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eine italienisch -österreichische Kurzgeschichte
Nik Ji
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Veröffentlichungsjahr: 2017
19
Erdbeere
finito !
Eine Kurzgeschichte
Begonnen am 5.11.2008
Nik Ji
Die Wiener
„Bitte komm jetzt endlich aus dem Wasser !“ Dieser in Höflichkeit getunkte Befehl war an Jonathan Segal gerichtet, den achtzehnjährigen, frischgebackenen Maturaabsolventen der Wiener. Sie waren vor zwei Tagen an die Cinque Terre gereist, um ein paar Tage lang die glimpflich verlaufenen Abschlussprüfungen des Jüngsten zu feiern, bevor diesen das Schicksal aller männlichen Achtzehnjährigen ohne nennenswerte körperliche Schäden ereilte.
„Nun komm schon, Papa und David sitzen schon oben an der Bar !“, Cassandra Segal wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen der kleinen, eng aneinander gereihten Tische, die oberhalb des Sandstrandes, an der malerischen Promenade von Monterosso zu einem Strandlokal formiert waren.
Die Kitzbüheler
Der schmale Fußweg der Via del`Amore bot der kleinen Tiroler Prozession kaum ausreichend Grund ihre schweren Wanderschuhe zu tragen. Der Pfad war trocken, großteils asphaltiert und beinahe ausschließlich eben. Kilian Bossi führte seine Frau Brigitte, Sohn Julian und dessen bockig hinterdrein watschelnde kleine Schwester seit fünfzehn Minuten an der Küste entlang Richtung Manarola. „Jetzt aber im Laufschritt !“, rief Kilian seiner Sippe über die Schulter zu. „Wenn wir`s innerhalb der nächsten fünf Minuten bis Manarola schaffen, zahl` ich euch einen Kübel voll Eis !“ Die Vier kamen bereits seit Jahren an die Cinque Terre, obwohl außer der kleinen Melanie, keiner wirklich gerne im Meer badete. Viel reizvoller fanden sie die herrlichen Wanderwege durch die steilen Weinhänge der Ligurischen Küste.
Die Cinque Terre
Dieser malerische Küstenstrich am Ligurischen Meer, sieht heute noch beinahe genauso aus wie vor hundert Jahren. Kleine Fischerdörfer mit bunten, neugierig dem offenen Meer zugewandten Häuserfronten, Kopfsteinpflaster in dessen losen Fugen der Muschelsand längst vergangener Zeiten festgestampft liegt und kleine Gässchen die oftmals steil in die zerklüfteten Hänge der umliegenden Weinberge führen. Allerdings schaufelt heute ein kleines Bahnnetz Touristen an die an sich Autofreie Küste; und die eng aneinander geschmiegten, kleinen Häuschen mit ihren Wäschebalkonen und Sonnenterrassen, beherbergen heute kaum noch Fischerfamilien, Weinbauern, Priester und Bürgermeister. Vielmehr sind es reiche Römer, Mailänder, Schweizer, Engländer und Deutsche die sich die einstmals schlicht möblierten Wohnungen – zu luxuriösen Domizilen ausgebaut – untereinander aufteilen.
Es muss so gegen fünfzehn Uhr gewesen sein, als das Einlaufen der kleinen Fähre, im Hafen von Vernazza von gut vier Dutzend Touristen beobachtet wurde. Ungewöhnlich hoher Seegang machte das Anlegen des Passagierbootes zu einem nicht ungefährlichen Unterfangen. Alte und Junge mussten das Schiff über einen wackeligen Steg verlassen, beziehungsweise betreten und die Mannschaft hatte alle Hände voll zu tun, um nicht einen der zahlenden Passagiere an die schäumende Gischt zu verlieren. Wenn die Geräuschkulisse des kleinen Hafens sonst bloß aus dem Plätschern der Wellen an die Kaimauer und gelegentlichen Pfiffen der nahe am Hafen vorbeifahrenden Züge bestand, so dominierte nun das aufgeregte Durcheinander der Matrosenbefehle, das rauhkehlige Schimpfen der Fischer und natürlich die vertonte Schaulust der Hobbyphotographen. Bossis standen beobachtend am Ende der Kaimauer, während Segals gerade ihren Nachmittagskaffee bezahlten, den sie ein Stück weit oberhalb des Hafens, in einer kleinen Osteria zu sich genommen hatten.
Ariel Segal, Versicherungsvertreter aus dem dreizehnten Wiener Gemeindebezirk, steckte das Retourgeld in sein Wadenportmonee, rückte seinen neu erworbenen Strohhut zurecht und stand auf. „Was ist jetzt ?“, fragte er in die Runde, „noch jemand Lust auf ein Eis ?“ Seine Söhne – nicht eben erbaut über den gemeinsamen Familientrip – sahen einander vielsagend an und nickten ihrem Vater mit aufgesetztem Lächeln zu. Sie hatten bereits lange vor Antritt der Reise beschlossen, dieses eine Mal noch „heile Familie“ mitzuspielen, anstatt mit Freunden heiße Sommertage in Wiens Freibädern zu verbringen. Außerdem hatte David gerade seine langmonatige Freundin Belinda an seinen alten Schulkameraden Markus verloren und Jonathan wusste, dass – wenn er seinen Dienst an der Waffe mit eigenem Wagen antreten wollte – er besser noch ein paar Mal den Wünschen seiner Eltern nachkam.
Die kleine Eisdiele lag Richtung Hafen, nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo die Fähre gerade neuerlich ablegte. „Was heißt noch mal Erdbeer auf italienisch ?“, fragte David.
„Fragole !“, antwortete seine Mutter mit nach oben verdrehten Augen. Wie gegen fremdländische Drängler zu einem Österreichischen Bollwerk formiert, trippelten Segals dicht aneinander geschmiegt Stück für Stück, immer näher an die gläserne Eisfront heran. Der Andrang auf die vermeintlichen Stanitzelköstlichkeiten war in der Tat massiv und ohne generalstabsmäßigen Angriffsplan kaum zu bewältigen. Als sie die Vitrine endlich blickdicht gegen nachstürmende Eissüchtige mit ihren Körpern verbarrikadiert hatten, verstanden die Segal`schen Männer den leichten Silberblick des alleine werkenden Eisverkäufers als Aufforderung, ihre Bestellung abzugeben – und zwar alle gleichzeitig. Das beileibe Einzige, was der arme Mann herauszuhören vermeinte, war: „Fragole“.