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Als würde es nicht schon reichen, dass ihr Bruder tot ist, wird Rose jetzt auch noch von einem mysteriösen Mann verfolgt, dem selbst Schüsse in den Kopf nichts auszumachen scheinen. Doch nicht nur dieser, sondern auch eine nach zehntausend Jahren aus dem Schlaf erwachte, menschlich wirkende Kreatur mit übermenschlichen Fähigkeiten ist auf der Jagd nach ihr. Klar, dass man da verrückt wird und anfängt, eine Stimme im Kopf zu hören, doch ist diese ihr gut oder böse gesinnt?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Rose
Die Beerdigung
Der Traum
Das Testament
Kabale
Der Einbrecher
Der Anruf
Chuck
Der Doktor
Freude
Miriam
Das Heilmittel
Die Forschungen des Doktors
Der Traum (2)
Herzinfarkt
Das Krankenhaus
Der Traum
Verdrängte Erinnerung
Nagual
Zielstrebig- und Ratlosigkeit
Christa
Der Albtraum
Miriams Kontrollverlust
Rose und Troia
Naguals Zorn
Die Verfolgung
Nagual und die Polizei
Das Finale
Verzweiflung
Impressum
Fünf Sekunden nach der Erlangung seines Bewusstseins und der Verwirrung, hatte es eine ungefähre Ahnung von dem, was es war.
Diese ersten fünf Sekunden sollten eine gefühlte unendliche Zeitspanne für das Wesen sein, denn es besaß zwar eine Vorstellung des menschlich erdachten Konstrukts der Zeit, jedoch hatte es keinerlei Ahnung von der allgemeinen Vorstellung der Länge einer Sekunde. Die erste Sekunde sollte die komplette Lebensspanne des Wesens darstellen, die zweite war noch einmal doppelt so lange und die darauffolgenden zwei Sekunden sollten die Hölle, indem sich das Wesen befand und in der es nichts außer der langsam verrinnenden Zeit und Leere zu geben schien, nur noch einmal um eine Unendlichkeit verlängern. Da begann die fünfte Sekunde seiner Existenz und mit ihr durchströmten das Wesen neue Eindrücke und erlösten es aus den Qualen, die seine Existenz bisher für es bedeutet hatte.
Erinnerungen und Sinneseindrücke durchströmten es und es fühlte auf einmal die Wärme der Sonne,
schmeckte den Geschmack von Essen auf der Zunge, fühlte den Sand unter ihren Händen, sah das glitzern des Meeres und hörte das Rauschen der Wellen und roch die frische Meeresluft.
Nach seinem Aufenthalt in der Hölle schien dies nun ihr persönlicher Himmel zu sein, bis auch dieser Augenblick endete und es eine Sache begriff.
Nichts an diesem Moment gehörte ihm, nicht das Gefühl der Wärme auf der Haut, nicht der Geschmack der Erdbeeren auf der Zunge, nicht die Hände auf dem Sand und auch nicht das glitzern des Meeres oder das Rauschen der Wellen in den Augen und den Ohren, die nicht seine waren.
Das alles waren Erinnerungen von jemand anderen, der nicht die Absicht hatte, diese mit ihm zu teilen.
Ihm gehörte nichts und es hatte nichts. Und es war allein.
Dan
Dan hatte den Sitz des Wagens zurückgestellt und lehnte sich schweratmend und mit durch die prallen Wüstensonne entstandenen Schweißperlen auf der Stirn erleichtert zurück. Es war knapp gewesen, sehr knapp. Fast hätte er es nicht mehr geschafft.
Er spürte ein leichtes Kribbeln auf seinem Arm und schloss die Augen.
Gleich würde es wieder anfangen. Unwillkürlich wurde sein Körper steifer und er spannte seine Muskeln an, auch wenn er wusste, dass dies ihm nichts nützen würde.
Mit allerletzter Kraft hatte er es noch bewerkstelligen können, auf den Seitenstreifen der Straße zu fahren, als er gemerkt hatte wie die Kopfschmerzen anfingen.
Nicht, dass es ein Fahrzeug in der Umgebung gegeben hätte, welches ihm hätte ausweichen müssen.
Ihm war bewusst, dass es Stunden dauern würde, bevor ihn jemand so daliegend in seinem Auto finden würde, aber ihm konnte sowieso nicht mehr geholfen werden.
Kurz erstaunte ihn dieser Gedanke. Hatte er sich mit den Gedanken zu sterben wirklich so schnell abfinden können?
Nein, es hatte bloß keinen Sinn jetzt in Unruhe oder Panik zu verfallen. Er wollte einen klaren Kopf haben, wenn es so weit war. Er hatte mit allem abgeschlossen.
Sein letzter Versuch, die Arbeit des Doktors zu zerstören war höchstwahrscheinlich gescheitert, da machte er sich keine allzu großen Hoffnungen, aber er empfand nichts dabei. Er hatte alles gegeben, mehr hatte er nicht tun können. Er musste leicht schmunzeln als er daran dachte, dass er nachdem er das Labor des Doktors abgebrannt hatte, ihn noch einmal um schriftlich um Hilfe ersucht hatte.
Wenigstens hatte er nicht alles von seinem Humor verloren, dachte er bei sich. Selbst jetzt konnte er noch über sich selber lachen.
Eigentlich hätte Dan schon vor vielen Jahren sterben sollen, damals, als er noch bei seinen Eltern gelebt hatte und so schwach war, dass er kaum sein Bett verlassen konnte.
Doch durch den Handel, den er damals mit dem Doktor
(damals hielt er ihn noch für einen richtigen Doktor) eingegangen war hatte sich sein Leben um einiges verlängert.
Und nun sollte er eben den Preis für die gekaufte Lebenszeit bezahlen.
Er ballte seine Hand zu einer Faust, entspannte seine Hand dann jedoch wieder.
Vielleicht hätte ihm diese Geste etwas gegen einen Gegner der aus Richtung der Wüste käme geholfen, doch der Feind, gegen den er kämpfte, griff von innen an.
Das Kribbeln, was mittlerweile nicht nur seinen Arm, sondern seinen ganzen Körper überzog, verwandelte sich zu einem so schmerzhaften Gefühl, dass es sich anfühlte als sei er in einen Ameisenhaufen gefallen.
Trotzdem verzog er keine Miene.
Er wusste, was jetzt passieren würde und war bereit sein Schicksal anzunehmen.
Er war der einzige Mensch mitten in der Wüste, doch trotzdem war er nicht Alleine.
Da kam es, wie aus den Windungen seines Unterbewusstseins angekrochen.
Die Stiche auf seiner Haut, welche nicht real, aber trotzdem schmerzhaft spürbar waren, waren nicht mehr als die Ankündigung seines Auftritts gewesen. Es brauchte einfach diese Show.
Es begann wieder mit einem Lachen, welches in Dans Kopf widerhallte, obwohl keine Schallwellen sein Trommelfell in Schwingungen gebracht hatten.
Trotz der Hitze im Auto überfuhr ihm bei dem Laut, welches das Wesen, welchem noch nie Stimmbänder zu Eigen gewesen waren, ein kalter Schauer über dem Rücken, durch welches sich alle seine Härchen am Körper ausstellten.
Das Lachen war vollkommen künstlich, ähnlich wie ein Roboter dem versucht worden war, Sprache beizubringen.
Er versuchte es zu ignorieren und sich auf den Schmerz zu konzentrieren, der ihm lieber war, als dieses Geräusch in seinem Kopf.
Diese Aufgabe war allerdings unmöglich, wie sollte man etwas aus dem Kopf bekommen, was wortwörtlich in diesem drin war?
Dann fing das was-auch-immer-es-war an zu sprechen und zwar mit einer Stimme, die so klang, als wäre sie aus den Stimmen verschiedener Personen zusammengeflickt worden
„Es tut ungemein weh, nicht wahr? Dein Körper ist so davon besessen, den externen Aggressor zu bekämpfen, dass er sich lieber umbringen würde als ihn gewähren zu lassen.
Aus meiner Sicht ist das eine der größten Lächerlichkeit eures Organismus.
Euer grenzenloser Egoismus bringt euch dazu, andere lieber mit in den Tod zu reißen, als ihnen auch nur irgendetwas zu zustehen, ist es nicht so?“
Das Gefühl der Ameisen auf seiner Haut wurde immer stechender und trotz seines Versuchs, sich nichts anmerken zu lassen, verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse, auch wenn er versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
„Wen denkst du machst du hier etwas vor, ich weiß ganz genau wie du dich gerade fühlen musst. Das kann alles jetzt für dich völlig schmerzfrei Enden, du musst mir bloß meinen Wunsch erfüllen.“
Jetzt war es Dan, der lachte, auch wenn es nicht mehr als ein leises husten war.
„Wieso fragst du überhaupt, wenn du sowieso weißt, wie meine Antwort ausfallen wird?“
Und wieder fing dieses etwas an zu lachen, mit der gleichen Art von Schadenfreude, wie schon vorhin. „Ich habe eben gehofft, dass du mich überraschen können würdest, aber anscheinend habe ich dich richtig eingeschätzt. Das einzig Positive an dieser Situation ist, dass es mir eine Freude sein wird, dir beim Leiden zusehen zu dürfen.“ Bis jetzt hatte das Wesen gesprochen ohne jemals eine einzige Pause zwischen den einzelnen Worten einzulegen. Es klang mehr wie die Stimme eines Roboters als die eines Menschen, doch nun nahm es die Stimme einer Person an, die Dan nur allzu gut kannte.
„Sieh das Kommende als kleinen Vorgeschmack wie es später deiner Schwester ergehen wird an, auch wenn du das nicht mehr miterleben wirst. Ich sage dir, dass das, was du getan hast ein großer Fehler war und du alleine dafür verantwortlich sein wirst“
Es durfte das nicht. Nicht mit ihrer Stimme. Er konnte das nicht zulassen.
„Mach sie nicht nach“, wollte Dan mit dem letzten Fünkchen Kraft und Wut aus seinen Lungen pressen, doch es kam nicht mehr als ein Nuscheln aus seinem Mund.
Das Gefühl von Ameisen auf seiner Haut hatte sich verändert, nun kam es hunderten von Hornissen gleich, die gleichzeitig ihren Stachel in sein Fleisch bohrten.
Dan war nicht mehr dazu fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, stattdessen wand er sich nur noch hin und her.
Er riss den Stoff des Sitzes heraus, als er sich schreiend in diesem festkrallte und seine Finger sich im Schaumstoff so stark verkrampften, dass sie brachen. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und sein Herz pumpte so stark, dass er es schlagen hören konnte. Nein, er war noch nicht bereit gewesen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er hatte es sich so einfach vorgestellt, doch jetzt, wo es wirklich so weit war, bereute er so vieles. Er wollte noch nicht sterben. Er wollte leben, egal wie.
Und obwohl er angenommen hatte, dass es bei der Menge an Schmerz und Angst unmöglich war, noch etwas anderes zu fühlen, spürte er wie Schuldgefühle in ihm hochkrochen. Er betete, dass er seiner Schwester nicht das gleiche Schicksal wie sich selber bereitet hatte. „Rose.“ flüsterte er noch mit schwacher Stimme, als er schließlich aufhörte zu schreien und alles um ihn herum weniger und weniger wahrnahm, bis schließlich auch das Lachen aus seinem Kopf verschwand.
Rose starrte ihren Arm wie gebannt an, ohne wirklich realisieren zu können, was da vor ihren Augen vor sich ging. Sie konnte nur wie in Trance dabei
zusehen, wie sich ihr Arm verkrampfte und sie kurz darauf das Gefühl in ihm verlor. Mehr fasziniert als beunruhigt schaute sie ihre rechte Hand an, welche nicht mehr ihr zu gehören schien. Doch da begann sich ihr Arm ohne ihr zu tun zu regen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
Er war wie ein Fremdkörper, so als sei er ein komplett eigenes Lebewesen. Nun verließ sie auch die Kontrolle über den Rest ihres Körpers und wie eine Marionette, der man die Schnüre durchgeschnitten hatte, fiel sie zu Boden. Da trennte sich ihre Hand von ihrem Körper und begann, ohne ihr einwirken auf ihren Kopf zu zukrabbeln. Als sie diesen dann erreicht hatte, begann ihre Hand in ihren Mund zu klettern, der sich bis zum Maximum weitete.
Rose wollte schreien, wobei nicht mehr als ein röcheln aus ihren Mund kam. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und langsam zu ersticken.
Schweißgebadet wachte Rose auf und wollte sich im Bett aufsetzen, doch genau wie im Traum konnte sie sich nicht bewegen.
Schlafparalyse, dass hatte sie öfter. Sie versuchte sich zuerst darauf zu konzentrieren, die Motorik über ihren großen Zeh wiederzuerlangen und als sie das geschafft hatte, kehrte die Kontrolle über ihren Körper langsam zurück. Als sie wieder ihren eigenen Atem wahrnahm und nicht mehr das unangenehme Gefühl hatte zu ersticken, stand sie auf, doch ihr Arm ließ sich auch außerhalb des Traums kaum bewegen. Sie schaltete das Licht ein und schaute sich im Spiegel noch einmal genauer an.
Da war tatsächlich etwas. Ihr Arm war leicht angeschwollen, so als hätte sie etwas gestochen.
Das Adrenalin in ihr brachte ihr Herz immer noch zum Pochen und sie versuchte sich auf die Einzelheiten des Traumes zu konzentrieren, um etwas ruhiger zu werden.
Sie ließ den gestrigen Tag noch einmal passieren, um sich daran erinnern zu können, welche Ereignisse wohl zu ihrem Albtraum geführt haben konnten, jedoch fiel ihr nichts ein, was am gestrigen Tag besonders oder anders gewesen war.
Das einzige Ereignis des Vortages war der Besuch ihres großen Bruders gewesen, doch sie war so müde gewesen, dass sie schon nach dem Mittagessen schlafen gegangen war.
Sie überlegte, was die Hand in dem Traum wohl für eine Metapher gewesen sein konnte. Vor einem Jahr hatte sie mal ein Buch über Traumdeutung gelesen, hatte jedoch nach dem ersten Kapitel gelangweilt aufgehört. Konnte die losgelöste Hand vielleicht ein Zeichen von ihrer Entfremdung zu ihren eigenem Körper sein? Eher nicht. Sie kam jedoch zu keiner anderen befriedigenden Deutung, außer, dass ihr im Schlaf vielleicht eine Spinne in den Mund gekrochen war. Eine Freundin hatte ihr mal erzählt, dass jeder Mensch aus Versehen durchschnittlich acht Spinnen pro Jahr im Traum verschluckte. Auch wenn sie nicht so recht daran glauben wollte, wurde ihr doch etwas flau in der Magengegend. Vielleicht war ein Traum manchmal aber auch nur ein Traum, ohne tiefergehende Bedeutung.
So hellwach wie sie war, war an Schlaf kaum zu denken und sie beschloss, runter in das Badezimmer zu gehen um Mundwasser zu gurgeln.
Sie hatte einen etwas pelzigen Geschmack auf der Zunge, konnte das die Spinne sein?
Sie schüttelte sich kurz bei den Gedanken.
Als sie die Treppen runterstapfte, sah sie, dass in der Küche noch immer Licht brannte. Rose schaute auf die Uhr auf der gegenüberliegenden Wand, die nur von dem Schein aus der Küche und dem Mond beleuchtet wurde und hatte das ungute Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Es war etwas vor fünf Uhr am Morgen und Wochenende.
Chad hätte sie mehrfach gekreuzigt, hätte sie ihn aufgeweckt. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schlich sie sich auf Zehenspitzen in die Küche. Doch ihre Sorge, sie könne jemanden aufwecken, erwies sich als unbegründet, ihre beiden Eltern waren schon wach.
Chad, der den Arm um ihre Mutter gelegt hatte, die immer wieder mit geröteten Augen in ein Taschentuch schnaubte, schaute mit trübem Blick auf die Küchenwand.
„Was ist los?“ Rose Bauch schien sich zu verklumpen und ihr wurde instinktiv schlecht.
Ihre Mutter erschrak kurz, als sie ihre Tochter bemerkte, dann nahm sie alle Kraft, die sie noch hatte zusammen und wankte auf sie zu.
„Rose, es tut mir Leid…“
sagte sie mit zitternder Stimme, wobei sie sich sichtlich bemühen musste, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen.
„Aber dein Bruder ist tot.“
Die Beerdigung lief im kleinen Kreis und so wie die meisten Beerdigungen ohne viel öffentliches Aufsehen ab, wobei das jedoch in diesem Fall alles andere als Selbstverständlich war.
Crystallake war eine kleine Stadt und so war eine Nachricht über einen unnatürlichen Tod der Lokalzeitung dieses Ortes gerne einmal eine Schlagzeile wert.
Crystallakes Bevölkerung bestand größtenteils aus Kindern, die, sobald sie volljährig wurden oft so schnell sie konnten das Weite suchten und Alten, die hier wahrscheinlich ihr gesamtes Leben verbracht hatten.
Crystallake war kein Ort, an dem viel passierte und so bestanden die Lokalnachrichten meistens aus Todesanzeigen von Menschen, die eines natürlichen Todes in ihren Bett umgeben von ihren Geliebten gestorben waren oder Artikel über vermisste Katzen.
Artikel über einen in der Wüste an einer Überdosis Gestorbenen gab es allerdings kaum.
Das kein Artikel dieser Art erschienen war, schien nur der Tatsache zu verdanken zu sein, dass die zwei Finder des Toten sich lieber selber nicht in die Nähe eines Reporters wagen wollten, da sie selber nicht erklären konnten, was sie in der Wüste zu suchen hatten.
Rose presste die Hände zu Fäusten, als sie dabei zusah, wie der Sarg langsam heruntergelassen wurde. Ihr Bruder war an keiner Überdosis gestorben, das wusste sie ganz genau, er hatte Drogen nicht einmal ein einziges Mal angerührt.
In Rose kochte die Wut. Wie konnten sie ihren Bruder bloß einfach so als Drogenjunkie abstempeln? Ihr Bruder war schon seit Rose denken konnte krank gewesen,
es mussten das Medikament gewesen sein, die er zu sich nehmen musste.
Zur Beerdigung selber waren nur die nahsten Verwandten eingeladen worden, ihre einzige noch lebende Oma, zwei Brüder ihrer Mutter und deren Frauen, sowie die Schwester ihres Vaters und ihre Cousinen.
Sie konnte ihre verurteilenden Blicke geradezu spüren.
Das war so Scheinheilig. Rose wusste ganz genau, dass ihre Cousine Clare schon ab ihrem vierzehnten Lebensjahr ein Alkoholproblem hatte und ihre Verwandten das einfach nicht wahrhaben wollten.
Der Polizist auf dem Revier hatte gemeint, dass Dan sich wohl einen goldenen Schuss gesetzt haben musste.
Dann fragte er, ob Dan vielleicht einige Zeit clean gewesen sei. Es könnte ja sein, dass er die Dosis, die sein Körper vorher ausgehalten hatte nicht mehr vertragen könnte.
Während des gesamten Gespräches schaute Rose nur auf das Gesicht Chads und versuchte die Reaktion in seinem Gesicht auf die Behauptung, sein Sohn sei ein Junkie gewesen, zu lesen.
Doch die Miene Chads blieb ausdruckslos und sein Blick wirkte glasig als er sich von dem Polizisten verabschiedete.
Es war perfektes Wetter für eine Beerdigung, was bedeutete, dass es aus allen Eimern schüttete, so als würde selbst der Himmel weinen.
Der Priester, welchen man nur der strenggläubigen Großmutter zu liebe gerufen hatte, ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und hielt seine Rede so professionell wie es ihm möglich war ab, ohne dabei darauf zu achten dass er hiermit das Missfallen der meisten Anwesenden erntete, die froh waren, als der Sarg endlich hinabgelassen war und man ins warme und trockene gehen konnte.
Ihre Mutter hatte ein Buffet angerichtet, bei dem Reden gehalten werden sollten.
Den meisten auf der Beerdigung kam das komisch vor, doch Rose und ihr Vater wussten, dass auf diese Weise nach Ablenkung suchte.
Trotzdem nahm ihre Verwandtschaft dies dankend an und verschwanden in das Innere des Gemeindehauses. Rose jedoch blieb an Ort und Stelle stehen.
Ihre Eltern fragten sie, ob sie nicht mit rein kommen wolle, was Rose ablehnte. „Bist du dir sicher? Ich will nicht, dass du dir noch eine Erkältung holst.“
„Keine Sorge. Ich will einfach noch einen kleinen Moment alleine sein. Ich komme gleich nach.“ Ihre Mutter drückte ihr einen Kuss auf die Wange, dann folgten die beiden den anderen hinein, so dass Rose gänzlich alleine dastand. Sie starrte auf das nun schon zugeschüttete Grab und versuchte an etwas anderes zu denken, jedoch ging ihr der Anblick ihres Bruders nicht mehr aus dem Kopf. Sie wünschte, sie hätte darauf verzichtet, Dan noch einmal zu sehen.
Das was da gelegen hatte, war längst nicht mehr ihr Bruder gewesen. Es war ein Schock für sie gewesen, den leblosen Körper, der nun nicht viel mehr als eine leere Hülle zu sein schien so zu sehen.
Der Bestatter selber war verblüfft von dem außerordentlich guten Zustand, in dem sich der Tote befunden hatte.
Dan musste mindestens fünf Stunden tot gewesen sein, bevor er gefunden wurde und trotz der Hitze hatte die Verwesung des Leichnams noch nicht begonnen. Sie musste unwillkürlich an Schneewittchen denken, wie er da so vor ihr lag, als würde er jede Minute wieder aufstehen.
Dem Leichenbestatter selbst war das ein Mysterium, Dans Körper wirkte so, als würde er jeden Moment wieder aufstehen und sich bewegen. Aber er war tot, ganz ohne Zweifel.
Tatsächlich wirkte er noch so lebendig, dass der Bestatter ihm außer Make-up nur einen Anzug mit Handschuhen angezogen hatte.
Die Handschuhe verbargen den einzigen Hinweis, wie sehr Dan vor seinem Tod gelitten haben musste.
Seine Finger waren gebrochen gewesen und verdreht, was dem Ganzen einen noch viel unnatürlicheren Anblick verliehen hatte als sowie so schon.
Ihre Mutter hatte den Anblick ihres toten Sohnes nicht ausgehalten und war weinend rausgelaufen.
Der Regen war mittlerweile zu einem leichten nieseln geworden und das Gefühl des Wasser auf ihrer Kleidung holte Rose in die Gegenwart zurück.
Rose war so tief in ihre Gedanken versunken gewesen, dass ihr der Mann, welcher neben ihr stand, zuerst gar nicht aufgefallen war.
Erst nach einiger Zeit nahm sie aus dem Augenwinkel den langen schwarzen Mantel des Unbekannten und seinen Hut, die das darunter liegende vollkommen verhüllten wahr.
Rose hatte allerdings keine Lust auf eventuelle Beileidsbekundungen des Mannes und ignorierte ihn. Gerade wollte sie mit ihrer Trauer alleine sein und sich nicht mit ihm zu einem Gespräch zwingen.
Aber war sie überhaupt traurig? Irgendwie fühlte sie mehr Leere als Traurigkeit an.
Natürlich hatte sie ihren Bruder geliebt, aber diese Angst von damals, die einfach daher kam, dass er lebte und für was er nichts konnte, hatte sie geprägt und auch wenn sie nun in einem Alter war, indem sie dies als die Gedanken einer achtjährigen abtun konnte, so war mit dem Tod Dans auch das letzte Fitzelchen Angst mit ihm ins Grab gegangen. Ein Gefühl von Schuld machte sich in der Leere breit, als sie dran dachte, dass sie mehrmals gehofft hatte, er würde endlich sterben.
Der Mann stand weiterhin unbewegt neben ihr, ohne einen Ton zu sagen und ohne Rose größere Beachtung zu schenken.
Sie tat es ihm zuerst nach und versuchte nicht auf ihn zu achten,
nach einer Weile jedoch machte sie seine Anwesenheit nervös und sie überlegte, ob sie ihn vielleicht ansprechen sollte. „Du bist also Rose.“
Es war keine an sie gerichtete Frage, es war einfach nur eine Feststellung
„Ja, die bin ich. Waren sie ein Freund meines Bruders? ´´
„Mehr ein flüchtiger Bekannter.“ Beide hatten während des Gespräches den anderen nur aus dem Augenwinkel angesehen, ohne den Blick vom Grab mit der nassgewordenen Erde abzuwenden.
Doch nun drehte sich Rose misstrauisch dem Mann zu, der weiterhin starr auf das Grab schaute, so dass sie nur einen Blick auf das Seitenprofil des Teils seines Kopfes gewinnen konnte, der nicht von dem Hut und den Mantel bedeckt war.
Und auch der Teil seines Gesichtes den sie sah, war nicht sonderlich vielsagend.
Der Mann hätte unmaskiert eine Bank ausrauben können und niemand der Angestellten oder Kunden hätte ihn im Nachhinein beschreiben können.
„Das heißt sie wollten jetzt einfach noch einmal Abschied nehmen?“
„Wieso sollte ich das wollen?“ Ob das hämisch oder wirklich als Frage gemeint war, konnte man durch die Stimme des Mannes nicht sagen, Rose entschied sich allerdings für die erste Interpretationsmöglichkeit.
Ihr reichte es nun. Nicht nur, dass sie um die Zeit, die sie eigentlich mit Dan verbringen wollte beraubt worden war, nun wurde er auch noch Respektlos ihrem Bruder gegenüber.
Aber sie hatte keine Lust sich jetzt auf einen Streit mit ihm einzulassen, weshalb sie ihn stattdessen mit Missachtung strafte.
Stumm schauten sie, Seite an Seite auf das Grab, ohne dass einer von ihnen ein weiteres Wort verlor.
Dann drehte sich der Mann weg und stapfte über den matschigen Boden davon.
Diese beachtete ihn ihrerseits nicht weiter. Sie hatte mittlerweile längst das Interesse an ihm verloren. Sie hatte viel größeres Interesse daran, sich auf den Beinen zu halten.
Von einer Sekunde auf die andere wurde ihr auf einmal schwindelig und sie spürte, wie ihr schwarz vor den Augen wurde. Sie schwankte und realisierte, wie durch einen Vorhang hindurch, wie sie mit dem Kopf nur wenige Zentimeter vor der Kante des Grabsteines ihres Bruders auf dem durchnässten Boden aufschlug.
An der Decke des Ortes, welcher unendlich weit in die Ferne und unendlich weit nach oben zu gehen schien, hing eine vor sich hin flackernde Glühbirne, die die einzige Lichtquelle darstellte und einen kreisrunden Ausschnitt des Platzes beleuchtete, an dem sich Rose momentan befand.
Dies war auch das Einzige, was den kleinen Raum ohne Ecke von der Dunkelheit drum herum abtrennte. Der Untergrund war mit schwarz-weißen Kacheln gefliest worden. Unter der Glühbirne stand ein kleiner Holztisch, an dem Rose auf einen kleinen Holzschemel saß. Neben diesen Gegenständen gab es am äußeren Rand des Kreises noch ein rotes Sofa, neben den auf einer kleinen Kommode ein altmodisch wirkendes Radio stand.
Erst jetzt, wo Rose dieses wahrgenommen hatte, hörte sie das unentwegte Rauschen, welches aus ihm kam.
Sie war von einer merkwürdigen Gleichgültigkeit allem Gegenüber erfüllt.
Vollkommen antriebslos saß sie da, mit dem merkwürdigen Wissen darüber, dass sie sich eigentlich fragen sollte, warum sie an so einem Ort war, doch besaß sie keinerlei Antrieb, dies herauszufinden.
Erst nachdem eine völlig unmöglich einschätzbare Menge Zeit vergangen war, begann sie sich zu fragen, ob oder was sie tun sollte.
So saß sie noch eine Weile auf dem Stuhl, bis das flackern der Birne ihr zu nervig wurde.
Sie stieg auf den Tisch und bemerkte, dass die Glühlampe nicht richtig reingedreht worden war.
Sie fasste sie, welche glühend heiß sein musste mit ihrer nackten Hand an, doch weder spürte sie einen Schmerz noch irgendetwas anderes.
Als sie die Glühbirne reingedreht hatte, verschwand zusammen mit dem Flackern auch der Schleier, der ihre Gedanken getrübt hatte. Mit dem befriedigten Gefühl etwas repariert und geleistet zu haben, stieg sie von dem Tisch, doch das Radio rauschte immer noch.
Sie ging zu ihm hin und schaute es sich genauer an, um die Ursache des Rauschens zu finden und dem Geräusch ein Ende zu bereiten.
Doch weder hatte das Radio einen Versteller, noch einen Stecker, mit dem man es hätte ausmachen können, so dass Rose keine Ahnung hatte, was sie dagegen tun konnte.
„Wer bist du?“ Rose erschrak kurz. Die Stimme klang weder männlich noch weiblich, war weder sonderlich tief noch hoch, noch hatte sie irgendwelche Erkennungsmerkmale, die man einer Person zuordnen hätte können.
Zuerst stand sie wie erstarrt da, dann sammelte ihren Mut zusammen.
„Ich bin Rose“, flüsterte sie wahrheitsgetreu in den Lautsprecher.
„Rose.“ wiederholte die Stimme. Darauf folgte ein kurzes Schweigen.
Dann wieder eine Frage „Und was bin ich?“
Rose wusste nicht, ob der Sprecher die Frage an sie oder an sich selber stellte, doch nach einiger Zeit der absoluten Stille antwortete sie mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.
„Das weiß ich nicht.“ Sie erschrak sich, als es so schrill aus dem Radio herauskam
„Was bin ich?“ Der ganze Raum schien hin und her zu wackeln, der Kronleuchter flackerte nun noch mehr als zuvor und das Rauschen des Radios wurde Ohrenbetäubend laut. Trotzdem übertönte die schrill kreischende Stimme dieses noch, als sie die Frage erneut und erneut herausschrie und Rose merkte, dass die Stimme gar nicht aus dem Radio, sondern von dem kleinen Stuhl neben ihr kam.
Eine kleine schwarze Wolke waberte vor sich hin.
Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie auf den Sessel, jedoch wurde das Geschrei nun so laut, dass es ihr nicht gelang, sich zu konzentrieren „Was bin ich? Was bin ich? Was bin ich? Was bin ich?“
Der ganze Boden schwankte nun wie auf einem Schiff von links nach rechts, doch Rose stand nicht mehr in ihm, sondern flog nach oben, bis der kleine Raum nicht mehr als ein kleiner Punkt unter ihr war.
Auf einmal fing es an zu regnen und Wasser flutete den unendlich großen Raum.
Rose rang nach Luft, doch es wollte ihr nicht gelingen.
Es gab nun kein oben und unten mehr, nur der kleine Lichtpunkt verriet ihr, von wo sie gekommen war. Sie schwamm also in die entgegengesetzte Richtung weiter, wissend, dass dies ihre einzige Chance war. Und tatsächlich: Zu schwach, um von ihr zuvor gesehen worden zu sein, schien auch von dort ein Leuchten zu kommen.
Rose schwamm darauf zu. Sie war dem Leuchten schon ganz nah, da verließ sie alle Kraft und sie sank zurück in das schwarze Wassermeer, welches sie in sich zu ertrinken versuchte. Langsam sah sie das Licht vor sich wieder verschwinden und sie schloss ihre, in dieser dichten Dunkelheit sowieso nutzlos gewordenen Augen.
Als sie aufwachte, brauchte sie einen Moment um zu realisieren wo sie war.
Sie keuchte und hustete das Wasser und den Schlamm aus, der in ihren Mund gelaufen war.
Blitzschnell war sie wieder auf den Beinen und sie untersuchte sich.
Ihr tat alles weh und sie war vollkommen durchnässt, zudem war ihr schwarzes Trauerkleid mit Schlamm und Erde bedeckt.
Sie wurde von einem Niesanfall durchschüttelt und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter.
Sie lief durch den Regen zum Gemeindehaus, wo ihre schockierte Mutter ihr sofort befahl sich umzuziehen. Im Gemeindehaus gab es eine Kiste mit Fundsachen und ihre Mutter stattete sie mit einer Jeans und einem Einhorn T-Shirt aus, welches so klein war, dass sie Bauchfrei auf den Trauerbüffet umherlaufen musste. Sie erzählte ihren Eltern nichts von ihrem Ohnmachtsanfall und sagte, sie sei ausgerutscht, sie wollte sie nicht noch unnötig belasten.
Sie hatte keinen großen Hunger, zudem gab es nur wenig, was vegetarisch war und so verkroch sich in eine Ecke und war froh, als alle Trauergäste weg waren und sie nach Hause fahren konnten.
Den Mann und ihren Traum hatte sie längst vergessen.
Rose hatte die Grippe schlimm erwischt. Sie fieberte mindestens eine Woche lang und ihre Nase war komplett zu. Schweratmend lag sie im Bett, während ihre Mutter immer nur hin und herging um ihre Umschläge auszutauschen. Ihre Mutter nahm sich extra zwei Wochen frei um sich um sie zu kümmern und umsorgte Rose, als wär sie wieder ein kränkliches, auf die Hilfe anderer angewiesenes Kleinkind.
Rose derweil ließ die aus ihrer Sicht übertriebene Fürsorge ihrer Mutter anstandslos über sich ergehen. Dank einer Mischung aus dutzenden von Umschlägen auf der Stirn und literweise Suppe, ging es Rose nach einer Woche schon wieder so gut, dass sie an dem Termin der an diesem Tag stattfinden sollte, teilnehmen konnte. Heute sollte die Testamentsverlesung ihres Bruders stattfinden.
Rose wusste zwar nicht, als was ihr Bruder gearbeitet hatte, jedoch schien es für eine eigene kleine Privatwohnung gereicht zu haben, weit weg von dem eigenen Elternhaus, von der sie erst jetzt erfahren hatten.
Das ein achtundzwanzigjähriger ein Testament verfasst hatte, war zwar im Normallfall ungewöhnlich, aufgrund der langen Krankheitsphase, die Dan in seinem Jugendalter durchgemacht hatte, verwunderte es allerdings niemanden der drei Besonders, dass er derartige Vorkehrungen getroffen hatte.
Auch wenn er es niemals zugegeben hätte, war Mr. Diaz sichtlich angespannt, da sie nicht die Sicherheit hatten, ob die Wohnung nun ihnen gehörte oder nicht.
Der Notar hatte nämlich zuvor angekündigt, dass außer ihnen noch zwei weitere Personen zur Testamentsvollstreckung erscheinen würden.
Rose hatte keine Ahnung ob ihr Bruder in einer Beziehung gewesen war, er war seit seinem Auszug kaum noch zu Hause und generell eine sehr verschlossene Persönlichkeit gewesen.
Sie schwiegen während der ganzen Fahrt und hörten den überdrehten Radiomoderator zu, den Rose genervt zu ignorieren versuchte.
Um den Sprecher so gut es ging auszublenden ließ sie sich das letzte Mal,
als sie ihren Bruder lebend gesehen hatte, noch einmal durch den Kopf gehen.
Dan war sehr Unruhig und schien völlig Aufgelöst gewesen zu sein, hatte kaum auf Anreden reagiert und wirkte sehr hektisch. Auch dem Polizeibeamten hatte sie davon erzählt, welcher dem allerdings keinerlei größere Beachtung geschenkt hatte.
Für eine Sekunde fragte sie sich, ob an der Drogentheorie des Arztes etwas dran gewesen sein konnte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder worauf sich Schulgefühle in ihr breit machten, dass sie überhaupt an so etwas gedacht hatte.
Mit einigen Minuten Verspätung kamen sie am vereinbarten Treffpunkt an.
Die Kanzlei lag im dritten Stockwerk, was Rose, die noch nicht vollkommen genesen war einiges an Energie abverlangte. Sie klingelten an der Tür, doch statt, dass die Tür automatisch entriegelt wurde und sie eintreten konnten, öffnete ihnen der Notar selber.
Der Notar war ein Mann mit einem schwarzem Schnauzer, der von weißen Haaren durchzogen war und einer runden Nickelbrille auf der Nase.
„Guten Tag. Ich bin Herr Clifton. Wir hatten telefoniert. Mein Beileid für ihren Verlust. ´´
Er gab ihrem Vater die Hand, danach ihrer Mutter und schließlich ihr, wobei er ihr unentwegt in die Augen schaute. Ein zucken schien durch seinen Körper zu gehen und für eine Sekunde nahm der Druck, den er auf ihre Hand ausübte zu, dann entspannte sie sich wieder und er ließ sie los.
Unauffällig wischte sie sich Hand an ihrer Hose ab, während der Notar sich wieder Chad zugewandt hatte, welcher sich für die Beileidsbekundung bedankte.
„Entschuldigen sie bitte die Verspätung. Um diese Uhrzeit ist der Verkehr nicht gerade angenehm.“
Rose verdrehte innerlich die Augen. Die Wahrheit war das Chad falsch abgebogen war. Rose wusste gar nicht, weshalb ihn die Erbschaft so in Aufruhr versetzte. Was konnte ein Achtundzwanzigjähriger denn schon groß zu vererben haben?
„Oh ja ich glaube hier in der Nähe wird gebaut.“ erwiderte Herr Clifton in ganz unverfänglichen Smalltalk „Ein anderer Herr hat auch angekündigt sich zu verspäten er meinte wir bräuchten allerdings nicht auf ihn zu warten. Sie sind übrigens nicht die ersten die hier aufgetaucht sind.“
Damit öffnete er eine Tür hinter der ein auf einem Stuhl sitzender Mann zum Vorschein kam.
Dieser machte weder Anstalten sich vorzustellen noch würdigte er die Neuankömmlinge eines Blickes.
Der Notar führte sie zu dem Schreibtisch vor dem der Mann schon Platz genommen hatte.
„Oh das ist mir jetzt aber peinlich. Wir sind mit dem Umbau wohl noch nicht ganz fertig, wissen sie?“
Sagte er, als ihm klar wurde, dass es zu wenige Stühle für die Anwesenden gab
„Das macht nichts“,
sagte Mr. Diaz ,,Rose kann stehen´´ Dann betrachtete er den Mann vor sich noch einmal genauer „Kenne ich sie nicht irgendwoher?“ Der Notar schüttelte verneinend den Kopf
„Nicht, dass ich wüsste.“ Und alle außer Rose setzten sich dem Anwalt gegenüber, während Sie sich an die Wand lehnte, um einen einsetzenden Schwindelanfall entgegenzuwirken.
„Mein ehemaliger Klient hat an jeden von ihnen einen Brief verfasst mit der Bitte an mich, ihn an jeden von ihnen zu verteilen.“ Damit holte er aus einem schon ziemlich abgenutzten schwarzen Aktenkoffer einen Ordner heraus, in dem sich fünf Briefe in Kuverts befanden.
Als er diese hervorholte, presste er einmal tief Luft zwischen seine zusammengepressten Zähne.
„Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Fragte ihn Chad.
„Nein keine Sorge, es stimmt so weit alles, es ist nur…“
Er zeigte mit der einen Hand auf einen kleinen schwarzen Fleck auf einer Blume, die in einer Vase stand.
Es war eine Spinne.
„Es ist mir wirklich äußerst peinlich, aber wären sie bitte so freundlich diese Kreatur zu entfernen? Ich fürchte ich leide unter einer kleinen Arachnophobie.“
Mr. Diaz stand auf, nahm das kleine Tier zwischen seine Finger, öffnete das Fenster und entließ auf den Sims.
Der Notar seufzte erleichtert auf.
„Ich bin ihnen sehr verbunden, ich hoffe wir können diesen kleinen Zwischenfall schnell vergessen und wieder zum wesentlichen Übergehen. Hier bitte schön, die soll ich ihnen von Dan zukommen lassen.“ Damit überreichte er jeden der Anwesenden einen kleinen Umschlag, wobei einer übrig blieb.
Rose spürte wie ihre Migräne einsetzte und steckte den Brief ohne ihn zu lesen weg, während ihre Eltern, so wie der Mann der sich immer noch nicht vorgestellt hatte ihre durchflogen.
Rose sah sich neugierig den auf dem Stuhl sitzenden Mann an, verlor allerdings schnell das Interesse an ihm. Er hatte ein Allerweltsgesicht, der Notar hingegen war da allerdings viel interessanter. Rose nutzte diesen Augenblick und musterte den Notar genauer.
Alles an dem Mann sah so aus, als würde er einen harten Kampf gegen das Altern führen.
Seine Stirn und die Lachfalten an seinem Mund schienen geglättet worden zu sein, vielleicht war er auch nur ein sehr ernster Mensch, der durch seine ausdruckslosen Mundwinkel gar nicht die Gelegenheit für Lachfalten bekam. Er drehte sich mit dem Kopf zur Seite und Rose fiel die weiße Narbe unter dem Ohr des Mannes auf, wie sie für Schönheitsoperationen üblich war. Der Haaransatz des unbekannten war für sein Alter, welches ihr zwar sehr schwerfiel zu bestimmen, aber mit Sicherheit schon über 50 lag, ungewöhnlich voll und von einer tiefen Schwärze. Ja, der Mann tat sein Möglichstes um den Kampf gegen das Altwerden zu gewinnen, doch auch wenn es so schien, als habe er die Schlacht vorerst gewonnen, so zeugten vereinzelte weiße Härchen im Vollbart, der penibel gestutzt worden war, um nicht allzu verwildert auszusehen, dass er den Krieg allmählich aber sicher verlor. Neugierig wollte sie ihn sich noch etwas genauer anschauen, da spürte sie umgekehrt den Blick des Notars auf ihr ruhen. Als sich Ihre Blicke kreuzten schauten sie beide schnell weg.
Alle hatten ihren Brief etwa zur gleichen Zeit fertiggelesen, da klopfte es an der Tür und kurz darauf, ohne eine Antwort abzuwarten betrat ein etwa ein Meter achtzig großer Mann den Raum.
„Guten Tag bitte entschuldigen sie meine Verspätung.“ Damit ging er schnurstracks, ohne einer anderen Person im Raum Beachtung zu schenken auf den Anwalt zu, der bei dem Anblick des Unbekannten, der so abrupt eingetreten war, kurzzeitig die Fassung verloren zu haben schien.
„Ich bin Braggy Marshall entschuldigen sie bitte die Verspätung. Der Verkehr, wissen sie?“ sagte er mit dem stärksten australischen Akzent, den Rose nur vorstellen konnte.
Clifton nahm die Hand des braungebrannten Mannes mit blonden Haaren mit einem ihm augenscheinlich viel abverlangendem Lächeln entgegen, er schien es nicht gewohnt zu sein, so überrumpelt zu werden.
„Das macht natürlich überhaupt nichts. Sie sind gerade zum rechten Zeitpunkt gekommen. Wir wollten gerade mit der Verlesung beginnen“ „Da habe ich ja noch mal Glück gehabt“ Marshall ließ die Hand des Notars los und wandte sich dem Mann der auf dem Stuhl saß zu „Und mit wem habe ich hier das Vergnügen?“
„Mein Name ist Gottwald.“ Mit leichtem Wiederwillen streckte er die behandschuhte Hand aus.
Doch Braggy zog schnell die Hand weg, so als hätte er ihm einen Streich spielen wollen, anschließend gab er Rose und ihrer Mutter die Hand, welche sich ebenfalls vorstellten. Dann ging er zu Mr. Diaz „Und sie sind?“
Chad war offensichtlich genervt von der Verzögerung „Chad Diaz. Darf ich erfahren in welcher Beziehung sie zu meinem Sohn standen?“
„Dürfen sie, aber ich werde ihnen darauf keine Antwort geben.“ Damit ließ er die Hand des verdatterten Chads los. Rose entfuhr ein grunzendes Geräusch, als sie das Lachen zurückhielt. „Verzeihen sie bitte, aber wir haben keine Stühle mehr.“ Versuchte der Notar das Gespräch wieder auf ein anderes Thema zu lenken.
„Das macht nichts, ich kann stehen.“
Sagte Marshall und lehnte sich neben Rose an die Wand
Nun holte Herr Clifton einen anderen Ordner aus seiner Tasche, die diesmal allerdings nur ein verschlossenes Kuvert enthielt „Ich werde nun mit der Verlesung des Testamentes beginnen.“
„Haben sie da nicht noch etwas vergessen?“ Äußerte sich der Neuankömmling.
„Ich bekomme doch nicht etwa zufällig auch so einen schönen Umschlag wie die übrigen Anwesenden hier, oder?“
„Doch natürlich. Verzeihen sie bitte meine kleine Unachtsamkeit.“ Damit zog der Notar einen weiteren Umschlag aus seiner Tasche und übergab diesen dem Mann.
Dann öffnete er das Kuvert und begann zu lesen.
Doch Rose konnte nur einige Wortfetzen verstehen. Ihr ging es wieder schlechter und sie sackte an der Wand einige Zentimeter runter. Sie spürte wie ihr Atem schneller ging und sie versuchte diesen wieder mehr unter Kontrolle zu bekommen. Da spürte sie die Blicke ihres Nebenmannes mit einigem Interesse auf sich ruhen. „Konzentrier dich auf deinen Atem.“ Flüsterte er ihr zu „Ganz ruhig.“
Sie kriegte es hin wieder in normalen Atemzügen Luft zu holen und dass Schwindelgefühl nahm wieder ab
Verwundert stellte sie fest, dass der Mann neben ihr nicht der Einzige war der sie anstarrte. Ihre Eltern kuckten sie beiden nun auch mit großen Augen an. Hatten sie etwas von ihrem Schwächeanfall mitbekommen? Nein, das konnte nicht sein. Aber weshalb schauten sie sie ansonsten so an.
„Könnten sie das bitte noch einmal wiederholen?“ fragte Mr. Diaz.
„Hiermit vermache ich Rosalyn Diaz hunderttausend US-Dollar, so wie eine Eigentumswohnung, die ihre Erziehungsberechtigten bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahr verwalten sollen.“
Wiederholte Mr. Clifton das eben gesagte.
Der Schwindel kehrte wieder zurück.
„Oh. Das ist wow“, Antwortete Chad langsam. Dann schob er schnell nach ,,Woher kommt das Geld?“ Was Herr Clifton darauf antwortete, verstand Rose nicht mehr, sie merkte wie sich kalter Schweiß bildete und sie wieder leicht an der Wand runtersackte. Wie war ihr Bruder nur an so viel Geld herangekommen?
„Das wäre es dann mit der Testamentsvollstreckung“ sagte Herr Clifton „Hätten sie noch irgendwelche Fragen?“ „Ich hätte eine.“ Meldete sich Chad zu Wort „Sie können uns doch sicher gegen Provision helfen die Wohnung zu verkaufen?“
Der Notar hob eine Augenbraue „Ich denke nicht, dass das möglich sein wird.“ „Aber wieso denn nicht?“ Fragte Chad „Als Notar sollten sie so etwas doch öfters machen, oder? Und bis Rose Volljährig ist, ist es doch sicher an ihren Eltern, den Nachlass zu verwalten, oder etwa nicht?“
„Nun, ich denke, sie Missbrauchen ihre Position und ich werde das nicht unterstützen.“ Schmetterte er die Idee von Roses Vater ab.
Damit hatte sich das Thema vorerst erledigt.
Herr Clifton gab jeden zum Abschied noch einmal die Hand
„Damit hätten wir es dann“ sagte er.
„Einen schönen Tag noch.“ Rose konnte in den Gesichtern der anderen beiden Männer nicht ablesen, wie sie über ihr Erbe, das nur aus dem Brief zu bestehen schien, dachten. Waren sie enttäuscht oder glücklich über diese so gering erscheinende Hinterlassenschaft?
Für Roses Eltern schien alles klar zu sein, denn sie standen auf und verließen, nachdem sie sich von dem Notar verabschiedet hatten, zusammen mit Rose die Kanzlei.
Clifton, Gottwald und Braggy blieben noch zurück.
Als Rose bereits im Auto saß und sich angeschnallt hatte, sah sie letzteren aus dem Eingang des Hauses hinauskommen. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und schaute düster drein.
Sie sah wie, er dennoch ungeöffneten Briefumschlag aufmachte, den Inhalt überflog und den Brief anschließend in den nächsten Mülleimer warf.
Seine Miene änderte sich und er hob freundlich die Hand, als er gemerkt hatte, wie Rose ihn beobachtete. Mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein drehte sie sich blitzschnell weg und
Roses Vater fuhr los. Im Rückspiegel konnte Rose erkennen, wie er ihnen hinterher sah.
Es war ein langer Tag gewesen und er brauchte dringend Entspannung.
Kabale steckte sich eine Zigarre an ohne an ihr zu ziehen. Stattdessen nahm er nur den Tabakgeruch durch seine Nase wahr.
Für jemanden wie ihm, der sich so extrem gegen das Altern sträubte wie er war es unvorstellbar, derartige Schadstoffe in den Körper zu lassen. Früher, als die krebsfördernden Eigenschaften von Zigarren noch nicht so bekannt gewesen waren, da hatte er noch so viel geraucht, dass sich die Vorhänge gelblich verfärbt hatten. Es war ein schwerer Tag für ihn gewesen, als die er die erste Studie über Krebs und Rauchen gelesen hatte, trotzdem hatte er sofort aufgehört.
Dass er nun passiv rauchte ignorierte er beflissentlich.
Das war sie also. Sie hatte nicht sehr beeindruckend gewirkt. Sie vereinte fast alles von dem, was Kabale an Kindern hasste und was er für eine schlechte Erziehung hielt, so unaufmerksam wie sie die ganze Zeit gewirkt hatte.
Wie sie an der Wand gelehnt hatte und so aussah als ob sie jeden Moment einschlafen würde, hatte ihn fast Wahnsinnig gemacht.
Nichtsdestotrotz wusste er, dass er sie brauchte.
Er jubilierte innerlich und sein Herz machte einen Freudensprung. Nach all den Versuchen von Dans Seite, ihm seine Arbeit zu erschweren, hatte er am Ende aufgegeben und ihm schlussendlich doch noch verraten, wo er suchen musste. Er wusste nicht, warum Dan am Ende seinen Widerstand beendet hatte, Kabale hatte allerdings den Verdacht, dass Dan sich die Erfolgsaussichten für das Überleben seiner Schwester auf diese Weise größer vorgestellt hatte, was Kabale Ansicht nach natürlich auch stimmte.
Genau wie Dan damals, als er im Auto saß, umspielte ein leichtes Schmunzeln seine Lippen bei dem Gedanken daran, wie Dan zuvor seine gesamte Einrichtung abgebrannt hatte, nur um ihn jetzt nach seinem Tod um Hilfe regelrecht anzuflehen.
Er musste leicht kichern. Schlussendlich hatte Dan nach seinem Scheitern, seine Pläne zu verhindern, ihm auch noch unter die Arme gegriffen, nur, um seine kleine Schwester zu beschützen.
Da ein besonderer Tag und er nun voll von Tatendrang und so aufgeregt wie lange nicht mehr war, beschloss er, dass er sich ausnahmsweise einen Zug genehmigen konnte. Dann wurden seine Augen zu schmalen Schlitzen und er musste noch einen Zug nehmen, um sich zu beruhigen. Dass Noah wirklich zur Testamentsverlesung erscheinen würde, konnte nur bedeuten, dass er Kontakt zu Zarya aufgenommen hatte.
Wenigstens wusste er nun Bescheid über die Faktoren, die seine Arbeit noch behindern konnten.
Er ging zu einem kleinen Tisch und holte ein kleines Ortungsgerät hervor. Das andere war im von Dan gelegten Feuer verbrannt, aber er ließ sich immer zwei von allem anfertigen, um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Zu Recht, wie er befriedigt feststellte.
Allerdings erschien wieder kein kleiner blauer Punkt auf der Karte, welcher Noahs Position verraten hätte. Der Doktor ließ sich wieder in den Sessel sinken, anscheinend hatte er irgendeinen Weg gefunden, sich vor dem Signal abzuschirmen.
Er nahm noch einen Zug, dann entschied er, dass es an der Zeit war, einen Anruf zu tätigen.
Langsam und mit einem kleinen schnaufen stand er auf und ging zu dem Drehscheibentelefon. Kabale verstand die Vorteile der heutigen Geräte bei der man nur auf das Display drücken musste, fand allerdings das die damaligen Telefone einiges mehr an Stil zu bieten hatten. Außerdem hatte er durch dieses altmodische Telefon das Gefühl, die Zeit wenigstens etwas stillstehen zu lassen.
Er besaß zwar ein Handy, dieses war allerdings von einer chinesischen Billigfirma. Wahrer Luxus war etwas anderes. Man wusste wissen, worauf es ankam und wo man in Qualität investieren musste und wo es egal war. Er bemerkte wie seine Gedanken immer mehr abschweiften und er konzentrierte sich wieder mehr auf den Anruf den er tätigen wollte. Das Telefon beispielsweise bot ein hohes Maß an Qualität, so war es vollkommen abhörsicher. Er hatte die Scheibe kaum fertig gedreht und wurde verbunden, da wurde auf der anderen Seite schon angenommen und eine Stimme meldete sich. „Haben sie einen neuen Auftrag für mich?“
Kam es so klar aus dem Telefon, als würde die Person am anderen Ende des Raumes und nicht hunderte von Kilometern entfernt sein.
Dans Wohnung
Der halbe Samstag lag noch vor ihnen und so waren sie sofort nach der Verlesung zu Dans Wohnung gefahren. Rose hatte ihren Bruder nur zweimal hier besucht. Die Wohnung war klein und lag am Stadtrand, Rose war allerding trotzdem etwas neidisch auf ihren Bruder gewesen, der so weit weg von seinen Eltern gelebt hatte. Rose hatte keine Ahnung, was ihn überhaupt in der Stadt gehalten hatte, da die meisten nach der Schule die Flucht ergriffen und in andere Städte zogen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie aber nicht gewusst, dass diese Wohnung ihrem Bruder war und ihr Bruder anscheinend einiges an Geld besessen hatte.
Erst jetzt fiel Rose auf, wie wenig sie eigentlich über das Privatleben ihres Bruders gewusst hatte. Gefühle von Reue und verpassten Chancen kamen in ihr hoch, doch sie wischte sie so schnell sie konnte zur Seite und folgte ihren Eltern zu der vom Notar angegebenen Adresse.
Als sie allerdings vor der Tür standen, wurde ihnen ihr erstes großes Problem bewusst, sie hatten nun zwar die Wohnung, jedoch keinen Schlüssel.
Also rief Herr Diaz noch einmal bei Herrn Clifton an, doch niemand nahm auf der anderen Seite das Gespräch ab. Da auch der Hausmeister nicht anwesend war und sie kein Interesse daran hatten, extra einen Schlüsseldienst zu engagieren, wollten sie ihr Vorhaben schon aufgeben, doch da kam eine Nachbarin von Dan, die ein Stockwerk über ihm lebte, zu Hilfe.
„Guten Tag kann ich ihnen helfen?“ Fragte sie, als sie versuchte sich um die Familie Diaz herum zu zwängen um in das Haus zu kommen. Es war eine junge Frau, die nur einige Jahre jünger als Dan sein musste. Misstrauisch schaute sie sie an. Sie wäre eigentlich sehr attraktiv gewesen, doch schien sie sehr krank zu sein oder irgendeine schwere Allergie zu haben, jedenfalls hatte sie eine laufende Nase und ihre Augen tränten, zudem atmete sie in sehr schnellen Zügen.
„Ja wir möchten den Hausmeister sprechen. Wir können nicht in die Wohnung, weil wir keinen Schlüssel für die Wohnung meines Sohnes haben“
„Zu wem wollen sie denn?“
„Wir wollen in die Wohnung von Herrn Diaz.“ Chad zeigte mit dem Finger auf die Klingel mit Dans Namen drauf
„Ah sie sind Dans Familie“ Sie entspannte sich sichtlich
„Ich habe ihn lange nicht gesehen. Geht es ihm nicht gut?“
„Oh. Sie haben es wohl noch nicht gehört, aber mein Sohn ist tot“ Sagte Mr. Diaz, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, diese Nachricht der jungen Frau schonend beizubringen.
Nun war sie sichtlich schockiert
„Das wusste ich nicht. Mein Beileid“ Stotterte sie. Einen Moment wirkte sie wirklich fassungslos, dann beruhigte sie sich wieder.
„Es tut mir leid sie nach ihm gefragt zu haben“
„Das muss es nicht“ antwortete Chad mit milder Stimme.
„Der Hausmeister ist momentan nicht da, aber ich kann ihnen auch weiterhelfen denke ich. Dan hat mir einen Zweitschlüssel gegeben für den Fall das er sich aussperren sollte.“
Mit zitternden Händen holte sie einen Schlüsselbund aus der Tasche und machte einen Schlüssel ab
„Den können sie haben.“
Die drei bedankten sich bei ihr und gingen hinter ihr ins Haus bis in das dritte Stockwerk. Rose sah ihr hinterher, als sie sich die Treppen hochkämpfte. Sie empfand Sympathie gegenüber der Frau. Sie war einige der wenigen, ausgenommen ihrer Eltern, deren Trauer um Dans Tod echt und nicht nur Oberflächlich gewirkt hatte. Rose fragte sich, in welcher Beziehung sie wohl zu ihrem Bruder gestanden hatte. Es war so als ob ihr Bruder noch ein geheimes Leben gehabt hätte, an dem er seine Familie nicht hatte teilnehmen lassen. Sie fragte sich, ob sie ein Teil davon gewesen war. Wenn es so war, so würde sie es wohl nie erfahren.
Auf den ersten Blick war klar, dass Dan nicht oft hier gewesen sein konnte. Die Inneneinrichtung war dürftig und nur mit dem nötigsten ausgestattet, mehr als geschlafen hatte er hier wohl nicht. Der Minikühlschrank enthielt nur einige verschrumpelte Karotten und bestätigten den Eindruck von Rose.
Chad rümpfte die Nase „Da hat der Junge so viel Geld aber gibt es für so ein Loch aus. Was hat er sich dabei wohl nur gedacht.“ Mr. Diaz hatte die kleine Wohnung in seinem gesamten Leben noch nie betreten. Ob das seine oder Dans Entscheidung gewesen war, Rose wusste es nicht.
„Wenigstens den Fernseher kann man mitnehmen.“ Mr. Diaz hatte sich aufgemacht um diesen nach unten ins Auto zu hieven und Rose streifte Gedankenverloren immer wieder durch die Zweizimmerwohnung, da fiel ihr ein kleines Bild auf, was halb hinter einem Vorhang stand. Es war eine seltene Aufnahme, die ihre Eltern vor Jahren von den beiden gemacht hatten, zu einer Zeit, als Dan noch bei ihnen gelebt hatte.
Melancholisch dachte sie an damals zurück. Sie hatte sich zwar damals bei seinem Auszug gefreut, endlich ein größeres Zimmer zu bekommen, hatte aber das Gefühl gehabt, ihm nicht mehr so nahe zu sein. Ihre Mutter, die Chad die Türen aufgehalten hatte kam wieder in die Wohnung.
„Rose? Wir fahren jetzt los“ Rose schaute versonnen auf das alte Bild.
„Ich möchte noch etwas hierbleiben, geht das ok?“
Ihre Mutter schaute einen Moment an und folgte ihren Blick, der immer noch auf das Bild gerichtet worden war, dann nickte sie verständnisvoll.
„Geht in Ordnung. Hier um die Ecke ist gleich eine Busstation, aber der letzte Bus geht schon um zehn Uhr, also pass auf.
„Ich möchte vielleicht hier übernachten.“ Sagte Rose, ohne den Blick von dem Bild zu lösen.
„Immerhin sollte ich ja zumindest einmal in meiner neuen Wohnung schlafen, meinst du nicht?“ Wandte sie sich mit einem Lächeln ihrer Mutter zu.
Ihre Mutter war nicht allzu begeistert von dieser Idee, aber es war Samstag und sie wollte Rose nur ungern einen Wunsch abschlagen.
„Na gut. Ich sage es deinem Vater. Pass auf dich auf“
Einen Moment schien sie noch über etwas nachzudenken, dann fiel es ihr ein.
„Hier hast du Geld für die Fahrkarte und für etwas zu essen“
Damit gab sie ihr 50 Dollar.
„Danke Mum“
„Kein Problem. Ruf mich morgen an bevor du morgen losfährst.“
Sie ging aus der Wohnung, dann drehte sie noch einmal um und umarmte Rose stürmisch.
„Mum, du erdrückst mich.“
„Tut mir leid Schatz, also dann, mach es gut, ja?“ Mit diesen Worten verließ sie endgültig die Wohnung.
Nachdem ihre Eltern weggefahren waren und Rose vergeblich etwas gesucht hatte, was ihrer Langeweile Herr werden konnte, bereute sie es nicht nach Hause gefahren zu sein.
Zeit alleine war zwar immer ganz angenehm für sie gewesen, allerdings hatte sie hier nichts, was sie tun konnte.
Da fiel ihr der Brief in ihrer Tasche wieder ein. Wie hatte sie den nur vergessen können?
Sie zog den zerknitterten Umschlag aus ihrer Jacke und begann zu lesen
„Liebe Rose,
ich darf doch wohl hoffen, dass dich der Grund für das Erhalten dieses Briefes in Trauer und Tränenausbrüche versetzt hat. Ich denke mir ein Bisschen Mitleid könnte meinem Geist ganz gut tun;)
(Dan hatte wirklich einen Smiley in den Brief geschrieben).
Ich war ja schon immer etwas kränklich, jedoch habe ich immer versucht, meinen Gesundheitszustand besser darzustellen als er es wirklich warum euch nicht allzu viele Sorgen zu machen. Die Wahrheit aber ist, dass es mir schon seit Jahren klar war, dass es hierzu kommen würde.
Auch wenn du es niemals zugeben würdest, so weiß ich, dass du und ich uns ziemlich ähnlich sind und ich hoffe, dass du, wenn du an derselben Krankheit leidest wie ich, nicht ebenso wie ich versuchst, Vater und Mutter nicht zu beunruhigen. Ich weiß selbst, wie viel besser du als ich darin bist, dein wirkliches Empfinden, sei es emotionaler oder physischer Natur, zu verbergen.
Ich hoffe aber sehr, dass du dir die Worte eines jahrelang innerlich leidenden und nun Toten zu Herzen nimmst.
Und so gerne ich diesen Brief hier nutzen würde, um dir etwas deiner Trauer zu nehmen, jedenfalls hoffe ich, dass du vielleicht ein wenig traurig bist, so egoistisch das auch klingt, muss ich dir leider sagen, dass auch du wahrscheinlich davon betroffen bist. Du wirst dich wohl kaum an Großmutter erinnern können, sie hatte allerdings ein ähnliches Krankheitsbild wie ich, wobei ich hoffe, dass das dich nicht betreffen wird.
Es tut mir leid, wenn das hier nicht die Worte sind, auf die du gehofft hattest und ich dir nichts von deiner Trauer nehmen konnte. Ich weiß nicht wirklich, was ich dir bedeutet habe, aber ich hoffe, dass mein Erbe dir wenigstens annähernd zeigen kann, wie viel du mir bedeutest.