ihm lachend ein, was vermutlich Schneiders Problem war. »Kamen Sie nicht in die Toilette hinein?«

»Nein. Zugeschlossen …«

»Kein Problem, kommen Sie.« Ernst führte Schneider an der Theke vorbei zu zwei Klingelknöpfen rechts der Ausgangstür. Dann drückte er die Klingel neben dem Schild »Herren«.

»So, Herr Schneider. Nun ist offen.«

Schneiders ratloser Blick brachte Ernst erneut zum Lachen. Er verabschiedete sich von der Bedienung und schob den Kollegen hinaus den Flur.

»Die Toilettentüren hier sind verschlossen und können mit den Klingelknöpfen geöffnet werden, die ich Ihnen gerade gezeigt habe. Vermutlich will der Wirt damit ›Fremdpinkler‹ draußen halten. Da nimmt er es meines Erachtens doch etwas zu genau mit seinem Slogan ›echt schwäbisch‹. Und wenn Sie mögen, dürfen Sie darüber sogar als Badener gerne lachen …«

Das tat Schneider noch, als er wieder aus der Toilette kam und die beiden Kommissare auf die dunkle Hetzelgasse hinaus traten.

»Was geht Ihnen eigentlich heute so im Kopf herum?«, fragte Ernst, während sie auf dem Weg zum Polizeigebäude zwischen den dicht zusammenstehenden Häusern der Altstadt hindurch dem Bahnhof zustrebten. »Sie wirken irgendwie richtig aufgekratzt.«

»Ach, eigentlich …«, meinte Schneider nur und brach mitten im Satz ab. Wortlos gingen die beiden Männer weiter, schlenderten die Kirchgasse entlang und erreichten schließlich einen kleinen Platz, von dem aus es rechts zum Marktplatz und geradeaus zum Bahnhof ging.

Rechter Hand ragte ein riesiger Kran hinter einem Bauzaun hervor und erhob sich weit über die Dächer der Schorndorfer Innenstadt. Linker Hand war durch die Tür einer kleinen Kneipe Gitarrenmusik zu hören. Schneider blieb stehen und betrachtete seinen Kollegen Ernst, der seine Hände tief in den Manteltaschen vergraben hatte und nicht gleich bemerkte, dass er allein auf den Rand der Rosenstraße zuging, die sie auf ihrem Weg hinüber zur Bahnunterführung überqueren mussten.

»Herr Ernst?«

Ernst stockte, schaute sich verblüfft um und sah Schneider fragend an.

»Haben Sie noch eine halbe Stunde? Ich würde Sie gerne da drüben« – er nickte zu der Kneipe hinüber, aus der die Musik drang – »noch auf ein Gläschen einladen.«

Ernst wirkte etwas unschlüssig.

»Sie wollten doch wissen, warum ich so aufgekratzt wirke.«

»Stimmt. Na ja, warum nicht.« Ernst zuckte mit den Schultern und die beiden Kommissare gingen den Gitarrenklängen entgegen.

Die Kneipe sah gemütlich aus. In einer Ecke standen zwei Männer um die 40 und machten Musik. Der eine sang und spielte Gitarre, der andere steigerte sich mit einer Querflöte gerade in ein Solo hinein. Am Tisch neben der kleinen, improvisierten Bühne saßen einige Frauen und Männer im selben Alter und wippten im Takt mit.

Schneider und Ernst suchten sich einen Tisch am anderen Ende, kurz darauf standen zwei Gläser mit italienischem Tafelwein vor ihnen auf dem Tisch und Schneider begann zu erzählen.

»Wir wohnen doch seit vergangenem Jahr in diesem Haus in Urbach.«

Ernst nickte nur, stieß kurz mit Schneider an und trank einen Schluck. Die beiden Musiker spielten gerade einen Oldie von Simon & Garfunkel und Ernst fühlte sich angenehm an alte Lagerfeuer-Zeiten erinnert.

»Uns gefällt es da ganz gut«, fuhr Schneider fort. »Die Siedlung ist prima, das Haus ist schön, hat ein bisschen Garten, aber nicht zu viel – da würden auch Kinder ganz gut passen.«

Ernst horchte auf: »Kinder? Werden Sie Vater?«

Schneider winkte ab: »Nein, nein«, und lachte kurz. »Nicht, dass ich wüsste. Ich wollte Ihnen nur beschreiben, wie sehr uns dieses Haus gefällt.«

»Gut, und?«

»Nun müssen wir leider ausziehen. Die Eigentümer kommen aus dem Ausland zurück, die waren für ihre Firma in Asien und werden künftig wieder am Stammsitz in Stuttgart arbeiten. Da wollen sie natürlich wieder in ihr Haus einziehen – und wir haben in unserem Mietvertrag auch eine entsprechende Klausel drin.«

»Oh, Mist. Wie eilig ist es denn?«

»Na, es geht noch. Bis Ende nächsten Jahres müssen wir raus, und etwas früher wäre für unsere Vermieter noch besser – aber das muss man mal abwarten.«

»Was haben Sie nun vor?«

»Nachdem ich Ihnen vorhin so von dem Haus vorgeschwärmt habe, werden Sie sich denken können, dass wir lieber nicht auf eine Wohnung umsteigen wollen. Aber wieder ein Haus mieten und dann wieder ausziehen müssen – das ist auch nicht der wahre Jakob. Also wollen wir …«

»Bauen?«, fragte Ernst. »Na, da wünsche ich viel Spaß.«

»Warum das denn? Haben Sie denn mal schlechte Erfahrungen gemacht?«

»Nein, ich nicht. Ich wohne ja in einer Wohnung im Haus meiner Eltern in Ebni, und da war nur das Übliche herzurichten: Tapeten, Boden – das konnte ich selbst machen. Aber man hört so dies und das.«

»Geredet wird immer viel, gejammert auch. Und wenn mal was schiefgegangen ist, muss es ja nicht jeden anderen auch betreffen. Mit einigen Leuten habe ich bisher schon gesprochen, vor allem mit Baufirmen, die schlüsselfertig anbieten, und dann noch mit ein, zwei Architekten – das klingt alles ganz vernünftig. Wissen Sie: Da gehen meine Frau und ich Schritt für Schritt ran, und auf mich wirkt das ganze Thema bisher nicht so wahnsinnig kompliziert. Da sind ja auch reichlich Fachleute zugange, und die bauen schließlich nicht zum ersten Mal ein Haus.«

»Ich würde nicht bauen wollen, ganz ehrlich. Das wäre mir zu stressig, und zu teuer obendrein.«

»Na, das Finanzielle haben wir schon im Griff. Wir haben ein bisschen was auf der hohen Kante, und in unserem Beruf sind ja immerhin das Gehalt und die Stellung sicher. Das honorieren die Banken schon, hatte ich den Eindruck in den paar Gesprächen, die wir bisher geführt haben.«

»Ich wünsche Ihnen natürlich viel Glück, keine Frage.« Die beiden Männer prosteten sich erneut zu, und Ernst fügte hinzu: »Sie wollen also bauen, und was steht da nun als Nächstes an?«

Zu den beiden Musikern in der Ecke hatten sich inzwischen eine blonde Sängerin und ein Mann mit einer elektrisch verstärkten Geige gestellt. Der Gitarrist stimmte einen aktuellen Pop-Hit an.

»Als Nächstes«, grinste Schneider, »sollten wir noch einmal zwei Gläser Wein bestellen, was meinen Sie?«

Schneiders Berichte von den ersten Kontakten mit der Welt der Bauunternehmer und einige Anekdoten, die Ernst zum Thema Bauen zwischen Kaisersbach und Schorndorf aufgeschnappt hatte, brachten ein launiges Gespräch in Gang. Die kleine Band in der Ecke verbreitete gute Stimmung. Und der würzige Rotwein brachte die beiden Kommissare schließlich auf eine ganz vernünftige Idee: Schneider würde sich von seiner Frau mit dem Auto abholen lassen, und Ernst, der ihn heute früh in Urbach abgeholt hatte, würde einen Freund in der Schillerstraße anrufen und fragen, ob er dort übernachten könne.

Mittwoch, 22.30 Uhr

Wie ein Schatten huschte die Gestalt wieder aus dem Rohbau hervor und sah sich erneut vorsichtig um. Leises Fluchen war zu hören, dann saugte die Gestalt am rechten Zeigefinger und beäugte die geschwollene Stelle, an der der Hammer den Finger getroffen hatte.

Kurz darauf schloss sich die Tür des Wagens wieder und beim dritten Versuch sprang der Motor an. Langsam rollte das Auto auf den Feldweg zurück und verschwand in Richtung Ortsausgang. Als der Wagen auf die Hauptstraße einbog und auf Urbach zuhielt, schälten die Scheinwerfer eines vorüberfahrenden Transporters einen VW Passat älteren Baujahrs aus dem Dunkel des Abends.

Die Gestalt am Steuer gab Gas, und noch bis hinter den Uferbäumen des Bärenbachs, den die Straße auf halbem Weg nach Urbach überquerte, schleuderten die verschmutzten Reifen des Passat Dreckbatzen auf die Straße hinaus.

Mittwoch, 22.30 Uhr

»Tolle Idee«, maulte Sybille Schneider und schaltete einen Gang hoch. »Du gehst mit deinem Kollegen einen trinken und ich darf dich abholen und dafür meinen Besuch allein bei uns sitzen lassen.«

»Du lässt Besuch bei uns allein im Haus?«, fragte Schneider und klang dabei fast ein wenig erschrocken. »Wer ist es denn?«

»Eine ganz liebe Freundin von mir, die du noch nicht getroffen hast. Und« – sie hatte Schneiders Unterton wohl herausgehört – »du musst dir keine Sorgen machen um deine Modellautos. Sie klaut nicht.«

»Das wollte ich ihr auch gar nicht unterstellen.« Außerdem hatte Schneider die wertvollsten Modelle in der Vitrine in seinem Büro.

»Warum hast du dir eigentlich kein Taxi genommen? Oder einen deiner Uniformierten? Die fahren doch ohnehin die ganze Zeit mit ihren Autos kreuz und quer durch die Gegend – da hätte dich doch einer mitnehmen können.«

»Aber Schatz, ist es denn wirklich sooo schlimm, dass ich lieber neben dir sitze?« Sein Charme, so schien es Schneider, hatte durch den Wein ein wenig gelitten.

»Ja, ja, ›Schatz‹ … grütz’ hier nicht so rum. Das kann ich im Moment echt nicht haben. Außerdem wäre es mir am liebsten, du sagst jetzt erst einmal gar nichts mehr. Du stinkst nach Wein wie ein alter Korken, und ich habe keine Lust, wegen dir mit offenen Fenstern zu fahren.«

Verstohlen schaute Schneider zu seiner Frau hinüber. Im diffusen Licht der Straßenlaternen gefiel sie ihm sehr gut mit ihrem markanten Profil, der etwas groß geratenen Nase und den glatten, zum akkuraten Pony gestutzten Haaren. Der Gesichtsausdruck machte Schneider allerdings klar, dass er seine Liebe heute wohl nur platonisch würde ausleben können: Frau Schneider war sauer, und das bekam ihrer gemeinsamen Freizeit selten gut.

Es bekam auch ihrem Fahrstil nicht: Als sie noch immer wütend und völlig in Gedanken in Urbach die Hauptstraße entlangflitzte, auf den Ortsausgang in Richtung Plüderhausen zu, und erst im letzten Moment die Verkehrsinsel bemerkte, an der sie zu ihrem Haus abbiegen mussten, riss Frau Schneider spontan das Lenkrad nach links und bog mit quietschenden Reifen in die Seitenstraße ein. Ein alter, silbergrauer Passat, der von Plüderhausen herkam, konnte den Zusammenprall nur mit einer Vollbremsung vermeiden. Das Tönen seiner Hupe war in der sonst recht stillen Nacht gut zu hören, doch da bog Frau Schneider schon ungerührt in den Wielandweg ein.

Kurz darauf stand der Wagen neben Schneiders gelbem Porsche in der Garagenzufahrt, und von der Haustür her kam eine jung und sportlich wirkende Frau die Treppe herunter auf sie zu. Sie trug einen weiten Mantel, den sie nicht geschlossen hatte. Darunter wehte ab und zu ein buntes Stück Stoff hervor.

»Namaste«, sagte sie mit umwerfendem Lächeln, als sie vor Schneider stand, und legte vor ihrer Brust die Handflächen aneinander. Seine Frau machte die beiden bekannt: »Das ist Sonja, wir haben uns in Stuttgart getroffen, während dieses Indien-Seminars, von dem ich dir erzählt habe.«

Oh ja, Indien … Schneider erinnerte sich. Räucherstäbchen und Sitarmusik konnten anstrengend sein nach einem Tag im Kommissariat.

»Mein Chef«, plauderte Sonja fröhlich auf Schneider ein und deutete auf den Porsche, »fährt auch so einen, sogar in derselben Farbe.«

»Ach?«, machte Schneider interessiert, aber die Frau hatte ihre Bemerkung offenbar nur als Smalltalk eingestreut und begann sich nun zu verabschieden. »Ich habe noch ein gutes Stück zu fahren«, meinte sie und stieg in ihren Wagen, der am Straßenrand geparkt war.

Als Schneider seiner Frau oben die Haustür öffnete, fiel ihm auf, dass sich ihre Stimmung deutlich gebessert hatte und in ihren Augen ein leichter Glanz zu sehen war. Vielleicht würde er dieser Sonja heute noch dankbar sein.

Donnerstag, 8.30 Uhr

»Guten Morgen!«

Kriminalhauptkommissar Klaus Schneider betrat das Büro seines Kollegen schwungvoll, auch wenn Bartstoppeln und dunkelgraue Augenringe seinem dynamischen Auftritt widersprachen.

»Mmh …«

Kriminalhauptkommissar Rainer Ernst hing sichtlich müde in seinem Bürostuhl und hielt sich mit beiden Händen eine dampfende Kaffeetasse an den Mund.

»Na, noch müde?«, fragte Schneider nach. »So spät ist es doch gestern gar nicht geworden.«

»Für Sie vielleicht nicht …« Ernst klang mürrisch, aber das schien nicht auf Schneider gemünzt zu sein. »Mein Kumpel hatte noch Lust zu reden. Und zu trinken hatte er auch noch was im Haus.«

»Oh … tut mir leid. Dann wollen wir mal hoffen, dass in nächster Zeit keine neue Kundschaft ansteht, oder?«

»Das ohnehin, würde ich sagen.« Ernst versuchte ein Grinsen. Der Versuch scheiterte kläglich.

»Morgen!«, schallte es von der Tür her. Claus Nerdhaas stand dort und schaute geradezu unverschämt munter ins Zimmer. »Habt ihr schon gehört? Wir haben eine neue ›Leiche‹ aus Plastik.«

Ernst verdrehte die Augen, Schneider blickte grinsend auf den Kollegen hinunter.

»In einem, nein, auf einem Rohbau in Plüderhausen haben ihn die Handwerker heute früh gefunden«, fuhr Nerdhaas fort. »Und ich muss schon sagen: Dieser Typ, der die Schaufensterpuppen platziert, hat echt einen Schuss!«

»Warum das denn?«, fragte Schneider.

»Na ja: Erst gipst er eine Figur im Boden ein, und jetzt hatte er sich offenbar einen Dachdecker als Opfer vorgestellt.«

»Das war Estrich, kein Gips«, versetzte Schneider.

Nerdhaas zog die Augenbrauen hoch und schaute fragend zu Ernst, doch der winkte nur müde ab.

»Und was hat unser geheimnisvoller Täter diesmal mit der Puppe angestellt?«, hakte Schneider nach.

»Der ist rein in den Rohbau und irgendwie aufs Dach. Dann hat er die Puppe neben einer Dachgaube mit beiden Füßen festgenagelt – und schließlich mit einem kurzen Stück Balken durch die Brust an der Gaube fixiert.«

»Meine Güte, da hat aber einer Probleme …«

»Sieht so aus. Na ja, die Kollegen vom Revier unten sind inzwischen draußen und sehen sich die Inszenierung vor Ort an. Wollt ihr auch rausfahren?«

»Nein, danke«, murrte Ernst und deutete auf einige Ordner mit der Aufschrift »SoKo Wieslauf«, die im Wandregal neben ihm standen. »Mir reicht der Rest Schreibkram, den wir noch fürs Gericht vorbereiten müssen. Da sind wohl noch Fragen aufgetaucht, und ich wühle mich noch einmal durch die Akten vom vergangenen Jahr. Und Schaufensterpuppen sind ja nicht unbedingt unser Ressort.«

»Außerdem«, brummte Schneider, »finde ich die Kombination von Schaufensterpuppen und Rohbauten ziemlich geschmacklos. Als hätten wir hier in der Gegend noch nicht genug mit Leichen und Zement zu tun gehabt.«

Nerdhaas, der auf ein so ernstes Thema am frühen Morgen noch keine Lust hatte, verabschiedete sich hastig und ging in sein Büro zurück.

Die zweite Woche im Mai

Montag, 12.00 Uhr

Als Schneider seine Kaffeetasse in den Aufenthaltsraum bringen wollte, kam ihm auf dem Flur Rainer Ernst mit einem fremden Mann entgegen. Aus der Gewohnheit des Ermittlers heraus taxierte Schneider den Fremden unauffällig: etwa 1,80 Meter groß, dunkle Haare mit grauen Strähnen, und über der Jeans wölbte sich das weit geschnittene Sweatshirt über einen Bauch. Der machte ihm offenbar zu schaffen: Vom Treppensteigen in den dritten Stock schnaufte der Mann noch, und sein Gesicht war etwas gerötet.

Ernst plauderte fröhlich mit ihm, Schneider schnappte etwas auf, was ganz allgemein mit der Arbeit der Kripo zu tun hatte. Bevor die beiden ihn erreicht hatten, schlüpfte Schneider schnell in den Aufenthaltsraum – er hatte keine Zeit mehr für ein längeres Gespräch.

Er stellte die Tasse auf der Spüle ab und hörte, wie hinter ihm Ernst ins Zimmer kam.

»Herr Schneider?«, flüsterte er. »Hätten Sie kurz Zeit?«

»Oh, nein, tut mir leid, das ist ganz schlecht im Moment. Worum geht’s denn?«

»Draußen ist ein Journalist, der an einem Krimi arbeitet. Das wird sein erster, und er nimmt es wohl recht genau. Unsere Pressestelle in Waiblingen hat ihn an mich verwiesen, jetzt erkläre ich ihm ein bisschen, wie wir arbeiten und so. Macht Spaß, aber ich dachte, Sie als Chef der Außenstelle könnten vielleicht …«

»Nein, Herr Ernst, auf keinen Fall. Ich muss dringend weg. Mit meiner Frau will ich mir in Fellbach die Ausstellung mit den Fertighäusern ansehen, um Ideen zu sammeln für unsere eigenen Pläne. Und meine Frau wird immer ganz wuschig, wenn ich nicht pünktlich bin. Das würde ich mir heute gerne ersparen.«

»Das verstehe ich natürlich«, lachte Ernst und wandte sich zum Gehen.

»Ach, Herr Ernst?«

»Ja?«

»Worüber will er denn schreiben? Ich meine: Hat er schon verraten, worum es in diesem Krimi gehen soll?«

»Ja, stellen Sie sich vor: über den Mord in Kallental im vergangenen Herbst. Sehr frei interpretiert natürlich, das ist ja auch vor Gericht noch gar nicht abgeschlossen.«

»Ach, du meine Güte! Na, dann viel Spaß noch – und lassen Sie sich nicht allzu viel Internes aus der Nase ziehen, ja?«

»Keine Sorge.«

Als Ernst zurück auf den Flur huschte, hörte Schneider das Auslösergeräusch einer digitalen Kamera. Der werdende Krimiautor fotografierte offenbar den Flur der Kripo-Etage. Seufzend wartete Schneider, bis er die Tür von Ernsts Büro ins Schloss schnappen hörte, dann holte er schnell seine Jacke und eilte hinunter zum Parkplatz.

Mittwoch, 2.30 Uhr

»Ich muss euch warnen«, sagte Frieder Rau und fasste Ernst, der zusammen mit Schneider auf die Baugrube zuhielt, am Arm. »Das ist eine ziemliche Sauerei da unten.«

Vor den beiden Kommissaren gähnte ein Loch im Boden, das etwa 15 auf 15 Meter maß. Die Kollegen hatten am Straßenrand und auf den links und rechts benachbarten Grundstücken Scheinwerfer aufgestellt, die beinahe die ganze Grube ausleuchteten. Hinten, am Abhang eines doppelt mannshohen Dreckhaufens, mühte sich ein Polizist, einen weiteren Strahler im Boden zu befestigen. Er steckte bis zu den Waden mit seiner Uniformhose im Dreck und fluchte unablässig vor sich hin.

Schneider sah sich um. Von ihrer näheren Umgebung abgesehen, lag das ganze Baugebiet still da. Noch keines der Häuser war fertig, überall standen Rohbauten, Bauwagen und Klohäuschen herum, einige Grundstücke schienen noch unberührt, Material aller Art stapelte sich und an den Kränen hingen Zementmischer und große Kunststoffwannen.

Im Vergleich zu den anderen Baustellen, wo offenbar großzügige Bürogebäude und Hallen entstanden, war hier ein etwas kleineres Haus geplant, ein Wohnhaus, vielleicht für ein oder zwei Familien. Auch auf zwei, drei anderen Parzellen schien etwas in dieser Art geplant zu sein, insgesamt aber handelte es sich hier um ein Gewerbegebiet.

Das passte ganz gut, denn das Gebiet lag zwischen B 29 und der früheren, direkt an der Rems entlangverlaufenden Bundesstraße; im Westen wurde es von einigen Firmengebäuden begrenzt, im Osten lag noch ein Streifen freies Gelände und dahinter zwei Schulen und ein Supermarkt. Das alles hatte ihm Ernst auf der Herfahrt geschildert, und er hatte auch darauf hingewiesen, dass die Straße, über die sie das neue Baugebiet erreichten, nach Paul Strähle benannt war, einem berühmten Sohn der Stadt, der von 1921 an von Stuttgart aus Linienflüge angeboten hatte.

Das Baugebiet lag abgelegen genug, um erst gar nicht nach Zeugen für die Ereignisse dieser Nacht suchen zu müssen. Zumal in der Nachbarschaft – Firmen, Schulen, Supermarkt – wohl seit gestern Abend niemand mehr anwesend war, von einem gelegentlich patrouillierenden Wachdienst vielleicht einmal abgesehen.

Ein paar Meter neben der Grube drängelten sich trotz der nachtschlafenden Zeit einige Menschen. Ein Streifenbeamter befragte einen Mann in Jeans und Windjacke, der scheinbar schneller erzählte, als der Beamte in seinen Notizblock kritzeln konnte. Neben ihm standen zwei weitere Männer, die wie Kollegen des ersten aussahen und dem Gespräch aufmerksam zuhörten. Weiter hinten auf der Straße sah Schneider einige Fahrzeuge herankommen: eine bunte Mischung aus kleinen Transportern, einem Jeep, einem alten Kleinwagen, einer Limousine und einem Van.

Die Wände der Grube sahen recht glatt aus, und man konnte da und dort noch Spuren der Baggerschaufel erkennen. An drei Seiten war der blanke Erdboden zu sehen, an einigen Stellen mit roter Farbe markiert. Zur Straße hin war die steile Böschung mit Holzbohlen bewehrt, die von langen Metallpfosten gehalten wurden.

Am Rand der Baugrube lehnte eine grobe Holzleiter und Schneider und Ernst kletterten daran hinunter. Der Boden der Grube war ziemlich eben, und der größte Teil der Fläche war mit Kies bedeckt. An einer Ecke zur Straßenseite hin klaffte ein weiteres Loch, hier hatte der Bagger wohl noch zu arbeiten.

Nicht weit entfernt von diesem Schacht lag der Tote, oder besser: das, was von ihm übrig war.

Sehen konnten Schneider und Ernst nur den Unterkörper und ein kleines Stück vom Bauch. Demnach lag der Tote auf dem Rücken und wies auf den sichtbaren Teilen seines Körpers auf den ersten Blick keine Verletzungen auf.

Das war auch nicht nötig: Der obere Teil des Mannes steckte in den Trümmern eines Betonrohres, das ursprünglich wohl einen halben Meter lang gewesen war und vielleicht einen Durchmesser von 1,20 Meter gehabt hatte. Ein paar andere solcher Betonteile hatten die Kommissare am Rand des Bauplatzes nebeneinander im Dreck liegen sehen.

Tief eingetaucht in das zertrümmerte Betonelement ruhte die stählerne Schaufel eines Baggers, der oben am Rand der Grube stand.

An den Beinen und am Unterkörper waren Spritzer von Blut und anderen Flüssigkeiten auf der Kleidung des Toten zu erkennen. Auch auf dem Boden waren Flecken sichtbar. Manches davon war schon ein wenig in den Untergrund eingesickert, hier und da hatten sich kleine Pfützen gebildet, aus denen kleinere Dreckbatzen ragten, die vermutlich von der herabstoßenden Baggerschaufel gefallen waren.

Schneider musterte die unappetitliche Szenerie genau, dann hob er den Blick: Fast gespenstisch hob sich über ihm die Silhouette des Baggers gegen den Nachthimmel ab.

»Was ist das denn für ein schräger Fall?«, murmelte Kriminalhauptkommissar Rainer Ernst und sah zwischen dem Bagger und der Schaufel hin und her.

»Tja, und ist es überhaupt ein Fall?«, fügte Kriminalhauptkommissar Klaus Schneider hinzu. »Woher wissen wir denn, dass das kein Unfall war?« Damit wandte er sich an Rau, der mit ihnen in die Grube hinuntergestiegen war und nun neben den beiden stand.

»Wir haben da vorne«, Rau deutete auf eine Stelle, die mit Kies bedeckt war, »Fußspuren und ein paar andere Kleinigkeiten gefunden, die ich für Zeichen einer Auseinandersetzung halten würde. Von dort drüben bis hier zum Fundort der Leiche haben wir außerdem Abdrücke von mindestens drei Paar Schuhen gefunden. An den Hydraulikleitungen oben im Baggerarm wurde herumgefummelt. Außerdem scheint es mir auch nicht so wahnsinnig üblich, dass sich einer nachts auf einer Baustelle herumtreibt und womöglich mit dem Bagger hantiert. Na ja, und schließlich hat uns ein Kollege oder Bekannter des Toten angerufen, und der hat gleich auf Mord getippt.«

»Aha, und warum das?«

»Mit dem werdet ihr ja gleich auch selbst noch reden, aber ganz offensichtlich ist es derzeit in der Baubranche ein wenig unruhig.«

»Wegen der Geschichten mit den Schaufensterpuppen?«

»Auch, aber es scheint noch mehr Witzbolde zu geben, die sich seit einiger Zeit auf Baustellen und in Baufirmen schlechte Scherze erlauben. Aber das lasst ihr euch mal am besten direkt von dem Mann erzählen. Der steht dort oben und erzählt Maigerle gerade, was er zu berichten weiß.«

Alexander Maigerle – Ernst erinnerte sich an den Kollegen, der aus Grunbach stammte, einem der Ortsteile von Remshalden, und dort noch immer im Haus der Eltern wohnte. Maigerle war ein netter Kerl, meistens freundlich, auch nachts nicht leicht von seiner guten Laune abzubringen – nur eines machte ihm zu schaffen: Seinen Dienst verrichtete er als Polizeihauptmeister im Revier Schorndorf und wäre doch viel lieber Teil der Kripo. Ernst wusste gar nicht so recht, warum das bisher nicht geklappt hatte: Maigerle war nicht auf den Kopf gefallen, und sobald im Ermittlungsdienst ein etwas kniffligerer Fall zu lösen war, verbiss er sich begeistert in die Angelegenheit, bis er der Sache auf den Grund gegangen war.

Seine Spürnase hatte ihm unter den Revierkollegen inzwischen den Spitznamen »Maigretle« eingebracht, eine gutmütig gemeinte Veräppelung, die zwischen seinem wirklichen Namen und dem des berühmten französischen Roman-Kommissars vermittelte. Maigerle nahm den Kollegen den Spaß nicht übel, aber ein wenig schmerzlich wirkte sein Lächeln über diesen Running Gag schon. Ernst nahm sich vor, mal mit Schneider über den Kollegen zu reden – vielleicht konnten sie ja die Augen offenhalten, falls bei der Kripo mal ein Platz frei würde, der für Maigerle passen könnte.

Mittwoch, 2.40 Uhr

Der an einigen Stellen zerbeulte Wagen stand im Schatten des Waldes. Er war durch das Gewerbegebiet Steinwasen im Schorndorfer Westen gekurvt, hatte dann auf einer Brücke die Bundesstraße überquert, war ins Ramsbachtal und nach der Gaststätte und den letzten Häusern dort in den Wald hineingefahren. Die Schranke, die den Forstweg schützen sollte, fehlte noch immer, und so rumpelte der Wagen unter den Bäumen hindurch, bog am Obelisken ab und hielt sich auf dem Weg, der in Richtung Schornbach verlief. Am Steuer saß ein tief in Gedanken versunkener Fahrer, der natürlich wusste, wie die Flur- und Waldstücke um ihn herum hießen. Doch an Kohlhau, Roter Rain oder Triebschlag verschwendete er keinen Gedanken – etwas anderes ging ihm im Kopf herum.

Nach einer Weile hatte der Mann bemerkt, wo genau er sich befand und dass er sich mittlerweile dem Waldspielplatz Jägergarten näherte, der südlich von Mannshaupten lag, einem kleinen Weiler oberhalb des Schorndorfer Stadtteils Schornbach, und ein beliebtes Ausflugsziel war.

Um dem Spielplatz, der etwa 100 Meter entfernt lag und von hier aus wegen Büschen und Bäumen nicht zu sehen war, nicht zu nahe zu kommen, hatte er seinen Wagen nach rechts in einen kleinen Fahrweg gesteuert, der halb zugewuchert auf ein verwittertes Holztor zuführte. Dann hatte er den Zündschlüssel umgedreht. Bald war nur noch das Knacken des Motors zu hören, der in der kühlen Nacht allmählich an Temperatur verlor.

Der Mann seufzte, griff in das Handschuhfach und holte eine Stofftasche hervor, aus der er langsam eine Pistole zog. Die Waffe fühlte sich kalt an, und selbst in dem dunklen Innenraum wirkte das Schwarz ihres Metalls noch bedrohlich.

Der Mann wog die Waffe in den Händen, betrachtete sie nachdenklich. Geladen war sie, das hatte er überprüft, als er zu Hause losgefahren war. Vor nicht einmal zwei Stunden war das, und doch hatte sich seither alles verändert. Selbst der gestrige Abend, den er so trübsinnig und hoffnungslos verbracht hatte wie viele andere zuvor, war nun eine Erinnerung an eine bessere Zeit. Aber er hatte schon zu viele Erinnerungen, die er kaum ertragen konnte.

Der Mann packte die Waffe fest mit der rechten Hand und führte sie an seine Schläfe. Unter dem Druck des Pistolenlaufes spürte er seinen Puls. Er drückte fester, sein Zeigefinger begann zu zittern und tausend Bilder fuhren ihm durch den Kopf.

Als er die Hand wieder sinken ließ, liefen ihm Tränen über das Gesicht. »Nicht einmal das«, dachte er, »bringst du richtig zu Ende.«

Mittwoch, 2.45 Uhr

»Herr Maigerle?«

Der uniformierte Beamte fuhr herum und lächelte kurz, als er Ernst erkannte. Er grüßte die beiden Kripo-Kommissare und stellte ihnen den Mann vor, mit dem er sich unterhalten hatte.

»Das ist Herr Vollmer, Roland Vollmer. Er hat die Leiche gefunden und hat uns dann gleich gerufen. Seine Personalien habe ich, und er hat mir gerade erzählt, wie er den Toten fand – und warum er um diese Uhrzeit überhaupt hier war.«

»Prima, Herr Maigerle«, nickte Schneider ihm anerkennend zu, dann wandte er sich an Vollmer. »Und? Sagen Sie es uns auch noch einmal kurz, bitte? Was suchten Sie um diese Zeit hier auf der Baustelle?«

»Na ja«, brummte Vollmer. »Ich habe hier nach dem Rechten geschaut. Ich hatte heute Nacht gewissermaßen Streife.« Er lächelte unsicher zu Maigerle hinüber, der das aber mit einem strengen Blick quittierte.

»Streife?«, fasste Schneider nach. »Wieso denn Streife?«

»Nun, in letzter Zeit ...« Vollmer ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und schaute über Schneiders Schulter hinweg. Schneider und Ernst drehten sich um, vor ihnen stand ein Koloss von einem Mann: etwa zwei Meter groß, mit breitem Kreuz, mürrischem Gesichtsausdruck und grob geschätzt 40 Kilo Übergewicht.

»Frogat Se doch lieber glei mi«, knurrte der Fremde und tippte sich mit dem Zeigefinger an den abgewetzten braunen Cordhut. »Haber isch mei Name, Willi Haber.«

»Ja, und?«, versetzte Schneider lauernd und fixierte den Mann ungnädig.

»Dr Vollmer isch oiner von meine Bauleiter, ond dr Knaur, der do dronta onter derra Schaufel liegt, hot von meine Bauschtella meischtens dr Dreck weggfahra.«

»Woher wissen Sie, wer da unten liegt?«, fragte Ernst.

»Dr Vollmer hot mi agrufa, no ben i glei los ond ben hergfahra. Mir sen jo em Moment praktisch dauernd en ›Bereitschaft‹.«

Seitlich hinter Haber hatte sich Staatsanwalt Kurt Feulner aufgebaut. Schneider hatte ihn bemerkt und kurz angesehen, aber Feulner winkte mit einer kleinen Geste ab und bedeutete dem Kommissar, einfach fortzufahren, als sei er gar nicht hier. Haber hatte nichts davon mitbekommen.

»Herr Vollmer redet von Streife, Sie von Bereitschaft …«, fuhr Ernst fort. »Vielleicht erklären Sie mir nun endlich mal, was hier eigentlich los ist.«

»Ganz oifach«, antwortete Haber. »Seit a paar Wocha hen älle Baufirma en onsrer Gegend Probleme mit irgendoim Obekannta, der sich an Maschina, Werkzeug ond so zom Schaffa macht. Do werdat Radmuttra losgschraubt, do verschwendat Werkzeug-Kischta, ond sogar an oim von dena blaue Klohäusla isch dreht worda. Des kann Ihne allerdings der Vollmer am beschte vrzähla.« Habers Lachen polterte tief und rau aus seinem riesigen Brustkorb herauf.

Vollmer blickte zu Boden.

»Und, Herr Vollmer?«, fragte Schneider.

»Dieser Arsch hat sich am Unterbau eines der Klos zu schaffen gemacht, was man der Toilette nicht ansehen konnte. Eine der Stützen war irgendwie präpariert. Na ja, ich bin rein. Und als ich fertig war und aufstehen wollte, ist diese eine Stütze gebrochen, das Häusle kippte nach hinten und ich mit ihm …«

»Den hättet Se säha solla, wie der do rauskrabbelt isch. Ond no woiß der doch echt nix Bessers, als sich mit der ganza Sauerei ens Gschäftsauto zom Setza – des schtenkt heit no!« Haber lachte nicht mehr, und Vollmer schwankte offensichtlich, ob er seinem Chef wegen der Anekdote böse sein oder sich wegen des verdreckten Firmenautos schuldig fühlen sollte.

»Nun gut …«, versuchte Schneider zum Thema zurückzukommen. »Und was dürfen wir nun unter ›Streife‹ verstehen?«

»Meine Leut ond a paar von andre Firma fahret seit a paar Nächt die gängige Bauschtella ab, guckat sich om und hoffat, dass se den Schlamper verwischat.«

»Und dann, Herr Haber?«, war plötzlich die Stimme von Feulner zu hören. Haber fuhr herum, sah Feulner und wirkte sofort ein paar Zentimeter kleiner.

»Ah, dr Herr Feulner! Jetzat!« Haber streckte die Hand aus, aber Feulner ließ beide Hände in den Manteltaschen.

»Was hätten Sie oder Ihre Leute denn gemacht, wenn Sie den Unbekannten gestellt hätten? Selbstjustiz ist keine gute Idee, das sollten Sie wissen, Herr Haber.«

»Ja noi … also … mir …«

Habers Selbstsicherheit war wie weggeblasen, während Feulner ihn kalt im Visier behielt. Schließlich gestattete sich Feulner doch noch ein dünnes Lächeln, hielt Haber die rechte Hand hin und sagte: »Sie können gerne nach Hause, Herr Haber. Wir wissen, wo wir Sie finden, falls wir noch Fragen haben.«

Eilig verabschiedete sich Haber von Feulner und den anderen. Er stieg in einen bulligen Jeep, der mitten auf der Straße abgestellt war, wendete hastig und fuhr schnell in die Dunkelheit davon.

»Sie scheinen Herrn Haber zu kennen?«, fragte Schneider.

»Kann man sagen«, grinste Feulner. »Er hat unser Haus gebaut, und er hat sich mir gegenüber nicht immer so verhalten, als wüsste er, was ich von Beruf bin.«

Ernst und Schneider sahen Feulner fragend an.

»Mal ehrlich: Würden Sie einem Bauherrn gegenüber gewisse, sagen wir: steuerliche Einsparmöglichkeiten andeuten, wenn Sie wüssten, dass er Staatsanwalt ist?«

Maigerle prustete los, und auch die beiden Kommissare konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. Feulner grinste ebenfalls: »Haber ist ein grober Klotz, ziemlich geldgierig, bauernschlau und rücksichtslos – aber sonst kein übler Kerl, glaube ich.«

Während Schneider noch darüber nachdachte, was nach dieser Aufzählung denn mit »sonst« gemeint sein konnte, nahm Ernst das Gespräch mit Roland Vollmer wieder auf.

»Woher wussten Sie denn, dass dort unten Herr Knaur liegt? Wir waren gerade unten, und mit einem Blick in sein Gesicht ist es da nicht getan.«

»Das wusste ich nicht«, antwortete Vollmer. »Ich habe nur gemeldet, dass da einer tot liegt. Ich kam hier auf meiner Runde vorbei und sah, dass der Baggerarm in die Grube hinunterreichte.«

»Ach, und das ist ungewöhnlich?«

»Natürlich. Normalerweise wird ein Bagger abends immer so abgestellt, dass die Schaufel direkt vor dem Bagger auf dem Boden abgelegt ist.«

»Aha.«

»Sonst wäre mir ja gar nichts aufgefallen – in die Grube hinunter sehe ich ja vom Auto aus nicht. Als ich ausgestiegen bin, habe ich die Beine aus der Röhre ragen sehen, bin dann noch in die Grube runter, habe aber nichts angefasst. Tja, und dann kamen Ihre Kollegen, und die haben wohl eine Brieftasche bei dem Toten gefunden.«

Ernst schaute zu Maigerle hinüber, der nickte: »Ja. Der Tote liegt ja mit dem Unterkörper außerhalb dieser zerschlagenen Betonröhre, und in der Gesäßtasche seiner Hose steckte die Brieftasche, mit Ausweis, Führerschein und so weiter.«

»Und als mich Ihr Kollege hier fragte, ob ich den Sepp kenne, konnte ich ja schlecht nein sagen.«

»Sepp?«, schaltete sich Schneider ein.

»Ja, Sepp Knaur, der Tote«, erklärte Maigerle. »Eigentlich Josef. 42 Jahre alt und Chef der Firma Weinmann. Die haben ihr Büro und die Erddeponie an der B 29 zwischen Plüderhausen und Waldhausen. Der macht hier in der Gegend für die meisten Baufirmen den Aushub, und Knaur ist trotz seiner Anfang 40 noch so ein Chef vom alten Schlag: sitzt am liebsten selbst auf dem Bagger oder fährt den Dreck weg. Natürlich hat er noch Mitarbeiter, aber baggern darf meistens nur er. Das kann er auch echt gut.« Ernst räusperte sich, Maigerle schaute kurz zu ihm hinüber, dann fiel der Groschen. »Ja, klar: konnte er. Ich habe ihn um ein paar Ecken herum ein bisschen gekannt, da fällt das Umschalten nicht gleich so leicht.«

»Hier kennt irgendwie jeder jeden – das habe ich inzwischen schon gelernt«, sagte Schneider leichthin. Ernst sah ihn irritiert an, aber Schneider beschwichtigte ihn sofort: »Das war nicht böse gemeint, Herr Ernst, wirklich.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte Schneider den Pathologen Dr. Thomann, den er von seinem ersten Mordfall her kannte. Thomann kletterte gerade auf der Leiter aus der Grube heraus und wischte sich, oben angekommen, eifrig die Hände an den Seiten seiner Hose ab. »Seltsam«, ging es Schneider durch den Kopf, »wieder dasselbe Team – als gäbe es hier nur diese Leute.«

»Wissen Sie«, fuhr währenddessen Maigerle fort, »meine Eltern haben vor ein paar Jahren einen Anbau an ihr Haus drüben in Grunbach machen lassen, und weil das Gebäude in den Hang reingebaut ist, fällt da natürlich ordentlich Aushub an. Na ja, den hat die Firma Weinmann weggefahren, und Knaur hatte gebaggert. Hat er übrigens gut gemacht, das war damals recht knifflig, so direkt am Haus und an der Mauer zum Nachbarn rüber.«

»Schon gut, Herr Maigerle, danke«, schnitt ihm Schneider leidlich freundlich das Wort ab. »Wissen Sie sonst noch etwas über diesen Knaur, was uns weiterhelfen könnte?«

»Hm, wie soll ich sagen … Mir kam er damals nicht so besonders nett vor. Der war schon auch mal patzig und behandelte die Leute gerne etwas von oben herab – so, als hätte nur er Ahnung und sonst keiner. Aber vielleicht habe ich das auch in den falschen Hals gekriegt damals.«

»Nein, nein, Herr Maigerle«, schaltete sich Vollmer ein. »Der Sepp hatte schon seine Macken. Und die Dreckfahrer sind ohnehin nicht die Beliebtesten in der Baubranche. Da geht es ziemlich ruppig zu, gerade auch zwischen Konkurrenten.«

»Wollen Sie etwas Bestimmtes andeuten?«, fasste Ernst nach.

»Es gibt da einen Spruch: Auf dem Bau sind alle kleine Gauner – nur nicht die Aushubleute. Das sind große.«

»Und, ist was dran an diesem Spruch?«

»Na ja, das ist, wie gesagt, nur ein Spruch – ganz so schlimm geht es auf dem Bau auch nicht zu. Aber die Aushubunternehmer sind nicht unbedingt zimperlich. Wenn da einer im fremden Revier wildert, kann der Platzhirsch schon ungemütlich werden. Das sind meistens recht handfeste Burschen, die nicht unbedingt viel Wert auf lange Diskussionen legen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Ja, ich verstehe. Und welchen Konkurrenten von Knaur haben Sie da im Sinn?«

»Konkurrenten … Ich weiß gar nicht, ob man das wirklich so nennen kann. Als echtes Aushubunternehmen ist Knaur beziehungsweise seine Firma Weinmann in Schorndorf ohne Konkurrenz. Aber Landschaftsgärtner fahren schon mal ein paar Lastwagen voll Erde fort – das summiert sich dann, da kann einer wie der Sepp durchaus mal ausrasten, weil ihm Geld entgeht.«

»Namen, bitte.«