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Hillary Rodham Clinton

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Beschreibung

Seit mehr als zwanzig Jahren steht Hillary Rodham Clinton im Rampenlicht der internationalen Politik – zunächst als First Lady im Weißen Haus, dann als Senatorin des Bundesstaates New York und schließlich als Außenministerin im Kabinett von Barack Obama. Nun bewirbt sie sich für die Demokraten als Kandidatin für die nächste Präsidentschaft. In ihrem so politischen wie persönlichen Buch schildert Clinton Hintergründe und Zusammenhänge der wichtigsten politischen Ereignisse und formuliert ihre Vorstellungen von der Rolle, die die Vereinigten Staaten angesichts der globalen Herausforderungen spielen sollte.

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Seitenzahl: 1264

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Hillary Rodham Clinton

ENTSCHEIDUNGEN

Aus dem amerikanischen Englisch von Gabriele Gockel, Heide Horn, Bernhard Jendricke, Sven Scheer, Sonja Schuhmacher, Jochen Schwarzer, Rita Seuß, Barbara Steckhan, Claus Varrelmann, Sebastian Vogel und Maria Zybak

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungKarteVorwortTEIL I NeubeginnKapitel 1 2008: Ein Team von RivalenKapitel 2 Smart PowerTEIL II Jenseits des PazifiksKapitel 3 Asien: Strategische NeuausrichtungKapitel 4 China: Unbekannte GewässerKapitel 5 Peking: Der DissidentKapitel 6 Burma: Die Lady und die GeneräleBILDTEIL ITEIL III Krieg und FriedenKapitel 7 Af-Pak: Die AufstockungKapitel 8 Afghanistan: Den Krieg beendenKapitel 9 Pakistan: Nationale EhreTEIL IV Zwischen Hoffnung und GeschichteKapitel 10 Europa: Bindungen, die verpflichtenKapitel 11 Russland: Neustart und RückschrittKapitel 12 Lateinamerika: Demokraten und DemagogenKapitel 13 Afrika: Waffen oder Wachstum?BILDTEIL IITEIL V AufruhrKapitel 14 Naher Osten: Steiniger Weg zum FriedenKapitel 15 Arabischer FrühlingKapitel 16 Libyen: Alle nötigen MaßnahmenKapitel 17 Bengasi: Unter BeschussKapitel 18 Iran: Sanktionen und GeheimnisseKapitel 19 Syrien: Ein vertracktes ProblemKapitel 20 Gaza: Anatomie einer WaffenruheBILDTEIL IIITEIL VI Die Zukunft, die wir uns wünschenKapitel 21 Klimawandel: Das geht uns alle anKapitel 22 Jobs und Energie: Chancengleichheit schaffenKapitel 23 Haiti: Katastrophe und FortschrittKapitel 24 Diplomatie in einer vernetzten WeltKapitel 25 Menschenrechte: Eine unerledigte AufgabeEpilogDanksagungGlossarBildnachweis
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Für Amerikas Diplomaten und Entwicklungsexperten,

die unser Land und unsere Werte überall auf der Welt

– ob in großen oder kleinen,

in friedlichen oder gefahrvollen Regionen –

so hervorragend vertreten

 

und

 

Im Gedenken an meine Eltern:

Hugh Ellsworth Rodham (1911–1993)

Dorothy Emma Howell Rodham (1919–2011)

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Vorwort

Wir alle werden im Leben vor schwere Entscheidungen gestellt. Manchen von uns wird dabei sehr viel aufgebürdet. Wir müssen entscheiden, wie wir die Anforderungen von Beruf und Familie miteinander vereinbaren: sei es, dass ein krankes Kind oder unsere alten Eltern zu pflegen sind, sei es, dass wir eine College-Ausbildung finanzieren müssen, einen guten Job finden oder damit umgehen müssen, wenn wir ihn verlieren. Sollen wir heiraten – oder uns scheiden lassen? Wie eröffnen wir unseren Kindern die Möglichkeiten, die sie sich erträumen und die sie verdienen? Leben heißt, solche Entscheidungen zu treffen. Unsere Entscheidungen und wie wir mit ihnen umgehen machen uns zu den Menschen, die wir sind. Für hochrangige Politiker und für Nationen können sie den Unterschied bedeuten zwischen Krieg und Frieden, Armut und Wohlstand.

Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich als Kind liebevoller und fürsorglicher Eltern in einem Land zur Welt kam, das mir alle Möglichkeiten und Segnungen bot – Faktoren außerhalb meiner Kontrolle, die die Bühne bereitet haben für das Leben, das ich geführt habe, und die mir die Werte und den Glauben mitgaben, zu denen ich mich bekenne. Als ich als junge Anwältin beschloss, eine Karriere in Washington nicht weiterzuverfolgen, sondern stattdessen nach Arkansas zu ziehen, um Bill zu heiraten und eine Familie zu gründen, fragten mich Freundinnen und Freunde: »Bist du nicht mehr ganz bei Trost?« Ähnliche Fragen bekam ich zu hören, als ich mich als First Lady für eine Reform des Gesundheitswesens starkmachte, später selbst für die Präsidentschaft kandidierte und schließlich das Angebot von Präsident Barack Obama annahm, unser Land als Außenministerin zu vertreten.

Wenn ich Entscheidungen treffe, höre ich dabei sowohl auf mein Herz als auch auf meinen Verstand. Ich folgte meinem Herzen nach Arkansas; mein Herz quoll über vor Liebe, als unsere Tochter Chelsea geboren wurde; und mein Herz schmerzte, als mein Vater und meine Mutter starben. Mein Verstand drängte mich, meine Ausbildung voranzutreiben und berufliche Chancen zu ergreifen. Herz und Verstand bewegten mich, öffentliche Ämter anzustreben. Auf diesem ganzen Weg habe ich mich bemüht, Fehler nicht zweimal zu machen, dazuzulernen und mich weiterzuentwickeln; und ich habe darum gebetet, die Weisheit zu erlangen, künftig klügere Entscheidungen zu treffen.

Was für das tägliche Leben gilt, gilt auch für die höchsten Ränge der Regierung. Wer dafür sorgen muss, dass Amerika sicher, stark und wohlhabend bleibt, wird vor eine endlose Abfolge von Entscheidungen gestellt, wobei oft nur unzureichende Informationen vorliegen und widerstreitende Notwendigkeiten zu berücksichtigen sind. Das berühmteste Beispiel dafür aus meiner vierjährigen Amtszeit als Außenministerin ist vielleicht Präsident Obamas Befehl, ein Team von Navy SEALs in einer mondlosen Nacht nach Pakistan zu senden, um Osama bin Laden seiner gerechten Strafe zuzuführen. Die wichtigsten Berater des Präsidenten waren in dieser Sache geteilter Meinung. Die Informationen, die wir besaßen, waren triftig, aber alles andere als eindeutig. Die Risiken eines Fehlschlags waren beängstigend. Es stand immens viel auf dem Spiel – für unsere nationale Sicherheit, unseren Kampf gegen al-Qaida und unsere Beziehungen zu Pakistan. Doch vor allem begaben sich die tapferen SEALs und Hubschrauberpiloten in unmittelbare Todesgefahr. Es war eine so energische und mutige Demonstration von Führungsstärke, wie ich sie selten erlebt habe.

 

In diesem Buch geht es um Entscheidungen, die ich als Außenministerin traf, und um Entscheidungen, die Präsident Obama und ausländische Spitzenpolitiker aus aller Welt trafen. Einige Kapitel handeln von Ereignissen, die Schlagzeilen machten, andere befassen sich eher mit langfristigen Entwicklungen, die auch für künftige Generationen unsere Welt bestimmen werden.

Natürlich habe ich eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen, Personen, Länder und Ereignisse nicht erwähnt. Wenn ich ihnen allen den Platz eingeräumt hätte, den sie verdienen, hätte ich noch viel mehr Seiten gebraucht. Und ein weiteres Buch könnte ich füllen mit Würdigungen meiner großartigen Kollegen im State Department, für deren Dienste und Freundschaft ich überaus dankbar bin.

Als Außenministerin teilte ich unsere Entscheidungen und Herausforderungen in drei Kategorien ein: die Probleme, die wir geerbt hatten, darunter zwei Kriege und eine globale Finanzkrise; die neuen, oft unerwarteten Ereignisse und heraufziehenden Gefahren, von den Treibsänden des Nahen Ostens über die stürmischen Gewässer des Pazifiks bis hin zum unbekannten Terrain des Cyberspace; und schließlich die Möglichkeiten, die sich in einer zunehmend vernetzten Welt bieten und die dabei helfen können, das Fundament für die Vormachtstellung Amerikas im 21. Jahrhundert zu legen.

Ich ging diese Arbeit voller Vertrauen in die fortwährende Kraft und Entschlossenheit unseres Landes an, aber auch voller Demut, angesichts dessen, wie viel sich doch immer noch unserer Kenntnis und Kontrolle entzieht. Ich habe darauf hingearbeitet, die amerikanische Außenpolitik an dem neu auszurichten, was ich mit dem Begriff Smart Power bezeichnet habe. Um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein, müssen wir die traditionellen Werkzeuge der Außenpolitik – Diplomatie, Entwicklungshilfe und Militär – besser miteinander verzahnen, zugleich Energien und Ideen aus dem privaten Sektor aufnehmen und die Bürger – zumal jene Aktivisten, Organisatoren und Problemlöser, die wir unter dem Begriff der Zivilgesellschaft subsumieren – befähigen, sich ihren Herausforderungen selbst zu stellen und ihre Zukunft selbst zu gestalten. Wir müssen alle Stärken Amerikas darauf verwenden, eine Welt aufzubauen, in der wir mehr Partner und weniger Widersacher haben, mehr geteilte Verantwortung und weniger Konflikte, mehr gute Arbeitsplätze und weniger Armut, mehr gesamtgesellschaftlichen Wohlstand und weniger Umweltschäden.

Wie es im Nachhinein immer so ist, wünschte ich, wir könnten noch einmal zurückgehen und bestimmte Entscheidungen noch einmal überdenken. Ich bin aber doch stolz auf das, was wir geleistet haben. Dieses Jahrhundert begann für unser Land auf traumatische Weise – mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, mit den langen Kriegen, die darauf folgten, und mit einer tiefen Rezession. Wir mussten es besser machen, und ich glaube, das haben wir getan.

Diese Jahre waren für mich auch eine persönliche Reise, sowohl buchstäblich (ich besuchte insgesamt 112 Länder und legte fast eine Million Meilen zurück) als auch im übertragenen Sinne: vom schmerzlichen Ende meines Wahlkampfs 2008 bis hin zur unerwarteten Partnerschaft und Freundschaft mit meinem vormaligen Rivalen Barack Obama. Ich diene unserem Land seit Jahrzehnten auf die eine oder andere Weise. Dennoch habe ich in meinen Jahren als Außenministerin noch sehr viel über unsere außergewöhnlichen Stärken dazugelernt und darüber, worauf es ankommen wird, damit wir auch künftig daheim und im Ausland im Wettbewerb bestehen und erfolgreich sein werden.

Ich hoffe, dieses Buch wird all jenen dienlich sein, die erfahren möchten, wofür Amerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts stand und wie die Regierung Obama in einer schwierigen Zeit großen Herausforderungen entgegentrat. Meine Ansichten und Erlebnisse werden sicherlich von den Anhängern der Washingtoner Endlos-Soap – wer hat welche Position vertreten, wer hat sich wem widersetzt, wer war top, wer eher Flop – eingehend analysiert, doch für sie habe ich dieses Buch nicht geschrieben. Ich habe es vielmehr für Amerikaner und Menschen überall geschrieben, die in unserer sich rapide ändernden Welt nach Orientierung suchen, die verstehen möchten, wie Politiker und Nationen zusammenwirken können, warum es manchmal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen kommt und wie ihre Entscheidungen unser aller Leben beeinflussen: wie eine schwere Wirtschaftskrise in Athen, Griechenland, sich auf Unternehmen in Athens, Georgia, auswirkt; welche Folgen eine Revolution in Kairo, Ägypten, für das Leben in Cairo, Illinois, hat; und was eine diplomatische Krise in St. Petersburg, Russland, für Familien in St. Petersburg, Florida, bedeutet.

Nicht jede Geschichte in diesem Buch geht glücklich aus oder hat überhaupt ein Ende – so ist es nun mal in der Welt, in der wir leben –, aber sie alle sind Geschichten über Menschen, von denen wir etwas lernen können, egal ob wir mit ihnen übereinstimmen oder nicht. Es gibt immer noch Helden dort draußen: Friedensstifter, die auch in aussichtslos erscheinender Lage durchhielten; Regierungschefs, die sich allem Druck und aller Parteipolitik widersetzten und schwere Entscheidungen trafen; Männer und Frauen, die den Mut aufbrachten, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, um eine neue, bessere Zukunft zu gestalten. Das sind einige der Geschichten, die ich in diesem Buch erzähle.

Ich habe dieses Buch auch geschrieben, um die außergewöhnlichen Diplomaten und Entwicklungsexperten zu würdigen, die ich als 67. Außenministerin der Vereinigten Staaten die Ehre hatte, zu meinen Mitarbeitern zu zählen. Und ich habe es für all diejenigen geschrieben, die sich fragen, ob die Vereinigten Staaten noch das Zeug haben, die Führung zu übernehmen. Für mich lautet die Antwort darauf laut und deutlich: »Ja.« Obwohl das Gerede über den Niedergang Amerikas inzwischen Allgemeingut geworden ist, war mein Vertrauen in unsere Zukunft nie größer. Zwar gibt es in der heutigen Welt nur wenige Probleme, die die Vereinigten Staaten alleine lösen könnten – noch weniger Probleme aber lassen sich ohne die Vereinigten Staaten lösen. Alles, was ich getan und gesehen habe, hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass Amerika die »unverzichtbare Nation« ist und bleibt. Ich bin allerdings ebenso überzeugt, dass unsere Vorherrschaft kein Geburtsrecht ist. Jede Generation muss sie sich neu verdienen.

Und das werden wir tun – solange wir unseren Werten treu bleiben und uns daran erinnern, dass wir erst in zweiter Hinsicht Republikaner oder Demokraten sind, Liberale oder Konservative (und was es sonst noch an Etiketten gibt, die uns oft eher trennen als definieren), in erster Hinsicht aber alle Amerikaner, die alle einen persönlichen Beitrag zu unserem Land leisten.

Als ich dieses Buch zu schreiben begann, kurz nach meinem Abschied aus dem State Department, überlegte ich mir eine ganze Reihe möglicher Titel dafür. Dann bat freundlicherweise auch die Washington Post ihre Leser, Vorschläge einzusenden. Einer lautete It Takes a World, was eine passende Fortsetzung von It Takes a Village gewesen wäre, meines Buches aus dem Jahr 1996. Mein Favorit aber war: The Scrunchie Chronicles: 112 Countries and It’s Still All About My Hair – »Die Haargummi-Chroniken. 112 Länder, aber immer ging es nur meine Frisur«.

Der Titel, den dieses Buch nun trägt, fasst am besten meine Erfahrungen, Gedanken und Gefühle auf dem Hochseil der internationalen Diplomatie zusammen. Welche Entscheidungen wir treffen, welche Weichen wir stellen, davon wird auch abhängen, ob Amerika seine Stellung im 21. Jahrhundert wahren kann. Eines allerdings war für mich nie eine schwere Entscheidung: unserem Land zu dienen. Es war die größte Ehre meines Lebens.

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TEIL I Neubeginn

Kapitel 1 2008: Ein Team von Rivalen

Was um alles in der Welt tat ich hier? Flach auf dem Rücksitz eines blauen Minivans mit getönten Scheiben liegend? Gute Frage. Ich versuchte, meine Wohnung in Washington, D.C., zu verlassen, ohne dass die Reporter mich sahen, die das Haus auf der Vorderseite belagerten.

Es war der Abend des 5. Juni 2008, und ich befand mich auf dem Weg zu einem Geheimtreffen mit Barack Obama – und nicht etwa zu jenem Termin, auf den ich noch vor einigen Monaten gehofft und mit dem ich auch gerechnet hatte. Es war anders gekommen. Ich hatte verloren, er hatte gewonnen. Bisher hatte ich keine Zeit gehabt, diese Tatsache zu begreifen. Es waren historische Präsidentschaftsvorwahlen gewesen – wegen seiner Rasse, wegen meines Geschlechts. Und sie waren zermürbend, hitzig, lang und im Ergebnis sehr knapp gewesen. Ich war enttäuscht und erschöpft. Bis zur letzten Minute hatte ich einen harten Wahlkampf geführt und am Ende doch den Kürzeren gezogen. Nun war es an der Zeit, Barack Obama zu unterstützen. Die Menschen, für deren Anliegen ich gekämpft hatte, die Amerikaner, die keinen Arbeitsplatz und keine Krankenversicherung hatten, die sich kein Benzin, keine Lebensmittel und kein College leisten konnten, die während der vergangenen sieben Jahre das Gefühl gehabt hatten, dass ihre Regierung sie völlig übersah: Sie alle waren jetzt darauf angewiesen, dass Barack Obama der 44. Präsident der Vereinigten Staaten wurde.

Den Hebel umzulegen würde nicht einfach werden, weder für mich noch für meine Mitarbeiter und Anhänger, die alles gegeben hatten. Um ehrlich zu sein: Auch für Barack und seine Unterstützer würde das nicht einfach werden. Seine Wahlkampfmannschaft war mir und meinem Team gegenüber genauso misstrauisch eingestellt wie umgekehrt. Auf beiden Seiten hatte es heftige Wortgefechte und verletzte Gefühle gegeben, und obwohl seine Anhänger starken Druck ausgeübt hatten, hatte ich mich geweigert, aufzugeben, bevor nicht die letzte Stimme ausgezählt war.

Zwei Tage vor dem Ende des Rennens hatte ich mich mit Barack unterhalten. Es war spät am Abend, die letzten Vorwahlen in Montana und South Dakota lagen hinter uns. »Lassen Sie uns in Ruhe reden, sobald Sie es für sinnvoll halten«, sagte er. Am nächsten Tag kreuzten sich unsere Wege in Washington am Rande einer schon seit langem geplanten Konferenz des American Israel Public Affairs Committee. Die Situation war zwar ein wenig seltsam, sie verschaffte unseren engsten Vertrauten aber die Gelegenheit, die Einzelheiten eines möglichen Treffens zu diskutieren. Für mich übernahm das meine Reisestabschefin Huma Abedin, eine ausgebuffte, unermüdliche, elegante junge Frau, die schon seit meiner Zeit im Weißen Haus für mich arbeitete. Obama wurde von Reggie Love vertreten, dem früheren Basketballspieler von der Duke University, der kaum einmal von Baracks Seite wich. Huma und Reggie hatten den Gesprächsfaden auch in den turbulentesten Wahlkampfzeiten nicht abreißen lassen und eine Art Hotline aufrechterhalten. Unter anderem hatten Barack und ich nach jeder Vorwahl miteinander telefoniert, unabhängig davon, wie sie ausgegangen war. Man gestand eine Niederlage ein und sprach Glückwünsche aus. Manchmal waren es herzliche und sogar fröhliche Gespräche – wenigstens einer von uns beiden hatte schließlich einen Grund, gut gelaunt zu sein. Dann wieder waren wir nur kurz angebunden, tauschten gerade das Nötigste aus. Aber auch Fußballtrainer fallen sich nach einem Spiel schließlich nicht immer um den Hals.

 

Damit wir uns in Ruhe treffen und unterhalten konnten, brauchten wir einen Ort abseits des Medienrummels. Also rief ich meine gute Freundin Dianne Feinstein, Senatorin aus Kalifornien, an. Ich fragte sie, ob wir ihre Wohnung in Washington nutzen könnten. Aus meiner Sicht eignete sich der Ort, den ich von früheren Besuchen kannte, perfekt: Wir konnten kommen und gehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Barack war einverstanden. Das Täuschungsmanöver klappte.

Und da lag ich nun, auf dem Rücksitz des Wagens, und rutschte ordentlich hin und her, als wir am Ende meiner Straße die scharfe Kurve zur Massachusetts Avenue nahmen. Aber immerhin war ich unterwegs.

Ich kam als Erste bei Diannes Wohnung an. Als Barack eintraf, bot Dianne jedem von uns ein Glas kalifornischen Chardonnay an, dann ließ sie uns in ihrem Wohnzimmer allein. Wir saßen uns in Ohrensesseln vor dem Kamin gegenüber. Trotz aller Zusammenstöße im vergangenen Jahr zollten wir einander Respekt, der seine Wurzeln nicht zuletzt in unseren gemeinsamen Erfahrungen hatte. Sich um das Präsidentenamt zu bewerben ist intellektuell fordernd, emotional anstrengend und körperlich ermüdend. Aber so verrückt ein landesweiter Wahlkampf sein mag – er ist Zeichen einer lebendigen Demokratie mit all ihren Fehlern und Mängeln. Nachdem wir das aus nächster Nähe erlebt hatten, war unsere Wertschätzung füreinander gewachsen: Wir hatten uns »in den Ring« begeben, wie Theodore Roosevelt es genannt hatte, und einen langen Weg zurückgelegt.

Als wir uns bei Dianne trafen, kannte ich Barack seit vier Jahren. Zwei davon hatten wir »im Ring« gestanden. Wie viele Amerikaner war ich von der Rede beeindruckt gewesen, die er 2004 beim Parteitag der Demokraten in Boston gehalten hatte. Im gleichen Jahr hatte ich zuvor bereits seinen Senatswahlkampf unterstützt, indem ich bei uns zu Hause in Washington ein Fundraising abgehalten und eine weitere Spenderversammlung in Chicago besucht hatte. Später hatte ich in meinem Senatsbüro stets ein Foto von ihm, Michelle, den beiden Töchtern der Obamas und mir stehen, das bei jener Veranstaltung in Chicago entstanden war. Das Bild stand zur Überraschung vieler noch immer an seinem Platz, als ich nach den verlorenen Vorwahlen wieder meine Vollzeitbeschäftigung im Senat aufnahm. Wir hatten als Kollegen bei verschiedenen Themen zusammengearbeitet, und nach dem Hurrikan Katrina hatten Bill und ich Barack eingeladen, gemeinsam mit George und Barbara Bush nach Houston zu kommen, die Evakuierten zu besuchen und mit Vertretern der Hilfskräfte zu sprechen.

Wir hatten einiges gemeinsam: Wir haben beide Jura studiert und unsere Karrieren sozusagen an der gesellschaftlichen Basis, als Aktivisten für soziale Gerechtigkeit, begonnen. Ich hatte beim Kinderschutzbund gearbeitet, in Texas Wähler mit lateinamerikanischen Wurzeln registriert und als Pflichtverteidigerin mittellose Menschen vertreten. Barack war an der South Side von Chicago als Community Organizer tätig gewesen. Wir hatten zwar ganz unterschiedliche Lebensgeschichten und Erfahrungen, teilten aber die altmodische Idee, dass Arbeit für die Allgemeinheit ein edles Anliegen ist, und wir glaubten zutiefst an das, was den Kern des amerikanischen Traumes bildet: Ganz gleich wer du bist oder woher du kommst, wenn du hart arbeitest und dich an die Regeln hältst, sollst du die Gelegenheit bekommen, für dich selbst und deine Familie ein gutes Leben aufbauen zu können.

Wahlkämpfe allerdings sind nicht geprägt von Gemeinsamkeiten, sondern vom Hervorheben von Unterschieden – und da waren unsere Kampagnen keine Ausnahmen. Obwohl wir uns in den meisten Fragen weitgehend einig waren, fanden wir viele Gründe für Meinungsverschiedenheiten und nutzten jede Gelegenheit, um diese auszutragen. Mir war klar, dass hochkarätige politische Kampagnen nichts für zaghafte oder dünnhäutige Menschen sind, doch die Liste an Kränkungen, die sowohl Barack und ich als auch unsere Mitarbeiter vorweisen konnten, war lang. Jetzt war es an der Zeit, reinen Tisch zu machen. Wir wollten das Weiße Haus gewinnen, und für das Land, aber ebenso für mich persönlich, war es wichtig, nach vorn zu schauen.

Eine ganze Weile beäugten wir einander, befangen wie zwei Teenager bei ihrer ersten Verabredung. Nach ein paar Schlucken Chardonnay brach Barack das Eis: Es sei schon ein verdammt harter Wahlkampf gewesen, den ich gegen ihn geführt hätte … Dann bat er mich ohne Umschweife um Hilfe, die Partei wieder zu einen und die Präsidentschaft zu gewinnen. Er wollte, dass wir beide so bald wie möglich gemeinsam auftraten und auf dem Parteitag der Demokraten in Denver Einigkeit und Siegeswillen demonstrierten. Und er betonte, dass ihm Bills Hilfe ebenfalls sehr wichtig sei.

Dass ich seiner Bitte entsprechen würde, wusste ich längst. Aber vorher musste ich noch einige unangenehme Situationen aus dem letzten Jahr ansprechen. Keiner von uns hatte alles, was im Laufe des Wahlkampfs gesagt oder getan worden war, vollständig unter Kontrolle, ganz zu schweigen von unseren leidenschaftlichsten Unterstützern oder der politischen Presse, zu der auch eine große Schar von Bloggern gehörte. Auf beiden Seiten waren Bemerkungen aus dem Zusammenhang gerissen worden. Besonders schmerzlich für mich waren die absurden Rassismusvorwürfe gewesen, mit denen Bill sich auseinandersetzen musste. Barack versicherte mir, weder er noch seine Mitarbeiter hätten den Anschuldigungen Glauben geschenkt.

Ich sprach auch den Sexismus an, mit dem ich während des Wahlkampfs immer wieder konfrontiert worden war. Dass Sexismus eine unschöne Begleiterscheinung ist, wann immer es um die Rolle von Frauen in der Gesellschaft geht, machte es für mich und meine Anhänger nicht einfacher. Barack reagierte mit sehr persönlichen, bewegenden Worten. Er erzählte von den Kämpfen, die seine Großmutter hatte ausfechten müssen und wie stolz er auf Michelle, Malia und Sasha sei. Er sei von tiefstem Herzen überzeugt, dass Frauen es verdienten, in unserer Gesellschaft ganz und gar gleichberechtigt zu sein.

Die Aufrichtigkeit und Offenheit unseres Gesprächs beruhigte mich und bestärkte mich in meinem Entschluss, Barack zu unterstützen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, ich wäre diejenige gewesen, die ihn um Unterstützung bat. Aber jetzt ging es darum, die eigentliche Wahl zu gewinnen. Baracks Erfolg war der beste Garant dafür, die Werte und die fortschrittlichen politischen Ziele voranzubringen, für die ich während der letzten beiden Jahre – und während meines ganzen Lebens – gekämpft hatte.

Barack wollte wissen, was er tun müsse, um meine Anhänger davon zu überzeugen, sich seinem Wahlkampf anzuschließen. Ich erwiderte, er müsse ihnen Zeit geben, doch wenn er ihnen das Gefühl gebe, willkommen zu sein, würde die große Mehrheit sicher bereit sein, mitzumachen. Schließlich war er jetzt der Bannerträger unserer Interessen, und wenn mir, die ich alles getan hatte, um ihn zu schlagen, der Wechsel gelang, dann würden sie das auch schaffen. Am Ende unterstützten sie tatsächlich fast alle seine Präsidentschaftskampagne.

Nach eineinhalb Stunden hatten wir geklärt, was zu klären war, und konnten nun darüber reden, wie es weitergehen sollte. Später am Abend verschickte Barack per E-Mail den Entwurf für eine gemeinsame Erklärung, die sein Wahlkampfstab herausgeben würde. Darin wurde erwähnt, dass wir uns getroffen und eine »fruchtbare Diskussion« darüber geführt hätten, was getan werden müsse, »damit wir im November Erfolg haben«. Außerdem bat er mich um eine Telefonnummer, unter der er Bill erreichen konnte, um persönlich mit ihm zu sprechen.

 

Am darauffolgenden Tag gaben Bill und ich im Garten unseres Hauses in D.C. einen Empfang für unseren Wahlkampfstab. Es war ein brütend heißer Tag, und während wir Geschichten über die unglaublichen Windungen und Wendungen der Vorwahlkampfsaison austauschten, mühten wir uns nach Kräften, keinen Hitzschlag zu bekommen. Dieses engagierte Team um mich zu haben, das so hart für mich gekämpft hatte, war großartig – und ließ mich zugleich demütig werden. Manche von ihnen waren Freunde, die schon bei den Wahlkämpfen in Arkansas an unserer Seite gewesen waren, viele jüngere Mitarbeiter erlebten das zum ersten Mal. Ich wollte nicht, dass sie sich durch die Niederlage entmutigen ließen oder dass sie sich ganz von der Politik und dem Dienst an der Allgemeinheit abwandten. Deshalb sagte ich, sie sollten stolz darauf sein, dass wir uns so gut geschlagen hatten, und weiterhin für die Anliegen und die Kandidaten arbeiten, an die wir glaubten. Ich wusste, dass ich mit gutem Beispiel vorangehen musste, dass meine Leute sich an mir orientieren würden. Alle würden eine gewisse Zeit brauchen, um über die Ereignisse der letzten Monate hinwegzukommen, aber ich machte schon jetzt klar, dass ich Barack Obama zu hundert Prozent unterstützen würde. Auch wenn mein Kamingespräch mit ihm am Abend zuvor nicht viel mehr als ein Anfang gewesen war.

Trotz des eher traurigen Anlasses entspannten sich unsere Gäste mit der Zeit und genossen den Abend. Meine liebe Freundin Stephanie Tubbs Jones, eine furchtlose afroamerikanische Kongressabgeordnete aus Ohio, die heftigem Druck getrotzt hatte und während der gesamten Vorwahlen an meiner Seite geblieben war, ließ die Füße im Swimmingpool baumeln und gab lustige Geschichten zum Besten. Als sie zwei Monate später ganz plötzlich an einem Gehirnaneurysma starb, war das ein schrecklicher Verlust. Für ihre Angehörigen, für ihre Wähler, aber auch für meine Familie und mich. An diesem Tag jedoch waren wir noch erprobte Kampfgefährtinnen, die sich auf eine bessere Zukunft freuten.

Noch am Abend segnete ich Zeitpunkt und Ort meines letzten Wahlkampfauftritts am nächsten Tag ab und begann, an meiner Rede zu schreiben. Sie zu formulieren war nicht einfach. Ich musste meinen Anhängern danken, die historische Bedeutung meines Wahlkampfs hervorheben, weil ich als erste Frau überhaupt eine Vorwahl gewonnen hatte, und gleichzeitig Barack jene Rückendeckung geben, die ihm bei der alles entscheidenden Wahl helfen würde. Eine Menge Ballast für eine einzige Rede – und ich hatte nicht viel Zeit.

Während ich überlegte, wie ich die Balance finden konnte, zwischen »Respekt meinen Wählern gegenüber zollen« und »Den Blick in die Zukunft richten«, musste ich daran denken, dass sich erbitterte Vorwahlkämpfe manchmal bis zum Parteitag hingezogen hatten; vor allem die Kampagne Ted Kennedys, der 1980 vergeblich versucht hatte, Präsident Carter herauszufordern, war mir dabei in Erinnerung geblieben. Ich wollte nicht zulassen, dass die Geschichte sich wiederholte. Das wäre weder für unsere Partei noch für das Land gut. Ich musste schnell und vor allem mit deutlichen Worten dazu übergehen, Barack öffentlich zu unterstützen und für ihn Wahlkampf zu machen.

Um den richtigen Ton und die richtigen Worte zu finden, sprach ich mit verschiedenen Redenschreibern und Beratern. Jim Kennedy, ein alter Freund mit einem magischen Gespür für griffige, einprägsame Formulierungen, erzählte mir, dass ihm kürzlich mitten in der Nacht der Gedanke gekommen sei, dass jeder der 18 Millionen Menschen, die für mich gestimmt hatten, (im übertragenen Sinn) einen Sprung in der gläsernen Decke hinterlassen hätten, auch wenn wir sie am Ende nicht hatten zerstören können. Auf ein solches Bild konnte und wollte ich aufbauen – die üblichen Plattitüden mochte ich nicht wiederholen. Wenn es mir gelang, das in meine eigenen Worte zu fassen und gleichzeitig eine Begründung zu liefern, warum Barack die richtigen Ideen und den richtigen Charakter für einen Präsidenten hatte, wäre das ein großer Wurf. Ich blieb bis in die frühen Morgenstunden auf, saß mit Bill an unserem Küchentisch und arbeitete einen Entwurf nach dem anderen um.

Am Samstag, dem 7. Juni, hielt ich die Rede im National Building Museum in Washington. Einen Veranstaltungsort zu finden, der die erwartete Zahl von Anhängern und Pressevertretern aufnehmen konnte, war nicht einfach gewesen. Ich war erleichtert, als die Entscheidung für das sogenannte Pension Building gefallen war, ein Gebäude mit gewaltigen Säulen und hohen Decken. Der Backsteinbau war ursprünglich für Veteranen, Witwen und Waisen des Bürgerkriegs errichtet worden, inzwischen ist dort das nationale Architekturmuseum der Vereinigten Staaten untergebracht. Bis heute ist das Pension Building aber Symbol für eine Haltung: für gelebte gemeinsame Verantwortung.

Bill, Chelsea und meine 89-jährige Mutter Dorothy Rodham waren an meiner Seite, als ich mir den Weg durch die Menge zum Rednerpult bahnte. Die Atmosphäre erinnerte ein wenig an einen Leichenschmaus – sie war aufgeladen von Gefühlen, Traurigkeit und sicher auch Wut, und ebenso von Stolz und sogar Liebe. Eine Frau trug einen großen Button mit der Aufschrift »Hillary for Pope!«. Nun ja, das stand definitiv nicht zur Debatte, dennoch rührte es mich.

Diese Rede zu schreiben war schon schwer gewesen, sie zu halten war es noch viel mehr. Ich fühlte mich, als hätte ich Millionen Menschen im Stich gelassen, vor allem die Frauen und Mädchen, die ihre Hoffnungen in mich gesetzt hatten.

Als Erstes dankte ich allen, die für mich in den Wahlkampf gezogen und mir ihre Stimme gegeben hatten. Ich sagte, dass ich mich auch weiterhin dafür engagieren würde, »den Menschen zu helfen, damit sie ihre Probleme lösen und ihre Träume wahr werden lassen können«. Dann wandte ich mich an die Frauen aus der Generation meiner Mutter, die zu einer Zeit geboren worden waren, als Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten, und die jetzt, nach einem langen Leben, Zeugen wurden, wie ich mich um die Präsidentschaft beworben hatte. Eine dieser Frauen war die 88-jährige Florence Steen aus South Dakota: Sie hatte darauf bestanden, dass ihre Tochter ihr die Briefwahlunterlagen an ihr Bett im Hospiz brachte. Weil sie aber vor dem Wahltag verstarb, war ihre Stimme nach den Gesetzen des Bundesstaates ungültig. Aber, wie ihre Tochter später einem Reporter erzählte: »Mein Dad ist ein störrischer alter Cowboy, dem es gegen den Strich ging, dass die Stimme meiner Mama nicht zählen sollte. Ich glaube, er war seit zwanzig Jahren nicht wählen. Doch dieses Mal ist er hingegangen und hat anstelle meiner Mama seine Stimme abgegeben.« Diejenige zu sein, auf die sich die Hoffnungen und Gebete von Millionen Menschen konzentrierten, war herausfordernd, eine große Verantwortung, die mir immer wieder deutlich machte, dass es weit mehr um sie ging als um mich.

Als Nächstes sprach ich die Enttäuschung meiner Anhänger direkt an: »Auch wenn es uns dieses Mal nicht gelungen ist, diese höchste, härteste gläserne Decke zu durchstoßen, hat sie jetzt dank euch 18 Millionen Sprünge. Und durch sie scheint das Licht wie nie zuvor, es erfüllt uns alle mit Hoffnung und dem sicheren Wissen, dass der Weg beim nächsten Mal ein wenig einfacher sein wird.« Ich versprach: »Ihr werdet mich immer an der vordersten Front der Demokratie finden, um dort für die Zukunft zu kämpfen. Aber um die Ziele zu erreichen, für die wir stehen, müssen wir unsere Energie, unsere Leidenschaft, unsere Stärke nun bündeln und alles dafür tun, dass Barack Obama zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird.«

 

Es war nicht leicht für mich, die Niederlage wegzustecken, doch ich lernte eine Menge daraus. Im Laufe der Jahre hatte ich ein gerüttelt Maß an privaten und öffentlichen Enttäuschungen erlebt, aber bis 2008 hatte ich mich auch über eine ungewöhnliche Serie von Wahlerfolgen freuen können – zuerst an der Seite meines Mannes in Arkansas und bei der Präsidentschaft, später bei meinen Bewerbungen um den Senatsposten in den Jahren 2000 und 2006. Der Abend der Vorwahlen in Iowa dagegen, als ich nur den dritten Platz belegt hatte, war qualvoll gewesen. Als es danach weiter nach New Hampshire und dann quer durch das ganze Land gegangen war, hatte ich meinen Halt und meine Stimme gefunden. Angesichts der vielen Amerikaner, die ich unterwegs kennengelernt hatte, war meine Stimmung gestiegen, meine Entschlossenheit gewachsen. Meinen Sieg bei den Vorwahlen von Ohio hatte ich allen in Amerika gewidmet, »die schon einmal angezählt waren, sich aber nicht k.o. schlagen lassen wollten; allen, die gestolpert und sofort wieder aufgestanden sind, und allen, die hart arbeiten und niemals aufgeben«. Die Geschichten all der Menschen, denen ich während des Wahlkampfs begegnet war, hatten mich in meinem Glauben an die grenzenlosen Verheißungen unseres Landes bestärkt, mir aber auch klargemacht, wie viel wir noch tun mussten, damit diese Verheißungen allen zugutekamen. Und obwohl der Wahlkampf lang und ermüdend gewesen war und viel zu viel Geld gekostet hatte, war er am Ende doch ein Erfolg: weil er den Wählern, was die Zukunft unseres Landes anging, eine echte Alternative geboten hatte.

Die Niederlage hatte noch einen weiteren positiven Effekt: Der Wahlkampf hatte mich auf eine harte Probe gestellt, was den Umgang mit meinen Kritikern anging. Ich lernte mit der Zeit, Kritik ernst, aber nicht persönlich zu nehmen – und das machte mich freier. Ich konnte, buchstäblich, die Haare offen lassen. In meiner Zeit als Außenministerin fragte mich Jill Dougherty von CNN einmal in einem Interview während einer Indienreise nach der Besessenheit der Medien, mich nach langen Flügen mit Brille und ohne Make-up zu zeigen. Als sie diese Fotos mit »Hillary al naturale« umschrieb, musste ich lachen. »Wissen Sie, Jill, ich bin froh, dass ich mich inzwischen in einer Lebensphase befinde, in der ich eine Brille tragen kann, wenn ich das möchte. Und wenn ich meine Haare zurückbinden will, dann tue ich das.« Manche Journalisten, die im State Department über mich berichteten, waren überrascht, wenn ich hin und wieder den diplomatischen Kodex missachtete und genau das sagte, was mir durch den Kopf ging – egal ob es nun darum ging, den Staatschef von Nordkorea zu rüffeln oder die Regierung Pakistans zu drängen, uns den Aufenthaltsort von Osama bin Laden mitzuteilen. Aber schon bei solchen Äußerlichkeiten einen Eiertanz zu vollführen, dazu hatte ich einfach nicht mehr die Geduld.

Später würde mir die Niederlage auch die Möglichkeit eröffnen, mich mit Politikern anderer Staaten darüber zu unterhalten, wie man Entscheidungen der Wähler akzeptiert und zum Wohle des eigenen Landes nach vorn blickt. Auf der ganzen Welt gibt es Staatschefs, die vermeintlich für Demokratie eintreten, sie jedoch nach Kräften unterdrücken, wenn die Wähler protestieren oder sie abwählen. Mir wurde klar, dass ich ein anderes Vorbild abgeben konnte. Natürlich war ich froh, dass ich gegen einen Kandidaten verloren hatte, dessen Ansichten weitgehend mit meinen eigenen übereinstimmten und der sich unendlich viel Mühe gab, mich nun in seine Mannschaft zu integrieren. Dennoch war die Tatsache, dass wir leidenschaftliche Gegner gewesen waren und jetzt zusammenarbeiteten, ein recht eindrucksvolles Argument für die Demokratie – ein Argument, das ich in den folgenden Jahren auf der ganzen Welt immer und immer wieder anbringen würde, als ich einen Beruf ausübte, den ich mir nie hätte träumen lassen.

* * *

Drei Wochen nach meiner Rede im Building Museum war ich unterwegs nach Unity in New Hampshire. Der Ort war nicht nur wegen seines Namens für meinen ersten Auftritt mit Barack ausgewählt worden, sondern auch weil wir dort in den Vorwahlen genau gleich viele Stimmen erhalten hatten: 107 für Barack, 107 für mich. In Washington bestiegen wir gemeinsam Baracks Wahlkampfmaschine. Als wir landeten, wartete ein großer Reisebus, der uns in knapp zwei Stunden nach Unity bringen sollte. Ich musste an die Busfahrt denken, die Bill und ich zusammen mit Al und Tipper Gore 1992 unmittelbar nach dem Parteitag der Demokraten unternommen hatten. Und auch The Boys on the Bus kam mir in den Sinn, das berühmte Buch von Timothy Crouse über den Wahlkampf von 1972. Dieses Mal war ich das »Girl« im Bus – und bei dem Kandidaten handelte es sich weder um mich noch um meinen Ehemann. Ich atmete tief durch und stieg ein.

Barack und ich saßen nebeneinander und unterhielten uns ungezwungen. Ich erzählte ein wenig von unseren Erfahrungen mit Chelsea, die im Weißen Haus aufgewachsen war. Er und Michelle machten sich bereits Gedanken darüber, wie das Leben für Malia und Sasha aussehen würde, falls er gewinnen sollte.

Von der eigentlichen Wahlkampfveranstaltung, die an einem herrlichen Sommertag auf einem großen Feld stattfand, sollte eine unmissverständliche Botschaft ausgehen: Die Vorwahlen lagen hinter uns, wir waren jetzt ein Team. Als wir zu »Beautiful Day« von U2 auf das Podium stiegen, skandierten die Menschen »Barack« und »Hillary«. Weit hinten in der Menge hielten Menschen die Buchstaben U-N-I-T-Y in die Höhe, und auf einem blauen Banner hinter uns stand »Unite for Change«.

»Heute und von nun an jeden Tag treten wir Seite an Seite für unsere gemeinsamen Ideale ein, für die Werte, die wir schätzen, und für das Land, das wir lieben«, sagte ich mit Blick auf die Menge. Als ich geendet hatte, brandete lauter Jubel auf: »Danke, Hillary, danke, Hillary.« Dann übernahm Barack: »Ihr habt wohl in mein Redemanuskript gelinst, ihr kennt ja schon die erste Zeile«, scherzte er. Anschließend sprach er ausführlich und wohlwollend über meinen Wahlkampf. Ein paar Tage später klärten Bill und er in einem langen Gespräch alle verbliebenen Themen aus den Vorwahlen und kamen überein, gemeinsam in den Wahlkampf zu ziehen.

 

Das größte Ereignis des Sommers 2008 war der Parteitag der Demokraten in Denver Ende August. Ich hatte seit 1976 an jedem Parteitag teilgenommen und erinnerte mich – aus naheliegenden Gründen – besonders gern an die Veranstaltungen 1992 in New York und 1996 in Chicago. Barack hatte mich gebeten, ihn in einer Rede, die zur besten Sendezeit übertragen wurde, formell zu nominieren, und ich hatte zugesagt.

Chelsea stellte mich offiziell vor. Mein Stolz auf sie und meine Dankbarkeit für ihre Arbeit während des langen Vorwahlkampfs hätten größer nicht sein können. Sie war allein kreuz und quer durchs Land gereist, sie hatte vor jungen Menschen gesprochen und überall, wo sie aufgetreten war, die Massen mobilisiert. Als ich sie nun in der bis auf den letzten Platz gefüllten Versammlungshalle stehen sah, konnte ich kaum fassen, wie selbstsicher – und vor allem, wie erwachsen sie geworden war.

Dann war ich an der Reihe. Ich begab mich zum Mikrofon und blickte in ein Meer aus roten, weißen und blauen »Hillary«-Schildern. Ich habe schon viele Reden gehalten, aber diese war etwas Besonderes: Ich stand vor einem riesigen Publikum, und Millionen Menschen würden meinen Auftritt im Fernsehen verfolgen. Ich muss zugeben, dass ich nervös war. Buchstäblich bis zur allerletzten Minute hatte ich an der Rede gefeilt; als mein Fahrzeugkonvoi am Versammlungsort eintraf, musste einer meiner Helfer aus dem Van springen und losspurten, um den Speicherstick noch rechtzeitig an den Verantwortlichen für den Teleprompter zu übergeben. Obamas Wahlkampfteam hatte das Manuskript schon viel früher sehen wollen. Weil ich es nicht herausrückte, fürchteten einige seiner Berater, mein Text könne Formulierungen enthalten, die nicht in ihrem Sinne seien. In Wirklichkeit war es mir nur darum gegangen, jede Sekunde zu nutzen und alles richtig zu machen.

»Ob ihr für mich oder für Barack gestimmt habt, jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns zu einer einzigen Partei mit einem einzigen Ziel vereinen. Wir gehören alle zum selben Team – und keiner von uns kann es sich leisten, abseits zu stehen. Dies ist ein Kampf für die Zukunft. Und es ist ein Kampf, den wir gemeinsam gewinnen müssen«, sagte ich. »Barack Obama ist mein Kandidat. Und er muss unser Präsident werden.«

Nach meinem Auftritt fing mich Joe Biden vor dem Aufenthaltsraum ab, fiel auf die Knie und küsste mir die Hand. (Galantes Benehmen ist passé? Von wegen!) Barack rief von Billings in Montana an und bedankte sich. Zuvor war ich Michelle im Backstage-Bereich zufällig in die Arme gelaufen. Barack und ich hatten beide die Erfahrung gemacht, dass die jeweiligen Ehepartner den politischen Gegner im Wahlkampfeifer manchmal besonders heftig attackieren. Doch was Michelle und mich verband, war das Wissen, wie schwierig es ist, unter den Augen der Öffentlichkeit Kinder großzuziehen.

Einige Monate später trafen wir uns zu einem privaten Mittagessen im Yellow Oval Room in der ersten Etage des Weißen Hauses. Wir unterhielten uns darüber, wie sich die neue First Family eingelebt hatte, und sprachen über Michelles Pläne, Übergewicht bei Kindern durch gesündere Ernährung und mehr Bewegung zu bekämpfen. Wir saßen an einem kleinen Tisch an der südlichen Fensterfront und blickten über den Truman-Balkon hinweg zum Washington Monument. Es war das erste Mal, dass ich seit unserem Auszug am 20. Januar 2001 wieder in den Privaträumen des Weißen Hauses war, und ich freute mich, die Angestellten wiederzusehen, mit deren Hilfe sich jede Präsidentenfamilie hier schnell heimisch fühlt. Als ich 1993 First Lady geworden war, hatte es mir viel bedeutet, dass Jacqueline Kennedy, Rosalynn Carter und Barbara Bush mir von ihren Erfahrungen erzählten. Nur wenige von uns haben das Privileg, in einem Regierungssitz zu wohnen – nun wollte ich der neuen First Lady jede nur erdenkliche Hilfestellung geben.

 

Ich hatte geglaubt, die Rede werde meine einzige Aufgabe auf dem Parteitag sein, aber eine zu allem entschlossene Gruppe meiner Delegierten hatte immer noch die Absicht, bei den sogenannten Roll Calls der einzelnen Staaten für mich zu stimmen. Obamas Wahlkampfteam fragte daher an, ob ich am nächsten Tag noch einmal kommen und diese namentliche Abstimmung unterbrechen würde, um für eine sofortige Erklärung zu werben, dass Barack Obama von unserer Partei nominiert sei. Ich war einverstanden, auch wenn ich nachvollziehen konnte, dass nicht wenige meiner Freunde, Anhänger und Delegierten mich anflehten, es nicht zu tun. Sie wollten das zu Ende bringen, was sie angefangen hatten. Außerdem wollten sie für die Geschichtsbücher festhalten, dass eine Frau nahezu zwei Dutzend Vorwahlen gewonnen und fast 1900 Delegierte hinter sich gebracht hatte, was nie zuvor geschehen war. Wenn die namentliche Abstimmung tatsächlich abgebrochen würde, so ihre Sorge, werde niemand unsere Anstrengungen angemessen anerkennen. Ich konnte mich der Rührung über ihre energische Loyalität nicht erwehren, aber mir war es in diesem Moment wichtiger, unsere unverbrüchliche Einigkeit zu demonstrieren.

Einige meiner Anhänger ärgerten sich zudem, dass Barack nicht mich, sondern Biden zum Vizepräsidentschaftskandidaten ernannt hatte. Ich selbst hatte nie Ambitionen, Vizepräsidentin zu werden. Ich freute mich darauf, in den Senat zurückzukehren: Dort, so meine Hoffnung, konnte ich die Verantwortung für die Gesundheitsreform, die Schaffung von Arbeitsplätzen und andere wichtige und herausfordernde Themen übernehmen. Deshalb war ich mit Baracks Entscheidung von Herzen einverstanden, und ich war überzeugt, dass Joe nicht nur während des entscheidenden Wahlkampfs, sondern – im Fall eines Erfolgs – auch später im Weißen Haus ein Gewinn sein würde.

Dass ich ein weiteres Mal beim Parteitag erscheinen würde, blieb bis zur letzten Sekunde geheim. Als ich den Saal betrat – die Delegierten aus New York waren gerade zur Stimmabgabe aufgerufen worden –, entstand unter den Delegierten und Journalisten tatsächlich eine beträchtliche Unruhe. Von Freunden und Kollegen umringt, erklärte ich: »Den Blick fest auf die Zukunft gerichtet, im Geist der Einigkeit, mit dem Ziel unseres Sieges, mit dem Vertrauen in unsere Partei und unser Land, lasst uns mit einer Stimme sprechen und genau hier genau jetzt erklären, dass Barack Obama unser Kandidat ist und unser Präsident werden soll.« Anschließend beantragte ich, die namentliche Abstimmung abzubrechen und Barack durch Handzeichen zu nominieren. Oben auf dem Podium fragte Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, ob es Unterstützung für meinen Antrag gebe. Als der ganze Parteitag lautstark seine Zustimmung kundtat, lagen Energie und ein Hauch von Geschichte in der Luft. Gemeinsam versammelten wir uns hinter dem ersten afroamerikanischen Kandidaten einer großen Partei.

In dieser denkwürdigen Woche gab es eine weitere große Überraschung. Einen Tag nachdem Barack seine Parteitagsrede gehalten hatte, gab Senator John McCain, der designierte Kandidat der Republikaner, die Entscheidung für seinen Vize bekannt: Sarah Palin, die Gouverneurin von Alaska. Im ganzen Land ertönte ein lautes: »Wer?« In den folgenden Monaten sollten wir sie zwar alle noch kennenlernen, aber damals war Palin selbst unter Politik-Junkies nahezu unbekannt. In Obamas Wahlkampfteam vermutete man, dass ihre Nominierung ein plumper Versuch war, die enttäuschten Hoffnungen der Frauen, die mich so energisch unterstützt hatten, auf eine neue Kandidatin zu lenken. Sie gaben eine etwas herablassende Erklärung heraus und baten mich anschließend um Unterstützung. Dieser Bitte kam ich allerdings nicht nach. Ich würde Palin nicht deshalb angreifen, weil sie eine Frau war und um Unterstützung durch andere Frauen warb. Weder hielt ich das für politisch sinnvoll noch für richtig. Ich war überzeugt davon, dass es später genügend Gelegenheiten geben würde, sie zu kritisieren. Ein paar Stunden später vollzog das Wahlkampfteam Obamas eine Kehrtwende und gratulierte der Gouverneurin Palin.

 

In den folgenden Wochen besuchten Bill und ich mehr als hundert Wahlkampf- und Fundraising-Veranstaltungen. Dort sprachen wir mit Anhängern und unentschiedenen Wählern und setzten uns für Barack und Joe ein. Am Morgen des 4. November – dem Wahltag – begaben wir uns in der Nähe unseres Hauses in Chappaqua im Bundesstaat New York in eine örtliche Grundschule, um unsere Stimmen abzugeben. Es war das Ende einer unglaublich langen Reise. Am Abend klebte Bill regelrecht vor dem Fernseher und tat, was er an Wahlabenden immer tut: Er analysierte alle verfügbaren Daten über erste Ergebnisse, Hochrechnungen und Umfragen. Ich versuchte, mich mit anderen Dingen abzulenken, bis das Ergebnis vorlag. Am Ende war es ein eindeutiger Sieg ohne das langwierige Hin und Her, das wir 2004 oder im berühmten Wahljahr 2000 miterlebt hatten. Huma rief Reggie Love an, und wenig später gratulierte ich dem gewählten Präsidenten. (»President-elect« war die Anrede, die ich nach der Wahl benutzte, wenn ich an ihn dachte, von ihm sprach oder mit ihm zusammen war. Nach der Amtseinführung war er dann »Mr. President«.) Ich war beschwingt, stolz und ehrlich gesagt auch erleichtert. Jetzt konnten wir alle aufatmen. Ich freute mich darauf, wieder ins Leben und zu der Arbeit, die ich liebte, zurückzukehren.

* * *

Fünf Tage nach der Wahl beschlossen Bill und ich an einem ruhigen Sonntagnachmittag, in der knackig kühlen Herbstluft einen langen Spaziergang zum Mianus River Gorge zu unternehmen. Diese gemeinsamen Spaziergänge sind wunderbare Fluchtpunkte in unserem hektischen Leben, eine perfekte Gelegenheit, den Kopf klar zu bekommen. Ich war voller Ideen: Die Wahl war vorüber, und ich konnte mich wieder meiner Arbeit im Senat widmen. Es machte mir Spaß, die Menschen von New York zu vertreten. Mein Terminkalender war nach der langen Rallye übervoll, ich wollte ihn unbedingt abarbeiten und hoffte, dass meine Projekte durch eine enge Beziehung zum kommenden Präsidenten der Vereinigten Staaten gestärkt würden. Wie eng diese Beziehung werden würde, ahnte ich damals nicht.

Während unseres Spaziergangs klingelte plötzlich Bills Handy. Es war Barack Obama, der um ein gemeinsames Gespräch bat. Bill erklärte ihm, dass wir gerade mitten in einem Naturschutzgebiet seien und ihn später zurückrufen würden. Nach dem kurzen Anruf rätselten wir über den Grund. Bill, der sich lebhaft an die Hektik bei seinem eigenen Amtsantritt erinnern konnte, war überzeugt, Barack wolle ein paar Namen für Positionen im Weißen Haus und im Kabinett durchgehen.

Wieder daheim, erwies sich Bills Prophezeiung als richtig. Der gewählte Präsident sprach mit ihm über potenzielle Mitglieder des Wirtschaftsteams, mit dem er die Finanzkrise angehen wollte. Zum Abschluss sagte er zu Bill, er freue sich darauf, irgendwann in nächster Zeit mit mir zu reden. Ich nahm an, er wolle die Chancen auf eine enge Zusammenarbeit bei einer Gesetzgebungsinitiative im Senat mit mir ausloten. Neugierig war ich trotzdem. Also rief ich ein paar meiner Mitarbeiter im Senat an, um zu hören, wie sie diesen Anruf einschätzten, darunter auch meinen Sprecher Philippe Reines, einen leidenschaftlichen, loyalen und raffinierten Mann. Was die »Macher« von Washington dachten, wusste er in der Regel früher als sie selbst. Außerdem konnte ich mich immer darauf verlassen, dass er sagte, was er dachte. So auch dieses Mal. Zwei Tage zuvor hatte Philippe mir von Gerüchten erzählt, man werde mich zu allem Möglichen ernennen, von der Verteidigungsministerin bis zum Generalpostmeister. Unabhängig von diesen Gerüchten hatte er mir prophezeit: »Er wird dir das Außenministerium anbieten.«

»Das ist doch lächerlich«, hatte ich sofort geantwortet, »dagegen sprechen tausend Gründe!« Nicht zum ersten Mal unterstellte ich Philippe, er leide an Wahnvorstellungen. Und, ehrlich gesagt, hatte ich kein Interesse an einem Kabinettsposten. Ich wollte in den Senat zurückkehren und wieder für New York arbeiten. Vom 11. September 2001 bis zum Finanzcrash 2008 waren es für die New Yorker acht harte Jahre gewesen. Sie brauchten in Washington eine starke, engagierte Fürsprecherin. Außerdem war ich gern mein eigener Chef; ich legte meinen Zeitplan und meine Ziele selbst fest. Ins Kabinett einzutreten würde bedeuten, einen Teil dieser Selbständigkeit aufzugeben.

Als ich Philippe an jenem Sonntag anrief, informierte er mich darüber, dass die Spekulationen in den Medien bereits begonnen hatten. Die ABC-Sendung This Week habe vermeldet, es gebe Gerüchte, dass Barack Obama mich für die Position der Außenministerin in Betracht ziehe. Er finde den Gedanken offenbar reizvoll, ein »Team von Rivalen« ins Kabinett zu holen – eine Anspielung auf einen Bestseller der Historikerin Doris Kearns Godwin aus dem Jahr 2005. In Team of Rivals – The political Genius of Abraham Lincoln schildert sie, wie Lincoln 1860 den Senator William Henry Seward aus New York zum Außenminister ernannte, nachdem er diesen bei der Nominierung der Republikaner besiegt hatte.

Im Laufe der Jahre war ich zu einem großen Fan von William Henry Seward geworden, deshalb fand ich die Parallele besonders faszinierend. Er war zu seiner Zeit eine leuchtende Führungsperson gewesen, ein Reformer aus Überzeugung, ein energischer Kritiker der Sklaverei, Gouverneur und Senator aus New York – und am Ende Außenminister. Er hatte Präsident Lincoln beim Entwurf der Thanksgiving-Proklamation geholfen, mit der dieser Tag als landesweiter Feiertag festgeschrieben worden war. Ein Zeitgenosse beschrieb ihn als »niemals aufgewühlt oder erregt, aber scharfsinnig, erpicht darauf, einen Scherz zu verstehen, dankbar für schöne Dinge und ›guten Lebensmitteln‹ zugeneigt«. Mit alldem konnte ich etwas anfangen.

Als Seward sich damals um die Präsidentschaftskandidatur bemühte, war er bereits ein angesehener Senator aus New York; doch dann traf er auf einen gewandten, aufstrebenden Politiker aus Illinois. Zugegeben, die Parallele ist nicht perfekt: Ich hoffe, niemand wird mich jemals als »klugen Papagei« bezeichnen – so hatte Seward auf den Historiker Henry Adams gewirkt. Und insgeheim amüsierte ich mich auch darüber, dass es sich bei dem Mann, der mehr als jeder andere dazu beitrug, Sewards Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur zu vereiteln, ausgerechnet um den Journalisten Horace Greely handelte, dessen Denkmal in Chappaqua in New York an einer herausragenden Stelle steht.

Seward beeindruckte mich auch aus Gründen, die tiefer gingen als zufällige historische Parallelen. Ich hatte Sewards Haus in Auburn im Staat New York besucht; es war eine Station der Underground Railroad gewesen, jenes Netzwerks, das Sklaven aus dem Süden bei der Flucht in die Freiheit half. Das Haus war voller Erinnerungsstücke an eine ungewöhnliche Karriere und an die 14-monatige Weltreise, die Seward nach dem Ende seiner Amtszeit unternommen hatte. Die »Diplomatengalerie« enthält Geschenke von nahezu allen führenden Persönlichkeiten der damaligen Welt, die meisten von ihnen gekrönte Häupter, die einem bescheidenen Diener der Demokratie Tribut zollten. Bei aller Weltläufigkeit war Seward seinen Wählern zutiefst zugetan, und sie ihm ebenfalls. Gewandt sprach er immer wieder darüber, was für ein weltoffenes Land Amerika sein konnte. Und er ließ seinen Worten Taten folgen. Harriet Tubman, die heldenhafte »Schaffnerin« der Underground Railroad, ließ sich in Sewards Heimatstadt in einem Haus nieder, für das er das Grundstück gekauft hatte.

Besonders bewegend fand ich aber seine Freundschaft mit Lincoln. Nachdem er seine Niederlage beim Kampf um die Nominierung eingeräumt hatte, arbeitete Seward engagiert für Lincolns Wahlsieg, fuhr mit dem Zug kreuz und quer durchs Land und hielt Reden. Später wurde er einer von Lincolns engsten Beratern. Er war von Anfang an dabei und entwarf den atemberaubenden letzten Absatz von Lincolns erster Antrittsrede, in dem er an »die besseren Engel in unserer Natur« appellierte. Und er erlebte das Ende mit: Die Verschwörung, die in der Ermordung Lincolns gipfelte, hatte auch einen koordinierten Anschlag auf Seward vorgesehen, den dieser allerdings überlebte. Lincoln und Seward legten gemeinsam einen langen Weg zurück, und ihre Freundschaft in Verbindung mit harter Arbeit trug dazu bei, die Union zu retten.

Mit dem Ende des Bürgerkriegs war Sewards Arbeit noch nicht ganz vollendet: 1867 setzte er in einer letzten staatsmännischen Meisterleistung den Kauf Alaskas von Russland ins Werk. Der Preis galt mit 7,2 Millionen Dollar als so ungeheuerlich, dass man damals von »Sewards Verrücktheit« sprach; heute dagegen ist uns klar, dass es sich um einen der großartigsten Landkäufe in der amerikanischen Geschichte handelte – der zudem mit fünf Cent je Hektar ein echtes Schnäppchen war. Ich habe unmittelbar nach meiner College-Zeit einige denkwürdige Monate in Alaska verbracht, Fische ausgenommen und Teller gewaschen. Jetzt, als mein Name immer öfter in Verbindung mit der Stelle im State Department genannt wurde, fragte ich mich allmählich, ob Sewards Geist mich verfolgte. Aber auch eine andere Frage musste ich mir stellen: Wäre es reine Verrücktheit, den Senat und meine ganzen eigenen langfristigen Ziele für eine Ernennung zur Außenministerin aufzugeben, wenn der gewählte Präsident mich um diesen Dienst bat?

* * *

Am Abend nach Obamas Telefonat mit Bill war ich in New York gerade auf dem Weg zur Preisverleihung für die »Frauen des Jahres« der Zeitschrift Glamour, als mich ein Reporter fragte, ob es für mich in Frage komme, einen Posten in der Regierung anzunehmen: »Ich bin glücklich, Senatorin von New York sein zu dürfen.« Damit gab ich exakt wieder, was ich in diesem Moment dachte. Wenngleich ich Realistin genug war, um zu wissen, dass in der Politik alles passieren kann. Dass etwas im Busch war, ließ sich nicht von der Hand weisen.

Wenige Tage später, am Morgen des 13. November, flog ich mit Huma nach Chicago, um dort den gewählten Präsidenten zu treffen. Im Übergangsquartier wurde ich in einen großen, holzvertäfelten Raum geführt, der nur mit wenigen Stühlen und einem Klapptisch möbliert war. Hier sollte ich allein mit dem gewählten Präsidenten sprechen.

Barack Obama schien so entspannt und ausgeruht, wie ich ihn seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Obwohl er sich mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression auseinandersetzen musste, wirkte er zuversichtlich. Und – das sollte ich später noch oft erleben – er verschwendete keine Zeit mit Smalltalk und kam sofort auf den Punkt: Er bat mich, seine Außenministerin zu werden. Wie er mir sagte, habe er mich für diese Position schon seit geraumer Zeit in Erwägung gezogen; er glaube, »ich sei die beste und einzige Person«, wie er sich ausdrückte, die angesichts der einzigartigen Herausforderungen, vor denen Amerika zu Hause und im Ausland stand, dieses Amt ausfüllen könne.

Trotz der Gerüchte in den Medien, trotz unverblümter Fragen in Interviews war ich platt. Erst wenige Monate zuvor waren Obama und ich in einen der härtesten Vorwahlkämpfe aller Zeiten verstrickt gewesen. Und da ich im Grunde meines Herzens gar nicht gefragt werden wollte, hatte ich mich schlicht geweigert, den Tratsch zu glauben. Jetzt bat er mich, nicht nur in seine Regierung einzutreten, sondern auch den Leitungsposten im Kabinett zu übernehmen, der traditionell dem Außenminister zufällt. Es war wie die Wiederkehr der letzten Staffel der Fernsehserie The West Wing – Im Zentrum der Macht: Im Film bietet der neu gewählte Präsident seinem Vorwahlrivalen das Amt des Außenministers an. Der lehnt das Angebot zunächst ab, aber der gewählte Präsident akzeptiert diese Entscheidung nicht.

In unserem Gespräch legte der gewählte Präsident Obama seine wohlüberlegten Argumente dar. Er erklärte, er selbst werde seine Zeit und seine Aufmerksamkeit zum größten Teil auf die Wirtschaftskrise richten müssen, deshalb brauche er eine Persönlichkeit von Format, die ihn im Ausland vertreten könne. Ich hörte aufmerksam zu – und lehnte sein Angebot dann respektvoll ab. Natürlich fühlte ich mich geehrt, dass er mich gefragt hatte. Mir lag die Außenpolitik sehr am Herzen; nach meiner Überzeugung war es unbedingt notwendig, dass wir den angeschlagenen Ruf unseres Landes in der Welt wiederherstellten. Wir mussten zwei Kriegseinsätze zurückfahren, vor neuen Gefahren gewappnet sein, neuen Krisen begegnen, neue Gelegenheiten beim Schopf packen können. Ebenso wichtig erschienen mir die drängenden Probleme im Land: Ich hatte ein leidenschaftliches Interesse daran, die gewaltigen Arbeitsplatzverluste rückgängig zu machen, unser mangelhaftes Gesundheitssystem in Ordnung zu bringen und den arbeitenden Familien in Amerika neue Chancen zu eröffnen. Die Menschen verdienten einen engagierten Fürsprecher, der sich für ihre Belange einsetzte. Das alles und vieles mehr wartete im Senat auf mich. Abgesehen davon gab es eine Reihe von bewährten Diplomaten, von denen ich glaubte, dass sie großartige Außenminister sein würden. »Wie wäre es mit Richard Holbrooke?«, schlug ich vor. »Oder mit George Mitchell?« Aber der gewählte Präsident ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Zum Abschied sagte ich, ich würde über sein Angebot nachdenken. Auf dem Rückflug sollten meine Gedanken einzig und allein darum kreisen.

Noch bevor ich überhaupt wieder in New York gelandet war, waren die Presse-Spekulationen in vollem Gange. Zwei Tage später brachte die New York Times auf ihrer Titelseite die Schlagzeile »Obamas Gespräch mit Clinton sorgt für Aufregung« und stellte fest, meine mögliche Nominierung als Chefdiplomatin des Landes könne ein »überraschendes Ende« für das »Obama-Clinton-Drama« der Vorwahlen darstellen. Aus Respekt vor dem gewählten Präsidenten vermied ich es, auch nur zu bestätigen, dass Obama mir tatsächlich ein Angebot gemacht hatte.

Ich hatte versprochen, darüber nachzudenken – und das tat ich. Während der folgenden Woche sprach ich ausführlich mit Angehörigen, Freunden und Kollegen. Bill und Chelsea hörten geduldig zu und drängten mich, sorgfältig abzuwägen. Unter meinen Freunden hielten sich die Zahl der Begeisterten und der Skeptischen die Waage. Ich hatte nur wenige Tage Zeit, meine Entscheidung zu treffen, was es nicht einfacher machte. Es war eine faszinierende Aufgabe, und ich war zuversichtlich, dass ich sie gut bewältigen würde. Mit den Herausforderungen, vor denen die Vereinigten Staaten auf der ganzen Welt standen, hatte ich mich schon seit Jahren als First Lady und Senatorin auseinandergesetzt, und ich verfügte bereits über gute Beziehungen zu vielen wichtigen Politikern, von Angela Merkel in Deutschland bis zu Hamid Karzai in Afghanistan. Und doch …

 

Am 16. November rief mich John Podesta an, ein geschätzter Freund und früherer Stabschef meines Mannes im Weißen Haus, der inzwischen als Koleiter von Obamas Übergangsteam fungierte. Er wollte ein paar offene Punkte klären und noch einmal betonen, wie viel Barack Obama an meiner Zusage gelegen war. Anschließend diskutierten wir über einige eher praktische Fragen wie die, wovon ich meine mehr als sechs Millionen Dollar Schulden aus dem Wahlkampf zurückzahlen sollte, wenn ich mich als Außenministerin aus der Parteipolitik würde heraushalten müssen. Ich sagte ihm auch, dass ich keinesfalls Bills enorm wichtige Arbeit torpedieren wolle, die er auf der ganzen Welt mit der Clinton Foundation leistete. Die Presse hatte bereits viel Aufhebens wegen möglicher Interessenkonflikte zwischen Bills gemeinnütziger Tätigkeit und meiner potenziellen neuen Position gemacht. Aber dieses Problem wurde schnell aus der Welt geschafft: Das Übergangsteam des Präsidenten überprüfte alle Spender der Stiftung, und Bill erklärte sich bereit, die Namen der Geber offenzulegen. Außerdem gab er den Auslandsableger seiner Stiftung auf, die Clinton Global Initiative, eine neuartige Konferenz über gemeinnützige Tätigkeiten, die er ins Leben gerufen hatte. Dieser Einschnitt war nötig, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. »Was du als Außenministerin Gutes tun kannst, wird alle Arbeiten, bei denen ich mich zurückhalten muss, mehr als aufwiegen«, versicherte mir Bill. Während dieses ganzen Verfahrens und auch in den folgenden vier Jahren war er – wie schon seit Jahrzehnten – meine wichtigste Stütze und derjenige, der immer ein offenes Ohr für mich hatte. Bill empfahl mir, mich auf Entwicklungsverläufe zu konzentrieren, nicht auf die Schlagzeilen, und die vor mir liegenden Erfahrungen auszukosten.

Neben meiner Familie holte ich mir den Rat einiger eng vertrauter Kolleginnen und Kollegen ein. Die Senatorinnen Dianne Feinstein und Barbara Mikulski sowie die Kongressabgeordnete Ellen Tauscher redeten mir zu, ich solle annehmen. Desgleichen Chuck Schumer, mein Senatskollege aus New York. Obwohl in der Vergangenheit immer wieder – teils mit unverhohlenem Vergnügen – darauf herumgeritten worden war, wie unterschiedlich Chuck und ich waren und welche Konkurrenz zeitweilig zwischen uns herrschte, waren wir beide tatsächlich ein großartiges Team, und ich hatte Respekt vor seinem Gespür, seinen feinen Antennen.

Harry Reid, der Mehrheitsführer im Senat, überraschte mich mit der Mitteilung, der gewählte Präsident habe ihn schon im Frühherbst am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Las Vegas gefragt, was er von der Idee, mich zur Außenministerin zu machen, halte. Obwohl er mich nicht als Senatorin verlieren wollte, gab es aus seiner Sicht keinen Grund, aus dem ich dieses Angebot hätte ablehnen können.

 

In diesem Klima aus Pro und Kontra schritt mein Entscheidungsprozess nur langsam voran. Einmal neigte ich dazu, zuzusagen, eine Stunde später schmiedete ich Pläne für neue Gesetzentwürfe, die ich bei der nächsten Sitzung des Kongresses einbringen wollte. Was ich erst später erfuhr: Sowohl meine Mitarbeiter als auch das Team des gewählten Präsidenten veranstalteten allen möglichen Unfug, um mir eine Absage so schwer wie möglich zu machen. Mein Stab etwa machte mir weis, Joe Biden habe Geburtstag, damit ich ihn jetzt sofort anrief (zwei Tage vor dem tatsächlichen Datum): So erhielt auch er die Gelegenheit, mich entsprechend zu »beschwatzen«. Und als ich einmal bei Obama anrufen und erneut ablehnen wollte, tat Rahm Emanuel so, als fühle der Präsident sich nicht wohl, leider könne er mich nicht durchstellen.

Schließlich telefonierten der gewählte Präsident und ich in den frühen Morgenstunden des 20. November miteinander. Barack Obama hörte sich meine Bedenken aufmerksam an, beantwortete meine Fragen und sprach begeistert davon, was wir gemeinsam leisten könnten. Ich sagte ihm, Bills gemeinnützige Tätigkeit und meine Wahlkampfschulden seien zwar eine schwere Bürde, am meisten zu schaffen mache mir jedoch die Entscheidung, ob ich mich mit einer Tätigkeit im Senat oder im Kabinett am besten nützlich machen könne. Ich sagte ihm auch, dass ich mich nach einem geregelten Terminkalender sehne nach der langen Wahlkampfzeit. Er hörte geduldig zu – um mir dann zu versichern, meine Bedenken würden ernst genommen und berücksichtigt. Dann lenkte der gewählte Präsident das Gespräch geschickt vom reinen »Stellenangebot« weg und auf die Tätigkeit an sich. Wir sprachen über die Kriege im Irak und in Afghanistan, über die ständigen Herausforderungen durch den Iran und Nordkorea sowie über die Frage, wie die Vereinigten Staaten schnell und selbstbewusst aus der Rezession herausfinden könnten. Es war großartig, in einem angenehmen, privaten Gespräch Ideen auszutauschen, nachdem wir zuvor in aller Öffentlichkeit und unter den heißen Scheinwerfern der Fernsehstudios aufeinander eingeprügelt hatten. Im Rückblick halte ich dieses Gespräch für noch wichtiger, als ich das an jenem Abend ohnehin getan hatte. Wir legten damit das Fundament für einen gemeinsamen Themenkatalog, der in den kommenden Jahren zur Richtschnur der amerikanischen Außenpolitik werden sollte.