Faust. Der Tragödie erster Teil - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Faust. Der Tragödie erster Teil E-Book

Johann Wolfgang von Goethe

0,0

Beschreibung

Das wohl bekannteste Werk der deutschen Literatur: Der Wissenschaftler Heinrich Faust ist mit sich und seiner Forschung unzufrieden. Um wieder Freude am Leben zu erlangen, geht er einen Pakt mit dem Teufel Mephisto ein, dem er seine Seele verspricht, sollte dieser es schaffen, ihn wieder glücklich zu machen. Dank eines Zaubertranks, den Mephisto ihm gibt, verjüngt sich Faust, doch als er sich in das junge Gretchen verliebt, findet der Pakt ein tragisches Ende...-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 464

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Johann Wolfgang von Goethe

Faust. Der Tragödie erster Teil

ERNST BEUTLER

Saga

Faust. Der Tragödie erster TeilCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1808, 2020 Johann Wolfgang von Goethe und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726540000

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Zueignung

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?

Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halbverklungnen Sage

Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf.

Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

Verklungen, ach! der erste Widerklang.

Mein Leid ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen,

Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,

Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater

Direktor, Theaterdichter, Lustige Person

direktor. Ihr beiden, die ihr mir so oft

In Not und Trübsal beigestanden,

Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen

Von unsrer Unternehmung hofft!

Ich wünschte sehr, der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben lässt.

Die Pfosten sind, die Breter, aufgeschlagen,

Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiss, wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen:

Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wirs, dass alles frisch und neu.

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,

Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt

Und mit gewaltig-wiederholten Wehen

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,

Bei hellem Tage, schon vor Vieren,

Mit Stössen sich bis an die Kasse ficht

Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,

Um ein Billett sich fast die Hälse bricht.

Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur: mein Freund, o tu es heute!

dichter. O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

Bei deren Anblick uns der Geist entflieht!

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht!

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht,

Wo lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen!

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,

Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt, ist für den Augenblick geboren;

Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

lustige person. Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte!

Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spass?

Den will sie doch und soll ihn haben!

Die Gegenwart von einem braven Knaben

Ist, dächt ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzuteilen weiss,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen grossen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

Drum seid nur brav und zeigt Euch musterhaft,

Lasst Phantasie mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,

Doch, merkt Euch wohl! nicht ohne Narrheit hören!

direktor. Besonders aber lasst genug geschehn!

Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

So dass die Menge staunend gaffen kann,

Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seid ein vielgeliebter Mann.

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen,

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

Solch ein Ragout, es muss Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilfts, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht?

Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

dichter. Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei,

Wie wenig das dem echten Künstler zieme!

Der saubern Herren Pfuscherei,

Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.

direktor. Ein solcher Vorwurf lässt mich ungekränkt:

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

Muss auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!

Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

Und was das Allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten

Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?

Was macht ein volles Haus Euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, Halb sind sie roh.

Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen!

Was plagt ihr armen Toren viel.

Zu solchem Zweck die holden Musen?

Ich sag Euch: gebt nur mehr und immer, immer mehr,

So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren.

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen, ist schwer! –

Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

dichter. Geh hin und such dir einen andern Knecht!

Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt

Und in sein Herz die Welt zurückeschlingt?

Wenn die Natur des Fadens ewge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmonsche Menge

Verdriesslich durcheinanderklingt:

Wer teilt die fliessend immer gleiche Reihe

Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,

Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?

Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten?

Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend-grünen Blätter

Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?

Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart!

lustige person. So braucht sie denn, die schönen Kräfte,

Und treibt die dichtrischen Geschäfte,

Wie man ein Liebesabenteuer treibt:

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt,

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

Und eh man sichs versieht, ists eben ein Roman.

Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebts, nicht vielen ists bekannt,

Und wo Ihrs packt, da ists interessant.

In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

Vor Eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus Eurem Werk sich melancholsche Nahrung,

Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt:

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,

Ein Werdender wird immer dankbar sein.

dichter. So gib mir auch die Zeiten wieder,

Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder.

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten!

Ich hatte nichts und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug!

Gib ungebändigt jene Triebe,

Das tiefe, schmerzenvolle Glück,

Des Haffes Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

lustige person. Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz

Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Mut und Anmut einzugreifen,

Nach einem selbstgesteckten Ziel.

Mit Holdem Irren hinzuschweifen,

Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

direktor. Der Worte sind genug gewechselt,

Lasst mich auch endlich Taten sehn!

Indes ihr Komplimente drechselt,

Kann etwas Nützliches geschehn.

Was hilft es, viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandiert die Poesie!

Euch ist bekannt, was wir bedürfen:

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,

Und keinen Lag soll man verpassen;

Das Mögliche soll der Entschluss

Beherzt sogleich beim Schopfe fassen:

Er will es dann nicht fahren lassen

Und wirket weiter, weil er muss.

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder, was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen!

Gebraucht das gross- und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet Ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier- und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Breterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus

Und wandelt mit bedächtger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!

Prolog im Himmel

Der Herr, die Himmlischen Heerscharen Nachher Mephistopheles

Die drei Erzengel treten vor

raphael. Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

gabriel. Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieseshelle

Mit tiefer, schauervoller Nacht;

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Feld und Meer wird fortgerissen

In ewig-schnellem Sphärenlauf.

michael. Und Stürme brausen um die Wette

Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung ringsumher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

zu drei. Der Anblick gibt den Engeln Stärke,

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

Sind Herrlich wie am ersten Tag.

mephistopheles. Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiss, zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn- und Welten weiss ich nichts zu sagen;

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Er nennts Vernunft und brauchts allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer Fliegt und fliegend springt

Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.

Und läg er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt seine Nase.

der herr. Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

mephistopheles. Nein, Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen;

Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.

der herr. Kennst du den Faust?

mephistopheles . Den Doktor?

der herr. Meinen Knecht!

mephistopheles . Fürwahr, er dient Euch auf besondre Weise!

Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise!

Ihn treibt die Gärung in die Ferne;

Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst:

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne

Und von der Erde jede höchste Lust;

Und alle Näh und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

der herr. Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.

Weiss doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Dass Blüt und Frucht die künftgen Jahre zieren.

mephistopheles . Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,

Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,

Ihn meine Strasse sacht zu führen!

der herr. Solang er auf der Erde lebt,

Solange sei dirs nicht verboten:

Es irrt der Mensch, solang er strebt.

mephistopheles . Da dank ich Euch; denn mit den Toten

Hab ich mich niemals gern befangen.

Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus:

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

der herr. Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab

Und führ ihn, kannst Du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab –

Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,

Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

mephistopheles . Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange!

der herr. Du darfst auch da nur frei erscheinen;

Ich habe deinesgleichen nie gehasst:

Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen. –

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

Erfreut euch der lebendig-reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken!

Der Himmel schliesst, die Erzengel verteilen sich

mephistopheles allein. Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,

Und hüte mich, mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem grossen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Der Tragödie erster Teil

Nacht

In einem bochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte

faust . Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heissem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug als wie zuvor!

Heisse Magister, heisse Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt:

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund,

Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiss,

Zu sagen brauche, was ich nicht weiss,

Dass ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen

Und tu nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

Dann über Büchern und Papier,

Trübselger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht’

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den bis ans hohe Gewölb hinauf

Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft

Urväterhausrat drein gestopft –

Das ist Deine Welt! das heisst eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein!

Flieh! auf! hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, dass trocknes Sinnen hier

Die heilgen Zeichen dir erklärt!

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir:

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus

Ha! welche Wonne fliesst in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges, heilges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen.

Und mit geheimnisvollem Trieb

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? mir wird so licht!

Ich schau in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:

„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

Auf! bade, Schüler, unverdrossen

Die irdsche Brust im Morgenrot!“

Er beschaut das Zeichen

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!

Wo fass ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein.

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen!

Es wölkt sich über mit –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet –

Es dampft – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und fasst mich an!

Ich fühls, du schwebst um mich, erflehter Geist:

Enthülle dich!

Ha! wies in meinem Herzen reisst!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinnen sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du musst! du musst! und kostet’ es mein Leben!

Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus.

Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme

geist . Wer ruft mir?

faust abgewendet. Schreckliches Gesicht!

geist . Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

faust . Weh! ich ertrag dich nicht!

geist . Du flehst eratmend, mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn:

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

Fasst Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf

Und trug und hegte? die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleichzuheben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

faust . Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

Ich bins, bin Faust, bin deinesgleichen!

geist . In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben:

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

faust . Der du die weite Welt umschweifft,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

geist . Du gleichst dem Geist, den du begreifst

Nicht mir!

Verschwindet

faust zusammenstürzend. Nicht dir?

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

Es klopft

O Tod! ich kenns – das ist mein Famulus!

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

Dass diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muss!

wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig

wagner . Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren;

Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

faust . Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.

wagner . Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten

Wie soll man sie durch Überredung leiten?

faust . Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen,

Wenn es nicht aus der Seele dringt

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus

Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht –

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

Wenn es euch nicht von Herzen geht.

wagner . Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.

faust . Such Er den redlichen Gewinn!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor.

Und wenns euch Ernst ist, was zu sagen,

Ists nötig, Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend, sind,

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

wagner . Ach Gott! die Kunst ist lang,

Und kurz ist unser Leben.

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang.

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

Durch die man zu den Quellen steigt!

Und eh man nur den halben Weg erreicht,

Muss wohl ein armer Teufel sterben.

faust . Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,

Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

wagner . Verzeiht! es ist ein gross Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,

Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht

Und wie wirs dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

faust . O ja, bis an die Sterne weit!

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Was ihr den Geist der Zeiten heisst,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Da ists denn wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon:

Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion

Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

wagner . Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

faust . Ja, was man so erkennen heisst!

Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

Die wenigen, die was davon erkannt,

Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

Wir müssens diesmal unterbrechen.

wagner . Ich hätte gern nur immer fortgewacht,

Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.

Doch morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein- und andre Frage!

Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen;

Zwar weiss ich viel, doch möcht ich alles wissen. Ab.

faust allein. Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gierger Hand nach Schätzen gräbt

Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Darf eine solche Menschenstimme hier,

Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Doch ach! für diesmal dank ich dir,

Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.

Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.

Ach! die Erscheinung war so riesengross,

Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

Ganz nah gedünkt dem Spiegel ewger Wahrheit,

Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn,

Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fliessen

Und, schaffend, Götterleben zu geniessen

Sich ahnungsvoll vermass, wie muss ichs büssen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen!

Hab ich die Kraft, dich anzuziehn, besessen,

So hatt ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem selgen Augenblicke

Ich fühlte mich so klein, so gross;

Du stiessest grausam mich zurücke

Ins ungewisse Menschenlos.

Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsres Lebens Gang.

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heisst das Bessre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift:

Du bebst vor allem, was nicht trifft,

Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.

Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt!

Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt!

Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand

Aus hundert Fächern mir verenget?

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand

In dieser Mottenwelt mich dränget?

Hier soll ich finden, was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Dass überall die Menschen sich gequält,

Dass hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?

Als dass dein Hirn, wie meines, einst verwirret

Den lichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret!

Ihr Instrumente freilich spottet mein

Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügels:

Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnisvoll am lichten Tag,

Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte;

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

Weit besser hätt ich doch mein Weniges verprasst,

Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!

Was du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb es, um es zu besitzen!

Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;

Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle,

Als wenn im nächtgen Wald uns Mondenglanz umweht?

Ich grüsse dich, du einzige Phiole,

Die ich mit Andacht nun herunterhole!

In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich-feinen Kräfte,

Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich: es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich: das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füssen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen

An mich heran! Ich fühle mich bereit,

Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen

Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

Dies hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich, die Pforten aufzureissen,

Vor denen jeder gern vorüberschleicht!

Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,

Dass Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht:

Vor jener dunklen Höhle nicht zu beben,

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt,

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschliessen,

Und wär es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufliessen!

Nun komm herab, kristallne, reine Schale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht!

Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste,

Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich-reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,

Erinnert mich an manche Jugendnacht.

Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen:

Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

Den ich bereitet, den ich wähle,

Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele

Als festlich-hoher Gruss dem Morgen zugebracht!

Er setzt die Schale an den Mund.

Glockenklang und Chorgesang

chor der engel . Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden!

faust . Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton

Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

Des Osterfestes erste Feierstunde?

Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,

Der einst um Grabesnacht von Engelslippen klang,

Gewissheit einem neuen Bunde?

chor der weiber. Mit Spezereien

Hatten wir ihn gepflegt,

Wir, seine Treuen,

Hatten ihn hingelegt;

Tücher und Binden

Reinlich umwanden wir –

Ach, und wir finden

Christ nicht mehr hier!

chor der engel. Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die betrübende,

Heilsam- und übende

Prüfung bestanden!

faust . Was sucht ihr, mächtig und gelind,

Ihr Himmelstöne, mich am Staube?

Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind!

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,

Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuss

Auf mich herab in ernster Sabbatstille;

Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuss;

Ein unbegreiflich-holdes Sehnen

Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,

Und unter tausend heissen Tränen

Fühlt ich mir eine Welt entstehn.

Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

Der Frühlingsfeier freies Glück;

Erinnrung hält mich nun mit kindlichem Gefühle

Vom letzten, ernsten Schritt zurück.

O tönet fort, ihr süssen Himmelslieder!

Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

chor der jünger. Hat der Begrabene

Schon sich nach oben,

Lebend-Erhabene,

Herrlich erhoben,

Ist er in Werdelust

Schaffender Freude nah:

Ach, an der Erde Brust

Sind wir zum Leide da!

Liess er die Seinen.

Schmachtend uns hier zurück,

Ach, wir beweinen,

Meister, dein Glück!

chor. der engel. Christ ist erstanden

Aus der Verwesung Schoss!

Reisset von Banden

Freudig euch los!

Tätig ihn Preisenden,

Liebe Beweisenden,

Brüderlich Speisenden,

Predigend Reisenden,

Wonne Verheissenden,

Euch ist der Meister nah,

Euch ist er da!

Vor dem Tor

Spaziergänger aller Art ziehen hinaus

einige handwerksbursche. Warum denn dort hinaus?

andre . Wir gehn hinaus aufs Jägerhaus.

die ersten. Wir aber wollen nach der Mühle wandern.

ein handwerksbursch. Ich rat euch, nach dem Wasserhof zu gehn.

zweiter. Der Weg dahin ist gar nicht schön.

die zweiten. Was tust denn du?

ein dritter. Ich gehe mit den andern.

vierter. Nach Burgdorf kommt herauf: gewiss, dort findet ihr

Die schönsten Mädchen und das beste Bier,

Und Händel von der ersten Sorte!

fünfter. Du überlustiger Gesell,

Juckt sich zum drittenmal das Fell?

Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.

dienstmädchen. Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.

andre . Wir finden ihn gewiss bei jenen Pappeln stehen.

erste. Das ist für mich kein grosses Glück:

Er wird an deiner Seite gehen,

Mit dir nur tanzt er auf dem Plan!

Was gehn mich deine Freuden an!

andre . Heut ist er sicher nicht allein:

Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm sein.

schüler. Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!

Herr Bruder, komm! wir müssen sie begleiten.

Ein starkes Bier, ein beizender Toback,

Und eine Magd im Putz, das ist nun mein Geschmack.

bürgermädchen. Da sieh mir nur die schönen Knaben!

Es ist wahrhaftig eine Schmach:

Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben –

Und laufen diesen Mägden nach!

zweiter schüler zum ersten

Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwei:

Sie sind gar niedlich angezogen.

’s ist meine Nachbarin dabei;

Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.

Sie gehen ihren stillen Schritt

Und nehmen uns doch auch am Ende mit.

erster. Herr Bruder, nein! ich bin nicht gern geniert.

Geschwind, dass wir das Wildbret nicht verlieren!

Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,

Wird Sonntags dich am besten karessieren.

bürger. Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!

Nun, da ers ist, wird er nur täglich dreister,

Und für die Stadt was tut denn er?

Wird es nicht alle Tage schlimmer?

Gehorchen soll man mehr als immer

Und zahlen mehr als je vorher.

bettler singt

Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,

So wohlgeputzt und backenrot,

Belieb es euch, mich anzuschauen,

Und seht und mildert meine Not!

Lasst hier mich nicht vergebens leiern!

Nur der ist froh, der geben mag.

Ein Tag, den alle Menschen feiern,

Er sei für mich ein Erntetag!

andrer bürger. Nichts Bessers weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,

Wenn hinten, weit, in der Türkei,

Die Völker aufeinanderschlagen.

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus

Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;

Dann kehrt man abends froh nach Haus

Und segnet Fried und Friedenszeiten.

dritter bürger. Herr Nachbar, ja! so lass ichs auch geschehn:

Sie mögen sich die Köpfe spalten,

Mag alles durcheinandergehn;

Doch nur zu Hause bleibs beim alten!

alte zu den Bürgermädchen

Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!

Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –

Nur nicht so stolz! es ist schon gut!

Und was ihr wünscht, das wüsst ich wohl zu schaffen.

bürgermädchen. Agathe, fort! ich nehme mich in acht,

Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;

Sie liess mich zwar in Sankt-Andreas-Nacht

Den künftgen Liebsten leiblich sehen.

die andre. Mir zeigte sie ihn im Kristall,

Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen:

Ich seh mich um, ich such ihn überall,

Allein mir will er nicht begegnen.

soldaten

Burgen mit hohen

Mauern und Zinnen,

Mädchen mit stolzen,

Höhnenden Sinnen

Möcht ich gewinnen!

Kühn ist das Mühen,

Herrlich der Lohn!

Und die Trompete

Lassen wir werben,

Wie zu der Freude

So zum Verderben.

Das ist ein Stürmen!

Das ist ein Leben!

Mädchen und Burgen

Müssen sich geben.

Kühn ist das Mühen,

Herrlich der Lohn!

Und die Soldaten

Ziehen davon.

Faust und Wagner

faust . Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

Im Tale grünet Hoffnungsglück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weisses:

Überall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlts im Revier:

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurückzusehen!

Aus dem hohlen, finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn;

Denn sie sind selber auferstanden:

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Strassen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluss in Breit und Länge

So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen,

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet gross und klein:

„Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!“

wagner . Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren

Ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Docks würd ich nicht allein mich herverlieren,

Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben

Ist mir ein gar verhasster Klang;

Sie toben, wie vom Bösen Geist getrieben,

Und nennens Freude, nennens Gesang.

bauern unter der Linde. Tanz und Gesang

Der Schäfer putzte sich zum Tanz

Mit bunter Jacke, Band und Kranz,

Schmuck war er angezogen.

Schon um die Linde war es voll,

Und alles tanzte schon wie toll.

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

So ging der Fiedelbogen.

Er drückte hastig sich heran,

Da stiess er an ein Mädchen an

Mit seinem Ellenbogen;

Die frische Dirne kehrt sich um

Und sagte: „Nun, das find ich dumm!“

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

„Seid nicht so ungezogen!“

Doch hurtig in dem Kreise gings,

Sie tanzten rechts, sie tanzten links,

Und alle Röcke flogen.

Sie wurden rot, sie wurden warm

Und ruhten atmend Arm in Arm –

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He! –

Und Hüft an Ellenbogen.

„Und tu mir doch nicht so vertraut!

Wie mancher hat nicht seine Braut

Belogen und betrogen!“

Er schmeichelte sie doch beiseit,

Und von der Linde scholl es weit:

Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!

Geschrei und Fiedelbogen.

alter bauer. Herr Doktor, das ist schön von Euch,

Dass Ihr uns heute nicht verschmäht

Und unter dieses Volksgedräng,

Als ein so Hochgelahrter, geht.

So nehmet auch den schönsten Krug,

Den wir mit frischem Trunk gefüllt!

Ich bring ihn zu und wünsche laut,

Dass er nicht nur den Durst Euch stillt:

Die Zahl der Tropfen, die er hegt,

Sei Euren Tagen zugelegt!

faust . Ich nehme den Erquickungstrank,

Erwidr euch allen Heil und Dank.

Das Volk sammelt sich im Kreis umber

alter bauer. Fürwahr, es ist sehr wohlgetan,

Dass Ihr am frohen Tag erscheint;

Habt Ihr es vormals doch mit uns

An bösen Tagen gut gemeint!

Gar mancher steht lebendig hier,

Den Euer Vater noch zuletzt

Der heissen Fieberwut entriss,

Als er der Seuche Ziel gesetzt.

Auch damals Ihr, ein junger Mann,

Ihr gingt in jedes Krankenhaus;

Gar manche Leiche trug man fort,

Ihr aber kamt gesund heraus,

Bestandet manche harte Proben:

Dem Helfer half der Helfer droben.

alle. Gesundheit dem bewährten Mann,

Dass er noch lange helfen kann!

faust . Vor jenem droben steht gebückt,

Der helfen lehrt und Hülfe schickt!

Er geht mit Wagnern weiter

wagner . Welch ein Gefühl musst du, o grosser Mann,

Bei der Verehrung dieser Menge haben!

O glücklich, wer von seinen Gaben

Solch einen Vorteil ziehen kann!

Der Vater zeigt dich seinem Knaben,

Ein jeder fragt und drängt und eilt,

Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.

Du gehst, in Reihen stehen sie,

Die Mützen fliegen in die Höh,

Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,

Als käm das Venerabile.

faust . Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein:

Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.

Hier sass ich oft gedankenvoll allein

Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.

An Hoffnung reich, im Glauben fest,

Mit Tränen, Seufzen, Händeringen

Dacht ich das Ende jener Pest

Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.

Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.

O könntest du in meinem Innern lesen,

Wie wenig Vater und Sohn

Solch eines Ruhmes wert gewesen!

Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,

Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,

In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,

Mit grillenhafter Mühe sann,

Der in Gesellschaft von Adepten

Sich in die Schwarze Küche schloss

Und nach unendlichen Rezepten

Das Widrige zusammengoss.

Da ward ein Roter Leu, ein kühner Freier,

Im lauen Bad der Lilie vermählt

Und beide dann mit offnem Flammenfeuer

Aus einem Brautgemach ins andere gequält.

Erschien darauf mit bunten Farben

Die Junge Königin im Glas,

Hier war die Arzenei, die Patienten starben,

Und niemand fragte, wer genas!

So haben wir mit höllischen Latwergen

In diesen Tälern, diesen Bergen

Weit schlimmer als die Pest getobt.

Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben:

Sie welkten hin, ich muss erleben,

Dass man die frechen Mörder lobt!

wagner . Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!

Tut nicht ein braver Mann genug,

Die Kunst, die man ihm übertrug,

Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?

Wenn du als Jüngling deinen Vater ehrst,

So wirst du gern von ihm empfangen;

Wenn du als Mann die Wissenschaft vermehrst;

So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.

faust . O glücklich, wer noch hoffen kann,

Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!

Was man nicht weiss, das eben brauchte man,

Und was man weiss, kann man nicht brauchen. –

Doch lass uns dieser Stunde schönes Gut

Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!

Betrachte, wie in Abendsonneglut

Die grünumgebnen Hütten schimmern!

Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,

Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.

O dass kein Flügel mich vom Boden hebt,

Ihr nach und immer nach zu streben!

Ich säh im ewigen Abendstrahl

Die stille Welt zu meinen Füssen,

Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,

Den Silberbach in goldne Ströme fliessen.

Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf

Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;

Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten

Vor den erstaunten Augen auf.

Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;

Allein der neue Trieb erwacht:

Ich eile fort, ihr ewges Licht zu trinken,

Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,

Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.

Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.

Ach, zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen!

Doch ist es jedem eingeboren,

Dass sein Gefühl hinauf- und vorwärtsbringt,

Wenn über uns, im blauen Raum verloren,

Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,

Wenn über schroffen Fichtenhöhen

Der Adler ausgebreitet schwebt

Und über Flächen, über Seen

Der Kranich nach der Heimat strebt.

wagner . Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,

Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.

Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;

Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden.

Wie anders tragen und die Geistesfreuden

Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!

Da werden Winternächte hold und schön,

Ein selig Leben wärmet alle Glieder,

Und ach, entrollst du gar ein würdig Pergamen,

So steigt der ganze Himmel zu dir nieder!

faust . Du bist dir nur des einen Triebs bewusst;

O lerne nie den andern kennen!

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,

Die eine will sich von der andern trennen:

Die eine hält in derber Liebesluft

Sich an die Welt mit klammernden Organen;

Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust

Zu den Gefilden hoher Ahnen.

O, gibt es Geister in der Luft,

Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben,

So steiget nieder aus dem goldnen Duft

Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!

Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!

Und trüg er mich in fremde Länder,

Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder,

Nicht feil um einen Königsmantel sein!

wagner . Berufe nicht die wohlbekannte Schar,

Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,

Dem Menschen tausendfältige Gefahr

Von allen Enden her bereitet!

Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn

Auf dich herbei mit pfeilgespissten Zungen;

Von Morgen ziehn vertrocknend sie heran.

Und nähren sich von deinen Lungen.

Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,

Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,

So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,

Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.

Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,

Gehorchen gern, weil sie uns gern betriegen;

Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt

Und lispeln englisch, wenn sie lügen. –

Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,

Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!

Am Abend schätzt man erst das Haus. –

Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?

Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

faust . Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

wagner . Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

faust . Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?

wagner . Für einen Puder, der auf seine Weise

Sich auf der Spur des Herren plagt.

faust . Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise

Er um uns her und immer näher jagt?

Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel

Auf seinen Pfaden hinterdrein.

wagner . Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;

Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

faust . Mir scheint es, dass er magisch-leise Schlingen

Zu künftgem Band um unsre Füsse zieht.

wagner . Ich seh ihn ungewiss und furchtsam uns umspringen,

Weil er statt seines Herrn zwei Unbekannte sieht.

faust . Der Kreis wird eng! schon ist er nah!

wagner . Du siehst, ein Hund, und kein Gespenst ist da!

Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,

Er wedelt: alles Hundebrauch.

faust . Geselle dich zu uns! komm hier!

wagner . Es ist ein pudelnärrisch Tier.

Du stehest still, er wartet auf;

Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;

Verliere was, er wird es bringen,

Nach deinem Stock ins Wasser springen

faust . Du hast wohl recht: ich finde nicht die Spur

Von einem Geist, und alles ist Dressur.

wagner . Dem Hunde, wenn er gut gezogen,

Wird selbst ein weiser Mann gewogen.

Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar,

Er, der Studenten trefflicher Skolar.

Sie gehen in das Stadttor.

Studierzimmer

faust mit dem Pudel hereintretend

Verlassen hab ich Feld und Auen,

Die eine tiefe Nacht bedeckt,

Mit ahnungsvollem, heilgem Grauen

In uns die bessre Seele weckt.

Entschlafen sind nun wilde Triebe

Mit jedem ungestümen Tun;

Es reget sich die Menschenliebe,

Die Liebe Gottes regt sich nun. –

Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider!

An der Schwelle was schnoperst du hier?

Lege dich hinter den Ofen nieder:

Mein bestes Kissen geb ich dir.

Wie du draussen auf dem bergigen Wege

Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,

So nimm nun auch von mir die Pflege

Als ein willkommner, stiller Gast.

Ach! wenn in unsrer engen Zelle

Die Lampe freundlich wieder brennt,

Dann wirds in unserm Busen helle,

Im Herzen, das sich selber kennt.

Vernunft fängt wieder an zu sprechen,

Und Hoffnung wieder an zu blühn;

Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,

Ach! nach des Lebens Quelle hin. –

Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen,

Die jetzt meine ganze Seel umfassen,

Will der tierische Laut nicht passen.

Wir sind gewohnt, dass die Menschen verhöhnen,

Was sie nicht verstehn,

Dass sie vor dem Guten und Schönen,

Das ihnen oft beschwerlich ist, murren:

Will es der Hund wie sie beknurren?

Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen,

Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.

Aber warum muss der Strom so bald versiegen

Und wir wieder im Durste liegen?

Davon hab ich so viel Erfahrung.

Doch dieser Mangel lässt sich ersetzen:

Wir lernen das Überirdische schätzen,

Wir sehnen uns nach Offenbarung,

Die nirgends würdger und schöner brennt

Als in dem Neuen Testament.

Mich drängts, den Grundtext aufzuschlagen,

Mit redlichem Gefühl einmal

Das heilige Original

In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.

Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an

Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“

Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muss es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Dass deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

Doch auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! –

Soll ich mit dir das Zimmer teilen,

Pudel, so lass das Heulen,

So lass das Bellen!

Solch einen störenden Gesellen

Mag ich nicht in der Nähe leiden.

Einer von uns beiden

Muss die Zelle meiden.

Ungern Heb ich das Gastrecht auf,

Die Tür ist offen, hast freien Lauf. –

Aber was muss ich sehen!

Kann das natürlich geschehen?

Ist es Schatten? ists Wirklichkeit?

Wie wird mein Pudel lang und breit!

Er hebt sich mit Gewalt:

Das ist nicht eines Hundes Gestalt!

Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!

Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,

Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiss.

O, du bist mir gewiss!

Für solche halbe Höllenbrut

Ist Salomonis Schlüssel gut.

geister auf dem Gange

Drinnen, gefangen ist einer!

Bleibet haussen! folg ihm keiner!

Wie im Eisen der Fuchs

Zagt ein alter Höllenluchs.

Aber geht acht!

Schwebet hin, schwebet wider,

Auf und nieder,

Und er hat sich losgemacht.

Könnt ihr ihm nützen,

Lasst ihn nicht sitzen!

Denn er tat uns allen

Schon viel zu Gefallen.

faust . Erst, zu begegnen dem Tiere,

Brauch ich den Spruch der Viere:

Salamander soll glühen,

Undene sich winden,

Sylphe verschwinden,

Kobold sich mühen.

Wer sie nicht kennte,

Die Elemente,

Ihre Kraft

Und Eigenschaft,

Wäre kein Meister

Über die Geister.

Verschwind in Flammen,

Salamander!

Rauschend fliesse zusammen,

Undene!

Leucht in Meteorenschöne,

Sylphe!

Bring häusliche Hülfe,

Incubus! incubus!

Tritt hervor und mache den Schluss!

Keines der Viere

Steckt in dem Tiere.

Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;

Ich hab ihm noch nicht weh getan.

Du sollst mich hören

Stärker beschwören.

Bist du, Geselle,

Ein Flüchtling der Hölle?

So sieh dies Zeichen,

Dem sie sich beugen,

Die schwarzen Scharen!

Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.

Verworfnes Wesen!

Kannst du ihn lesen?

Den nie Entsprossnen,

Unausgesprochnen,

Durch alle Himmel Gegossnen,

Freventlich Durchstochnen?

Hinter den Ofen gebannt,

Schwillt es wie ein Elefant,

Den ganzen Raum füllt es an,

Es will zum Nebel zerfliessen.

Steige nicht zur Decke hinan!

Lege dich zu des Meisters Füssen!

Du siehst, dass ich nicht vergebens drohe:

Ich versenge dich mit heiliger Lohe!

Erwarte nicht

Das dreimal glühende Licht!

Erwarte nicht

Die stärkste von meinen Künsten!

mephistopheles tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor

Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

faust . Das also war des Pudels Kern!

Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.

mephistopheles . Ich salutiere den gelehrten Herrn!

Ihr habt mich weiblich schwitzen machen.

faust . Wie nennst du dich?

mephistopheles . Die Frage scheint mir klein

Für einen, der das Wort so sehr verachtet,

Der, weit entfernt von allem Schein,

Nur in der Wesen Tiefe trachtet.

faust . Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen

Gewöhnlich aus dem Namen lesen,

Wo es sich allzu deutlich weist,

Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heisst.

Nun gut, wer bist du denn?

mephistopheles . Ein Teil von jener Kraft,

Die stets das Böse will, und stets das Gute schafft.

faust . Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?

mephistopheles . Ich bin der Geist, der stets verneint!

Und das mit Recht: denn alles, was entsteht,

Ist wert, dass es zugrunde geht;

Drum besser wärs, dass nichts entstünde.

So ist denn alles, was ihr Sünde,

Zerstörung, kurz das Böse nennt,

Mein eigentliches Element.

faust . Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?

mephistopheles . Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.

Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,

Gewöhnlich für ein Ganzes hält:

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,

Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,

Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht

Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.

Und doch gelingts ihm nicht, da es, soviel es strebt,

Verhaftet an den Körpern klebt:

Von Körpern strömts, die Körper macht es schön,

Ein Körper hemmts auf seinem Gange;

So, hoff ich, dauert es nicht lange,

Und mit den Körpern wirds zugrunde gehn.

faust . Nun kenn ich deine würdgen Pflichten!

Du kannst im Grossen nichts vernichten

Und fängst es nun im Kleinen an.

mephistopheles . Und freilich ist nicht viel damit getan.

Was sich dem Nichts entgegenstellt,

Das Etwas, diese plumpe Welt,

Soviel als ich schon unternommen,

Ich wusste nicht ihr beizukommen,

Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand –

Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!

Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,

Dem ist nun gar nichts anzuhaben:

Wie viele hab ich schon begraben,

Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut!

So geht es fort, man möchte rasend werden!

Der Luft, dem Wasser wie der Erden

Entwinden tausend Keime sich,

Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!

Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,

Ich hätte nichts Aparts für mich.

faust . So setzest du der ewig-regen,

Der heilsam-schaffenden Gewalt

Die kalte Teufelsfaust entgegen,

Die sich vergebens tückisch ballt!

Was anders suche zu beginnen

Des Chaos wunderlicher Sohn!

mephistopheles . Wir wollen wirklich uns besinnnen,

Die nächsten Male mehr davon!

Dürft ich wohl diesmal mich entfernen?

faust . Ich sehe nicht, warum du fragst.

Ich habe jetzt dich kennenlernen,

Besuche nun mich, wie du magst.

Hier ist das Fenster, hier die Türe,

Ein Rauchfang ist dir auch gewiss.

mephistopheles . Gesteh ichs nur! Dass ich hinausspaziere,

Verbietet mir ein kleines Hindernis:

Der Drudenfuss auf Eurer Schwelle –

faust . Das Pentagramma macht dir Pein?

Ei, sage mir, du Sohn der Hölle:

Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?

Wie ward ein solcher Geist betrogen?

mephistopheles . Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen:

Der eine Winkel, der nach aussenzu,

Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

faust . Das hat der Zufall gut getroffen!

Und mein Gefangner wärst denn du?

Das ist von ungefähr gelungen!

mephistopheles . Der Pudel merkte nichts, als er hereingesprungen!

Die Sache sieht jetzt anders aus:

Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

faust . Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

mephistopheles . ’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:

Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.

Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.

faust . Die Hölle selbst hat ihre Rechte?

Das find ich gut, da liesse sich ein Pakt,

Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schliessen?

mephistopheles . Was man verspricht, das sollst du rein geniessen,

Dir wird davon nichts abgezwackt.

Doch das ist nicht so kurz zu fassen,

Und wir besprechen das zunächst;

Doch jetzo bitt ich hoch und höchst,

Für dieses Mal mich zu entlassen.

faust . So bleibe doch noch einen Augenblick,

Um mir erst gute Mär zu sagen!

mephistopheles . Jetzt lass mich los! ich komme bald zurück:

Dann magst du nach Belieben fragen.

faust . Ich habe dir nicht nachgestellt,

Bist du doch selbst ins Garn gegangen.

Den Teufel halte, wer ihn hält!

Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen.

mephistopheles . Wenn dirs beliebt, so bin ich auch bereit,

Dir zur Gesellschaft hierzubleiben;

Doch mit Bedingnis, dir die Zeit

Durch meine Künste würdig zu vertreiben.

faust . Ich seh es gern, das steht dir frei;

Nur dass die Kunst gefällig sei!

mephistopheles . Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen

In dieser Stunde mehr gewinnen

Als in des Jahres Einerlei.