Familie mit Herz 91 - Charlotte Vary - E-Book

Familie mit Herz 91 E-Book

Charlotte Vary

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Beschreibung

Mit Tränen in den Augen betrachtet Franzi Binder das Foto ihres kleinen Sohnes. Jetzt ist Bernie schon seit fast zwei Jahren verschwunden.
Die junge Mutter erinnert sich noch ganz genau an den schrecklichen Tag. Alles sieht sie noch vor sich: die Suchmannschaften, die die gesamte Umgebung durchkämmt haben; die Polizisten, die sie und ihren Mann immer wieder verhört haben; die Journalisten, die sie mit Fragen gelöchert haben. Aber alle Bemühungen waren umsonst. Irgendwann hat man den Fall dann zu den Akten gelegt.
Doch die verzweifelten Eltern können nicht damit abschließen. Die Ungewissheit, ob Bernie vielleicht doch noch lebt, begleitet sie jede Minute. Fast haben sie sich schon damit abgefunden, ihn niemals wiederzusehen, als jener geheimnisvolle Brief eintrifft ...


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Inhalt

Cover

Impressum

Bernie – auf der ganzen Welt gesucht

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: LightField Studios / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0809-8

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Bernie – auf der ganzen Welt gesucht

Werden die Eltern ihren kleinen Schatz nie wiedersehen?

Von Charlotte Vary

Mit Tränen in den Augen betrachtet Franzi Binder das Foto ihres kleinen Sohnes. Jetzt ist Bernie schon seit fast zwei Jahren verschwunden.

Die junge Mutter erinnert sich noch ganz genau an den schrecklichen Tag. Alles sieht sie noch vor sich: die Suchmannschaften, die die gesamte Umgebung durchkämmt haben; die Polizisten, die sie und ihren Mann immer wieder verhört haben; die Journalisten, die sie mit Fragen gelöchert haben. Aber alle Bemühungen waren umsonst. Irgendwann hat man den Fall dann zu den Akten gelegt.

Doch die verzweifelten Eltern können nicht damit abschließen. Die Ungewissheit, ob Bernie vielleicht doch noch lebt, begleitet sie jede Minute. Fast haben sie sich schon damit abgefunden, ihn niemals wiederzusehen, als jener geheimnisvolle Brief eintrifft ...

Die schwarze Limousine stand nun schon eine ganze Weile in der Parkbucht neben der Straße. Tief herabhängende Zweige mächtiger Tannen verdeckten das Autodach.

Die Bäume wuchsen nah am Steilufer eines schmalen Gebirgsflüsschens, das von frühlingshaftem Schmelzwasser hoch angeschwollen war und laut rauschte. Jenseits der Straße lag breit und behäbig ein ländlicher Gasthof, der »Goldene Hirsch«, wie das Wirtshausschild besagte. Ein bunt blühender Garten zog sich neben dem Haus bis zum Hang hinauf. Dorthin war der kleine Junge gelaufen, der eben aus dem Haus gekommen war.

Alexander Aldrigger saß geduckt hinter dem Steuerrad, seine Hände zitterten. Schweiß bedeckte seine Stirn und durchfeuchtete den Kragen seines teuren Seidenhemdes. Er musste das Kind noch einmal sehen, musste prüfen, ob es René tatsächlich so ähnlich sah.

Er stieg aus und schlich vorsichtig an den Garten heran, wobei er sich nach rechts und links umblickte. Kein Mensch war zu sehen. Die Nebenstraße hier war nicht allzu belebt.

Aldrigger lehnte sich über den Jägerzaun aus braun lasierten Holzlatten. Da erblickte er den Jungen. Er hockte auf dem Boden und grub ein Loch in die weiche Erde eines noch unbepflanzten Beetes. Er mochte zwischen drei und vier Jahre alt sein. Die Sonne ließ sein blondes Haar aufleuchten.

Während er eifrig mit sich selbst sprach, buddelte der Junge weiter.

»Du bekommst ein schönes Grab, Amsel«, plapperte er ernsthaft. »Ein ganz echtes wie der Opa auf dem Friedhof. Ich lege Schneeglöckchen darauf, und der Papa muss ein Kreuz aus Holz machen. Bist du traurig, weil dich unsere Minki totgebissen hat? Aber ich habe dich ihr weggenommen, damit sie dich nicht auffressen kann. Die Mama bindet ihr eine Glocke um den Hals. Dann erwischt sie nie wieder einen Vogel.«

Nun bemerkte Aldrigger das glänzendschwarze Gefieder der Amsel, die neben dem Kind auf der Erde lag.

Aber seine Aufmerksamkeit galt nur dem Jungen. Die Ähnlichkeit des Kleinen mit René traf ihn wie ein Schlag. Dasselbe weiche Gesichtchen unter blondem Haar, derselbe feingliedrige Körper, sogar die Stimme ...

»Du machst ein Vogelgrab?«, sprach er den Jungen freundlich an.

Bernie blickte auf.

»Ja«, antwortete er zutraulich und legte die Amsel in die Grube. »Ich muss noch beten. Der Pfarrer betet auch immer an den Gräbern.« Er faltete die Händchen und murmelte mit ernstem Gesichtsausdruck: »Lieber Gott! Mach bitte, dass die Amsel zu dir in den Himmel kommt und dass unsere Minki keinen Vogel mehr totmachen kann. Und mach bitte dafür viele neue Amseln. Amen.«

Befriedigt häufte er Erde auf das tote Tier.

Ein Schauer lief Aldrigger über den Rücken. Seine Hände, seine ganze Gestalt bebte. Wie magisch angezogen öffnete er das Lattentürchen und schritt auf das Kind zu. Sein Verstand, sein klarer Wille waren ausgeschaltet. Er gehorchte nur noch einem inneren Zwang.

Bernie blickte arglos zu ihm auf. Als Söhnchen eines Gastwirts fürchtete er sich nicht vor Fremden. Er war es gewohnt, unter Menschen zu sein. Und noch nie hatte einer ihm etwas Böses angetan. Man kannte ihn in der ganzen Gegend als das Kind der Wirtsleute Binder. Und dieser Mann sah so vertrauenerweckend aus, fast wie sein Onkel Felix.

Blaue Augen!, durchzuckte es Aldrigger. Augen, wie René sie gehabt hat. Er sieht René so ähnlich. Vielleicht ist er sogar René.

Er beugte sich dicht zu dem Jungen nieder.

»Du musst ein Kreuz für das Grab haben«, flüsterte er eindringlich. »Sonst ist es nicht echt. Komm mit, wir besorgen eins! Mein Auto steht gleich da drüben!«

Bernie zögerte einen Moment.

»Aber nur, wenn wir gleich zurück sind«, wandte er ein. »Meine Mama schimpft sonst.«

Aldrigger ergriff die kleine warme Kinderhand, und es durchzuckte ihn wie ein Stromstoß.

»Versprochen! Wir kommen gleich wieder! Es ist ja ganz in der Nähe!«, versicherte er und zog das Kind über die Straße. »Steig ein, mach schnell!«

Als der Motor startete, setzte ein großer Schäferhund über den Gartenzaun und stemmte gleich darauf laut bellend seine Pfoten gegen das Autofenster.

»Das ist unser Arco!«, rief Bernie. »Kann er mitfahren?«

Der Wagen machte förmlich einen Satz und raste dann in irrsinnigem Tempo die Straße entlang.

»Nein, den Hund können wir nicht brauchen«, versetzte Aldrigger und blickte sich hastig um.

Das Tier rannte bellend hinter dem Auto her. Doch nach einigen Metern blieb es zurück.

Franzi Binder blickte in der Küche unruhig von ihren Töpfen auf.

»Was hat denn der Hund nur? Max, schau doch mal, was da los ist! Und nimm Bernie lieber ins Haus! Ich mag's nicht, wenn er so lange allein draußen spielt.«

Der Wirt zog eben einen riesigen Braten aus der Röhre und begoss den brutzelnden Wildschweinrücken.

»Geh doch selbst, Franzi«, bat er seine Frau. »Ich kann das Fleisch jetzt nicht alleinlassen! Wir müssen uns ranhalten! Um zwölf Uhr kommen die Hochzeitsgäste, und es ist noch nichts fertig! Ein Essen für hundert Personen ist keine Kleinigkeit.«

Die Wirtin eilte in den Garten, wo der Hund sich wie rasend gebärdete. Immer wieder lief er auf die Straße zurück, gab Laut und sah Frau Binder dann aus klugen Augen an.

Und wo war Bernie?

Franzi hastete durch den Blumengarten bis zum Haus hinauf, rief nach ihrem Söhnchen, schaute unter jeden Strauch. Doch das Kind war verschwunden. Sie verständigte ihren Mann, der es auch nicht begreifen konnte.

Sie rannten zu den Nachbarn, die nicht weit entfernt wohnten, man suchte und fragte. Nichts!

Als die Hochzeitsgäste eintrafen, beteiligten sogar sie sich an den Nachforschungen. Das völlig verstörte, verängstigte Elternpaar tat allen leid.

»Er hat vielleicht an der Leitzach gespielt und ist hineingefallen«, vermutete einer.

»Der Bach hat Hochwasser!« Franzi schlug entsetzt die Hände vor den Mund.

»Ich habe ihm doch immer verboten, am Wasser zu spielen«, klagte sie verzweifelt.

»Kinder!« Der Gast machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn die ins Spiel vertieft sind, achten sie nicht mehr auf Verbote.«

Aber auch am Ufer des Gebirgsflüsschens fand man keine Spur von Bernie.

Schließlich schalteten die Wirtsleute die Polizei ein. Eine Großfahndung nach dem kleinen, dreieinhalb Jahre alten Bernhard Binder wurde angesetzt.

♥♥♥

Aldrigger war inzwischen längst in München.

Er besaß dort eine komfortable Wohnung, wie auch in anderen Großstädten. Schließlich war er ein reicher Großindustrieller gewesen, ehe der Tod seines geliebten Kindes ihn aus der Bahn geworfen hatte. Damals hatte er alle seine Fabriken verkauft und sich ins Privatleben zurückgezogen.

Für seine zahlreichen Bekannten war er von der Bildfläche verschwunden, hatte sich wie ein verwundetes Tier verkrochen. Man hatte allerlei gemunkelt damals: von Nervenzusammenbruch bis zum völligen Irrsinn.

In der Tat hatte er eine gewisse Zeit in einem teuren Privatsanatorium verbracht. Als er auch dort keine Ruhe und keine echte Heilung gefunden hatte, hatte er angefangen, plan- und ziellos herumzureisen. Vorgestern in Marokko, gestern in Stockholm und heute in einem unbekannten Nest in den österreichischen Alpen. Die Welt hatte ihn schließlich vergessen, es gab neue Sensationen.

Vor sich selbst konnte man leider nicht weglaufen, das musste Aldrigger bald erkennen. Der Mensch schleppte sein Elend mit wie einen Rucksack. Doch nun hatte er einen Ersatz für René gefunden. Sein Leben würde wieder einen Sinn bekommen.

Er stand vor dem französischen Bett im komfortablen Schlafzimmer seines Münchner Apartments und blickte auf den fest schlummernden Jungen herab. Aldriggers Hände waren so ineinander verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Plötzlich wurde ihm die Tragweite des Verbrechens bewusst, das er begangen hatte.

Kindesentführung! Er hatte ahnungslosen Eltern das Liebste gestohlen, das sie besaßen.

Sie mussten Bernie liebgehabt haben. Er war ein gepflegtes, ausgeglichenes Kind, weder scheu noch verstockt. Ein Kind liebevoller Eltern.

Warum hatte er, Alexander Aldrigger, nicht ein Straßenkind aus den Slums von Rio mit sich genommen, oder ein verwaistes, halbverhungertes Baby aus Afrika, einen misshandelten Jungen verbrecherischer Eltern aus einem Elendsviertel von Chicago?

Dann hätte er am Ende mit seiner Tat noch Gutes bewirkt.

Aber er hatte diesen Jungen geraubt, weil er seinem verlorenen René so ähnlich sah! Für ihn war der kleine Bernhard Binder die Wiederverkörperung seines toten Sohnes.

Doch das war keine Entschuldigung. Er, Aldrigger, hatte sich mit dieser Tat schwer versündigt und strafbar gemacht.

Als Bernie begonnen hatte zu weinen, nach seinen Eltern zu rufen und sich nicht mehr hatte trösten lassen, da hatte er das Kind betäubt. Betäubt mit den Tabletten, die man ihm im Sanatorium gegen seine Schlaflosigkeit sowie zur Beruhigung und Linderung seiner depressiven Zustände gegeben hatte.

Er hatte die Pillen in Limonade aufgelöst und Bernie zu trinken gegeben. Und er würde das wieder tun. So lange, bis er das Kind sicher in einem seiner Schlupfwinkel hatte.

Nein, er konnte jetzt nicht mehr zurück, konnte sein Vergehen nicht mehr ungeschehen machen. Sie würden ihn sonst in eine psychiatrische Klinik sperren, eine geschlossene Anstalt. Er war doch nicht verrückt!

Er hatte vor, Bernie auf seine Jacht »Melusine« zu bringen, die in Genua vor Anker lag. Dort würde niemand sie aufstöbern. Aldrigger kannte Mittel und Wege, außerdem machte Geld ja beinahe alles möglich.

Er zog sacht Schuhe und Söckchen von Bernies kleinen Füßen und küsste die rosigen Zehen.

»Mein Kind, mein kleiner Sohn!« Tränen rannen über seine Wangen.

Ich will alles gutmachen, mein Kleiner!, schwor er sich. Jeden Wunsch werde ich dir erfüllen, die bestmögliche Erziehung wirst du haben. Und wenn ich einmal nicht mehr bin, dann wirst du mein einziger Erbe sein. Nur alleinlassen darfst du mich nicht. Niemals!

Er legte sich neben den schlummernden Jungen auf das breite Bett und schlang seine Arme um ihn. Kurz darauf fiel er in einen unruhigen Schlaf.

♥♥♥

Die Suchaktion der Polizei nach dem kleinen Bernhard Binder, dem einzigen Kind der jungen Wirtsleute Max und Franzi Binder, brachte die ganze Umgebung in Aufruhr. In den Wäldern wurde jedes welke Blatt umgedreht, jedes Gebüsch durchwühlt.

Zeugen meldeten sich und machten die widersprüchlichsten Aussagen.

Einer hatte Bernie zu der hochwasserführenden Leitzach laufen sehen und schwor, das Kind sei das steile Ufer hinuntergeklettert, um einen Ball zu holen.

Ein anderer glaubte, den Jungen im nahen Ort in einem Supermarkt gesehen zu haben.

Ein dritter behauptete steif und fest, ihn zusammen mit zwei verdächtig wirkenden Männern bei einem Wohnwagen auf einem Campingplatz erblickt zu haben.

Allen diesen Spuren musste nachgegangen werden. Doch sie führten sämtlich in die Irre.

Eine Frau meldete sich. Sie habe ein dunkles Auto längere Zeit schräg gegenüber vom »Goldenen Hirschen« parken sehen. Ein einzelner Herr habe darin gesessen und das Haus der Binders beobachtet.

Als man die Zeugin nach Kfz-Kennzeichen und Automarke befragte, schüttelte sie jedoch hilflos den Kopf. Sie besitze keinen Führerschein und kenne sich deshalb mit Autos nicht aus. Sie konnte nicht einmal sagen, ob das Fahrzeug schwarz, dunkelblau oder dunkelgrün gewesen war. Man tat ihre Aussage als unwichtig ab und forschte nicht weiter nach.

Franzi Binder gab bei aller Aussichtslosigkeit der Lage die Hoffnung nicht auf.

»Der Hund allein weiß, was geschehen ist«, meinte sie. »Arco ist immer wieder auf die Straße hinausgelaufen, und zwar in Richtung München. Ich glaube, jemand hat meinen Bernie entführt. Ach, wenn das Tier doch sprechen könnte!«

Leider wurde auch der Hinweis der Mutter nicht genügend gewürdigt. Was sollte eine Entführung ohne Lösegeldforderung? Und es war bis heute keine eingetroffen.

Man suchte mit Booten und Stangen den kleinen, aber wilden Fluss ab.