Falkan und die Bruchlandung - Gerhard Krieg - E-Book

Falkan und die Bruchlandung E-Book

Gerhard Krieg

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Beschreibung

Ein alter Freund von Kriminalhauptkommissar im Ruhestand Kurt Falkan stürzt vor dessen Augen auf dem Gelnhäuser Flugplatz mit seiner Cessna ab. Ein Pilotenfehler, sagt die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen, und Karl Breuer droht der Entzug der Fluglizenz. Doch Breuer ist ein geübter Flieger und sich keiner Schuld bewusst. Daher beauftragt er seinen Freund Kurt zu beweisen, dass der Unfall eine andere Ursache hatte. Zu Anfang ein scheinbar unlösbares Unterfangen, doch im Laufe seiner Ermittlungen stößt Falkan auf immer mehr Hinweise darauf, dass an der unsanften Landung neben der Startbahn weder der Pilot noch die Maschine schuld waren.

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Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 10

Kapitel 11

Prolog

Linda Markowitz hing mit der Stirn an der warmen Fensterscheibe und blickte fasziniert in die Tiefe. Die Scheibe vibrierte leicht vom gleichmäßigen Rotieren des Propellers der alten Cessna 172 Skyhawk. Es war das erste Mal, dass sie sich mehr als die paar Treppen hoch ins Obergeschoss der Schule vom Erdboden entfernte. Als vor einer Viertelstunde die Landebahn immer schneller und schneller an ihr vorbeigezogen war, das Flugzeug rumpelnd über die Piste schoss und dann plötzlich den Kontakt mit dem sicheren Erdboden verloren hatte, hatte ihr das Herz bis zum Hals geschlagen, und sie hatte den Kollegen, die ihr den Rundflug geschenkt hatten, nur das Schlimmste gewünscht. Doch dieses Gefühl hatte nur einen schrecklichen Moment lang gedauert, danach war sie ruhig geworden. Höher und höher zog der Pilot die Maschine, unter ihr versanken die Autobahn und die Traktoren, und die Strohballen neben dem Flugplatz, die schon bald nur noch kleine gelbe Tupfen waren.

Linda fühlte sich mit einem Mal irgendwie frei, als wäre sie die letzten zweiundfünfzig Jahre dort unten, zwischen Arbeit, ihrem Kirchenkreis und den gelegentlichen Ausflügen mit der Bahn festgeklebt gewesen.

„Na, geht’s?“

Die Stimme des Piloten schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie löste die Stirn von der Scheibe und wandte ihm den Kopf zu.

„Toll.“

Der Pilot nickte lächelnd.

„Geht vielen beim ersten Mal so. Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Sobald wir oben sind, werden Sie nicht mehr runter wollen.“

Er lachte und zog die Skyhawk in einer langen Schleife nach links. Linda konnte Langenselbold und den Kinzigsee von ihrem Platz aus sehen. Ein Intercity rauschte unter ihr vorbei Richtung Fulda.

„Können Sie nicht mal einen Looping drehen?“

Linda drehte sich erschrocken um. Der Mann hinter ihr, ein dicker Kerl mit glänzender Glatze, grinste sie mutig an.

„Tut mir leid“, sagte Karl Breuer und sah kurz nach hinten. „Die Flugplatzkerb fängt erst übermorgen an. Kunststückchen gibt’s erst ab Samstag.“

Linda warf ihm einen dankbaren Blick zu und widmete sich dann wieder der Puppenwelt unter sich. Sie entdeckte den Fahrradweg, den sie so oft entlang der Kinzig fuhr. Wie winzig das alles von hier oben aussah? Von hier oben aus konnte man sich gar nicht vorstellen, dass man auf dieser dünnen, gewundenen Linie da unten so außer Puste kommen konnte, wenn man vorankommen wollte. Breuer deutete auf einen Punkt am Himmel in Flugrichtung. Er wirkte aufgeregt.

„Sehen Sie dort.“

Seine Passagiere folgten seinem ausgestreckten Arm. Nach ein paar Sekunden, in denen der Punkt größer und deutlicher wurde, verstand Linda seine Aufregung.

„Was ist denn das?“

„Das ist die Catalina, das Prunkstück der diesjährigen Kerb.“ Breuer überschlug sich fast vor Begeisterung. „Sie war für heute angekündigt, und wir sind die ersten, die sie zu Gesicht bekommen. Mann!“

Das imposante Flugzeug mit der riesigen Spannweite und den zwei bulligen Sternmotoren oberhalb des Rumpfs zog in wenigen hundert Metern Entfernung an ihnen vorbei. Breuer reckte den Hals, um ihr hinterhersehen zu können. Dann drückte er, einer spontanen Eingebung folgend, seine Maschine etwas nach unten und flog eine hundertachtzig Grad Kurve, sodass das alte Flugboot gut sichtbar über ihnen in Richtung Gelnhäuser Flugplatz dahin glitt.

„Fliegen wir schon wieder zurück?“, fragte Linda enttäuscht. Sie wollte noch ein wenig mehr die Welt von oben sehen, und dieses andere Flugzeug vor ihnen interessierte sie nur peripher. Außerdem hatten ihre Kollegen für eine halbe Stunde bezahlt. Breuer hatte inzwischen sein Handy gezückt und richtete das Objektiv auf die Catalina.

„Nein, nein, wir drehen schon noch eine Runde. Ich will aber erstmal dieses schöne Maschinchen ein wenig aus der Nähe bewundern. So eine Gelegenheit hat man selten, und es gibt bestimmt ein schönes Bild für die Wand.“

Linda war beruhigt und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder dem unter ihr liegenden Kinzigtal. Sie überflogen gerade ein großes Waldgebiet. Aus den Augenwinkeln konnte sie eben noch einen Blick auf die Spitze des Buchbergturms bei Langenselbold erhaschen. Die kleinen Puppenhäuschen dort vorne mussten zu Neuenhaßlau gehören. Der Wald sah aus der Höhe wie eine riesige, plattgedrückte Hecke aus, fand sie, oder eine dunkelgrüne, ruhige Wiese zwischen Autos und Schienen und den Traktoren überall auf den Feldern im Sommer. Der Pilot jagte derweil immer noch dem großen Flugzeug, den Namen hatte sie sich nicht merken können, nach, und die Bäume schienen langsam näher zu kommen. Wahrscheinlich, so vermutete sie ohne viel Ahnung von der Luftfahrt zu haben, setzte das große Ding schon zum Landeanflug an.

Während die beiden Männer fasziniert dem Weg des Flugboots mit ihren Blicken folgten – der Mann vom Rücksitz hatte seinen Hals an ihr vorbei nach vorne gestreckt – erregte ein dunkler Fleck mitten im Wald unter ihr plötzlich Lindas Aufmerksamkeit. Ein baumloses Stück Erde, oder ein kleiner See oder Tümpel, mitten zwischen den Bäumen. Es war aber weniger der Ort, der ihr Interesse auf sich zog, sondern die auffällige Bewegung zwischen den vorderen Baumwipfeln. Etwas kam aus dem Wald auf den dunklen Fleck zu. Etwas größeres, sie konnte nur nicht erkennen, was es war, denn da war das Flugzeug schon über die Stelle hinweg und die Bäume versperrten ihr die Sicht. Es war so schnell gegangen. Dann überflogen sie schon die ersten Häuser von Neuenhaßlau, und die Maschine war inzwischen so tief, dass man Menschen erkennen konnte, die nach oben sahen, um die über sie hinwegdonnernde Catalina zu bewundern.

Linda dagegen ging die Szene aus dem Wald nicht aus dem Kopf. Irgendetwas daran war ihr merkwürdig vorgekommen. Sie konnte nicht sagen, ob es die Störung des Waldfriedens gewesen war, oder dass sie den Eindruck gehabt hatte, dass das, was sie gesehen hatte, irgendwie nicht dorthin gepasst hatte, oder einfach nur der Umstand, dass sie nicht wusste, was sie gesehen hatte. Und so etwas machte sie immer unruhig. Linda war Lehrerin mit Leib und Seele, und wenn sie einmal nicht wusste, was um sie herum vorging oder wie die Dinge zusammenhingen, machte sie das immer ganz zappelig. Sie tippte Breuer an den Arm.

„Können wir nochmal zurückfliegen?“

„Wollen Sie denn was Bestimmtes sehen?“, fragte Breuer, ohne die Catalina aus den Augen zu lassen.

„Da war etwas im Wald. Ich bin neugierig.“

„Vier Beine oder zwei?“, frotzelte der Mann auf dem Rücksitz. Linda würdigte ihn keines Blickes. Der Kerl wollte sich über sie lustig machen, und das konnte sie so gar nicht vertragen. Wenn einer ihrer Schüler das versuchte, konnte sie – entgegen ihrer sonstigen Natur – ganz schnell zum eiskalten Auftragskiller werden.

Inzwischen war der Flugplatz in Sichtweite gekommen und das Flugboot flog eine weite Schleife, um von Osten her zur Landung anzusetzen. Breuer ließ die Skyhawk zum Abschied mit den Tragflächen winken – ein Manöver, das Linda doch ein wenig Angst machte – und drehte dann, an Höhe gewinnend, wieder nach Westen ab.

„Was haben Sie gemeint? Was wollten Sie sehen?“

„Dort vorne, der Wald hinter Neuenhaßlau. Da ist so eine Lichtung im Wald, und da war etwas.“

Der Pilot sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„War was? Was denn?“

Linda zuckte mit den Schultern und lächelte verlegen.

„Ich weiß es nicht. Es ist alles so aufregend und, wie gesagt, ich bin eben neugierig.“

Breuer bedachte sie mit einem `Typisch Lehrer´ Blick. Er kannte das alte Mädchen, wie er sie insgeheim nannte, schon längere Zeit. Er kannte aber ihren Namen erst, seit sie vorhin in sein Flugzeug gestiegen war. Linda Markowitz war die Lehrerin seiner Enkelin Emilie, und er hatte in der Vergangenheit mehrmals das Vergnügen gehabt, sie zu sehen, wenn er Emilie im Auftrag seiner Tochter von der Schule abgeholt hatte. Sie hatte auf ihn immer den Eindruck eines ältlichen Fräuleins gemacht.

„Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir Ihr verdächtiges Etwas finden“, lachte Breuer und nahm Kurs auf Neuenhaßlau. „Wenn es ein Reh war, ist es bestimmt inzwischen wieder ins Dickicht verschwunden.“

„Es war kein Reh“, widersprach Linda beleidigt, da sie sich nicht für ernst genommen fühlte. „Es war größer.“

„Vielleicht ein Rehbock“, kicherte es vom Rücksitz her. Sie drehte sich um und verschoss einen giftigen Blick auf den Dicken, der sie wieder mit seinem feisten Grinsen bedachte. Sie hielt sich jedoch für zu gebildet, sich mit einem Dummkopf zu streiten und drehte sich gleich wieder um, den Blick durch die Frontscheibe nach vorne gerichtet, wo soeben die Niedermittlauer Bahnhofssiedlung unter dem Rumpf versank.

„Können Sie ein bisschen tiefer fliegen.“

„Wenn wir dort sind. Sie sagten doch, es war beim Wald hinter Neuenhaßlau.“

Linda nickte schweigend. Es war der erste Flug ihres Lebens, und es war wohl etwas vermessen, dem Piloten gleich Anweisungen geben zu wollen.

Als sie das Waldgebiet zwischen Neuenhaßlau und Rodenbach erreichten, konnte sie jedoch nicht anders.

„Sie müssen weiter nach links. Da waren Waldwege, die sich kreuzen in der Nähe.“ Sie presste ihr Gesicht an die Seitenscheibe und suchte nach etwas Bekanntem. „Dort vorne, noch ein bisschen weiter links, dort bei den drei hohen Bäumen. Sehen Sie, da ist die Weggabelung, dort ist auch die Lichtung, sehen Sie? Können Sie ein bisschen tiefer gehen?“

Karl Breuer atmete einmal tief durch drückte das Steuer leicht nach vorne. Er war es nicht gewohnt, dass ihm bei seinen Rundflügen von den Passagieren Kursänderungen befohlen wurden.

„Das ist keine Lichtung“, berichtigte er die Lehrerin seiner Enkelin, „das ist ein Tümpel. Wahrscheinlich haben Sie ein Reh gesehen, das Durst hatte.“

„Es war kein Reh“, widerholte Linda etwas gereizter als beabsichtigt. „Es war größer.“

„Hm“, machte Breuer, um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Als die Skyhawk für zwei Sekunden über dem Tümpel war, klopfte Linda aufgeregt gegen die Scheibe.

„Da, sehen Sie, dort unten ist es, bei dem krummen Baum, da …“

Sie hatte deutlich eine Bewegung gesehen, aber es war wieder alles zu schnell gegangen.

„Ich hab‘ nix gesehen“, sagte der Dicke vom Rücksitz und lehnte sich kopfschüttelnd zurück.

„Können wir nochmal drüber fliegen?“, bat Linda kleinlaut. Sie ahnte mittlerweile, dass sie auf die beiden Männer sicherlich den Eindruck einer nervigen Besserwisserin machte. „Es hat so ausgesehen wie eines dieser komischen Autos, die jetzt überall bei uns rumfahren, die so aussehen wie rot gestreifte schwarze Zebras.“

„Sie meinen diesen neuen Kurierdienst, Brings? Was sollten die wohl in den Wald liefern?“

Karl Breuer atmete wieder tief durch, diesmal gleich zwei Mal, drosselte die Geschwindigkeit und flog eine Schleife, die die Skyhawk wieder über den Tümpel brachte, diesmal so tief, dass das Fahrwerk fast die Baumwipfel schrammte. Linda presste die rechte Wange fest an die Scheibe und schielte nach unten, doch da war keine Bewegung mehr und nichts Großes, nur ein friedlich daliegender dunkler Tümpel, umgeben von Wald. Enttäuscht sank sie in ihren Sitz zurück.

„Zufrieden?“

Breuer brachte die Maschine auf Normalhöhe. Die Welt wurde wieder zur Puppenstube. Linda sah stumm aus dem Fenster, schmollte und dachte daran, wie sie einmal die Polizei gerufen hatte, als sie noch in der Oberstadt gewohnt hatte und auf dem Grundstück gegenüber mitten in der Nacht stundenlang ein Kombi mit laufendem Motor und offener Heckklappe gestanden hatte. In ihrer Fantasie hatte sie sich ausgemalt, dass zwielichtige dunkle Gestalten das Haus ausräumen und danach schnell wieder abhauen wollten. Man hatte schließlich im Fernsehen schon oft Fluchtautos mit laufendem Motor und qualmendem Auspuff vor Banken stehen sehen.

Als die Polizei dann gekommen war, hatten sie lediglich den Bewohner des Hauses auf seiner Couch liegend vorgefunden. Der Mann war betrunken nach Hause gekommen, hatte im Suff den Motor nicht ausgemacht und wohl ein paar Schachteln Pizza aus dem Laderaum mit hinein genommen, ohne die Heckklappe wieder zu schließen.

Das Resultat ihrer `kriminalistischen Beobachtung´ war ein verlorener Führerschein und böse Blicke des Nachbarn, der Gott sei Dank wenige Wochen später weggezogen war.

`Vielleicht´, so dachte Linda und beobachtete eine Herde winziger Kühe weit unten, `sollte ich doch nicht so viele Kriminalromane lesen´.

Kapitel 1

Kurt Falkan hockte zusammen mit den Friedrichsens und Mike und Melinda auf einer der Festzeltbänke inmitten hunderter von Besuchern der Gelnhäuser Flugplatzkerb. Es war Kaiserwetter und der Himmel war erfüllt vom Brummen der Motoren. Zum Schutz vor der Sonne hatte Falkan seinen alten Strohhut auf dem Kopf, der ihm im Garten schon viele Jahre treue Dienste geleistet hatte.

Während die anderen am Tisch die Köpfe in den Nacken legten, um den Formationsflug von drei Doppeldeckern mit Rauchfahnen zu bewundern, hing Falkans Blick verträumt an den Oldtimern, die zwischen den geparkten Flugzeugen standen. Ganz vorne glänzte ein 70er Dodge Charger in der Sonne, direkt neben einem roten Opel Commodore Coupé und einem 300 SL Cabrio. Weiter hinten hatte er vorhin auch einen Firebird erblickt, genauso einer wie sein eigener, nur in Weiß und als Trans Am.

Falkan löste seinen Blick von dem Commodore, als neben ihm Friedrichsens Sohn Paul einen erschrockenen Quietscher von sich gab. Die Ursache dafür war ein auf dem Kopf stehender rotweiß gestreifter Doppeldecker mit einem nach unten hängenden Mann auf der oberen Tragfläche, der soeben hundert Meter über ihren Köpfen dahintuckerte. Der Mann auf der Tragfläche winkte auch noch.

„Nicht nachmachen, Paul“, sagte Falkan und drohte mit dem Zeigefinger. Paul, der dieses Jahr in die Schule gekommen war, ließ sich von der Mahnung nicht beeindrucken und starrte mit offenem Mund in die Höhe. Simone Friedrichsen lächelte und strich ihrem Sohn über die Haare.

„Keine Sorge, Kurt, unserem Paulchen wird schon schwindelig, wenn er auf Papas Schultern hockt.“

„Nicht wahr“, beschwerte sich Paul, ohne die Augen von der akrobatischen Attraktion über seinem Kopf zu nehmen. Der Doppeldecker vollführte jetzt einen halben Looping nach oben, sodass der Artist, der sich an einem Gestell festhielt, wieder in eine bequemere Stellung geriet. Falkan musste an seine Reise in die Südsee denken, für die er vor einigen Jahren das erste Mal in seinem Leben ein Flugzeug besteigen musste. Es war ein einmaliges Erlebnis gewesen, die Welt von oben zu sehen und dem Morgen entgegenzufliegen, aber ein Freund der Fliegerei würde er wohl nie werden. Der Erdboden war eindeutig zu weit entfernt gewesen.

„Ist keine Schande, Paul“, tröstete er, „das Fliegen ist nicht jedermanns Sache.“

„Tut mir leid zu hören“, sagte eine Stimme hinter Falkan. Er drehte sich um und sah in das grinsende Gesicht von Karl Breuer. „Ich wollte dich gerade zu einem Rundflug einladen.“

Falkan kannte den Gärtnermeister, der seine Großgärtnerei vor einigen Jahren seiner Tochter übergeben hatte, um seinem Hobby, der Fliegerei, mehr Zeit widmen zu können, vom Kauf der wöchentlichen Rose für seine verstorbene Frau Sigi. Der regelmäßige Besuch im Blumenladen über mehrere Jahre hinweg hatte eine lockere Freundschaft wachsen lassen, die irgendwann zum vertrauten `Du´ geführt hatte.

„Grüß dich, Karl. Rundflug?“ Falkan verzog skeptisch den Mund. „Du weißt doch, das Fliegen ist nicht gerade meine Leidenschaft. Aber wenn ich dich vielleicht zu einem Gespritzten einladen darf.“

Falkan klopfte auffordernd auf den freien Platz neben sich auf der Bank.

„Danke.“ Breuer umfasste mit beiden Händen einen imaginären Steuerknüppel. „Ich will noch ein paar Runden drehen. Es gibt nämlich Leute, die gerne mal die Welt unter sich lassen.“

Er winkte zum Abschied und ging zu seiner Maschine, die etwas abseits des Trubels neben dem Hangar parkte. Zwei von den Leuten, die die Welt für eine halbe Stunde unter sich lassen wollten, warteten bereits neben dem Flugzeug.

„Wer war denn das?“

Melinda Boatonga, Michael Grebners Freundin und Simone Friedrichsens Schwägerin ins spe, sah Falkan neugierig an.

„Karl Breuer. Ich kenne ihn vom Blumenkaufen. Er hat eine große Gärtnerei in Meerholz.“

„Ist er im Aero-Club?“

„Denke schon. Er hat ja ein eigenes Flugzeug. Alt, aber bezahlt.“

„Vielleicht kannst du uns mal bekanntmachen. Ich würde mich gerne mal mit ihm unterhalten.“

„Über Blumen oder übers Fliegen?“

„Übers Fliegen.“ Sie grinste Falkan schelmisch an. „Nicht jeder hat Schiss vorm Fliegen, weiß du?“

Falkan fühlte sich in seiner männlichen Ehre beleidigt.

„Ich habe keine Angst vorm Fliegen, ich finde nur, man sollte es damit nicht übertreiben. Willst du denn mal mitfliegen?“

Melinda sah hinüber zu Breuers Maschine, wo soeben der Motor stotternd in Gang kam.

„Ich will nicht mitfliegen, ich will fliegen, Kurt. Ich habe nämlich den Pilotenschein, schon seit meinem siebzehnten Geburtstag. Es wird Zeit, meine Kenntnisse mal wieder ein bisschen aufzufrischen.“ „Sie fliegt wie ein Adler“, bestätigte Mike und gab Melinda einen Kuss auf die Wange.

„Echt?“

Falkan war sichtlich beeindruckt.

„Unsere Farm in Kenia ist ein bisschen größer als eure Bauernhöfe in Altenhaßlau. Da kommt man mit dem Flugzeug besser voran.“

Falkan deutete zum Hangar hinüber, von wo aus Breuers Skyhawk langsam auf die Startbahn zurollte und dann stehenblieb. Auf dem Platz herrschte reger Verkehr, und er hatte sicherlich noch keine Starterlaubnis.

„Warten wir mal, bis er wieder landet, dann greife ich ihn mir, okay?“

„Danke“, sagte Melinda und widmete sich wieder dem Treiben am Himmel. Falkan verstand nun den träumerischen Blick, den sie schon die ganze Zeit in den Augen hatte. Er selbst wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Oldtimern zu. Soeben gesellte sich ein Siebzigerjahre Cadillac Cabriolet wippend und schaukelnd zu seinen Artgenossen und wurde von den anwesenden Oldtimerfreunden begeistert begrüßt.

Die Leute auf den Bänken um ihn herum klatschten, als der Doppeldecker mit dem Mann auf dem Rumpf wenige Meter hinter der Absperrung landete. Falkan schloss sich dem Beifall an. Kurz darauf rollte etwas weiter hinten Breuers Skyhawk rumpelnd los, wurde kurz von der weiter vorne stehenden Catalina verdeckt und eilte dann, an Geschwindigkeit gewinnend, über die Piste gen Westen.

„Hast du in Kenia auch so eine Maschine geflogen?“, schrie Falkan gegen den allgemeinen Motorenlärm an.

„Ja“, schrie Melinda zurück. „Die Skyhawk ist der weitverbreitetste Flugzeugtyp der Welt. Unsere war aber ein wenig neuer. Dein Freund hat schon einen richtigen Oldtimer.“

Sie blickten beide dem Kleinflugzeug hinterher, wie es sich vom Boden löste und langsam an Höhe gewann. Falkan fragte sich im Stillen, ob die Fliegerei vielleicht nicht doch etwas für ihn sein könnte. Das Alter war es nicht. Breuer war noch älter als er selbst, und für Leute, die es mochten, war das Fliegen bestimmt ein angenehmer Zeitvertreib. Dumm nur, dass er es nicht mochte.

Breuer flog derweil eine, wie Falkan fand, elegante Linkskurve, nur wenige Meter über die Baumkrone eines am Rand des Platzes einsam am Fahrradweg dastehenden Baums hinweg.

„Das war aber knapp“, meinte er fachmännisch. Melinda stimmte ihm nickend zu.

„Ja, er müsste eigentlich schon höher sein. Solche Manöver sind riskant, zumal er Passagiere an Bord hat. Dein Freund scheint ein verwegener Flieger zu sein.“

Falkans Aufmerksamkeit wurde kurz von den drei Doppeldeckern abgelenkt, die mit roten Rauchfahnen am Heck mitten über dem Flugplatz in drei verschiedene Richtungen auseinanderstoben und so eine Art Blüte an den Himmel malten. Melindas erschrockener Ausruf holte ihn wieder zu Breuers Maschine zurück, die immer noch in Bodennähe auf eine Buschreihe zu taumelte.

„Da stimmt was nicht, oder?“

„Allerdings“, sagte Melinda und sah sich um. Die Menschen um sie herum hatten nur Augen für die Show am Himmel. Sie sah zum Tower hoch und erblickte zu ihrer Erleichterung einen Mann am Geländer, der mit einem Fernglas den Flug der Skyhawk verfolgte. Im Ernstfall würde also schnell für Hilfe gesorgt werden. Als sie wieder zu den Büschen hinüber sah, streifte das Fahrwerk des Flugzeugs das Gehölz unter sich und geriet noch mehr ins Taumeln. Dann war es verschwunden und blieb es auch. Melinda blickte zum Tower hoch. Der Mann mit dem Fernglas hatte ein Handy am Ohr und redete aufgeregt hinein. Falkan war aufgesprungen und steckte die anderen am Tisch mit seiner Aufregung an.

„Was ist denn los?“

Friedrichsen sah den Freund erschrocken an.

„Er ist abgestürzt“, sagte Falkan fassungslos und deutete zum linken Rand des Flugplatzes hinüber. Friedrichsen und die anderen blickten in die angegebene Richtung, sahen allerdings nichts als Wiese, Bäume und Büsche.

„Sie haben es mitbekommen, Kurt“, beruhigte Melinda Falkan. Sie war ebenfalls aufgestanden und sah zu der Gegend hinüber, wo Breuer zu Boden gegangen sein musste. Kurz darauf erloschen die Rauchfahnen der Doppeldecker und die Maschinen setzten zur Landung an. Fahrzeuge des Aero-Clubs rasten über den Platz auf den Fahrradweg zu. Unter den Zuschauern machte sich Unruhe breit, die Leute sahen sich fragend an, bis eine Lautsprecherdurchsage für Klarheit sorgte und tausend Augen die Umgebung nach Spuren eines Unglücks absuchten.

„Ich befürchte, aus meinem Treffen mit deinem Freund wird heute nichts mehr.“

Falkan pflichtete ihr mit ernstem Blick bei und ließ sich wieder auf der Bank nieder. Mehr als warten konnten sie nun nicht, und nach wenigen Minuten rasten drüben über die Westspange Blaulichter vorbei. Zwei Stunden später – der Flugbetrieb war vorübergehend eingestellt worden – gab die Lautsprecherstimme zur Erleichterung der Besucher bekannt, dass die drei Personen im Flugzeug nur ganz leichte bis mittelschwere Verletzungen davongetragen hatten. Dennoch konnte Kurt Falkan den Rest des Tages an nichts anderes mehr denken als an die trudelnde Maschine drüben über den Hailerer Feldern. Nein, Fliegen würde wirklich nie zu seiner favorisierten Freizeitbeschäftigung werden.

Falkan stand so breitbeinig, wie es die kleine Stehleiter erlaubte, auf der letzten Stufe und versuchte, das Ablaufrohr vom Dach mit dem Anschluss der Regentonne zu verbinden. Er hatte, um das Überlaufen zu verhindern, unten eine Klappe angebracht, wofür er das ganze Rohr hatte abnehmen müssen. Nun hatte er seine liebe Mühe, den einen Teil wieder in den anderen zu schieben.

Fritz hockte neben der Tonne und beobachtete das Treiben seines Herrchens mit braunen, sorgenvollen Augen.

„Die meisten Unfälle im Haushalt passieren auf der Leiter.“

Falkans Hände umklammerten das obere Rohr, damit er beim Umdrehen nach dem Ursprung der Stimme nicht den Halt verlor und somit dem Sprecher auch noch recht gab. Der Besucher an der Hausecke erweckte allerdings selbst den Eindruck, als habe er der eigenen Warnung keine Beachtung geschenkt. Ein blessiertes Gesicht, ein Verband um den Kopf und eine Krücke am rechten Arm zeugten von einem erst kürzlich erfolgten Unglück. Als Falkan ihn erblickte setzte er ein schadenfrohes Grinsen auf.

„Das sagt der Richtige. Ich falle wenigstens nur von der Leiter und nicht vom Himmel.“

Karl Breuer kam humpelnd näher. Das Gehen bereitete ihm sichtlich noch Schmerzen.

„Den Himmel hatte ich glücklicherweise noch nicht erreicht, sonst wär’s anders ausgegangen.“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf seinen verbundenen Kopf. „Aber es reicht mir auch so.“

Falkan kletterte von der Leiter.

„Was ist mit deinen Passagieren? In der Zeitung stand nur was von leichten Verletzungen.“

„Stimmt. Mich hat’s am schwersten erwischt. Die anderen beiden haben nur ein paar Schrammen abgekriegt. Und natürlich einen Schock fürs Leben.“

Falkan lachte.

„Und du wolltest mich noch zu einem Rundflug einladen. Da ist mir meine Leiter lieber.“

„Apropos einladen. Deswegen bin ich ja gekommen. Ich würde dich gerne zu etwas anderem einladen.“

„Wenn es sich nicht höher als zwei Meter über festem Boden abspielt gerne.“

„Keine Angst, es ist genau dein Metier. Du sollst etwas für mich rausbekommen.“

Falkan setzte ein erstauntes und gleichzeitig erfreutes Gesicht auf. Seit einem Vierteljahr hatte kein Klient mehr an seine Tür geklopft.

„Du machst mich neugierig. Soweit ich weiß, hast du keine Verbindungen zum organisierten Verbrechen, bist seit über zwanzig Jahren verwitwet, hast dich vor ein paar Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen und verbringst einen Großteil deiner Freizeit weitab von der Schlechtigkeit der Welt in der Luft. Was könntest du für einen Auftrag für mich haben?“

Breuer hob seine Krücke.

„Können wir uns vielleicht irgendwo setzen?“

„Klar. Tschuldigung. Willst du etwas trinken? Ein Bier?“

Falkan ging zur Veranda voraus.

„Nein danke, ich will nicht auch noch auf die Fresse fallen.“

Die beiden Männer ließen sich lachend auf den Campingstühlen nieder.

„Also, ich höre.“

Breuer griff in seine Hosentasche und zog ein zusammengefaltetes Papier heraus.

„Das ist eine Kopie des Unfallberichts der BFU.“

Falkan nahm das Papier und faltete es auf.

„BFU?“

„Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung. Die kommen immer, wenn ein Flugzeug mal nicht auf normale Weise runtergekommen ist.“

„Richtig. Ich erinnere mich. Mit denen hatte ich auch mal zu tun, als bei Bonames eine Cessna aufs Feld gekracht ist. Der Pilot war ein Drogenhändler, und es hat sich herausgestellt, dass die Konkurrenz an der Maschine rumgebastelt hatte.“

„Genau deswegen bin ich zu dir gekommen.“

„Ich verstehe nicht.“

Breuer deutete auf das Papier in Falkans Hand.

„Da drin steht, dass sie keinerlei Anzeichen von technischem Versagen gefunden haben und dass der Unfall ein Pilotenfehler gewesen sein muss.“

Falkan verstand immer noch nicht.

„Und was soll ich da machen? Ich verstehe weder etwas von Flugzeugen noch vom Fliegen.“

„Aber du verstehst etwas vom Schnüffeln.“

„Ich bevorzuge die Bezeichnung Ermitteln.“ Falkan überflog die ersten Zeilen des Unfallberichtes.

„Hier steht, dass die Maschine nach dem Abheben nicht an Höhe gewann, ein Gehölz im Abflugbereich gestreift hat und auf einem Acker gelandet ist, wobei es zum Überschlag in die Rückenlage kam. Was soll ich denn da bitte ermitteln?“

„Ich habe keinen Fehler gemacht.“

„Na ja.“ Falkan richtete seinen Blick aus Verlegenheit auf den Bericht in seiner Hand.

„Wenn hier drin steht, dass…“

„Ist mir egal, was da steht!“, fuhr Breuer wütend auf und riss Falkan das Papier aus der Hand. „Ich fliege seit über fünfzig Jahren. Das Kerlchen, das diesen Bericht verfasst hat, ist gerade mal dreißig.“

„Und trotzdem versteht er von der Sache bestimmt mehr als ich. Ich wüsste also immer noch nicht, was…“ „Die Maschine hat absolut träge reagiert, als ich sie hochziehen wollte.“ Breuer hatte sich wieder beruhigt. „Es hat sich angefühlt, als hätte etwas am Ruder geklemmt. Mit den Jahren bekommt man für so etwas ein Gefühl.“

„Aber sie haben keinen technischen Defekt gefunden.“

„Nein, haben sie nicht. Ich habe aber auch keinen Fehler gemacht, das weiß ich so sicher wie ich weiß, dass eine rote Rose rot ist.“

„Tja nun.“

Falkan wusste immer noch nicht so recht.

„Ich bitte dich, dich ein wenig im Umfeld von, was weiß ich, von mir, vom Flugplatz, von meiner Maschine, von der Gärtnerei, also irgendwie von meinem Leben in den letzten Wochen umzusehen, herumzuschnüffeln, zu ermitteln, um einen möglichen Grund zu finden, warum meine Skyhawk mir den Dienst verweigert hat. Würdest du das tun? Ich kann’s mir leisten, das weißt du.“

„Weiß ich, Karl, aber ich muss dir sagen, dass erfahrungsgemäß…“ Breuer hob den Untersuchungsbericht wie ein brennendes Kruzifix in die Höhe.

„Hier drin steht, dass ich einen Fehler gemacht haben soll und damit einen Unfall mit Personenschaden verursacht hätte. Wenn das da so stehen bleibt, kostet mich das meine Fluglizenz.“

Verzweiflung trat in seine Augen. „Du weißt, was die Fliegerei mir bedeutet, Kurt.“

Falkan wusste es, wenn er es auch aus bekannten Gründen nicht nachvollziehen konnte. Er sah die Verzweiflung in Breuers Blick, und eigentlich hatte er, bis auf das tägliche Gießen seiner Pflanzen, nichts Besseres zu tun.

„Was sagt denn die Polizei?“

„Na was wohl? Die blasen natürlich in das Horn des