Faust I - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Beschreibung

"Faust. Der Tragödie erster Teil" (kurz Faust I) von Johann Wolfgang von Goethe gilt als das bedeutendste und meistzitierte Werk der deutschen Literatur. Die 1808 veröffentlichte Tragödie greift die Geschichte des historischen Doktor Faustus auf und wird in Faust II zu einer Menschheitsparabel ausgeweitet. Heinrich Faust, wie sein historisches Vorbild Johann Georg Faust (ca. 1480–1538) ein nicht mehr junger, aber angesehener Forscher und Lehrer zu Beginn der Neuzeit, zieht eine selbstkritische Lebensbilanz. Er ist beruflich und privat durch und durch unzufrieden: Als Wissenschaftler fehle es ihm an tiefer Einsicht und brauchbaren Ergebnissen und als Mensch sei er unfähig, das Leben in seiner Fülle zu genießen. Tief deprimiert und lebensmüde geworden, verspricht er dem Teufel Mephisto seine Seele, wenn es diesem gelingen sollte, Faust von seiner Unzufriedenheit zu befreien und für stetige Abwechslung zu sorgen.

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Faust I

Faust 1ZueignungVorspiel auf dem TheaterProlog im HimmelDer Tragödie erster Teil - 1

Faust 1

Johann Wolfgang von Goethe

Faust

Der Tragödie erster Teil

Zueignung

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch’ ich wohl, euch diesmal festzuhalten?

Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halbverklungnen Sage

Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

Verklungen, ach! der erste Widerklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,

Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze, seh’ ich wie im Weiten,

Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater

Direktor. Theaterdichter. Lustige Person.

direktor.

Ihr beiden, die ihr mir so oft,

In Not und Trübsal, beigestanden,

Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen

Von unsrer Unternehmung hofft?

Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben läßt.

Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,

Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen:

Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,

Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt

Und mit gewaltig wiederholten Wehen

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,

Bei hellem Tage, schon vor vieren,

Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,

Um ein Billett sich fast die Hälse bricht.

Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!

dichter.

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht.

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht,

Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,

Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,

Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

lustige person.

Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.

Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

Den will sie doch und soll ihn haben.

Die Gegenwart von einem braven Knaben

Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,

Laßt Phantasie mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,

Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören!

direktor.

Besonders aber laßt genug geschehn!

Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

So daß die Menge staunend gaffen kann,

Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seid ein vielgeliebter Mann.

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,

Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

dichter.

Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei

Wie wenig das dem echten Künstler zieme!

Der saubern Pfuscherei

Ist, merk’ ich, schon bei Euch Maxime.

direktor.

Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

Muß auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!

Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

Und, was das Allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten

Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?

Was macht ein volles Haus Euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

Was plagt ihr armen Toren viel,

Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Ich sag’ Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,

So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren.

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen, ist schwer – –

Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

dichter.

Geh hin und such dir einen andern Knecht!

Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?

Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

Verdrießlich durcheinander klingt,

Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe

Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,

Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?

Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?

Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?

Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.

lustige person.

So braucht sie denn, die schönen Kräfte,

Und treibt die dichtrischen Geschäfte,

Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt,

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

Und eh’ man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.

Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,

Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;

Ein Werdender wird immer dankbar sein.

dichter.

So gib mir auch die Zeiten wieder,

Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten.

Ich hatte nichts und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Gib ungebändigt jene Triebe,

Das tiefe, schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

lustige person.

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz

Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Mut und Anmut einzugreifen,

Nach einem selbstgesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen,

Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

direktor.

Der Worte sind genug gewechselt,

Laßt mich auch endlich Taten sehn!

Indes ihr Komplimente drechselt,

Kann etwas Nützliches geschehn.

Was hilft es viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandiert die Poesie.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen:

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,

Und keinen Tag soll man verpassen.

Das Mögliche soll der Entschluß

Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,

Er will es dann nicht fahren lassen

Und wirket weiter, weil er muß.

Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder, was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen.

Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Bretterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Prolog im Himmel

Der Herr. Die himmlischen Heerscharen.

Nachher Mephistopheles.

Die drei Erzengel treten vor.

raphael.

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

gabriel.

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieseshelle

Mit tiefer, schauervoller Nacht;

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

michael.

Und Stürme brausen um die Wette,

Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

Zudrei.

Der Anblick gibt den Engeln Stärke,

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

mephistopheles.

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd’ er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

der herr.

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

mephistopheles.

Nein, Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,

Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.

der herr.

Kennst du den Faust?

mephistopheles.

Den Doktor?

der herr.

Meinen Knecht

mephistopheles.

Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.

Ihn treibt die Gärung in die Ferne,

Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne

Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh’ und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

der herr.

Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

mephistopheles.

Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,

Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,

Ihn meine Straße sacht zu führen!

der herr.

Solang’ er auf der Erde lebt,

Solange sei dir’s nicht verboten.

Es irrt der Mensch, solang’ er strebt.

mephistopheles.

Da dank’ ich Euch; denn mit den Toten

Hab’ ich mich niemals gern befangen.

Am meisten lieb’ ich mir die vollen, frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus,

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

der herr.

Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

mephistopheles.

Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

der herr.

Du darfst auch da nur frei erscheinen;

Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.

Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. –

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.

mephistophelesallein.

Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,

Und hüte mich, mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Der Tragödie erster Teil

Nacht

In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer.

Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

faust.

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh’ ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug als wie zuvor!

Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr’

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt;

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund;

Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;

Daß ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,

Und tu’ nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

Dann über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt’ ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht!

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den, bis ans hohe Gewölb’ hinauf,

Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft,

Urväter-Hausrat drein gestopft –

Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp’ und Totenbein.

Flieh! auf! hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, daß trocknes Sinnen hier

Die heil’gen Zeichen dir erklärt:

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.

Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen

Und mit geheimnisvollem Trieb

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

Ich schau’ in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht:

›Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

Auf, bade, Schüler, unverdrossen

Die ird’sche Brust im Morgenrot!‹

Er beschaut das Zeichen.

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!

Wo fass’ ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes,

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,

Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet!

Es dampft – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb’ herab

Und faßt mich an!