Es klappert die Mühle... - Volker Schoßwald - E-Book

Es klappert die Mühle... E-Book

Volker Schoßwald

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Beschreibung

Geschichte besteht aus Lebensgeschichten. Persönliche Rückblicke, die für die Nachkommen und nicht die Öffentlichkeit bestimmt waren, eröffnen Perspektiven in private Bereiche, die die Vergangenheit und die Gegenwart stärker verbinden als die großen gesellschaftlichen Strömungen. In diesem Buch blickt der gutsituierte Pfungstädter Müller Ludwig Engel auf seine Lebensjahrzehnte zwischen 1876 und 1925 zurück, während seine Enkeltochter Barbara Schoßwald, geb. Henschel ihre Kindheit von 1924 an bis zum Kriegsende 1945 Revue passieren lässt. Ergänzend erzählt ihr Vater Ottokar die Geschichte seines eigenen Vaters Armin aus Ludwigs Generation. Barbaras Mann Helmut fasst im Kontext des sog. Dritten Reiches die Lebensgeschichte seines Vaters Franz zusammen und eröffnet in Briefen und Tagebucheinträgen parallele Erlebnisse zu Barbara während Nazizeit und Krieg. Volker Schoßwald dokumentierte mit etlichen Bildern und nur wenigen Zwischenbemerkungen diese Niederschriften für Nachkommen und Nachwelt.

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Seitenzahl: 148

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Wie die Zeiten sich ändern…

mit Ludwig Engel und Bärbel Schoßwald durch das Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts

Lebensrückblicke

Diese Notizen der Zeitzeugen führen durch drei Generationen: Ludwig Engel ist Zeuge des 19. Jahrhunderts, seine Enkelin Barbara Henschel steht für das 20. Jahrhundert.

Dazu kommen Zeugnisse der Zwischengeneration: Ottokar Henschel, Ludwigs Schwiegersohn schreibt über seinen Vater. Helmut Schoßwald, Ottokars Schwiegersohn schreibt über seinen Vater – und machte Notizen in der Kriegszeit der Nazidiktatur.

Und bis hin zur Schlacht bei Waterloo führen die Briefe von J. H. Schneider als Zeugnisse für den Umgangston in einer Gesellschaftsschicht, die sich für die gehobene hielt.

Inhaltsverzeichnis

Ludwig Engel: „Lebenslauf“ 1925

1.1 Familie

1.2 Schule

1.3 Lehrjahre

1.4 Wehrdienst 1875

1.5 Das Wandern ist… München, Wien und Pest

1.6 Der junge Müller

1.7 Wirtschaftskrise!

1.8 Der erste Weltkrieg

1.9 Nach dem Krieg

Bärbel Schoßwald erzählt bis Kriegsende

2.1 Die zwanziger Jahre in Thüringen

2.2 Das „Dritte Reich“

2.3 Der zweite Weltkrieg

2.4 In der weiten Welt

2.5 Das Ende naht: Mehr Krieg als RAD

2.6 Nach Hause ins Ende

2.7 Das Ende

2.8 Das Leben geht weiter…

Der junge Helmut im „Dritten Reich“

3.1 Die Generation dazwischen: Franz Schoßwald

3.2 Notizen aus dem Krieg von Helmut Schoßwald

3.3 BLLV Nachruf auf Helmut Schoßwald 2002

Ottokar Henschel über Armin Henschel

Briefe 1814-32: J.H. Schneider

Privatkorrespondenz Franz mit Käthe

1 Ludwig Engel: „Lebenslauf“ 1925

Ludwig Engel 1856-1930

Da ich jetzt in den langen Winternächten nichts Besonderes zum Lesen finde will ich versuchen Euch meine Lieben meinen Lebenslauf soweit ich ihn noch im Gedächtnis habe aufzuschreiben.

1.1 Familie

Die Eltern waren Peter Engel II, Beigeordneter der Gemeinde Pfungstadt, Mühlenbesitzer und Landwirth u Henriette geb. Götz von der Bruchmühle bei Nieder-Ramstadt.

Ich, am 22. Aug 1856 geboren war das fünfte Kind.

Zwei ältere Geschwister und das jüngste ein Schwesterchen sind früh verstorben. So dass ich mich ihrer nicht erinnere. Die überlebenden waren Marie u Helene sechs und fünf Jahre älter als ich und die Freude und der Stolz meiner Jugend bis ins spätere Alter. Marie heirathete kurz vor Kriegs-Ausbruch 1870 Wilh Grunig damals auf der Schliefmühle im Mühlthal nach Nieder Rammstadt gehörig. Sie bekamen nach Ableben des Vaters ms Schwagers die Köpemmühle. Sie lebten glücklich und zufrieden trotzdem ihnen viel Herzelaid beschieden bis meine Schwester Marie 1916 an einem Schlaganfall verschied ohne vorher länger krank gewesen zu sein.

Helene1 welche mir besonders ans Herz gewachsen, da sie als blühendes Mädchen durch ein Nervenfieber lang und schwer erkrankte, war nachdem sie wieder vollständig genesen mit Wilhelm Mayer aus Spechbrücken der General Agent einer Lebensversicherung in München verheirathet. Das rauhe ungesunde Münchener Klima konnte sie aber nicht vertragen. Ihr zartes Wesen war dafür nicht geschaffen und da ihr Mann wenig Verständnis dafür hatte seinen Wohnsitz trotz ihrer Krankheit nicht ändern wollte, ihr auch nicht die nötigste Sorgfalt widmen konnte, beschlossen die Eltern mit seiner Einwilligung, dass sie nach Hause zurückkehren sollte. Da verlebte sie dann unter Mutters liebevoller Pflege während ihrer langen Krankheit mit uns vereint ihre glücklichsten Tage bis sie im Jahre 1888 ihrem tückischen Leiden erlag.

Kindersoldatenbild

Als kleiner Bub mit (österreichischen) einquartierten Soldaten, die im "Stübchen" lagen. Einem eigens für solche Zwecke hergerichteten Raum im Hof neben der Waschküche.

1.2 Schule

Meine Jugend verlief in der schönsten Weise und nie und nimmer werde ich sie vergessen. Aufgezogen von den liebenden Eltern nur zum Guten. Kein Mittel war zu groß um es mir angedeihen zu lassen, wofür ich heute noch mit unausschlöschlichem Dank quittire. Nachdem ich bis zum 1ten2 Jahre die hiesige Volksschule besuchte, kam ich in das Schmuck-sche Institut nach Eberstadt. War es auch keine kleine Aufgabe für mich bei Wind und Wetter Sommer wie Winter den beinahe stundlichen Weg zur Schule zu machen, so legte es aber wohl den Keim zur Pflichterfüllung und späteren Liebe zu Wanderungen in die liebe Natur. Die Schule war ein Handelsinstitut und unter meinen Lehrern waren auch recht tüchtige Leute. Ganz hervorragend Hr Schmuck selbst, der franz. Lehrer Dutoit. Deutsch und Geschichte u Geographie Schlimm, der Rechenlehrer war. Die Schule war zuerst im alten Pfarrhause bei der Kirche, später in einem Saale "im Schwan" u dann in einem neugebauten Hause an der Darmstädter Straße.

Bis zu meiner Konfirmation blieb ich in Eberstadt, dann kam ich in die Realschule IV Klasse nach Darmstadt. Da kam während des großen Krieges3 es mir sehr zu statten, dass ich den früheren weiten Schulweg gewohnt war. Denn als der Zugverkehr eingestellt wurde, mussten wir zu Fuß nach Darmstadt und zurück und das auch während des sehr strengen Winters. Wir waren aber nicht so zart gebacken. Trotz Schnee und Eis wurde jeden Tag der Weg gemacht zu unserer und der Lehrer Freude. Es ging den Winter durch ganz gut, aber im Frühjahr bei dem vielen Regen musste ich mich doch sehr erkältet haben und beschlossen deshalb die Eltern mich in Darmstadt in eine Pension zu schicken.

Zeugnis Classe II Eberstadt 1.7.1866

Ich kam zu Fräulein Landmann gegenüber der kath. Kirche. Dort verlebte ich mit verschiedenen Pensionsbrüdern Ludwig Breitwieser aus Obernenstadt, Mathäus Schönberger aus Groß-Bieberan Lahsmannshausen und Moller die schönsten Monate. Es war während des Krieges bei jeder gewonnenen Schlacht schulfrei und da wetteiferten wir uns behilflich zu machen. Ich bekam einen Posten als Zeitungsträger in die Lazarette. Ein rothes Kreuz in weißem Felde in der Brust legitimierte mich und so hatte ich überall wo verwundete Krieger lagen freien Ein u Ausgang. Viele schmerzliche Eindrücke sind da für immer für mich geblieben. Hunderte von Verwundeten, Freund und Feind lagen da reihenweise theils in Baracken, theils in Schulen und das größte Lazarett war wohl im Orangeriegarten in Rehaungen, dorthin musste ich auch am meisten gehen. Als dann der Frieden kam und die Züge wieder regelmäßig fuhren, ging ich mit der Bahn, hatte aber meinen Tisch noch bei Fräulein Landmann bis zum Jahr 1873, woselbst ich die Berechtigung des Einjährigen erhielt. Unter 57 Mitschülern war ich der 16te. Meine regelmäßigen Zensuren waren IIIer,, nur einmal bekam ich in der II Klasse einen II, während in der III Klaße auch III-IV mal vorkam. Mein liebster Lehrer war wohl uns. Klassenlehrer in RKl II Dr. Schiffer. Nicht etwa, weil ich besonders gut bei ihm war - er gab Französisch, Geschichte und Geographie, sondern weil er ein so strammes Regiment durch sein schneidiges Auftreten führte. Der Physick und Arithmetik Lehrer Dr. Külp hatte mich in sein Herz geschlossen, weil ich mich bei seinen Versuchen immer behilflich zeigte. Dr. Diehl gab uns Geometrie, da blieb wenig haften. Aber Herr Lorey der Direktor und unser Klassenführer in I war ein äußerst tüchtiger Mann, der uns mit seinem "Jungens lernt gehorchen" so recht ins Innere redete. Seine begeisterten Ansprachen pflanzten den Keim für die richtige Vaterlandsliebe. Er wollte tüchtige deutsche Männer heranbilden und die es ihm gedankt haben sinds auch geworden. Mit dem Berechtigungsschein in der Tasche feierten wir ein großes Abschiedsfest und ein Abschied war es auch fürs ganze Jugendleben.

1.3 Lehrjahre

Die Schuljahre waren jetzt vorbei und hinein ins volle Menschenleben sollte es jetzt gehen. Mein Vater hatte mir schon eine Lehrlingsstelle in dem Getreidegeschäft Hr u Hr Sußmann u Bodenheimer in Mannheim besorgt und so ging es jetzt direkt ins Kaufmannsleben. In diesen zwei Jahren habe ich eigentlich nicht das gelernt, was man mir versprochen hatte. Im Geschäft wurde ich nachdem ich ein halbes Jahr die gewöhnlichsten Lehrlingsarbeiten verrichtet in die Expedition gesteckt worden, in der ich blieb bis ich 1875 austratt. Ich hatte da die Kontrolle über die Lagerhäuser auf der Rheinau und in Ludwigshafen musste ich das Sackbuch führen, aber an andere Bücher bin nicht gekommen. Da damals auch keine Gelegenheit gegeben in Handelsfortbildungsschulen den Unterricht in der Buchführung gründlich zu erlernen, so musste ich mich damit abfinden.

Der Vortheil, den mein Posten hatte, bestand in der Beurteilung der Qualitäten. Da in den 70er Jahren sehr viel Russischer, Australischer, Rumin, Rerwinter Spring Kunses, Theodosin und wie sie alle heißen eingeführt wurde, so konnte ich mich auf diesem Warengebiet gut zu recht finden, was mir später beim Einkauf gut zu statten kam. Ein sehr gutes Zeugniß und eine goldene Uhr hatte mir Anerkennung meiner treu geleisteten Dienste wurde mir beim Abschied überreicht.

1.3.1 In der Kirchenmühle - die Arbeitsvorgänge!

Nun gings ins väterliche Geschäft. Unter der Leitung unseres alten Müllers Johann Trentmann aus Jugenheim musste ich alle Verrichtungen eines Mühljungen leistend nebenbei die Feldarbeiten mit helfen schaffen. Da ich die Müllerei als meine Hauptbeschäftigung auffaßte, das Geschäft immer in besonderer Blüte stand und die Wasserverhältnisse äußerst günstig waren, so machte es mir große Freude. Wir hatten immer viele auswärtige bes. Rüttelbomer, Dornheimer, Wolfskehlen u Groß-Rohrheimer Mehlkunden. Sie brachten immer größere Parthien zum Mahlen und Schroten stellten sie ab und holten sie nach Verlauf einer Woche wieder ab. Wir hatten damals 1 Weißgang und einen Roggengang und einen Schälgang für Spelz zu schälen u Frucht zu putzen. Die Steine waren Odenwälder und Krawinkler und mussten jede Woche scharf gemacht werden. Jeder Gang hatte sein eignes Wasserrad und arbeitete in einen Beutelkasten. Die Beutel waren durch ein Rüttelwerk in Bewegung gesetzt und sehr empfindlich. Der untere Theil war von Seide der obere von einer externen Beutelwolle hergestellt. Des Öfteren mussten sie gestopft werden, was die Müller selbst machten mussten. Viel Spelz wurde immer zum Weizen gemahlen und das war ein anstrengendes Geschäft, weil die Kerne mit der Hand gesiebt werden mussten. Ebenso ging es beim Griesputzen. Der Gries lief über einen Sortierer und dadurch in drei Größen zertheilt. Jede einzelne Sorte musste mit einem Drahtsieb, nachdem er vorher durch einen Stoßwind von der Flugkleie gereinigt war, gesiebt werden und das auch während der Nacht, da, wenn der Semmelgang ging das Mahlgut gereinigt sein musste. Es war ein mühsam Geschäft aber man fand seine Befriedigung; denn je besser die Griese gereinigt waren, desto feiner wurde das Weißmehl. Auch ein Auszugsmehl - Blummehl genannt - wurde hergestellt, aber nur ein kleiner Prozentsatz. Das andere Mehl wurde als Schwing - Gries und Kernmehl in 175Pfd Säcken in den Handel gebracht. Unsere Kundschaft war außer in Pfungstadt in Gernsheim Groß-Rohrheim, Rickenbach Hechn und Eschenbrücken. Es wurde aber nicht sehr viel für den Handel gemahlen, sondern mehr Kundenmüllerei betrieben. Die Frucht kaufte Vater hier im Odenwald u die Spelz in Darmstadt.

1.4 Wehrdienst 1875

Auf Anrathen früherer Schulfreunde des August Oppermann in Langen und des Moritz Halm in Helfsloch entschloß ich mich m Einjährigen Dienst beim II Dragoner Regiment in Darmstadt abzumachen und trat dortselbst am 1ten Okt 1875 ein. Ich hatte das nicht zu bereuen, denn im Kreise lieber Kameraden war das wohl mein schönstes Jahr meines Lebens. Der Dienst für uns, die wir Körperlich gesundt waren, war absolut nicht anstrengend. Unsere Freizeit verlebten wir immer in anregender Gesellschaft. Besuchten Concerte und Theater, waren Mitglieder der vereinigten Gesellschaft, hatten im Sommer Bade Urlaub nach Stockstadt, hieß wie beinahe jeden Tag nach dem Dienst, irgend was vorhatten was anregende Abwechslung brachte. Es wäre nicht möglich gewesen, wann wir uns nicht so vorzüglich zusammen verstanden hätten. Denn an den lukullischen Ausschreitungen unserer anderen Kameraden, die das Geld buchstäblich zum Fenster hinauswarfen, hatten wir keine Lust uns zu betheiligen und ich für meinen Theil wäre dazu auch nicht in der Lage gewesen. Unvergessen bleibt der Tag, an dem wir als Reserveleute Abschied nahmen mit dem Gelöbniß in treuer Freundschaft auch für die Zukunft zu beharren.

1.4.1 Im väterlichen Geschäft und Freizeitvergnügen

Nun ging's wieder ins väterliche Geschäft und das war auch dringend nöthig. Durch das Ableben des Bürgermeisters Spalt musste Vater als Beigeordneter die Bürgermeisterei vertreten und hatte somit viel Arbeit, so dass er zu Hause kaum was leisten konnte. Ihn musste ich jetzt vertreten im Feld und in der Mühle. Die Geschäftsweisen musste ich machen und beim Fruchtsaften sein. Die Odenwälder Fuhren, welche alle 14 Tage gemacht wurden, waren ziemlich beschwerlich und mit den Reinheimer und Bieberaner Handelsleuten hatte ich manchen Verdruß zu bestehen. Die Qualitäten der Frucht waren sehr verschieden und da hieß es die Augen aufmachen, wenn man vor Schaden bewahrt sein wollte. Wenn auch stramm Arbeit auf der Tagesordnung stand, so fehlte es aber auch nicht an Stunden der Erholung des Abends. Als Mitglied des Cäcilien-Vereins wurde jede Woche an einem Abend gesungen (gemischter Chor unter Leitung Hr Kaminsky). Die schönsten Abende brachte mir der Samstag im Frohsinn. Einer Vereinigung Gleichaltriger mit dem Zweck "Gedanken-Austausch, Musik und Spiel. Das war der richtige Abend auf den wir uns die Woche über freuten und war die Arbeit noch so schwer, so größer war dann aber die Freude zur Erholung. Sonntags hatte uns alle 14 Tage frei, da wurden im Sommer Ausflüge in die Bergstraße u Odenwald unternommen und im Winter eifrig Schlittschuh auf den Wiesen gelaufen.

1.5 Das Wandern ist… München, Wien und Pest

Zwei Jahre lang blieb zu Hause dann stellte sich wie bei jedem richtigen Müller die Wanderlust ein und hinaus ging's als Müller Geselle und das erste fremde Geld sollte verdient werden. Ich traf es gut, dass ich bei einem Besuch meiner Schwester Helene in München zufällig Arbeit in der Kunstmühle Tivoli in München fand und dass ich hier in einer der größten und besteingerichteten Mühle Süddeutschlands Arbeit fand. Dass ich da nicht auf Rosen gebettet lässt sich leicht denken. Aber schnell arbeitete ich mich als Griesfentzer ein und hab meinen Mann gestanden. Wir haben damals die Woche 4000 Sack gemahlen und mit 28 Müllern theilte ich die Arbeit. Tag- und Nachtschicht wechselten alle 8 Tage und da hieß es auf dem Posten sein, denn geschenkt bekam keiner etwas. Meine freien Sonntage besuchte ich meine Schwester und wir sahen uns die vielen Sehenswürdigkeiten und Kunststätten Münchens an. Auch hie und da einmal ein Concert oder Theater Besuch half über die Beschwerden des Dienstes hinweg.

Durch einen kleinen Unglücksfall, bei welchem mir zwei Finger der linken Hand von einer Walze gequetscht wurden, löste sich mein Arbeitsverhältniß auf. Denn arbeiten konnte ich nicht und herumlummern wollte auch nicht. Weil die Verletzung nicht bedeutend und gut zu heilen schien, entschloß ich mich mit zwei Bekannten Schäfer von Vaihingen u Stefan Steinmetz gegen Pest zu wandern. Und das haben wir drei nie zu bereuen gehabt. Wir wanderten als richtige Müllerburschen durch das herrliche Salzkammergut nach Linz4. Von da herrliche Donaufahrt nach Wien. Sahen uns acht Tage die Kaiserstadt mit all ihren Herrlichkeiten an und fuhren dann nach Pest. In der Hagenmecherischen Viktoria Mühle fand ich auch Beschäftigung, während die beiden Collegen in der Ersten Ofen und Pester Walzmühle Unterkunft fanden. Nun waren wir im richtigen Müller-Elderado und in Großbetrieben, von denen wir vorher keine Ahnung hatten.

Eine Menge von Kroaten, Slowaken, Böhmen u Ungarn lauter faules Gesindel hatte man unter sich. Die besseren Posten bekamen Schweizer und Deutsche, welche sich nun mit dem Gesindel herumplagen mußten. Undankbare Arbeit musste gewissenhaft in diesen Riesenbetrieben, die ja nur Mehlfabriken sind, geleistet werden. Tag und Nachschicht 12 Stunden lang mit Selbstverköstigung, da niemand während der Arbeitszeit die Stellen verlassen darf. Die Kost besteht aus Melonen oder geräuchertem Speck und Kukernzbrot, welches man in kleinen Verkaufsbuden bei den Mühlen kaufen kann und sonst nichts. Nur alle 14 Tage ein vollendetes Mittagsmahl im Englischen Hof entschädigte den Ausfall.

Da haben wir dann auch richtig geschlemmt und oft ging der halbe Wochenlohn darauf. Pest war damals beinahe noch orientalisch und ich kann mir von besonderen Sehenswürdigkeiten außer der großartige angelegten Burg u des deutschen Theaters, welches aber damals bald geschlossen wurde, nichts besonderes mehr erinnern. Eine Masse Cabarets und Volksbelustigungen immer mit dem feinen Czurdas und Zigeunermusik übten keinen besonderen Reiz auf uns aus.

Zweimal fuhr ich auch Sonntags nach Promotor in eine Brauerei. Der Besitzer ein Sohn unseres Chefs war früher als Volontär bei Hildebrand, lud mich zum Besuchen ein und war recht freundlich und entgegenkommend. Er veranlaßte auch, dass ich gegen die Fabrikordnung keinen leiblichen Visitationen unterworfen wurde, wie alle übrigens in der Mühle beschäftigten Arbeiter. Auch Hr Friedrich, der auf dem Mühlenkontor beschäftigt war, suchte ich auf, der war aber leidend und mit seiner Stellung nicht zufrieden.

1.5.1 Völkisches Raisonnieren

Da im besten Thun ereilte mich die Botschaft von dem Erkranktsein meine lieben Vaters. Ohne mich lange zu säumen, kündigte ich und fuhr als Müllergeselle für das halbe Fuhrgeld durch Ungarn und Oestreich heim. Beim Lösen meiner Fahrkarte in Pest frug mich der Beamte, nach dem er meinen Paß visirte, wie kommt es, dass Sie von der Vergünstigung der halben Fahrpreißer Anspruch machen, steht doch hier, dass Sie als Einj. Freiwilliger gedient haben. Da erklärte ich ihm, dass meine Mittel durch das teure Pester Pflaster aufgebraucht seien und ich nicht in der Lage wäre auf die Vergünstigung zu verzichten. Ueberhaupt waren die Deutschen damals in Pest nicht gut angeschrieben. Es war die Zeit des bosninkischen Krieges und des Aufblühens des Nationalgefühls der Ungarn. Eines Tages wurden sämtliche deutschen Plakate und Straßennamen heruntergerissen und durch ungarische ersetzt, deshalb auch der Schluss des deutschen Theaters. Wenn das aber auch nicht gewesen wäre, so fühlte ich mich in Pest nicht wohl und oft habe ich gedacht, es geht nichts über deutsche Verhältnisse. Auch ist es mir bewusst geworden, dass die Arbeit in den Mehlfabriken einem deutschen Müller von keinem besonderen Nutzen sein kann, es sei nur der, dass er eben einmal in Pest war. Die Einrichtungen gehen ins gigantische und haben für den, der etwas für seinen späteren Beruf und für seine Existenz lernen will, keinen besonderen Werth. In München waren dieselben Maschienen, dieselbe Mahlmethode, aber die Behandlung und der Umgang mit den Leuten war doch ein ganz anderer und mehr zusagender. Nun trotzdem hat es mich nicht gereut auch das einmal mit anzusehen und bin stolz darauf gewesen, in einer Mühle zu arbeiten, die in einem Tag soviel fabriziert wie die Tivoli in einer Woche.

1.5.2 Back at home