Familie mit Herz 15 - Yvonne Uhl - E-Book

Familie mit Herz 15 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

"Sie schläft endlich", berichtet Linda, als sie zurück ins Wohnzimmer kommt. Es ist vier Uhr in der Nacht, und aufregende Stunden liegen hinter ihr.
"Wir müssen die Polizei einschalten", meint Jochen.
"Wozu?" Linda lacht hart auf. "Uns wird ein kleines scheues Mädchen vor die Tür gesetzt, das seine Eltern nicht kennt und offensichtlich aus einem Kinderheim entführt worden ist. Warum sitzt es gerade vor unserer Tür?" Lindas Stimme wird schrill. "Doch nur, weil du der Vater bist, und jemand der es weiß, will uns erpressen." Leise fügt sie hinzu: "Du hast mich also damals betrogen!"
"Hör mal, Linda!", braust Jochen auf. "Es geht nicht um unsere Ehe, sondern um das arme Mädchen, das jetzt hier schläft - wenn es nicht vor lauter Angst wieder aufgewacht ist. Und außerdem habe ich dich nie betrogen!"

Linda hat ihren leeren Anschuldigungen nichts hinzuzusetzen und wendet sich ab. Kennt sie am Ende das Schicksal des Kindes und weiß, warum es gerade jetzt und hier aufgetaucht ist?

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Inhalt

Cover

Impressum

Denn sie kannte keine Liebe

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: conrado / shutterstock

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6035-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Denn sie kannte keine Liebe

Bewegender Roman um das Schicksal der kleinen Bea

Von Yvonne Uhl

Sie schläft endlich«, berichtet Linda, als sie zurück ins Wohnzimmer kommt. Es ist vier Uhr in der Nacht, und aufregende Stunden liegen hinter ihr.

»Wir müssen die Polizei einschalten«, meint Jochen.

»Wozu?« Linda lacht hart auf. »Uns wird ein kleines scheues Mädchen vor die Tür gesetzt, das seine Eltern nicht kennt und offensichtlich aus einem Kinderheim entführt worden ist. Warum sitzt es gerade vor unserer Tür?« Lindas Stimme wird schrill. »Doch nur, weil du der Vater bist, und jemand der es weiß, will uns erpressen.« Leise fügt sie hinzu: »Du hast mich also damals betrogen!«

»Hör mal, Linda!«, braust Jochen auf. »Es geht nicht um unsere Ehe, sondern um das arme Mädchen, das jetzt hier schläft – wenn es nicht vor lauter Angst wieder aufgewacht ist. Und außerdem habe ich dich nie betrogen!«

Linda hat ihren leeren Anschuldigungen nichts hinzuzusetzen und wendet sich ab. Kennt sie am Ende das Schicksal des Kindes und weiß, warum es gerade jetzt und hier aufgetaucht ist?

Zärtlich lehnte Linda an der Schulter ihres Mannes, während sie in dem weißen Sportwagen durch die nächtlichen Straßen fuhren.

Jochen von Dieffenbach blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Vier Uhr morgens. Er gähnte verstohlen. Die Party war ziemlich anstrengend, aber als Chef eines großen Unternehmens konnte er sich nicht immer gesellschaftlichen Verpflichtungen entziehen.

Mit Schwung nahm er die Auffahrt zur Garage. Das Tor öffnete sich automatisch.

»Geschafft, Linda!« Jochen lächelte und half seiner Frau aus dem Wagen.

Er legte den Arm um ihre Schultern, gemeinsam gingen sie auf die hell erleuchtete, gläserne Eingangstür zu.

Plötzlich erstarrte Jochen mitten in der Bewegung.

»Schau mal, da vorn!«

Vor der Eingangstür saß ein kleines Mädchen auf einem Koffer und blickte ihnen erwartungsvoll entgegen.

»Wer ist das Kind?«, fragte Linda fassungslos.

Jochen wusste es nicht. Es war ein völlig fremdes Kind.

Jochen zog Linda weiter. Dicht vor dem Kind blieben sie stehen. Wie klein sie war! Ob sie überhaupt sprechen konnte?

»Hallo.« Die Kleine stand auf.

Linda löste sich hastig aus Jochens Armen.

»Ja, wer bist du denn?«, fragte sie das Kind. »Wer hat dich hierhergebracht?«

Jochen neigte sich zu dem Kind hinunter.

»Wie heißt du denn, Kleine?« Er streckte ihr die Hand hin.

Das Kind rührte sich nicht. Sie ist allerliebst, schoss es Jochen durch den Kopf. Wie alt mag sie sein?

»Ich heiße Bea Schwarz«, erklärte sie mit heller Stimme.

Linda kauerte sich neben Jochen. Sie betrachtete das unbekannte Mädchen mit geweiteten Augen.

»Und wer hat dich hierhergebracht?«

Das Kind zuckte zusammen. Flehend blickte es zu Jochen hinüber, als ob es von ihm Hilfe erwarten könnte.

»Still. Linda. Du verwirrst die Kleine«, sagte er beruhigend. Er richtete sich auf. »Müssen wir hier draußen herumstehen?« Er ging auf das Kind zu und nahm es bei der Hand. »Komm. Dir ist bestimmt kalt.«

»Nein«, erwiderte die Kleine.

»Aber du bist sicher müde«, fuhr Jochen fort.

»Nein«, lautete die Antwort wieder.

»Aber Hunger hast du sicher!«

»Durst«, widersprach die Kleine. »Furchtbaren Durst.«

Linda lehnte an der Wand des Eingangs. Sie war völlig durcheinander. Diese seltsame Begegnung beunruhigte sie sehr.

»Willst du das Kind wirklich ins Haus nehmen?«, fragte sie abwehrend. »Vielleicht hat man uns eine Falle gestellt, Jochen. Sei vorsichtig.«

Jochen, das Kind an der einen Hand, in der anderen den Koffer, stutzte. »Falle?«

»Man hat das Kind bestimmt entführt«, flüsterte Linda. »Und jetzt will man uns den Kindesraub in die Schuhe schieben.«

Jochen blickte sie streng an. »Du bist verrückt, Linda. Komm, du musst der Kleinen etwas zu trinken geben. Und ich rufe inzwischen die Polizei an.«

Die Erwähnung der Polizei machte Linda nüchtern.

»Das kannst du dir als Besitzer der Dieffenbach-Werke nicht leisten«, erklärte sie. »Ich sehe schon die Überschriften in den Zeitungen: Fabrikant erhält nächtlichen Besuch eines fremden Kindes!«

Jochen führte das Mädchen durch die offene Glastür in die Diele. Er wandte sich zu Linda um, die ihm gefolgt war.

»Zieh ihr das Mäntelchen aus«, sagte er. »Und schau nach, ob ein Name darinsteht.«

»Nein«, sagte das Kind plötzlich. »Die Tante hat mir ein neues Kleid gekauft.«

»Welche Tante?«, fragte Jochen schnell.

»Die Tante, die mich abgeholt hat«, entgegnete Bea.

Jochen hob sie hoch, trug sie zu der Sitzgarnitur hinüber und ließ sie auf einem Sessel nieder.

»Woher kommst du?«

»Aus dem großen roten Haus.«

Jochen warf Linda einen bedeutsamen Blick zu.

»Als diese Tante dich hierherbrachte, seid ihr da mit dem Auto gefahren?«, forschte er.

»Mit dem Zug«, erwiderte das kleine Mädchen folgsam.

Linda drehte sich mit einem harten Ruck um. Ganz ruhig, Linda, mahnte sie sich selbst. Es wird sich alles aufklären. Wir müssen den Koffer der Kleinen durchsuchen. Sie kann schon sprechen, und sie wird uns Auskunft geben, woher sie kommt.

Linda setzte sich neben Jochen. »Die Polizei müssen wir ausschalten«, sagte sie. »Sehen wir doch im Koffer nach.«

Jochen sah sie zweifelnd an. »Aber man wird die Kleine irgendwo vermissen. Sieh nur, wie gepflegt ihr Haar ist. Alles, was sie trägt, scheint funkelnagelneu zu sein.«

»Der Koffer, Jochen«, mahnte Linda mit leiser Ungeduld in der Stimme.

Diese Probleme mitten in der Nacht waren kaum noch zu ertragen! Wem gehörte dieses Kind? Und wem auch immer es gehörte, warum setzte man es mitten in der Nacht vor ihrem Haus aus? Darüber kam sie nicht hinweg!

Linda nahm die Hand des Kindes. »Wir kennen dich nicht, Bea«, sagte sie mit ungeduldiger Stimme. »Wir möchten gern wissen, woher du kommst.«

»Aus dem großen roten Haus. Von Anni, Birthe und Robin. Und von Tante Lilo.«

»Ah …« Triumphierend blickte Linda hoch. »Tante Lilo heißt die Tante, die dich hierhergebracht hat.«

»Nein.« Die Kleine schüttelte ernsthaft den Kopf. »Tante Lilo ist in dem großen roten Haus. Mit ihr bin ich nicht im Zug gefahren. Das war eine andere Tante.«

»Und wie heißt diese Tante?«

Hilflos hob die kleine Bea die Schultern.

Jochen gab Linda ein Zeichen.

»Wieso hat dich die Tante abgeholt?«, fragte er sanft. »Weißt du das?«

»Nein«, stieß das Kind hervor. »Sie ging mit mir in ein großes Haus und kaufte dort neue Kleider und den Koffer.«

Jochen erstarrte.

Dann waren alle Sachen, die das Kind bei sich trug, neu?

Linda hob den langen Rock ihres Abendkleides, stürzte auf den Koffer zu und öffnete ihn. Ihr Verdacht bestätigte sich. Neue Wäsche lag dort gestapelt, ein kleines Röckchen und zwei Pullover. Linda untersuchte die Sachen und stellte fest, dass man alle Preisschilder entfernt hatte.

Sie blickte zu Jochen hin. »Nichts.«

Jochen wandte sich wieder dem Kind zu.

»Was geschah mit den Sachen, die du bei dir hattest? Mit den alten?«

Bea nickte. »Die Tante hat alles eingepackt, und dann gingen wir über eine Brücke, und dann haben wir alles ins Wasser geworfen.«

Linda zuckte zusammen. »Ein Komplott«, äußerte sie verstört. Sie drehte sich um. »Was sollen wir jetzt tun?«, stammelte sie.

Prüfend sah die kleine Bea von Jochen zu Linda.

»Ich soll hierbleiben, hat die Tante gesagt.«

»Hierbleiben? Warum denn? Wir kennen dich doch gar nicht!«

»Linda, um Himmels willen, du machst sie ja ganz ängstlich!« Jochen nickte Bea zu. »Du könntest schlafen gehen. Willst du?«

Bea nickte.

»Hast du keine Mutter?«, fragte er noch.

»Nein«, antwortete Bea. »Meine Mutti ist tot.«

»Und einen Vater?«

»Nein«, wiederholte Bea. Sie gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund.

Jochen nickte. »Linda, ist das Gästezimmer in Ordnung?«

Linda blitzte ihn an. »Du willst also wirklich …?«

»Was soll ich tun?«, fragte Jochen gereizt. »Soll ich sie wieder an der Hand nehmen, in den Garten hinausführen und sagen: Jetzt lauf, wohin du willst. Soll ich das?«

»Ich bin sicher, dass diese Frau, die sie hergebracht hat, noch irgendwo in der Nähe ist«, stieß Linda hervor.

Jochen stand rasch auf und ging mit langen Schritten auf die Tür seines Arbeitszimmers zu. Er riss sie auf.

Schläfrig blinzelnd hob der Schäferhund Massa den Kopf. Massa lag auf seinem Stammplatz – dem Heidschnuckenfell – vor dem Kamin.

»Und du, Massa, hast natürlich wieder nichts gehört, wie?«, fragte Jochen zornig.

Massa winselte leise. Er stand auf und streckte sich.

»Komm, Massa«, befahl Jochen.

Der Hund trottete hinter Jochen her. Er wurde aber putzmunter, als er die kleine Bea entdeckte. Neugierig strich er um das Kind herum, das ihn furchtlos ansah und sogar das Händchen hob, um das Tier zu streicheln.

Jochen nahm Massa am Kopf und führte seine Schnauze über den Koffer und an dem kleinen Mäntelchen des Kindes entlang. Dann nahm er ihn am Halsband und führte ihn zur Haustür.

»Massa, fass …«, befahl er. »Massa, lauf …«

Mit leisem Winseln sprang Massa in den Garten und verschwand in der Dunkelheit.

Jochen von Dieffenbach sah ihm stirnrunzelnd nach.

»Was soll also jetzt mit der Kleinen geschehen?«, hörte er Linda hinter sich fragen.

Er fuhr herum.

Warum hatte sie überhaupt kein Mitleid mit der kleinen Bea? Sie ist übermüdet, entschuldigte er sich gleich vor sich. Sie hat einen kleinen Schwips. Er sah sie und nahm ihr wunderschönes Bild in sich auf: Sie ist doch meine geliebte Linda, dachte er. Und sie hat doch immer ein mitfühlendes Herz gehabt.

»Ich soll ihr wirklich das Gästezimmer geben?«

Er presste die Lippen aufeinander. Dann ging er an Linda vorüber. Er bückte sich zu der kleinen Bea nieder und nahm sie auf den Arm.

»Wohin bringst du mich?«, fragte das Kind.

Es zeigte noch immer keine Spur von Ängstlichkeit. Seltsam, überlegte er.

»Ich bringe dich in ein Zimmer mit zwei großen Betten. Dort kannst du schlafen«, erklärte er mit einer ihm bisher unbekannten Bewegtheit.

Ohne sich noch einmal nach Linda umzublicken, trug er Bea die Treppe zum ersten Stock hinauf.

»Onkel«, plapperte das Kind, »mein Nachthemd ist in dem Koffer und meine Zahnbürste auch. Kannst du mir Zahnpasta borgen?«

Jochen lächelte gerührt. »Natürlich«, versprach er. »Du kannst sogar eine große Tube Zahnpasta ganz allein für dich bekommen. Putzt du dir immer abends die Zähne?«

»Morgens auch«, sagte Bea. »Tante Lilo sagt, das muss man.«

Diese geheimnisvolle Tante Lilo, überlegte Jochen, könnte die rätselhafte Geschichte bestimmt aufklären. Er stieß die Tür zum Gästezimmer auf und knipste das Licht an.

»Oh«, staunte Bea. Mit riesengroßen Augen sah sie sich um. »Hier ist es aber schön.« Sie musterte Jochen aufmerksam. »In so einem schönen Zimmer habe ich noch nie gewohnt.«

»Wo hast du denn bisher gewohnt, Bea?«, fragte Jochen wie nebenbei und ließ Bea auf die Erde herunter.

»Im Zimmer mit Birthe«, erwiderte Bea und sah zu ihm auf.

Offenbar hat sie jetzt Vertrauen zu mir gefasst, dachte Jochen. Heiße Freude strömte zu seinem Herzen. So ein kleiner Schatz, dachte er.

»Fang schon an, dich auszuziehen, Bea. Ich hole jetzt deinen Koffer«, versicherte er.

»Ja, Onkel«, versprach sie folgsam.

Jochen verließ das Gästezimmer. Sekundenlang blieb er draußen auf dem Korridor stehen.

Sechs Jahre lang war er jetzt mit Linda verheiratet, und immer hatte er sich eigene Kinder gewünscht. Warum nur, überlegte er, hat es noch nie geklappt? Ich liebe doch Kinder über alles. Ich wäre so stolz, wenn ich so ein Töchterchen hätte!

Er ging eilig die Treppe wieder hinunter. Linda saß in einem Sessel und rauchte schweigend eine Zigarette.

»Sie braucht ihren Koffer«, teilte Jochen ihr mit leiser Gereiztheit mit.

Linda schwieg. Sie sah ihn nur stumm an.

»Eigentlich«, fuhr er fort, »könntest du dich darum kümmern, ob die Kleine alles hat. Schließlich bist du die Frau im Haus.«

Linda schwieg noch immer.

»Ich muss mich jetzt um Massa kümmern«, fuhr Jochen fort. »Bring ihr das Köfferchen hinauf, Linda. Nun tu doch etwas. Überlass mir doch nicht alles!«

Linda sprang auf. Ihre Augen sprühten.

»Ich habe das Kind nicht gerufen. Aber du – du scheinst etwas über die Leute zu wissen, zu denen es gehört. Du verheimlichst mir etwas.«

Jochen war schon an der Haustür.

»Du bist verrückt, Linda, ich habe keine Ahnung«, rief er.

Er stürzte ins Freie, und Linda hörte ihn draußen nach Massa rufen.

Linda griff nach dem Koffer und trug ihn in den ersten Stock hinauf. Heimlichkeiten hatte sie schon immer leidenschaftlich gehasst, und jetzt spürte sie ein drohendes, geheimnisvolles Rätsel auf sich zukommen.

Meine Ehe ist in Gefahr, sagte sie sich plötzlich. Sie wusste selbst nicht, wie sie darauf kam.

Sie drückte die Klinke zum Gästezimmer hinunter. Die kleine Bea Schwarz, wie sie sich nannte, stand in winzigen Höschen mit nacktem Oberkörper mitten auf dem großen Perserteppich.

»Ich friere«, klagte sie.

Linda stand starr. Die Kleine war allerliebst und sah aus wie ein kleiner Engel. Natürlich ist Jochen ganz verhext von dem Kind, dachte sie in aufsteigendem Ärger.

»Tante«, mahnte die Stimme der Kleinen. »Bitte, bitte, gib mir mein Nachthemd aus dem Koffer.«

Linda erschrak und hob den Koffer auf den Tisch und öffnete ihn. Ein weißes langes Nachthemd mit blauen lustigen Tupfen schien ebenfalls ganz neu zu sein.

»Ein so schönes Nachthemd«, bibberte sie, »hatte ich noch nie, Tante.«

»Wie kannst du nur frieren?«, fragte Linda. »Es ist doch ganz warm hier. Die Heizung läuft auf Hochtouren.« Sie reichte Bea das Nachthemd. »Wie alt bist du eigentlich?«, fragte sie.

Bea nestelte an ihrem Halsausschnitt herum.

»Bitte, Tante, mach mir den Knopf zu, ja?«

Linda bückte sich. Ihr selbst war so heiß!

»Wie alt bist du, Bea?«, wiederholte sie.

Bea sah sie stumm an. »Ich weiß nicht, Tante«, antwortete sie endlich kläglich.

Linda überlegte. »Gehst du schon zur Schule?«

Das Kind schüttelte den Kopf. »Nein, Tante Lilo hat gesagt, dass es noch ein Jahr dauert.«

»Ein Jahr!«, überlegte Linda laut. »Dann musst du fünf Jahre alt sein.«

»Ich weiß nicht.«

»Geh jetzt schlafen«, murmelte sie. Sie schlug die Bettdecke des Bettes auf.

»Nein«, entgegnete Bea. »Der Onkel wollte mir Zahnpasta bringen. Meine Zahnbürste ist im Koffer. Meine Waschlappen auch.«

Linda starrte das Kind an. »Komm ins Bad«, befahl sie kurz.

Sie ging zur Tür. Die kleine Bea stellte sich auf die Zehenspitzen und suchte den abwaschbaren Beutel, dem sie eine Zahnbürste und zwei Waschlappen entnahm.

Unwillkürlich streckte Linda dem Kind die Hand hin. Es war ein seltsames Gefühl, so eine kleine, runde warme Kinderhand zu spüren.

Fünf Minuten später konnte Linda die Kleine zudecken.

»Es ist so leer«, hauchte das Kind. »Bleibst du hier, Tante?«