Familie mit Herz 67 - Yvonne Uhl - E-Book

Familie mit Herz 67 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Babette lebt als Reisebegleitung und Betreuung der schwangeren Gräfin Boyd im fernen Orient, während der Graf dort seinen Geschäften nachgeht. Es ist ein herzliches Miteinander, und Babette wird mit der Zeit zu einer lieben Vertrauten der Gräfin. Auch in Deutschland soll sie fortan als Kinderschwester bei der Grafenfamilie leben.
Auf der Rückreise in die Heimat geraten sie jedoch in ein verheerendes Unwetter. Einer Nussschale gleich wird das Schiff von rechts nach links geworfen - und sinkt. Wie durch ein Wunder kann sich Babette mit dem Baby in eins der Beiboote retten. Und während sie auf dem offenen Meer dahintreibt, reift in ihr ein folgenschwerer Entschluss ...

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Seitenzahl: 141

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Inhalt

Cover

Impressum

Das fremde Kind in ihren Armen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Minnikova Mariia / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9217-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das fremde Kind in ihren Armen

Roman um das dramatische Schicksal einer jungen Frau

Von Yvonne Uhl

Babette lebt als Reisebegleitung und Betreuung der schwangeren Gräfin Boyd im fernen Orient, während der Graf dort seinen Geschäften nachgeht. Es ist ein herzliches Miteinander, und Babette wird mit der Zeit zu einer lieben Vertrauten der Gräfin. Auch in Deutschland soll sie fortan als Kinderschwester bei der Grafenfamilie leben.

Auf der Rückreise in die Heimat geraten sie jedoch in ein verheerendes Unwetter. Einer Nussschale gleich wird das Schiff von rechts nach links geworfen – und sinkt. Wie durch ein Wunder kann sich Babette mit dem Baby in eins der Beiboote retten. Und während sie auf dem offenen Meer dahintreibt, reift in ihr ein folgenschwerer Entschluss …

Babette konnte nicht mehr weinen. Sie hatte, seitdem es geschah, unendlich viele Tränen vergossen. Jetzt war ihr junges Gesicht leichenblass und schmal, als sie neben ihrem Verlobten Julian Thiele dem Ausgang zuging.

Die Säuglingsschwester Berta und Stationsschwester Johanna begleiteten das Paar.

Julian hielt den Kopf gesenkt und ging immer einen Schritt schneller als Babette Saßnitz. Am Portal blieb er stehen. Er nahm der Stationsschwester den kleinen Koffer ab.

„Danke. Vielen Dank!“, murmelte er.

Stationsschwester Johanna wandte sich Babette zu und drückte ihr die Hand.

„Wir werden Sie eines Tages wieder bei uns haben“, sagte sie herzlich. „Nur den Mut nicht sinken lassen, Fräulein Saßnitz. Sie sind noch jung, und Sie können noch viele Kinder haben.“

„Ja, Schwester Johanna“, erwiderte Babette mit bebender Stimme.

Auch die Säuglingsschwester drückte ihr die Hand.

„Alles Gute“, wünschte sie leise. „Und Kopf hoch.“

Julian schob seine Hand durch Babettes Arm und führte sie ins Freie. Sie merkte erst jetzt, dass ihre Beine sie kaum zu tragen vermochten. Der frische Wind, der ihnen entgegenkam, warf sie fast um.

Julian ließ sie in die elegante Limousine steigen. Wie ihn der Tod des Kindes getroffen hatte! So schweigsam war er vorher noch nie gewesen.

„Julian, nun sag doch etwas“, flehte Babette.

„Was soll ich sagen, Babette?“, erkundigte er sich. „Du weißt doch, um was es geht. Dass unser Sohn drei Tage nach seiner Geburt starb, wirft meine ganzen Pläne durcheinander.“

Babette konnte die Verzweiflung in seiner Stimme hören.

„Heiraten wir jetzt nicht?“, stammelte sie.

Julian Thiele ließ sich Zeit mit der Antwort.

„Mein Gott, du willst unsere Verlobung auflösen?“, stieß Babette hervor.

Julian wandte den Kopf und sah sie an. In seinen dunklen Augen las sie die unerbittliche Wahrheit.

„Ja, so leid es mir tut, Babette …“, sagte er und senkte die Lider. „Ich wäre wirklich verrückt, wenn ich jetzt noch meinen Dickkopf meinen Eltern gegenüber beibehalten würde. Erinnere dich doch“, fuhr er eindringlich fort, „meine Eltern stimmten nur unserer Heirat zu, weil du schwanger warst. Damit hatte ich einen großen Vorteil meinem Zwillingsbruder Kurt gegenüber.“

„Ja, es geht um eure Gaststätten und Hotels“, flüsterte Babette. „Ihr seid sehr reich, und nur einer von euch Brüdern soll alles erben.“

„Du weißt, wie gern ich dich habe, Babette. Aber wir Thieles spielen hier in Hernebach die erste Geige. Du warst Kellnerin in einem unserer Lokale, und ich verliebte mich sofort in dich. Aber von der Herkunft her war es meinen Eltern nie recht, dich zur Schwiegertochter zu bekommen.“

„Du hast dich nie daran gestört, Julian.“

„Natürlich nicht. Ich war sehr verliebt in dich. Mir war deine Herkunft egal. Aber jetzt … Kurt triumphiert. Er ist mit der Tochter des Arztes Bachner verlobt, und wenn er zuerst einen Sohn hat, bekommt er alles. Ich wollte ihn so gern übertrumpfen. Das ist nun vorüber.“

„Dein Bruder triumphiert, weil unser Kind gestorben ist?“, sagte Babette erschüttert.

„Jedenfalls — so haben mich meine Eltern überzeugt — muss ich mich schleunigst nach einer Frau umschauen.“

„Wie … wie meinst du das, Julian?“

Er sah sie an. Diesmal war ein kalter Glanz in seinen Augen, den Babette noch nie darin gesehen hatte.

„Wir müssen uns trennen, Babette, es geht nicht anders.“

Babette Saßnitz begriff nur sehr langsam den Sinn seiner Worte.

„Du willst … du willst …“ Sie wagte es nicht auszusprechen. Ihr Mund zuckte.

„Ich will eine andere heiraten, Babette. Ich weiß auch schon, wen. Sie ist meine Clubkameradin, und wir kennen uns schon eine Ewigkeit. Sie heißt Irene Herkamp. Ihr Vater hat die Bäckereikette hier in Hernebach, und es hätte auch geschäftliche Vorteile, wenn sie meine Frau würde.“

Babette glaubte zu träumen.

Das konnte doch nicht wahr sein …, der erste und einzige Mann in ihrem Leben, dem sie sich hingegeben hatte, wollte sie verraten?

„So versteh mich doch! Ich hab’ dich wirklich sehr gern, Babette. Aber Liebe und Vernunft sind zweierlei Dinge. Es wäre idiotisch von mir, dich zu heiraten und mir alle Chancen von meinem Bruder vor der Nase wegschnappen zu lassen.“

„Warum könnt ihr euch das Erbe nicht teilen?“

„Das gibt es nicht bei uns Thieles. Da erbt immer nur einer alles. Damit der Besitz nicht zersplittert wird. Das war schon immer so. Du weißt doch, dass einer meiner Urahnen Hernebach im sechzehnten Jahrhundert gegründet hat. Und noch heute müssen wir Thieles nach seinen Gesetzen leben. Bei unserer Generation allerdings ist es sehr schwierig. Kurt und ich sind Zwillingsbrüder. Also entscheiden unsere Söhne über das Erbe.“

„Aber warum willst du Irene Herkamp heiraten?“, schrie Babette auf.

Julian antwortete nicht. Er ließ den Motor nicht an, sondern steckte sich eine Zigarette an und rauchte schweigend.

„Warum sie und nicht mich?“, stammelte Babette. „Wir lieben uns doch.“

Julian Thiele streifte die Asche von der Zigarette.

„Du zwingst mich also dazu, dir die volle Wahrheit zu sagen“, erklärte er bitter. Er wandte sich ihr zu. „Wer sagt mir, dass du jemals ein Kind austragen kannst, das nicht stirbt? Es klingt roh“, fuhr er fort, als er merkte, wie sie zusammenzuckte, „aber du wolltest ja den Grund wissen, warum ich Irene und nicht dich heiraten muss. Ein Sohn, Babette, ist für mich von entscheidender Bedeutung. Entweder ich erbe den großen Thiele-Besitz — oder ich muss als sogenannter Geschäftsführer als Angestellter meines Bruders Kurt Gehaltsempfänger werden.“

„Du bist gemein“, stammelte Babette Saßnitz. „Das Kind war ganz normal, doch es bekam diese Atemstörungen und starb dann.“

„Wer beweist mir, dass dein nächstes Kind nicht ebensolche Atemstörungen bekommt?“

Babette sah Julian an. Er sah so attraktiv und gepflegt aus wie immer. Die Farbe des Hemdes und der Krawatte war auf den Anzug abgestimmt. Julian legte immer sehr viel Wert auf elegante Kleidung. Sie liebte ihn mit allen Fasern ihres Herzens. Aber er stieß sie von sich und war in Gedanken schon der Ehemann einer Irene Herkamp.

Babette Saßnitz kannte Irene Herkamp. Sie war ein dickliches, albernes Mädchen mit Kuhaugen, fand sie. Doch Julian schien nur an ein Kind zu denken, alle näheren Begleitumstände waren ihm gleichgültig. Er würde, um zu diesem Kind zu kommen, sicher auch noch Opfer bringen, egal welcher Art.

Sie blickte dumpf aus dem Wagenfenster und sah vorne an der Poststraße einen Wagen nach dem anderen vorbeifahren.

Jetzt habe ich nicht nur mein Kind, sondern auch noch Julian verloren, dachte sie.

Was sie empfand oder dachte, als sie plötzlich die Wagentür aufstieß und aus dem Fahrzeug stürzte, hätte sie nicht erklären können.

Sie kam wieder zum Bewusstsein, als sie sich auf dem Weg zur Poststraße befand. Sie lief, als ob tausend Teufel hinter ihr her wären. Und sie hörte Julians Ruf hinter sich.

„Was hast du vor, Babette? Komm zurück …“

Er will Irene Herkamp heiraten!, hämmerte es hinter ihrer Schläfe. Er gibt mir einen Fußtritt. Er liebt nicht mich, sondern das Geld, den Besitz der Thieles. Und er will sich dafür an Irene Herkamp verkaufen mit Haut und Haaren. Was muss Irene dafür tun, um den attraktivsten Mann von Hernebach zu bekommen? Sie muss ihm einen Sohn schenken. Nur einen Sohn, mehr nicht. Aber mein Sohn ist tot.

Blind von Tränen stürzte Babette auf die Fahrbahn.

Frauen schrien auf. Bremsen kreischten. Hände rissen sie zurück.

Und Julian sagte: „Ja, sie gehört zu mir! Ich kümmere mich um sie. Keine Aufregung, bitte.“

Hilflos weinte Babette vor sich hin. Sie ließ sich von Julian zum Wagen zurückführen. Sie lag an seiner Brust. Er führte sie behutsam weiter.

Sie konnte nicht ohne Julian leben. Ein Leben ohne Julian war leer und tot.

„Mädchen, wolltest du dich etwa unter ein Auto werfen?“, hörte sie ihn flüstern.

„Julian, ohne dich sterbe ich …“, stöhnte sie.

Als sie im Wagen saßen, küsste er sie. „Du weißt doch, dass ich dich liebhabe … du weißt es doch, Babettchen!“

„Nein. Ich weiß es nicht.“

„Ich werde mir eine Idee einfallen lassen, wie wir doch zusammenbleiben können. Das darfst du nie mehr tun, hörst du?“

„Julian, ich liebe dich doch so … ich hab’ doch außer dir keinen mehr …“

„Komm, ich bring’ dich heim … Du bist meine süße, kleine Babette. Ich bleib’ bei dir. Immer, Babette, hörst du?“

„Ja. Ich bin glücklich, Julian. Ich kann dich doch nicht hergeben an eine andere Frau!“

♥♥♥

Wenn Julian Thiele „immer“ sagte, dann meinte er einen kurzen Moment. Einen Monat nach ihrer Krankenhausentlassung war er täglich bei Babette — jeden Abend.

Dann suchte er nach Ausflüchten. Von da an kam er nur noch ganz selten.

Und drei Monate später, als Babette sich immer noch der Hoffnung hingab, er würde sie heiraten, schlug sie an einem Samstag die Zeitung auf und fand die Verlobungsanzeige:

ALS VERLOBTE GRÜSSEN

IRENE HERKAMP

JULIAN THIELE

♥♥♥

Das war das Ende.

Doch jetzt hatte Babette keine Tränen mehr. Sie war bereit, um ihn zu kämpfen. Verbissen suchte sie nach einer Lösung.

Zunächst einmal musste sie aus Hernebach verschwinden. Er sollte Sehnsucht nach ihr bekommen und sich Sorgen um sie machen. Nein, dachte Babette, er kann Irene Herkamp nicht lieben. Ausgeschlossen. Und sie ist so vornehm erzogen, dass sie sich bestimmt nicht vor der Heirat mit ihm einlässt. Ich habe einen Vorsprung. Wie komme ich bloß an ein Kind heran?

Ganz allmählich festigte sich in ihr die Idee, einer anderen Frau ihr Kind abzukaufen. Ein sehr kleines Kind, kaum geboren. Es gibt so viele Frauen, die ihr Kind gar nicht wollen. Frauen aus den allerärmsten Elendsgebieten vielleicht, dachte sie. Es war für Babette klar, dass sie ins Ausland musste, und zwar sofort.

Aber sie hatte nichts gelernt. Nach ihrer Schulentlassung war sie sechzehn Jahre alt gewesen. Sie war nun als Lehrschwester in eine große Klinik eingetreten und hatte dann umgewechselt und war Kindergärtnerin geworden.

Schließlich, nachdem der Kindergarten in eine andere Gegend verlegt worden war, war sie als Kellnerin in einer Gaststätte tätig gewesen. Es war ein Thiele-Betrieb gewesen, sie hatte Julian kennen- und lieben gelernt — und heute war sie neunzehn Jahre alt.

Babette schlug den Anzeigenteil der Zeitung auf. Unter den Stellenangeboten für weibliche Arbeitnehmer fand sie nichts. Gewiss, da suchte man Kinderschwestern, Pflegerinnen und Büglerinnen, aber sie wollte ja ins Ausland.

Dann aber war sie wie alarmiert.

Sie las eine Anzeige unter „Sonstige Angebote“.

WELCHE JUNGE FRAU MÖCHTE MIT UNS — EINEM EHEPAAR — FÜR EIN HALBES JAHR NACH AFGHANISTAN REISEN? ERBITTEN ANRUF.

Babette spürte mit starker Gewissheit, dass diese Anzeige für sie schicksalhaft war.

Sie stürzte zur nächsten Telefonzelle, deckte sich vorher mit den nötigen Münzen ein und telefonierte mit der angegebenen Nummer.

Zu ihrer Überraschung meldete sich eine zurückhaltende Männerstimme: „Schloss Boyd.“

Das Schloss, so erinnerte sie sich, lag etwa fünfzig Kilometer von Hernebach entfernt.

„Ich rufe auf die Anzeige an“, sagte Babette. „Ist die Stelle noch frei?“

„Ich verbinde Sie mit Graf Boyd. Einen Augenblick“, sagte die Stimme.

Eine sonore Männerstimme drang nun an Babettes Ohr.

„Hier spricht Graf Boyd. Wer ist dort?“

„Hier spricht Babette Saßnitz. Ich rufe auf Ihre Anzeige an. Ich interessiere mich für den Posten.“

„Wie alt sind Sie?“

„Neunzehn Jahre, Herr Graf.“

„Und? Was haben Sie bisher gemacht?“

„Bis sechzehn Jahre war ich in der Schule“, erwiderte Babette, „dann war ich Lehrschwester in einem Krankenhaus, danach Kindergärtnerin. Zuletzt habe ich als Kellnerin gearbeitet. Ich bin Waise.“

„Und warum möchten Sie diesen Posten annehmen? Sind Sie im Augenblick in Stellung?“

„Nein. Ich habe — ich war im Krankenhaus und habe seitdem keine Tätigkeit ausgeübt.“

„Sind Sie gesund? Völlig gesund?“

„Ja, Herr Graf.“

„Weswegen waren Sie im Krankenhaus? Ich muss das leider fragen, Fräulein Saßnitz.“

„Ich habe ein Baby gehabt. Aber es ist in der Entbindungsstation gestorben, Herr Graf.“

Am anderen Ende war Stille.

„Ah, ich verstehe. Und jetzt möchten Sie sich ein bisschen Wind um die Nase wehen lassen, nehme ich an. Sind Sie kinderlieb?“

„Sehr, Herr Graf. Kinder hab’ ich schrecklich gern.“

„Gut. Ich möchte Sie kennenlernen. Meine Frau, die Gräfin Boyd, ist schwanger. Sie wird in fünf Monaten entbinden, will sich aber nicht von mir trennen. Ich habe geschäftlich einige Monate in einem Industriewerk in Kabul zu tun. Ich kann mich nur wenig um meine Frau kümmern, und aus diesem Grunde möchte ich gern, dass eine verlässliche Person bei meiner Frau ist.“

„Bitte, Herr Graf, stellen Sie mich ein …“

„Wo wohnen Sie?“

Babette nannte ihm die Adresse.

„Wann sind Sie zu Hause? Ich schicke Ihnen den Wagen. Wir müssen uns persönlich kennenlernen. Wie wäre es in zwei Stunden?“

„Ja, gern. Ich werde zu Hause sein und warten, bis der Chauffeur bei mir klingelt.“

♥♥♥

Für Europäer und Amerikaner gab es einige sehr gute Kliniken in Kabul. In einer war Effi Gräfin Boyd angemeldet.

Babette stürzte in das Schlafzimmer der Gräfin, als diese nach ihr geläutet hatte. Es war fünf Uhr morgens.

„Gnädige Frau?“

„Babette, ich habe solche Schmerzen“, stöhnte die Gräfin.

Sie umfasste Babette mit einem flehenden Blick. Wie hübsch Babette war. Sie wurde von Tag zu Tag hübscher. Dunkelblondes Haar umrahmte ein zartes, junges Gesicht von natürlicher Schönheit.

Dann zuckte die Gräfin wieder wie unter einem Dolchstoß zusammen. Sie umklammerte Babettes Hand.

Babette ließ sich auf dem Bettrand nieder.

„Was ist das, Babette?“

„Das sind die Wehen, gnädige Frau. Sie müssen ins Krankenhaus. Wir dürfen nicht mehr lange warten.“

„Babette, aber es ist zu früh … erst in drei Wochen soll es doch so weit sein.“

„Nein.“ Babette sah auf die kleine Weckeruhr. „Hat der Schmerz jetzt nachgelassen?“

„Ja.“ Dann aber krümmte sich die Gräfin erneut zusammen. „Da ist er schon wieder, Babette … Ja, das sind die Wehen. Rufen Sie ein Taxi … und helfen Sie mir beim Anziehen.“

„Ja, gewiss …“ Babette nahm den Telefonhörer ab, teilte dem Nachtportier mit, er müsste augenblicklich ein Taxi bestellen, dann legte sie den Hörer auf und eilte zum Kleiderschrank.

„Machen Sie schnell“, keuchte die Gräfin.

„Hier, ziehen Sie diesen schwarzen Morgenmantel an. Es ist höchste Zeit, gnädige Frau“, entschied Babette. „Ich ziehe mir etwas an, dann fahren wir gleich hinunter.“

„Vergessen Sie meinen Koffer nicht, Babette.“

„Nein, nein …“

Babette war in Panik. Hoffentlich kam die Gräfin nicht zu spät in ärztliche Hände. Die Wehen kamen schon alle fünf Minuten.

Graf Boyd verließ sich doch ganz auf sie und ihre Umsicht.

Babette schlüpfte in lange Hosen und einen Mantel, fuhr in ein Paar niedrige Mokassins und eilte nach nebenan.

Die schöne Frau saß auf dem Bett. Ihre Hände waren ineinander verkrallt.

„Ich halte diese Schmerzen nicht mehr aus“, stammelte sie.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen!“, tröstete Babette. „Stützen Sie sich fest auf mich, gnädige Frau. Den Koffer habe ich …“

Langsam, Schritt für Schritt, führte sie die Gräfin aus dem Hotelappartement.

Als der Nachtportier, der fließend Deutsch sprach, die beiden Frauen aus dem Lift steigen sah, stürzte er auf sie zu.

„Darf ich helfen?“

„Hier, nehmen Sie den Koffer“, sagte Babette. „Steht das Taxi schon da?“

„Ja, es wartet bereits.“

„Bitte, sagen Sie dem Chauffeur, er soll sehr schnell fahren. Es ist höchste Eile“, stieß Babette hervor.

♥♥♥

„Wie soll ich Ihnen danken, Babette!“ Anselm Graf Boyd drückte die Hände des Mädchens. „Wenn meine Frau Sie nicht zur Hilfe gehabt hätte — wer weiß, was dann geschehen wäre!“

„Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Sohn“, sagte Babette ernst. „Er ist allerliebst, nicht wahr?“

Der Graf nickte. Seine Augen strahlten vor Freude.

„Ich habe übrigens in zwei Wochen meine Arbeiten hier abgewickelt. Dann kehren wir per Schiff nach Deutschland zurück.“

„Per Schiff, Herr Graf?“

„Ja. Meine Frau und ich scheuen das Fliegen. Es ist besser, mit einem Überseedampfer heimzufahren. Und zwar rund um Afrika herum. Das war schon längst mein Wunsch.“

„Und wo gehen wir an Bord?“

„Im Hafen von Karachi.“

Der Graf und Babette standen vor dem Krankenzimmer der Gräfin. Der Graf führte Babette weiter.

„Ich freue mich, dass Sie sich so gut mit meiner Frau verstehen, Babette. Und wir wären froh, wenn Sie auch drüben in Deutschland bei uns bleiben würden. Vielleicht als Kinderschwester?“