Etwas wagen und verantworten im Schulsport - Peter Neumann - E-Book

Etwas wagen und verantworten im Schulsport E-Book

Peter Neumann

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Beschreibung

Kinder und Jugendliche finden und kreieren in den Nischen unserer Bewegungskultur gewagte Bewegungsaufgaben, die ihnen zur Selbsterprobung und Selbstdarstellung dienen und die ihr Bedürfnis nach spannenden und fesselnden Erlebnissen befriedigen. Sie klettern, springen, schwingen, balancieren oder fahren waghalsige Manöver mit dem Skateboard oder Rad. Diese besonderen Erprobungs- und Bewährungshandlungen sollen den Schülerinnen und Schülern auch im Schulsport ermöglicht werden. Unter der Pädagogischen Perspektive "Etwas wagen und verantworten" sollen sie den angemessenen Umgang mit gewagten sportlichen Aktivitäten erlernen und zudem in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden. Das Buch will Lehrkräfte motivieren, sich auf die Wagnisperspektive im Sport einzulassen und ihnen Handlungssicherheit geben. Neben der pädagogischen Orientierung stehen deshalb drei didaktische Themen im Mittelpunkt: das Erleben und das Bewältigen von Wagnissen, das Erleben und der Umgang mit Angst sowie das Erleben von Vertrauen und Verlässlichkeit. Dazu werden jeweils praxiserprobte Umsetzungshilfen und Anregungen für den Sportunterricht gegeben.

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Seitenzahl: 134

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Edition Schulsport Band 15

Peter Neumann & David Katzer

Etwas wagen undverantworten im Schulsport

Didaktische Impulse und Praxishilfen

Meyer & Meyer Verlag

Herausgeber der Edition Schulsport:

Heinz Aschebrock & Rolf-Peter Pack

Etwas wagen und verantworten im Schulsport

Didaktische Impulse und Praxishilfen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2011 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Graz, Indianapolis, Maidenhead, Melbourne, Olten, Singapore, Tehran, Toronto

Member of the World

Sport Publishers’ Association (WSPA)

eISBN: 9783840330520

E-Mail: [email protected]

www.dersportverlag.de

www.schuleundsport.de

Inhalt

Vorwort der Herausgeber der Edition Schulsport

1 Einführung

2 Pädagogische Ziele und Herausforderungen

2.1 Das pädagogische Potenzial der Wagniserziehung

2.2 Pädagogische Ziele einer Wagniserziehung

2.2.1 Emotionale Signale wahrnehmen und richtig interpretieren

2.2.2 Trotz Nervenkitzel verantwortungsvoll handeln

2.2.3 Soziale Unterstützung durch Selbsterfahrung

3 Didaktische Impulse für die Unterrichtsgestaltung

3.1 „Etwas wagen und verantworten“ im Lichte des Doppelauftrags

3.2 Subjektiv bedeutsame Zugänge zur Wagnisperspektive eröffnen

3.3 Orientierung an der Idee des mehrperspektivischen Sportunterrichts

4 Empfehlungen für die Umsetzung im Sportunterricht

4.1 Exemplarische Themenfelder schulsportlicher Wagniserziehung

4.2 Differenzierungen bedenken

4.3 Sechs Hinweise zur Unterrichtsgestaltung

5 Beispiele für Unterrichtsvorhaben

5.1 Wie kann ich (mit/ohne Partnerhilfe) schwierige Balancieraufgaben sicher lösen?

5.2 Sich ans Splashdiving wagen und eine Urkunde erwerben

5.3 Sich auf das Waveboard wagen

5.4 Wagnissituationen beim Klettern – kooperieren und Vertrauen aufbauen in einer Seilschaft

5.5 Mit Helfergriffen turnerische Wagnisse ermöglichen

5.6 Parkour – Turngeräte und Alltagsgegenstände überwinden

5.7 Eine Sprungkür entwickeln und sich auf das große Trampolin wagen

5.8 Emotionale Handlungskompetenz in Wagnissituationen -Bewegungsängste zulassen und bewältigen

6 Vorschläge zum Bewerten sportlicher Wagnisse

6.1 Hinweise zu den grundlegenden Leistungsdimensionen

6.2 Bezugsnormen zur Leistungsbewertung

6.3 Zum Umgang mit Misserfolgen

6.4 Anregungen zur Bewertungspraxis

6.5 Individuelle Leistungserbringung und Selbstbeurteilung

6.6 Fazit

7 Anregungen zum außerunterrichtlichen Schulsport

7.1 Da geht’s hoch? – Wandertag in einen Seilgarten

7.2 Am Anfang hatte ich Schiss! – Mit dem Lerntagebuch im Schulskikurs

7.3 Was geht? – Zu Besuch in einer Parkour-AG

7.4 Das wird spannend – ein Trendsportwandertag

8 Literaturhinweise und Literaturempfehlungen

Bildnachweis

Vorwort der Herausgeber der Edition Schulsport

Die pädagogische Perspektive „Etwas wagen und verantworten“ hat sowohl für das Verständnis einer pädagogisch akzentuierten Schulsportentwicklung als auch für die Verwirklichung des Doppelauftrags „Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport und Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur“ eine herausragende Bedeutung. Viele Kinder und Jugendliche suchen in ihrem Alltag das Wagnis als Möglichkeit zur Selbstdarstellung und Bewährung. Gerade der Sport bietet ihnen vielfältige herausfordernde Situationen mit unsicherem Ausgang, in denen sie sich darstellen und bewähren können.

Im Schulsport gibt es die Möglichkeit bzw. stellt sich die Aufgabe, das Bedürfnis von Kindern und Jugendlichen nach Wagnissituationen aufzugreifen und ihnen exemplarische Situationen und Anreize zu bieten, um die Schwierigkeiten einer Bewegungsaufgabe, ihre Fähigkeiten zu deren Bewältigung sowie die Folgen ihres Bewegungshandelns für sich und andere realistisch einzuschätzen und ihre Risikokompetenz zu erweitern. Dabei geht es nicht nur um den Könnenserwerb, sondern vor allem auch um das Vertrauen innerhalb der Lerngruppe sowie zwischen den Lehrkräften und den Lernenden.

Trotz dieser hervorragenden Chance zur Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler wird die Perspektive „Etwas wagen und verantworten“ im Schulsport eher selten akzentuiert. Für viele Sportlehrkräfte ist diese Perspektive immer noch ein Stück curriculares Neuland. Ein weiterer wichtiger Grund für die Zurückhaltung der Sportlehrkräfte ist die Tendenz, Risikosituationen im Schulsport möglichst gering zu halten, um gesundheitliche Beeinträchtigungen der Schülerinnen und Schüler zu vermeiden.

Mit diesem Buch möchten die Autoren Peter Neumann und David Katzer Sportlehrkräfte ermutigen, sich auf die Wagnisperspektive einzulassen und ihnen Handlungssicherheit für eine pädagogisch verantwortbare Wagniserziehung im Schulsport geben. Dabei verfolgen sie ein Konzept, das darauf abzielt, Risikosituationen im Schulsport so zu arrangieren, dass die Schülerinnen und Schüler eine realistische Bewältigungschance besitzen. Dieser Ansatz steht im Einklang mit einer richtig verstandenen Sicherheits- und Gesundheitsförderung.

Der besondere Wert dieser Ausarbeitung besteht in der Verbindung zwischen einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der pädagogischen Orientierung und der Präsentation praxiserprobter Umsetzungshilfen und Anregungen für den Schulsport. Insofern bietet sich dieses Buch sowohl für den Einsatz in der Aus- und Fortbildung als auch in der Praxis des Schulsports an. Dabei rücken neben der Hauptzielgruppe der Sportlehrkräfte auch alle anderen Sportfachkräfte in den Blick, die z. B. in den Ganztagsangeboten der Schulen oder im Kinder- und Jugendsport der Vereine tätig sind.

Wir hoffen und wünschen, dass dieses Buch dazu beiträgt, für eine stärkere Berücksichtigung der Wagnisperspektive in der Bewegungs-, Spiel- und Sporterziehung von Kindern und Jugendlichen zu werben.

Heinz Aschebrock und Rolf-Peter Pack

* In diesem Buch werden durchgehend Schülerinnen und Schüler angesprochen.Dies wird mit SuS abgekürzt.

1 Einführung

Die pädagogische Perspektive „Etwas wagen und verantworten“ wurde erstmalig 1999 in den Richtlinien und Lehrplänen Sport in Nordrhein-Westfalen offiziell ausgewiesen. Dieser curricularen Verankerung gingen seinerzeit zwar einige sportpädagogische Arbeiten von Neumann (vgl. z. B. 1997, 1998, 1999) voraus, für viele Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen blieb und bleibt eine solche Perspektivierung des Schulsports jedoch ungewohnt. Eine empirisch bestätigte Folge ist, dass diese Perspektive augenscheinlich eher selten im Schulsport umgesetzt wird (vgl. Schmoll, 2004, S. 128). Doch was besagt diese Perspektive überhaupt?

Nach Aussage der Richtlinien und Lehrpläne Sport in Nordrhein-Westfalen (1999) steht die Bezeichnung „Wagnis“ für jene Handlungssituationen im Sport, die eine spezifische Probe des Könnens für den Sportler darstellen und im Falle des Scheiterns oder Misslingens negative körperliche Folgen nach sich ziehen können. Der Ausgang eines Wagnisses im Sport, wie die Besteigung einer Indoorkletterwand oder das Befahren einer Rampe mit Inlineskates, ist unsicher und die Bewältigung hängt hauptsächlich vom Können des Kletterers oder des Skaters ab: Gelingt mir die Begehung der Kletterroute oder stürze ich? Gelingt mir der Sprung oder falle ich hin?

Unter einem sportlichen Wagnis im Schulsport wird die im Vorfeld bedachte und bewusst getroffene Entscheidung der SuS* verstanden (Prozess des Abwägens), sich herausfordernden Bewegungsaufgaben in einer spezifischen Handlungssituation zu stellen (Prozess des Wagens) und den unsicheren Ausgang der Aufgabe trotz einer subjektiven Bedrohungswahrnehmung im Rückgriff auf das eigene Können sicher zu bewältigen (Prozess des Bewährens).

Der freiwillige Vertrauensfall einer Schülerin oder eines Schülers von einem großen Kasten in die Arme seiner Mitschülerinnen und Mitschüler stellt folglich zwar eine existenzielle Vertrauens- und Überwindungssituation dar, aber keine eigentliche Wagnissituation, weil die Bewältigung der unsicheren Ausgangslage ohne zu erwerbende motorische Fertigkeiten realisiert werden kann (Man muss sich eben „nur“ trauen, sich rückwärts oder vorwärts mit möglichst viel Körperspannung auf die Unterarme seiner in Gassenaufstellung stehenden Mitschülerinnen und Mitschüler fallen zu lassen!).

Ob eine sportliche Bewegungsaufgabe für die SuS aber ein Wagnis darstellt oder nicht, hängt nicht nur von objektiven Aufgabenmerkmalen ab, sondern vor allem auch vom subjektiven Erleben: Unter der Wagnisperspektive geht es im Schulsport damit um jene spezifischen Bewegungsaufgaben im Sport, deren Bearbeitung als spannungsträchtige Herausforderung und nicht als langweilig oder als überfordernd wahrgenommen wird.

Abb. 1.1: Auch scheinbar einfache Bewegungsaufgaben können subjektiv als Wagnis empfundenwerden.

Unter der pädagogischen Perspektive „Etwas wagen und verantworten“ sollen die SuS allerdings nicht nur irgendwelche Wagnisgelegenheiten erleben, sondern sie sollen lernen, Wagnisse im Sport verantwortungsbewusst zu bewältigen. Es sind also sind immer auch Fragen zu klären, wie:

Gefährde ich mich hier leichtfertig und leichtsinnig, oder tue ich dies überlegt und im Bewusstsein möglicher Folgen?

Gehe ich das Wagnis nur ein, weil die anderen zuschauen und mich auslachen, wenn ich nicht vom 3-m-Brett springe?

Wo ist denn eigentlich meine eigene Wagnisgrenze?

Welche Folgen kann mein Scheitern haben?

Welche Folgen betreffen mich und welche meine Umwelt?

Was müsste ich können, um das Wagnis zu bewältigen und was kann ich momentan?

Was erwarte ich von meinem Partner, der mir helfen und mich unterstützen soll, und was kann er von mir erwarten?

Kann ich meinem Partner vertrauen, dass er mich gewissenhaft und gekonnt sichert?

Kann sich mein Partner darauf verlassen, dass ich ihn verantwortungsvoll und mit den richtigen Handgriffen sichere und unterstütze?

Sollen Wagnisangebote im Schulsport nicht zu tollkühnen und gefährlichen Handlungen degenerieren („Los, wer traut sich, von der Empore auf den Weichboden zu springen?“), müssen als Korrektiv Fragen der Verantwortbarkeit stets mitgedacht und im Unterricht thematisiert werden. Vor diesem Hintergrund können beispielsweise folgende Ziele im Unterricht angestrebt werden:

Die SuS können,

sich selbst (realistisch) einschätzen, um der subjektiven Gefahr der Selbstüberschätzung vorzubeugen (kognitiver Bereich).entsprechende Wagnisaufgaben angemessen beurteilen, potenzielle Gefahren der Selbst- und Fremdgefährdung erkennen und berücksichtigen (kognitiver Bereich).ihr Handeln abwägen, indem sie Handlungsfolgen bewusst antizipieren und kalkulieren (kognitiver Bereich).sich unsicheren und auch bedrohlichen Handlungssituationen stellen oder sich begründet dagegen entscheiden (emotionaler und kognitiver Bereich).dem Partner verlässliche Hilfe und kompetente Unterstützung geben (sozialer und motorischer Bereich).die aus der Wagnisaufgabe resultierenden motorischen Anforderungen im Zutrauen auf die eigenen Fähigkeiten und im Vertrauen auf die Unterstützung durch andere SuS sowie die Lehrkraft bewältigen (motorischer und sozialer Bereich).

Insgesamt stehen Lehrkräfte vor der schwierigen Aufgabe, im Schulsport differenzierte und auf Progression hin angelegte Wagnisaufgaben im Rahmen von Unterrichtsvorhaben (Unterrichtsreihen) anzubieten, die von den SuS als subjektiv bedeutsame Bewährungssituationen wahrgenommen werden und die ein – weitestgehend – angstfreies Scheitern zulassen.

Vor diesem Hintergrund versteht sich das vorliegende Buch als eine praxisorientierte Handreichung für Sportlehrkräfte, das sich an einschlägigen Fragen zur schulsportlichen Umsetzung orientiert:

Kapitel 1 Einführung

Was bedeutet überhaupt Wagnis und was ist ein Wagnis im Sport?

Kapitel 2 Pädagogische Ziele und Herausforderungen

Warum soll ich als verantwortlicher Sportlehrer meinen SuS wagnissportliche Aktivitäten vermitteln?

Kapitel 3 Didaktische Impulse für die Unterrichtsgestaltung

Sollen meine SuS etwa ihre Gesundheit gefährden?

Kapitel 4 Empfehlungen für die Umsetzung im Sportunterricht

Wie kann ich meinen SuS einen selbstbewussten Umgang mit wagnissportlichen Aktivitäten vermitteln?

Kapitel 5 Beispiele für Unterrichtsvorhaben

Mit welchen Inhalten und Aufgaben kann ich die Perspektive „Etwas wagen und verantworten“ umsetzen?

Kapitel 6 Vorschläge zum Bewerten sportlicher Wagnisse

Wie kann ich das Wagen und Verantworten überprüfen und sinnvoll bewerten?

Kapitel 7 Anregungen zum außerunterrichtlichen Schulsport

Was mache ich, wenn meine SuS mit meinen Wagnisangeboten im Unterricht nicht mehr zufrieden sind?

Kapitel 8 Literaturhinweise und Literaturempfehlungen

Wo finde ich weitere Hinweise zur Wagnisperspektive im Schulsport?

2 Pädagogische Ziele undHerausforderungen

Noch ein Schritt bis zum Ende der Reckstange, dann wäre der sichere Stand auf dem hohen Kasten erreicht, nur noch an den großen Henkelgriff im Überhang an der Kletterwand greifen, dann wäre eine sichere Position zum Ausruhen geschafft. Beide Schüler stehen kurz vor einer erfolgreichen Bewältigung, sind aber von einem Sturz bedroht. Worin liegt das pädagogische Potenzial der Wagnisperspektive, wenn es zu einem Misserfolg kommt? Nachfolgend werden der pädagogische Kern und Ziele der Wagniserziehung aufgezeigt und beschrieben.

2.1 Das pädagogische Potenzial der Wagniserziehung

SuS handeln in Wagnissituationen, die in einem vertretbaren Rahmen misslingen dürfen, denn sonst fehlte der wichtige Ernstcharakter. Doch nicht nur die SuS stehen vor Bewegungsherausforderungen, die mit Gefühlen von Angst erlebt werden können, auch Lehrkräfte müssen zwischen Sicherheit und Unsicherheit Entscheidungen treffen.

Für ein tieferes Verständnis ist es hilfreich, die Wagnissituation aus zwei Blickwinkeln zu betrachten: Die Lehrerperspektive umfasst dabei Prozesse des Planens, des Durchführens und des Auswertens von Wagnissen im Sportunterricht. Die Schülerperspektive umfasst den Handlungsprozess des Aufsuchens, Aushaltens und Auflösens von Wagnissituationen (siehe auch Kap. 3).

Aus Lehrersicht bieten der kompetente Umgang der SuS mit riskanten Bewegungen und die daraus resultierenden bestärkenden Gefühle bei einer erfolgreichen Bewältigung als auch die korrigierenden Einsichten nach einem Misserfolg wichtige Lernmöglichkeiten. Aus Schülersicht besteht der Reiz von Wagnissen im ungewissen Ausgang und den daraus resultierenden Spannungsgefühlen.

Tab. 2.1: Pädagogisches Potenzial der Wagniserziehung

Abb. 2.1: Lehrer- und Schülerperspektive

Das pädagogische Potenzial der Wagniserziehung ergibt sich aus der Verknüpfung der beiden Sichtweisen (s. Tab. 1). Einerseits sollte die schulische Wagniserziehung die Bedürfnisse der Wagenden berücksichtigen, und andererseits sollte sie Impulse zur Reflexion des gewagten Handelns setzen, um ein Bewusstsein für Selbstwirksamkeit, der Hilfebedürftigkeit und Verantwortungsübernahme zu ermöglichen.

Die Lehrkraft muss dabei entscheiden, wie viel Freiraum sie den SuS überlassen kann, damit ein sicherer Handlungsrahmen gewährleistet ist. So müssen beispielsweise bei der Planung eines Parkour-Laufs im Freien Regeln aufgestellt werden, damit eine Verletzungsgefahr und eine Beschädigung der Hindernisse auf dem Schulhof ausgeschlossen werden. Doch der Reiz dieser Sportart besteht auch gerade darin, dass die SuS die Umgebung selbst erkunden und bauliche Gegenstände auf eigene Weise überwinden.

Auch aus Schülersicht sind Wagnisse ambivalent, denn sie können je nach individuellen Fähigkeiten entweder mehr als Anreiz oder mehr als Bedrohung wahrgenommen werden. Aber nur, wenn die SuS mit den ambivalenten Gefühlen und Handlungsfolgen konfrontiert werden, können sie ihren persönlichen und verantwortungsvollen Umgang mit riskanten Bewegungen erlernen.

2.2 Pädagogische Ziele einer Wagniserziehung

Sportliche Wagnisse sind nicht auf bestimmte Sportarten beschränkt, sondern können bei unterschiedlichsten Bewegungsanforderungen auftreten. Das übergeordnete Lernziel besteht im kompetenten Umgang mit riskanten Bewegungen im Sport. Neben der individuellen Selbstüberwindung und dem partnerschaftlichen Verhalten geht es immer auch um den Erwerb motorischer Fertigkeiten. Um die didaktischen Impulse zur Reflexion der erlebten Gefühle und Eindrücke ableiten zu können, sollen folgende drei Zielstellungen näher erläutert werden, die in unseren Augen für eine pädagogische Inszenierung besonders wichtig sind.

2.2.1 Emotionale Signale wahrnehmen und richtig interpretieren

Anreize, ein Wagnis einzugehen, hängen mit spezifischen körperlichen Aktivierungs- bzw. Bewegungszuständen zusammen, die als lustbringend erlebt werden (vgl. Neumann, 1997, S. 159). Das bewusste Wahrnehmen von körperlichen Empfindungen und Zuständen ist eine wichtige Grundlage für den Umgang mit Risiko: Gefühle sind als Reaktion auf bestimmte Situationsmerkmale zu sehen und dienen als Indikator für eine mögliche Gefährdung oder für lohnende Handlungsanreize. Zusätzlich ist der Zusammenhang zwischen dem eigenen Können und dem Grad der Aktivierung bei einer bestimmten Anforderung zu berücksichtigen. Je höher das Selbstvertrauen in das eigene Können, desto gelassener kann die Situation angegangen werden. Umgekehrt ist umso mehr Vorsicht angebracht, je stärker das Unsicherheitsempfinden ist. Denn wird ein starkes Angstgefühl übergangen, kann dies ungünstige Folgen für den Handlungsausgang haben. SuS müssen daher körperliche Signale richtig interpretieren lernen, um eine verantwortbare Entscheidung treffen zu können.

2.2.2 Trotz Nervenkitzel verantwortungsvoll handeln

Das Riskante, mitunter auch Gefährliche, übt vor allem auf männliche Jugendliche oft einen besonderen Reiz aus. Mahnende Sicherheitsappelle können diesen Reiz tendenziell noch verstärken (Reiz des Verbotenen). Mit Wagnissen lassen sich Situationen konstruieren, die sowohl dem Bedürfnis nach Nervenkitzel entgegenkommen als auch der Einsicht in ein verantwortungsvolles Sicherheitsdenken. Das Besondere daran ist, dass die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen am eigenen Leib erfahren wird. Falsche Einschätzungen können augenblicklich durch die Situation korrigiert und die Betroffenen auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Auf diese Weise kann die folgende Einsicht gewonnen werden: Je umfassender die Kenntnisse von Sicherungsstrategien und je höher das realistische Vertrauen in sich selbst und in die Sicherheitsmaßnahmen sind, desto eher kann ein Wagnis eingegangen werden.

Das bewusste Abwägen und Entscheiden entspricht sicherheitsrelevanten Überlegungen, sodass kontrolliert eingegangene Wagnisse nach bisherigen Erkenntnissen eine geringe Unfallwahrscheinlichkeit aufweisen (Kurz, 2000). Für den Schulsport gilt, dass SuS auch bei Fehlschlägen keine gravierenden Folgen wie schwere Verletzungen oder seelische Beeinträchtigungen drohen dürfen. Nach Erdmann (1991) liegt es im Ermessen der Lehrkraft, Bewegungsaufgaben mit einem „dosierten Risiko“ zu entwerfen.

2.2.3 Soziale Unterstützung durch Selbsterfahrung

Intentionale Sozialerziehung kann nach Klafki (1996, S. 127) nur auf der Basis von sozialen Erfahrungen in entsprechenden Handlungssituationen gelingen, wenn dies auch thematisiert wird. Die SuS müssen deshalb die Wagnissituationen am eigenen Körper erfahren und einen persönlichen Standpunkt gefunden haben, damit sie einen Blick für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler entwickeln können.

Empfundene Bewegungsängste in Wagnissituationen können als Ausgangspunkt genommen werden, auch soziale Ängste zu thematisieren. Wenn im Wagnisunterricht das Angstgefühl als ein gemeinsames und verbindendes Charakteristikum herausgestellt wird, kann bei den SuS die Erkenntnis reifen, dass sich Unsicherheit im Vertrauen auf andere entscheidend reduzieren lässt. Auf dieser Einsicht aufbauend, können weitere soziale Ziele abgeleitet werden, wie man trotz Angst handlungs- und teamfähig bleiben kann oder wie man anderen angemessene Unterstützung gewährt.

Abb. 2.2: Soziale Unterstützung anbieten und zulassen