Fangfrische Küsten-Krimis – So weit das Böse reicht - Anja Gust - E-Book

Fangfrische Küsten-Krimis – So weit das Böse reicht E-Book

Anja Gust

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Beschreibung

Zwischen Mast und Mord – Wenn Seemannsgarn zur tödlichen Wahrheit wird
Ob auf rostigen Frachtern, in nebligen Hafenkneipen oder bei Sturm in der Kajüte: Die Geschichten in diesem Buch sind so salzig wie das Meer und so bitter wie der letzte Schluck Rum. Für Landratten, die glauben, das Meer sei nur romantisch – und für alte Seebären, die wissen, dass zwischen Mast und Mörder oft nur ein Gedanke liegt.
Schwarzhumorig! Abgründig! Tödlich!
Steig ein – aber sei gewarnt: Wer zu tief eintaucht, könnte nie wieder auftauchen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anja Gust

Fangfrische Küsten-Krimis

So weit das Böse reicht

Impressum

Neuausgabe

Copyright © by Author/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Lilya Zorkina mit Bärenklau Exklusiv, 2025

Korrektorat: Lisa Zacher

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

www.barenklauexklusiv.de / info.baerenklauexklusiv.de

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

Alle Rechte vorbehalten

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv. Hiermit untersagen wir ausdrücklich die Nutzung unserer Texte nach §44b Urheberrechtsgesetz Absatz 2 Satz 1 und behalten uns dieses Recht selbst vor. 13.07.2023.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Fangfrische Küsten-Krimis

So weit das Böse reicht

Nullachtfünfzehn – 08/15 oder #Münchmeyer

Lina oder Waschen. Legen. Töten.

Schuld

Ein Tropfen Wahrheit

#KiekAn

Der Hahn ist tot

Der Warentrenner, Brücken und andere Grenzen

Die Rotakte Renate Becker

Die Wahrheit unter dem Regen

Diagnose: Mensch

Zehn kleine Schattenträger

Fischers Fritze fischt keine Fische

So weit das Böse reicht

Die letzte Strophe

Klappern über Flensburg

Onno Onnen

Der Preis des Blaukehlchens

Aven_, Annabelle und die Anatomie der Abweichung

Der Schlüssel

Knolle kräht

Heimat ist da, wo abends das Licht ausgeht

Letzte Wende

Über die Autorin

Das Buch

Zwischen Mast und Mord – Wenn Seemannsgarn zur tödlichen Wahrheit wird

Ob auf rostigen Frachtern, in nebligen Hafenkneipen oder bei Sturm in der Kajüte: Die Geschichten in diesem Buch sind so salzig wie das Meer und so bitter wie der letzte Schluck Rum. Für Landratten, die glauben, das Meer sei nur romantisch – und für alte Seebären, die wissen, dass zwischen Mast und Mörder oft nur ein Gedanke liegt.

Schwarzhumorig! Abgründig! Tödlich!

Steig ein – aber sei gewarnt: Wer zu tief eintaucht, könnte nie wieder auftauchen

***

Fangfrische Küsten-Krimis

So weit das Böse reicht

Nullachtfünfzehn – 08/15 oder #Münchmeyer

Trotz aller Bemühungen hatte Kuddel es erneut vergeigt. Dabei war es bereits der x-te Versuch. Himmelherrgott, war er denn bescheuert? Die Anleitung war doch eindeutig! Zuerst das Gemisch aus Magnesiumpulver und Natriumnitrat einfüllen, gefolgt von der Spritlösung. Anschließend den in einen Wachspfropfen eingelassenen Docht mit einem Löffel stabilisieren. Dessen Länge bestimmte die Brenndauer und somit den Zeitpunkt der Detonation, was wiederum für die Wirkung entscheidend war – und das Ganze mit einem kaum sichtbaren Bewegungsmelder verbunden. Das Problem war jedoch, den Docht durch die kleine Bohrung im Deckel der Aluminiumkanne so einzuführen, dass er sich nicht verbog oder gar abknickte. So war es jedenfalls dem Kniffe-Handbuch ›Nullacht fünfzehn‹ aus Polen zu entnehmen. »Verdammt nochmal!«, murmelte er. »Das ist ja komplizierter, als ich dachte!« Trotz des gefühlt tausendsten Fehlversuchs warf er seinem Kumpel Fredi – den außer seiner Mutter niemand bei seinem richtigen Namen Fridtjof Gottfridsson nannte – einen kurzen Seitenblick in dessen Gartenschuppen zu und erntete einen Hauch von Verständnis, obwohl dieser ihn seit Tagen regelrecht drängte, endlich Druck zu machen. Übersetzt hieß das, dem Nachbarn Heinrich Münchmeyer ordentlich eine zu verpassen. In unbeobachteten Momenten trieb dieses Rabenaas seine Kühe mit dreister Selbstverständlichkeit auf die angrenzende Weide von Fredis Opapa Dannebrog, dem alten Trøj Åspe. Obwohl dieser aus Gesundheitsgründen kein eigenes Großvieh mehr halten konnte und die Weide längst als Ausgleichsfläche für den Bau von Solarparks diente, ärgerte er sich jedes Mal über das kahlgefressene Gras und die grau-grünen Tretminen, deren zäher Schmutz sich nur mit Mühe von den Stiefeln lösen ließ. Erst neulich hatte er Münchmeyer als Schweinepriester und Nagel an seinem Sarg bezeichnet, mit dem ein Gespräch »nischt« nütze. Der könne nur krakeelen oder sich dumm stellen, statt endlich den Finger aus dem Arsch zu nehmen und seine Viecher von der Åspen’schen Koppel zu treiben.

Selbst Fredi hatte diese leidvolle Erfahrung machen müssen, als er den nachbarlichen Querulanten, in der Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung, auf das Problem ansprach. Aber was hieß schon »ansprach« – vielmehr hatte er ihn in locker-heiterem Ton auf die illegale Nutzung fremden Pachtlandes hingewiesen, ähnlich einem Showmaster, der mit einem billigen Witz die Stimmung zu retten versucht. Dabei erinnerte er ihn an gewisse Verhaltensnormen, die unter zivilisierten Leuten üblich waren – halbwegs kultivierte Umgangsformen inbegriffen.

Kurzum, mit dieser zweifelhaften Ansage machte Fredi sich vor diesem »Heini« klein und fummelte die ganze Zeit an seinem Handy herum, um der Sache eine beiläufige Note zu verleihen. Schließlich galt Münchmeyer als wahre Krawallbürste, der keine Gelegenheit ausließ, um einen Streit vom Zaun zu brechen und mit unverhohlener Freude alles und jeden zu beleidigen. So soll er sich während einer Kneipenrangelei einen neuzugezogenen Großstadtindianer derart zur Brust genommen haben, dass dieser sein Veilchen tagelang hinter einer Sonnenbrille verbergen musste.

Obwohl bereits seit Jahren Münchmeyers Bart vom Alter weiß gefärbt war, begann er prompt zu poltern: Fredi habe wohl nicht mehr alle Latten am Zaun und solle sich gefälligst vom Hof scheren. Anderenfalls würde ihm Andy, sein Rottweiler, in den Arsch beißen. Man stelle sich das mal vor! Und Hand aufs Herz – war es da nicht legitim, zur Selbsthilfe zu greifen?

Fredi, geprägt durch die harten Jahre, die er zur See gefahren war, hatte bisher nicht viele positive Eigenschaften aufzuweisen. Doch in seiner jetzigen Lebenssituation, in der er wieder festen Boden unter den Füßen spürte und ein nennenswertes Sozialgefüge sein Eigen nennen konnte, wollte er unbedingt um die verletzte Familienehre kämpfen. So hatte er lange überlegt, was er tun sollte, um diesem Münchmeyer das Handwerk zu legen. Doch durch das besagte polnische Kniffe-Handbuch für Anfänger war er schließlich auf die Idee mit der Bombe gekommen – wenn das mal nicht den Nagel auf den Kopf traf! Natürlich war es nie sein Ansinnen, dem vermaledeiten Nachbarn körperlichen Schaden zuzufügen – ihm ging es einzig und allein um die erzieherische Wirkung. Und was eignete sich da besser als ein zünftiger Schuss vor den Bug? Da Fredi allerdings weder das nötige Geschick besaß noch die damit verbundenen Risiken eingehen wollte, brauchte er einen Experten auf diesem Gebiet. Was lag da näher, als seinen Kumpel Kuddel um Hilfe zu bitten – ein Tausendsassa mit einem Talent für knifflige Angelegenheiten. Nicht umsonst lautete sein Lebensmotto: ›Kein Plan? Kein Problem. Kuddel kommt. Krempelt um. Kein Kleingedrucktes‹. Doch was ihn wirklich auszeichnete, war seine Fähigkeit, sich in eine Sache solange zu verbeißen, bis eine Lösung gefunden war.

Begünstigend kam hinzu, dass er schon seit langem ein Auge auf Fredis Nachbarin Heikedine geworfen hatte und allein beim Klang ihres Namens rote Ohren bekam. Nach der Trennung von ihrem Ex wohnte sie mit ihrem Kind im Haus schräg gegenüber und hatte die Angewohnheit, selbst ihre Spitzenunterwäsche draußen aufzuhängen.

Seitdem trieb Kuddel sich so oft wie nur irgend möglich im Gottfridsson’schen Vorgarten herum oder beobachtete Heikedine wie ein billiger Spanner durch das Fenster des besagten Gartenschuppens. Kein Wunder, dass er sich ohne Weiteres für die Aktion #Münchmeyer gewinnen ließ. Doch in einer Welt, die das Böse kannte, war es dem eigenen Seelenfrieden dienlich, dass die Zukunft meistenteils im Dunkeln lag.

Fredi zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. »Und du meinst wirklich, dass das eines Tages so richtig funzt?«, fragte er, während sein Blick prüfend auf Kuddel ruhte.

Der jedoch ließ sich nicht beirren. Mit einem vielsagenden Grinsen beugte er sich vor. »Ganze Sachen sind immer einfach, bloß halbe sind kompliziert.«

Fredi lauschte, nicht ohne Skepsis. Kuddel redete sich allmählich in Fahrt – so war er immer, wenn er glaubte, etwas besonders Schlaues im Kopf zu haben.

»Sieh dir doch nur diesen Münchmeyer an«, fuhr Kuddel fort. »Der glaubt wirklich, er sei unantastbar, bloß weil er mit seiner dreisten Art alles erzwingen kann. Aber das würde sich schlagartig ändern, bekäme er endlich seine verdiente Quittung. Zum Glück ist er blind genug, um nicht zu erkennen, dass wahre Überlegenheit nicht in roher Gewalt liegt, sondern im Verstand. Hehehe.«

»Aber was ist, wenn er merkt, wer dahintersteckt?« Fredi hob kurz das Käppi und wischte sich nervös über die Stirn. In seinem Inneren machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Der Gedanke, verdächtigt zu werden, nagte plötzlich an ihm. »Der würde mich sofort anzeigen!«

Kuddel winkte lässig ab. »Wie denn, wenn er nichts beweisen kann?« Er kicherte, als sei das alles ein Spiel. »Das würde nur leeres Papier füllen, hehehe. Und selbst wenn – was will er schon vorbringen, wenn ein Eigentümer sein Hab und Gut schützt? Der Kerl hat auf der Weide deines Opas nichts verloren! Wenn er trotzdem dagegen verstößt, tut er das auf eigenes Risiko.«

Fredi schluckte. Kuddel hatte diesen Ton in der Stimme, den er sonst nur aus düsteren Erzählungen kannte – so eine Mischung aus Überzeugung und unterschwelliger Drohung.

»Klar könnte man ihm im Dunkeln auflauern und ihn auf andere Weise zur Vernunft bringen«, fuhr Kuddel fort. »Ich kenne da ein paar Typen, die sich nicht zweimal bitten lassen …«

Fredi starrte Kuddel an. Jetzt wäre der Moment gewesen für ein schiefes Grinsen, ein lapidares: »War nur Spaß!« – doch das kam nicht. Stattdessen lag für Sekunden eine unangenehme Stille zwischen ihnen. »Nee, lass mal stecken«, murmelte Fredi fast wie zu sich selbst, aber sein Blick war fest auf Kuddel gerichtet. »Ich habe neulich im Internet was gelesen … irgendwas von einem Übermaßverbot. War so ’ne polizeiliche Stellungnahme, glaub ich. Da ging’s um Gewalt – dass man da echt schnell drüber ist, wenn man nicht aufpasst.«

»Blödsinn«, bellte Kuddel und klemmte die Milchkanne abermals in den Schraubstock. »Sowas muss man immer im gesamten Kontext sehen – und da ergibt sich schnell ein ganz anderes Bild. Glaube mir, ich kenne mich damit aus. Bestraft wird immer nur der, der bei der Rechtfertigung irgendwas Entscheidendes übersehen hat – und das liegt hier definitiv nicht vor …« Er machte eine kurze Pause, atmete hörbar durch, doch seine Stimme kippte gleich wieder ins Aufgebrachte. »Du willst doch jetzt nicht etwa einknicken? Hallo? Wir schützen bloß das Eigentum von Opapa Dannebrog! Das ist nicht nur erlaubt – das ist unsere verdammte Pflicht. Also spar dir deine Gewissensbisse!« Kuddel reckte sich, beinahe stolz. »Und eins kann ich dir jetzt schon sagen: Wenn alles klappt, bekommen Münchmeyers Kühe so einen Schreck, dass sie sich nie wieder auch nur in die Nähe dieser Weide verirren. Die Viecher haben einen feinen Instinkt, merken Gefahren meilenweit gegen den Wind. Vielleicht geben sie sogar eine Weile keine Milch mehr …« Er fluchte leise. »Verdammt, das muss doch klappen mit dem Draht … verflixt und zugenäht!«

Fredi trat zum Fenster, schob die Gardine beiseite und starrte nach draußen, als könnte ihm die Straße irgendeinen Ausweg zeigen.

»Endlich!«, rief Kuddel und trat einen Schritt zurück. »Jetzt hat’s geklappt!«

Fredi drehte sich um und sog die Luft tief durch die Nase.

»Und nun: die Probe aufs Exempel«, verkündete Kuddel mit triumphierendem Unterton.

»Hier?« Fredi riss die Augen auf. »Du spinnst wohl!«

»Nu sei mal nicht so ein Grinch!« Kuddel stemmte grinsend die Faust in die Seite.

»Grinch? Ich?«

»Nicht?«, fragte Kuddel scheinheilig und hob eine Braue.

»Blödmann!«, entfuhr es Fredi – lauter, als er beabsichtigt hatte. Die Wut hatte sich angestaut – und nicht nur wegen Kuddels neuestem Streich. Nein, es war mehr. Viel mehr. Schließlich war er es gewesen, der Kuddel immer wieder aus dem Schlamassel gezogen hatte – und dieser hatte nichts Besseres zu tun, als sich jetzt ausgerechnet über ihn zu stellen.

Dass es Kuddel dabei vor allem um Heikedine ging, war Fredi längst klar. Wie oft hatte er ihm durch die Blume signalisiert, dass sie kein Interesse hatte? Und wie oft hatte Kuddel trotzdem weitergemacht, getreu dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

»Schluss jetzt mit dem ganzen Palaver.« Kuddel drückte ihm die Milchkanne samt Zünder in die Hand. »Was soll schon schiefgehen? Entweder knallt’s oder eben nicht! Und jetzt: auf in die Schonung beim Dorfanger – sehen wir mal, was passiert. Komm schon!«

Eine knappe halbe Stunde später …

»Halt mal eben still, ich muss nur die … Mensch, Fredi! Stillhalten, hab ich gesagt.« Kuddel hantierte mit der Milchkanne, als wäre es ein harmloses Bastelprojekt. 

»Und wenn’s doch nach hinten losgeht? Ich meine –«

»Papperlapapp! Das klappt – so sicher wie das Amen in der Kirche.« Kuddel setzte die präparierte Milchkanne mit demonstrativer Sorgfalt auf den Boden, wischte sich den Schweiß von der Stirn und rückte sich das Hemd zurecht, als hätte er gerade ein Meisterwerk vollbracht. »Wenn der blöde Münchmeyer so uneinsichtig ist und ständig fremden Grund und Boden betritt … Selbst schuld, sag ich da nur. Nein, nein – solche Leute brauchen eine Lektion. Eine, die sitzt.«

Fredi hörte die Worte, aber sie klangen plötzlich hohl in seinen Ohren – wie aus großer Entfernung. In seinem Kopf ratterte es. Was, wenn etwas schiefging? Wenn man ihn für die ganze Aktion verantwortlich machte? Opapa Dannebrog würde niemand ernsthaft verdächtigen – dafür war sein schlechter Zustand zu offensichtlich. Doch Fredi? Er war jung, kräftig, handlungsfähig. Und: anwesend.

Er schluckte trocken. »Vielleicht …«, begann er zögernd, »vielleicht hätten wir doch die Kirche im Dorf lassen sollen –«

Genau in dem Augenblick, als Kuddel sich knurrend vorbeugte, Fredi an den Schultern packte – die Augen vor Zorn funkelnd, die Oberlippe bebend, nur ein Haar breit von Fredis Gesicht entfernt –, explodierte der Zünder. Allerdings nicht mit einem lauten Knall. Stattdessen war es nur ein dumpfer »Plopp«.

Fredi blinzelte. Kuddel erstarrte. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte völlige Stille. Dem Anschein nach hatte er das Natriumnitrat falsch dosiert – wieder einmal – und damit nicht nur den Zündzeitpunkt verkürzt, sondern auch den Effekt ruiniert.

»Na ja«, murmelte Kuddel und richtete sich auf. »Ich werd wohl noch etwas nachlegen müssen.« Sein Lachen klirrte durch den Raum – brüchig, zersplittert, wie Porzellan, das auf kalte Fliesen kracht.

Fredi strich sein Hemd wieder glatt und verzog den Mund in verstellter Anerkennung. Immerhin, das musste er zugeben, tat Kuddel das ja alles für ihn und seinen Opapa – allein das war lobenswert.

Und überhaupt – wenn da jemand was zu meckern hatte, à la »Nullachtfünfzehn, das ist doch keine Lösung!«, dann konnte Fredi jetzt schon sein Contra liefern: Besser ein pragmatischer Umweg durchs Unterholz, als ein jahrelanges Hickhack durch die Paragraphenwälder. Er hatte gerade selbst einen Vorgeschmack davon bekommen, wie absurd das Rechtssystem manchmal spielte. An der Windschutzscheibe seines Autos klebte noch immer der Schatten der Knolle – 15 Euro für »unsachgemäßes Parken« an der Bushaltestelle. Dabei hatte er den Motor laufen lassen! Ein Witz. Und was hatte sein Einspruch gebracht? Nichts. Außer Papierkram, den kein Mensch lesen wollte. Fredi seufzte innerlich. Vielleicht hatte Kuddel nicht Unrecht. Vielleicht funktionierte die Welt einfach anders, als sie es in der Schule erzählt hatten. Doch zurück zum Thema …

Im Schutz der Schonung machte sich Kuddel erneut ans Werk. Mit grimmiger Entschlossenheit justierte er die Dosierung des Gemischs, um die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Blindgängers auf ein Minimum zu reduzieren. Jeder Handgriff saß nun – die Missgeschicke von zuvor hatten seine Geduld endgültig zermürbt. »Und denk dran«, sagte er mit erhobenem Zeigefinger, ohne aufzublicken, »dein Opa darf in den nächsten Tagen unter keinen Umständen zur Koppel. Ist das klar?«

Ein unsicheres Nicken huschte über Fredis Gesicht.

»Wenn’s sein muss«, fuhr Kuddel fort, »sag ihm, da läuft eine massive Bekämpfungsaktion gegen diese verfluchten Eichenprozessionsspinner. Mit Gift. Ganz offiziell. Da geht keiner freiwillig hin.«

Fredi rang mit den Worten, schluckte trocken und blickte zu Boden. Der Plan nahm immer groteskere Züge an – und Kuddel schien fest entschlossen, jede Hemmschwelle als unnötige Sentimentalität abzutun. Was mit einem »Schuss vor den Bug« begonnen hatte, war längst zu einem kalten Manöver geworden – Tarnung inklusive.

Am nächsten Morgen, im ersten Licht der aufgehenden Sonne, trafen sie sich auf dem Feldweg, der sich kurz vor der Åspen’schen Wiese schlängelte. Keine drei Minuten später platzierte Kuddel die Milchkanne mit entschlossenem Griff direkt vor dem Koppeltor. Ein tiefer Ingrimm verschattete sein Gesicht, während er sich niederkniete, um die Vorrichtung am unteren Torbalken zu befestigen – so sensibel, dass schon die kleinste Bewegung der Pforte zur Detonation führen würde.

Fredi beobachtete jeden Handgriff, folgte der Prozedur mit einer Mischung aus Beklommenheit und stiller Faszination. Nach sorgfältiger Inaugenscheinnahme und einem zustimmenden Nicken richtete er sich wieder auf. »Jetzt ist der Vorhang zerrissen«, sagte er leise, beinahe ehrfürchtig. Sein Blick schweifte über das kniehohe Gras hinweg gen Osten, wo der Dörpsee in der Ferne begann. Die Vegetation versperrte zwar die freie Sicht, doch eine schmale Lücke im Knick, begleitet von einer ausgefahrenen Treckerspur am Wegesrand, bot ihm eine Sichtachse, an deren Ende sich das tiefdunkle Tuch des Tümpels zeigte. Doch seine Aufmerksamkeit galt nicht der Schönheit der Natur. Zu sehr war er von dem nun Kommenden gefesselt. Verheißungsvoll schlug er die Faust in seine linke Innenhand. Und sollte dieser Dreckskerl Münchmeyer tatsächlich in die Falle tappen – und dann auch noch die Dreistigkeit besitzen, mit einer Anzeige zu kontern –, würde Fredi ihm kühl mit einer Klage wegen Verleumdung drohen. Schließlich konnte sein Opapa Dannebrog nun wirklich nichts dafür, wenn sich jemand auf dessen Koppel einen dummen Scherz erlaubte. Und überhaupt: Bevor hier irgendwer mit dem Zeigefinger drohte, müsste der Hitzkopf Münchmeyer erst mal erklären, was er da eigentlich zu suchen hatte. Yippie! – so wurde ein Schuh draus.

»Sag mal, was bekomme ich eigentlich dafür?«, fragte Kuddel plötzlich mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, der nach dem Salzstreuer greift. »Ich mein … war ja auch ’ne ganze Menge Aufwand.«

Fredi hob eine Augenbraue. Natürlich wusste er sofort, worauf Kuddel hinauswollte – es ging nicht um Geld, nicht um Dank, nicht um Bier. Es ging um Heikedine. Ein näheres Kennenlernen, wie er es nannte. Ein stilles Tauschgeschäft, unausgesprochen, aber glasklar. Absurder ging’s kaum. Fredi hätte eher freiwillig im blutegelverseuchten Dörpsee gebadet, als sein gutes Verhältnis zu ihr für diesen Hallodri aufs Spiel zu setzen. Kuddel hatte überhaupt kein Gespür für Heikedines unmissverständliche Signale – oder er wollte sie einfach nicht sehen. Fredi reagierte nicht. Kein Kommentar, kein Widerwort. Nur ein sachtes Schulterzucken, das alles und nichts bedeutete. Kuddel konnte hineinlesen, was er wollte. Und genau das war der Plan.

Nachdem sie sich voneinander verabschiedet und getrennte Heimwege angetreten hatten, legte Fredi sich für ein kleines Nickerchen aufs Sofa, doch Ruhe wollte sich nicht einstellen. Kaum hatte er die Augen geschlossen, schwirrten Gedanken wie aufgescheuchte Mücken durch seinen Kopf. Das Bild der Milchkanne vor dem Koppeltor, Kuddels verquere Logik, die missglückte Zündung vom Vortag – alles drehte sich in seinem Hirn wie auf einem alten Diaprojektor. Mal scharf, mal überbelichtet. Und ganz am Rand, wie ein flüchtiger Schatten, formte sich die Ahnung, dass sie heute eine Grenze überschritten hatten. Oder zumindest kurz davorstanden. Er wälzte sich zur Seite, schob sich ein Kissen unter den Arm und murmelte: »Yippie, so wird ein Schuh draus«, doch diesmal klang es matt – als wäre ihm die Sohle abgegangen. Draußen schnarrte ein Mofa vorbei. Es hätte Kuddel sein können. Oder Münchmeyer. Oder der Postbote. Es war ihm egal. Noch. Denn irgendwo jenseits des Dösens, in einem jener Halbschlaf-Momente, in denen alles möglich und nichts sicher ist, formte sich in Fredis Innerem ein Gedanke – nicht laut, nicht klar, aber hartnäckig: Vielleicht war das alles gerade der Anfang vom Ende. Drei Atemzüge später senkte sich die Dunkelheit wie ein Schleier über ihn …

Donnergrollen zerfetzte den Himmel. Ein kratziges Rumpeln schnarrte durchs Gebüsch. Ein Fahrrad, alt, rostig, mit klapperndem Korb vorne dran, fuhr herrenlos einige Meter, bevor es merkwürdig verdreht zur Seite kippte. Im pechschwarzen Schlamm gruben sich Hände in den Boden, als könnte man sich dort verkriechen vor dem Wahnsinn, der über sie hinwegfegte. Kugeln kreischten, Splitter sirrten – und mittendrin taumelte eine Gestalt, das halbe Gesicht zerfetzt. Fredi schrie, aber kein Laut verließ seinen Mund. Aus dem Nebel trat plötzlich Kuddel – oder das, was von ihm übrig war: sein Gesicht verborgen hinter einer grotesk grinsenden Gasmaskenfratze, aus deren Atemfiltern Dampf wie aus Drachenrachen stieg. In der einen Hand hielt er die Milchkanne wie einen heiligen Gral, in der anderen einen Zünder, der pulsierend rot aufglühte. Alles schien in Zeitlupe zu erstarren, sogar die Luft. Und dann sah Fredi ihn – Opapa Dannebrog, am Rande des Schlachtfelds. Dort stand er. Stumm. Unbewegt. Im Schlafanzug. Gummistiefel. Und sein Kopf bedeckt mit einer dieser Wollmützen, die er bei einer Werbeveranstaltung ergattert hatte. Und er erwiderte Fredis Blick. Nicht vorwurfsvoll, nicht traurig. Sondern viel schlimmer: verständnislos. Dann: ein ohrenbetäubendes Krachen.

Kerzengerade fuhr Fredi hoch, lauschte angestrengt ins Zimmer. Atemlos starrte er auf die Tür, als könnte das Grauen seines Traums jeden Moment Realität werden. Der Schweiß klebte ihm am Rücken, sein T-Shirt fühlte sich an wie ein nasser Lappen.

Draußen schlugen die Weinranken gegen das Fensterbrett und das laute Knattern eines Motorrads in der Ferne durchbrach die Schattenwelt.

»Mein Gott! Was für ein mieser Traum …« Er warf die Wolldecke zurück und sprang auf. Der Gedanke traf ihn wie ein elektrischer Schlag: Die Bombe. Ich … Ich muss sie kontrolliert sprengen. Bevor noch Schlimmeres passiert. Kurz dachte er an Kuddel. Der würde toben. Maßlos. Sicher. Aber Fredi hatte einen Plan: Ein Blindgänger, ausgelöst durch Wind oder zu viel Feuchtigkeit – plausibel. Ein Gespräch – locker vorbeischwimmen lassen. Und überhaupt: Hatte Kuddel nicht selbst betont, wie entscheidend die genaue Platzierung sei? Eine Fehlplatzierung – vollkommen denkbar. Eine fehlende Detonation? Durchaus möglich. Also, wo lag das verdammte Problem? Fredi raffte sich zusammen. Er musste los. Sofort. Um zu retten, was noch zu retten war.

Keine zehn Minuten später stand Fredi wieder am Gatter – und stutzte. Die Bombe war verschwunden. Ein Kontrollblick, ein Schritt näher, dann eine halbe Stunde zögernden Absuchens der Umgebung: nichts. Kein Draht, kein Metall, kein Fitzelchen vom Zünder. Als hätte die Milchkanne nie existiert. Ein kalter Hauch kroch ihm über den Nacken. Hatte Kuddel kalte Füße bekommen? Schwer vorstellbar. Der Kerl war furchtlos bis zur Fahrlässigkeit. Und doch … was sonst konnte passiert sein? Gesenkten Blickes trat Fredi nachdenklich den Rückweg an. Kuddel konnte nichts wissen. Zumindest nicht offiziell. Bloß keine Andeutungen machen, schoss es ihm durch den Kopf. Auf gar keinen Fall das Gespräch mit ihm suchen – das würde nur Fragen aufwerfen, denen er momentan nichts entgegensetzen konnte. Oberste Priorität: Füße stillhalten. Und hoffen, dass der Sprengstoff nicht nur verschwunden, sondern auch vergessen war.

So vergingen zwei qualvolle Tage, an denen nichts Nennenswertes geschah. Damit war allerdings auch zu rechnen, schließlich konnte niemand sagen, wann Münchmeyer mal wieder die Koppel aufsuchte, und selbst davon würde man erst erfahren, wenn sich Opapa Dannebrog meldete. Doch dann, am übernächsten Morgen – Fredi sah gerade seinen E-Mail-Eingang durch – klingelte das Telefon. Und tatsächlich war es sein Opapa.

Zu Fredis Überraschung teilte dieser ihm mit, dass Münchmeyer sich heute früh beim Betreten besagter Weide den Fuß verstaucht habe und ins Krankenhaus musste.

Das habe er von Schorsch, seinem Nachbarn erfahren. Da auf dem Gelände jedoch kein Warnschild auf die dortigen Unebenheiten hinwies, fürchtete er nun, als Eigentümer haftbar gemacht zu werden.

»Er hat sich was? Den Fuß verstaucht?«, wiederholte Fredi, nun aufrecht im Stuhl sitzend.

»Ich habe es selbst kaum glauben können«, sagte Opapa, leicht atemlos. »Schorsch meinte, er sei da einfach so durch die Pforte … und dann wohl umgeknickt. Ist mit dem Fuß in ’nen Kanickelbau getreten oder so was in der Art.«

Fredi starrte auf den Bildschirm, sah die blinkenden E-Mails nicht mehr. Stattdessen rauschte es in seinem Kopf. Kaninchenbau? Oder war da etwa …? Nein. Die Bombe war weg. Spurlos. War das etwa … die Nachwirkung? »Aber das ist doch unmöglich, er hat doch gar nicht –« In letzter Sekunde biss er sich auf die Lippen.

»Und stell dir vor: Bänder gedehnt. Gipsverband. Zwei Wochen auf Krücken«, knarzte es aus dem Hörer.

Wenn sich Schlimmes zum Schlechten gesellt … Fredi wiegte den Kopf, gab jedoch keinen weiteren Kommentar ab. Ein Teil von ihm wollte erleichtert aufatmen, ein anderer witterte Ungereimtheiten. Irgendetwas passte nicht. Zu viele Zufälle. Zu viele offene Fragen. Und vor allem: Wer zum Teufel hatte die Bombe entfernt?

Als wäre das nicht schon Chaos genug, stand keine zwei Stunden später Kuddel vor der Tür – so ungeduldig wie einer, der meinte, die Welt schulde ihm eine Erklärung. Und zwar sofort. »Und?«, platzte er ohne jede Begrüßung heraus. »Gibt’s was Neues?«

Fredi zögerte nur eine Viertelsekunde, dann erzählte er von der Sache mit Münchmeyer. Natürlich nicht alles. Nur das, was Kuddel wissen durfte.

»Das ist doch nicht zu fassen!«, echauffierte sich dieser. »Ich sage dir, das Ding hat einen Pferdefuß.«

Fredi spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Kuddel hatte eine Gabe, Dinge harmlos aussehen zu lassen – solange man sie nicht zu genau betrachtete.

»Wahrscheinlich ist die Lösung ganz harmlos«, entgegnete Fredi, und selbst er konnte nicht sagen, ob sie das jetzt beruhigen sollte oder ob es reiner Sarkasmus war. Vielleicht beides. »Die Bombe ist einfach nicht detoniert. Hat der Stiesel Münchmeyer vermutlich nicht mal bemerkt. Und der Fuß? Einfach verstaucht. C’est la vie.«

»Blödsinn!«, fauchte Kuddel. »Der trickst doch nur.«

Fredi runzelte die Stirn. »Warum sollte er?«

»Vielleicht, um der Sache den Effekt zu nehmen.« Kuddel hielt inne, wurde ungewöhnlich still. Dann glitt sein Blick an Fredi vorbei – starr, wie auf eine Erscheinung gerichtet, die nur er sehen konnte. »Mir gefällt das nicht. Ich werde es herausfinden. Verlass dich drauf.«

Und genau das war das Problem. Kuddel gehörte zu jener Sorte Mensch, die das Wort Vorsicht nur vom Hörensagen kannte. Fredi hätte schwören können, dass selbst Ganoven nachts besser schlafen als dieser Typ. »Wir müssen nur die nächsten Tage überstehen«, murmelte er und wich dem Blick seines Kumpels aus.

»Ach, papperlapapp.« Kuddel wedelte mit der Hand, drehte sich um und ging. Kein Gruß. Kein Plan. Nur diese unausgesprochene Ansage, dass es noch lange nicht vorbei war.

Fredi stand in der Tür. Das schale Licht der Außentreppe lag auf ihm und ließ ihn zehn Jahre älter aussehen. »Mann-o-Mann«, entwich es ihm leise.

Aber wie das Leben so spielte, kam es an jenem Abend zu einer unerwarteten Begegnung: Gerade hatte Fredi sich nach seiner abendlichen Dusche in seinen flauschigen Flanell-Plüsch-Pyjama gekuschelt und mit einer Tasse Tee in seinem Lieblingssessel niedergelassen, als es plötzlich Sturm klingelte. Verwundert stand er auf – und traute kaum seinen Augen. Vor der Tür stand niemand anderes als Heikedine. Sie zitterte wie ein verirrtes Lamm, das den Anschluss an die Herde verloren hatte. Ihre Augen wirkten leer, der Blick flatterte irgendwo zwischen ihm und dem Boden umher.

»Bitte … kann ich kurz rein?« Ihr Gesicht war kreidebleich, und ihre Lippen schimmerten bläulich.

»Aber natürlich.« Fredi machte eine einladende Handbewegung. »Nur herein in die gute Stube.«

»Es ist mir ja schrecklich peinlich, zu solch später Stunde –«

»I wo«, entgegnete er mit einem süßsauren Lächeln und führte sie ins Wohnzimmer. »Kaffee?«

»Nein, danke. Ich … ich weiß mir einfach keinen Rat mehr.«

»Was ist denn um Gottes willen passiert?«

»Es geht um Kuddel …« Ihre Stimme zitterte, begleitet von einem schweren Seufzer. »Er war gestern noch hier. Und was er mir erzählt hat, ist so absurd, so jenseits aller Vorstellungskraft, dass ich es noch immer nicht glauben kann.«

Fredi war, gelinde gesagt, entsetzt über ihren Zustand, der irgendwo zwischen Zerstreutheit und nackter Angst pendelte. Zudem beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Er kannte seinen Kumpel Kuddel nur zu gut, um ihm beinahe jede Schlechtigkeit zuzutrauen. Und so sagte er mit einem Hauch von Nachdruck in der Stimme: »Jetzt erzähl schon. Was ist los?«

»Mal ehrlich, Fridtjof Gottfridsson!«, fauchte sie plötzlich los, ihre Stimme scharf wie ein Peitschenhieb. »Wie konntest du dich nur zu so etwas hinreißen lassen?!«

Eine heiße Welle stieg ihm ins Gesicht, während er nur die Schultern hob. »Was … was meinst du?«, fragte er verwirrt.

»Kuddel war so freundlich und hat um ein klärendes Gespräch gebeten. Da ich mir nicht vorstellen konnte, was er damit meinte, und er mir als dein Kumpel schon ab und an über den Weg gelaufen ist, dachte ich mir nichts dabei.« Für einen Moment stockte sie, dann fuhr sie mit sich überschlagener Stimme fort. »Nachdem er in der Küche saß und anfing, allerlei verworrenes Zeug zu erzählen, aus dem ich nicht recht schlau wurde, setzte mich der Umstand, dass er einiges von mir wusste, was er gar nicht wissen konnte, in Alarmbereitschaft. Ich fragte mich die ganze Zeit, mit welchem Recht dieser Kerl sich herausnahm, mich derart vor den Kopf zu stoßen, indem er Dinge unmissverständlich zur Sprache brachte, die er beim besten Willen gar nicht wissen konnte. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erklärte er mit unbewegter Miene, er wolle mir natürlich beistehen, wann immer es ihm passe. Auch meiner Tochter wolle er ein verlässlicher, fürsorglicher Vater sein und so weiter. Ich dachte nur, Himmelherrgott, was hat der denn geraucht? Wie geschickt er sich selbst zum Opfer stilisiert hat – ein wahres Meisterstück an Selbstbetrug. Wenn es nicht so erbärmlich wäre, könnte man fast applaudieren. Und dann: Seine Offenheit mir gegenüber – so versicherte er – sei seinem aufrechten Herzen geschuldet. Ganz ehrlich? In diesem Moment hatte ich den Eindruck, er habe den Verstand verloren. Ich wagte nicht, auch nur ein Wort zu sagen – schon um mich nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Man kann ja nie wissen … Da er mein Schweigen offenbar als Zustimmung missverstand …« Sie schlug die Hände vor die Augen und stammelte: »U-und dann … O-ohne jede Vorwarnung sank er vor mi-mir auf die Knie, Tränen liefen ihm übers Gesicht, während er mir seine Liebe gestand – bis über beide Ohren, wie er sagte. Er habe diesbezüglich einen Tipp bekommen. I-ich war dermaßen überrumpelt, ja gar fassungslos, dass ich nicht einmal wusste, ob ich atmete, geschweige denn, was ich sagen sollte.«

Fredi räusperte sich, spürte, wie seine Kehle trocken wurde. Mehr denn je schien sich der Boden unter seinen Füßen in etwas Weiches, Haltloses zu verwandeln. »Wie um alles in der Welt kommt er nur auf diese Idee?«, murmelte er fassungslos.

»Genau das habe ich mich auch gefragt.« Bevor sie fortfuhr, strich sie sich eine Strähne hinters Ohr und schuf so eine angemessene Zeit für die ungeteilte Aufmerksamkeit der nachfolgenden Worte. »Doch es kam noch schlimmer: Plötzlich behauptete er allen Ernstes, du hättest ihn zu einer Straftat angestiftet, ihr beide hättet eine Bombe an einem Gatter platziert. Und jetzt, so sagte er, plage ihn das Gewissen. Absurder konnte es kaum klingen. Anfangs lachte ich noch auf. Doch sein Blick war todernst. Und mit einem Mal war mir überhaupt nicht mehr zum Lachen zumute. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – aber in diesem Moment tat er mir irgendwie leid. Vielleicht war es auch bloß ein Reflex. Jedenfalls sprach ich ihm ein paar tröstende Worte zu. Ein Fehler, wie sich augenblicklich herausstellen sollte. Sekunden später fiel er auf die Knie, klammerte sich an mich – und vergrub sein Gesicht in meinem … in meinem … O Gott, wie soll ich …« Sie schluckte. Stockte. Fuhr dann mit belegter Stimme fort: »In meinem Schoß vergrub er sein Gesicht – eine Geste, so übergriffig, so verstörend, dass mir der Atem stockte. Doch dann …« Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle. »Das übertraf alles: Er erklärte mir seine Liebe und drohte zugleich, sich das Leben zu nehmen, falls ich ihn zurückwiese. In mir breitete sich ein kaltes Entsetzen aus. Er nannte es ein Geständnis. Ich …« Sie atmete tief ein und aus, bevor sie weitersprach. »Ich nannte es, was es war: Erpressung. Außer mir vor Wut schrie ich ihn an, er solle sofort verschwinden, ansonsten würde ich die Polizei rufen. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er mir ans Leder gehen. Seine Augen verengten sich, ein Muskel zuckte in seiner Wange … Doch dann riss er sich zusammen, setzte an, um etwas zu sagen, stürmte jedoch ohne ein weiteres Wort aus der Wohnung.« Abermals strich sie ihr Haar zurück. »Natürlich ließ mich seine Behauptung nicht los. Was meinte er mit einer ›Bombe‹? In meinem Kopf wirbelten die Möglichkeiten durcheinander – beunruhigend und abstrus zugleich. Doch je länger ich über seine Worte nachdachte, desto klarer wurde mir: Er konnte nur die Åspen’sche Koppel gemeint haben. Kurzerhand machte ich mich auf den Weg, fest entschlossen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Und was, glaubst du, fand ich dort vor? Eine alte, verbeulte Milchkanne, die direkt am unteren Rand des Tores befestigt war. Ich erstarrte. Mein Herz setzte einen Schlag aus, rutschte mir tief in die Hose. Auf den ersten Blick keine sichtbaren Kabel, kein Zünder, keine blinkenden Lichter. Nur dieses stumme Relikt – aber gerade das machte es noch unheimlicher. Aber so groß meine Angst auch war: Ich konnte nicht einfach tatenlos zusehen. Ich atmete tief durch, fasste mir ein Herz – bereit, dem Unausweichlichen ins Auge zu sehen – zwang meine zitternden Beine vorwärts. Ich holte aus und trat zu. Das Ding flog vom Tor, überschlug sich klappernd und blieb einige Meter später liegen. Beherzt warf ich es weit, weit fort – bis runter zum Bach, wo es mit einem dumpfen Gurgeln versank. Jedenfalls … Was ich damit sagen will …« Abermals lag ein kurzes Zögern in der Luft, ehe sie ihre Worte fortsetzte. »Zu keiner Zeit kam mir der Gedanke, ich könnte mich damit selbst in Gefahr bringen. Wie auch immer … Bitte sag mir, dass das alles nicht wahr ist. Dass zu keinem Zeitpunkt wirklich jemand in Gefahr war. Weder Mensch noch Tier. So war es doch – oder etwa nicht? Eines jedenfalls steht fest: Die Kanne ist nicht explodiert. Vielleicht hatte Kuddel ja doch kein –«

»Jaja«, fiel Fredi ihr ins Wort und strich sich langsam mit dem Zeigefinger über die Schläfe. Dann beugte er sich ein wenig nach vorn, seine Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern. »Lass das lieber unser Geheimnis bleiben. Wenn nie jemand davon erfährt, ist die Sache für immer vom Tisch.«

Heikedines Miene erstarrte. Ihre Augen verengten sich, als müsse sie prüfen, ob sie sich verhört hatte. Einen langen Moment lang sagte sie nichts. Nur das Ticken der Wanduhr durchbrach die Stille zwischen ihnen, jedes Geräusch war plötzlich viel zu laut in dem kleinen Raum.

»Unser Geheimnis?«, wiederholte sie leise, beinahe mechanisch. Dann richtete sie sich auf, zog sich ein Stück zurück, als wollte sie sich in eine unsichtbare Reichweite begeben. »Was soll das heißen?«

---ENDE DER LESEPROBE---